Relow Fisk, Kapitän des Handelschiffes >Sternenstaub<, stand
nachdenklich an der Reling und starrte auf den Steg unter sich. Mit seinen
23 Jahren war er der jüngste Kapitän der Seefahrt. Das schulterlange,
kastanienrote Haar und seine bronzefarbene Haut zeichneten ihn als einen
Mann des mittleren Kontinents. Trotz der vielen Stürme, die er schon
hinter sich gebracht hatte, waren seine Züge noch immer jugendlich
weich. Doch die blau-grauen Augen sprühten nur so vor Erfahrung und
Mut.
"Kapitän!" Relow drehte sich zu dem Maat um, der hinter ihm
stand. "Wir müssen gleich los! Die Flut dauert nur noch eine Stunde."
Relow nickte angespannt. "Geben wir ihm noch eine viertel Stunde." - "Länger
können wir aber beim besten Willen nicht warten!" Relow nickte abwesend
und entließ den Maat mit einer Handbewegung. Dann sah er einen Augenblick
auf das Meer. Mehr als eine viertel Stunde war wirklich nicht drin, sonst
würden sie erst heute Abend auslaufen können.
Wenn er Mick Derrih nicht diesen Gefallen schuldig wäre...
Aber der junge Mann hielt ihm die Schmugglergilde vom Hals und somit auch
einen Konflikt mit der Obrigkeit. Seufzend sah er zu dem jungen Krieger
Xerxes, der mit einem der Matrosen redete. Relow war eigentlich davon ausgegangen,
dass dieser Junge Micks Schützling war, doch er hatte sich geirrt.
Wenn dieser Mann, den Mick geschickt hatte, so dringend vom Kontinent musste,
ließ er sich ungewöhnlich viel Zeit.
Schließlich gab Relow sich einen Ruck. "Setzt die Segel!"
rief er seinen Männern zu. "In fünf Minuten machen wir die Leinen
los!" Mürrisch drehte er sich wieder dem Steg zu. Auch wenn Mick ihn
darum gebeten hatte, er konnte es sich nicht leisten, zu spät abzulegen.
"Halt!" Relow hob den Blick in die Richtung der Stimme. Ein angealterter
Mann kam auf das Schiff zugerannt und gestikulierte wild. Relow hob die
Hand zum Zeichen, dass er warten würde.
Der Fremde kam keuchend vor dem Kapitän zum Stehen. "Die...
Verspätung... tut mir... leid", brachte er bruchstückhaft heraus.
Relow nickte freundlich und gab das Zeichen, die Leinen zu lösen.
"Ihr habt es ja noch geschafft", lächelte er. Der Mann lächelte
nun seinerseits und sah sich aufmerksam um. "Ich habe ein wenig verschlafen",
entschuldigte er sich. "Danke, dass Ihr solange gewartet habt." – "Ich
tat es für Mick." Der Mann nickte. "Ach ja: Ich heiße Hagen."
Er zwinkerte plötzlich. "Hagen Derrih."
"Wie habt Ihr es geschafft, schon so früh ein eigenes Schiff
zu bekommen?" Relow lächelte Xerxes amüsiert an. "Beziehungen",
antwortete er schalk. Xerxes lachte und starrte auf das ruhige Wasser.
"Ihr müsst dieses Leben auf dem Meer sehr genießen." Relow nickte.
"Es war immer mein Kindheitstraum, der sich erfüllt hat." Der junge
Krieger lächelte versonnen. "Träume", sinnierte er. "Warum vergessen
die Menschen nur so gerne, dass man sie verwirklichen kann?"
Relow schloss die Augen. Dieser Halbelf, wie er der Einfachheit
halber sagte, war ihm in den letzten zwei Wochen sehr ans Herz gewachsen.
Er war genauso ein Träumer, wie der Kapitän, nur hatte er seine
Träume noch nicht verwirklichen können. Relow hatte die Unterstützung
seines reichen Vaters gehabt. Weil er seinen Sohn so sicherer glaubte,
hatte er ihm erlaubt, mit 12 anzuheuern und ihm zu seinem 18. Geburtstag
ein Schiff geschenkt.
"Manchmal sehne ich mich aber nach Abenteuern", unterbrach er plötzlich
die friedliche Stille. Xerxes lachte und sah ihn abschätzend an. "Warum
reden immer alle vom großen Abenteuer?" mischte sich Hagen ein. Die
beiden fuhren zu ihm herum. Relow hatte den Mann gar nicht bemerkt. Hagen
zwinkerte frech. "Wenn sie ihr Abenteuer nämlich haben, dann schreien
sie nach ihrer Mutter."
Relow lachte leise. "Glaubt mir, ich habe in meinem Leben schon
viele Piratenüberfälle erlebt." Er sah in den Himmel. "Nur auf
dieser Strecke gibt es keine Piraten. Überfälle würden sich
für sie nicht lohnen." – "Schade", machte Hagen ironisch. "Ihr hättet
bestimmt wie ein Berserker gekämpft." Relow rümpfte die Nase.
"Ihr seid ziemlich eingebildet, für einen Flüchtling!" Hagen
lachte wieder. "Zeigt mir, wie gut Ihr kämpft, und ich werde schweigen."
Die warme Sommersonne stand nun hoch am Himmel und die beiden Männer
sahen sich abschätzend an. Relow hatte sich Xerxes Waffe geliehen,
weil sein Säbel einem Schwert nicht gewachsen war. Xerxes lehnte sich
ruhig an einen Mast und behielt die Männer fest im Blick. Relow hatte
mit ihm abgemacht, dass er für Ordnung und Fairness während des
Kampfes sorgte.
Hagen hielt sein Schwert lässig in der Hand und begann, Relow
zu umkreisen. Doch der Kapitän gab sich keine Blöße, so
dass Hagen schließlich direkt angriff. Relow erkannte die Finte,
die von oben geführt und dann zu einem Seitenschlag abgelenkt wurde.
Behände sprang er zurück und schlug Hagens Klinge von oben. Als
das Metall klirrte, fluchte Hagen auf und trat wieder zurück.
In diesem Moment erkannte Relow seinen Vorteil: Seine jugendliche
Kraft und Ausdauer. Hagen war älter, doch seine Bewegungen waren dennoch
ungewöhnlich geschickt. Immer wieder stieß er in Finten auf
Relow zu, doch Relow wich geschickt aus, ohne sein eigenes Schwert großartig
zu benutzen. So ermüdete sein Arm nicht so schnell wie Hagens.
Und diese Taktik brachte ihm dann endlich den Sieg: Als Hagen vorstürmte
und einen Schlag von rechts führte, sprang Relow zurück,
um dann selber zuzuschlagen. Seine Klinge traf Hagens eine Handbreit vor
dem Griff und schleuderte sie zu Boden. Hagen fluchte und rieb sich das
schmerzende Handgelenk. Als Relow ihm die Spitze des Schwertes an den Hals
drückte, versteifte er sich. "Also gut", zischte Hagen schließlich.
"Ihr habt gewonnen."
Nach weiteren dreieinhalb Wochen erreichte die >Sternenstaub<
schließlich den Hafen von Fai-ten. Es war früher Morgen und
die Sonne zeigte sich erst in ihren ersten, schwachen Strahlen, als das
Schiff eine halbe Meile vor der Küste ankerte. Im Gegensatz zu Inderwns
war Fai-tens Hafen nicht beschaffen, große Handelsschiffe einzulassen.
Dafür war das Küstengewässer zu niedrig.
Relow hatte noch eine knappe Stunde Zeit, wach zu werden, bis die
Matrosen begannen, die Beiboote zu beladen. Seufzend sah er seinen Männern
dabei zu, dann packte er selbst mit an. Er tat es eigentlich nur, um sich
endlich wieder zu betätigen. Nach nicht ganz einer halben Stunde hatten
sie die Beiboote voll und lösten sie nacheinander vom Schiff.
Relow jedoch blieb an Bord und wartete auf seine Passagiere. Es
gehörte sich einfach, dass ein Kapitän das Schiff erst mit seinen
Passagieren verließ. Wobei Xerxes nicht lange auf sich warten ließ.
Er war mit dem Lärm des Verladens aufgewacht und kam auf Deck, als
das letzte Beiboot gerade ablegte. Relow trat ihm lächelnd entgegen.
"Da wären wir. Fai-ten." Xerxes sah an das nahe Ufer.
"Sie sieht nicht anders aus, als die Städte des Nordkontinents",
antwortete Xerxes nachdenklich. Relow lachte leise. "Was habt Ihr erwartet!?"
– "Gar nichts", kam Xerxes überzeugter Kommentar. Relow wurde ernst
und nickte. "Das ist das beste, das man tun kann." Er starrte die aufwachende
Stadt an. "Was werdet Ihr nun tun?" Xerxes zuckte unschlüssig die
Schultern.
"Also gut." Hagen seufzte müde. "Jetzt könnt Ihr ruhig
sagen, warum Ihr kein Geld wollt!" Relow lächelte nachsichtig. "Was
brächte mir das?" fragte er gegen. "Mein Vater ist reich, meine Geschäfte
laufen gut." Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. "Ich habe derart
viel, dass ich mich für die nächsten zehn Jahre zur Ruhe setzen
könnte." Hagen knurrte neidisch.
Relow, Xerxes und Hagen saßen in der Gaststube >neues Glück<
und tranken gemeinsam Wein. Relow hatte darauf bestanden, die beiden Männer
auf eine Karaffe einzuladen. Doch hatte er seine Gründe, das zu tun.
Während der langen Überfahrt hatten Xerxes und Hagen sich angefreundet
und schließlich beschlossen, gemeinsam den Ostkontinent zu durchstreifen,
als freie Krieger.
Relow selbst sehnte sich nach Abwechslung in seinem Leben, unabhängig
von seines Vaters Wünschen. Und hier bot sich ihm eine ungewöhnliche
Chance auf Abenteuer, die er kein zweites Mal erwarten konnte. Doch noch
wusste er nicht, wie er es ihnen beibringen sollte, dass er beschlossen
hatte, sein Schiff erst einmal seinen Männern zu überlassen.
Auf einmal stand Hagen auf. "Ich werde mir jetzt ein Pferd kaufen,
damit wir morgen losreiten können", sagte er zu Xerxes, der abwesend
nickte. "Warum habt Ihr Euer Pferd nicht mitgenommen?" fragte Relow neugierig.
Hagen lachte verlegen. "Um ehrlich zu sein: Das habe ich in meiner Eile
vergessen!" Relow lachte leise vor sich hin.
"Ach", bemerkte er plötzlich. Hagen sah ihn fragend an. "Wenn
ihr die Güte hättet, mir auch eines zu kaufen, das Geld gebe
ich Euch selbstverständlich mit." - "Für was benötigt Ihr
ein Pferd?" fragte Xerxes misstrauisch, während Relow in seinem Geldbeutel
kramte. Er hob den Blick nicht, als er antwortete: "Na warum wohl? Ich
werde Euch begleiten!"
© Dragonsoul
Lianth
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