Die
legendären Krieger von Gordolon |
Die kupfernen Schindeln der Dächer von Lesrinith glänzten wie flüssiges Gold, als sich die frühe Helligkeit der Morgensonne über die Felskämme im Osten schob und die kühle Lüft wurde erwärmt, laue Winde strichen über die Bäume und die erste Aufregung des Elfenvolkes hatte sich bereits gelegt. Während die Luftschiffe mit Vorräten für die nächsten zwei und einen halben Tag beladen wurden, machten sich bereits Frauen und Kinder an den Ufern des Warmakins auf den Weg nach Süden, die mit Kies ausgelegte Straße war ohne Spuren, nur selten benutzt worden und daher an manchen Stellen überwuchert oder von Wurzelsträngen überdeckt. Blätter fielen in all ihrer Farben von den Ästen und eine seltsame Magie ließ in wenigen Tagen dort erneut ein Blatt entstehen und so herrschte ewig Herbst in dem Land der Roten. Das Segeltuch spannte sich mit einem harten Ruck und die Böen von Wind ließen es sich blähen, sodass das Weiß der Sonnensegel mit dem Emblem des Landes darauf deutlich und wie eine offene Blüte in einem Meer aus Seegras prangte. Die Schiffe schwebten nur wenige Zoll über dem Boden, wurden noch von Leinen und Tauen gehalten, während einige Soldaten der Elfenarmee Nahrung in ihre Kajüten verstauten. Sephoría hatte angeordnet, dass sich ein großer Teil der Soldaten auf den Flugmaschinen aufhalten sollte, um, sobald sie in Rovanion angekommen waren, ausschwärmen und die Wälder von den Grauen reinigen sollten, während der Rest sich zu Fuß aufmachte, um Burg Krakenstein von den Felsausläufen des Horenfels-Ábdün anzugreifen. Auch die Flugreiter mit ihren Rocks würden die Luftflotte zwar erst begleiten, dann jedoch über den Ebenen von Argon kehrtmachen und einen direkten Angriff auf die Belagerer zu vollführend, sodass der Weg für die Fußsoldaten anschließend frei war. Schon hörte man das schrille Kreischen der großen Vögel, welche die Stürme ritten und ihren Vormarsch ankündigten. Josias Kajetan hatte zusammen mit Daurin und Eszentir den jungen Ingraban getroffen, der gerade mit ein paar anderen Clanmitgliedern dabei beschäftigt war die Tore zu festigen und Schutzwälle auf die Terrassen und Gitter über die Balkone zu bauen, um sie vor den Angriffen der Fliegenden zu schützen. Sie hatten sich einige Zeit unterhalten und der Rabe hatte überdeutlich auf einen baldigen Kampf hingewiesen und dem Truppführer das Ende seines Stabes unter das Kinn gehalten, dennoch war dieser nicht aus der Ruhe gekommen und hatte nur gelächelt und sich schließlich von dem Wutentbrannten verabschiedet. Danach war das Trio wieder zu den Luftschiffen gegangen, um zu sehen, wie es mit dem Beladen derer voranginge und Daurin wies hier und da auf kleinere Mängel hin, die aber sofort beseitigt werden mussten, da die Überquerung eines Gebirges mit einem Luftschiff nicht ohne Hindernisse oder Komplikationen stattfinden würde. So mussten innerhalb einer halben Stunde Buk und Heck ausgebessert und der Hauptmast überprüft werden. Während sie gingen, erklärte der ganz in Silber und Grau gekleidete Flugreiter ihnen das Prinzip der Flotte und erläuterte ihnen ein weiteres Mal den Plan, den die Königin zusammen mit ihm und Vivren geschmiedet hatte. Er erklärte, dass bei den Luftschiffen Magie im Spiel wäre, es seien Kästen aufgebaut, die den Tag über Sonnenlicht sammelten und sie nachts auf die Segel projizierten. Angetrieben wurden die Schiffe also durch die Energie der Sonne und steuern würde man mit Klappen an allen Seiten können, die durch ein kompliziertes Gewebe mit dem Steuerrad verbunden waren. Mit dem ausgestreckten Finger der rechten Hand deutete er auf eines der Holzbauten, die leicht und graziel in der Luft hingen und das Surren der Strahlensammler war zu hören, die schmiedeeisernen Messinggitter vor dem Fensterglas glänzten im Licht. Dann gingen sie an das andere Ende des großen Daches und er begann, während seine Blicke auf die in Rot und Weiß gekleideten Gestalten der Flüchtlinge hingen, zu berichten, was sich am Vorabend in den Räumen des Ratssaales abgespielt hatte: "Als Ihr, Kajetan, gegangen wart, hat sich Garrian dazu bereiterklärt ebenfalls hinauszutreten, und Euch mit ihrem langen Jagdmesser und den vielen Jahren der Erfahrung als Herrin der Leibwache niederzustrecken. Daraufhin war die Königin erbost gewesen und Vivren war aufgesprungen, um Euern Namen in Schutz zu nehmen." Er machte ein komplizierte Geste in den Raum und sein Blick war einen Moment lang unsicher. "Er zog seine Waffe und stürzte sich auf sie, doch sie war schnell und parierte seinen Schlag. Schließlich schlug sie ihm das Schwert aus der Hand und drängte ihn gegen die Wand. Sie hielt ihm die Klinge an die Kehle und fauchte: 'Wenn Ihr weiterhin so missachtungsvoll mir gegenüber seid, werde ich Euch töten!' Doch sie tat es nicht, auch als Arkanon sie von sich wegstieß ihr mit der Stimme eines krächzenden Raben Beschimpfungen entgegenschleuderte. Da wurde es der Königin zu viel und sie schickte den General hinaus, mit der Botschaft, er möge mehr über Euch und Eure Bewandtnis als Bote erfahren. Er ging und rief ihr rau hinterher, sie könne ihn fürs Erste von der Liste ihrer Untergebenen streichen, dabei zog er eine kleine silberne Flasche aus der Tasche seines Mantels und begann zu trinken." Er machte eine kurze Pause und seufzte, während er sich kurz umblickte, auf den Ruf einer seiner Männer antwortete, erst danach fuhr er mit seiner Erzählung fort. "Nach zwei Stunden kam er wieder, doch hatte sich in der Zeit viel abgespielt. Die Königin hatte ernsthaft in Erwägung gezogen einen Krieg gegen die Dämonen und die Schattenwesen zu führen, hatte aber immer wieder bemängelt, dass das Land darunter leiden würden, wenn die Schwarzen ihr giftiges Blut hier vergossen, schließlich war sie von Euch und ihrem Bruder alarmiert gewesen, was der Lebenssaft der Dunklen anrichten kann. Sie hatte einen Befall des Landes befürchtet und hatte lange mit Garrian diskutiert, die strickt gegen einen Krieg gewesen war. Sie hatte gewollt, dass sich die Königin allein mit der Leibwache in ein Boot setzen sollte und zu der Beargrweininsel hinüberfahren sollte. Jedoch hatte die Königin gemeint, dass sie ihr Volk nicht verlassen wollte. Schließlich hatten sie einen Plan geschmiedet: Während die Luftschiffe Kurs auf Rovanion nehmen sollten, sollten die Rocks mit ihren Flugreitern ausgesandt werden, um die Belagerer aufzuscheuchen. Die eigentliche Armee der Fußsoldaten sollte nach Mauradin gehen, um sich dort von den Wäldern aus in die Burg zu schleichen, während die Dämonen beschäftigt waren. Wenn die Burg eingenommen war, konnten sie mit Hilfe der Krieger aus Mauradin und der Rocks den Ring aus Tieflanddämonen von Innen heraus zerstören..." Er machte eine weitere, ungeduldige Geste mit der Hand, drehte sich dann ohne ein weiteres Wort um und verließ die beiden anderen, schlenderte eher beiläufig und gelangweilt den Giebel über das Dach zu der Flotte entlang. Endlich hatten die beiden anderen Zeit miteinander zu reden, während sie in die entgegengesetzte Richtung - nach Westen - spazierten, die Hände in den Taschen, um die Kälte der Höhe nicht spüren zu müssen. Die farbenfrohe Waldwelt lag bestimmt etliche Yard unter ihnen, da der Palast von Lesrinith die gleiche Höhe wie der Wachturm von Pakin hatte - das war eben die Bauweise der Elfen. Die königlichen Räume lagen wie ein riesiger Ring um den Hauptteil der Stadt, während um die Feste die Lager der Soldaten und dahinter die große Mauer war, die um den größten Teil des Aróhcktal angelegt worden war, um es vor möglichen Angreifern zu schützen, wie zum Beispiel vor den Schattenwesen. Dennoch besaßen diese Viecher Flügel und würden mit Leichtigkeit über beinahe jede steinerne Hürde hinwegsetzen. Darum gab es die vom Clan der Magier, die ihr blaues Zauberband um alles legten und die riesigen Fenster mit Gittern versahen, um den Durchgang für die Geflügelten beinahe unmöglich zu machen. "Was habt Ihr gestern noch aus euren Gemächern geholt?", fragte Kajetan, das bleiche Haupt dem Waldläufer zugeneigt, der darauf nur die Achseln zuckte und die Luft zwischen seinen Lippen hervorpresste. "Nichts von Belang. Ein Schwert, das mir ein Freund vor einigen Wochen ausgehändigt hat. Seitdem lasse ich es nicht gerne allein... Ich will es nur nach Rovanion mitnehmen, das ist sicherer." Kajetan nickte und sah wieder auf den Weg, den sie gingen. "Was war mit Euch, Truppführer? Ich sah Euch vorhin einige Minuten lang völlig verschwitzt und aus der Fassung gebracht." Josias war klar, dass Eszentir mit dieser Frage nur ablenken wollte, denn in Wirklichkeit musste diese seltsam geformte Waffe, die in einer Lederscheide auf seinem Rücken steckte, ihm mehr als nur eine kurze Antwort wert sein, jedoch wollte er nicht zu tief in die Privatsphäre Óus’ eingreifen. Immerhin war es seine Sache. "Ich hatte einen Tagtraum.", sagte er schließlich nach einigen Minuten des Schweigens. "Was Euch Angesicht zu Angesicht mit dem Tod geschockt hat, hat mich einige Minuten später ergriffen, als ich über die Dächer gerannt bin. Zufälliger Weise bin ich schon sofort den falschen Weg gerannt und musste später den Weg über die Schindeln und viele Treppen zurücksetzen. Ich fühlte mich von etwas gejagt und während ich im Spiel von Licht und Schatten rannte, veränderte sich die Umgebung um mich herum, ein Wald voller Nebel. Dann änderte sich das Terrain und ich kam auf eine große, wüste Ebene mit schwarzem Sand. Es war dunkel und um mich herum war tiefste Nacht, im Dunkeln sah ich die glühenden Augen der Schattenwesen und dann ein Lichtschein von fern, der einer alten Ruine mitten auf einer Insel in einem toten Meer entglitt. Wie eine Ewigkeit kam es mir vor, bis ich das Dunkel hinter mir gelassen hatte und schließlich in das Wasser watete, doch es hatte keine Substanz und ich konnte nicht darin schwimmen. Es war wie Luft, nur viel schwerer und ich versank, konnte mich nicht zurückhalten, denn das Leuchten sog mich an." Bei den letzten Worten war er immer schneller geworden, doch jetzt zerfiel seine Hast und seine Rede klang langsam und traurig nach einem Seufzen, die Aufregung war verschwunden. "Dann wachte ich auf, mit tauben, schweren Gliedern und der Malstrom, in den ich gefallen war, war plötzlich verschwunden..." Bar, der gerade noch stillschweigend seinem Bericht gelauscht hatte, war nun in heller Aufregung und er musste die Hände zu Fäusten ballen um deren verräterisches Zittern zu unterdrücken. Was er da soeben von Kajetan gehört hatte, grenzte an Wahnsinn, doch das Schlimme war, dass er ihm glaubte, dass er wusste, dass es wahr war und dass es mehr bedeutete als einfach nur einen kurzen Moment in Trance. "Ich weiß.", sagte er und die Luft, die er beim Reden ausstieß, vibrierte, so angespannt war er plötzlich und auch sein Blick wurde glasig. "Das, was du gesehen hast,", sagte er ruhig und so langsam wie er konnte, jedes einzelne Wort genauestens überlegend, "ist nicht nur eine einfache Handlung, die sich in deinen Träumen abspielt." Er unterdrückte ein klägliches Lachen, wie man ein Husten unterdrückt. "Es ist eine Vision..." Und jetzt sah er ihn an, und anthrazitblauen Augen glommen wie zwei Flammen, wie die seiner Mutter in dem Augenblick, in dem Riagoth sie vernichtet hatte, denn er fühlte sich schmerzhaft an diesen Augenblick erinnert, als seine Mutter ihn und seine Schwester zurückschickte, um das Leben ihrer Kinder zu sichern. Dafür opferte sie sich selber und stellte sich der Eisfrau in den Weg... Eszentir war den Tränen nahe, doch er schüttelte hastig den Kopf, sodass die Diamanten in einem kleinen Regen davon spritzten. "Du wirst dort sein, den Silhouettenwald durchqueren, die Schwarzsandwüste durchwandern und dann in den Fluten des Meeres der schwarzen Tode fallen..." Er verstummte und drehte den Kopf weg, sein dunkles Haar flog wie ein Schleier mit der Bewegung. Kajetan biss die Zähen verkniffen aufeinander, ballte die Fäuste und starrte auf sie herab. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und Blut quoll zwischen den kalkweißgewordenen Fingern seiner knotigen Hände hindurch, als die Nägel in sein Fleisch schnitten. "Und ich werde wirklich sterben müssen?", fragte er schließlich, das Haupt abgewandt, um die peinliche Stille zu durchbrechen. "Nein... das heißt... ich weiß es nicht..." Er stöhnte leise und richtete sich von seiner kauernden Haltung auf und seine Augen glommen vor Zuversicht und Tatkraft. "Aber ich werde mit dir dorthin gehen, Freund. Und ich werde nicht zulassen, dass sie dich kriegt!" Er legte die Hand auf seine Schulter und drückte sie, schluckte die Tränen, die in ihm hochkamen, herunter und sie sahen sich lange Zeit an, während sie sich die Freundschaft schworen... Das Signal zum Aufbruch ertönte erst nach einer weiteren Stunde
der Hektik und der Ungewissheit, nachdem die Luftschiffe vollgeladen und
Lesrinith so gut wie verlassen dalag, die Festung eine Kathedrale der Ruhe
und der Stille nun. Die Sonne stand nun kurz vor Mittag und die Sonnensegel
blähten sich, als sie vom Wind erfasst und die Strahlensammler ihr
gleißendes Licht monoton summend in die Tücher abgaben. Der
Himmel zeigte sich beinahe wolkenlos, nur vereinzelte graue Streifen hatten
sich von Westen genähert und strichen über die Felshänge,
die das Land schützend wie eine ausgebreitete Hand umgaben. Allen
fiel es schwer ihr Heim zu verlassen, nur zwei Duzend Angehöriger
des Magierclans überlassend, die sich zudem noch kaum im Nahkampf
auskannten, nach Josias’ Meinung, der plötzlich seltsam ruhig und
still wirkte und sich allein an der Reling auf der Backbordseite des Schiffes
aufhielt, während es sich vom Boden erhob. Er sah die Burg, die Stadt,
die immer kleiner wurde und schließlich nur noch ein grauer Fleck
in dem rotgoldenen Teppich des herbstlichen Landes war. Die Flucht aus
der Stadt war schnell vorangegangen, denn die Leute mussten nichts tragen,
das, was sie für Unterwegs brauchten, gab ihnen der Wald und die Festung
von Pykon würde sicher ebenfalls Vorräte besitzen. Eszentir hatte
sie benachrichtigt, indem er mit einigen anderen Abgeordneten der Elfen
die Hörner geblasen hatten. Der Klang war silbern und schallend gewesen,
hatte noch lange von den Steinwänden und Tälern widergehallt
und die von Pykon hatten geantwortet, mit dem gleichen, hellen Klang, der
alarmierend, jedoch schön und beinahe makellos zugleich war. Und noch
während die schallenden Klänge die Luft erfüllten, trieben
sie davon, begleitet von den Flugreitern auf ihren Rocks, die neben den
Luftschiffen und dazwischen herumflogen und Nachrichten und Koordinaten
überbrachten. Sie hatten sich vom Raben verabschiedet, der ihnen am
liebsten gefolgt und Kajetan eins mit dem Stock über die Rübe
gezogen hätte, wie sein genauer Wortlaut war. Und der Truppführer
lächelte, als er daran dachte strich mit den Fingern über das
Holz des Geländers, während er einen Schwarm Zugvögel beobachtete,
welche die Beargrweininsel verließen und in die sommerliche Hitze
des Hochlandes glitten.
Daurin Twron hatte noch nie eine solche Schlacht erlebt. Die Flugreiter
stürzten mit ihren Rocks aus den kalten Höhen der Luft herab
und zischten im Sturzflug auf die Wächter an den Toren von Krakenstein
herab, begleitet von einem Pfeilhagel, der auf die Belagerungszelte niederging
und aus den Gefechtstürmen der Luftschiffe stießen.
© Benedikt
Julian Behnke
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