Des Dämons täglich Brot von Hyphistos
2. Kapitel: Auf zur Oberwelt... wie komme ich dort eigentlich hin?

Luzio machte sich, wenn auch gegen seinen Willen, schnurstracks auf den Weg zum Informationsschalter der Unterwelt. Zumindest in einem hatte Mephisto recht gehabt, denn der kleine Dämon war schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr auf der Oberwelt gewesen. Nur vage wusste er noch, wie es dort aussah.
Grauenhafte Bilder von saftig grünen Wiesen und einer freundlich strahlenden Sonne schossen ihm durch den Kopf und jagten ihm eine Schauer über den Rücken.
"Womit kann ich Ihnen behilflich sein?"
Luzio blickte erschrocken auf. "Äh.. wie bitte?", war das Einzige, das er herausbrachte. Die heiße Feuerelementardame am Schalter flackerte kurz auf, und säußelte dann erneut: "Womit kann ich Ihnen behilflich sein, mein Herr? Sie befinden sich hier beim Informationsschalter der Unterwelt, also gehe ich davon aus, dass Sie eine Information benötigen."
Der Dämon erkannte, dass er während er in Gedanken versunken war, bereits sein Ziel erreicht hatte.

Die Unterwelt war berüchtigt für ihren teuflisch guten Service und dazu gehörten unter anderem zahlreiche Informationsschalter, die den Bewohnern und Besuchern mit allerlei Auskünften zur Verfügung standen. Man wollte den Aufenthalt so angenehm wie möglich gestalten, schließlich konnte dieser ganz schön lange dauern. Zu den Services zählten Wegerklärungen ebenso wie Auskünfte über Freizeitangebote oder Wetterprognosen. Doch Luzio wollte weder den Kurs "Sadomasochismus in 21 Tagen" belegen, noch wollte er wissen ob ein Erdkern-Hoch zu einem erneuten Temperaturanstieg führen werde. Ihn beschäftigte eine ganz andere Wissenslücke: "Wie komme ich hier raus?"
Die Lady gab ein verwirrtes Zischen von sich. "Wie meinen Sie das genau?"
Luzio trat verlegen von einem Bein aufs andere, ehe er antwortete: "Nun ja, ich möchte auf die Oberwelt, und habe vergessen wo sich die Portale befinden." Es folgte eine kurze Pause, und nach einer Weile hielt Luzio dem durchdringenden Lodern der Schalterdame nicht mehr stand.
"Wissen Sie, ich komme gerade von einer großen Schlacht gegen die Mächte des Guten. Sie waren uns zahlenmäßig weit überlegen, aber wir haben die Zähne zusammengebissen und uns nicht unterkriegen lassen. Sie haben uns regelrecht umzingelt und von allen Seiten auf uns eingeschlagen. Wir haben uns gewehrt, doch dann kam dieser hinterhältige Schlag auf den Kopf. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in meiner Höhle. Mein Gedächtnis ist seither sehr lückenhaft. Deshalb kenne ich auch nicht den Weg..."
Ohne mit der Flamme zu zucken, unterbrach ihn die Feuerelementarierin: "Ihr müsst Luzio sein. Mephisto hat mich bereits von euch in Kenntnis gesetzt. Oder sollte ich besser sagen gewarnt? Wie dem auch sei, die Portale befinden sich in Westinferno, am Antiheldenplatz. Ich hoffe zumindest dort findet Ihr hin?" Der ungeduldige Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
Deshalb lautete Luzios Antwort: "Ach, der Antiheldenplatz, genau! Wie konnte ich das bloß vergessen. Ich Dummerchen." Er setzte sein unfreundlichstes Gesicht auf und entfernte sich schnellstmöglich und mit gesenktem Kopf aus dem Blickfeld der Dame.
Er hatte keinen Schimmer, wo sich dieser Platz befinden sollte. Selbst Westinferno kannte er nur vom Hörensagen, aber um dieser peinlichen Situation endlich entgangen zu sein, nahm er selbst tagelange Irrmärsche in Kauf.

Damit es zu diesen aber erst gar nicht kam, versuchte Luzio sich die Informationen andersweitig zu beschaffen.
Zuerst lief er einem Artgenossen von ihm, einem weiteren Dämon, über den Weg. Luzio fragte: "Entschuldige Bruder, wo geht’s hier denn zum Antiheldenplatz?" Dabei versuchte er so locker wie möglich zu wirken. Der andere Dämon, der natürlich wesentlich größer war, blickte zu ihm herab und runzelte verwirrt die Stirn. Die Runzeln der Verwunderung wandelten sich schnell in Falten der Ärgernis. "Wer hat dir erlaubt, mich als deinen Bruder zu bezeichnen? Nur weil wir derselben Rasse angehören, bedeutet das nicht, dass ich dein Bruder bin. Diese Tatsache beschützt dich höchstens davor, dass ich dir den Schädel einschlage. Zudem siehst du eher wie eine verunglückte Zwergenversion eines Dämons aus."
Kopfschüttelnd ging der andere von dannen. "Bruder... pah...", war das Einzige, das Luzio noch von ihm hörte. Nun war es er, dessen Stirn sich runzelte. Doch so schnell gab er nicht auf.
Eigentlich war der kleine Dämon das faulste und motivationsloseste Wesen, das die Welt von Wasser je gesehen hatte, doch hier ging es um seine Existenz. Aus irgendeinem Grund, den wohl nicht einmal er kannte, hing der kleine Kerl sehr daran. Vielleicht hatte er Angst, im Nirvana könnte es mehr zu tun geben, als er es bisher gewohnt war oder aber er war einfach nur zu faul dafür, von dieser Welt zu verschwinden.
Was auch der Grund für seinen plötzlichen Motivationsschub war, Luzio gab nicht auf und marschierte weiter.

Er vermied es jedoch, die Wesen, die ihm begegneten, nach dem Weg zu fragen. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als ihm ein Imp entgegenflatterte.
Imps waren kleine, geflügelte Kreaturen, die im wesentlichen den Dämonen ziemlich ähnlich sahen, nur dass sie eben wesentlich kleiner waren und zierliche Flügelchen besaßen, die gerade dazu reichten, um sich vom Boden abzuheben und so eine schwebende Fortbewegung ermöglichten. An wirkliches Fliegen war damit aber nicht zu denken. Imps waren so etwas wie die Arbeiter der Unterwelt. Wofür sich höherrangige Höllengeschöpfe zu gut, oder in diesem Falle zu böse waren, das mussten die Imps erledigen. Was ihre Größe betraf, so wäre selbst Luzio als Imp ein Riese gewesen. Durch diesen Umstand ermutigt, beschloss er, den Imp um Auskunft zu fragen: "Entschuldigung..."
Weiter kam er nicht, denn da unterbrach ihn der Imp auch schon:
"Entschuldigung, entschuldig", äffte ihn das Flatterwesen nach. Der Ärger in seiner Stimme war nicht zu überhören. "Immerfort Entschuldigung. Ich habe es satt! Lass mich raten, du willst, dass ich dir bei etwas helfe? Oder soll ich es vielleicht gleich alleine machen, während du mir vergnügt dabei zusiehst?"
"Ja, aber nein, ich wollte nur..."
"Ich wollte nur was? Was wolltest du?" Der Imp war im Gesicht noch röter, als es sonst üblich war und flatterte aufgeregt mit den Flügelchen.
"Wolltest du, dass ich deine Höhle aufräume? Wolltest du vielleicht sogar, dass ich dir eine neue baue? Oder wolltest du dir einfach nur einen Scherz erlauben und mir etwas auftragen, das in Wirklichkeit gar nicht erledigt werden muss?"
Obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gab, versuchte Luzio sich zu rechtfertigen: "Es tut mir leid, ich habe lediglich..."
"Ja du hast lediglich! Ich habe auch... und zwar habe ich es satt, für Typen wie dich den Sklaven zu spielen! Such dir jemand anderen, den du schikanieren kannst!"
Mit diesen Worten ließ der Imp einen verdatterten Luzio zurück.
"...versucht dich nach dem Weg zu fragen."

Luzio war niedergeschlagener denn je. Ohne rechten Antrieb setzte er einen Fuß vor den anderen, wobei er ihn nicht einmal hob, wodurch ein schleifendes Geräusch sein Begleiter war. Aus Angst vor weiteren Konflikten beobachtete er mit gesenktem Kopf sein eigenes Schlurfen ohne dabei auch nur ein einziges Mal aufzusehen. Ein Fehler, denn das Schleifen verstummte abrupt.
"Hey, pass doch auf!", maulte die Gestalt, gegen die er soeben prallte, mit langsamer und klagender Stimme. Luzio hob erschrocken den Blick. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er erkannte, mit wem er es zu tun hatte.

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Orangerote Lichtwogen ummalten die Silhouette des Horizonts. Die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg über die Oberflächenkrümmung von Wasser direkt in Matjus Gesicht. Dieses war von einem dümmlichen, zufriedenen Grinsen geprägt. Ansonsten gab es an Matjus nichts außergewöhnliches zu bemerken, abgesehen davon, dass er zu einer Zeit, wo ein Großteil der restlichen Bevölkerung von "Dorf, das links neben dem großen Wald liegt" (Auf Wasser bevorzugte man Ortsnamen, die auch zu dem entsprechenden Ort passten. Zudem hielt man damit die Vermisstenrate, resultierend aus fehlenden Kartographiekenntnissen, möglichst niedrig.) seiner Arbeit nachging, gemütlich unter einem Baum saß und nichts tat. Dies war übrigens seine Lieblingsbeschäftigung. Im Gegensatz zu Luzio war dies allerdings nicht auf Faulheit begründet. Matjus war das, was man in seinem Umfeld einen Spinner nannte. Taktvollere Menschen würden ihn wohl als Freidenker bezeichnen. Er führte innere gedankliche Monologe und philosophierte über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens. Zudem war er ein selbsternannter Literat und Musiker. So brachte er seine Gedanken zum Ausdruck. Erst kürzlich hatte er ein Gedicht über das Liebesleben von Eintagsunddreiminutenfliegen verfasst. Allerdings mangelte es ihm an sozialen Kontakten, um seine Werke unter die Leute zu bringen. Bei den Bewohnern von "Dorf..." ...von dem Dorf, in dem Matjus lebte, hätten sie aber ohnehin wenig Anklang gefunden. Höhere Künste waren hier verpönt.

Matjus zog seinen Hut etwas tiefer ins Gesicht, damit ihn die aufgehende Sonne nicht allzu sehr beim Träumen störte. Just in diesem Moment fiel ihm ein Apfel von dem Baum, unter dem er saß, auf den Kopf. Fluchend betrachtete er den Apfel, ehe er ins Grübeln kam. Er fragte sich, was der Grund dafür gewesen sein könnte, dass der Apfel soeben senkrecht hinabgefallen war. Welche geheimnisvolle Kraft steckte wohl dahinter?
Allzu lang grübelte er jedoch nicht, denn er kam schnell zu einer Lösung.
Es musste sein knurrender Magen gewesen sein, der den Apfel magisch angezogen hatte. Dies war die einzig logische Erklärung. Matjus bestätige sich selbst mit einem entschlossenen Nicken. Während auf Wasser die Gravitation also die Chance auf ihre Entdeckung erstmals vertan hatte, biss Matjus herzhaft in den saftigen Apfel.

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"Du schon wieder!", knurrte der Zombie, als er Luzio erkannte. Es war jener, den Luzio auf seinem Weg zu Mephisto beinahe umgerannt hätte. Sein Gesprächspartner und guter Freund, welcher neben ihm stand, war ebenfalls jemand, mit dem der kleine Dämon an diesem Tag bereits Bekanntschaft gemacht hatte. Es handelte sich dabei um das Skelett, das ihm mit empor gestrecktem Fuß den Tod gewunschen hatte.
Luzio schluckte. Wenn er in den vergangenen Stunden etwas gelernt hatte, dann, dass sich gewisse Probleme nicht mit Worten lösen ließen.
Also rannte er, und zwar so schnell es seine Stummelbeinchen zuließen.
Schnell war in diesem Zusammenhang eigentlich ein Wort, das sich nicht verwenden ließ, doch wenn einem ein Zombie hinterher schlurfte und ein Skelett bei jedem Schritt darauf achten musste, sich nichts zu brechen, dann konnte sogar Luzio als schnell bezeichnet werden. Er durchquerte bei seiner Flucht unzählige schmale Höhlengänge, ehe er sich schließlich in einem breiten Hauptflur wiederfand. Dieser steuerte geradewegs auf den Antiheldenplatz zu, welchen Luzio bereits erblicken konnte. Zahlreiche Informationsschilder wiesen darauf hin, sodass selbst der kleine Dämon erkannte, dass er an seinem Ziel angelangt war. Hätte er nicht ohnehin dank seinem Geburtsfehler ständig gelächelt, so hätte er es spätestens jetzt getan.
Das Glück war ihm scheinbar doch hold gewesen. Luzio schüttelte diese Überlegung sofort wieder aus seinen Gedanken. Daran durfte er gar nicht denken. Glück war nicht böse. Es war ekelerregend. Glück war gemeinsam mit Liebe die Wurzel alles Guten. Hoffentlich hatte niemand seine Gedanken gelesen. Innerlich betete er sofort drei Satan Unser, ehe er sich wieder einigermaßen schmutzig fühlte und diese reinen Gedanken verdrängen konnte.

Er schlenderte den großen Flur entlang und als dieser endete, erstreckte sich der riesige Antiheldenplatz vor ihm. Er befand sich in einem gigantischen, kuppelartigen Gewölbe und war einer der Haupthandelsmärkte der Unterwelt. Hier boten alle möglichen Geschöpfe unterschiedlichster Rasse ihre Waren an, und die Geschäfte liefen exzellent. Dies war nicht weiter verwunderlich, immerhin befanden sich auf diesem Platz abgesehen vom Markt auch noch jene Portale zur Oberwelt, nach denen Luzio eigentlich gesucht hatte. Und Krieger, die dorthin reisten, mussten allen möglichen Proviant mitnehmen. Umgekehrt war der Platz auch eine Anschwemmstelle von Heimkehrern oder Neuankömmlingen, welche oft sehr hungrig waren. So war im übrigen auch der multikulturelle Touch des Platzes zu erklären, denn im Normalfall neigten die unterschiedlichen Rassen eher dazu, sich von den anderen fernzuhalten, oder aber, wenn ihnen dies zu mühselig war, diesen die Köpfe einzuschlagen.
Auch Luzio hatte mit einer langen Reise zu rechnen und so kaufte er sich einige Vorräte an Blutwurst, heißen Hunden (dies ist in keinster Weise als Übersetzung des englischen Begriffs "Hot Dog" zu verstehen) und Alkohol in allen möglichen Formen. Dieser war, wie ohnehin jeder weiß, eine Erfindung des Teufels und diente den Geschöpfen der Hölle sozusagen als Treibstoff.
Die Dämonen und zahlreiche andere Wesen waren im Prinzip nichts anderes als wandelnde Motoren, die den Alkohol verbrannten und so Energie erzeugten. Dies war auch der Grund für die rote Hautfarbe.
Nachdem Luzio seine Einkäufe getätigt hatte, machte er sich auf den Weg zu den Portalen. Dort angekommen drang die schrille Stimme einer Sirene an sein Ohr und gleichzeitig auch durch Mark und Bein. Sirenen waren eigentlich wunderhübsche Frauen, doch öffneten sie erst einmal den Mund, brachten sie jeden Mann dazu, durchzudrehen. Dies lag nicht unbedingt daran, wie man nun vielleicht annehmen könnte, dass sie solchen Schwachsinn von sich gaben, sondern an ihrer unglaublich schrillen Stimme, die es einem unmöglich machte, auch nur noch irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Diverse Überlieferungen von bezauberndem oder gar betörendem Gesang resultierten lediglich daraus, dass die Verfasser dieser Überlieferungen längst dem Wahnsinn verfallen waren.
Luzio erging es kaum besser. Auf die Frage der Sirene, wohin er denn wolle, brachte er nur noch ein stammelndes "Oberwelt" heraus. Seine Umgebung war vollkommen verschwommen und wirkte unwirklich. Wie hypnotisiert trat er in das Portal, welches wie eine runde Scheibe aus purer Energie aussah, die ähnlich einer Seifenlauge, die durch einen Ring begrenzt ist, umherwippte und einen dünnen Film bildete. Die Sirene schüttelte über Luzios Ortsangabe nur den Kopf und murmelte: "Es ist doch immer das selbe. Ich verstehe einfach nicht, wieso niemand genau weiß, wohin er will." Dieses Murmeln reichte bereits aus, um einen der Umstehenden dazu zu bringen, auf die Knie zu sinken, sich die Ohren zuzuhalten und nach seiner Mutter zu rufen. Die Sirene wählte per Zufall einen Ort auf der Oberwelt aus und bestätigte diesen per Buttondruck auf ihrem Touchscreen. Auch die EDV war eine Erfindung des Teufels.

Als das Portal aktiviert wurde, begann sich Luzios Körper scheinbar in unendliche Länge zu ziehen, sodass man ihn zum ersten Mal in seinem Dämonendasein als groß beschreiben hätte können. Funken, bestehend aus reiner Energie, spritzten in alle Richtungen und Luzios Erscheinung wurde immer durchsichtiger, ehe sie mit einem lauten Knall entgültig verschwand. Ein paar Energiefunken verglühten noch mit einem leisen Zischen, dann war der Transportvorgang beendet.
 

© Hyphistos
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Und schon geht's weiter zum 3. Kapitel...

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