Der Elfenlord von Bastian Bernig
Gehasste Magie

Böse Blicke trafen Xuji seit sie weiter nach Süden weitergereist waren. Im ersten Dorf waren es nur wenige gewesen, doch ihre Anzahl nahm zu je weiter sie kamen. Noch war es zu keiner direkten Feindseligkeit gekommen, aber die Jugendlichen vermuteten, dass das nur eine Frage der Zeit sein konnte.
"Was soll dass heißen, ihr hättet kein Zimmer mehr frei? Die stehen doch alle leer", schrie Kora den Wirt an.
"Euch können wir eines anbieten, aber der da bleibt draußen", mischte die Wirtin sich laut ein, "wir sind ein anständiges Haus!" Die Jugendliche wollte der Frau schon eine Ohrfeige verpassen, als Xuji sie vorsichtig aber bestimmt nach draußen zog.
"Warum hast du das gemacht? Die hätten dich schon reingelassen, wenn ich mit ihr fertig gewesen wäre", meinte Kora wütend.
"Wir wollen die Angst der normalen Menschen vor den Magiern nehmen und sie nicht noch weiter schüren", antwortete der junge Druide ruhig.

Xuji lauschte an einen Baumstamm gelehnt den Klängen der Nacht. Als er zu Kora sah, seufzte er leise, sie war im Gegensatz zu ihm nicht daran gewöhnt, im Freien zu übernachten. Zwar hatte sie sich bisher nicht beklagt, aber der Jugendliche sah es ihr deutlich an. Am Nachmittag hatte er deswegen versucht, die Diebin zu überreden, sich alleine in dem Wirtshaus des Dorfes einzuquartieren. Aber seine Bemühungen waren umsonst gewesen.
Plötzliche bemerkte der Druide eine Veränderung in der natürlichen Geräuschkulisse und stand leise auf. Xuji schlich in die Richtung, aus der die Störung gekommen war.
"Was wollen Sie?", fragte der Jugendliche den Wirt, der überrascht zurückwich.
"Mein, mein Sohn ist bei einem Jagdunfall schwer verletzt worden", stammelte der Mann ängstlich, "bitte helft ihm!" Ohne darüber nachzudenken machte er sich auf den Weg ins Dorf.
Der Druide fand den Jungen im Schankraum des Wirtshauses. Er lag bewusstlos auf einem der Tische und trug noch immer seine blutverschmierte Kleidung.
Ein Armbrustbolzen steckte in seiner Brust. Langsam betastete Xuji die Wunde und stieß eine lautlose Verwünschung aus, der Bolzen besaß Widerhaken. Er konnte ihn nicht einfach entfernen, ohne dem Jungen noch stärkere Verletzungen an der Lunge und anderen wichtigen Organen zuzufügen. Doch es hätte noch schlimmer kommen können, hätte der Bolzen etwas höher getroffen, hätte er das Herz der Jungen getroffen und der Druide hätte ihn nicht mehr rechtzeitig retten können.
"Braut aus diesen Kräuter einen Tee, stark, aus diesem Pulver macht ihr mit warmen Wasser, nicht heiß, eine dickflüssige Paste", befahl Xuji während er dem Jungen vorsichtig das Hemd auszog und mit der Untersuchung fortfuhr, "und bringt einige saubere Tücher mit."
Die Wirtin zögerte einen Moment, aber dann gewann die Sorge über ihren Sohn die Oberhand und sie tat, was der Jugendliche verlangt hatte.
Dieser löste inzwischen vorsichtig jeden Widerhaken einzeln. Als er damit fertig war, zog er den Bolzen langsam aus der Wunde. Er flößte dem Jungen den Tee ein und entfernte das gerinnende Blut mit den gebrachten Tüchern. Als es verschwunden war, erschrak der Druide, denn er bemerkte eine noch ernsthaftere Verletzung. Der Bolzen war bis zur Wirbelsäule vorgedrungen und hatte das Rückenmark aufgerissen. Der Junge würde diese Verletzung zwar überleben können, aber er wäre für den Rest seines Lebens gelähmt.
Xuji legte seinen Finger auf die Stelle und konzentrierte sich, Magie sprang auf den Verletzten über und die Nervenzellen begannen sich in Windeseile zu regenerieren. Zwar war es nach nur wenigen Sekunden vorbei, aber es war schwierig für den noch unerfahrenen Jugendlichen gewesen und ihm war dadurch nun leicht schwindlig.
"Konzentrier dich, du bist noch nicht fertig", befahl er sich selbst in Gedanken und heilte die verletzten Organe und Knochen auf die gleiche Weise, Zelle für Zelle. Als er damit fertig war, rieb er die Wunde mit der Paste ein und verband sie fachmännisch. Kurz überprüfte der Druide die gesamten Körperfunktionen noch einmal und stellte zufrieden fest, dass sie normal waren. Nachdem er sich das Blut von den Händen gewaschen hatte, wandte er sich zur Tür um zu gehen. Nach dieser Anstrengung verlangten sowohl sein Körper als auch sein Geist eine Ruhepause.
"Wartet", rief ihm der Wirt hinterher, "wie können wir euch danken?" Langsam drehte Xuji sich um und erwiderte: "Ich braucht mir nichts zu geben!"
"Aber ihr müsst doch irgendetwas haben wollen", widersprach die Wirtin dankbar. Der Jugendliche verharrte kurz und meinte dann: "Ihr könntet eure Meinung über uns Magier ändern und auch andere davon überzeugen, dass wir nicht böser oder schlechter als normale Menschen sind."

"Hey, Xuji wach auf", rief Kora aufgeregt am nächsten Morgen. Langsam schlug der Druide die Augen auf, offenbar hatte er, nachdem er sich in der letzten Nacht erst spät schlafen gelegt hatte, verschlafen.
"Was ist denn los?", fragte er gähnend.
"Guck dich doch mal um! Wo kommt das ganze Zeug bloß her?", fragte die Diebin verwirrt. Rund um den Schlafplatz der beiden verteilt lagen Vorräte.
"Nimm mit, was wir tragen können, den Rest lassen wir hier", meinte Xuji anstatt einer Antwort. Für den Moment gab Kora sich damit zufrieden, aber später würde sie dem Druiden schon noch eine Antwort entlocken.

"Dieser Schinken ist einfach göttlich, willst du auch ein Stück?", fragte die Diebin als die beiden gegen Mittag eine Rast machten.
"Nein, vielen Dank", antwortete der Jugendliche mit geschlossenen Augen, "ich habe keinen Hunger."
"Jetzt sag schon, wo hast du das Zeug her?", wollte Kora ungeduldig wissen.
"Ich habe es nicht geholt", erklärte er leicht genervt und da er sich nun sicher war, dass er keine Ruhe bekommen würde, ehe sie eine Antwort bekäme, fügte der Druide hinzu: "Es war die Belohnung für eine Heilung, die ich letzte Nacht durchgeführt habe. Und jetzt lass mich ein bisschen schlafen, einverstanden?!"
"Wenn dich das so mitgenommen hat, meinetwegen", meinte die Diebin kichernd.
Als sie nicht, wie erwartet, eine sarkastische Antwort hörte, beugte sie sich zu Xuji hinunter und bemerkte, dass er eingeschlafen war. "Er scheint wirklich etwas übermüdet zu sein", murmelte Kora mit einem leicht besorgten Unterton vor sich hin.

Der Jugendliche hatte sich bereits am nächsten Morgen wieder völlig erholt, da er aber gemerkt hatte, dass die Diebin zumindest ein wenig besorgt war, spielte er noch einige Tage weiter den Erschöpften.
"Hier, guten Appetit", meinte Kora eines Morgens und drückte ihm eine Schale mit einem undefinierbaren Brei in die Hand.
"Hör auf, mir geht es gut", antwortete Xuji und rümpfte angewidert die Nase, "egal was da drin ist, weder brauche ich es, noch will ich es!"
"Na, da entgeht dir aber was", erwiderte die Diebin und steckte sich einen Löffel in den Mund. Sie schaffte es einige Sekunden eine neutrale Miene zu halten, bevor sie sich umdrehte und den Brei wieder der Natur zuführte.
"Wir brechen auf", rief Kora mit einem Unterton der keine Widerrede duldete.

"Meinst du, wir sollten einfach mal klopfen?", fragte die Jugendliche vor dem verschlossenen Tor der nächsten Stadt.
"Probieren geht über studieren", erwiderte der Druide lächelnd. Gerade als Kora seinen Rat befolgen wollte, wurde ein Spalt in Kopfhöhe aufgeschoben und ein Paar misstrauisch blickender Augen starrte hindurch und fragte ungehalten: "Was wollt ihr hier? Wenn ihr in die Stadt wollt, habt ihr Pech. Alles gesperrt für jeden, keine Ausnahme möglich!" Nun erst bemerkte der Torwächter Xuji, der hinter Kora stand und seine Stimme wurde sofort schmeichlerisch: "Oh, verzeiht mir, Ehrwürdiger!" Der Spalt wurde so abrupt zugeknallt, dass die Diebin überrascht nach hinten sprang.
Mechanisches Geratter erklang hinter dem Tor, bevor es langsam aufgeschoben wurde.
"Bitte, entschuldigt mein Unvermögen euch gleich zu erkennen, Ehrwürdiger", rief die Wache betroffen, "bitte folgt mir zum Bürgermeister, er wird hocherfreut sein, euch zu sehen, Ehrwürdiger."
Die beiden Jugendlichen sahen sich kurz verwirrt an und folgten der Wache dann in das Innere der Stadt.
Auf dem Marktplatz wurden sie bereits von einer Gruppe erwartet, die offenbar den Stadtrat und den Bürgermeister darstellte. Dieser verbeugte sich tief vor Xuji und begrüßte ihn offiziell: "Seid willkommen, Ehrwürdiger, in unserem bescheidenen Städtchen. Ich bin Bürgermeister Infan Retak. Wir bedauern es zutiefst, aber leider können wir euch erst am Abend ein Festmahl bieten, bis dahin können wir euch nur eine Führung durch unsere Stadt vorschlagen, ich hoffe, dass das genügt?!"
Die Menge sah den Druiden erwartungsvoll an, bis dieser bemerkte, dass man eine Antwort von ihm erwartete und langsam erwiderte: "Äh, sicher, das geht schon in Ordnung."
"Gut, Herr Ira hier wird euch führen", erklärte der Bürgermeister fast schon unterwürfig, "ich hoffe, ihr werdet Gefallen daran finden. Wir sehen uns dann heute Abend wieder, Ehrwürdiger."

"Und das hier ist die Straße der Künstler, Ehrwürdiger", erzählte Ira lächelnd, "Kunst wird bei uns sehr gefördert, seht euch die Werke nur genauer an."
Xuji ging etwas näher an eine Falkenstatue heran und fragte: "Das sieht sehr hübsch aus, findest du nicht?"
Kora beugte sich zu ihm und flüsterte: "Eine Wache verfolgt uns schon die ganze Zeit und ich traue den Leuten hier nicht!" Laut fügte die Diebin hinzu: "Ja, das ist wirklich sehr schön."
"Weswegen? Sie haben uns keinerlei Grund dazu gegeben", fragte der Jugendliche leise.
"Das ist es ja, überall sonst in der Gegend würde man dich vielleicht hängen, aber hier wirst du wie ein König empfangen", antwortete Kora ebenso leise, "denk doch mal nach, das könnte alles nur Theater sein!"
Dem Druiden waren schon ähnliche Gedanken gekommen, und sie gefielen ihm überhaupt nicht, trotzdem erklärte er ihr: "Es gibt keine stichhaltigen Beweise für deine Theorie, belassen wir es vorerst bei erhöhter Vorsicht, einverstanden?"
Resigniert nickte die Diebin und musst daran denken, dass selbst wenn es eine Falle wäre, Xuji schon damit zurechtkommen würde.

Als die Sonne sich den Häuserdächern zuneigte, wurden die Jugendlichen von einer Wache zurück zum Marktplatz geführt. Kora fragte die Wache nach einem Ort, an dem sie sich kurz frischmachen könnte. Der Mann führte sie in ein Haus und ließ Xuji alleine auf seinem Weg zu dem Ort des Festmahls.
Eigentlich wollte dieser sich an einen der kleineren Nebentische setzen, doch die Stadträte bugsierten ihn zum Ehrenplatz an der großen, erhöhten Tafel.
"Wo ist denn die reizende junge Dame, die vorher in eurer Begleitung war?", fragte der Hauptmann der Wache.
"Kora kommt gleich, sie wollte sich nur kurz frischmachen", erklärte der Druide höflich, woraufhin die Männer in Hörweite in Gelächter ausbrachen.
"Dann müssen wir das Essen wohl auf morgen verschieben", kicherte einer von ihnen. Wie schon so oft auf der Reise, dachte Xuji daran, wie sehr er sich durch seine über zehnjährige Isolation während seiner Ausbildung bei ´Sgarek von anderen Menschen seines Alters unterschied.

Gewissensbisse plagten die Diebin als sie durch ein Fenster ins Rathaus eindrang, doch sie verscheuchte sie sofort wieder.
"Wenn hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht, muss ich das herausfinden", wies Kora sich selbst zurecht und schlich, nachdem die Jugendliche sich in diesem Raum umgesehen hatte, in den nächsten. Auch dieser und zwei darauffolgende waren leer. Doch dann hörte sie Stimmen und als Kora vorsichtig um die Ecke blickte, sah sie den Bürgermeister und zwei weitere Personen.
"So, das sollte genügen", meinte einer von ihnen und verkorkte das Fläschchen in seiner Hand wieder.
"Denkst du wirklich? Dieser hier ist noch ziemlich jung, wahrscheinlich ist er auch noch gesünder! Verdopple die Dosis lieber", befahl der Bürgermeister beunruhigt. Der andere Mann sah ihn kurz an, zuckte dann mit den Schultern und schüttete noch mehr von der gelblichen Flüssigkeit in die Weinkaraffe.
"Meiner Meinung nach werden diese Magier ja mit dem Alter immer mächtiger, aber wenn du auf Nummer sicher gehen willst, gut", antwortete er unbekümmert und fügte spöttisch hinzu, "aber jetzt solltest du dich beeilen und unseren besonderen Wein dem Ehrwürdigen bringen, hahaha." Die beiden anderen stimmten in sein Gelächter mit ein.
"Die wollen Xuji vergiften, ich muss ihn warn...", begann Kora in Gedanken, doch sie kam nicht dazu ihren Satz zu beenden, denn plötzlich verspürte sie einen starken Schmerz am Hinterkopf und ihr wurde schwarz vor den Augen.
 

© Bastian Bernig
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