Wieder rannte Helmut ein barbarischer Krieger in der engen Gasse
brüllend entgegen, während er mit seiner Streitaxt, die er mit
beiden Händen führte, zum Schlag ausholte. Er war stämmig
und dazu auch noch fast sieben Fuß hoch, was bei den Baranern nicht
selten vorkam. Er trug zwar nur einen Lederharnisch, doch genau das war
bei diesen Kriegern so gefährlich. Sie kämpften schnell und brutal.
Zusammen mit ihren bestialischen Reittieren waren sie ein Gegner, der dem
Drachenvolk mindestens ebenbürtig war.
Helmut fing den ersten Hieb des Feindes mit seinem Schild in der
Linken ab und drehte sich einmal um sich selbst, während er mit seiner
doppelschneidigen Axt in der Rechten ausholte. Die Axt hackte sich seitlich
in den Bauch des Barbaren. Der Verletzte kreischte auf. Der Harnisch an
der Verletzung sog das hervorfließende Blut auf und färbte sich
dunkelrot. Helmut hieb dem Gegner noch einmal mit der Axt schräg in
die Halsgegend. Der Getroffen röchelte leise und fiel auf die Knie.
Blut strömte aus der Wunde, als Helmut die Axt herauszog. Der Sterbende
sackte in sich zusammen und gesellte sich zu den anderen Toten, ob Mereaner,
Baraner, Drache oder Waran.
Tod, dachte Helmut kopfschüttelnd. Für ihn war
dieser Krieg umsonst. Doch keiner der beiden Länder wollte den Streit
schlichten. Wieso?
Helmut säuberte seine Waffe an einer Leiche. Er richtete sich
auf und blickte an sich herab. Sein ganzer Körper war blutbesudelt.
Sein dicker Brustpanzer zeigte an seinen Dellen und Kratzern, dass er schon
oft seinen Besitzer gerettet hatte.
Er war in Kilian, eine Hafenstadt der Feinde, in einer kleinen Gasse.
Die Sonne war schon beim Untergehen und gab dem Blut eine rotschwarze
Farbe.
Alles war blutbefleckt. Der Boden war voller Blutpfützen, die
Hauswände blutbespritzt, die Krieger blutbesudelt, die Toten in Blutlachen,
das Wasser in den Brunnen mit dem Blut von Freund und Feind vergiftet und
sogar die Hunde hatten Blut an der Schnauze. Es war ein schrecklicher und
ekelerregender Anblick. Und noch immer konnte Helmut von weitem lautes
Waffengeklirr und Todesschreie hören.
Erschöpft wischte er sich mit dem Handrücken den Schweiß
von der Stirn. Er hätte sich auf der Stelle übergeben können,
so übel war ihm von dem Gestank der Stadt. Immer wieder bekam er schreckliches
zu sehen, denn der Krieg versprach nur Tod.
Die eigentliche Schlacht um Kilian endete bereits vor drei Tagen,
doch die Armeen kämpften so ausgeglichen, dass nur noch wenige auf
beiden Seiten übrig geblieben waren. Aus der Schlacht wurde eine Jagd
auf den Feind.
Helmut hoffte, dass Verstärkung kommen würde, doch sie
konnten keine Boten entsenden, weil die meisten Drachen nicht mehr lebten
und die Überlebenden getrennt von ihren Reitern kämpften. So
war die Hoffnung sehr schwach.
Helmut hatte seinen Drachen, Bodin, aus den Augen verloren. Er war
abgestiegen, um den Fußsoldaten in der Stadt beizustehen. Es war
ein großer, roter Drache, die gleiche Drachenart wie die von seinem
Bruder, Wilhelm. Die Besonderheiten bei dieser Art waren die Größe
und die königsblauen Augen. Helmut suchte Bodin schon lange und nun
bekam er ein Zeichen.
Ein lautes Brüllen verriet ihm den Standort seines Drachen.
Helmut lief träge durch die leichengefüllten Gassen und
folgte dem Brüllen. Immer wieder schockierte es ihn, wenn er unter
den Toten Frauen und Kinder erkannte. Was hatten sie mit dem Krieg von
einigen wahnsinnigen Königen zu tun?
Das Kampfgetöse wurde lauter. Als er um eine Ecke torkelte,
stieß er plötzlich gegen einen Mann. Beide hoben ihre Waffen
erschrocken. Doch dann erkannte er einen seiner Männer.
"Hauptmann!" sprach dieser überrascht aus. Es war ein junger
Soldat, wahrscheinlich nicht einmal sechzehn Jahre alt. In der gleichen
Gasse, die breiter wurde als die anderen, hielten sich noch mehr Soldaten
auf. Zusammen zählten sie ungefähr vierzehn Mann. Manche standen
an der anderen Ecke und schossen mit dem Bogen. Andere lehnten sich hockend
an die Wand und behandelten ihre Wunden.
"Wie steht es um euch? Wie viele haben wir noch?" fragte Helmut
den jungen Soldaten. Dieser spannte den Körper an.
"Dort, um die Ecke, ist der Marktplatz", antwortete er mit sicherer
Stimme. "Der Feind ist auf der anderen Seite und manche von ihnen haben
sich im Rathaus gegenüber verschanzt. Von unseren Leuten sind wahrscheinlich
nur noch neunzig übrig."
"Wo ist mein Drache?!" entfuhr es Helmut.
"Er wütet auf dem Platz. Wir wollten ihn zurückholen,
doch er gehorcht uns nicht."
"Was!" rief Helmut entsetzt. "Was macht ihr dann hier?! Wieso kämpft
ihr nicht?" Er ging zu den Bogenschützen und spähte um die Ecke.
Vor ihm lag der große, kreisrunde Marktplatz. In der Mitte tronte
die gigantische Statue eines Kriegers, der triumphierend sein Schwert hob.
Viele Baraner lagen ihm tot zu Füßen.
Genau gegenüber stand das Rathaus. Es war sehr hoch und eine
Sonnenuhr bildete die Spitze des Hauses. Nun war es jedoch zu dunkel um
die Uhrzeit abzulesen.
Die Hälfte der restlichen Gebäude lag bereits in Trümmer,
manche verbrannt, andere von Katapulten getroffen. Rauchschwaden stiegen
hoch in den Himmel.
Auf dem Platz rannten Soldaten hin und her, kämpften, flohen
und versuchten dem wilden, gigantischen Drachen, der planlos herumirrte,
auszuweichen.
Der rote Drache war schwer gepanzert und damit ein furchtbarer Gegner.
Er schlug mit Klauen und Schwanz um sich und spie gewaltige Feuersäulen,
die alles versengten. Seine blutbeschmierten Klauen wurden mit jedem Hieb
noch blutiger. Mit dem Gestank von Leichen, der schon vorher bestand, stieg
der Geruch von verbranntem Fleisch empor. Alles in Einem war es das reine
Chaos.
Helmut nahm den Kurzbogen und den vollen Köcher einer Leiche,
die am Boden lag, und befestigte beides an seinem Rücken.
"Los! Kommt mit!" rief er den noch kampffähigen Soldaten ermutigend
zu. Dann lief er mit ihnen auf den Platz. Zu Helmuts Erleichterung hatte
der Drache Freund und Feind unterscheiden können und nicht einfach
alles angegriffen, was sich bewegte. Der ganze Platz wurde von einem Meer
von Leichen überhäuft. Noch immer wurde gekämpft, doch die
Mereaner waren durch den Drachen klar im Vorteil.
Helmut rannte dem Drachen entgegen und rief: "Bodin! Hierher!" Sofort
wandte Bodin sich gehorsam seinem Herrn zu. Mit einem riesen Sprung stand
er vor ihm und ließ ihn auf seinen Rücken steigen. Er wirkte
wie der König der Drachen, so viel Stärke und Macht strahlte
er aus.
Auf dem breiten Rücken des Drachen fühlte sich Helmut
schon viel glücklicher, weil er sich darüber freute, dass Bodin
noch am Leben war, denn das Band zwischen Drache und Reiter war eine Freundschaft
wie keine andere. Dann lief der Drache geschmeidig von einem Scharmützel
zum anderen und griff den Feind an, wo er auf ihn traf. Helmut schoss von
seinem Rücken aus mit dem Bogen auf die Gegner. Er war zwar kein Meisterschütze,
doch die Baraner waren durch ihre Größe und die fehlende Rüstungen
leichte Opfer.
Plötzlich öffneten sich mit lautem Krachen die Fensterläden
des Rathauses und dahinter kamen Bogenschützen zum Vorschein, die
ihre Bögen gespannt hielten.
Kurz danach öffnete sich das kleine Tor des Hauses. Heraus
kamen fünf ausgewachsene Warane. Sie knurrten gierig und ihre großen
schwarzen Augen hafteten auf Bodin. Die Reiter blickten siegessicher in
die Runde. Fast alle Kämpfer auf dem Platz sahen zum Rathaus. Dann
ertönte eine laute kratzige Stimme.
"ZUM ANGRIFF!"
Die Warane rannten los und umkreisten bedrohlich den Drachen, während
sie jeden Feind, der ihnen im Weg stand, niedermetzelten. Gleichzeitig
eröffneten die Bogenschützen das Feuer. Helmut konnte die paar
Pfeile, die auf ihn gerichtet waren, mit dem Schild auffangen, doch Bodin
wurde mehrere Male getroffen. Zu seinem Glück schützte die Rüstung
seine empfilndlichsten Körperteile.
"Abheben!" rief Helmut dem Drachen zu. Dieser nahm Anlauf, überrannte
einen Warenen auf seinem Weg und hob ab. Die Bogenschützen schickten
ihnen noch eine Salve hinterher, doch es traf keiner. Bodin flog aus der
Reichweite der Schützen und drehte dann wieder um.
Helmut befahl ihm auf die Bogenschützen zu feuern. Er selber
nahm den Bogen vom Rücken und zielte auf den überrannten Waranenreiter.
Aus dem Sturzflug schickte Bodin einen Feuersturm durch die Fenster des
Rathauses. Auch Helmut schoss seinen Pfeil ab. Beide trafen.
Die meisten Bogenschützen verbrannten mit lautem Gekreisch
und das ganze Rathaus fing an zu brennen, was auf der Seite der Mereaner
großen Jubel hervorrief.
Tod, tot, tot.
Helmuts Pfeil bohrte sich, zu seinem Glück, von oben in die
Brust des Reiters. Der Getroffene rutschte schlaff aus dem Sattel. Das
eigene Tier schnüffelte interessiert am Toten herum und begann ihn
zu verzehren.
Tod.
Helmut hatte schon einen anderen Pfeil angelegt und schoss auf das
Tier, während Bodin einen anderen Waranen mit seinem Feuer verbrannte.
Dann landete der Drache direkt auf einem der Bestien, fing es mit den hinteren
Klauen auf und presste es mit dem eigenen Gewicht zu Boden. Mehrere Male
knackte es laut und das Tier jaulte auf. Dann hob Bodin, mit dem Waranen
im Griff, mit Mühen ab und flog in die Höhe.
Der Waranenreiter, der zwischen Waran und Drache eingequetscht war,
fing an vor Angst und Schmerz zu schreien. Der Drache flog ungestört
weiter bis sie eine luftige Höhe erreichten. Dann ging er in den Sturzflug
über. Der Boden kam nun beängstigend schnell näher. Helmut
musste aufpassen nicht aus dem Sattel geschleudert zu werden. Auf halbem
Wege nach unten ließ Bodin die Gefangenen los und bremste selbst
den Sturzflug ab.
Nun konnte er sehen wie die Opfer fielen und am Boden ankamen. Mit
einem widerlichen Geräusch zerplatzten sie förmlich in ihre Bestandteile.
All ihre Lebensäfte und Innereien verteilten sich auf dem Boden und
ließen einen großen, bunten und stinkenden Fleck auf dem Boden
zurück.
Triumphierend brüllte Bodin auf.
Tod.
Jetzt blieben nur noch drei übrig.
Dann flog er wieder den Bestien entgegen. Er flog knapp über
dem Boden und versuchte aus dem Flug den reiterlosen Waranen zu packen.
Dieser versuchte zu fliehen, wurde aber trotzdem an den Hinterbeinen gefangen.
Dann flog er zum brennenden Rathaus und ließ ihn kurz vor dem Gebäude
los. Der Waran krachte jaulend durch die brüchige Wand, während
Bodin in einem scharfen Winkel nach oben abdrehte. Helmut bekam eine Gänsehaut,
als er hinter sich das Brüllen des verbrennenden Tieres hörte.
Tod.
Nur noch zwei.
Eine Hand voll Soldaten bedrängten nun den verletzten Waran,
den Bodin überrempelt hatte. Sie attakierten ihn mit langen Speeren
und stachen nach seinem Gesicht, wenn er näher kam. Der Andere wütete
jedoch unter den Angreifern und tötete einen Menschen nach dem anderen.
Bodin landete in der Nähe des Waranen, konnte ihn aber nicht
mit einem Feuerangriff töten, da zu viele Freunde in der Nähe
waren. Mit einem Sprung war er beim Waranen, der ihn mit einem Biss in
den langen Hals empfing. Bodin brüllte auf und schüttelte Hals
und Kopf heftig, um den Waranen abzuschütteln. Helmut wollte die Bestie
mit Pfeilen beschießen, doch schon im nächsten Augenblick kämpften
Drache und Waran wild miteinander und ließen ihm keine Möglichkeit
zum Schießen.
Jeder versuchte den anderen mit einem Biss in den Hals zu töten.
Nach einem langen Kampf gewann Bodin die Oberhand und nahm den Kopf
des Waranen zwischen seine riesigen Reisszähne. Nach kurzer Zeit floss
dunkles Blut an den Zähnen des Drachen herunter. Dann schien der Waran
rötlich zu leuchten.
Plötzlich schoss ein gewaltiges Feuer aus Bodins Maul. Da,
wo die Flammen auf den Waranen trafen, schwirrten sie in alle Richtungen.
Eine unglaubliche Hitzewelle erreichte Helmut und ließ ihn schwitzen.
Doch noch unglaublicher war das Heulen des Opfers. Es war so laut, dass
Helmuts Kopf schmerzte und er sich mit verzogenem Gesicht die Ohren zuhielt.
Als das Heulen aufhörte, stoppte der Drache die Flamme und in seinem
Maul sah man die erschlaffte, verkrüppelte Gestalt eines vierbeinigen
Tieres. Bodin ließ die Leiche los. Sie fiel plump auf den Boden und
zählte einen Toten mehr.
Tod.
Langsam wendete sich das Blatt zu Gunsten der Mereaner. Fast die
ganze Stadt war geräumt und die letzten feindlichen Krieger flüchteten.
Doch alles hatte seinen Preis gekostet. Es waren zweitausend Soldaten und
dreißig Drachen losgezogen und nur noch sechzig Soldaten und ein
Drache übrig geblieben. Das war ein Verlust, den das Land nicht einfach
wegstecken konnte. Obwohl die Baraner in Kilian mehr als doppelt so viele
Verluste erlitten und eine ganze Hafenstadt verloren hatten, war das wahrscheinlich
kein großer Verlust für sie. Denn im Gegensatz zu den Mereanern
hatten die Baraner Krieger im Überfluss.
Inzwischen bedeckte der Nachthimmel das Land und die Sterne und der
Vollmond leuchteten. Von weitem konnte man Wolfsgeheul hören. Es passte
zur Situation, denn dieser Tag war wahrlich zu beweinen. Die tapfersten
Männer, die überlebt hatten, trauerten leise um die Gefallenen,
denn kein Herz ist hart genug, um sich von so vielen Kameraden aufeinmal
verabschieden zu können. Und über der Stadt herrschte eine Ruhe
wie noch nie zuvor.
Auch Helmut trauerte und betete mit gesenktem Kopf für die
Gefallenen.
© Haldir
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