Böse Blicke trafen Xuji seit sie weiter nach Süden weitergereist
waren. Im ersten Dorf waren es nur wenige gewesen, doch ihre Anzahl nahm
zu je weiter sie kamen. Noch war es zu keiner direkten Feindseligkeit gekommen,
aber die Jugendlichen vermuteten, dass das nur eine Frage der Zeit sein
konnte.
"Was soll dass heißen, ihr hättet kein Zimmer mehr frei?
Die stehen doch alle leer", schrie Kora den Wirt an.
"Euch können wir eines anbieten, aber der da bleibt draußen",
mischte die Wirtin sich laut ein, "wir sind ein anständiges Haus!"
Die Jugendliche wollte der Frau schon eine Ohrfeige verpassen, als Xuji
sie vorsichtig aber bestimmt nach draußen zog.
"Warum hast du das gemacht? Die hätten dich schon reingelassen,
wenn ich mit ihr fertig gewesen wäre", meinte Kora wütend.
"Wir wollen die Angst der normalen Menschen vor den Magiern nehmen
und sie nicht noch weiter schüren", antwortete der junge Druide ruhig.
Xuji lauschte an einen Baumstamm gelehnt den Klängen der Nacht.
Als er zu Kora sah, seufzte er leise, sie war im Gegensatz zu ihm nicht
daran gewöhnt, im Freien zu übernachten. Zwar hatte sie sich
bisher nicht beklagt, aber der Jugendliche sah es ihr deutlich an. Am Nachmittag
hatte er deswegen versucht, die Diebin zu überreden, sich alleine
in dem Wirtshaus des Dorfes einzuquartieren. Aber seine Bemühungen
waren umsonst gewesen.
Plötzliche bemerkte der Druide eine Veränderung in der
natürlichen Geräuschkulisse und stand leise auf. Xuji schlich
in die Richtung, aus der die Störung gekommen war.
"Was wollen Sie?", fragte der Jugendliche den Wirt, der überrascht
zurückwich.
"Mein, mein Sohn ist bei einem Jagdunfall schwer verletzt worden",
stammelte der Mann ängstlich, "bitte helft ihm!" Ohne darüber
nachzudenken machte er sich auf den Weg ins Dorf.
Der Druide fand den Jungen im Schankraum des Wirtshauses. Er lag
bewusstlos auf einem der Tische und trug noch immer seine blutverschmierte
Kleidung.
Ein Armbrustbolzen steckte in seiner Brust. Langsam betastete Xuji
die Wunde und stieß eine lautlose Verwünschung aus, der Bolzen
besaß Widerhaken. Er konnte ihn nicht einfach entfernen, ohne dem
Jungen noch stärkere Verletzungen an der Lunge und anderen wichtigen
Organen zuzufügen. Doch es hätte noch schlimmer kommen können,
hätte der Bolzen etwas höher getroffen, hätte er das Herz
der Jungen getroffen und der Druide hätte ihn nicht mehr rechtzeitig
retten können.
"Braut aus diesen Kräuter einen Tee, stark, aus diesem Pulver
macht ihr mit warmen Wasser, nicht heiß, eine dickflüssige Paste",
befahl Xuji während er dem Jungen vorsichtig das Hemd auszog und mit
der Untersuchung fortfuhr, "und bringt einige saubere Tücher mit."
Die Wirtin zögerte einen Moment, aber dann gewann die Sorge
über ihren Sohn die Oberhand und sie tat, was der Jugendliche verlangt
hatte.
Dieser löste inzwischen vorsichtig jeden Widerhaken einzeln.
Als er damit fertig war, zog er den Bolzen langsam aus der Wunde. Er flößte
dem Jungen den Tee ein und entfernte das gerinnende Blut mit den gebrachten
Tüchern. Als es verschwunden war, erschrak der Druide, denn er bemerkte
eine noch ernsthaftere Verletzung. Der Bolzen war bis zur Wirbelsäule
vorgedrungen und hatte das Rückenmark aufgerissen. Der Junge würde
diese Verletzung zwar überleben können, aber er wäre für
den Rest seines Lebens gelähmt.
Xuji legte seinen Finger auf die Stelle und konzentrierte sich,
Magie sprang auf den Verletzten über und die Nervenzellen begannen
sich in Windeseile zu regenerieren. Zwar war es nach nur wenigen Sekunden
vorbei, aber es war schwierig für den noch unerfahrenen Jugendlichen
gewesen und ihm war dadurch nun leicht schwindlig.
"Konzentrier dich, du bist noch nicht fertig", befahl er sich selbst
in Gedanken und heilte die verletzten Organe und Knochen auf die gleiche
Weise, Zelle für Zelle. Als er damit fertig war, rieb er die Wunde
mit der Paste ein und verband sie fachmännisch. Kurz überprüfte
der Druide die gesamten Körperfunktionen noch einmal und stellte zufrieden
fest, dass sie normal waren. Nachdem er sich das Blut von den Händen
gewaschen hatte, wandte er sich zur Tür um zu gehen. Nach dieser Anstrengung
verlangten sowohl sein Körper als auch sein Geist eine Ruhepause.
"Wartet", rief ihm der Wirt hinterher, "wie können wir euch
danken?" Langsam drehte Xuji sich um und erwiderte: "Ich braucht mir nichts
zu geben!"
"Aber ihr müsst doch irgendetwas haben wollen", widersprach
die Wirtin dankbar. Der Jugendliche verharrte kurz und meinte dann: "Ihr
könntet eure Meinung über uns Magier ändern und auch andere
davon überzeugen, dass wir nicht böser oder schlechter als normale
Menschen sind."
"Hey, Xuji wach auf", rief Kora aufgeregt am nächsten Morgen.
Langsam schlug der Druide die Augen auf, offenbar hatte er, nachdem er
sich in der letzten Nacht erst spät schlafen gelegt hatte, verschlafen.
"Was ist denn los?", fragte er gähnend.
"Guck dich doch mal um! Wo kommt das ganze Zeug bloß her?",
fragte die Diebin verwirrt. Rund um den Schlafplatz der beiden verteilt
lagen Vorräte.
"Nimm mit, was wir tragen können, den Rest lassen wir hier",
meinte Xuji anstatt einer Antwort. Für den Moment gab Kora sich damit
zufrieden, aber später würde sie dem Druiden schon noch eine
Antwort entlocken.
"Dieser Schinken ist einfach göttlich, willst du auch ein Stück?",
fragte die Diebin als die beiden gegen Mittag eine Rast machten.
"Nein, vielen Dank", antwortete der Jugendliche mit geschlossenen
Augen, "ich habe keinen Hunger."
"Jetzt sag schon, wo hast du das Zeug her?", wollte Kora ungeduldig
wissen.
"Ich habe es nicht geholt", erklärte er leicht genervt und
da er sich nun sicher war, dass er keine Ruhe bekommen würde, ehe
sie eine Antwort bekäme, fügte der Druide hinzu: "Es war die
Belohnung für eine Heilung, die ich letzte Nacht durchgeführt
habe. Und jetzt lass mich ein bisschen schlafen, einverstanden?!"
"Wenn dich das so mitgenommen hat, meinetwegen", meinte die Diebin
kichernd.
Als sie nicht, wie erwartet, eine sarkastische Antwort hörte,
beugte sie sich zu Xuji hinunter und bemerkte, dass er eingeschlafen war.
"Er scheint wirklich etwas übermüdet zu sein", murmelte Kora
mit einem leicht besorgten Unterton vor sich hin.
Der Jugendliche hatte sich bereits am nächsten Morgen wieder
völlig erholt, da er aber gemerkt hatte, dass die Diebin zumindest
ein wenig besorgt war, spielte er noch einige Tage weiter den Erschöpften.
"Hier, guten Appetit", meinte Kora eines Morgens und drückte
ihm eine Schale mit einem undefinierbaren Brei in die Hand.
"Hör auf, mir geht es gut", antwortete Xuji und rümpfte
angewidert die Nase, "egal was da drin ist, weder brauche ich es, noch
will ich es!"
"Na, da entgeht dir aber was", erwiderte die Diebin und steckte
sich einen Löffel in den Mund. Sie schaffte es einige Sekunden eine
neutrale Miene zu halten, bevor sie sich umdrehte und den Brei wieder der
Natur zuführte.
"Wir brechen auf", rief Kora mit einem Unterton der keine Widerrede
duldete.
"Meinst du, wir sollten einfach mal klopfen?", fragte die Jugendliche
vor dem verschlossenen Tor der nächsten Stadt.
"Probieren geht über studieren", erwiderte der Druide lächelnd.
Gerade als Kora seinen Rat befolgen wollte, wurde ein Spalt in Kopfhöhe
aufgeschoben und ein Paar misstrauisch blickender Augen starrte hindurch
und fragte ungehalten: "Was wollt ihr hier? Wenn ihr in die Stadt wollt,
habt ihr Pech. Alles gesperrt für jeden, keine Ausnahme möglich!"
Nun erst bemerkte der Torwächter Xuji, der hinter Kora stand und seine
Stimme wurde sofort schmeichlerisch: "Oh, verzeiht mir, Ehrwürdiger!"
Der Spalt wurde so abrupt zugeknallt, dass die Diebin überrascht nach
hinten sprang.
Mechanisches Geratter erklang hinter dem Tor, bevor es langsam aufgeschoben
wurde.
"Bitte, entschuldigt mein Unvermögen euch gleich zu erkennen,
Ehrwürdiger", rief die Wache betroffen, "bitte folgt mir zum Bürgermeister,
er wird hocherfreut sein, euch zu sehen, Ehrwürdiger."
Die beiden Jugendlichen sahen sich kurz verwirrt an und folgten
der Wache dann in das Innere der Stadt.
Auf dem Marktplatz wurden sie bereits von einer Gruppe erwartet,
die offenbar den Stadtrat und den Bürgermeister darstellte. Dieser
verbeugte sich tief vor Xuji und begrüßte ihn offiziell: "Seid
willkommen, Ehrwürdiger, in unserem bescheidenen Städtchen. Ich
bin Bürgermeister Infan Retak. Wir bedauern es zutiefst, aber leider
können wir euch erst am Abend ein Festmahl bieten, bis dahin können
wir euch nur eine Führung durch unsere Stadt vorschlagen, ich hoffe,
dass das genügt?!"
Die Menge sah den Druiden erwartungsvoll an, bis dieser bemerkte,
dass man eine Antwort von ihm erwartete und langsam erwiderte: "Äh,
sicher, das geht schon in Ordnung."
"Gut, Herr Ira hier wird euch führen", erklärte der Bürgermeister
fast schon unterwürfig, "ich hoffe, ihr werdet Gefallen daran finden.
Wir sehen uns dann heute Abend wieder, Ehrwürdiger."
"Und das hier ist die Straße der Künstler, Ehrwürdiger",
erzählte Ira lächelnd, "Kunst wird bei uns sehr gefördert,
seht euch die Werke nur genauer an."
Xuji ging etwas näher an eine Falkenstatue heran und fragte:
"Das sieht sehr hübsch aus, findest du nicht?"
Kora beugte sich zu ihm und flüsterte: "Eine Wache verfolgt
uns schon die ganze Zeit und ich traue den Leuten hier nicht!" Laut fügte
die Diebin hinzu: "Ja, das ist wirklich sehr schön."
"Weswegen? Sie haben uns keinerlei Grund dazu gegeben", fragte der
Jugendliche leise.
"Das ist es ja, überall sonst in der Gegend würde man
dich vielleicht hängen, aber hier wirst du wie ein König empfangen",
antwortete Kora ebenso leise, "denk doch mal nach, das könnte alles
nur Theater sein!"
Dem Druiden waren schon ähnliche Gedanken gekommen, und sie
gefielen ihm überhaupt nicht, trotzdem erklärte er ihr: "Es gibt
keine stichhaltigen Beweise für deine Theorie, belassen wir es vorerst
bei erhöhter Vorsicht, einverstanden?"
Resigniert nickte die Diebin und musst daran denken, dass selbst
wenn es eine Falle wäre, Xuji schon damit zurechtkommen würde.
Als die Sonne sich den Häuserdächern zuneigte, wurden die
Jugendlichen von einer Wache zurück zum Marktplatz geführt. Kora
fragte die Wache nach einem Ort, an dem sie sich kurz frischmachen könnte.
Der Mann führte sie in ein Haus und ließ Xuji alleine auf seinem
Weg zu dem Ort des Festmahls.
Eigentlich wollte dieser sich an einen der kleineren Nebentische
setzen, doch die Stadträte bugsierten ihn zum Ehrenplatz an der großen,
erhöhten Tafel.
"Wo ist denn die reizende junge Dame, die vorher in eurer Begleitung
war?", fragte der Hauptmann der Wache.
"Kora kommt gleich, sie wollte sich nur kurz frischmachen", erklärte
der Druide höflich, woraufhin die Männer in Hörweite in
Gelächter ausbrachen.
"Dann müssen wir das Essen wohl auf morgen verschieben", kicherte
einer von ihnen. Wie schon so oft auf der Reise, dachte Xuji daran, wie
sehr er sich durch seine über zehnjährige Isolation während
seiner Ausbildung bei ´Sgarek von anderen Menschen seines Alters
unterschied.
Gewissensbisse plagten die Diebin als sie durch ein Fenster ins Rathaus
eindrang, doch sie verscheuchte sie sofort wieder.
"Wenn hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht, muss ich
das herausfinden", wies Kora sich selbst zurecht und schlich, nachdem die
Jugendliche sich in diesem Raum umgesehen hatte, in den nächsten.
Auch dieser und zwei darauffolgende waren leer. Doch dann hörte sie
Stimmen und als Kora vorsichtig um die Ecke blickte, sah sie den Bürgermeister
und zwei weitere Personen.
"So, das sollte genügen", meinte einer von ihnen und verkorkte
das Fläschchen in seiner Hand wieder.
"Denkst du wirklich? Dieser hier ist noch ziemlich jung, wahrscheinlich
ist er auch noch gesünder! Verdopple die Dosis lieber", befahl der
Bürgermeister beunruhigt. Der andere Mann sah ihn kurz an, zuckte
dann mit den Schultern und schüttete noch mehr von der gelblichen
Flüssigkeit in die Weinkaraffe.
"Meiner Meinung nach werden diese Magier ja mit dem Alter immer
mächtiger, aber wenn du auf Nummer sicher gehen willst, gut", antwortete
er unbekümmert und fügte spöttisch hinzu, "aber jetzt solltest
du dich beeilen und unseren besonderen Wein dem Ehrwürdigen bringen,
hahaha." Die beiden anderen stimmten in sein Gelächter mit ein.
"Die wollen Xuji vergiften, ich muss ihn warn...", begann Kora in
Gedanken, doch sie kam nicht dazu ihren Satz zu beenden, denn plötzlich
verspürte sie einen starken Schmerz am Hinterkopf und ihr wurde schwarz
vor den Augen.
© Bastian
Bernig
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