"Bitte eine einzige Frage noch", flehte Kora am nächsten Morgen.
Sie hatte den Jugendlichen bereits den gestrigen restlichen Tag und bis
spät in die Nacht mit Fragen, über die Vorhersage der Seherin,
bestürmt.
"Nein, ich weiß nicht, welche meiner Fragen die Älteste
ist, dazu sind es momentan zu viel, ich war noch nie in einer Festung oder
einem Walddorf, ich weiß auch nicht, wer mein Gegner sein soll und
mein wahres Selbst interessiert das alles nicht", erklärte Xuji wütend,
verschleierte dabei aber die Tatsache, dass es ihn eigentlich genauso kribbelig
machte wie Kora und dass er schon die eine oder andere Vermutung angestellt
hatte.
"Nein, ich finde es nur komisch, dass die Seherin "eine ungewisse
Schlacht" gesagt hat, ungewiss ist meiner Meinung nach kein Wort, das in
eine Voraussage gehört, oder?", überlegte die Jugendliche nachdenklich.
"Seher sehen immer alle Möglichkeiten der Zukunft, die Vorhersage,
die sie dabei von sich geben, ist nur die nach ihrer Meinung wahrscheinlichste.
Aber manchmal soll es wirklich Scheidewege in der Zeit geben, wo sich soviel
entscheidet und soviel eine Rolle spielt, dass sie sich überhaupt
nicht sicher sein können, ich nehme mal an, der Ausgang dieser Schlacht
wird das Leben von vielen Leute beeinflussen", erklärte der Druide
und versuchte sich zu beruhigen.
Den Rest des Tages schwieg Kora, teils weil Xuji ganz offensichtlich
nicht mehr über die gestrigen Ereignisse reden wollte, andererseits
weil ihr selbst zuviel Gedanken im Kopf herumschwirrten. Die Gesellschaft
von Übernatürlichen war eben nicht nur vorteilhaft. Sicher seit
sie mit Xuji reiste hatte niemand mehr versucht sie auszurauben oder anderes,
sah man mal von den Konflikten mit den Elfen und der Sache in diesem verrücktem
Dorf ab.
Aber Vorhersagen beunruhigten fast jeden, schließlich war
die Zukunft kein offenes Buch, in dem man nach belieben herumblättern
konnte. Halt, das stimmte nicht ganz, schließlich hatte die Seherin
auch nicht all das sehen können was sie wollte. Kora fand diesen Gedanken
etwas beruhigend und schließlich hatte Xuji ja gesagt, jeder würde
sein Schicksal selbst bestimmen, oder so.
"Lass uns hier unser Lager aufschlagen", schlug Kora am späten
Nachmittag vor, "nach den letzten Ereignissen sollten wir uns etwas ausruhen."
Xuji wusste zwar nicht, was genau sie meinte, doch er war dankbar für
ihren Vorschlag. Der Druide verschränkte die Beine und lehnte sich
an einen Baum.
Für einen Moment sah er, im Licht der langsam untergehenden
Sonne, wirklich wie ein weiser und mächtiger Druide aus. Doch als
er die Kapuze seiner Robe zurückschlug und den Blick auf sein junges
Gesicht freigab, war dieser Eindruck sofort dahin.
"Wer ist mit dem Essen dran?", fragte der Jugendliche leise.
"Ich weiß nicht", murmelte Kora, die entspannt im Gras lag,
"ich versuche uns etwas zu jagen, wenn du dich um den Rest kümmerst,
einverstanden?" Xuji nickte und stand auf, langsam lief er weg von der
Straße, tiefer in die Wildnis hinein. Der Druide musste sich nicht
einmal konzentrieren, um das zu finden was er wollte, ohne Probleme fand
er einen kleinen Bach an dem er seinen Wasserschlauch auffüllte. Auf
dem Weg dorthin hatte der Jugendliche bereits mehrere Kräuter und
Beeren gefunden, die, wie er aus Erfahrung wusste, für ein Essen reichen
würden. Koras Jagdgeschick war nicht gerade überragend und so
beschloss Xuji noch ein wenig länger den Klängen der Natur zu
lauschen.
Als er schließlich wieder zurückging, kam auch die Diebin
gerade wieder zurück. In der Hand hielt sie einen Hasen, ihre dreckverschmierte
Kleidung zeigte, dass die Jagd wohl nicht so einfach gewesen war. Gerade
als der Jugendliche sich hatte hinsetzen wollen, rief Kora: "Warte mal!
Ich möchte etwas überprüfen." Stirnrunzelnd stand er wieder
auf und sie stellte sich direkt vor ihn.
"Das gibt es doch nicht", entfuhr es der Diebin.
"Was ist los?", fragte Xuji interessiert.
"Du bist gewachsen, als wir uns getroffen haben, reichte meine Stirn
noch bis zu deiner Nase, jetzt komme ich mit der gleichen Stirn nur noch
bis zu deinem Kinn", antwortete Kora überrascht.
"Na und?! Es ist in unserem Alter nicht ungewöhnlich noch einen
Wachstumsschub zu bekommen", erklärte der Druide langsam, "keine Sorge
du wächst bestimmt auch noch etwas."
"Nein, ich bin schon etwas überdurchschnittlich groß.
Du dagegen bist schon fast unmenschlich groß", widersprach die Jugendliche
schnell.
"In der Natur kommt so etwas häufig vor, sie lotet damit neue
Überlebensbedingungen aus. Warum also nicht auch bei Menschen?", fragte
der Jugendliche ruhig.
"Na gut, ich schätze, damit kennst du dich besser aus", gab
Kora widerstrebend nach, "hat dir das genauso Hunger gemacht wie mir?"
"Ich musste nicht durch den Schlamm kriechen", erinnerte er sie
grinsend.
"Dann kannst du das ja das nächste Mal machen", giftete sie
ihn an. Lachend schnipste Xuji mit dem Finger und plötzlich war die
Wiese von Hasen überfüllt.
"Warum verdammt noch mal hast du nicht gesagt, dass du so etwas
kannst?", wollte die Diebin wütend wissen. Der Druide wollte schon
antworten, als die Hasen auf einmal panisch davonhoppelten und Flüche
in unbekannter Sprache die Abendluft durchschnitten.
"Was war das?", fragte Kora, mit einemmal wieder überlegt.
"Keine Menschen, aber auch keine Tiere", murmelte Xuji verwirrt,
"aber das haben wir gleich." Auf einen Wink seiner Hand bogen sich die
Büsche zu Boden und gaben den Blick auf drei Zwerge frei.
"Äh, guten Abend", rief einer von ihnen, der auf dem Bauch
lag und ein verängstigtes Kaninchen mit den Händen festhielt.
"Abend", erwiderten die beiden Jugendlichen verwirrt.
"Ihr müsst entschuldigen, dass wir euch so erschreckt haben",
erklärte Chrys der Älteste der Zwerge, "aber nach den Ereignissen
unserer bisherigen Reise, hielten wir es für besser, uns von Menschen
fernzuhalten."
"Ja, also euer König muss echt was an der Waffel haben", meinte
sein ältester Sohn Diam, der beinahe wie sein Vater aussah, nur dass
er keine grauen Strähnen in Haar und Bart hatte.
"Das Alte Reich hat doch gar keinen Herrscher, oder?", überlegte
Kora leise, woraufhin Xuji den Kopf schüttelte.
"Auf jeden Fall stimmt mit eurem Land etwas nicht, wir haben gesehen,
wie eure eigenen Magier schlechter behandelt wurden als wir", erzählte
Diam kopfschüttelnd.
"Daran liegt es, Magie wird hier gehasst wie sonst nirgends und
das greift natürlich auch auf uns Zwerge über", meinte Chrys
leidlich.
"Warum das?", fragte die Diebin verwirrt.
"Jeder Zwerg verfügt über Magie, genauer gesagt besitzt
ihr Volk eine starke Resistenz gegenüber Magie. Elfen sind begabt
im Umgang mit Nekromantie, während Elben talentiert in der Magie der
Wälder und des Lebens sind", erklärte Xuji ihr langsam, "nur
bei Menschen ist Magie etwas das nicht jeder hat!"
"Und was ist mit unserer Erdmagie, die ist super, sogar ich kann
sie schon", quasselte Ruban, der jüngere Sohn.
"Du sollst nicht immer in das Gespräch von Erwachsenen hineinsprechen.
Ihr müsst seine Manieren entschuldigen, aber so sind fünfzigjährige
nun einmal", erklärte Chrys tadelnd.
"Das meinen Sie doch nicht ernst, er kann unmöglich fünfzig
Jahre alt sein", rief Kora aufgeregt, denn der Junge sah nicht älter
als zehn aus.
"Sie haben recht, er ist jetzt siebenundfünfzig geworden",
antwortete sein Vater überrascht.
Die Diebin musterte Xuji fragend, woraufhin dieser erklärte:
"Ich vergaß zu erwähnen, dass Zwerge etwa vier- bis fünfhundert
Jahre alt werden, und mit sechzig oder so werden sie erwachsen."
"Dann hat er ja eine verhältnismäßig kurze Jugend",
kommentierte Kora nachdenklich.
"Jugend? Was ist das, Papi?", fragte Ruban interessiert.
"Ähm, das ist so was wie, na ja, eigentlich, ehrlich gesagt
habe ich keine Ahnung, irgendwas menschliches wahrscheinlich", versuchte
Chrys zu erklären.
"Das Alter zwischen Kindheit und Erwachsenheit", erklärte die
Diebin vorsichtig.
"Diesem einen Monat, gebt ihr einen eigenen Namen?", fragte Diam
verblüfft.
"Das dauert bei uns Menschen etwas länger", meinte Xuji lächelnd.
"Wie viel länger?", fragte der Vater stirnrunzelnd.
"Nicht ganz zehn Jahre", antwortete Kora langsam.
"Ah, das erklärt wohl einiges, wirklich komisch, ich verkehre
seit fast zweihundert Jahren mit Menschen, aber das hat mir noch niemand
erklärt", erzählte der älteste Zwerg lachend.
"Nun, wahrscheinlich weil die meisten das als vorausgesetzt betrachten",
überlegte Xuji schmunzelnd.
"Jetzt sagt bloß noch, dass ihr Menschen Eier legt und Schuppen
unter eurer Haut tragt", witzelte Diam lachend.
"Aber natürlich", erwiderte der junge Druide todernst, bevor
er nach einigen Sekunden in Gelächter ausbrach.
"Seht ihr, Jungs, es gibt durchaus auch nette und humorvolle Menschen",
meinte Chrys lächelnd.
Im Licht der Morgensonne verabschiedeten sich die Zwerge und die
Jugendlichen voneinander und beide Gruppen gingen ihre Wege weiter. Als
die beiden an eine Kreuzung kam, wählte Xuji den nach Süden.
"Ich dachte, du wolltest nicht dorthin?", fragte Kora überrascht.
"Ja, aber wenn selbst andere Völker in diesen Konflikt hineingezogen
werden, ist die Lage wirklich schlimm", erklärte der Druide besorgt,
"ich weiß zwar nicht wie, aber vielleicht kann ich helfen."
"Ein Versuch kann wohl nicht schaden", erwiderte die Diebin optimistisch.
"Da hast du hoffentlich Re...", begann der Jugendliche, brach aber
dann plötzlich ab.
"Was ist los?", fragte Kora besorgt. Sie bemerkte, dass sein Blick
in weiter Ferne schweifte. Aber bevor sie etwas unternehmen konnte, war
es auch schon wieder vorbei.
"Eine Warnung", keuchte er leise, "es ist schlimmer als ich dachte!"
"Vielleicht sollten wir doch nicht nach Süden reisen", schlug
die Jugendliche vorsichtig vor.
"Nein, das muss beendet werden. Wenn das Alte Reich entzweit wird,
haben die Elfen freie Hand", erklärte Xuji lautstark.
Kora hielt es für klüger ihm nicht zu widersprechen und
fragte stattdessen: "Was war das für eine Warnung?"
"Eine laute Stimme rief: Halte dich fern vom Süden. Dazu ein
intensives Gefühl der Angst", erzählte der Druide leise, "nicht
sehr angenehm."
"Das glaube ich dir sofort, aber diese Warnung ist sicher nicht
ohne Grund ausgesandt worden", versuchte die Dieben es vorsichtig.
"Wenn du versuchst, mich davon zu überzeugen, dass wir lieber
wieder zurückgehen sollten", begann der Jugendliche schnell, "dann
lass es, ich ändere meine Meinung nicht."
"Einen Versuch war es wert", murmelte Kora grinsend.
© Bastian
Bernig
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