Die legendären Krieger von Rohan von Benedikt Julian Behnke
1. Teil: Der Herr der Winde / 2. Buch
Der schwarze Laurus 3 - Der Lorbeerstrauch

Ramhad tauchte unerwartet aus den Schatten auf, wie immer, aber diesmal trug er die flackernde Laterne in der groben Hand. Seine Züge waren eisig und seine Gestalt glich einer zu groß geratenen Marionette, die Augen erfüllt von einer solchen Tiefe, dass man das Gefühl hatte, in ihnen zu versinken und nie wieder aus diesem Sumpf herauszukommen. Er trug die gleiche Uniform wie immer, rotes Leder und auf der Brust das Kettchen mit dem silbernen Totenkopfemblem, das im Licht der Monde und des Lichtspenders funkelte und blitzte wie ein Juwel. "Wie geht es dir, alter Mann?", fragte er, ohne auch nur einen Funken Mitleid in seiner Stimme zu zeigen.
"Ramhad.", stellte der Alte fest und zog sich zurück in die Falten seiner Gewänder.
"Was bedrückt dich, Timotheus? Ich sehe es Tag für Tag, du leidest und schwindest dahin! Sag es mir! Erlaube mir einen Blick in dein Inneres und ich werde dir helfen, wenn ich kann!" Die Antwort blieb aus. Der anfangs so widerspenstige Mann hatte sich zu einem in sich selbst gekauerten Narren entwickelt, der von allen Seiten bedrängt wurde und dessen einziger Trost der Schatten war, der ihm regelmäßig erschien. "Du machst es mir schwer."
"Das hoffe ich.", gab der ehemalige Zauberer kleinlaut zu und er wirkte mut- und kraftlos, ausgedörrt vom Leben und geprägt von den Prüfungen, welche es ihm auferlegt hatte.
"Deine Sturheit hilft mir nicht weiter.", sagte Ramhad ruhig und sein Gesicht war der einer Puppe bis auf nur weniges gleich. Sein Gesicht war ungewaschen, der rostrote Bart wirkte falsch und aufgesetzt, die struppigen Haare nur wie Zierde auf einem ohnehin kahlen Schädel, der zum größten Teil von dem verwitterten, braunen Umhang bedeckt war, der ihm die Zusammensetzung und den Geruch von Wasser, Luft, Erde und Wald und Wiese gab. "Du sagst, du willst die Burg verlassen? Gut, ich werde dir helfen. Aber..." Er zögerte und seine Augen wanderten über die Dielen. "Weißt du auch, wohin du fliehen wirst? Weißt du, wo du gefangen bist? Bist du dir sicher, noch immer auf Krakenstein zu sein? Ist es wirklich der Sirmuschsee, den du von hier betrachten kannst?" Timotheus überlegte einen Moment lang, rief sich die Schlickverhangene Uferfläche des Weihers noch einmal in den Kopf, erspähte ein weiteres Mal das Seegras, das am Rande der silbernen, spiegelnden Oberfläche wuchs und die silbernen Sprenkel von Fußspuren, welche die Reiher und Kraniche hinterlassen hatten. Dann nickte er. Das Bild, was er durch sein kleines Turmfester sah, war das Selbe wie jenes, das er aus der Zeit vor dem Angriff der Dämonen gekannt hatte. "Nun gut.", machte Ramhad und plötzlich bewegte sich seine Gestalt nicht mehr, war starr und glatt, wie der Körper einer Steinfigur. "Ist dies auch Wirklichkeit, oder nur ein Hologramm, eine Täuschung, die ich hervorgerufen habe, um dich zu verwirren?" Der Mund des Wandlers bewegte sich nicht, dennoch kam seine Stimme deutlich vom Inneren dieses Raumes und aus der Richtung, in welcher der große Rote saß. Sogar das Flackern der Laterne blieb aus.
Der Alte lächelte verschlagen, etwas, was er lange nicht getan hatte. "Ja, eine Täuschung.", sagte er. "Du hüllst deine Gestalt in ein Abbild deines Körpers, Wandler. Ein simpler Trick."
"Aber es ist wahre Magie!", rief der andere und von einem Moment auf den anderen schien sich etwas hinter dem mental erschaffenen Bild zu bewegen und schließlich wieder mit ihm zu verschmelzen, Augen flackerten felsengrau; aus Zweien wurde Eins.
"Es ist die von uns gestohlene Energie, mit der du spielst, Ramhad. Einst gehörte sie uns, doch deine Herrin hat sie genommen und sie euch gegeben. Daraufhin haben wir entdeckt unsere eigene Kraft, die Fähigkeiten in unseren Herzen zu suchen."
"Euch gebührt die Stärke des Feuerballs nicht!" Das Schattenwesen war gereizt und seine breite Gestalt, die verhüllen sollte, was wirklich war, verschwamm einen Moment und das Dunkle wollte durchdringen. Doch Ramhad fing sich im letzten Augenblick wieder und der Schein der Laterne erhellte die Umgebung mehr, als sie es vorher getan hatte, der Stuhl, auf dem Vogelscheuche saß, warf einen langen Schatten, der sich ebenfalls aufzulösen begann, da die Helligkeit immer unerträglicher wurde. Den Schweiß trieb es auf die Stirn des Mannes, als er seine Magie statt auf Timotheus in die Laterne lenkte und leichte Flammen umhüllten den Handschuh, den er an der linken Hand aus dickem Leder trug und niemals abnahm. "Passt auf, was Ihr sagt", schnaubte er, die Zähne fest aufeinandergebissen, "oder ich verstoße gegen den Befehl meiner Herrin und werde Euch vernichten!"
"Tut, was Ihr für richtig haltet.", stimmte ihm der Alte ohne den gewissen Hauch von Angst zu, denn er spürte, dass er Ramhad in der Hand hatte, ihn sogar ein wenig lenken konnte. Der Wandler durfte ihn einfach nicht töten, sonst würde 'sie' ihn töten und das begriff Ramhad.
"Spielt nicht mit eurem Leben!", sagte er und setzte sich von dem kleinen Schemel auf. "Die nächste Nacht wird kommen und ich werde Euch erneut gegenüberstehen und dann werde ich Euch in die Knie zwingen, alter Mann!" Dann lächelte er. Offensichtlich war ihm etwas Höllisches eingefallen und er hielt die in schwarzes, schmiedeeisernes Gitter eingefasste Laterne hoch. Die Kerze darin glomm höher, ein wahres Meer aus Flammen schien hinter den vor Hitze trüben Scheiben zu wüten. "Ach, übrigens." Er grinste und aus seinem Gesicht wurde eine hässliche Grimasse, bösartig und dämonisch und erst sie verriet das Schattenwesen hinter der äußerlichen Fassade. "Euer Sohn, Thronn; die Drei haben ihn getötet!" Dann verließ er den Raum, verschwand so schnell wie er gekommen war und hinterließ einen bleibenden Eindruck.
Die Stimmung des Alten wandelte sich von einem Schlag auf den anderen, lange zurückgehaltene Tränenflüssigkeit schoss ihm in die Augen und brannte mit dem Schweiß. Thronn war tot? Was… Warum? Er fasste es nicht, während ihm die Lage immer aussichtsloser schien. Er hatte dem Schatten gelauscht und vernommen, dass man den Druiden angegriffen hatte, ihn jedoch nur stark verletzt und nicht getötet hatte. Allerdings hatte er es ihm in Rätselform gesagt, verschlüsselte, im Nebel verschwommene Bilder, die es gegolten hatte zu enträtseln. Konnte es sein, dass er das erste Mal einen Traum falsch gedeutet hatte? Unnatürliche Leere breitete sich in ihm bei dem Verlust seines Sohnes aus und es war, als hätte man ihm einen Schlag in die Magengrube versetzt und Angst umspülte wie einst das Wasser des Meeres seine Hüften und das frostigkalte Gefühl glitt weiter, schien ihn von unten nach oben aufzufressen. Was war mit seinen Kindern geschehen? Stand es wirklich so schlecht um sie?
Er trat hinüber zu dem Fenster, das ihm den Blick auf die Landschaft darunter freigab. Er sah Berge und Täler, Flüsse und das Meer. Wälder zogen sich über Kämme und über Ebenen hinweg, Burgen und Dörfer erstrahlten in der Farbe der Nacht und die Pflanzen wuchsen in der Schönheit des Frühlings. Und direkt unter seinem Fenster erhoben sich die Kronen eines Lorbeerstrauches, der gerade begonnen hatte zu knospen. Es war der Schwarze, und von den Einheimischen der Wälder und Bauern auch Laurus genannt. Bekanntlich sollte der Rauch, der bei seiner Verbrennung entstand, besonders gut gegen böse Geister wirken. Aber würde das auch gegen Ramhad wirken? Dieser war ein Schattenwesen, ein Wandler, geschaffen aus Schatten, Tod und Asche, in die das Feuer der Magie geblasen wurde, um etwas neues, völlig fremdartiges zu schaffen.
Die Blätter des Strauches zeigten bereits ihre betörende Wirkung, denn Warrkets Sinne vernebelten sich, wurden umhüllt von einem rauchigen Schleier, der von Außen zu kommen schien. Der Geruch von Schwefel und noch etwas anderem lag in der Luft, machte alles so seltsam schwer und er sank ganz auf den Sims herab, spürte die Fugen und Unebenheiten der Steinquader in dem Fleisch seiner Unterarme. Wieder fühlte er sich schwächer werden, der Zustand der Zwischenwelt schien erneut zu kommen, lag zwischen Schlaf und Wachen und Tod und Leben, eine Welt, in der er sich nicht bewegen konnte, sondern nur erahnen, was er hätte tun können. Für ihn war es, als ob er sich mit dem Schatten würde vereinigt haben und mit seinen Augen sehen, als Geist durch die Welt wandeln. Die Schatten um ihn und außerhalb der rauen Wände wurde lichter, die tiefe Schwärze verschwand und wich einem dunklen Silbergrau, das der Mond - oder bessergesagt: die zwei Monde - ausstrahlte. Er sah die Kugel, den beinahe formlosen Ball, eine schwimmende Scheibe auf den schwarzen und dunkelblauen Wassern des Himmels. Um den gleißenden Ball waren Kaskaden von Licht, die mit der Zeit immer dunkler und dunkler wurden, sich mit den trüben Farben der späten Mitternacht mischten.
Und dann sah er etwas, was selbst er nicht erwartet hätte. Er erkannte einen leuchtend gelben Punkt, der sich vorsichtig und langsam über die bewaldeten Auen und Hügel bewegte, die sich vor dem Hórenfels-Abdün erhoben und über die der Wind strich, Wellen in das feine Hochgras zeichnete. Das Licht, der sich bewegende Punkt, der aus der Ferne wie ein einsames, goldgelbes Glühwürmchen aussah, schwebte, nein, glitt über alles hinweg und sein Weg wand sich querfeldein nach Süden. Dahinter sah er dunkle Hügelkuppen und dann das Meer, das sich am Horizont als azurblaue Scheibe abzeichnete, auf dem selbst zu dieser Stunde noch Boote darüber glitten. Auch dort schien sich das breite Licht der Monde zu spiegeln und zu schimmern, er sah, wie sich die Wellen an den Klippen brachen und die schäumende Gischt war das Kommen und Gehen von weißen Streifen. Und während er in den Welten jenseits aller versank, ließ er das hüpfende Licht nicht aus den Augen, das sich bedrohlich einsam durch das Gras bewegte.
Der würzige Geruch des Lorbeers machte ihn müde und schläfrig und er entschlief, sank zurück und fühlte keinen Schmerz, als er hart auf dem Boden aufschlug, streckte alle Viere von sich und die Kälte wickelte ihn ein, wie sie einst Goran Ascan eingewickelt hatte.
Und dann trat die Eisfrau aus den Schatten, ihre Gestalt war weiß und wunderschön, ihre Haut war zart und sanft. Sie kniete sich neben den Alten hin, streckte ihre langen, eisigen Finger nach ihm aus, fasste in ihn hinein und suchte. Sie grub. Wühlte. Bohrte. Wollte finden, was sie so dringend erbittet hatte. Doch sie erhaschte nichts. Die Fähigkeit den Schatten aufzurufen, würde sich wohl nur noch in den anderen finden, nicht mehr in diesem hier. Dieser hier war praktisch wertlos, wenn sie von ihm nicht bekam, was sie wollte, also würde sie ihn einfach umbringen lassen. Es war einfacher, als ihn so lange am Leben zu lassen, bis er mit der Antwort herausrückte, auch wenn sie ihm drohte, ihn fallen zu lassen, gänzlich in den Tod sinken zu lassen, würde ihn das nicht beeindrucken. Er erwartete den Tod, und das von Tag zu Tag mehr. Vielleicht würde sie ihm sogar diesen Wunsch erfüllen, wenn er ihr das Geheimnis anvertraute, das seine Ahnen schon seit so langer Zeit hüteten...

Kajetan erwachte. Die Nacht um ihn herum schien ungewöhnlich hell, fast wie an einem grauen Regentag. Über sich sah er die beiden halbkreisförmigen Monde, deren andere Hälften jeweils in den Schatten versanken. Das Feuer, das er vor einigen Stunden entzündet hatte, war fast bis auf wenige Glutbrocken heruntergebrannt und Asche hatte sich über die wenigen Scheite gelegt; der Fels um die Stelle herum war an einigen Stelle geschwärzt. Der Nebel, der in der Abenddämmerung noch über den Hügeln gehangen hatte, war verschwunden, hatte sich tief in die Wälder zurückgezogen und nun standen die Bäume allein da, groß, schlank und nur schwarze Umrisse hinter einem noch tieferen Dunkel, das sich durch den ganzen Wald zu ziehen schien. Die Farne neben seiner Lagerstelle bewegten sich leicht im säuselnden Wind und in den Bäumen raschelte es. Das Wort, das für jenes verwendet wurde, was er dachte, erschien klar und deutlich in seinem Hinterkopf und nahm fast den ganzen Platz ein.
Der Wald lebte!
Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und nach einigen Minuten verschwand auch der letzte unwirkliche Schemen vor seinen Pupillen. Kalte Luft umhüllte ihn und er begann leicht zu frösteln, setzte sich - immer noch gehüllt in die wärmenden Decken - auf und lehnte seinen Oberkörper gegen das raue Gestein des Felsens, der sich als schützende Überdachung höhlenartig über ihm erhob. In den Felsrand zogen sich Rinnen, die in der Zeit von Jahrhunderten durch die Tropfenschnüre des Regens in das Gestein eingelassen waren.
Jemand, oder etwas, hatte ihn aufgeweckt und wollte nun, dass er auf diese Situation entsprechend reagierte. Er spürte die Anwesenheit von etwas Dunklem, das sich in den Wäldern und zwischen den Gebirgszügen des Hórenfels-Abdün bewegte. Es war seine Anwesenheit, die ihn geweckt hatte und auf ihn zu kam. Wieder und wieder betrachtete er das Gelände um ihn herum, das im Osten zu einem seichten, bewaldeten Hang abfiel, später zwischen zerklüfteten Felszungen im Meer endete, der Weg im Norden hingegen ging steil hinab und führte zu den mit Hochgras bewachsenen Wegen des Tieflandes. Der Westen war karg, nur von Fichten besiedelt, die dann in riesige, kahle Berggipfel übergingen, auf dessen Kuppen noch immer eine blütenweiße Schneedecke ruhten. Der Süden war ungewiss, unerforschtes Terrain, das irgendwie zwischen Berghängen, verschiedenen Mischwäldern und kleineren Tälern lag, auf dessen Wegen sich die weißen Kirschblüten des Frühlings wie ein Teppich ausgebreitet hatten. Dort saß etwas in den Kronen der Bäume, was Josias noch nie gesehen hatte und von dessen Anwesenheit er keine Ahnung hatte. Das, was er spürte, musste von Norden kommen. Schnell trat er eine Schritte vom Weg zurück, duckte sich in die Schatten der Felshänge und schlich den kiesigen Hang hinauf, wo auch an manchen Stellen trockenes Hochgras wuchs. Fast augenblicklich verbarg er sich, ließ die Schwärze seines Mantels mit dem satten Dunkelgrün der Nadelbäume fusionieren und betrachtet, wer da mit schweren, lauernden Schritten den Hang zu ihm herauf kam.
Erst sah er nichts, bis auf einen gelben Punkt, der sich zwischen den Stämmen und Gebüschen der Wälder des Westlandes bewegte, aus denen die dunkle, uneinnehmbare Fassade Krakensteins herausgewachsen war, grotesk und halb mit den Felsen der nördlichen Gebirgsausläufe verbunden, die sich wie eine schützende Handfläche um die West- und Ostwand legten und besäumt mit den hellen Auswüchsen von Lorbeer waren.
Die Burg schien verlassen, wie ein Geist, der nach Jahren des Herumspukens endlich Schlaf gefunden hatte, und der glühende Punkt kam näher, schien gar durch Gestrüpp und Unterholz getragen zu werden. Endlich, fand das Licht einen Durchgang und entfloh dem Schutz der Bäume, bewegte sich plötzlich unnatürlich schnell fort. Ein Schatten hatte sich hinter das helle Leuchten gelegt, ein Wesen, das den Glutpunkt sicher in den Händen barg und dessen Lichtspender es war. Fast schlagartig erinnerte sich Kajetan an den seltsamen Kerl mit der Laterne und dem einen Handschuh, der ihm an dem Abend zuvor aufgelauert und plötzlich wieder verschwunden war, der ihm gerieten hatte, sich aufzumachen und die Elfen wieder in das Westland zurückzubringen. Er war dem Rat gefolgt, ohne weiter nachzudenken, weil es ihm als sinnvollste Sache erschienen war. Nun wagte er sich nicht zu rühren, als die Luft ihn von der Seite her kalt anhauchte und ihm schon alle Nackenhärchen zu Berge standen, sich gegen die aufkommende Kälte sträubten, wie ein bissiger Hund, der sich weigert einem Fremden Einlass in das Heim zu geben, was jener bewachte.
Der Truppführer kniff die Augen zusammen, um besser zu erkennen, was sich dort unten abspielte. Er ließ seine Augen den Nordhang hinuntergleiten, den der Dunkle gerade heraufkam. Ein silbernes Aufblitzen und das entfernte Trampeln von Hufen ließen ihm klar werden, dass Ramhad geritten kam und dass das Pferd schwitzte. Das Tier kam heran, während es über die Hänge preschte und das leicht im Schatten stehende Gesicht des Reiters war ernst. Schon jetzt konnte man durch den Schein der Laterne die rote Uniform und das silberne Totenkopfabzeichen auf seiner Brust glimmen sehen, wie ein verirrter Funke oder ein Stern. Die Augen des vor Schweiß glänzenden Tieres waren von einer dämonischen Bosheit umwölkt und der pechschwarze Schweif des Gaules peitschte die Luft, als es dahinglitt wie ein Schatten. Die Gestirne spiegelten sich auf dem Leib des Tieres, das wie ein Schlachtross den Pfad heraufgedonnert kam, während die Erde rund herum zu beben schien. Leere und Unbehagen breiteten sich eisig und stoßweise in Josias aus, der immer noch lauernd in seinem Versteck hockte und das Näherkommen beobachtete. Auch ihm stand die Angst ins Gesicht geschrieben. Prüfend legte er die Hand auf das lange Messer mit den Elfenzeichen, das an seinem Gürtel baumelte und seine Finger waren zittrig und Feuchtigkeit hatte sich in die Kuhlen seiner Handflächen gelegt.
Nur wenige Duzend Yard entfernt gebot der düstre Reiter seinem Tier zu halten und sich langsam und im steten Trab fortzubewegen. Das Pferd tänzelte und der Ausdruck in dem düsteren Gesicht des Mannes war entschlossen, in seine Augen flackerte das Weiße.
Er wurde nun noch langsamer, als er den Hügelkamm vollends erreicht hatte und schlich regelrecht dahin, der Rotgesichtige im Sattel sah aus, wie einer, der oft geritten war und für den es leicht war freihändig im Sattel zu bleiben. Dennoch hielt er die Zügel mit einer Hand fest, um die Geschwindigkeit des Pferdes noch weiter zu drosseln.
Josias hatte Angst zu atmen, bestimmt würde er sich dadurch verraten. Er fragte sich, was dieser seltsame Kerl hier schon wieder wollte und warum er ständig diese nervende Laterne mit sich trug. Er glaubte, dass das Klopfen seines Herzens das einzige Geräusch überhaupt war und während er flach durch den Mund atmete, begann er den Dolch langsam hervorzuziehen. Vorsichtig bewegte er sich, griff mit den Spitzen seiner Füße in den lockeren Kies unter seinen Füßen, um hervorzuspringen und zu kämpfen, sollte sich der dunkle Reiter nähern. Seine Augen beobachteten rastlos und interessiert, was sich dort zwischen Kraut und Heide bewegte.
Die Geräusche der auf Steinaufschlagenden Hufen waren laut und folgten jetzt nur noch langsam, das Schnaufen, der verschwitzte Atmen und der Geruch des Pferdes lag in der Luft. Ramhad stand da, wo Kajetan noch vor ein paar Minuten geschlafen hatte und blickte auf das verlassene Lager herab. Die zerwühlte Decke und das noch glimmende Lagerfeuer machten ihn stutzig, sein Blick war eine unbewegliche Maske, seine Glieder wie die einer Marionette. Kajetan schloss die Augen, sah einen Moment Schwärze. Und öffnete sie wieder. Der Reiter stand bewegungslos, den Blick in das Gebüsch gerichtet, in dem sich der Feldherr versteckt hielt. Seine Augen glommen. Die Laterne flackerte. Stille herrschte, das schwere Eisengeschirr des Tieres regte sich nicht. Ramhads zuckender, irgendwie wechselnder Blick rührte sich nicht von dem Tannengebüsch. Kajetan wagte es nicht sich zu rühren, ja, auch nur zu blinzeln untersagte er sich. Er versuchte vorsichtig und mit den Odemzügen des Windes zu atmen, um seine Anwesenheit nicht zu verraten. Die glasigen Perlen, die an seiner rechten Backe herabliefen, wurden eiskalt und frostig, durch den erfrischenden Hauch aus dem Süden. Frostig, wie der Blick des Roten.
Dieser ließ den Schwarzen jetzt weiter unter den Felsübergang treten, um näher an das aufgewühlte Lager heranzukommen. Ein schneidender, leicht scheppernder Ton entstand, als Ramhad sein Schwert aus der ledernen Scheide an seinem Gürtel zog. Die Klinge schimmerte dämonisch hell, wie der Märchenmond.
Dann ließ er die Klinge plötzlich herabsausen. Wie ein silberweißer Blitz glitt sie hinab und durchstach das Bündel aus übereinandergeschichteten Laken und Fellen. Die Laute, mit denen die Waffe in die Kissen fuhr, war ruckend und stoßend, die Tücher vibrierten unter den auftreffenden Streichen. Dann ließ er ab, schwang das Bein über das Heck des Tieres und ließ sich fallen, trat durch die noch glühenden Kohlen, als wäre sein Körper aus Stahl. Während er das Pferd noch am Halfter hielt und seine Blicke die Dunkelheit der Nacht zu durchbohren versuchten, sog er die Luft scharf durch seine Nasenlöcher hinein und verzog dabei eine unheilverkündende Grimasse, während er den Kopf in alle Windrichtungen drehte.
Kajetan gefror das Blut in den Adern, als Ramhad mit schweren Schritten, die den Stein unter seinen Füßen zu zerstampfen schienen, den kleinen Hang hinaufstapfte. Sein Körper bewegte sich schwer und gewichtig, seine Gestalt wirkte wuchtiger als noch in der Morgendämmerung und seine Züge waren kantiger, das Wesen dahinter versuchte durchzugelangen. Die Laterne strahlte helles Licht aus, wurde jedoch tief gehalten...
Der ehemalige Feldherr bewegte sich nicht, er fühlte, dass es vorbei war, dass das Versteckspielen endlich ein Ende hatte. Aber er bewegte sich nicht. Und genau das war sein Fehler, seine Hände begannen zu zittern und die Knöchel wurden ihm steif und Kälte und vulkanische Hitze hatten ihn erfasst, schüttelten ihn und wütete, zerstörte ganze Nervenenden und zermürbte den Riesen, der sich plötzlich winzig im Vergleich zu Ramhad vorkam. Dennoch verließ er sein Versteck nicht. Er wartete. Und auf einmal wurde sein Warten belohnt. Hinter ihm in den Büscheln raschelte es, der düstere Mann wandte sich ab, lächelte jetzt und sein Schwert hob sich. Er ging an Kajetan vorbei und strebte den Hang weiter dort hinauf, von wo das Geräusch hergekommen war.
Erst rührte sich Josias nicht. Alles um ihn herum schien sich zu bewegen und in einem Sumpf aus Nachtfarben und Tümpeln zu versinken, Felsen wuchsen, veränderten ihre Gestalt, während langsam der Wahnsinn seinem normalen Denken wich und er - von gemischten Gefühlen geprügelt - seine Tarnung aufgab. Er platze heraus aus den dichten Fichten und Tannen, stürmte den Hang hinunter, immer auf die Felsnase zu. Seien Schritte hallten laut und Kies spritzte auf, die Anspannung des stillen Wartens wich von ihm ab, während das überhangende Sims näher und nähr kam, rasend wurde. Hinter sich wurde er dem Flügelschlagen einer Eule gewahr und das Fluchen Ramhads, der für einen Moment untätig war. Diesen Moment nutzte Kajetan.
Und sprang.
Er krachte mit solcher Wucht auf den Rücken des Tieres, dass es sich aufbäumte, während die Taubheit, die während des Sprunges in seinen Ohren war, schlagartig zurückgedrängt wurde und dröhnte lauthals. Das schrille Wiehern zeriss die Ruhe der Nacht und dann galoppierten sie los, unter donnernden Hufen und die Hände in das schweißdurchnässte Zaumzeug verkrampft. Während er den Südhang hinuntersprengte, wurde ihm klar, dass der Rote sie bemerkt haben musste.
Er warf einen kurzen Blick zurück.
Das Herz stockte ihm in der Brust, als der Wandler mit rasend schnellen Schritten den Kamm herunterglitt und ihnen ohne zu zögern nachstellte. Seine Beine schienen kurz über dem Boden zu schweben, denn der Mann mit dem rostroten Bart war schnell, und er holte auch schnell auf, während seine Bewegungen blitzartig und weit ausgreifend erfolgten. Fahrtwind schoss Kajetan ins Gesicht und er ließ die Zügel fliegen, bäumte sich weit vor, während die Gestalt Ramhads immer größer und bedrohlicher wurde und bald eher wie ein Tier zu laufen begann, alle Läufe in den weichen Boden, zwischen Felsspalten und Grasbüscheln grabend, zog er sich immer mehr an sie heran, während seine Züge unebener und knochiger wurden, Schwärze drang durch seine Haut durch und er gewann an Geschwindigkeit.
Nein!, ächzte Kajetan in Gedanken und beugte sich weit vor, stemmte sich gegen den Wind und neigte seinen Oberkörper noch tiefer in den Sattel, während er den hastigen, rasenden Atem des Gaules nah bei seinem Ohr hörte und das seidige, weiche Fell seiner Mähne ihm ins Gesicht fiel.
Noch schneller ging es, der Rappe griff noch weiter aus, während es über die Hügel in einen schmalen Talkessel hinabpreschte und dann immer weiter, bis ans andere Ende. Der Wald um ihn herum schien zu wachsen, undurchsichtiger und dichter zu werden, während das Schattenwesen mit der flackernden Laterne an Geschwindigkeit verlor und sie einen weiteren Vorsprung erlangten. Wie weit würde das so noch weiter gehen, überlegte der Truppführer, wie lange sollte die Jagd noch anhalten? Oder würde das Pferd schlapp machen und der Dunkle ihn schließlich einholen? Er konnte nicht anders, als auf ein Wunder hoffen, als er sich fester an den muskulösen, harten Leib des Tieres lehnte, um ihm so wenig Widerstand wie möglich zu verleihen...
 

© Benedikt Julian Behnke
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Und schon geht's weiter zum 14. Kapitel (4. Kapitel des 2. Buches): "Der Wachturm von Pakin"

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