Der Elfenlord von Bastian Bernig
Zwergengespräch

"Bitte eine einzige Frage noch", flehte Kora am nächsten Morgen. Sie hatte den Jugendlichen bereits den gestrigen restlichen Tag und bis spät in die Nacht mit Fragen, über die Vorhersage der Seherin, bestürmt.
"Nein, ich weiß nicht, welche meiner Fragen die Älteste ist, dazu sind es momentan zu viel, ich war noch nie in einer Festung oder einem Walddorf, ich weiß auch nicht, wer mein Gegner sein soll und mein wahres Selbst interessiert das alles nicht", erklärte Xuji wütend, verschleierte dabei aber die Tatsache, dass es ihn eigentlich genauso kribbelig machte wie Kora und dass er schon die eine oder andere Vermutung angestellt hatte.
"Nein, ich finde es nur komisch, dass die Seherin "eine ungewisse Schlacht" gesagt hat, ungewiss ist meiner Meinung nach kein Wort, das in eine Voraussage gehört, oder?", überlegte die Jugendliche nachdenklich.
"Seher sehen immer alle Möglichkeiten der Zukunft, die Vorhersage, die sie dabei von sich geben, ist nur die nach ihrer Meinung wahrscheinlichste. Aber manchmal soll es wirklich Scheidewege in der Zeit geben, wo sich soviel entscheidet und soviel eine Rolle spielt, dass sie sich überhaupt nicht sicher sein können, ich nehme mal an, der Ausgang dieser Schlacht wird das Leben von vielen Leute beeinflussen", erklärte der Druide und versuchte sich zu beruhigen.
Den Rest des Tages schwieg Kora, teils weil Xuji ganz offensichtlich nicht mehr über die gestrigen Ereignisse reden wollte, andererseits weil ihr selbst zuviel Gedanken im Kopf herumschwirrten. Die Gesellschaft von Übernatürlichen war eben nicht nur vorteilhaft. Sicher seit sie mit Xuji reiste hatte niemand mehr versucht sie auszurauben oder anderes, sah man mal von den Konflikten mit den Elfen und der Sache in diesem verrücktem Dorf ab.
Aber Vorhersagen beunruhigten fast jeden, schließlich war die Zukunft kein offenes Buch, in dem man nach belieben herumblättern konnte. Halt, das stimmte nicht ganz, schließlich hatte die Seherin auch nicht all das sehen können was sie wollte. Kora fand diesen Gedanken etwas beruhigend und schließlich hatte Xuji ja gesagt, jeder würde sein Schicksal selbst bestimmen, oder so.

"Lass uns hier unser Lager aufschlagen", schlug Kora am späten Nachmittag vor, "nach den letzten Ereignissen sollten wir uns etwas ausruhen." Xuji wusste zwar nicht, was genau sie meinte, doch er war dankbar für ihren Vorschlag. Der Druide verschränkte die Beine und lehnte sich an einen Baum.
Für einen Moment sah er, im Licht der langsam untergehenden Sonne, wirklich wie ein weiser und mächtiger Druide aus. Doch als er die Kapuze seiner Robe zurückschlug und den Blick auf sein junges Gesicht freigab, war dieser Eindruck sofort dahin.
"Wer ist mit dem Essen dran?", fragte der Jugendliche leise.
"Ich weiß nicht", murmelte Kora, die entspannt im Gras lag, "ich versuche uns etwas zu jagen, wenn du dich um den Rest kümmerst, einverstanden?" Xuji nickte und stand auf, langsam lief er weg von der Straße, tiefer in die Wildnis hinein. Der Druide musste sich nicht einmal konzentrieren, um das zu finden was er wollte, ohne Probleme fand er einen kleinen Bach an dem er seinen Wasserschlauch auffüllte. Auf dem Weg dorthin hatte der Jugendliche bereits mehrere Kräuter und Beeren gefunden, die, wie er aus Erfahrung wusste, für ein Essen reichen würden. Koras Jagdgeschick war nicht gerade überragend und so beschloss Xuji noch ein wenig länger den Klängen der Natur zu lauschen.
Als er schließlich wieder zurückging, kam auch die Diebin gerade wieder zurück. In der Hand hielt sie einen Hasen, ihre dreckverschmierte Kleidung zeigte, dass die Jagd wohl nicht so einfach gewesen war. Gerade als der Jugendliche sich hatte hinsetzen wollen, rief Kora: "Warte mal! Ich möchte etwas überprüfen." Stirnrunzelnd stand er wieder auf und sie stellte sich direkt vor ihn.
"Das gibt es doch nicht", entfuhr es der Diebin.
"Was ist los?", fragte Xuji interessiert.
"Du bist gewachsen, als wir uns getroffen haben, reichte meine Stirn noch bis zu deiner Nase, jetzt komme ich mit der gleichen Stirn nur noch bis zu deinem Kinn", antwortete Kora überrascht.
"Na und?! Es ist in unserem Alter nicht ungewöhnlich noch einen Wachstumsschub zu bekommen", erklärte der Druide langsam, "keine Sorge du wächst bestimmt auch noch etwas."
"Nein, ich bin schon etwas überdurchschnittlich groß. Du dagegen bist schon fast unmenschlich groß", widersprach die Jugendliche schnell.
"In der Natur kommt so etwas häufig vor, sie lotet damit neue Überlebensbedingungen aus. Warum also nicht auch bei Menschen?", fragte der Jugendliche ruhig.
"Na gut, ich schätze, damit kennst du dich besser aus", gab Kora widerstrebend nach, "hat dir das genauso Hunger gemacht wie mir?"
"Ich musste nicht durch den Schlamm kriechen", erinnerte er sie grinsend.
"Dann kannst du das ja das nächste Mal machen", giftete sie ihn an. Lachend schnipste Xuji mit dem Finger und plötzlich war die Wiese von Hasen überfüllt.
"Warum verdammt noch mal hast du nicht gesagt, dass du so etwas kannst?", wollte die Diebin wütend wissen. Der Druide wollte schon antworten, als die Hasen auf einmal panisch davonhoppelten und Flüche in unbekannter Sprache die Abendluft durchschnitten.
"Was war das?", fragte Kora, mit einemmal wieder überlegt.
"Keine Menschen, aber auch keine Tiere", murmelte Xuji verwirrt, "aber das haben wir gleich." Auf einen Wink seiner Hand bogen sich die Büsche zu Boden und gaben den Blick auf drei Zwerge frei.
"Äh, guten Abend", rief einer von ihnen, der auf dem Bauch lag und ein verängstigtes Kaninchen mit den Händen festhielt.
"Abend", erwiderten die beiden Jugendlichen verwirrt.

"Ihr müsst entschuldigen, dass wir euch so erschreckt haben", erklärte Chrys der Älteste der Zwerge, "aber nach den Ereignissen unserer bisherigen Reise, hielten wir es für besser, uns von Menschen fernzuhalten."
"Ja, also euer König muss echt was an der Waffel haben", meinte sein ältester Sohn Diam, der beinahe wie sein Vater aussah, nur dass er keine grauen Strähnen in Haar und Bart hatte.
"Das Alte Reich hat doch gar keinen Herrscher, oder?", überlegte Kora leise, woraufhin Xuji den Kopf schüttelte.
"Auf jeden Fall stimmt mit eurem Land etwas nicht, wir haben gesehen, wie eure eigenen Magier schlechter behandelt wurden als wir", erzählte Diam kopfschüttelnd.
"Daran liegt es, Magie wird hier gehasst wie sonst nirgends und das greift natürlich auch auf uns Zwerge über", meinte Chrys leidlich.
"Warum das?", fragte die Diebin verwirrt.
"Jeder Zwerg verfügt über Magie, genauer gesagt besitzt ihr Volk eine starke Resistenz gegenüber Magie. Elfen sind begabt im Umgang mit Nekromantie, während Elben talentiert in der Magie der Wälder und des Lebens sind", erklärte Xuji ihr langsam, "nur bei Menschen ist Magie etwas das nicht jeder hat!"
"Und was ist mit unserer Erdmagie, die ist super, sogar ich kann sie schon", quasselte Ruban, der jüngere Sohn.
"Du sollst nicht immer in das Gespräch von Erwachsenen hineinsprechen. Ihr müsst seine Manieren entschuldigen, aber so sind fünfzigjährige nun einmal", erklärte Chrys tadelnd.
"Das meinen Sie doch nicht ernst, er kann unmöglich fünfzig Jahre alt sein", rief Kora aufgeregt, denn der Junge sah nicht älter als zehn aus.
"Sie haben recht, er ist jetzt siebenundfünfzig geworden", antwortete sein Vater überrascht.
Die Diebin musterte Xuji fragend, woraufhin dieser erklärte: "Ich vergaß zu erwähnen, dass Zwerge etwa vier- bis fünfhundert Jahre alt werden, und mit sechzig oder so werden sie erwachsen."
"Dann hat er ja eine verhältnismäßig kurze Jugend", kommentierte Kora nachdenklich.
"Jugend? Was ist das, Papi?", fragte Ruban interessiert.
"Ähm, das ist so was wie, na ja, eigentlich, ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, irgendwas menschliches wahrscheinlich", versuchte Chrys zu erklären.
"Das Alter zwischen Kindheit und Erwachsenheit", erklärte die Diebin vorsichtig.
"Diesem einen Monat, gebt ihr einen eigenen Namen?", fragte Diam verblüfft.
"Das dauert bei uns Menschen etwas länger", meinte Xuji lächelnd.
"Wie viel länger?", fragte der Vater stirnrunzelnd.
"Nicht ganz zehn Jahre", antwortete Kora langsam.
"Ah, das erklärt wohl einiges, wirklich komisch, ich verkehre seit fast zweihundert Jahren mit Menschen, aber das hat mir noch niemand erklärt", erzählte der älteste Zwerg lachend.
"Nun, wahrscheinlich weil die meisten das als vorausgesetzt betrachten", überlegte Xuji schmunzelnd.
"Jetzt sagt bloß noch, dass ihr Menschen Eier legt und Schuppen unter eurer Haut tragt", witzelte Diam lachend.
"Aber natürlich", erwiderte der junge Druide todernst, bevor er nach einigen Sekunden in Gelächter ausbrach.
"Seht ihr, Jungs, es gibt durchaus auch nette und humorvolle Menschen", meinte Chrys lächelnd.

Im Licht der Morgensonne verabschiedeten sich die Zwerge und die Jugendlichen voneinander und beide Gruppen gingen ihre Wege weiter. Als die beiden an eine Kreuzung kam, wählte Xuji den nach Süden.
"Ich dachte, du wolltest nicht dorthin?", fragte Kora überrascht.
"Ja, aber wenn selbst andere Völker in diesen Konflikt hineingezogen werden, ist die Lage wirklich schlimm", erklärte der Druide besorgt, "ich weiß zwar nicht wie, aber vielleicht kann ich helfen."
"Ein Versuch kann wohl nicht schaden", erwiderte die Diebin optimistisch.
"Da hast du hoffentlich Re...", begann der Jugendliche, brach aber dann plötzlich ab.
"Was ist los?", fragte Kora besorgt. Sie bemerkte, dass sein Blick in weiter Ferne schweifte. Aber bevor sie etwas unternehmen konnte, war es auch schon wieder vorbei.
"Eine Warnung", keuchte er leise, "es ist schlimmer als ich dachte!"
"Vielleicht sollten wir doch nicht nach Süden reisen", schlug die Jugendliche vorsichtig vor.
"Nein, das muss beendet werden. Wenn das Alte Reich entzweit wird, haben die Elfen freie Hand", erklärte Xuji lautstark.
Kora hielt es für klüger ihm nicht zu widersprechen und fragte stattdessen: "Was war das für eine Warnung?"
"Eine laute Stimme rief: Halte dich fern vom Süden. Dazu ein intensives Gefühl der Angst", erzählte der Druide leise, "nicht sehr angenehm."
"Das glaube ich dir sofort, aber diese Warnung ist sicher nicht ohne Grund ausgesandt worden", versuchte die Dieben es vorsichtig.
"Wenn du versuchst, mich davon zu überzeugen, dass wir lieber wieder zurückgehen sollten", begann der Jugendliche schnell, "dann lass es, ich ändere meine Meinung nicht."
"Einen Versuch war es wert", murmelte Kora grinsend.
 

© Bastian Bernig
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