Der Elfenlord von Bastian Bernig |
Die Seherin |
Als Xuji wieder neben der Eiche erschien, konnte er im Osten bereits die ersten Anzeichen der nahenden Dämmerung ausmachen. Doch er konnte diesen Anblick nicht lange bewundern, denn fast sofort fühlte er einen Dolch an seiner Kehle. "Kora, hör auf! Ich bin´s, Xuji", flüsterte der Jugendliche genervt. Der Dolch zog sich langsam zurück, aber nicht ohne ihm einen kleinen Kratzer auf der Haut zu hinterlassen. "Ich hätte gut Lust, dir die Kehle aufzuschlitzen, ich mag es nicht, wenn man mich innerhalb eines Tages gleich zweimal hintereinander sitzen lässt, musstest du unbedingt zu dieser blöden Versammlung", schrie sie ihn wütend an. Erst wollte der Jugendliche ihr erklären, dass er keinen Einfluss darauf gehabt hatte, aber als ihm klar wurde, was sie gesagt hatte, fragte er stattdessen verwirrt: "Woher weißt du das?" So zornig wie Kora ihn ansah, dachte Xuji einen Moment lang, sie würde ihm nichts sagen, bevor sie sich auf den Boden plumpsen ließ und etwas beruhigter erklärte: "Nun, zuerst war ich ziemlich durcheinander, weil du so plötzlich verschwunden warst. Dann kam irgendwann so eine alte Frau, sie bot ihre Hilfe an. Ich wollte eigentlich gar nicht, aber sie ergriff einfach meine Hand. Und plötzlich lief mein gesamtes Leben vor meinem inneren Auge ab, als ich an die Stelle kam, wo du verschwunden bist, erklärte sie mir, dass du dich auf einer Druidenversammlung befinden und bald zurückkommen würdest. Als sie gehen wollte, fragte ich sie nach ihrem Namen, aber den wollte sie mir nicht sagen und meinte dann, es reiche, wenn ich wisse, dass sie eine Seherin ist." Xuji erstarrte als er das hörte. Die Seher waren die Magier des Geistes und der Zeit, deshalb war es kein Wunder, dass sie das Leben der Jugendlichen vor ihrem inneren Auge hatte ablaufen lassen können. Aber dabei hatte sie wahrscheinlich Koras gesamte Erinnerungen in sich aufgenommen. Er schüttelte den Kopf, daran war jetzt nichts mehr zu ändern. Kora hatte sich inzwischen offenbar abgeregt, sie öffnete ihren Beutel in dem sie Beeren, Nüsse und Kräuter gesammelt hatte. "Unser Frühstück, bedien dich", meinte sie ruhig und wollte sich gerade selbst etwas nehmen, aber Xuji ergriff ihre Hand und fragte: "Hast du davon schon was gegessen?" "Nein, warum?", fragte Kora, nun wieder etwas ungehaltener. Er deutete auf einige Beeren und Kräuter und erklärte: "Die hier sind giftig, führen nach einigen Krämpfen schnell zum Tod. Das hier solltest du nur essen, wenn du Lust auf Durchfall hast. Und das hier, nun ich glaube kaum, dass du die brauchst..." Sie schmiss die Beeren und Kräuter, bis auf das letzte, ins Gras. "Komisch, ich war mir sicher, dass die essbar sind, eine Freundin von mir hat die ständig gegessen und ihr ging es eigentlich immer gut", meinte die Jugendliche verwirrt. "Oh, sie sind essbar, nur die Nebenwirkung..." "Ja?" "Sie täuscht deinem Körper eine Schwangerschaft vor", erklärte er nach ihrem Drängen. "Ich werde schwanger dadurch?! Zum Glück habe ich die nicht gegessen, gut dass du aufgepasst hast", bedankte sie sich bei ihm. "Ähm, da hast du mich falsch verstanden, du wirst davon nicht schwanger! Dein Körper glaubt das nur, und so kannst du nicht richtig schwanger werden, verstehst du?", versuchte Xuji es ihr zu erklären. "Oh, ja, jetzt wird alles klar, meine Freundin ist eine Hure, weißt du, äh ich meine das jetzt nicht als Beleidigung, das ist ihr Beruf. Du wirst das vielleicht nicht glauben, aber in Nepen ist das ein sehr ehrenvoller Beruf! Und ich glaube auch, dass ich dieses Kraut in näherer Zukunft nicht brauchen werde...", erzählte Kora, wobei sie den letzten Teil mehr in sich hineinmurmelte. Den Rest des Frühstücks verbrachten sie in kameradschaftlicher Stille. Als es dann Zeit war wieder aufzubrechen, fragte die Jugendliche, wohin sie weiter reisen würden. "Im Süden wird es für mich eher ungemütlich sein, also dachte ich, wir gehen etwas mehr Richtung nach Westen, oder hast du eine bessere Idee?", wollte er wissen. Sie schüttelte den Kopf und antwortete: "Westen ist gut, von Osten komme ich ja, da gibt es für mich nichts neues..." "Ich wusste gar nicht, dass du aus dem Osten kommst, genaugenommen weiß ich praktisch gar nichts über dich", meinte Xuji. "In etwa soviel wie ich über dich", konterte sie schnell. "Touché!" "Also wie wäre es mit einer Kurzfassung deines Lebens? Dann wird uns wenigstens nicht langweilig", schlug sie lachend vor. "Das glaubst du, so interessant ist mein Leben auch nicht", rief der Jugendliche leise mitlachend, "aber meinetwegen, ich hab fast mein ganzes Leben in einem Wald im Norden, bei meinem Lehrer ´Sgarek dem Druidenmeister verbracht, hab gelernt und geübt. Tja und das war mein Leben im Prinzip schon." "Hallo, hab ich grad was verpasst, was ist mit Familie oder so? Oder bist du eines Tages einfach von einem Baum gefallen, oder was?", fragte Kora lachend. "Meine Mutter war eine Druidin und sie starb als ich vier war, keine Ahnung, wer mein Vater ist, du siehst, eigentlich habe ich nichts wichtiges ausgelassen", erklärte Xuji und versuchte dabei lässig zu klingen, aber der Jugendlichen entging der angespannte Unterton nicht. "Dann bin ich wohl jetzt dran, ich bin auch Waise, aufgewachsen bin ich bei meinen Großonkel meiner Mutter, er war früher einer der größten Unterweltbosse von Nepen, er hat mich sozusagen auf die schiefe Bahn gebracht, aber nach zehn ziemlich kriminellen Jahren, wollte ich einfach mehr von der Welt sehen, verstehst du? Nicht dass es mir dort nicht gefallen hätte und irgendwann gehe ich auch wieder zurück, aber ich hatte einfach das Bedürfnis meinen Horizont zu erweitern", erzählte Kora schnell. Nachdem die beiden eine Weile gelaufen waren, fragte die Jugendliche plötzlich: "Kann ich dich was fragen?" "Was hast du denn gerade gemacht?", wollte er wissen. Sie rollte mit den Augen und fragte ein zweites Mal: "Kann ich dir noch ein Frage stellen?" "Sicher", erwiderte Xuji grinsend, "aber ich kann dir keine Antwort garantieren." Kora enthielt sich eines Kommentars und stellte stattdessen ihre Frage: "Du hast vorher gesagt, im Süden wäre es für dich unangenehm, warum?" "Nun, von einem der anderen Druiden bei der Versammlung habe ich erfahren, dass Magie dort gerade nicht unbedingt beliebt ist", erklärte er langsam, "ich erwarte nicht, dass ein Mob wütender Bauern auf mich zugerannt kommt und versucht mich zu hängen, aber es könnte doch ein paar Probleme geben!" Einige Zeit später fragte Kora wieder: "Warum hassen sie Magieanwender, das ist, als würde man jemanden hassen nur weil er groß ist oder gut singen kann." "Die meisten Menschen verstehen nichts von Magie, und was der Mensch nicht versteht, davor hat er angst, und wovor er angst hat, das hasst er", antwortete Xuji als würde das alles erklären. "Ich habe auch keine Ahnung von Magie und trotzdem hasse ich dich nicht", rief sie laut. "Nein, überhaupt nicht", meinte der Jugendliche gespielt sarkastisch, "du hast mir aus reiner Freundschaft einen Stein an den Kopf geworfen und mir fast die Kehle aufgeschlitzt." "Natürlich, genau deswegen", antwortete sie todernst. Er warf ihr einen schiefen Blick zu, woraufhin beide in Gelächter ausbrachen. "Ich verstehe trotzdem nicht, wie sie so dumm sein können, ihre ganzen Magier zu hassen, was machen sie, wenn irgendeine Seuche ausbricht, ich glaube kaum, dass die ihnen dann mit Heilmagie helfen werden", meinte die Jugendliche als sie sich wieder beruhigt hatte. "Da irrst du dich", wies Xuji sie zurecht, "Druiden, Hexen und allen anderen bei denen ein relativ starkes Heiltalent vorliegt, müssen heilen, es ist ein unterbewusster Wunsch, außerdem ist es Gesetz bei den Druiden, und auch bei einigen Hexenorden wie ich gehört habe, jeden zu heilen, der krank oder verletzt ist!" "Das heißt, wenn wir jetzt in ein Dorf kämen, in dem eine Seuche wütet, müsstest du ohne Lohn einfach alle heilen?", fragte Kora entsetzt. "Ich müsste es zumindest versuchen, was den Lohn angeht, müssten die Dorfbewohner natürlich für meine Unterbringung und Verpflegung sorgen, etwas anderes würde ich nur in einem reichen Dorf verlangen", erklärte der Jugendliche. "Nehmen wir mal an, es würde solch ein Seuche, die nur durch Magie geheilt werden könnte, im Süden geben, würden die Menschen die Heiler, die ihnen helfen wollen, überhaupt an sich ranlassen bei ihrem Hass?", fragte sie nachdenklich. "Manche würden, andere nicht, die meisten werden sowieso nur vom Mob mitgerissen, Schätzchen", rief eine knorrige Stimme. Die beiden sahen sich überrascht um und entdeckten dann eine alte Frau in grauer Robe, die auf einem kleinem Felsen saß. Weit und breit gab es nichts, das die Sicht behindern könnte, trotzdem hatten die beiden Jugendlichen sie bis jetzt nicht bemerkt. "Das ist die Seherin, von der ich dir erzählt habe", erklärte Kora leise zu ihm, was allerdings überflüssig war, denn der Jugendliche hatte sie in dem Moment erkannt, in dem er sie gesehen hatte. "Das wurde aber auch Zeit, ich habe auf dich gewartet, Xuji´scor", meinte die Seherin und zeigte dabei ein zahnloses Grinsen. "Und was wollen Sie von mir?", fragte dieser in einem ungewöhnlich ungehaltenen Ton. "Ich will sehen, was dein Schicksal für dich bereithält", antworte die Alte einschmeichelnd, "ich glaube, dass du einen interessanten Faden hast!" "Danke, aber ich bestimme mein Schicksal selbst", erklärte der Jugendliche eisig. "Natürlich tust du das, und jetzt gib der alte Kisa ein Tropfen Blut, damit sie ihrem Hirngespinst nachgehen kann", bat sie und ihr schmeichelnder Tonfall wurde immer schleimerischer. "Tun Sie nicht so verkalkt, ich weiß, dass Sie es nicht sind", rief der Druide laut. "Dann gib mir einen Tropfen, du weißt sicher, dass ich dich auch zwingen könnte", meinte die Seherin auf einmal scharf. "Wenn Sie mich dann endlich in Ruhe lassen", murmelte er resigniert, "Kora könntest du mir einen deiner Dolche geben?" Langsam tat die Jugendliche, wie Xuji ihr geheißen hatte, und er schnitt sich quer über die Innenfläche seiner linken Hand. "Zumindest kennst du dich mit den Ritualen anderer Magier aus", meinte die Alte leicht beeindruckt. Der Druide erwiderte nichts sondern ließ sein Blut in ihre ausgestreckten Hände tropfen. Die Seherin bestrich sich ihre Augenlider damit und begann einen Singsang in einer fremdartig klingenden Sprache. Auf einen Schlag brach sie ab und schlug die Augen wieder auf. Ihre Pupillen und Iris waren nun von leuchtenden blauen Scheiben verdeckt. Mit monotoner Stimme berichtete die alte Frau von den ihr gewährten Visionen: "Ich sehe Festungen,
Ihre Augen wurden wieder normal und auf einmal war sie der Ausdruck
vollkommener Erschöpfung. Mit keuchender Stimme meinte die Seherin:
"Ich hatte recht, du bist nicht nur ein interessanter Faden sondern auch
noch ein entscheidender. Trotzdem habe ich Dinge gesehen, die ich nicht
verstehe... Vielleicht werden sie mir klarer, wenn ich deinen Geist und
deine Erinnerungen kenne!" Xuji wollte zurückweichen, doch die Hand
der Alten schoss geübt nach vorne und ergriff die des Jugendlichen.
Dieser errichtete schnell einen Schutzwall aus Druidenmagie um seinen Geist.
Doch dieser zerbrach fast sofort unter dem eisernen Griff der Seherin.
© Bastian
Bernig
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen! |
.
www.drachental.de