Die legendären Krieger von Rohan von Benedikt Julian Behnke
1. Teil: Der Herr der Winde / 2. Buch
Der schwarze Laurus 5 - Der Traum

Der Morgen graute über dem Hochland, breitete sich sanft und betörend aus, als wolle er die kommende Macht Melwioras wiederspiegeln und seinen Hohn und Spott auf diese Weise preisgeben. Der Himmel war erfüllt von einem vagen Graurosa, das sich mit dem Gold und Blutrot der Sonne vermischte, dort, wo Horizont auf Himmel und sie beide auf den pulsierenden Ball aus gefasstem Licht stießen. Der Geruch von den ersten Frühlingsblumen und Honig lag in der Luft, mischte sich mit der Schwere von Feuchtigkeit und der Trauer des Nadelwaldes und ergoss sich wie ein Wasserfall über Rohan und das Hochland. Hart war die Nacht für alle gewesen, doch die Frische des Tages und seine Wärme ließen sie alle schnell vergessen, wie viele Wunden sie davongetragen hatten. Sie hatten die Grenze der Stadt noch am selben Abend erreicht und hatten sich durch die Blockade der Tieflanddämonen geschlichen, während Thronn dem Fieberwahn ausgesetzt war. Nun rasteten sie an den Ufern des Eisflusses, waren geschützt durch einen Hang, der sich nordöstlich von ihnen erhob und ihnen Schutz gab, während sie in den Schatten einer kleinen Baumgruppe ruhten.
Der Druide lag zwischen den Wurzeln einer Eiche im Gras, sein Atem ging schwer und war nur noch ein Wechsel von Tönen, die das Wasser zu überspielen versuchte. So lag er unter dem Baldachin des Blätterdachs, geschützt von der Sonne, die von Osten her schien und er sah sie als verwischten, gelben, monströsen Punkt, der sich vor einem grauen Himmelblau abzeichnete, das von einem Wolkengeschwader durchzogen war. Er hatte Träume, Träume, die ihn plagten. Träume von Schattenwesen und von der Zukunft der Welt, doch der Schatten erschien ihm nicht. Die Männer gingen geschäftig umher, während sich die Verletzten ausruhten und ihre Wunden mit dem eisigen Wasser säuberten. Rone half dem Hexer bei seiner Waschung, da für diesen die Prozedur doppelt so schwer war, denn in seinem Geist spielte sich mehr ab, als nur bekennendes Zutreffen und das Einverständnis mit der Welt. Er wollte verändern, doch dazu fehlte ihm momentan die Kraft. Sein Leib war geschunden, zerkratzt und zerstochen, dort, wo die Hiebe von Waffen aus eisigem Stahl ihn erwischt hatten. Der junge Warrket fuhr mit einem befeuchteten Stück Stoff über den festen, bleichen Körper, der verspannt und dreckverkrustet war. Er wusch ihm die Verletzungen aus, die sich tief und unerbittlich in das Fleisch gelegt hatten und säuberte die rosige und zerfetzte Haut, aus der noch immer kleine Blutrinnsale flossen; das Tuch wurde schnell von mehr als nur Schweiß und Dreck benetzt und als er es auswusch, färbte sich das Wasser zu einem dunklen Rot, das durch die Stromschnellen tanzte.
Plötzlich stand Patrinell neben ihm, einen silbernen Säbel in der Hand, das rotbraune Leder um seinen Rumpf beinahe unberührt, seine Stiefel waren abgewetzt und sein Gesicht wies Bekennung und doch Unruhe auf. "Wie geht es ihm?", fragte er ehrlich besorgt.
"Wenn wir die heilenden Quellen morgen Abend nicht erreicht haben, sieht es schlecht für ihn aus."
"Verdammt!", schimpfte Arth und schlug sich mit der Faust auf den Oberschenkel des Beines, das er auf einem Felsbrocken gestützt hatte. "Wir brauchen mindestens so viele Tage, um die Grenzen zu erreichen. Das heißt, wenn uns nichts dazwischenkommt.
"Was meinst du mit: Wenn uns nichts dazwischen kommt?" Doch Rone wusste bereits, worauf die Antwort herauslaufen würde und so senkte er bereits ermattend die Schultern, widmete seine ganze Konzentration jetzt wieder dem Zauberer, der immer noch unverständliches Zeug vor sich hin murmelte und dessen Blick glasig gegen den Himmel und die pralle Sonne gerichtet war.
Der General räusperte sich, denn die Frage behagte ihm nicht besonders. "Das heißt, dass gemunkelt wird, dass eine weitere Dämonenpatrouille im Rokronpass auf uns wartet und wir sozusagen im Hochland gefangen sind wie in einem Hexenkessel." Er sah kurz zu dem am Boden liegenden herunter und schüttelte dann mutlos den Kopf. "Nein. Ich glaube nicht, dass es noch eine Chance für ihn gibt. Die schützenden Felsenzähne des Hochlandes werden zum eigenen Problem." Er stemmte die Hände in die Hüften und folgte dem Flusslauf mit den Augen. "Welche Ironie...", sagte er dann, während sich seine eher geflüsterten Worte im Brausen und Sausen des Windes verloren.
"Was sollen wir tun?" Rone war verzweifelt, denn sein Onkel würde sterben, und das nur, weil er für ihn in die Bresche gesprungen war. Er hatte sich noch nicht bereit gefühlt, den Spiegel mit seiner neu erworbenen Magie zu zerstören, und so hatte der gewaltige Grenzer es getan, hatte sich vor die obsidianschwarze Oberfläche gestellt und seinen Dolch gezogen. Und in dem Moment, in welchem er seinen Körper zu etwas Festem hatte werden lassen, um den Spiegel zu vernichten, war der Rückschlag schnell und unermüdlich gekommen. Die drei Mordgeister hatten sich auf sie gestürzt und erst dann hatte er den notwendigen Mut gefunden, und hatte vor Dringlichkeit geschrieen, den dunklen Onkel besungen und bereits im nächsten Moment war von den Dreien nichts als Staub im Wind übrig geblieben und der Spiegel war in tausend Stücke zersprungen. Trotz dem Beweis, dass der Elf die Macht hatte, war es ungewohnt für ihn, sie einzusetzen. Er hatte sie in sich wallen gespürt und sie freigelassen, doch noch immer verstand er nicht, wie er es geschafft hatte, und warum gerade er diese besondere Kraft besaß. Bis jetzt hatte er versäumt mit dem anderen darüber zu reden, aber die Dringlichkeit, dass er es tun musste war hoch, dennoch schien Thron momentan nicht in der Lage ihm zu antworten.
Während Patrinell dem Verlauf des Flusses mit den Augen folgte, die Arme über der Brust verschränkt, und dem Rauschen des Windes zwischen den Knospen und Blättern pfeifen hörte, kam ihm die Erleuchtung. "Ein Floß", sagte er monoton. "Ein Floß, das uns über den Eisfluss bis zum Tor hinträgt. Wir würden schneller ankommen. Der Platz hier ist Ideal! Das Holz der Bäume müsste ausreichen, um eines zu bauen, das für alle dreihundert reicht! Aber wir müssen mehrere bauen und jedes muss von einem starken und erfahrenden Mann gesteuert werden.", gab er zu bedenken, während sich die Miene Rones aufhellte. "Ich werde sie selbst auswählen gehen. Die Neuen sind bestimmt erfahrener, als die meistern meiner Leute." Die Neuen. So nannte er Rune, Trajan, Rykorn und den Zwerg, die sie gestern am Vorabend in den Katakomben getroffen hatten, und die so erschöpft gewesen waren, dass einer von ihnen sogar zusammengebrochen war. Sie hatten ihn tragen müssen. Die anderen wollten nicht viel über sich erzählen, sie hatten gemeint, es sei die Sache ihres Anführers Dinge über sie anzugeben. Aber einer hatte sich bereits Rone anvertraut, doch er hatte dem General nichts davon erzählt. Er wollte nicht, dass Trajan ernsthafte Schwierigkeiten bekommen würde. "Nun denn", sagte Patrinell plötzlich und mit neuem Lebensmut in der Stimme, "werden wir Riagoth und ihren Dämonen beweisen, wer hier die führende Hand im Spiel ist!" Er ging und seine Schritte waren stark und verhältnismäßig ausgeruht zu denen der anderen Krieger.
Rone beugte sich wieder über den groben Grenzländer, dessen Haut immer noch von kaltem Schweiß überzogen war, und dessen Poren immer mehr bildeten. Plötzlich schlug er die Augen auf, ein helles Funkeln mit Blicken, die wie heißes Eis waren und nach Bedarf töten konnten. "Thronn..." Rone schrak zurück, ließ von den Wunden seines Onkels ab, doch dessen starke Hand griff nach ihm, hielt ihn fest, zog ihn zu sich heran.
"Rone..." Seine Augen waren gerötet und standen hervor, hinter ihnen tobte der Wahnsinn. "Das Gift... Es zerfrisst mich... Die Mordgeister haben... es mir... mit ihren Hieben injiziert..." Sein Griff legte sich fester um den schmalen Arm des Elfen, schien den Knochen zu zerdrücken. "Schnell... Du musst... mir zuhören..." Das Sprechen fiel ihm schwer, war ein kehliges Geräusch aus seiner Brust, während er die Worte krampfhaft herauswürgte. "Deine Magie... Sie ist... Sie ist..."
Dann sank er zurück, schlapp, kraftlos, die Lider sanken ihm zu und seine Atemzüge mussten sich ohne seine Hilfe aus der Wölbung seines offenen Mundes ringen. Er versank in den Schatten, die Welt um ihn verschwamm, wie ein Stück Treibgut, das vom Fluss erfasst und fortgerissen wird. Noch immer spürte er den giftigen Hauch der Schwertklingen, die ruckend in seinen Leib gefahren waren, ihn von außen durchstießen, so tief, dass er das Silber in seiner Seele hatte spüren können. Immer und immer wieder hatten sie auf ihn eingeschlagen, ihn gemartert und geprügelt wie einen räudigen Hund und der Stahl war kalt gewesen, hatte ihm einen eisigen Schock nach dem anderen durch den Körper gejagt, um ihn zu vernichten. Er hatte dieses Gefühl nicht zum ersten Mal gespürt. Es war fast genauso gewesen, als der Schatten, das dunkle Wesen und Rones Magie zusammen in ihm gerungen hatten, nur, dass die kalten Waffen realer, härter, schneidender und eisiger gewesen waren. Das Gift hatte gebrannt, seine Glieder betäubt, als wäre er Stunden lang nackt im Schnee gelegen. Er hatte die mentalen Kräfte gespürt, die sich in dem rohen Aussehen der Schwerter verborgen hatten und in dem Moment hatte er gewusst, dass es vorbei mit ihm sein würde. Vielleicht würden sie es noch rechtzeitig schaffen die Silberseen zu erreichen, doch er merkte auch so, dass Sowem Dun ihn immer wieder finden und zu töten versuchen würde. Er versuchte noch ein letztes Mal die Augen zu öffnen, schaffte es jedoch nicht und so entschwand er, langsam und vorsichtig, wie auf Wolken getragen segelte er davon, während der Tod mit ihm segelte...
Der Sog in ihm zerrte und wollte ihn zu sich hinabreißen, wie schon so oft, doch er klammerte sich verzweifelt und nur mit einem Arm an die felsigen Kanten der Schlucht, seine Muskeln waren angespannt und waren größer, als es normal der Fall war. Sein Rechter hing ihm schlaff herab, zerkratzt und zerstoßen, Blutrinnsale fanden ihren Weg, bildeten seltsame Muster und vereinigten sich mit seinem Schweiß. Er atmete schwer, der Mantel war vollgesogen mit einer Last, die er nicht vermochte zu tragen, und riss und zerrte ihn in das dunkle Loch, was sich dort unten ausgebreitet hatte. An den Wänden hockten seltsame Wesen, schwarz und mit langen Krallen, die wie Sicheln aus ihren Fingerspitzen hervordrangen, die lederne Haut zu zerreißen schien, auf Felsvorsprüngen, starrten ihn bösartig und voller Wut aus dunklen, finsteren Augen an. Und in dem Augenblick, in dem Warrket ihre hämischen Blicke sah, wusste er instinktiv, dass es eine Prüfung war. Eine Prüfung, die er überstehen musste, um sein Leben zu retten. Doch er hatte vergessen, wie man das anstellte. Bis jetzt durfte er immer die Aufgaben anderer und die der Welt erfüllen, Diener und Druide sein, und Rohan sein Herr, der ihm alles gab, was er zum Leben brauchte. Doch dieses allumfassende Land forderte auch. Es war streng und hinterhältig, lockte ihn immer wieder in Fallen, aus denen er sich befreien musste.
Und das ist es, für das ich kämpfen soll?, fragte er sich bekümmert. Bin ich es etwa, dem die Last der Welt auf den Schultern liegt? Es war ein Rätsel, das es galt zu lösen, und wenn er es nicht schnell tat, würde ihn sein eigener Hunger zerfressen, würde ihn in ewige Knechtschaft schicken. Er dachte nach, sah ein weiteres Mal den Umhang, der von eisigen Klauen aus dem Loch gefasst worden war, sah ein weiteres Mal seinen einen Arm schlaff und kraftlos herunterhängen und dann den anderen, der gleich zu zerreißen schien. Es pochte und brannte in ihm, die Muskeln standen kurz vor einer Überdehnung und der, aus dem der Lebenssaft in kleinen Sturzbächen dahinrauschte, war völlig taub und nur ein merkwürdiges Prickeln erinnerte ihn daran, dass er überhaupt noch existierte. Weiter überlegte er fieberhaft, während er die lauernden Kreaturen eingehend betrachtete.
Und dann geschah etwas, mit dem er nicht gerechnet hätte.
Ein starker, dunkler Arm streckte sich nach ihm aus, und der Besitzer war ein pechschwarzer Schemen in der Dunkelheit der bewölkten, stickigen Nacht des Hadesfelsens. Unter ihm war unsagbare Hitze. Schweiß und Fett schien an seinen Beinen zu brennen. Es war der Schatten Senragor Allagans, der sich aus den tiefen des Blutsees erhoben hatte, um über alles zu wachen, was sich in den Ländern des Westens abspielte.
Fasse mich...
Die Stimme das Schwarzen war dünn und verklang mit der Zeit, wiederholte sich immer wieder, wie ein Echo, das in der Ferne verschwand. Und erst jetzt erkannte er das Problem. Es war eine Entscheidung, die er treffen musste. Entweder sollte er nach dem rettenden Arm greifen, oder stürzen. Die Aufgabe lag aber nun darin, dass ihm nur eine Hand zur Verfügung stand. Wenn er seinen Halt entgleiten lassen würde und nach dem dunklen Druiden griff, würde er zurückrutschen und in dem schäumenden und brodelnden Magma versinken. Das Gleiche würde auch geschehen, wenn er sich würde fallen lassen. Es gab nur eine Möglichkeit, die aber nahezu unvorstellbar war. Mit einem harten Ruck müsste er sich hochreißen und nach dem Dunklen greifen, doch dazu schienen seine Gebeine nicht in der Lage. Er fragte sich, ob er überhaupt noch eine Möglichkeit besaß aus dieser Situation zu fliehen. Aber... Was sollten die Wesen bedeuten? Waren es die Ankündiger seines Todes, die ihn angrinsten? 
Der Schmerz wurde schlimmer, breitete sich in den feinsten seiner Nervenenden aus und brannte wie giftige Splitter von Eis, die Tief bis unter seine Haut und unter seine Muskeln gedrungen waren. Jedoch - bemerkte er jetzt erst - gab es da noch ein Rätsel. Warum war er so unnatürlich stark und kräftig geworden? Er kannte sich nur als dürre, kantige Figur, die geisterhaft durchs Leben schritt.
Verzweifelt fühlte er nach seiner Magie, doch sie war fort, entschwunden, wie die Möglichkeiten seiner Flucht, seine Suche: vergeblich. Er spürte diese kalte Macht nicht mehr in sich, dieses Gefühl diesen ständigen Hungers und der Gewissheit auf eine Krankheit, die unheilbar war. Wieder versuchte er seine besondere Kraft heraufzurufen, die blaue Magie zu beschwören, das Feuer der Druiden, das sie aus eigener Kraft erschaffen hatten, nachdem die Eisfrau sie beraubt hatte. Doch das vertraute, kalte Etwas, das sich in seine Fingerspitzen grub, sich unter seine Haut setzte, und darauf wartete, freigesetzt zu werden, blieb aus. Er sank zurück, legte seinen Kopf in seinen verschwitzten Nacken und stöhnte, ein Seufzer, der ihn wieder in die Wirklichkeit um ihn herum brachte...
Rone saß neben ihm, hielt seine Hand, die sich kalt und verkrampft anfühlte und dennoch war es, als gehöre sie ihm nicht. Schatten, welche die Blätter der Bäume auf sein Gesicht warfen, verbunden mit dem Spiel der Sonnenstrahlen, tanzten und der Elf lächelte, doch es war ein besorgtes, unwirkliches Lächeln, das nur gespielt war. Während die unwirklichen Feuer seines Traumes noch hinter seinen Augen spielten, bewegte er die Lippen, versuchte sie zu befeuchten, um den Zug des Windes zu spüren. Doch er fühlte nur Hitze und eine krampfhafte Leere, die von ihm ausging. Das Fieber wurde schlimmer. Er versuchte dem anderen etwas zu sagen, doch seine Worte gingen in dem Rauschen des Baches unter, das plötzlich ein lautes Zischeln in seinen Ohren war und betrübt wandte er das Haupt ab, legte es auf die Seite, wo eine Wurzel seine Schulter wie angegossen umschloss. Dort presste er die Wange darauf, um die Rinde und das Leben darunter zu fühlen. Auch hier fühlte er Feuer, spürte die Abdrücke, welche die fein gemusterte Rinde auf seiner Haut hinterließen und das Leben, was darunter wich, von einem baren Betrübtsein erfüllt wurde.
Das Land starb.
Obwohl es Frühling war, das Schmelzwasser die Erde getränkt hatte, schien der Boden grob und ohne Nährstoffe und eine Eingebung sagte ihm, dass es die Macht Melwioras war, welche die Erde zu dem machte was sie war, Gift für Pflanzen und Tiere. Mit ihnen passierte das gleiche, was auch mit den Tieflanddämonen geschehen war.
Tod.
Erwecke uns, dunkler Onkel.
Erwecke uns, Druide!
Die Stimmen waren süß und leise, wie die eines jungen Mädchens, dennoch waren sie stechende Laute in seinen Ohren, die ihn auf eine gewisse Weise plagten und quälten. Ja, er wollte ihnen helfen, ja, er wollte sie retten. Ja und nein. Das Nein entstand wie eine dunkle Regung in seinem Kopf, schien von irgendwo außerhalb seiner Sichtgrenze zu kommen und ihn zu bedrücken und zu zerdrücken, Felswände pressten sich von allen Seiten an ihn, zermürbten ihn, wie einen weiteren, verwitterten Stein.
Und dann hörte er Vogelgezwitscher.
Und es war das süßeste was er je gehört hatte, klar und rein, ein Singsang, der sich betörend in seinem Kopf ausbreitete und seinen Körper für sich einnahm und dann war da noch etwas. Das Rauschen der Bäume war laut und kräftig in seinen Ohren. Er öffnete die Augen, die wischenden Farben waren verschwunden und hatten den Betörenden der Natur platz gemacht, die sich schön, hell und lichte in der Gestalt des Frühlings um ihn schloss. Wieder sah er das besorgte Gesicht des Jungen doch diesmal, lächelte er. Sein Haupt schien mit einem Mal frei, nichts mehr zu wiegen, dennoch war ein bedrohlicher Schatten in seinem Inneren geblieben, den er irgendwie geschafft hatte einzuschließen. Und mit der Gestalt, war auch seine Magie eingeschlossen worden, und er hatte den Raum zu seinem Herzen fest verschlossen, mit einem Schlüssel, den er hatte verschwinden lassen, wie ein Jahrmarktsgaukler ein Goldstück verschwinden lässt.
Und es aus dem Ohr eines Passanten wieder herauszieht, dachte er und lächelte, grinste über das, was er unbewusst getan hatte. Er merkte, dass er nur den Stimmen, die ihn umgeben hatten, vertrauen musste, denn das war es, was die Pflanzen von ihm wollten. Sie wollten ihm ihr Leid mitteilen und er hatte es aufgenommen, nicht von ihnen, aber er hatte mitgefühlt und der Schmerz hatte ihn ebenso stark wie in seinem Traum durchspült. Doch diesmal war er dadurch erweckt worden, und immer noch galt es das Rätsel zu lösen, bis es zu spät war. Oder hatte er es bereist gelöst?
Während er darüber nachdachte, lehnte er sich gegen den Baum, und teilte seinen Leib mit Sonne und Schatten, wobei er den anderen zuschaute, die begannen mit Axt und Schwert große Holzstücke aus dem Wald zu schlagen. Diese wurden mit Stricken verknotet, um sie stabil zu machen, damit sie nicht mitten auf dem Wasser zerbrachen und sie alle von dem reißenden Strom gepackt wurden.
Jetzt sah er in die grauen Augen Rones, über die ein erstaunter, wenn auch misstrauisch wirkender Schimmer glitt und sich wie Nebel in seinen Gedanken ausbreitete. "Geht es dir besser?", fragte er und setzte sich im Schneidersitz vor einen Baum, während er die frische, kühle Luft einatmete, die geschwängert von Honig und schwerer Feuchtigkeit war.
Thronn lächelte, verzichtete auf eine Antwort, denn es war befriedigend nach diesen Stunden des völligen Verlierens endliche eine Stimme zu hören. Schließlich setzte er eine ernste Miene auf, um seinen Gegenüber nicht sofort zu erschrecken, während er sagte: "Das Gift ist noch immer in mir, Rone." Seine Stimme war seltsam ruhig und gefasst, als er die Worte aussprach. Der Junge zuckte unweigerlich zusammen, und ein Funke des Mutes erlosch. Er hatte Angst, dass sein Onkel ein weiteres Mal erkranken würde. "Mit der Hilfe von Magie habe ich es jedoch eingeschlossen. Mit ihm ist auch meine Magie gegangen und ich bin nutzlos für Euch..." Er schwieg. Er hatte befürchtet, das sagen zu müssen, doch es war die Wahrheit und gerade die war es, die schon seit Wochen überfällig war. "Meine Kraft hat nachgelassen und ich bin immer noch schwach. Die Kraft ruht nicht mehr wie einst in mir. Sie ist jetzt aufgeteilt und nur noch schwach. Es wird mir erlaubt sein, mit dir zu gehen und dich zu beschützen, doch weiter wird meine Energie nicht reichen. Sie wird verfliegen, bevor du..." Stockend hakte er mitten im Satz, schlug sich und verbannte seinen Gedanken. Das war zu früh!, schimpfte er sich. Er wollte es Rone unbedingt sagen, doch die Vergangenheit hatte ihn gelernt bis zum Äußersten zu warten. Doch der Junge wartete auf eine Antwort. Er konnte ihn nicht so einfach sitzen lassen. Also begann er weiter zu reden, diesmal jedoch langsamer und er überlegte sich jedes einzelne Wort, das er von sich gab: "Bevor ich gehe, werde ich dir noch viel beibringen. Deine Magie ist noch zu einem großen Teil unbenutzt und unvollständig. Meine Aufgabe ist es, dein Lehrer zu sein und ich werde tun, was ich tun muss. Es ist mein Schwur, der mich an dich bindet, Rone!"

Das Licht kam von Osten, schien zwischen den Kuppen und schneebedeckten Kämmen der Regenfelsen hindurch, deren Silhouetten sich von der Beargrweininsel dunkel und kalt erhob. Das Wasser schimmerte in einem hellblauen Streifen, durchzogen von schimmernden Fäden aus Gold, welche die Wellen woben. Vom höchsten Punkt des Wachturms von Pakin konnte man sogar über das raue Gestein des Hórenfels-Abdün hinwegblicken und Burg Krakenstein und die Ebenen von Argon erkennen, die sich langsam aus den Falten der Nacht erhoben. Um die Feste hatten sich Tausende von grauen Zelten gelegt, deren Fläche bis an die Ufer des Mauradin führte.
"Ein Trick.", sagte Kajetan, während er wie gebannt in die Ferne starrte. "Ein Trick, um Euch zu täuschen, Elf." Er hatte seine Augen zusammen gekniffen, und so entstanden kleine Fältchen um seine hungrigen Augen, während seine Züge ernst und bewegungslos verharrten.
"Warum sollte sie so etwas tun? Was treibt Riagoth dazu an, uns in Schach zu halten?", fragte Irmin Bar, während der Wind sein dunkles Haar durchfurchte und er die Hand über die Augen hielt, um sie vor der Sonne zu schützen. 
"Ihr habt Euch die Frage soeben selbst beantwortet, Óus. Sie versucht euch in Schach zu halten. Sie will euch glauben lassen, dass sie immer noch mit der Belagerung von Krakenstein beschäftigt ist, während ihre anderen Horden um die Meere herum reisen und das Land von Süden her angreifen sollen." 
Erst zögerte Eszentir, doch dann nickte er lange und einsehend. "Ihr habt recht, Truppführer. Ich werde die Oberen, unsere Könige benachrichtigen, sie sollen sofort alles bereit machen und ihre Luftschiffe nach Rovanion lenken, denn es ist die einzige Stadt in Rohan, deren Tore noch sicher sind. Wir werden fliehen und Euch unterstützen." Er griff nach einem Horn mit silbernem Mundstück, das an seiner Seite befestigt war und hielt es sich an die Lippen. "Später, wenn das Hochland und das Tiefland geräumt sind, werden wir gemeinsam vordringen können!" Er hielt sich das Horn an die Lippen, holte einmal kurz Luft und ließ dann mehrmals hintereinander ihren silbernen Klang erschallen. Die Töne hallten wider von den hohen Steinen des Abdün und überschütteten das rote Herbstland mit einer Pracht aus Melodien und wohlklingenden Tönen, sodass das ganze Elfenvolk zu lauschen schien. Die Wächter, die sich zu dieser Zeit an den Brüstungen und Zinnen des Turmes befanden hatten, zuckten erschrocken zusammen, ihre Ragón-Mäntel, welche die Farbe des schwarzen Granits des Turmes angenommen hatten, bauschten sich, Wind wehte kühl über die blutrote und silbergraue Farbe der Bäume unter ihnen, zwischen denen sich Reihen von Hoch- und sogar Seegras tummelten.
"Und was werden wir jetzt unternehmen?", versuchte der Feldherr herauszufinden.
"Wir werden nach Süden gehen", antwortete der Elf ihm lässig über die Schultern hinweg, "und die Königin um Rat fragen."
"Eine Königin? Ich dachte, ihr hättet einen König?"
Eszentir lächelte, denn er hatte mit dieser Frage gerechnet. "Kommt mit, dann werde ich Euch alles erzählen." Er schritt schnell voran, während seine elfische Gestalt schlank und ausgewogen wirkte, als trüge sie ein großes Geheimnis mit sich. Kajetan kniff die Lider zu zwei glimmenden Schlitzen zusammen, sah dem drahtigen Elfen einen Moment interessiert hinterher, bevor er ihm misstrauisch folgte, denn er wusste, dass dieser Mann etwas verbarg. Etwas, was schon lange hätte in Vergessenheit geraten müssen...
 

© Benedikt Julian Behnke
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Und schon geht's weiter zum 16. Kapitel (6. Kapitel des 2. Buches): "Auf dem Eisfluss"

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