Die Krieger des Ostens von Dragonsoul Lianth
Xerxes Maltor

"Ich werde dich vermissen, Junge." Xerxes drehte sich in Richtung der Stimme um. "Du wärst einer der besten Ritter geworden." Xerxes’ Lehrer löste sich aus dem Schatten der Tür und betrachtete seinen besten Schüler nachdenklich.
Xerxes war siebzehn Jahre alt und hatte einen für Menschen ungewöhnlich sehnigen Körperbau. Seine schmalen, kräftigen Hände, die feinen Gesichtszüge und die leuchtend grünen Augen, die absolut nicht zu seinem dunkelbraunen Haar passen wollten, taten ihr übriges dazu, das Elfenblut in seinen Adern zu identifizieren.
"Ich werde dich vermissen, Sohn eines Halbelfen." Xerxes verzog den Mund über den leisen Spott in der Stimme seines Lehrers. "Sogar Ihr behandelt mich schon wie einen Ausgestoßenen." - "Der du auch bist!" Der alte Ritter seufzte traurig. "Es tut mir leid, doch du weißt auch, dass ich das tun muss." Xerxes lächelte gequält und zog die Riemen seiner Rüstung aus blauem Mithrill fest.
Als er jedoch sein Schwert umbinden wollte, schüttelte sein Lehrer den Kopf. Er nahm seinen eigenen Schwertgurt ab und reichte ihn Xerxes. Der Junge zögerte eine Augenblick, bis er das Schwert nahm. Andächtig ließ er die perfekt gearbeitete Stahlklinge mit einem Drachen als Griff aus der Scheide gleiten. "Ich danke Euch", flüsterte er leise, während er sich das Geschenk umband. Einige Minuten sahen die beiden Männer sich noch schweigend an, dann gab Xerxes sich einen Ruck und verließ ohne ein Wort des Abschieds den Raum.

Die Burg von König Rhiwar verließ er in östlicher Richtung. Seine Fuchsstute Nerfa, die er selbst aufgezogen hatte, schien die neugewonnene Freiheit zu spüren und warf den Kopf stolz und feurig in den Nacken. Von nun an würde sie nicht mehr den halben Tag in einer Einzelkoppel eingesperrt sein. Und obwohl er sich ständig wehmütig zu der Bug umdrehte, die doch zehn Jahre lang seine Heimat gewesen war, ließ Xerxes sich schon bald von Nerfas Freiheitsrausch anstecken.
Jauchzend ließ er die Zügel fahren und spornte Nerfa zu einem halsbrecherischen Galopp über Felder und Wiesen an. Seine Stute hatte die richtige Einstellung, dem Vergangenen nicht nachzutrauern. König Rhiwar hatte den Elfen des Nordkontinents den Krieg erklärt. Und Xerxes hatte das Pech, der Nachkomme eines Elfen zu sein. Doch obwohl er seinem König bis in den Tod gefolgt wäre, hatte dieser ihn als potentiellen Verräter eingestuft und ins Exil geschickt.
Während die Wiesen an ihm vorbeiglitten, überlegte sich Xerxes, was er als nächstes tun sollte. Er könnte in eines der Nachbarreiche gehen und dem dortigen König seine Dienste als Krieger anbieten. Das Königreich Bahlria zum Beispiel suchte gute Krieger, die für Sicherheit an den Grenzen sorgten. Doch würde er kein Ritter mehr sein können. Diesen Anspruch hatte er mit seiner Verbannung verloren. Aber er konnte sich noch immer Ehre und Ruhm verdienen.
"Was meinst du, Nerfa?" fragte er plötzlich seine Stute. "Sollen wir nach Bahlria und dort als Kämpfer des Königs anwerben?" Nerfa schnaubte verächtlich und warf den Kopf zur Seite. Xerxes lachte lauthals. "Du hast recht. Warum die Freiheit gleich wieder aufgeben?" Die Stute nickte mehrmals und wäre deswegen beinahe gestolpert. Schuldbewusst zügelte Xerxes sie auf langsamen Trab und redete ihr auf ihr enttäuschtes Schnauben gut zu. Dann nahm er den Faden wieder auf. "Wir sollten uns nach dem besten Angebot umsehen. Wantary soll dafür geeignet sein..."

Die Stadt Wantary lag an der nördlichen Grenze des Königreiches Bahlria und war bekannt für ihren Reichtum. Doch unterschied sie sich nicht besonders von all den übrigen Städten des Nordkontinents: Eine vier Meter hohe Mauer, in derem Inneren sich kleine Lehmhäuser mit Strohdächern eng aneinander drückten; schmale, dunkle Gassen, die teilweise vor Dreck starrten. Doch im Ostviertel, geschützt von einer zweiten Mauer, war das prunkvolle und verschwenderische Viertel der Kaufleute und anderer Reicher.
Xerxes war eine Woche unterwegs, bis er die Mauern der vielgepriesenen Stadt erblickte. Einen Moment ließ er Nerfa halten und überlegte, ob er außerhalb der Stadt campieren oder sich in einem Gasthaus einquartieren sollte. Schließlich entschied er sich für ersteres. Die Gasthäuser wimmelten nur so vor Flöhen und da ihm diese Plagegeister mehr als unangenehm waren, bleib ihm nur die Möglichkeit, im Freien zu schlafen. Denn ein Pferdestall wäre bei diesem sommerlichen Wetter nicht bequemer als das Gras am Waldrand - und kostete obendrein noch Geld.
Kurz hob er den Blick zum Himmel und beschattete die Augen. Die Sonne stand noch hoch und es würde noch mehrere Stunden hell sein. Das hieß, er konnte dich noch in Ruhe in der Stadt umsehen und umhören, bis die Tore bei Sonnenuntergang geschlossen wurden. Wenn er die Stadt dann noch nicht verlassen hatte, war er eingesperrt und musste sich gezwungenermaßen einquartieren. Seufzend trieb Xerxes seine Stute wieder an und ritt in die Stadt.

Fünf Tage hielt Xerxes sich schon in Wantary auf, ohne auf ein interessantes Angebot gestoßen zu sein. Es war später Morgen und Xerxes saß im Gasthaus 'Fahrender Händler', in der Hoffnung, einen Händler zu finden, der noch Wächter für seine Karawane suchte. Um die Zeit besser zu überbrücken, lauschte er mit halbem Ohr den Gesprächen an den Nachbartischen. Es war eigentlich das übliche Geschwafel reisender Krieger: Wie viele Männer sie schon getötet hatten, wie vielen Frauen sie den Kopf verdreht hatten, oder wie viel Geld sie bei irgendeinem Auftrag erhalten hatten.
Xerxes saß nun schon Stunden an seinem Platz, ohne dass großartig etwas passiert wäre. Er wollte bereits aufstehen und woanders hingehen, als das Gespräch am Nachbartisch eine interessante Wendung nahm: "Fragst du dich nicht auch, warum die Städte des Ostkontinents derart viele Metalle und Waffen aufkaufen?" fragte der eine Mann, muskulös, blond und knapp 40. "Ich habe gehört,  die brüten einen Krieg aus." Kam die Antwort des fettleibigen Wirts. "Böse Zungen behaupten, sie wollen gar gegen den mittleren Kontinent vorgehen!" - "Nein!" Doch der Wirt nickte angespannt.
"Die haben nur ein Trollproblem", mischte sich der Tischnachbar des Kriegers ein. "Und das ist sicher?" fragte der Krieger zweifelnd. "Mein Bruder verdingt sich gerade dort." Fuhr der Jüngling nach gewichtigem Nicken fort. "Und ich werde ebenfalls dorthin gehen. Sie zahlen fürstlich!" - "Das klingt aber eher nach einem ernsten Problem." Der junge Krieger zuckte mit den Schultern. "Mich interessiert nur das Geld. Und es ist ja nicht so, dass ich mich einem Treueid unterziehe!"
Xerxes hatte genug gehört. Wortlos und ohne das Gespräch weiter zu beachten, verließ er das Gasthaus. Der Ostkontinent, das klang interessant. Er hatte schon so einiges über den Ostkontinent gehört. Doch das wichtigste war, dass er nicht einmal zur Hälfte von den Menschen besiedelt war. Barden, die von dort kamen, priesen die vielen Abenteuer der Krieger an. Und den Königen dort sagte man große Ehrbarkeit und Gerechtigkeit nach.

Doch wie sollte er die Überfahrt zahlen? Während er Nerfa durch die Straßen des Händlerviertels führte, dachte er angestrengt darüber nach. Schließlich kam ihm der Zufall zu Hilfe. In seinen Gedanken versunken achtete er nicht auf den Weg und rempelte einen jungen, hageren Mann an, der prompt hinfiel. "Bitte verzeiht", brachte Xerxes erschrocken heraus und half dem Jüngling wieder auf die Beine. Der Junge sah ihn kurz an und nickte dann verzeihend. "Ihr seid Krieger?" 
Einen Augenblick sah Xerxes ihn verwirrt an, dann nickte er. "Wunderbar!" Der Junge klatschte in die Hände. "Mein Mentor, der Händler Pan, hat mich nämlich losgeschickt, Wachen für seine Karawane anzuwerben!" Erst einmal in Fahrt wollte er gar nicht mehr aufhören zu reden. "Er bietet zwei Silberstücke die Woche. Es wimmelt nämlich nur so vor Räubern auf dem Weg nach Inderwn." - "Die Hafenstadt?" unterbrach Xerxes ihn. Der Junge stockte kurz, dann nickte er. "Ja genau. Wenn Euch etwas nicht an der Bezahlung gefällt, so redet mit Pan. Denn..." - "Von dort komme ich zum Ostkontinent." dachte Xerxes laut. "Ich nehme an."

Trotz kleinerer Überfälle, die jedoch eher lästig als bedrohlich gewesen waren, erreichte die Karawane nach fast vier Wochen die Tore von Inderwn, wo Xerxes sich auszahlen ließ und sich von dem Händler trennte. "Sieben Silberstücke." sagte er leise zu Nerfa. "Mit meinem Sold, den ich noch übrig habe, reicht es für eine Überfahrt." Seefahrten waren nicht besonders teuer für reisende Krieger. Man musste nur für seine Verpflegung, sowie für Stellplatz und Futter für das Pferd bezahlen.
Es war früher Sommer, das hieß, dass noch regelmäßig Schiffe ausliefen. Die Frage war nur, wann das nächste Schiff zum Ostkontinent auslief. Wenn er Pech hatte, würde er ein bis zwei Monate warten müssen. Doch um das herauszufinden, musste er erst einmal nachfragen. Also führte er Nerfa an den Zügeln in Richtung Hafen.
Vor der Hafenschenke 'Zum fallenden Anker' band Xerxes seine Stute an. Dann trat er in das muffige Gebäude, das vor angetrunkenen Matrosen nur so wimmelte. Mühsam kämpfte er sich durch die Männer zur Theke, wo er sich gleich an den Wirt wandte. "Ich suche ein Schiff zum Ostkontinent." Der Wirt überlegte kurz, dann deutete er auf einen der Tische. "Die fahren da, glaube ich, hin." Xerxes bedankte sich und trat zu den nüchternen Matrosen an jenem Tisch.
"Ich habe gehört, ihr fahrt zum Ostkontinent?" Die Matrosen sahen Xerxes abschätzend an. "Ja, wir fahren nach Fai-ten", übernahm schließlich ein bulliger Mann das Wort. "Ihr habt Glück, wir stechen morgen in See." - "Wenn Ihr mitwollt," mischte ein zweiter Matrose sich ein, "fragt Kapitän Relow auf der 'Sternenstaub'." Xerxes nickte kurz und setzte zu einer Frage an, als er sie prompt beantwortet bekam: "Das Schiff liegt ganz im Norden des Hafens. Ist das einzige mit einem roten Kreuz auf der Flagge."
Xerxes fand das Schiff ohne Schwierigkeiten, denn die Flagge war weithin sichtbar. Als er die Planke zu dem Schiff hochging, sah er sich aufmerksam nach dem Kapitän um, doch deutete nichts auf dessen Anwesenheit hin. Alle Männer trugen dieselbe Kleidung. Also trat er zu dem nächstbesten Mann, der an der Reling stand. "Ich suche den Kapitän", fragte er ruhig. "Warum?" kam die neugierige Antwort. Xerxes schluckte seinen plötzlichen Ärger herunter und lächelte. "Weil ich gerne mit nach Fai-ten möchte." Das Gesicht seines Gegenübers hellte sich auf. "Ich bin Kapitän Relow. Willkommen an Bord!"
 

© Dragonsoul Lianth
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