Ramhad tauchte unerwartet aus den Schatten auf, wie immer, aber
diesmal trug er die flackernde Laterne in der groben Hand. Seine Züge
waren eisig und seine Gestalt glich einer zu groß geratenen Marionette,
die Augen erfüllt von einer solchen Tiefe, dass man das Gefühl
hatte, in ihnen zu versinken und nie wieder aus diesem Sumpf herauszukommen.
Er trug die gleiche Uniform wie immer, rotes Leder und auf der Brust das
Kettchen mit dem silbernen Totenkopfemblem, das im Licht der Monde und
des Lichtspenders funkelte und blitzte wie ein Juwel. "Wie geht es dir,
alter Mann?", fragte er, ohne auch nur einen Funken Mitleid in seiner Stimme
zu zeigen.
"Ramhad.", stellte der Alte fest und zog sich zurück in die
Falten seiner Gewänder.
"Was bedrückt dich, Timotheus? Ich sehe es Tag für Tag,
du leidest und schwindest dahin! Sag es mir! Erlaube mir einen Blick in
dein Inneres und ich werde dir helfen, wenn ich kann!" Die Antwort blieb
aus. Der anfangs so widerspenstige Mann hatte sich zu einem in sich selbst
gekauerten Narren entwickelt, der von allen Seiten bedrängt wurde
und dessen einziger Trost der Schatten war, der ihm regelmäßig
erschien. "Du machst es mir schwer."
"Das hoffe ich.", gab der ehemalige Zauberer kleinlaut zu und er
wirkte mut- und kraftlos, ausgedörrt vom Leben und geprägt von
den Prüfungen, welche es ihm auferlegt hatte.
"Deine Sturheit hilft mir nicht weiter.", sagte Ramhad ruhig und
sein Gesicht war der einer Puppe bis auf nur weniges gleich. Sein Gesicht
war ungewaschen, der rostrote Bart wirkte falsch und aufgesetzt, die struppigen
Haare nur wie Zierde auf einem ohnehin kahlen Schädel, der zum größten
Teil von dem verwitterten, braunen Umhang bedeckt war, der ihm die Zusammensetzung
und den Geruch von Wasser, Luft, Erde und Wald und Wiese gab. "Du sagst,
du willst die Burg verlassen? Gut, ich werde dir helfen. Aber..." Er zögerte
und seine Augen wanderten über die Dielen. "Weißt du auch, wohin
du fliehen wirst? Weißt du, wo du gefangen bist? Bist du dir sicher,
noch immer auf Krakenstein zu sein? Ist es wirklich der Sirmuschsee, den
du von hier betrachten kannst?" Timotheus überlegte einen Moment lang,
rief sich die Schlickverhangene Uferfläche des Weihers noch einmal
in den Kopf, erspähte ein weiteres Mal das Seegras, das am Rande der
silbernen, spiegelnden Oberfläche wuchs und die silbernen Sprenkel
von Fußspuren, welche die Reiher und Kraniche hinterlassen hatten.
Dann nickte er. Das Bild, was er durch sein kleines Turmfester sah, war
das Selbe wie jenes, das er aus der Zeit vor dem Angriff der Dämonen
gekannt hatte. "Nun gut.", machte Ramhad und plötzlich bewegte sich
seine Gestalt nicht mehr, war starr und glatt, wie der Körper einer
Steinfigur. "Ist dies auch Wirklichkeit, oder nur ein Hologramm, eine Täuschung,
die ich hervorgerufen habe, um dich zu verwirren?" Der Mund des Wandlers
bewegte sich nicht, dennoch kam seine Stimme deutlich vom Inneren dieses
Raumes und aus der Richtung, in welcher der große Rote saß.
Sogar das Flackern der Laterne blieb aus.
Der Alte lächelte verschlagen, etwas, was er lange nicht getan
hatte. "Ja, eine Täuschung.", sagte er. "Du hüllst deine Gestalt
in ein Abbild deines Körpers, Wandler. Ein simpler Trick."
"Aber es ist wahre Magie!", rief der andere und von einem Moment
auf den anderen schien sich etwas hinter dem mental erschaffenen Bild zu
bewegen und schließlich wieder mit ihm zu verschmelzen, Augen flackerten
felsengrau; aus Zweien wurde Eins.
"Es ist die von uns gestohlene Energie, mit der du spielst, Ramhad.
Einst gehörte sie uns, doch deine Herrin hat sie genommen und sie
euch gegeben. Daraufhin haben wir entdeckt unsere eigene Kraft, die Fähigkeiten
in unseren Herzen zu suchen."
"Euch gebührt die Stärke des Feuerballs nicht!" Das Schattenwesen
war gereizt und seine breite Gestalt, die verhüllen sollte, was wirklich
war, verschwamm einen Moment und das Dunkle wollte durchdringen. Doch Ramhad
fing sich im letzten Augenblick wieder und der Schein der Laterne erhellte
die Umgebung mehr, als sie es vorher getan hatte, der Stuhl, auf dem Vogelscheuche
saß, warf einen langen Schatten, der sich ebenfalls aufzulösen
begann, da die Helligkeit immer unerträglicher wurde. Den Schweiß
trieb es auf die Stirn des Mannes, als er seine Magie statt auf Timotheus
in die Laterne lenkte und leichte Flammen umhüllten den Handschuh,
den er an der linken Hand aus dickem Leder trug und niemals abnahm. "Passt
auf, was Ihr sagt", schnaubte er, die Zähne fest aufeinandergebissen,
"oder ich verstoße gegen den Befehl meiner Herrin und werde Euch
vernichten!"
"Tut, was Ihr für richtig haltet.", stimmte ihm der Alte ohne
den gewissen Hauch von Angst zu, denn er spürte, dass er Ramhad in
der Hand hatte, ihn sogar ein wenig lenken konnte. Der Wandler durfte ihn
einfach nicht töten, sonst würde 'sie' ihn töten und das
begriff Ramhad.
"Spielt nicht mit eurem Leben!", sagte er und setzte sich von dem
kleinen Schemel auf. "Die nächste Nacht wird kommen und ich werde
Euch erneut gegenüberstehen und dann werde ich Euch in die Knie zwingen,
alter Mann!" Dann lächelte er. Offensichtlich war ihm etwas Höllisches
eingefallen und er hielt die in schwarzes, schmiedeeisernes Gitter eingefasste
Laterne hoch. Die Kerze darin glomm höher, ein wahres Meer aus Flammen
schien hinter den vor Hitze trüben Scheiben zu wüten. "Ach, übrigens."
Er grinste und aus seinem Gesicht wurde eine hässliche Grimasse, bösartig
und dämonisch und erst sie verriet das Schattenwesen hinter der äußerlichen
Fassade. "Euer Sohn, Thronn; die Drei haben ihn getötet!" Dann verließ
er den Raum, verschwand so schnell wie er gekommen war und hinterließ
einen bleibenden Eindruck.
Die Stimmung des Alten wandelte sich von einem Schlag auf den anderen,
lange zurückgehaltene Tränenflüssigkeit schoss ihm in die
Augen und brannte mit dem Schweiß. Thronn war tot? Was… Warum? Er
fasste es nicht, während ihm die Lage immer aussichtsloser schien.
Er hatte dem Schatten gelauscht und vernommen, dass man den Druiden angegriffen
hatte, ihn jedoch nur stark verletzt und nicht getötet hatte. Allerdings
hatte er es ihm in Rätselform gesagt, verschlüsselte, im Nebel
verschwommene Bilder, die es gegolten hatte zu enträtseln. Konnte
es sein, dass er das erste Mal einen Traum falsch gedeutet hatte? Unnatürliche
Leere breitete sich in ihm bei dem Verlust seines Sohnes aus und es war,
als hätte man ihm einen Schlag in die Magengrube versetzt und Angst
umspülte wie einst das Wasser des Meeres seine Hüften und das
frostigkalte Gefühl glitt weiter, schien ihn von unten nach oben aufzufressen.
Was war mit seinen Kindern geschehen? Stand es wirklich so schlecht um
sie?
Er trat hinüber zu dem Fenster, das ihm den Blick auf die Landschaft
darunter freigab. Er sah Berge und Täler, Flüsse und das Meer.
Wälder zogen sich über Kämme und über Ebenen hinweg,
Burgen und Dörfer erstrahlten in der Farbe der Nacht und die Pflanzen
wuchsen in der Schönheit des Frühlings. Und direkt unter seinem
Fenster erhoben sich die Kronen eines Lorbeerstrauches, der gerade begonnen
hatte zu knospen. Es war der Schwarze, und von den Einheimischen der Wälder
und Bauern auch Laurus genannt. Bekanntlich sollte der Rauch, der bei seiner
Verbrennung entstand, besonders gut gegen böse Geister wirken. Aber
würde das auch gegen Ramhad wirken? Dieser war ein Schattenwesen,
ein Wandler, geschaffen aus Schatten, Tod und Asche, in die das Feuer der
Magie geblasen wurde, um etwas neues, völlig fremdartiges zu schaffen.
Die Blätter des Strauches zeigten bereits ihre betörende
Wirkung, denn Warrkets Sinne vernebelten sich, wurden umhüllt von
einem rauchigen Schleier, der von Außen zu kommen schien. Der Geruch
von Schwefel und noch etwas anderem lag in der Luft, machte alles so seltsam
schwer und er sank ganz auf den Sims herab, spürte die Fugen und Unebenheiten
der Steinquader in dem Fleisch seiner Unterarme. Wieder fühlte er
sich schwächer werden, der Zustand der Zwischenwelt schien erneut
zu kommen, lag zwischen Schlaf und Wachen und Tod und Leben, eine Welt,
in der er sich nicht bewegen konnte, sondern nur erahnen, was er hätte
tun können. Für ihn war es, als ob er sich mit dem Schatten würde
vereinigt haben und mit seinen Augen sehen, als Geist durch die Welt wandeln.
Die Schatten um ihn und außerhalb der rauen Wände wurde lichter,
die tiefe Schwärze verschwand und wich einem dunklen Silbergrau, das
der Mond - oder bessergesagt: die zwei Monde - ausstrahlte. Er sah die
Kugel, den beinahe formlosen Ball, eine schwimmende Scheibe auf den schwarzen
und dunkelblauen Wassern des Himmels. Um den gleißenden Ball waren
Kaskaden von Licht, die mit der Zeit immer dunkler und dunkler wurden,
sich mit den trüben Farben der späten Mitternacht mischten.
Und dann sah er etwas, was selbst er nicht erwartet hätte.
Er erkannte einen leuchtend gelben Punkt, der sich vorsichtig und langsam
über die bewaldeten Auen und Hügel bewegte, die sich vor dem
Hórenfels-Abdün erhoben und über die der Wind strich,
Wellen in das feine Hochgras zeichnete. Das Licht, der sich bewegende Punkt,
der aus der Ferne wie ein einsames, goldgelbes Glühwürmchen aussah,
schwebte, nein, glitt über alles hinweg und sein Weg wand sich querfeldein
nach Süden. Dahinter sah er dunkle Hügelkuppen und dann das Meer,
das sich am Horizont als azurblaue Scheibe abzeichnete, auf dem selbst
zu dieser Stunde noch Boote darüber glitten. Auch dort schien sich
das breite Licht der Monde zu spiegeln und zu schimmern, er sah, wie sich
die Wellen an den Klippen brachen und die schäumende Gischt war das
Kommen und Gehen von weißen Streifen. Und während er in den
Welten jenseits aller versank, ließ er das hüpfende Licht nicht
aus den Augen, das sich bedrohlich einsam durch das Gras bewegte.
Der würzige Geruch des Lorbeers machte ihn müde und schläfrig
und er entschlief, sank zurück und fühlte keinen Schmerz, als
er hart auf dem Boden aufschlug, streckte alle Viere von sich und die Kälte
wickelte ihn ein, wie sie einst Goran Ascan eingewickelt hatte.
Und dann trat die Eisfrau aus den Schatten, ihre Gestalt war weiß
und wunderschön, ihre Haut war zart und sanft. Sie kniete sich neben
den Alten hin, streckte ihre langen, eisigen Finger nach ihm aus, fasste
in ihn hinein und suchte. Sie grub. Wühlte. Bohrte. Wollte finden,
was sie so dringend erbittet hatte. Doch sie erhaschte nichts. Die Fähigkeit
den Schatten aufzurufen, würde sich wohl nur noch in den anderen finden,
nicht mehr in diesem hier. Dieser hier war praktisch wertlos, wenn sie
von ihm nicht bekam, was sie wollte, also würde sie ihn einfach umbringen
lassen. Es war einfacher, als ihn so lange am Leben zu lassen, bis er mit
der Antwort herausrückte, auch wenn sie ihm drohte, ihn fallen zu
lassen, gänzlich in den Tod sinken zu lassen, würde ihn das nicht
beeindrucken. Er erwartete den Tod, und das von Tag zu Tag mehr. Vielleicht
würde sie ihm sogar diesen Wunsch erfüllen, wenn er ihr das Geheimnis
anvertraute, das seine Ahnen schon seit so langer Zeit hüteten...
Kajetan erwachte. Die Nacht um ihn herum schien ungewöhnlich
hell, fast wie an einem grauen Regentag. Über sich sah er die beiden
halbkreisförmigen Monde, deren andere Hälften jeweils in den
Schatten versanken. Das Feuer, das er vor einigen Stunden entzündet
hatte, war fast bis auf wenige Glutbrocken heruntergebrannt und Asche hatte
sich über die wenigen Scheite gelegt; der Fels um die Stelle herum
war an einigen Stelle geschwärzt. Der Nebel, der in der Abenddämmerung
noch über den Hügeln gehangen hatte, war verschwunden, hatte
sich tief in die Wälder zurückgezogen und nun standen die Bäume
allein da, groß, schlank und nur schwarze Umrisse hinter einem noch
tieferen Dunkel, das sich durch den ganzen Wald zu ziehen schien. Die Farne
neben seiner Lagerstelle bewegten sich leicht im säuselnden Wind und
in den Bäumen raschelte es. Das Wort, das für jenes verwendet
wurde, was er dachte, erschien klar und deutlich in seinem Hinterkopf und
nahm fast den ganzen Platz ein.
Der Wald lebte!
Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und nach einigen Minuten verschwand
auch der letzte unwirkliche Schemen vor seinen Pupillen. Kalte Luft umhüllte
ihn und er begann leicht zu frösteln, setzte sich - immer noch gehüllt
in die wärmenden Decken - auf und lehnte seinen Oberkörper gegen
das raue Gestein des Felsens, der sich als schützende Überdachung
höhlenartig über ihm erhob. In den Felsrand zogen sich Rinnen,
die in der Zeit von Jahrhunderten durch die Tropfenschnüre des Regens
in das Gestein eingelassen waren.
Jemand, oder etwas, hatte ihn aufgeweckt und wollte nun, dass er
auf diese Situation entsprechend reagierte. Er spürte die Anwesenheit
von etwas Dunklem, das sich in den Wäldern und zwischen den Gebirgszügen
des Hórenfels-Abdün bewegte. Es war seine Anwesenheit, die
ihn geweckt hatte und auf ihn zu kam. Wieder und wieder betrachtete er
das Gelände um ihn herum, das im Osten zu einem seichten, bewaldeten
Hang abfiel, später zwischen zerklüfteten Felszungen im Meer
endete, der Weg im Norden hingegen ging steil hinab und führte zu
den mit Hochgras bewachsenen Wegen des Tieflandes. Der Westen war karg,
nur von Fichten besiedelt, die dann in riesige, kahle Berggipfel übergingen,
auf dessen Kuppen noch immer eine blütenweiße Schneedecke ruhten.
Der Süden war ungewiss, unerforschtes Terrain, das irgendwie zwischen
Berghängen, verschiedenen Mischwäldern und kleineren Tälern
lag, auf dessen Wegen sich die weißen Kirschblüten des Frühlings
wie ein Teppich ausgebreitet hatten. Dort saß etwas in den Kronen
der Bäume, was Josias noch nie gesehen hatte und von dessen Anwesenheit
er keine Ahnung hatte. Das, was er spürte, musste von Norden kommen.
Schnell trat er eine Schritte vom Weg zurück, duckte sich in die Schatten
der Felshänge und schlich den kiesigen Hang hinauf, wo auch an manchen
Stellen trockenes Hochgras wuchs. Fast augenblicklich verbarg er sich,
ließ die Schwärze seines Mantels mit dem satten Dunkelgrün
der Nadelbäume fusionieren und betrachtet, wer da mit schweren, lauernden
Schritten den Hang zu ihm herauf kam.
Erst sah er nichts, bis auf einen gelben Punkt, der sich zwischen
den Stämmen und Gebüschen der Wälder des Westlandes bewegte,
aus denen die dunkle, uneinnehmbare Fassade Krakensteins herausgewachsen
war, grotesk und halb mit den Felsen der nördlichen Gebirgsausläufe
verbunden, die sich wie eine schützende Handfläche um die West-
und Ostwand legten und besäumt mit den hellen Auswüchsen von
Lorbeer waren.
Die Burg schien verlassen, wie ein Geist, der nach Jahren des Herumspukens
endlich Schlaf gefunden hatte, und der glühende Punkt kam näher,
schien gar durch Gestrüpp und Unterholz getragen zu werden. Endlich,
fand das Licht einen Durchgang und entfloh dem Schutz der Bäume, bewegte
sich plötzlich unnatürlich schnell fort. Ein Schatten hatte sich
hinter das helle Leuchten gelegt, ein Wesen, das den Glutpunkt sicher in
den Händen barg und dessen Lichtspender es war. Fast schlagartig erinnerte
sich Kajetan an den seltsamen Kerl mit der Laterne und dem einen Handschuh,
der ihm an dem Abend zuvor aufgelauert und plötzlich wieder verschwunden
war, der ihm gerieten hatte, sich aufzumachen und die Elfen wieder in das
Westland zurückzubringen. Er war dem Rat gefolgt, ohne weiter nachzudenken,
weil es ihm als sinnvollste Sache erschienen war. Nun wagte er sich nicht
zu rühren, als die Luft ihn von der Seite her kalt anhauchte und ihm
schon alle Nackenhärchen zu Berge standen, sich gegen die aufkommende
Kälte sträubten, wie ein bissiger Hund, der sich weigert einem
Fremden Einlass in das Heim zu geben, was jener bewachte.
Der Truppführer kniff die Augen zusammen, um besser zu erkennen,
was sich dort unten abspielte. Er ließ seine Augen den Nordhang hinuntergleiten,
den der Dunkle gerade heraufkam. Ein silbernes Aufblitzen und das entfernte
Trampeln von Hufen ließen ihm klar werden, dass Ramhad geritten kam
und dass das Pferd schwitzte. Das Tier kam heran, während es über
die Hänge preschte und das leicht im Schatten stehende Gesicht des
Reiters war ernst. Schon jetzt konnte man durch den Schein der Laterne
die rote Uniform und das silberne Totenkopfabzeichen auf seiner Brust glimmen
sehen, wie ein verirrter Funke oder ein Stern. Die Augen des vor Schweiß
glänzenden Tieres waren von einer dämonischen Bosheit umwölkt
und der pechschwarze Schweif des Gaules peitschte die Luft, als es dahinglitt
wie ein Schatten. Die Gestirne spiegelten sich auf dem Leib des Tieres,
das wie ein Schlachtross den Pfad heraufgedonnert kam, während die
Erde rund herum zu beben schien. Leere und Unbehagen breiteten sich eisig
und stoßweise in Josias aus, der immer noch lauernd in seinem Versteck
hockte und das Näherkommen beobachtete. Auch ihm stand die Angst ins
Gesicht geschrieben. Prüfend legte er die Hand auf das lange Messer
mit den Elfenzeichen, das an seinem Gürtel baumelte und seine Finger
waren zittrig und Feuchtigkeit hatte sich in die Kuhlen seiner Handflächen
gelegt.
Nur wenige Duzend Yard entfernt gebot der düstre Reiter seinem
Tier zu halten und sich langsam und im steten Trab fortzubewegen. Das Pferd
tänzelte und der Ausdruck in dem düsteren Gesicht des Mannes
war entschlossen, in seine Augen flackerte das Weiße.
Er wurde nun noch langsamer, als er den Hügelkamm vollends
erreicht hatte und schlich regelrecht dahin, der Rotgesichtige im Sattel
sah aus, wie einer, der oft geritten war und für den es leicht war
freihändig im Sattel zu bleiben. Dennoch hielt er die Zügel mit
einer Hand fest, um die Geschwindigkeit des Pferdes noch weiter zu drosseln.
Josias hatte Angst zu atmen, bestimmt würde er sich dadurch
verraten. Er fragte sich, was dieser seltsame Kerl hier schon wieder wollte
und warum er ständig diese nervende Laterne mit sich trug. Er glaubte,
dass das Klopfen seines Herzens das einzige Geräusch überhaupt
war und während er flach durch den Mund atmete, begann er den Dolch
langsam hervorzuziehen. Vorsichtig bewegte er sich, griff mit den Spitzen
seiner Füße in den lockeren Kies unter seinen Füßen,
um hervorzuspringen und zu kämpfen, sollte sich der dunkle Reiter
nähern. Seine Augen beobachteten rastlos und interessiert, was sich
dort zwischen Kraut und Heide bewegte.
Die Geräusche der auf Steinaufschlagenden Hufen waren laut
und folgten jetzt nur noch langsam, das Schnaufen, der verschwitzte Atmen
und der Geruch des Pferdes lag in der Luft. Ramhad stand da, wo Kajetan
noch vor ein paar Minuten geschlafen hatte und blickte auf das verlassene
Lager herab. Die zerwühlte Decke und das noch glimmende Lagerfeuer
machten ihn stutzig, sein Blick war eine unbewegliche Maske, seine Glieder
wie die einer Marionette. Kajetan schloss die Augen, sah einen Moment Schwärze.
Und öffnete sie wieder. Der Reiter stand bewegungslos, den Blick in
das Gebüsch gerichtet, in dem sich der Feldherr versteckt hielt. Seine
Augen glommen. Die Laterne flackerte. Stille herrschte, das schwere Eisengeschirr
des Tieres regte sich nicht. Ramhads zuckender, irgendwie wechselnder Blick
rührte sich nicht von dem Tannengebüsch. Kajetan wagte es nicht
sich zu rühren, ja, auch nur zu blinzeln untersagte er sich. Er versuchte
vorsichtig und mit den Odemzügen des Windes zu atmen, um seine Anwesenheit
nicht zu verraten. Die glasigen Perlen, die an seiner rechten Backe herabliefen,
wurden eiskalt und frostig, durch den erfrischenden Hauch aus dem Süden.
Frostig, wie der Blick des Roten.
Dieser ließ den Schwarzen jetzt weiter unter den Felsübergang
treten, um näher an das aufgewühlte Lager heranzukommen. Ein
schneidender, leicht scheppernder Ton entstand, als Ramhad sein Schwert
aus der ledernen Scheide an seinem Gürtel zog. Die Klinge schimmerte
dämonisch hell, wie der Märchenmond.
Dann ließ er die Klinge plötzlich herabsausen. Wie ein
silberweißer Blitz glitt sie hinab und durchstach das Bündel
aus übereinandergeschichteten Laken und Fellen. Die Laute, mit denen
die Waffe in die Kissen fuhr, war ruckend und stoßend, die Tücher
vibrierten unter den auftreffenden Streichen. Dann ließ er ab, schwang
das Bein über das Heck des Tieres und ließ sich fallen, trat
durch die noch glühenden Kohlen, als wäre sein Körper aus
Stahl. Während er das Pferd noch am Halfter hielt und seine Blicke
die Dunkelheit der Nacht zu durchbohren versuchten, sog er die Luft scharf
durch seine Nasenlöcher hinein und verzog dabei eine unheilverkündende
Grimasse, während er den Kopf in alle Windrichtungen drehte.
Kajetan gefror das Blut in den Adern, als Ramhad mit schweren Schritten,
die den Stein unter seinen Füßen zu zerstampfen schienen, den
kleinen Hang hinaufstapfte. Sein Körper bewegte sich schwer und gewichtig,
seine Gestalt wirkte wuchtiger als noch in der Morgendämmerung und
seine Züge waren kantiger, das Wesen dahinter versuchte durchzugelangen.
Die Laterne strahlte helles Licht aus, wurde jedoch tief gehalten...
Der ehemalige Feldherr bewegte sich nicht, er fühlte, dass
es vorbei war, dass das Versteckspielen endlich ein Ende hatte. Aber er
bewegte sich nicht. Und genau das war sein Fehler, seine Hände begannen
zu zittern und die Knöchel wurden ihm steif und Kälte und vulkanische
Hitze hatten ihn erfasst, schüttelten ihn und wütete, zerstörte
ganze Nervenenden und zermürbte den Riesen, der sich plötzlich
winzig im Vergleich zu Ramhad vorkam. Dennoch verließ er sein Versteck
nicht. Er wartete. Und auf einmal wurde sein Warten belohnt. Hinter ihm
in den Büscheln raschelte es, der düstere Mann wandte sich ab,
lächelte jetzt und sein Schwert hob sich. Er ging an Kajetan vorbei
und strebte den Hang weiter dort hinauf, von wo das Geräusch hergekommen
war.
Erst rührte sich Josias nicht. Alles um ihn herum schien sich
zu bewegen und in einem Sumpf aus Nachtfarben und Tümpeln zu versinken,
Felsen wuchsen, veränderten ihre Gestalt, während langsam der
Wahnsinn seinem normalen Denken wich und er - von gemischten Gefühlen
geprügelt - seine Tarnung aufgab. Er platze heraus aus den dichten
Fichten und Tannen, stürmte den Hang hinunter, immer auf die Felsnase
zu. Seien Schritte hallten laut und Kies spritzte auf, die Anspannung des
stillen Wartens wich von ihm ab, während das überhangende Sims
näher und nähr kam, rasend wurde. Hinter sich wurde er dem Flügelschlagen
einer Eule gewahr und das Fluchen Ramhads, der für einen Moment untätig
war. Diesen Moment nutzte Kajetan.
Und sprang.
Er krachte mit solcher Wucht auf den Rücken des Tieres, dass
es sich aufbäumte, während die Taubheit, die während des
Sprunges in seinen Ohren war, schlagartig zurückgedrängt wurde
und dröhnte lauthals. Das schrille Wiehern zeriss die Ruhe der Nacht
und dann galoppierten sie los, unter donnernden Hufen und die Hände
in das schweißdurchnässte Zaumzeug verkrampft. Während
er den Südhang hinuntersprengte, wurde ihm klar, dass der Rote sie
bemerkt haben musste.
Er warf einen kurzen Blick zurück.
Das Herz stockte ihm in der Brust, als der Wandler mit rasend schnellen
Schritten den Kamm herunterglitt und ihnen ohne zu zögern nachstellte.
Seine Beine schienen kurz über dem Boden zu schweben, denn der Mann
mit dem rostroten Bart war schnell, und er holte auch schnell auf, während
seine Bewegungen blitzartig und weit ausgreifend erfolgten. Fahrtwind schoss
Kajetan ins Gesicht und er ließ die Zügel fliegen, bäumte
sich weit vor, während die Gestalt Ramhads immer größer
und bedrohlicher wurde und bald eher wie ein Tier zu laufen begann, alle
Läufe in den weichen Boden, zwischen Felsspalten und Grasbüscheln
grabend, zog er sich immer mehr an sie heran, während seine Züge
unebener und knochiger wurden, Schwärze drang durch seine Haut durch
und er gewann an Geschwindigkeit.
Nein!, ächzte Kajetan in Gedanken und beugte sich weit
vor, stemmte sich gegen den Wind und neigte seinen Oberkörper noch
tiefer in den Sattel, während er den hastigen, rasenden Atem des Gaules
nah bei seinem Ohr hörte und das seidige, weiche Fell seiner Mähne
ihm ins Gesicht fiel.
Noch schneller ging es, der Rappe griff noch weiter aus, während
es über die Hügel in einen schmalen Talkessel hinabpreschte und
dann immer weiter, bis ans andere Ende. Der Wald um ihn herum schien zu
wachsen, undurchsichtiger und dichter zu werden, während das Schattenwesen
mit der flackernden Laterne an Geschwindigkeit verlor und sie einen weiteren
Vorsprung erlangten. Wie weit würde das so noch weiter gehen, überlegte
der Truppführer, wie lange sollte die Jagd noch anhalten? Oder würde
das Pferd schlapp machen und der Dunkle ihn schließlich einholen?
Er konnte nicht anders, als auf ein Wunder hoffen, als er sich fester an
den muskulösen, harten Leib des Tieres lehnte, um ihm so wenig Widerstand
wie möglich zu verleihen...
© Benedikt
Julian Behnke
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse
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