Wer Akira das erste Mal sah, war versucht, ihn als Wegelagerer zu
bezeichnen. Er war nicht besonders groß, einen Kopf kleiner als der
Durchschnitt und wirkte eher mager unter seinem weiten Leinenhemd und der
locker sitzenden Lederhose. Das Schwert an seinem Gürtel wirkte eher
wie ein Langmesser und steckte in einer verschlissenen Scheide. Das einzig
wertvolle, das er besaß, war sein Langbogen, den er einem elfischen
Waffenschmied abgekauft hatte.
Das hüftlange, pechschwarze Haar, das er sich stets zu einem
Zopf band, sowie die stechenden tiefbraunen Augen und die verschlossenen
Gesichtszüge ließen ihn nicht sehr vertrauenswürdig erscheinen.
Und trotz seiner 28 Jahre wirkte er noch immer, wie ein Jüngling von
nicht ganz 20. Doch gab es keinen besseren Söldner auf dem gesamten
Kontinent.
Vielen Männern fiel es schwer, Akira als den Mann anzuerkennen,
als der er angepriesen wurde. Schließlich entsprach er ganz und gar
nicht dem Bild, das man sich von ihm machte. Akira selbst versuchte nie,
sich besser einzuschätzen oder zu verkaufen, als er war.
Auch Hagen und Relow fiel es sichtlich schwer, Akira als Kämpfer
anzuerkennen. Dieser schweigsame Mann, der sich nicht mehr bewegte, als
unbedingt nötig, wie sollte er ein Kämpfer sein? Doch solche
Fragen ließen Akira für gewöhnlich völlig kalt. Er
hatte nichts davon, sich darüber aufzuregen. Schließlich war
es stets von Vorteil, wenn man ihn unterschätzte.
Nur dieser Xerxes gab Akira zu denken. Dieser Jüngling hatte
eindeutig etwas elfisches an sich, und Elfen waren bekanntlich nicht so
leicht zu täuschen wie Menschen. Außerdem schien Xerxes sich
ebenfalls zu verstellen, etwas zu verbergen. Obwohl Xerxes sich ihm gegenüber
sehr offen und neugierig gab, spürte Akira dieses Geheimnis dennoch.
Darin war er schließlich Meister.
Und dennoch... Sie waren nun schon fast eine Woche lang unterwegs,
ohne dass er hinter Xerxes Geheimnis gekommen war. Das war doch etwas seltsam
in Akiras Augen. Schon den ganzen Morgen über beobachtete er den Jungen,
der mal neben seinen Freunden und mal neben Tai ritt und sich ausgelassen
mit ihnen unterhielt.
"Ihr schaut so grimmig in die Gegend..." bemerkte Tai plötzlich.
Erschrocken fuhr Akira zu ihm herum. Er war so in Gedanken gewesen, dass
er gar nicht bemerkt hatte, wie der Händler sich an seine Seite hatte
zurückfallen lassen. "Ich denke nach", antwortete Akira schließlich.
Tai lachte amüsiert vor sich hin. "Dann denkt Ihr wohl nicht oft nach",
spöttelte er. "So habe ich Euch nämlich noch nie gesehen."
"Hm..." machte Akira. Schließlich zuckte er die Schultern
und lächelte leicht. "Schon gut", gab er zu. "Ich denke etwas angestrengter
nach." - "Ihr - !?" machte Tai entsetzt. "Ihr schaut drein, als hättet
Ihr den Weltuntergang gesehen! Ihr brütet doch über irgendetwas."
- "Hm." Sonst gab Akira keinen Kommentar von sich. Stattdessen versank
er wieder in grüblerisches Schweigen.
An diesem Abend beschloss Akira, Xerxes direkt zu fragen... Von allein
würde er nie dahinter kommen. Wenn auch ungern, so musste er sich
dennoch geschlagen geben. Deshalb übernahm Akira gleich die erste
Wache, wonach dann Xerxes, anschließend Relow und zuletzt Hagen aufpassen
mussten.
Seine Wache verlief, wie er es erwartet hatte, friedlich. Bevor
er nun aber Xerxes weckte, überzeugte er sich erst einmal davon, dass
die restliche Truppe wirklich fest schlief. Schließlich rüttelte
er Xerxes leise wach und deutete ihm, sich mit ihm ein paar Schritt zu
entfernen. Xerxes sah zwar ein wenig irritiert drein, doch folgte er Akira
ohne irgendein Widerwort.
"Also, was habt Ihr?" fragte Xerxes müde, als Akira stehen
blieb. Langsam drehte Akira sich um und starrte Xerxes finster an. Deutlich
eingeschüchtert wich Xerxes einen Schritt zurück und hob abwehrend
die Hände. "Überlegt Euch, was Ihr tut..." warnte er leise. -
"Schon gut", murmelte Akira seufzend. "Ich will Euch nichts... Ich habe
nur eine Frage, die mich schon eine ganze Weile beschäftig."
Erleichtert entspannte Xerxes sich wieder und sah Akira nun schief
an. "Das muss aber eine verdammt unangenehme Frage sein, dass Ihr Euch
so aufführt..." - "Hm..." nickte Akira. "Womöglich. Also: Was
verbergt Ihr!?" Bei dieser Frage setzte Akira seinen strengsten Blick auf.
Xerxes starrte Akira nur mit offenem Mund und hängenden Schultern
an. "WIE!?"
"Verkauft mich nicht für dumm!" fauchte Akira. "Ich merke es
doch ganz genau, dass Ihr irgendetwas verbergt." Langsam ließ Xerxes
sich in die Hocke sinken und sah Akira von unten zweifelnd an. "Ich wüsste
gerne, wovon Ihr eigentlich sprecht", antwortete er schließlich.
"Ich habe nichts zu verbergen. Ich habe mein Leben lang nichts gesagt oder
getan, das ich verheimlichen müsste."
Akira schüttelte nachdenklich den Kopf. "Da ist etwas", gab
er überzeugt zurück. "Ich spüre es ganz genau, dass Ihr
ein Geheimnis in Euch tragt. Und mein Sinn hat mich diesbezüglich
noch nie enttäuscht." Einige Zeit lang saß Xerxes nur schweigend
da und rupfte abwesend einzelne Grashalme ab. "Nein", murmelte er schließlich.
"Nicht dass ich wüsste..."
"Aber!?" Akira starrte den Jungen erschrocken an. Xerxes sah nicht
so aus, als würde er lügen. Aber wenn er die Wahrheit sprach,
wieso war Akira noch immer davon überzeugt, dass er sich nicht irrte?
Es war normalerweise nicht schwer für ihn, einen Fehler einzugestehen.
Er hatte noch nie trotzig auf solch eine Situation reagiert... War es vielleicht
möglich, dass Akira etwas spürte, von dem der Junge nichts ahnte?
"Was bei allen Göttern!?" fluchte Xerxes plötzlich los,
als die Pferde und Lastesel jäh sich loszureißen versuchten.
Erschrocken fuhr Akira aus seinen Gedanken hoch und starrte die scheinbar
völlig verängstigten Tiere an. "Verdammt!" schrie er auf. "Weck
sofort die anderen!" Ohne einen Gedanken zu verschwenden riss er sein Schwert
aus der Scheide und starrte wütend in alle Richtungen. Woher mochte
der Angriff kommen?
"Sie kommen von Osten!" keuchte Xerxes neben Akira. Wütend
fuhr dieser in die angegebene Richtung herum. Noch konnte er nichts von
einem Angriff erkennen, doch verstand er Xerxes Schlussfolgerung nur zu
gut: Die Tiere versuchten alle, nach Westen zu entfliehen, entgegen der
Angriffsrichtung. Einen Augenblick lang sah er den Jungen aus den Augenwinkeln
an. Xerxes hielt ebenfalls sein Schwert in der Hand und starrte gefährlich
ruhig in die Dunkelheit.
"Wieso sied Ihr noch hier!?" schrie Akira plötzlich. "Ihr solltet
doch die anderen wecken! - "Das habt Ihr spätestens jetzt getan",
zwinkerte Xerxes amüsiert. Dann ging er, wenn auch für einen
Angriff gewappnet, langsam in Richtung Feuer. Akira starrte ihm einen Augenblick
lang völlig entsetzt nach. Wie konnte der Junge so gelassen bleiben?
Das war ja beinahe unheimlich!
Doch zu weiteren Gedanken kam er nicht: Mit einem unglaublichen
Kreischen stürzte jäh ein Troll mit erhobener Keule auf ihn zu.
Jeder Gedanke setzte von diesem Augenblick an aus. Automatisch wich Akira
nach rechts aus und ließ den Troll an sich vorbei stürmen. Noch
bevor dieser seinerseits reagieren und abbremsen konnte, setzte Akira ihm
nach und schlug ihm mehrere Male die Klinge gezielt in den Rücken.
Mit einem unheimlichen Gurgeln stürzte die Kreatur zu Boden.
Im nächsten Augenblick war aber schon der nächste Troll
vor Akira und versuchte, den Krieger zu erschlagen. Mit dem herzhaftesten
Fluch, den er kannte, wich Akira zurück, um dem nächsten Angreifer
in die Arme zu laufen. Im allerletzten Augenblick konnte er sich unter
dem überdimensionalen Morgenstern wegducken, der nur wenige Millimeter
über seinem Kopf die Luft zerschnitt.
Mit seiner ganzen Kraft packte Akira sein Schwert neu und stieß
es dem Gegner von unten durch das Kinn ins Gehirn hinein. Röchelnd
brach dieser über Akira zusammen. Der Kämpfer schaffte es gerade
noch, sich selbst vor den toten Massen zu retten, doch sein Schwert hatte
er zurücklassen müssen. Wütend starrte er den anderen Troll
an, der das Ganze bisher nur beobachtet hatte und sich nun auf den wehrlosen
Mann stürzte.
Akira blieb nichts weiter übrig, als den kraftvollen Hieben
nach hinten auszuweichen und sich dabei eine neue Taktik einfallen zu lassen.
Seine kleinen Wurfdolche brachten ihm nicht viel: Sie würden nicht
einmal Fleischwunden verursachen, geschweige denn dieses riesige Biest
töten... Er musste an eine andere Waffe kommen.
Der nächste Schlag hätte ihn dann beinahe getroffen. Fluchend
ging Akira bei dem seitlich geführten Hieb in die Knie, stützte
sich mit den Händen ab und trat dem Troll mit aller verbleibender
Kraft in die rechte Kniekehle. Kreischend brach dieser ein. Akira nutzte
die Chance augenblicklich und brachte mehrere Schritte zwischen sich und
ihn, bevor der Troll sich erholte. Doch brachte ihm das nichts: Das Biest
war nur noch wütender und er hatte noch immer keine brauchbare Waffe.
"Wie wäre es mit einem bisschen Hilfe?" fragte plötzlich
eine Stimme hinter Akira. Erschrocken fuhr dieser zusammen. Aber bevor
er sich umdrehen konnte, war Xerxes schon neben ihm und grinste den Troll
hinterhältig an. Dieser setzte seinen Ansturm unbeirrt fort. "Weg
da!" schrie Akira entsetzt und sprang zur Seite. Aus den Augenwinkeln sah
er noch, dass Xerxes sich keinen Millimeter bewegte...
Als Akira sich endlich wieder umgedreht hatte, sank ihm sein Herz
in die Kniekehle. Der Troll hatte Xerxes mit vollem Gewicht anscheinend
gerammt und mehrere Schritte zurück geschoben. Der Junge Krieger stand
noch immer vor dem unbeweglichen Troll, mit leicht erhobenen Armen und
einem gefährlichen Lächeln im Mundwinkel: Sein Schwert stak dem
Troll tief in der Brust und die Spitze ragte aus dem Genick des Biestes
heraus. "Unglaublich", flüsterte Akira tonlos, als der Halbelf den
Troll nach hinten stieß und ihm dabei die Klinge aus dem Körper
zog.
"Hah!" hörte Akira nun Tais triumphierende Stimme. "Das war´s
dann wohl! Alle tot!" Langsam drehte Xerxes sich zu Relow und Hagen um,
die ihm beide erschöpft, aber grinsend entgegen kamen. "Von wegen,
'kleines' Trollproblem!" scherzte Relow plötzlich. "Mir scheint, selbst
unser Wundersöldner hat nicht mit einem Trollangriff gerechnet!"
© Dragonsoul
Lianth
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