Der König der Drachen von V.Geist
- 31 -
Eigenverschulden

Marlin sah zu Shyla hoch. Sie schwebte immer noch. Doch die Kugel wurde schwächer. Das Licht schwand. Schon längst war sie nicht mehr so grell und blendend wie zuvor. Langsam sank Shylas Körper wieder Richtung Boden. Marlin rannte zu ihr rüber und nahm sie sofort zu sich. Sie wirkte schwach. Alle Kraft war aus ihr geschwunden. Die Schiffe drehten um. Der Rest der Flotte der Dunkelelfen versuchte zu fliehen. Doch es würde sicher nicht lange dauern, bis sie wieder angriffen.

"Wo sind wir jetzt?"
"Was fragst du mich?"
"Na es ist deine Stadt."
Tala und Nirgar irrten immer noch durch die dunklen Gänge, die sich anscheinend überall unter der Stadt befanden.
"Hey, sieh mal dort."
Tala deutete auf einen kleinen Punkt weit hinten im Tunnel. Dort schien Licht rein zu fallen. Die beiden gingen vorsichtig weiter. Die Gefahr war immer groß, in eine Spalte oder einen Riss zu fallen. Man konnte ja nichts sehen.

"Marlin..."
Cecil und Lester hatten Marlin erreicht. Er schleppte sich mit Shyla im Arm von den Landungsdecks weg. Cecil half ihnen.
"Was ist passiert?"
"Wenn ich das wüsste."
Lester sah sich um. Er blickte raus auf die freie Ebene. Sie kamen zurück.
"Hey, Leute. Wir sollten verschwinden."
Schnell kamen die Schiffe der Feinde näher. Die ersten waren schon wieder an der Stadtgrenze. Landungsschiffe setzten sich von den Schlachtern ab. Eine Invasion.
"Los."
Shyla kam langsam wieder zu sich. Rechts und links trugen Cecil und Marlin sie von den Decks weg.
"Lester, komm schon."
Lester sah zu den Plattformen rüber. Sie landeten. Fliehend würde die Gruppe nicht sehr weit kommen. 
"Lauft."
"Was?"
Lester drehte sich um und schrie zu den anderen rüber.
"Verdammt lauft. Ich halte euch den Rücken frei."
Marlin sah seinen Gefährten verwundert an. Dann nickte er.
"Wir sehen uns später."
Die drei rannten weiter. Shyla noch immer von den beiden Männern gestützt. Lester sah ihnen noch nach, bis sie hinter der nächsten Ecke verschwunden waren. Dann wandte er sich seinen Feinden zu.
"Jetzt zu euch."

Sie hatten den Riss erreicht. Nach oben führte ein Weg aus der Dunkelheit. Licht fiel durch die Öffnung und blendete Nirgar, als er hoch schaute. Sie mussten klettern doch es war nicht sehr hoch.
"Schaffst du das?"
Tala belastete ihren Knöchel so schwer sie konnte, um den Schmerz abzuschätzen. Dann sah sie zu Nirgar.
"Geht schon."
Der Elf nickte.
"Gut. Also los."
Es war schwer, die Wand hoch zu kommen. Es war zwar eine sehr unebene Fläche, die viele Möglichkeiten zum Festhalten bot, doch die meisten Vorsprünge waren nicht sonderlich stabil und zerbrachen schnell. Es dauerte etwas, doch schließlich erreichte Nirgar die Öffnung. Er kletterte hindurch und reichte Tala die Hand. Das Mädchen hatte Schwierigkeiten beim Klettern. Sie kam nur langsam voran, denn ihr Knöchel schmerzte. Vielleicht hatte sie sich überschätzt. Kurz ruhte sie aus und klammerte sich fest an die Wand.

Tot fiel sein Körper zu Boden. Der Soldat, der Lester angegriffen hatte, hatte nicht den Hauch einer Chance gehabt. Sogar gegen einen unbewaffneten Gegner. Nun war er bewaffnet und wesentlich gefährlicher. Lester hatte sich das Schwert des Dunkelelfen zu eigen gemacht. Nun sollte der Rest der Kämpfer ruhig kommen. Und das taten sie. Lester rannte auf den Feind zu. Das Schwert kampfbereit, Wut im Bauch und ein Ziel vor Augen.
Sie alle zur Rechenschaft zu ziehen. Der erste der Gruppe griff an. Lester wich dem Schlag aus und trat den Gegner beiseite. Seine Klinge zischte durch die Luft und traf den nächsten Angreifer. Einer weniger. Hinter Lester kam der erste wieder zu sich. Der Tritt war hart gewesen, und seine Rippen schmerzten. Doch er würde kämpfen. Lester hatte schon die nächsten am Hals. Wehrte immer wieder die Schläge ab und stieß die Gegner beiseite. Einer griff ihn nun von dort an. Das Schwert, das Lester führte, riss einem der Feinde noch die Brust auf. Dann drehte er sich und ließ das Schwert herumwirbeln. Der Angriff von der Seite war abgewehrt, doch noch bevor Lester zum zweiten Schlag ausholen konnte, griff ihn der Erste wieder an. Er hatte sich nun vollkommen von dem Tritt erholt. Auch sein Angriff war ohne Erfolg. Lester schlug die Klinge zurück, sprang in die Luft und trat ein weiteres mal zu. Diesmal erwischte er den Kopf seines Feindes. Der Helm zersplitterte und der Dunkelelf  wurde durch die Luft geschleudert. Noch bevor er einige Meter weiter auf dem Boden aufschlug, landete Lester wieder auf den Füßen und führte die nächste Attacke gegen die Feinde aus. Einen erwischte es am Kopf. Er war sofort tot. Der Ansturm von Gegnern wollte nicht stoppen, so viele waren es.

"Kannst du noch weiter?"
"Ich denke schon."
"Soll ich runter und dir helfen?"
Tala sah zu Nirgar rauf. So weit war es nicht. Dafür brauchte sie doch keine Hilfe. Nicht von dem...
"Das schaff ich schon."
Ein lauter Knall. Tala drehte sich um. Ein großer Körper war durch die Decke gebrochen. Ein Drachenreiter. 
"Schnell!!!"
"Was?"
Nirgar starrte den Reiter an. Es kam ihm so vor, als starre er, aber es war nur eine Sekunde der Unaufmerksamkeit. Tala unter ihm hatte angefangen zu schreien und zu kreischen.
"Hilf mir!!!!"

Marlin und Cecil rannten die Straße entlang. Sie stützten immer noch Shyla, die allerdings schon wach genug war, selbst ihre Beine zu bewegen. So kamen sie schnell voran.
"Dort, Marlin."
Cecil nickte in die Richtung eines alten, zur Hälfte eingestürzten Gebäudes. Es war ein gutes Versteck. Sie liefen darauf zu und suchten einen Weg hinein. An der Seite war eine eingestürzte Mauer. Es war nicht schwer über die Trümmer zu klettern und so verschwanden die drei im Schatten des Hauses. Marlin legte Shyla vorsichtig auf den Boden und ließ sich selbst zurückfallen, um kurz auszuruhen. Die Rennerei hatte stark an seinen Kräften gezehrt.
"Marlin?"
Sie war wieder bei vollem Bewusstsein. Shyla. Sie setzte sich langsam auf und sah sich um.  Marlin lächelte sie erleichtert an. Doch schnell verging sein Lächeln wieder, als er über die Situation nachdachte. Die Stadt war so gut wie am Boden. Lange würde sie nicht mehr standhalten. Auch Cecil sah besorgt aus. Er schaute immer wieder zwischen den Trümmern hindurch auf die Straße. Dann wandte er sich an die anderen.
"Welche Waffen müssen die benutzen, um diesen Schaden anzurichten."
"Ich weiß es nicht."
Marlin schüttelte den Kopf. Daran. Er war hier. Noch immer spürte Marlin seine Anwesenheit.
"Ich war es."
Marlin und Cecil sahen überrascht zu Shyla.
"Was meinst du?"
"Ich habe diese Stadt so zugerichtet."
Sie hatte Tränen in den Augen.
"Die Macht, die ich in mir trage. Sie wird immer dann vollkommen entfacht, wenn Daran in der Nähe ist. Ich hatte sie nicht unter Kontrolle."
 

- 32 -
Die letzten Stunden von Orpathia

"Schneller!!!"
Tala und Nirgar waren aus dem Tunnel raus. Sie standen auf einem großen Geröllhaufen am Rande eines kleinen Hangs. Wahrscheinlich ist es alles von oben die Klippe runter gekommen. Egal. Schnell stürzten sie die Höhe hinunter und fassten Fuß auf dem Boden. Ein lauter Knall erschrak sie. Als sie sich umdrehten, sahen sie nur noch die Steine, die auf sie herab fielen. Nirgar packte Tala und schmiss sie zur Seite. Knapp neben den beiden prallten die Felsbrocken auf den Boden. Der Drachenreiter hatte sich den Weg nach draußen frei gerammt und flog über Ihren Köpfen hinweg davon.
"Wir müssen weg."
"Ja."
Tala nickte zustimmend.
"Suchen wir die anderen."

Er hatte es geschafft. Lester stand da. Um ihn herum die Körper seiner Feinde. Auch er hatte Schaden genommen, doch die Wunden waren nicht all zu tief. Ein kleiner Sieg, doch wie sollte es nun weiter gehen? Er sah sich um. Über ihm flogen noch immer Schiffe der Dunkelelfen in die Stadt und suchten nach neuen Anlegeplätzen. Die Invasion war nicht aufzuhalten. Lester drehte sich um und lief los. Nie hätte er gedacht, gegen so viele Gegner zu gewinnen. Im Alleingang. Es galt nun, zum Rest der Truppe vorzudringen. Nirgar, Marlin und die anderen mussten irgendwo in der Stadt sein. Lester erinnerte sich an die Richtung, in die sie verschwunden waren.

"Was sagst du da?"
Shyla sah auf den Boden, als würde sie sich für etwas schämen. Tränen kullerten ihr Gesicht herunter.
"Wieso? Warum kannst du sie kontrollieren?"
Wut erklang in Cecils Stimme. So hatte Marlin ihn die ganze Zeit über noch nicht erlebt.
"Ich... Es ist nun mal noch nie so weit gekommen. Ich konnte diesen Ernstfall nicht trainieren."
Cecil fuhr auf. Er sah Shyla wütend an.
"Cecil!!!"
Marlin meldete sich zu Wort.
"Lass sie. Sie kann nichts dafür."
Fragend sah Cecil zu Marlin herab, der ihm gegenüber auf dem Boden saß. Dann zeigte er mit dem Finger nach draußen.
"Da ist eine Stadt, die in ihre Einzelteile zerbricht. Nur weil Miss Ultimativa hier sich nicht unter Kontrolle hatte. Ich hab alles Recht der Welt mich aufzuregen."
Marlin antwortete ihm nicht. Er sah ihn nur ruhig an.
"Tz."
Cecil schütelte verständnislos den Kopf und drehte sich weg. Marlin wandte sich wieder Shyla zu. Er wollte etwas sagen, doch es fiel ihm nichts ein. Dann sah er Shyla ins Gesicht und merkte, dass es unnötig war, etwas zu sagen.  Er sprang auf.
"Cecil. Es geht wieder los."

Der Schatten glitt über die Dächer der Häuser hinweg. Dachpfannen und Steine wurden vom Wind aufgewirbelt. Der mächtige Körper des Drachen schwebte durch die Luft. Er suchte etwas. Nur was? Der Schatten zog an Lester vorbei. Er sah nach oben. Da war er. Daran. Er war gekommen. Die Schlacht um Orpathia hatte begonnen. 

Er hatte es auch wieder im Gefühl. Der Drache war hier. Und er kam näher. Aber was war mit Shyla. Sie schwebte im Raum ein paar Zentimeter über dem Boden. Ihre Arme und Beine hingen schlaff herunter. Der Kopf war auf die Brust gesackt. Marlin wollte zu ihr, doch schon als er sich bis auf zwei Meter genähert hatte, konnte er nicht weiter. Dieses grelle Licht. Es war wieder da, aber schwächer. Es ließ niemanden an Shyla ran.
"Nicht schon wieder."
Cecil zog an Marlins Arm.
"Wir verschwinden hier."
Marlin sah ihn an. Dann blickte er zu Shyla. Sie würde sicher klar kommen. Er nickte.
Sie rannten raus auf die Straße. Marlin spürte es immer deutlicher. Daran war hierhin unterwegs. Plötzlich fiel es Marlin ein. Er spürte ihn auch. Daran konnte Marlins Anwesenheit genauso spüren wie umgekehrt. Fliehen erschien schwachsinnig. So blieb er stehen. Langsam drehte Marlin sich um.
"Was ist? Komm schon, mann. Wir haben keine Zeit."
"Geh."
Cecil sah verdutzt zu Marlin rüber.
"Was?"
"Du sollst gehen. Finde die anderen. Ihr müsst aus der Stadt raus."
"Aber..."
"Cecil. Daran spürt meine Anwesenheit. Bei mir bist du in Gefahr."
Cecil zögerte. Plötzlich tauchte eine Gestalt neben ihm auf. Er drehte sich zur Seite. 
"Lester..."
Marlin sah sich um.
"Lester. Du hast es geschafft?"
Der Dunkelelf war außer Atem. Er sah Marlin an und nickte. Dann wandte er sich an Cecil.
"Was ist? Warum steht ihr hier so rum?"
"Marlin will nicht mit zurück."
"Was?"
"Ihr seit in Gefahr. Daran findet mich, egal wo ich bin. Und deshalb solltet ihr nicht bei mir sein, wenn es soweit ist."
Marlin verspürte einen kurzen stechenden Schmerz in seinem Kopf. Erschrocken drehte er sich um.
"Er ist schon sehr nahe."
Lester nickte.
"Nimm das."
Er warf Marlin das Schwert zu, mit dem er den Kampf gegen die Dunkelelfen geführt hatte. Marlin fing es am Griff auf und nickte Lester zu.
"Danke. Und jetzt geht!"
Nur zögernd drehten sich die beiden um. Dann rannten sie von ihrem Freund weg. Nur Sekunden Später spürten sie die Erschütterung und hörten den Lärm. Daran war hinter ihnen gelandet und hatte mit der Wucht und der Kraft, die dabei aufkamen, den Boden aufgerissen. Marlin stand etwa zweihundert Meter vor dem Tier. Er atmete tief durch, hob die Klinge, hielt sie fest mit der Rechten, und legte seine Linke auf den Griff. Noch einmal atmete er tief ein, bereitete sich seelisch auf sein Ende vor. Er schloss die Augen für einen Moment. Ein dritter Atemzug. Er riss die Augen wieder auf.
"KOMM HER!!!!!"
 

© V.Geist
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Und schon geht's weiter zum 33. (und letzten) Kapitel

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