Tänzelnd durchstreifte er das Feld aus toten und verstümmelten
Leibern, bis das Wutgeschrei nur noch wenige Yard von ihm entfernt war.
Dann holte er aus und ließ den Stahl seiner Klinge in die Halterung
des Fallgitters fahren. Die Waffe drang mit Leichtigkeit in die Kette ein
und funkensprühend glitt das Fallgitter den Stein hinab.
Was macht ihr da, dachte Rune entsetzt. Was wäre, wenn er sich
jetzt in eines dieser Dämonen verwandeln würde und sie anfallen
würde, während sie hinter Schloss und Riegel der Burg gefangen
waren?
In seinem Phantasieren malte sich der junge Meridian viele schreckliche
Sachen aus, die passieren könnten, wenn er hier allein mit ihnen wäre
und das Eindringen dieses Schleimes gefährlich wäre...
Mit einem lauten Krachen und dem nachhallenden Rasseln von durch
die Luft peitschenden Ketten krachte das Gitter aus dicken Eisenfugen herunter
und schloss somit den Eingang in die Burg. Jetzt würde es für
die Angreifer schwieriger werden, in den großen Burgturm einzudringen,
als es noch vor wenigen Minuten gewesen war, doch Rune interessierte es
nicht, denn er begann langsam sich wieder besser zu fühlen, der Schmerz
und die Erschöpfung ließen nach. Vielleicht war er ja wirklich
einfach nur zu müde und zu ausgepowert gewesen, um weiter zu kämpfen
und hatte nur eine kleine Pause gebraucht, um wieder zu Kräften zu
kommen. Aber das wichtigste war erst einmal, das Trajan wieder zu ihnen
gekommen war.
Der riesige Krieger schob das Breitschwert wieder zurück in
die Scheide auf seinem Rücken und sah seine Mitstreiter abschätzend
und zögernd an. "Tut mir leid, dass ich zu spät komme.", sagte
er mit tiefer Stimme, in der keinerlei Schwäche, nur Ruhe mitschwang.
"Ich konnte nicht schneller kommen. Ich war verhindert...!"
Stille herrschten auf den vom schmelzenden Schnee nassen Straßen,
dunkel gefärbt und von dem verrotteten, mit Wasser vollgesogenem Holz
der Balken, die einige der Häuser - jetzt fast ausschließlich
Ruinen - stützten. Die Dächer glänzten wie frisch lackiert
und an vielen Stellen zeigten sich Löcher und Bruchstellen, dort wo
die Geschütze der Angreifer getroffen hatten. Verkohlte Bauteile lagen
in zertrümmerten Schuppen und geschwärzte Pfeile steckten in
den verbrannten Überresten von Strohdächern, in der Luft hing
ein beißender Schwefelgeruch, Nebelschwaden hingen dicht über
dem Boden und waren wie eine einzige große, weiße Wand, die
alles durchdringen konnte, Mauern, Türen, Wände, Stahl und Fleisch.
Gestalten bewegten sich dort als Schatten in unterschiedlicher Größe,
enggekauert in ihre weiten Mänteln, die bis zum Boden reichten.
Thronn bewegte sich schneller. Er hatte das ungute Gefühl,
dass sie Melwioras Schergen näher waren, als sonst, allein der bloße
Gedanke an die drei schwarzen Reiter ließ ihn erschaudern. Und er
fragte sich, nach was sie hier eigentlich suchten? Die Stadt war doch zerstört,
die Tieflanddämonen schlichen hier zu Hunderten herum und ihre Klauen
waren scharf und Bogen und Schwert konnten sie nicht ewig aufhalten. Erinnerungen
an den Tag, an dem er den Seraphim losgeschickt hatte, kamen ihm, und er
war betrübt, da er seine Kraft, seine Magie, für nichts, außer
einem kleinen fliegenden Teufel das Leben geschenkt zu haben, entblößt
hatte. Nun wusste Riagoth mit Sicherheit, wo er sich befand und er hoffte,
dass ihr wenigstens der blutrote Seraphim nicht in die Arme fliegen würde.
Geheimnisse der Macht würden offenbart werden, Geheimnisse, die er
lieber für sich behalten würde.
Die Gasse, in die sie jetzt einbogen, war enger und lag völlig
im Schatten, sodass sie einige Zeit gar nicht gesehen werden konnten, nur
ihre Augen und Schwerter glommen ab und zu auf, als sich fernes, silbriges
Mondlicht in jenen und darauf spiegelte. Ihre Blicke glitten hin und her,
suchten die Gegend systematisch ab und verbargen ihre Waffen kampfbereit
unter ihren Mänteln. Auf ihren Gesichtern lag Entschlossenheit, aber
auch die Schweißperlen der Angst glänzten darauf und mischten
sich mit dem leichten Nieselregen. Alle hatten sie ihre Kapuzen tief in
die Stirn gezogen und ihre Haltung war geduckt oder überragend. Dario,
der junge Hochländer, ging geduckt, das Schwert in der Scheide auf
dem Rücken, den Bogen bis zum Zerreisen gespannt in seinen Händen
und sein Ausdruck war kalt und unnachgiebig, Schatten umspielten seine
Augen und so kam nur ein leichtes Blitzen und Funkeln durch. Das mit Bartstoppeln
übersäte Antlitz und die dichten Brauen, die kantigen Züge
und der schmale Mund, machten aus ihm eine undefinierbare Gestalt, geschaffen
aus Schatten, Kraft, Mut und Intelligenz, die trotz ihrer Größe
leichtfüßig und mit angespannten Muskeln ging.
Ein großer Schemen hinter ihm war Warrket, der seine bloßen,
knochigen Hände an die in Leder eingebundenen Griffe zweier Schwerter
legte. Beide waren etwa ein Yard lang und besaßen nur eine Schneide,
die dafür aber umso schärfer waren. Der leichte Wind wehte ihm
kalt ins Gesicht und sein Säuseln war wie ein Flüstern in seinen
Ohren, das ihm Kunde von den fernsten Begebenheiten seines Landes brachte.
Er hatte es vorgezogen, seine Magie nicht einzusetzen, denn die Anwendung
war einerseits sehr schmerzhaft für ihn, und andererseits würden
die Mordgeister sofort über ihn bescheid wissen. Er blinzelte und
es war, als ob plötzlich zwei Sterne aufblinken würden, als er
seine Augen wieder öffnete. Gedanken pfiffen ihm durch den Kopf, mehr
noch, als ein menschliches Gehirn zu fassen im Stande war, es würde
zerspringen und all das gesammelte Wissen würde für immer verloren
gehen...
Er schüttelte den Kopf. Nein, sie kamen viel zu langsam voran,
er durfte sich jetzt nicht mit den Lappalien seines Geistes aufhalten!
Plötzlich spürte er aus dem Augenwinkel, wie sich etwas
jenseits der Schatten bewegte, ein leises Schaben wie von Krallen aus Stein
und ein Körper, der sich gegen eine Hauswand legte. Sofort erwachte
er aus seiner Trance und alle Blicke richteten sich auf ihn, als er mit
einer schwungvollen Geste plötzlich seine beiden Schwerter zog und
ein gleißender Schimmer alles umspülte, dann stürzte er
sich, selbst nur ein verwischter Umriss, auf das Wesen, das sich dort in
den Schatten verborgen hatte, und seine Klingen sirrten todbringend in
der Luft, ließen Holz splittern und verkohltes, verwittertes Mauerwerk
bröckeln...
Und dann löste sich auf einmal etwas hochgewachsenes, dunkles
aus der Hausecke, sprang mit einem erstickten Keuchen auf die Straße.
Es trug ein zerschlissenes rotes Gewand, bestickt mit silbernen Knöpfen
und schwang ein Messer in den Fingern, dessen schnelles Aufblitzen allein
gereicht hätte, um einem Mann das Leben zu nehmen. Ein langer, seidiger
Haarschopf waberte über ein von Düsternis umspieltes Gesicht,
dessen Augen selbst nicht zu erkennen waren. Noch in der gleichen Bewegung
vollführte Warrket mit seinen beiden Schwertern einen Kreis und ließ
sie auf den Fremden krachen, dessen Dolch zwei, drei mal blitzte, die Luft
zischend zerschnitt und Funken sprühten, als sich die beiden Klingen
trafen und kreischend auf einander schabten.
Die fremde Gestalt taumelte leicht zurück, hielt aber immer
noch dass Messer fest umklammert und wehrte die kräftigen Streiche
des Hexers ab. Die anderen kamen gar nicht mehr dazu, irgendetwas zu unternehmen,
denn der in Rot gekleidete Kerl hatte Thronn ebenso schnell zu Fall gebracht,
wie ein Riese einen Zwerg. Er tauchte unter den rasendschnellen, wirbelnden
Attacken des Magiers durch und versetzte ihm einen Stoß vor die Brust,
dann, als Thronn taumelte und seine Angriffe ziellos umherschwirrten, eilte
jener ein zweites Mal herbei und rammte seinen Ellenbogen in seine Magengrube.
Dieser stöhnte und spürte, wie ihn alle Kraft verließ,
als er mit einem plumpen Geräusch auf das nasse Pflaster fiel.
Die Gestalt hingegen ging abermals in Kampfstellung, keuchte, aber
trotzdem tänzelte sie leicht wie eine Feder über dem Boden, Faust
und Dolch angriffslustig erhoben, anscheinend hatte sie die anderen noch
nicht bemerkt. Dario und Kelt eilten schnell herbei, schlangen ihre starken
Arme um den muskulösen Körper des Fremden und hielten ihn ihm
Schwitzkasten, während Dario ihn rasch entwaffnete und ihn mit einem
Arm, die Hand wie eine Stahlkralle an der Kehle, gegen eine Hauswand drückte
und ihm in übertrieben leisem, aber dennoch scharfem Ton fragte: "Wer
bist du? Was hast du hier verloren?" Rone half seinem Verwandten auf die
Beine, der eher überrascht, als stark verletzt wirkte und groß
und dürr dastand, ohne auch nur eine Regung zu machen, die seine Kraftlosigkeit
verraten könnte.
Darios Finger schlossen sich fester, während der Rote mit angespannten
Muskeln und nacktem Ober und Unterarm versuchte die Hand loszureißen,
das weiße Blitzen seiner Zähne war auffällig. "Ich frage
dich noch einmal: wer bist du?", schrie er fast, während er flüsterte,
was aber dann doch so laut war, wie etwas erregtes im normalen Tonfall
zu sagen.
Der Fremde zögerte noch etwas, ächzte und versuchte dann
um Hilfe zu rufen, was ihm aber misslang und brachte schließlich
einige schwer verständliche Worte heraus, die im stetigen Rauschen
der Sturzbäche unterging; sie mussten sich gerade in der Nähe
der Bergkuppen befinden, die nun aber von einer dichten Schicht aus wallendem
Nebel umgeben war, aber von hier nicht zu sehen sein musste. "Patrinell...",
flüsterte er stöhnend und sein braungebranntes Gesicht verzog
sich zu einer Grimasse. "Patrinell... Arth..., Ge... General der... der
Stadtwache..." Sein letztes Wort wurde zu einem Schmerzensschrei und Dario
ließ los. Patrinell kippte vorn über auf die Straße, hielt
sich wacklig auf den Knien, keuchte und prustete, während er nach
Luft rang und hielt sich seinen Hals, wo noch immer die roten Fingerabdrücke
des Hochländers prangten. Er übergab sich, während ihm die
anderen leicht verächtliche Blicke zuwarfen und sich dann zu einem
heimlichen Gespräch einige Schritte weiter zurückzogen.
"Was machen wir mit ihm?!", versuchte Dario tatkräftig als
Einleitung zu überlegen und verschränkte die Arme über der
Brust, als Zeichen, dass er ihn am liebsten sofort töten wollte. Er
war ein Killer, eiskalt und beinahe gewissenlos, einer, der das Abschlachten
bei der Freitruppe gern getan hatte...
"Wir können es uns nicht leisten, einen Schnüffler in
unserer Truppe zu haben, Thronn! Folgt meinem Rat und fesselt und knebelt
ihn, bis er verhungert! Oder werft ihn den Dämonen zum Fraß
vor!" Das verwitterte Zwergengesicht wies Spuren leichten Hasses auf, das
entging Rone nicht, aber er musste sich etwas einfallen lassen, wie er
seine Freunde überreden konnte, den General am Leben zu lassen. Irgend
etwas in ihm riet ihm, diesen Mann bewahren zu müssen, denn er sollte
ihm eines Tages nützlich werden...
"Wir könnten einen...", versuchte er zu sagen, wurde aber von
seinem Onkel unterbrochen. Wir könnten einen weiteren starken Arm
gut gebrauchen, brachte er den Satz in Gedanken fertig und hätte sich
am liebsten vor Scham zusammengekauert in eine Ecke gesetzt, die Beine
angezogen, die Arme darumgelegt und geweint...
"Wir sind keine Barbaren, Herr Zwerg!", rief Thronn entsetzt und
machte eine drohende Geste, wobei seine Augen energisch funkelten und Kelt
zuckte regelrecht zusammen vor der plötzlich entfachten Wut des Grenzländers.
"Was müsst Ihr Untermenschen nur ständig auf alle anderen Völker
so sauer und misstrauisch sein? Was seid Ihr doch für ein naives Volk!"
Beleidigt wandte sich der Zwerg ab und seine Finger spielten nervös
mit der Streitaxt. "He, du da!", rief er zu Patrinell gewannt und seine
Stimme klang immer noch ärgerlich. "Wo kommst du her? Was machst du
hier?"
"Ich komme von dort.", sagte er mit fester Stimme - er hatte sich
bereits wieder aufgerafft und gefasst versucht, dem Gespräch der Runde
zu lauschen - und deutete in eine Richtung, die zum westlichen Teil der
Stadt führte. Sie selbst hielten sich in der südlichen Hälfte
auf. "Meine Männer haben die letzten Bewohner der Stadt zusammengetragen
und sich in einem Haus abseits der Altstadt verschanzt. Ich könnte
Euch dorthin mitnehmen, wenn Ihr gewillt seid, euch mir und meinen Kameraden
anzuschließen." Ein leicht spöttisches Lächeln zeigte sich,
das Warrket sofort durchschaute. Der hochgewachsene Hexer hatte gelernt
zwischen Hohn, Spott und einfach nur Eitelkeit zu unterscheiden. Das kurze
Grinsen bedeutete nichts anderes, als dass es Arth belustigte seine, einstigen
Gegner im Gefecht zu sich nach hause einzuladen, schließlich sollten
sich Gäste korrekt verhalten. Er wog einige Zeit die Möglichkeiten
ab und nickte dann.
"Okay", sagte er, "wir werden dich begleiten."
Und dann ging es los.
Der General ging schnell, doch zielstrebig an vorderster Spitze,
während seine Arme schlaksig an ihm herabbaumelten und schien jedes
mal, wenn sie eine neue Straße betraten, nach einigen kurzen Blicken
gleich den ganzen Stadtteil abzusuchen. Sie sahen sich bewegende Schatten
in der Ferne zwischen den Nebelschwaden, wurden aber selbst nie von einem
der grauen Dämonen belästigt, während ihre Schritte nur
sachte auf dem gepflasterten Boden hallten. Immer noch herrschte angespannte
Stille und unterdrückte Wut unter den Gefährten, Hass und Zorn
mischte sich mit Mitleid und Vorsicht, Ärger paarte sich mit Angst
und
die leicht zitternden Hände - und das war nicht nur vor Kälte
- verrieten es.
Nach fast einer ganzen Stunde erreichten sie den Teil der Stadt,
der sich zu lichten begann, die Wege wurden schmaler und der Pflasterstein
wandelte sich zu Kies, mit lichtem Schnee bedeckte Wiesen lugten öfter
heraus und sie konnten sogar schon die Stadtmauer in weiter Ferne erkennen,
der Beweis, dass sie sich dem Ende der Stadt näherten. Die Häuser
hier waren leichter gebaut und größtenteils nicht so zerstört
wie die anderen und die Allee, die sie hinabgingen, war bepflanzt mit den
verkrüppelten Überresten der Bäume, unter denen sich verrottetes
Laub sammelte und das Steppengras war plattgedrückt und verdorrt,
in Pfützen, Mulden und tiefergelegenen Ebenen war die Schneeschmelze
überschwemmungsartig hereingebrochen, große Teile der Äcker
und Felder standen bereist unter Wasser, Wasser, das schlammig und verschmutzt
war, Wasser, das den Dreck aus der Hauptstadt fortgetragen hatte und sich
hier zwischen den einfachen Bauernhäusern ergoss.
Warrket fühlte sich matt. Er hatte seit mehreren Tagen nicht
geschlafen und in seinen Gliedern herrschte eine vage Taubheit, die zu
kommen und gehen schien, hinter seiner Stirn und in den Spitzen seiner
Finger brannte die erzwungene Magie und er ging mechanisch, wie eine Marionette
seinen Gang, groß, dürr und mit Augen, die ohne Tiefe waren.
Seine Hände waren groß und kantig und er war kaum mehr gewillt,
darüber zu entscheiden, was er tat. Der Angriff auf den General war
erfolgt, weil es von seinem Inneren gefordert worden war, und sein Inneres
war so unergründlich, wie nichts anderes. Es fühlte sich an,
als wäre die Magie eine riesige Maschine, die seine verkrampften Muskeln
zum Arbeiten zwang und ihn antrieb, wenn er keine Kraft mehr hatte. Sie
konnte also eine große Hilfe und eine schwere Last zugleich sein,
etwas, was er gebrauchen durfte, wie gebrauchen musste, ein nie erlöschender
Zwang. Als er noch jung war, hatte er noch nicht die geringste Ahnung von
der Magie gehabt, doch als er das erste Mal mit dreizehn den Stein einer
alten Ruine berührte, hatten ihn die Visionen in endlosen Serenaden
überschüttet. Er hatte das Leid der Menschen gefühlt, die
in einem blutrünstigen Kampf in der Vergangenheit gestorben waren.
Es war traurig gewesen dies zu fühlen und sein Schmerz war gewachsen,
als er erkannte, dass es Wirklichkeit war, was er gefühlt hatte. Er
versuchte sich zu erinnern, schloss, während er ging, die Augen und
die Bilder kamen schnell und bestätig herauf, in einem Wirbel aus
Farben und Gefühlen...
Es war kalt hier. Der Wind jaulte in schweren Atemzügen
und das karge Steppengras der Hochlandweiden, die ans Grenzland, Thronns
Heimat, anstießen, waren saftig grün, denn der Frühling
war in Rohan eingekehrt. Möwen kreisten über ihnen das Rauschen
des Flusses war laut und deutlich zu hören und es barg eine gewisse
Beruhigung in sich, Wasser in der unmittelbaren Umgebung festzustellen.
Aber anscheinend war es den früheren Bewohnern der Burg keine besondere
Hilfe gewesen, denn die zerklüfteten Steine waren an einigen Stellen
schwarz und von Ruß verfärbt. Die Ruine stand hoch auf einem
der zahlreichen Hügel und im tiefen Süden brauste der Fluss,
doch davor sackte das Gelände in einer steilen Felswand ab und die
schäumende Gischt prallte mit der gesamten Wucht ihrer zahlreichen
Angriffe gegen den rauen Stein, an dem sich Büschel von Heidegras
heimisch fühlten.
Warrket stand da, gekleidet in ein einfaches Wollhemd in den
Farben von Sandstein, hinter ihm die weiße Gestalt eines altehrwürdigen
Mannes, dessen Züge verwittert und dessen Hände vernarbt und
kantig waren; er musste sehr alt sein. Seine dürren Finger umklammerten
die Gehhilfe, ein knorriger Stab, fest und in seinem Antlitz lag Erwartung
und Wissen. "Berühre ihn, und werde einer von uns." Die Stimme des
Alten war rau und voll und der Junge spürte, dass der nächste
Schritte ein Schritt in ein neues Leben sein würde, in ein Leben voll
Erwartungen und unerfüllter Begierde.
Er streckte die Hand aus, ohne direkt zu wissen warum, der kalte
Stein der Ruine zog seine Finger wie magisch an.
Der Himmel war verdunkelt von einer grauen Decke von Wolken,
die das Licht der Dämmerung schufen und Schatten bildeten sich dort,
wo sich die nebligen Geister des Himmels überlappten. Die Sonne war
nur als greller, gelber Umriss hinter diesem brausenden Meer aus sich ballendem
Grau zu erkennen und drang mit ihren seidigen Strahlen nur an manchen Stellen
durch die dichten Schwaden.
Thronn berührte den Fels, voller Voraussicht, Wissen und
Ahnung, doch das erhoffte Flackern in seinen Fingerkuppen blieb aus, das
Kribbeln, das sich bei dem Gebrauch des Magischen in seinem Körper
ausbreiten sollte, war nicht zu spüren. Ein Hauch von Enttäuschung
schwelgte in ihm auf und seine Augen funkelten unsicher, wie zwei blinkende
Sterne. Dort leuchtete Feuer hinter seinem Blick, Feuer der Wut, des Hasses
und der unterdrückten Hoffnung. Er erinnerte sich an die Worte des
Alten, Seele, Geist und Herz müssen frei sein, denn Magie kann nur
aus Magie entstehen, der Magie des Lebens...
Ruhig atmete er aus... und dann brannte das Feuer in ihm so hell
auf, dass die Luft scharf in seine Kehle schnitt, ein unbändiger Strom
aus Macht, Energie und Wissen rang sich in ihm empor und aus all seinen
Körperöffnungen schienen Flammen zu dringen und ihn von Außen
einzuhüllen. Die goldweiß bis roten Blätter der Glut erhoben
sich nun auch vor seinen Augen und umgarnten ihn in ihren wirren Tänzen.
Etwas dunkles, geheimnisvolles durchflutete ihn und auf einmal war alles
kühl. Doch es hörte nicht auf, in ihm zu brennen, jetzt waren
die Flammen eisig und kalt und das blaue, kalte Feuer pulsierte in seinen
Fingern, weiches Fleisch wurde durchbrochen und Frost lagerte sich um seine
Hände ab, die nun bleich und klamm wirkten, wie in den Nächten
eines kalten Winters.
Es war schrecklich. Er sah Bilder und hörte Stimmen, schrille
Schreie, und Schatten, die sich hinter drohenden Flammen abzeichneten.
Die Burg war von einem Brand zerstört worden, der Angriff der Feinde
war verheerend gewesen, als Feuer auf Stein prallte, Wesen aus einer längst
vergangenen Zeit griffen an, ihre Haut war schwarz und mit glänzenden
Schweißperlen übersät, ihre breiten Schwingen ledern und
zerschlissen... Und rotglühende Augen, blutrot, leuchteten verrückt
und bösartig, garstige Magie wohnte in den kleinen sehnigen Gestalten...
Thronn nahm die Hand zurück, und sogleich erlosch das Feuer,
glomm noch ein einziges Mal heiß und kalt zugleich auf und versiegte
dann in den Tiefen seines Körpers.
Der Alte war ruhig und sein Blick verriet, dass er bereits alles
wusste. Sein Lächeln war unecht und Spott wirkte darin mit. "Was hast
du gesehen?", fragte er, doch es war keine Frage, sondern das Wissen, das
aus ihm sprach, denn ihm war es damals nicht anders gegangen.
"Schatten... Und Tod..." Seine Augen glommen verwirrt und sein
Atem ging schwer und stoßweise.
"Die alte Welt. Es wird eine Zeit geben, in der die schwarzen
Wesen wieder auferstehen. Und ihre Macht wird grausam sein." Er schwieg
einige Zeit bekennend, doch dann sagte er, den Kopf von den dunkelgrünen
Gräsern erhoben: "Bete darum, dass du sie nicht erlebst."
Ja, er betete noch heute darum. Aber er wusste, dass er erfolglos
war. Das Schicksal hatte gewollt, dass er die Schattenwesen, die Mordgeister
und die Dämonen der alten Welt nicht mehr miterlebte, doch Melwiora
war, und ihre Macht breitete sich wie eine Schlechtwetterfront über
den Ländern aus. Die Hoffnung ruhte in ihnen, und so durften sie die
anderen nicht enttäuschen. Es würde sie schwer treffen, sehr
schwer und das Land würde immer schneller zu Grunde gehen. Gab es
noch Rettung? Und wenn, war sie dann nah genug, um sie zu greifen? War
es...
"Wir sind da!", unterbrach die feste Stimme Arth Patrinells seine
Gedanken und seine starke Hand zeigte auf ein Haus, das einzeln und abgeschieden
von den anderen auf einer kleinen Erhebung stand, und um das sich ein Abhang
zog. Sie sahen alle auf den ersten Blick, dass es ein Haus war, das man
gut verteidigen konnte, ein Haus, dessen Grundmauern tief in die Erde reichten.
Es war einfach gebaut und wirkte zerstört und leer, doch vielleicht
war es genau das, was Warrket den Eindruck von einer Festung vermittelte,
eine Barriere, eine unüberwindliche Hürde aus Stein, Holz und
Schindeln, die den Ansatz von Grünspan zeigten.
"Wie viele sind da drin?", fragte er, die Augen zu zwei grauen Schlitzen
zusammenkneifend, um in die Ferne zu spähen.
"Da drin? Nicht viele." Er lächelte und sein kantiges Gesicht
wirkte sympathisch, war mit einem dünnen Schweißfilm überzogen
und glänzte leicht im Licht der Gestirne. "Es ist eines der alten
Brunnenhäuser der Stadt. Aber in den Tunneln sind wir viele. Dreihundert
Männer, Frauen und Kinder. Aber nur dreißig von ihnen können
kämpfen. Jeder, der ein Schwert zu führen im Stande ist, wird
darum kämpfen, wenn die Dämonen sich bis in die unterirdischen
Gänge vorwagen!"
Sein Glaube an die Freiheit war stark, dachte Thronn und er spürte
den leichten Anflug von Erregung in Arths Stimme.
Ein feiner Nieselregen ging über das stark bewaldete Tiefland
hin, drang aus den Wolken, die sich schattig verkrampft vor das Licht des
nächtlichen Himmels geschoben hatten. Die Tropfen fielen stetig und
in dünnen Schnüren, trafen auf breite, lederne Blätter,
von denen der Staub gewaschen wurde und in der Luft lag das Aufschlagen
als hoher, glockenreiner Ton. Die Erde war feucht, fast sumpfig und an
den meisten Stellen platt getrampelt. Dämonen und Wandler gingen,
bekleidet mit Leder und Stahl, zwischen den Zelten und Belagerungstürmen
umher, oder saßen an unterdachten Lagerfeuern und wärmten sich.
Burg Krakenstein ragte groß, gewaltig und uneinnehmbar im nebligen
Dunst zwischen großen Felshängen auf, und doch war sie in einer
Nacht gefallen. Und am nächsten Tag besetzt worden, so als wäre
nie etwas unnatürliches Geschehen und nur wenige wussten davon.
Josias Kajetan stand ganz im Schatten einiger Felsüberhänge
und sein Ausdruck war angespannt, als ihm der Wind rau ins Gesicht blies,
den Regen mit sich führte, und er den Reden des alten Magiers lauschte.
"Ich habe dich herausgebracht", sagte Timotheus und seine Hände
wurden verwendet, um sachliche Gesten zu formen. "Das ist eine Sache. Aber
durch die Reihen der Dämonen zu dringen ist deine. Bringe nur das
Kästchen zu Rone. Er wird wissen, was er damit tun soll."
Kajetan nickte und seine großen Hände, gewandet in pechschwarze
Handschuhe, hielten das kunstvoll geschnitzte Kästchen aus schwarzem
Ebenholz mit beiden Händen. Er schob es schließlich in seinen
Rucksack, der so steingrau war wie die felsige Umgebung und sah dann wieder
zu dem alten Magier. Er sah verbraucht aus, hatte stark ausgeprägte
Wangenknochen und feine Äderchen verliefen in den Falten, die tiefen
Furchen, Schluchten seiner Haut, glichen. "Ich werde mein bestes tun."
"Geh nun", verabschiedete sich der Alte winkend, die eine Hand um
den Mantel gelegt, um ihn zusammenzuhalten, denn der Regen peitschte die
steinerne Oberfläche der Felsen und machte sie rutschig, als der Krieger
sich die Kapuze tief in die Stirn zog, den schwarzen Kragen hochstellte
und sich zum Gehen wandte. "Und ich hoffe, dass du deine Aufgabe erfüllen
kannst und heil in Trishol ankommst! Der Wald birgt viele Gefahren in sich!"
Josias verstand, was der Magier damit sagen wollte. Natürlich
wollte er, dass der kleine Schatz, der ihm mitgegeben wurde, zur rechten
Zeit und unversehrt bei Rone ankam, andererseits musste er ihm der Höflichkeit
halber Glück wünschen.
Er verließ den Schutz der Felsen, blieb nur für einen
Augenblick sichtbar, dann verschwand er in einem kleinen Wäldchen,
das fast sofort an die Felsen angrenzte. Es war ein Hain aus Eichen und
Kastanien, durchsetzt von einigen Tannen, und die Wurzeln bedeckten den
Boden, machten den Weg unbegehbar und schwierig, Algen hingen in triefend
grünen Girlanden um die tiefhängenden Äste, ein Zeichen,
dass es hier sehr sumpfig war. Die Rinden waren dunkel, feingemustert und
wirkten vollgesogen mit Nässe und Feuchtigkeit, Felsbrocken und Steine
hatten sich zwischen dem Gewirr des Bodens aus verschiedenen Nachtschattengewächsen
und verfaulendem Holz gezwängt und waren oftmals von dicken Wurzeln
eingerahmt. Die Pfützen waren voll von grünem Schlick und das
Wasser schimmerte grün, Wasserlinsen und Seerosen zeigten sich nur
in den etwas sauberen Teilen der stinkenden, stehenden Brühe. Kajetan
ging schnell und immer im Schutze der Bäume, während der Boden
locker und unnachgiebig war und er leicht hätte ausrutschen können.
Nur manchmal wagte er vorsichtige Blicke nach Westen, wo sich die Zelte
und Lager der Feinde erhoben. Am liebsten wäre er jetzt, das gezogene
Breitschwert mit beiden Händen fest umklammert, auf sie zugestürmt
und hätte sie mit wirbelnden Attacken beiseitegeschleudert, doch er
wusste, dass er nur für eine gewisse Zeit den Überraschungsmoment
auf seiner Seite haben würde. Die Wandler würden ihn packen und
zerreißen, wie sie die Puppe eines kleinen Mädchens zerrissen
hätten, das sich unter sie gewagt hätte. Er verscheuchte den
Gedanken und rannte schneller. Er musste sich beeilen, denn seine Truppe
in Trishol würde nicht lange auf ihn warten. Wussten sie überhaupt,
dass er kam? Was war, wenn er ankam, nach ihnen suchte, sie nicht fand
oder nur tot und dann selbst getötet oder gefangengenommen werden
würde? Alles gab ihm Grund, um zu fragen, doch er hatte keine Zeit
dazu! Er musste auf seinen Weg und die Blicke der Feinde achten!
Plötzlich sah er zwischen dem Gewirr aus Blättern, tiefhängenden,
verkrüppelten Ästen und steil aus der Erde herausragenden Felsbrocken
etwas Rotes schimmern. Er sah Schuppen, dann einen ganzen Panzer und schließlich
stand er vor etwas, was ihm Angst einjagte.
Als sich der Hexenmeister sinnierend abwenden wollte, legte sich
ihm plötzlich eine schwere, behandschuhte Hand von hinten auf die
Schulter. Er spürte, wie sich die stählerne Klaue tief in sein
Fleisch grub, und glaubte, das leise Knacken von brechenden Knochen zu
hören. Sein Hals wurde von einem singenden Schmerz ergriffen, und
er stöhnte leise auf. "Wer...?", brachte er unter großen Schmerzen
heraus. Sein Körper zitterte.
"Du glaubst, er wird seine Reise antreten?", fragte eine tiefe,
raue Stimme und der alte Druide spürte, wie sein Hintermann das Gesicht
zu einer Fratze verzog, das er für ein Lächeln halten musste,
dennoch entgegnete er nichts, sondern versuchte sich verbissen zu befreien.
Er spürte den heißenden, stinkenden Atem des Wandlers in seinem
Nacken. "Sicher glaubst du das!", beendete die fremde Gestalt die Frage.
"Aber ich werde mich seiner annehmen, und du wirst alles vergessen haben,
bis er dich wieder aufsucht!"
Abrupt drehte sich Timotheus herum, starrte für den Bruchteil
einer Sekunde wütend das Gesicht des anderen an, bevor er erstarrte.
Seine geballten Fäuste sanken schlaff hernieder. Die Hand, die sich
saugend in seine Gesicht gekrallt hatte, verströmte ein heißes,
unbezwingbares Feuer, das seinen Schädel mit betäubender Wirkung
umfasste...
© Benedikt
Julian Behnke
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