Der Schnee wurde in leichten Schleiern von den scharfzackigen Kuppen
und Felsen der Rockhornscharten verweht. Es herrschte tiefste Nacht, das
Ende des alten Jahres war gerade vorüber, dunkle Wolken trübten
das hohe Sternenzelt. Einzig und allein die beiden kalkweißen Monde
starrten zwischen Wolkenfetzen hervor, sandten ihr grelles Mitternachtslicht
und beschienen das eisige Tauwasser, was sich in Kuhlen und Felsspalten
gesammelt hatte und an deren Rändern noch immer Eiskristalle schimmerten.
Eisigkalt stand der Schatten da, gehüllt in zerrissene,
dunkle Gewänder und Tücher, geisterhaft schwebte er im Nichts
der ödesten Leere, streckte seine Hand nach dem Betrachter aus, wollte
ihn nicht ergreifen, sondern eher segnen, wie es die Priester in den Tempeln
und Kathedralen des Herrn der Winde taten. Der Betrachter wand sich in
der Kälte, die sich um ihn geschlossen hatte und in der Schwärze,
die ihn hielt, doch nichts nützte, der schattige Schleier, die vermummte
Gestalt lenkte weiter ihre Gesten und Stimmen ringsumher stimmten mit ein,
als der Schatten mit einer dröhnenden Stimme begann zu sprechen.
"Sieh her, Sterblicher, ich bin Senragor Allagan, der war."
Es kristallisierte sich ein Gesicht aus den Schatten der Kapuze
hervor, ein scharfgeschnittenes mit einem Bart, der den breiten Mund umrahmte,
Falten hatten sich auf der Stirn gebildet. Es war, als wäre diese
Kreatur seit ewigen Zeiten gemartert worden, Striemen und Narben zogen
sich über das Gesicht und die Augen, die in tiefen, faltigen Höhlen
lagen, strahlten ein gleißendes Licht aus. Die Gestalt flimmerte
geisterhaft, als sie drohend den Arm hob.
"Sieh her, Sterblicher!", befahl der Schatten. "Lese du in meinen
Augen, du willst sie wissen, die Zukunft." Der Betrachter starrte, schien
vor Angst und Kälte zu zittern, doch es tat sich nichts in den Pupillenfunken
des Geistes.
"Sieh her, Sterblicher, letzter Nachfahre der magiebedachten
Allagans, Thronn Warrket, sieh her, was geschieht." Jetzt formten sich
auf einmal Bilder in einem magisch leuchtenden Kreis vor dem Schatten,
die erst wie wild kreiselten und rotierten, dann aber doch deutlich hervorgingen.
"Lese in den Bildern der ewigen Zeit, wie es um das Land steht." Bilder
der ewigen Zeit? Was sollte das bedeuten? Der Betrachter verstand nicht
so recht, hielt seinen geistigen Blick aber dennoch auf den sich drehenden
Kreisel vor seinen Augen gerichtet. Er sah einen wuselnden, schwarzen Teppich
aus wild zuckenden Leibern, die sich über hohe, graue Ebenen und Täler
hinwegsetzte. Grauen stieg in ihm empor und er kämpfte dagegen an,
nicht sofort vor Qualen aufzuschreien, denn er spürte wahrlich, was
diese Kreaturen in den Bildern für einen Schrecken verbreiteten. "Wiedereinmal
ist die Vernichtung der Länder nah, doch diesmal ist sie wirklich
und von ungeahnter Größe, finde das Mittel, diese Woge der Gewalt
aufzuhalten, Hexer, finde eine Möglichkeit." Die Stimme dröhnte
und hallte, wurde von einem geisterhaften Rauschen und Summen begleitet,
im Hintergrund schienen sich Verzweiflungsschreie zu lösen und kurz
darauf zeigte das Bilderorakel einen Haufen Leichen, auf dem Fliegen saßen.
"Du hast nun die Zukunft gesehen, wie sie sein könnte, wie sie sein
wird und wie sie war, löse das Rätsel um die Klinge und tu, was
dir aufgetragen wurde, letzter Nachfahre der Allagans." Der Schatten schien
sich nun aufzulösen und im Inneren des Betrachters hatte sich die
Leere in ein volles Maß an Fragen und Befürchtungen verwandelt,
Befürchtungen, die das Schlimmste der Orakelbilder übertrafen.
Plötzlich meldete sich die geisterhafte Stimme noch einmal
mit einer solchen Macht und Intensität, dass das Nichts um die vermummte
Gestalt herum förmlich zu vibrieren begann:
"Erfülle deine Bestimmung, Thronn Warrket! Ich, der Schatten
von Senragor Allagan, Sohn von Sendinior Allagan, dem Herr über alle
Magie, befehle es! Ich, der welcher war, kehre nun in mein Reich der Schatten
zurück, die Botschaft sei dir nun übermittelt, letzter Hexer
von Rohan!"
Auf einmal löste sich der Schatten in Luft auf, versiegte
im Nichts, doch dann schlug ein Blitz ein und donnern hallte und noch bevor
der Schatten ganz verblasst war, riss es den Mann aus seinem Schlaf. Der
Wind pfiff eisig und laut, das Feuer war schon seit langem ausgegangen,
nur noch die glühenden Kohlen erinnerten an die Lagerstelle. Er befand
sich mitten in den Rockhornscharten, einem kleinem Gebirge, das aber trotzdem
von solcher scharfen und spitzen Felsen besetzt ist, dass es gefährlicher
ist, als ein Hochgebirge.
Es krachte wieder und ein greller Faden aus Licht wand sich unweit
vom Himmel herab. Der gewaltige Schneesturm, welcher Thronn schon seit
Tagen im Genick saß, hatte ihn eingeholt. Der Sturm raste auf ihn
zu, peitschte Flocken und kleinere Steine auf ihn nieder, war schwarz und
begann sich nun zu einem Festen Tornado zusammenzukeilen, der bis in die
dunklen Wolkenschleier über ihm reichte. Warrket spürte, wie
er ihn ergreifen wollte, doch er zögerte nicht lange, sondern stemmte
sich gegen die saugende Kraft des tosenden Windes, setzte seinen Weg nach
Norden fort. Er musste um jeden Preis nach Trishol gelangen, musste es
schaffen, die Stadttore zu erreichen, wie es ihm in seinem Traum gerade
noch einmal gesagt worden war. Der seltsame Schatten hatte ihn ermahnt,
sich durch nichts aufhalten zu lassen, sei es noch so schlimm, er musste
es einfach schaffen. Schnell raffte er den Rucksack vom Boden hoch und
schulterte ihn sich, spürte, wie die kleinen Steine unter seinen Sohlen
von dem Tornado angesaugt wurden und er machte sicherheitshalber einen
Schritt nach vorne, um nicht auf ihnen wie auf Murmeln auszurutschen.
Die große Sturmsäule schob sich weiter voran und sog
alles in sich hinein und Warrkets Glieder schmerzten, da dies gerade seine
erste Pause seit Wochen gewesen war. Verbissen kämpfte er sich weiter,
bis er einen kleinen, schmalen Pfad erblickte, der sich in einem einigermaßen
windgeschützten Gebiet fortpflanzte. Ohne zu zögern nahm er ihn
und auch schon ließ der Sog etwas nach, da die spitzen Felsen, die
sich wie die Zähne eines Drachen in die kühle Luft wandten, den
Windschleier etwas zerrissen und fast so etwas wie eine Kuppel über
ihm bildeten.
Gott sei dank zerfiel sich der hetzende Sturm nach einigen Metern
wieder hinter ihm, wie es die Stürme meistens in diesem Gebiet taten,
sie kamen und gingen.
Immer noch keuchend setzte er seinen Weg fort, vertrieb aber diesmal
den Gedanken an Schlaf, da ihm immer noch nicht so recht wohl dabei war,
ein weiteres Mal seinen Vorfahren zu sehen, er wusste auch so gut genug,
was seine Aufgabe war und so scherte er sich jetzt nicht weiter drum und
marschierte einfach ungezwungen weiter die steilen, grauen Hänge hinab
und die beiden Mondsicheln begannen ebenfalls schon ihren Weg, diesmal
etwas wolkenloser, fortzusetzen.
Schatten lagen hier überall hinter rauen Steinblöcken
und hohen Felsen, die das Gelände ziemlich unübersichtlich machten,
doch den jungen Hexer störte dies nicht, ihm war es egal, wie dunkel
so ein Pfad war, Hauptsache, er war hier sicher und geschützt vor
den Stürmen, die oft aufbrausten.
So setzte er also dann seinen schon lange vorbestimmten Weg fort
und war sich nicht bewusst, dass ihn jemand heimlich beobachtete...
***
Es hallten die Hufe auf den rauen Pflastersteinen, als eine kleine
Gruppe durch das Tor von Krakenstein geritten kam. Insgesamt waren es acht,
allesamt in dunkle Mäntel und Umhänge gehüllt. Nach dem
Torgang folgte eine Brücke, die sie durch ein zweites Tor schließlich
in den Burghof führten. Mit einem erst quietschenden und dann krachenden
Geräusch schlossen sich die Tore und das Fallgitter wurde heruntergelassen.
Überall liefen Ritter oder Bauern umher, die sich vor etwas
Unsichtbarem in Sicherheit zu bringen schienen. Tatsächlich bereiteten
sich alle auf den nahen Angriff aus dem Osten vor.
Josias Kajetan, der Truppführer, stieg mit Schwung von seinem
stämmigen Gaul ab und stolzierte auf das bewachte Eingangstor der
Herrenburg. Erst kreuzten die Wachen die Lanzen vor ihm doch mit einer
Handbewegung des Festungstorwächters nickten die Wachen stumm und
ließen Josias schließlich hindurch. Kajetan war ein sehr muskulöser
Mann mit einer Hakennase und einem hungrigen Blick. Das Haar hatte er kurzgeschnitten,
nur am Hinterkopf hing ihm ein langer, silberweißer Zopf vom Haupt.
Seine Kleidung bestand aus oft geflickten Lederteilen, mit Eisen verzierten
Handschuhen, einem Oberschenkelschutz, sowie wärmenden Schulterpolstern
aus Wolfsfell.
Seine schweren, mit Eisen beschlagene Lederstiefel hallten donnernd
auf dem marmornen Boden des Saales. Durch spitz zulaufende Fenster aus
Buntglas drang ein gedämpfter Lichtschein, und dort, wo das Licht
nicht hinfiel, waren Kerzen angezündet. Am Ende des Raumes befand
sich eine steile Treppe, die sich nach ein paar Metern zu einer Wendeltreppe
veränderte. Das Breitschwert, welches in einer Schwertscheide an seinem
Rücken gesteckt war, schwenkte bei jedem anstrengenden Schritt zur
einen oder anderen Seite. Es war nun mal nicht leicht, mit so einer schweren
Panzerung Treppen zu steigen.
Er fühlte es genau, er musste schon einmal hier gewesen sein.
Die Gänge und Tunnel schienen ihm alle so bekannt, dass er glaubte,
hier sein ganzes Leben verbracht zu haben. Vielleicht, dachte Josias, könnte
ihm der König Auskunft über diese vertraute Gefühl geben.
Da bedrängte ihn plötzlich eine weitaus wichtigerer Frage, was
die Sicherheit des Königs anging: Warum befanden sich hier keine Wachen?
Er entschied, den König auch danach zu fragen, und ging mit gedankenverlorener,
aber strenger Miene weiter.
Endlich waren die Stufen zuende und er befand sich in einem Raum,
von dem aus man die ganze Festung überblicken können musste,
denn als er sich dem Buntglasfenster entgegenlehnte, erkannte er unter
sich den Burghof, auf dem seine Kameraden immer noch geordnet auf ihren
Rössern saßen.
Auf einmal öffnete sich eine schmale Tür, dort, wo sich
gar keine Tür befand. Und selbst jetzt sah Kajetan nichts, da war
nur die Erinnerung, ein Geräusch gehört zu haben. Nun erklang
der kratzende Laut ein zweites Mal und diesmal erkannte der Truppführer
und Feldherr, dass sich etwas hinter dem roten Wandteppich dort drüben
regte. Mit der Hand auf dem Schwertgriff wartete er ab, bis der Teppich
zur Seite gestoßen wurde und sich eine hagere Gestalt darunter hervorschob.
Es war der König.
"Man kann nicht vorsichtig genug sein in diesen Zeiten.", sagte
der König und schüttelte dem Mann, der ihn offenbar um zwei Köpfe
überragte, die Hand. "Der Feind versucht mit allen Tricks hier in
die Festung zu kommen, also gab ich meinem Festungstorwächter den
Befehl alle Lebewesen ohne triftigen Grund wieder fortzuschicken..." Er
räusperte sich. "Ganz sicher gehen kann man natürlich nie, Truppführer..."
"...Josias Kajetan...", sagte der Krieger und schüttelte dem
König die Hand. Dieser verzog dabei leicht das Gesicht, da Josias
seine Hand wohl zu fest drückte.
"König Valbrecht, Herr von Krakenstein und den umliegenden
Gefilden und so weiter..." Er machte eine abfällige Geste und fragte
dann nach dem Grund ihres Aufenthaltes hier.
"Wir haben eine Nachricht von dem hiesigen Hexenmeister erhalten.",
antwortete Kajetan und wippte etwas ungeduldig mit dem Fuß.
"Meister Timotheus?" Sein Blick war erstaunt. "Er hätte es
mir gesagt, wenn er einen Boten losgeschickt hätte... Glaubt ihr wirklich,
dass er euch herberufen hat?"
"Da bin ich sicher!", murmelte der Truppführer und zog ein
eingerolltes Stück Pergament unter seinem Lederschutz hervor. Er hielt
Valbrecht das Papier hin, der still zu lesen begann.
Als er fertig war, seufzte er und warf einen beurteilenden Blick
zu seinem Gegenüber hinauf.
"Es scheint wirklich seine Schrift zu sein... Aber ich kann mir
nicht vorstellen, dass er vergessen hat, mich zu benachrichtigen..." Er
schwieg betrübt, hatte offensichtlich eine gute Freundschaft mit dem
Hexenmeister gepflegt. "Nun denn", sagte er dann, "ich werde euch in den
Warteraum bringen. Ich benachrichtige ihn und dann wird er kommen. Euren
Freunden gebe ich eine Unterkunft in der Wachstube..."
Er wollte sich gerade umdrehen und fortgehen, als Josias Arm hervorschnellte
und seine Schulter packte. Sein Gesichtsausdruck war ernst.
"Wir brauchen keinen Schlaf und wollen auch nicht warten. Lieber
möchten wir sofort zu Meister Timotheus gelangen!"
Valbrecht stutzte, zog die Augenbrauen nachdenklich hoch. Ein gefährlicher
Moment, in welchem sich die Beiden feindselig in die Augen starrten entstand.
"Ich werde dafür sorge tragen, dass die Freitruppe von Antarus
als Gast auf unserem Schloss bleibt, nicht als Vorbeireisende. Nun, so
oder so werden eure Wünsche erfüllt, Truppführer!" Mit einem
Ruck machte sich der König von ihm los und huschte wie ein lautloser
Schatten die Wendeltreppe hinab. Der Krieger folgte ihm fast ebenso tonlos.
Der König war eben nur alt, dachte er sich, und von der Welt
verschmäht. So ein verbitterter, kleiner Mann war ihm noch nie unter
die Augen gekommen. Mit einer einzigen, blitzenden Bewegung hätte
er den Kerl töten können und das wusste auch der König.
Doch warum hielt er sich nicht zurück, wenn er in Situationen hineinschlitterte,
die ihm einfach über waren? Vielleicht war eben genau das seine Taktik,
seine Gegner einzuschüchtern. Bei ihm hatte er es jedenfalls geschafft.
Es musste etwas sein, das Valbrecht beunruhigte, ihn wiederstreben ließ,
ihm den Weg zu den Gemächern des Zauberers zu zeigen.
Der Schein des Königs Kerze, die er aus einer Vertiefung in
der Wand mitgenommen hatte, um die dunklen Stellen der Treppe zu beleuchten,
loderte vor ihm immer heller, das Zeichen, dass sie bald auf gleicher Höhe
sein mussten. Als das geschah, fragte der Truppführer verständnisvoll:
"Was... ist passiert?"
"Er war mein Freund." Der Feldherr war erstaunt, der König
musste offensichtlich an genau das gleiche gedacht haben wie er. "Im Krieg
haben wir oft zusammengekämpft, Rücken an Rücken... Er mit
der Magie und ich mit dem Schwert. Ein ungleiches Paar, findet ihr nicht?"
Das erstaunte ihn jetzt noch mehr, Valbrecht war völlig offen
und ehrlich zu ihm, sprach frei über seine Gefühle. Als Antwort
schüttelte er den Kopf. "Nein, nein, ganz und gar nicht, ein Zauberer
sollte seinem König beistehen!"
"Ich war damals noch nicht König." sagte der König stockend.
Das schüttere Haar hing ihm ins Gesicht und er streifte es beiseite.
Auf seinem Kopf saß eine kleine, goldene Krone, die fast nur ein
verzierter Reif zu sein schien. Der König selbst war in roten Samt
gehüllt, trug offensichtlich seinen Morgenmantel, obwohl es bereits
Mittag war.
Kajetan schluckte. Das, was der Mann ihm gerade anvertraute, war
mehr als nur eine Geschichte, die gerade so passiert war.
"Wie wurdet ihr König?", fragte er. "Wenn nicht durch euer
Erbe, dann doch anders..."
"Es war genau wie du sagst, Truppführer." Plötzlich sprach
der König wieder mit Abscheu von ihm. "Ich wurde nicht als Prinz oder
so etwas ähnliches geboren. Ich war..." Er zögerte und wählte
seine Worte genau. "...ein Gesetzloser."
"Und wer hat euch zu einem Träger des Gesetzes gemacht? Wie
ich weiß, ist das nicht einfach. Ich saß drei Jahre hinter
Gitter und Stahl, bevor sie mich zu einem Soldaten beförderten."
Die Augen des Königs funkelten beurteilend, wollten nicht alles
glauben, was der seltsam neue Mann da vor ihm berichtete. Wollte er ihn
etwa zu einem längeren Gespräch einladen? Gab es etwa Jemanden,
der sich für seine Gräueltaten in der Vergangenheit interessierte?
Er beschloss ihm einen Anhaltspunkt zu geben, um die Sache spannender zu
machen.
"Ich sage nur so viel: Timotheus hat mir geholfen und ewige Treue
geschworen. Ob er dabei geblieben ist, stellt ihr und eure Nachricht heute
in Frage."
Es waren die letzten Worte des Königs, die er im Zusammenhang
mit diesem Thema hörte, dann herrschte lange Zeit Stille unter ihnen.
Als sie bei der normalen Treppe angelangt waren, legte Valbrecht
die flache Hand auf einen bestimmten Steinquader und drückte. Mit
einem knackenden Geräusch schwang die Wand aus grob gehauenen Felsbrocken
zur Seite und gab den Weg in eine düstere, von der Natur geschaffenen
Höhle frei.
"Ganz Krakenstein ist aus einem Berg gebaut worden. Die Höhle
gab es schon lange und außerdem liebt er diese Umgebung.", erklärte
er und leuchtete in den Gang. Die Kerze erhellte Stalaktiten und Stalagmiten,
die jeweils von der Decke herunterhingen oder von unten nach oben verliefen.
Die meisten jedoch waren zusammengewachsen und bildeten eine große
Säule, die von der Decke bis zum Boden reichte. Die Wände glitzerten
feucht und das Aufschlagen von Wassertropfen auf den seichten, unterirdischen
See hallte in regelmäßigen Abständen.
Josias staunte nicht schlecht und betrachtete voller Eifer seine
Umgebung.
"Hole jetzt deine Freunde, ich werde hier auf dich warten!"
Die Stimme des Königs war wieder vertrauensvoll und nett. Kajetan
bedankte sich mit einem kurzen Nicken und verließ dann das Reich
der Schatten, um über die Treppe in den Saal und von dort wieder in
den Hof gelangen zu können.
Kaum hatte er sich bei seinen Männern eingefunden und in ihre
ernsten Gesichter geblickt, kamen schon wieder aufgeregte Rufe von drinnen
und auch die Stimme des erregten Königs war zu vernehmen. Josias stand
zwar mit dem Rücken zu den Schlosstoren, doch sobald es krachte bewegten
sich deren Augen dorthin und der Truppführer wusste, dass es sich
Valbrecht anders überlegt hatte. Nun wandte auch er sich nach einem
vorsichtigen Seufzen um.
Da stand der König, die Mundwinkel tief herabgelassen, die
Arme schlaff am Körper baumelnd und fast Tränen in den Augen.
Vorsichtig stapfte er die steinerne Treppe in den Burghof hinab.
"Timotheus möchte euch allein sprechen... Er sagt, ich hätte
keine Verwendung mehr für ihn..." Er stieß die Luft scharf durch
seine Nasenlöcher aus und senkte das nun nicht mehr ganz so königlich
strahlende Haupt. "Es genügt wohl, wenn ich euch zu ihm hereinbitte,
er würde euch, Truppführer, lieber im Besprechungssaal empfangen."
Sein Schniefen war laut und kam nicht unerwartet. "Ich hoffe, es macht
euch nichts aus, wenn ich... eure Kameraden in ihre Gemächer geleite..."
Kajetan nickte. "Dann werde ich jetzt wohl zu ihm gehen.", sagte
er und drängte sich mit schnellen Schritten an dem König vorbei.
Als er an der obersten Stufe angelangt war, warf er eher aus Routine einen
Blick hinter sich, doch traf sich sein Blick mit dem des Königs. Ein
eisiges Zucken durchfuhr den Truppführer und er merkte, dass er Valbrecht
irgendwie innerlich verletzt hatte. Es lag in seinen Augen, die giftgrüne
Farbe stach hervor, schien einen zu durchbohren, doch waren trüb und
somit geschwächt, die Brauen trauernd verschoben. Ein Gebräu
aus Wut, Leid und großem Stolz brodelte in ihnen, wollte nicht nachlassen.
Schweren Herzens wandte der sonst so starke Führer den Blick
ab und stieß die großen Flügeltüren, die mit vergoldetem
Eisen beschlagen waren, vor sich auf. Nach einem kurzen Schnaufer war er
plötzlich unkonzentriert und konnte fast den Weg nicht mehr bis in
das oberste Zimmer, in das der König ihm vor ein paar Minuten durch
den Geheimgang begegnet hatte.
Was war mit diesem stolzen Mann nur los, fragte er sich andauernd,
während er sich mit aller Kraft an den Wänden abstieß und
weitere Stufen hoch taumelte. Es schien ihm, als hätte ihn alle Kraft
verlassen, sich in einem nie endenden Sog verloren. Was war mit ihm los?
Färbte die Trauer und die Mutlosigkeit des Königs etwa auch auf
ihn ab? Verwirrt schüttelte er den Kopf und strich sich über
das seidige Haar, nein, es kann so nicht sein! Ich habe einfach nur etwas
wenig geschlafen letzte Nacht, versuchte er seine Gedanken zu ordnen. Tatsächlich
hatte er in der letzten Nacht überhaupt nicht geschlafen, irgendetwas
hatte ihn so beunruhigt, dass er die ganze Nacht wie gebannt in die kleinen
Flammen ihres mickrigen Lagerfeuers gestarrt hatte. Er hatte das Gefühl
gehabt, Stimmen zu vernehmen, die es nicht geben konnte, ein Säuseln
im Wind vielleicht...
Während er so dachte war er wie von selbst in Richtung Ratssaal
gegangen und stand sich nun nach einer weiteren Tür einer großen
Ansammlung von Tischen und Bänken gegenüber, in einer Halle,
die bestimmt so hoch war, dass er sich zehnmal übereinanderstellen
konnte und immer noch nicht mit dem Kopf gegen die Decke stoßen würde.
"Ganz Burg Krakenstein ist in das Gebirge hineingebaut, die großen
Hallen verstecken sich in den Gebirgskämmen!" Die Stimme hatte sich
von irgendwo auf der anderen Seite des Raumes gemeldet und gehörte
einem hochgewachsenen, dürren Kerl in einer hellgrünen Tunika
und einem langen Ziegenbart. "Gestatten, Hexenmeister Timotheus Warrket.",
stellte er sich vor und machte einen kleinen Hofknicks.
Förmlich verbeugte sich Josias, schielte aber dann doch von
Neugier auf das fremde Gesicht fast zerrüttet nach oben. "Josias Kajetan,
Anführer der Freitruppe!", sagte er mit der Faust auf dem Herz und
stand stramm.
"Oh, ein General..."
"Wir freien Leute haben keinen Dienstgrad, Sir.", belehrte ihn Kajetan,
wobei er aufs äußerste darauf bedacht war, nicht zu überheblich
zu klingen.
"So, so.", machte der Alte und ließ sich in den Thron am Kopfende
des Tisches sinken. "Ich verstehe schon, ihr wollt endlich wissen, warum
gerade ich euch herberufen habe und nicht Valbrecht." Der hünenhafte
Truppführer nickte dankend und aufmerksam. "Nun, es ist eigentlich
ganz einfach." Er verschlang die Finger ineinander. "Das Westland wird
von einer nie gekannten Katastrophe heimgesucht. Von Außen und von
Innen wird das Land von etwas abscheulichem befallen, das seinen Ursprung
in der Magie hat. Es kommt aus dem Wald, hat Jahre überdauert und
wurde nun von etwas geweckt, das größere Macht als es besitzt.
Sie werden mit Hilfe der Macht dieses Allwissenden Wesens das Bündnis
der drei Länder zerreißen. Sie werden das ganze Hochland mit
ihrem Schrecken überschwemmen, Rovanion ist bisher noch unbehelligt
worden, doch wer weiß, wann es zu spät sein wird. ...Es ist
das Beste, wenn wir die Landesgrenzen festigen und uns auf einen größeren
Ansturm vorbereiten. Der Feind lauert praktisch schon vor unserer Haustür.
...Mein Sohn, Thronn, hat sich bereits auf den Weg nach Trishol gemacht.
Er wird verhindern, dass sich Spitzel innerhalb der Stadttore organisieren.
Hier in Krakenstein ist das leider schon passiert." Er schluckte. Das war
wohl das Zeichen, dass sich Kajetan setzen sollte.
Fassungslos starrte er den Zauberer an. "Wie... Was... Was hat die
Freitruppe mit dem ganzen zu tun?"
"Ich glaube, es steht schlimm um meinen Sohn... mein Neffe ist tätig
bei dir in deiner Gruppe. Er... Mein Sohn, Thronn, braucht Unterstützung.
Er wird es auf keinen Fall vor der Belagerung des Landes schaffen Melwiora
aufzuhalten, Riagoth kennt alle Tricks, um ihre Feinde in magische Bänder
einzuwickeln und sie für sich zu gewinnen. Ein Teufelkreis..."
© Benedikt
Julian Behnke
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse
bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
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