Die legendären Krieger von Gordolon von Benedikt Julian Behnke
2. Teil: Das Runenschwert / 1. Buch
Die Königin der Elfen 5 - Aufbruch von Lesrinith

Die kupfernen Schindeln der Dächer von Lesrinith glänzten wie flüssiges Gold, als sich die frühe Helligkeit der Morgensonne über die Felskämme im Osten schob und die kühle Lüft wurde erwärmt, laue Winde strichen über die Bäume und die erste Aufregung des Elfenvolkes hatte sich bereits gelegt. Während die Luftschiffe mit Vorräten für die nächsten zwei und einen halben Tag beladen wurden, machten sich bereits Frauen und Kinder an den Ufern des Warmakins auf den Weg nach Süden, die mit Kies ausgelegte Straße war ohne Spuren, nur selten benutzt worden und daher an manchen Stellen überwuchert oder von Wurzelsträngen überdeckt. Blätter fielen in all ihrer Farben von den Ästen und eine seltsame Magie ließ in wenigen Tagen dort erneut ein Blatt entstehen und so herrschte ewig Herbst in dem Land der Roten.
Das Segeltuch spannte sich mit einem harten Ruck und die Böen von Wind ließen es sich blähen, sodass das Weiß der Sonnensegel mit dem Emblem des Landes darauf deutlich und wie eine offene Blüte in einem Meer aus Seegras prangte. Die Schiffe schwebten nur wenige Zoll über dem Boden, wurden noch von Leinen und Tauen gehalten, während einige Soldaten der Elfenarmee Nahrung in ihre Kajüten verstauten. Sephoría hatte angeordnet, dass sich ein großer Teil der Soldaten auf den Flugmaschinen aufhalten sollte, um, sobald sie in Rovanion angekommen waren, ausschwärmen und die Wälder von den Grauen reinigen sollten, während der Rest sich zu Fuß aufmachte, um Burg Krakenstein von den Felsausläufen des Horenfels-Ábdün anzugreifen. Auch die Flugreiter mit ihren Rocks würden die Luftflotte zwar erst begleiten, dann jedoch über den Ebenen von Argon kehrtmachen und einen direkten Angriff auf die Belagerer zu vollführend, sodass der Weg für die Fußsoldaten anschließend frei war. Schon hörte man das schrille Kreischen der großen Vögel, welche die Stürme ritten und ihren Vormarsch ankündigten.
Josias Kajetan hatte zusammen mit Daurin und Eszentir den jungen Ingraban getroffen, der gerade mit ein paar anderen Clanmitgliedern dabei beschäftigt war die Tore zu festigen und Schutzwälle auf die Terrassen und Gitter über die Balkone zu bauen, um sie vor den Angriffen der Fliegenden zu schützen. Sie hatten sich einige Zeit unterhalten und der Rabe hatte überdeutlich auf einen baldigen Kampf hingewiesen und dem Truppführer das Ende seines Stabes unter das Kinn gehalten, dennoch war dieser nicht aus der Ruhe gekommen und hatte nur gelächelt und sich schließlich von dem Wutentbrannten verabschiedet. Danach war das Trio wieder zu den Luftschiffen gegangen, um zu sehen, wie es mit dem Beladen derer voranginge und Daurin wies hier und da auf kleinere Mängel hin, die aber sofort beseitigt werden mussten, da die Überquerung eines Gebirges mit einem Luftschiff nicht ohne Hindernisse oder Komplikationen stattfinden würde. So mussten innerhalb einer halben Stunde Buk und Heck ausgebessert und der Hauptmast überprüft werden. Während sie gingen, erklärte der ganz in Silber und Grau gekleidete Flugreiter ihnen das Prinzip der Flotte und erläuterte ihnen ein weiteres Mal den Plan, den die Königin zusammen mit ihm und Vivren geschmiedet hatte. Er erklärte, dass bei den Luftschiffen Magie im Spiel wäre, es seien Kästen aufgebaut, die den Tag über Sonnenlicht sammelten und sie nachts auf die Segel projizierten. Angetrieben wurden die Schiffe also durch die Energie der Sonne und steuern würde man mit Klappen an allen Seiten können, die durch ein kompliziertes Gewebe mit dem Steuerrad verbunden waren. Mit dem ausgestreckten Finger der rechten Hand deutete er auf eines der Holzbauten, die leicht und graziel in der Luft hingen und das Surren der Strahlensammler war zu hören, die schmiedeeisernen Messinggitter vor dem Fensterglas glänzten im Licht.
Dann gingen sie an das andere Ende des großen Daches und er begann, während seine Blicke auf die in Rot und Weiß gekleideten Gestalten der Flüchtlinge hingen, zu berichten, was sich am Vorabend in den Räumen des Ratssaales abgespielt hatte: "Als Ihr, Kajetan, gegangen wart, hat sich Garrian dazu bereiterklärt ebenfalls hinauszutreten, und Euch mit ihrem langen Jagdmesser und den vielen Jahren der Erfahrung als Herrin der Leibwache niederzustrecken. Daraufhin war die Königin erbost gewesen und Vivren war aufgesprungen, um Euern Namen in Schutz zu nehmen." Er machte ein komplizierte Geste in den Raum und sein Blick war einen Moment lang unsicher. "Er zog seine Waffe und stürzte sich auf sie, doch sie war schnell und parierte seinen Schlag. Schließlich schlug sie ihm das Schwert aus der Hand und drängte ihn gegen die Wand. Sie hielt ihm die Klinge an die Kehle und fauchte: 'Wenn Ihr weiterhin so missachtungsvoll mir gegenüber seid, werde ich Euch töten!' Doch sie tat es nicht, auch als Arkanon sie von sich wegstieß ihr mit der Stimme eines krächzenden Raben Beschimpfungen entgegenschleuderte. Da wurde es der Königin zu viel und sie schickte den General hinaus, mit der Botschaft, er möge mehr über Euch und Eure Bewandtnis als Bote erfahren. Er ging und rief ihr rau hinterher, sie könne ihn fürs Erste von der Liste ihrer Untergebenen streichen, dabei zog er eine kleine silberne Flasche aus der Tasche seines Mantels und begann zu trinken." Er machte eine kurze Pause und seufzte, während er sich kurz umblickte, auf den Ruf einer seiner Männer antwortete, erst danach fuhr er mit seiner Erzählung fort. "Nach zwei Stunden kam er wieder, doch hatte sich in der Zeit viel abgespielt. Die Königin hatte ernsthaft in Erwägung gezogen einen Krieg gegen die Dämonen und die Schattenwesen zu führen, hatte aber immer wieder bemängelt, dass das Land darunter leiden würden, wenn die Schwarzen ihr giftiges Blut hier vergossen, schließlich war sie von Euch und ihrem Bruder alarmiert gewesen, was der Lebenssaft der Dunklen anrichten kann. Sie hatte einen Befall des Landes befürchtet und hatte lange mit Garrian diskutiert, die strickt gegen einen Krieg gewesen war. Sie hatte gewollt, dass sich die Königin allein mit der Leibwache in ein Boot setzen sollte und zu der Beargrweininsel hinüberfahren sollte. Jedoch hatte die Königin gemeint, dass sie ihr Volk nicht verlassen wollte. Schließlich hatten sie einen Plan geschmiedet: Während die Luftschiffe Kurs auf Rovanion nehmen sollten, sollten die Rocks mit ihren Flugreitern ausgesandt werden, um die Belagerer aufzuscheuchen. Die eigentliche Armee der Fußsoldaten sollte nach Mauradin gehen, um sich dort von den Wäldern aus in die Burg zu schleichen, während die Dämonen beschäftigt waren. Wenn die Burg eingenommen war, konnten sie mit Hilfe der Krieger aus Mauradin und der Rocks den Ring aus Tieflanddämonen von Innen heraus zerstören..." Er machte eine weitere, ungeduldige Geste mit der Hand, drehte sich dann ohne ein weiteres Wort um und verließ die beiden anderen, schlenderte eher beiläufig und gelangweilt den Giebel über das Dach zu der Flotte entlang.
Endlich hatten die beiden anderen Zeit miteinander zu reden, während sie in die entgegengesetzte Richtung - nach Westen - spazierten, die Hände in den Taschen, um die Kälte der Höhe nicht spüren zu müssen. Die farbenfrohe Waldwelt lag bestimmt etliche Yard unter ihnen, da der Palast von Lesrinith die gleiche Höhe wie der Wachturm von Pakin hatte - das war eben die Bauweise der Elfen. Die königlichen Räume lagen wie ein riesiger Ring um den Hauptteil der Stadt, während um die Feste die Lager der Soldaten und dahinter die große Mauer war, die um den größten Teil des Aróhcktal angelegt worden war, um es vor möglichen Angreifern zu schützen, wie zum Beispiel vor den Schattenwesen. Dennoch besaßen diese Viecher Flügel und würden mit Leichtigkeit über beinahe jede steinerne Hürde hinwegsetzen. Darum gab es die vom Clan der Magier, die ihr blaues Zauberband um alles legten und die riesigen Fenster mit Gittern versahen, um den Durchgang für die Geflügelten beinahe unmöglich zu machen. "Was habt Ihr gestern noch aus euren Gemächern geholt?", fragte Kajetan, das bleiche Haupt dem Waldläufer zugeneigt, der darauf nur die Achseln zuckte und die Luft zwischen seinen Lippen hervorpresste.
"Nichts von Belang. Ein Schwert, das mir ein Freund vor einigen Wochen ausgehändigt hat. Seitdem lasse ich es nicht gerne allein... Ich will es nur nach Rovanion mitnehmen, das ist sicherer." Kajetan nickte und sah wieder auf den Weg, den sie gingen. "Was war mit Euch, Truppführer? Ich sah Euch vorhin einige Minuten lang völlig verschwitzt und aus der Fassung gebracht."
Josias war klar, dass Eszentir mit dieser Frage nur ablenken wollte, denn in Wirklichkeit musste diese seltsam geformte Waffe, die in einer Lederscheide auf seinem Rücken steckte, ihm mehr als nur eine kurze Antwort wert sein, jedoch wollte er nicht zu tief in die Privatsphäre Óus’ eingreifen. Immerhin war es seine Sache. "Ich hatte einen Tagtraum.", sagte er schließlich nach einigen Minuten des Schweigens. "Was Euch Angesicht zu Angesicht mit dem Tod geschockt hat, hat mich einige Minuten später ergriffen, als ich über die Dächer gerannt bin. Zufälliger Weise bin ich schon sofort den falschen Weg gerannt und musste später den Weg über die Schindeln und viele Treppen zurücksetzen. Ich fühlte mich von etwas gejagt und während ich im Spiel von Licht und Schatten rannte, veränderte sich die Umgebung um mich herum, ein Wald voller Nebel. Dann änderte sich das Terrain und ich kam auf eine große, wüste Ebene mit schwarzem Sand. Es war dunkel und um mich herum war tiefste Nacht, im Dunkeln sah ich die glühenden Augen der Schattenwesen und dann ein Lichtschein von fern, der einer alten Ruine mitten auf einer Insel in einem toten Meer entglitt. Wie eine Ewigkeit kam es mir vor, bis ich das Dunkel hinter mir gelassen hatte und schließlich in das Wasser watete, doch es hatte keine Substanz und ich konnte nicht darin schwimmen. Es war wie Luft, nur viel schwerer und ich versank, konnte mich nicht zurückhalten, denn das Leuchten sog mich an." Bei den letzten Worten war er immer schneller geworden, doch jetzt zerfiel seine Hast und seine Rede klang langsam und traurig nach einem Seufzen, die Aufregung war verschwunden. "Dann wachte ich auf, mit tauben, schweren Gliedern und der Malstrom, in den ich gefallen war, war plötzlich verschwunden..."
Bar, der gerade noch stillschweigend seinem Bericht gelauscht hatte, war nun in heller Aufregung und er musste die Hände zu Fäusten ballen um deren verräterisches Zittern zu unterdrücken. Was er da soeben von Kajetan gehört hatte, grenzte an Wahnsinn, doch das Schlimme war, dass er ihm glaubte, dass er wusste, dass es wahr war und dass es mehr bedeutete als einfach nur einen kurzen Moment in Trance. "Ich weiß.", sagte er und die Luft, die er beim Reden ausstieß, vibrierte, so angespannt war er plötzlich und auch sein Blick wurde glasig. "Das, was du gesehen hast,", sagte er ruhig und so langsam wie er konnte, jedes einzelne Wort genauestens überlegend, "ist nicht nur eine einfache Handlung, die sich in deinen Träumen abspielt." Er unterdrückte ein klägliches Lachen, wie man ein Husten unterdrückt. "Es ist eine Vision..." Und jetzt sah er ihn an, und anthrazitblauen Augen glommen wie zwei Flammen, wie die seiner Mutter in dem Augenblick, in dem Riagoth sie vernichtet hatte, denn er fühlte sich schmerzhaft an diesen Augenblick erinnert, als seine Mutter ihn und seine Schwester zurückschickte, um das Leben ihrer Kinder zu sichern. Dafür opferte sie sich selber und stellte sich der Eisfrau in den Weg... Eszentir war den Tränen nahe, doch er schüttelte hastig den Kopf, sodass die Diamanten in einem kleinen Regen davon spritzten. "Du wirst dort sein, den Silhouettenwald durchqueren, die Schwarzsandwüste durchwandern und dann in den Fluten des Meeres der schwarzen Tode fallen..." Er verstummte und drehte den Kopf weg, sein dunkles Haar flog wie ein Schleier mit der Bewegung.
Kajetan biss die Zähen verkniffen aufeinander, ballte die Fäuste und starrte auf sie herab. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und Blut quoll zwischen den kalkweißgewordenen Fingern seiner knotigen Hände hindurch, als die Nägel in sein Fleisch schnitten. "Und ich werde wirklich sterben müssen?", fragte er schließlich, das Haupt abgewandt, um die peinliche Stille zu durchbrechen.
"Nein... das heißt... ich weiß es nicht..." Er stöhnte leise und richtete sich von seiner kauernden Haltung auf und seine Augen glommen vor Zuversicht und Tatkraft. "Aber ich werde mit dir dorthin gehen, Freund. Und ich werde nicht zulassen, dass sie dich kriegt!" Er legte die Hand auf seine Schulter und drückte sie, schluckte die Tränen, die in ihm hochkamen, herunter und sie sahen sich lange Zeit an, während sie sich die Freundschaft schworen...

Das Signal zum Aufbruch ertönte erst nach einer weiteren Stunde der Hektik und der Ungewissheit, nachdem die Luftschiffe vollgeladen und Lesrinith so gut wie verlassen dalag, die Festung eine Kathedrale der Ruhe und der Stille nun. Die Sonne stand nun kurz vor Mittag und die Sonnensegel blähten sich, als sie vom Wind erfasst und die Strahlensammler ihr gleißendes Licht monoton summend in die Tücher abgaben. Der Himmel zeigte sich beinahe wolkenlos, nur vereinzelte graue Streifen hatten sich von Westen genähert und strichen über die Felshänge, die das Land schützend wie eine ausgebreitete Hand umgaben. Allen fiel es schwer ihr Heim zu verlassen, nur zwei Duzend Angehöriger des Magierclans überlassend, die sich zudem noch kaum im Nahkampf auskannten, nach Josias’ Meinung, der plötzlich seltsam ruhig und still wirkte und sich allein an der Reling auf der Backbordseite des Schiffes aufhielt, während es sich vom Boden erhob. Er sah die Burg, die Stadt, die immer kleiner wurde und schließlich nur noch ein grauer Fleck in dem rotgoldenen Teppich des herbstlichen Landes war. Die Flucht aus der Stadt war schnell vorangegangen, denn die Leute mussten nichts tragen, das, was sie für Unterwegs brauchten, gab ihnen der Wald und die Festung von Pykon würde sicher ebenfalls Vorräte besitzen. Eszentir hatte sie benachrichtigt, indem er mit einigen anderen Abgeordneten der Elfen die Hörner geblasen hatten. Der Klang war silbern und schallend gewesen, hatte noch lange von den Steinwänden und Tälern widergehallt und die von Pykon hatten geantwortet, mit dem gleichen, hellen Klang, der alarmierend, jedoch schön und beinahe makellos zugleich war. Und noch während die schallenden Klänge die Luft erfüllten, trieben sie davon, begleitet von den Flugreitern auf ihren Rocks, die neben den Luftschiffen und dazwischen herumflogen und Nachrichten und Koordinaten überbrachten. Sie hatten sich vom Raben verabschiedet, der ihnen am liebsten gefolgt und Kajetan eins mit dem Stock über die Rübe gezogen hätte, wie sein genauer Wortlaut war. Und der Truppführer lächelte, als er daran dachte strich mit den Fingern über das Holz des Geländers, während er einen Schwarm Zugvögel beobachtete, welche die Beargrweininsel verließen und in die sommerliche Hitze des Hochlandes glitten.
Sie überquerten gerade das silbern funkelnde Band des Warmakin zwischen den Farben, als Irmin zu ihm trat und seine Züge waren ernst, während der Feldherr nun eher gelassen auf seine Zukunft herabblickte. "Ich habe noch einmal über deine Vision nachgedacht.", sagte der Waldläufer und lehnte sich gegen das dunkle Holz, ließ seine Unterarme darauf ruhen, während er in die Ferne sah. Langsam kam der Stein des Horenfels-Ábdün in Sicht, der sich aus den Schwaden des Nebels erhob, in welchem die Schattenwesen ihr Lager bis zur Nacht aufgeschlagen hatten. Sie fühlten den Tod, der dort unten zwischen den Felszacken und mitten im Dunst lauerte, nahmen regelrecht das verrückte Glühen der blutigen Augen wahr, die dort unten warteten... "Ich sagte dir doch, dass ich - einige Monate bevor das Land starb - eine Reihe von wirren Träumen hatte, und dass ich darauf nach Osten gefahren bin." Kajetan nickte und er hörte den Schmerz und die Trauer, die Ungewissheit der Zukunft in seiner Stimme. "Das war nicht alles. Meine Mutter überquerte mit meiner Schwester und mir zusammen die Meere, bis wir den Hadesfelsen erreichten. Das zerklüftete Gestein war pechschwarz und mitten auf dieser Insel - die, von der du geträumt hast - war der Hadesfelsen. Wir gingen hinein, in stiller Trauer um die Menschen, die vor den Zeiten hier gestorben waren. Und mitten in den uralten Gängen der Burg, sahen wir sie... Und sie tötete unsere Mutter, welche die Letzte war, die noch die reine Magie besessen hatte... Meine Schwester entdeckte diese verborgene Magie wieder und gebrauchte sie, um das Land reifen zu lassen. Ich wollte kein Thronfolger werden und verschwand daraufhin in den Wäldern, lebte allein und jagte in den Bergen." Sein Blick wanderte hinab und glitt über die schneebedeckten Kuppen des Horenfels-Ábdün, das sich nun direkt unter ihnen befand. Der Frost und das Eis auf den höchsten Punkten des rauen Steins wurde von der Sonne angestrahlt und glitzerte in einem magischen Ton, während Gletscher zwischen all diesem Fels sichtbar wurden. Die Luft wehte eisig zu ihnen herauf und das Geräusch des Segeltuches, das sich mit dem Wind bauschte, klang laut in ihren Ohren. "Und eines Tages weckte mich ein Traum," fuhr der Waldläufer fort und sah versonnen auf den Bergrücken hinaus, "der anders war als alles, was ich vorher erlebt hatte." Ungläubig schüttelte er den Kopf und seine blauen Augen funkelten. "Es war ein Traum von Nacht und Dunkelheit, von einem Reiter, der keiner war und in dessen Hand eine Laterne funkelte, ein Irrlicht mitten in den kalten Nächten der Zeit... Ich spürte regelrecht den schnaubenden Atem seines pechschwarzen Pferdes... Jedoch wachte ich auf, als der Reiter sein Schwert zog. Es glitzerte wie Sternenstaub und der Mond spiegelte sich darauf. Im Hintergrund sah ich das Flackern der Barriere Riarocks..." Er blickte den Truppführer an, während der Wind sein haselnussbraunes Haar wie einen zerschlissenen Schleier hob, wie um mit ihm zu spielen schien. Das Geräusch des Strahlensammlers dröhnte in ihren Ohren, summte monoton. "Als mich die Wirklichkeit wieder hatte, wusste ich, dass der Schatten Allagans mir den Traum geschickt hatte, um mich zu warnen. Und so kehrte ich aus den Bergen zurück und stieß gerade auf dich, als du durch den roten Pass gedroschen kamst, den Rappen unter dir. Ich sah den Dunklen hinter dir, Ramhad, wie du ihn nennst, und ich folgte Euch. Ihr wart schnell, doch das war ich auch, und erwischte ich Euch schließlich bei den Mauern des Wachturms von Pakin. Aber was Ihr nicht wusstet, war, dass der Rote vorgesorgt hatte, für den Fall, dass ihn die Barriere zurückhielt - was sie ja dann auch tat. Am gleichen Abend waren die Dämonenwölfe von Westen her aus den Bergen gekommen und hatten Euch eingekreist. Zum Glück war ich noch rechtzeitig da und konnte mit Hilfe meiner Männer die Bestien vertreiben, bevor wir Euch empfingen."
"Und dieser Traum...,", begann Kajetan, "den du damals hattest... Du sagtest, der Schatten Allagans hätte ihn dir geschickt... Es war auch eine Vision, nicht wahr?" Der König nickte. "Dann bist du und ich..." Er verstummte und seine Gestalt wirkte im nächsten Moment klein und kümmerlich, hatte beinahe nichts mehr von der eindrucksvollen Gestalt von vor wenigen Sekunden.
"Es ist besser, wenn Ihr Euch jetzt schlafen legt, Kajetan.", sagte Irmin ruhig. "Bald werden wir über Krakenstein sein." Der Feldherr nickte nachdenklich und zog sich zurück, während Bar ihm nachsah. Der schwere in viele Rüstungsteile gewandete Körper bewegte sich langsam, torkelte wie ein Betrunkener...

Daurin Twron hatte noch nie eine solche Schlacht erlebt. Die Flugreiter stürzten mit ihren Rocks aus den kalten Höhen der Luft herab und zischten im Sturzflug auf die Wächter an den Toren von Krakenstein herab, begleitet von einem Pfeilhagel, der auf die Belagerungszelte niederging und aus den Gefechtstürmen der Luftschiffe stießen.
Der Befehlshaber der Truppe saß auf dem Rücken eines der großen Vögel, als die Schlacht ohne Vorwarnung losging. Das Tier segelte mit rasender Geschwindigkeit hinab, der Fahrtwind schlug ihm hart ins Gesicht und drückte ihn nach hinten. Sie tauchten durch die wallende Wand aus Wolken und Nebel hindurch und hörten das Rauschen der Pfeile, die an ihm vorbeischwirrten. Er lenkte den Rock geschickt und zog die Zügel an, als sie dicht über der Burg waren. Die Dächer glänzten, Rauch stieg in beißenden Schwaden auf und die wenigen Wandler, die sich auf den Zinnen befanden, merkten nicht einmal, was dort vor sich ging. Denn sie wurden getroffen, bevor sie ihre Häupter heben konnten. Daurin zog nun auch seinen Bogen von der Schulter und spannte ihn so schnell, wie es nur die Elfen vermögen, ließ einen Pfeil nach dem anderen auf die Dämonen hageln, die zum größten Teil nur in den Schatten der Burg lauerten, da sie das grelle Licht der Sonne störte.
Der Schwarm der großen Vögel ging wieder und wieder über die Belagerer hinweg, ein wahrer Regen von mit Tollkirsche und Brennnessel vergifteter Hölzer gingen hinab und trafen ihr Ziel schneller als jeder Blitz. Sie nutzten die Überraschung und den Vorteil der Stunde und töteten, was zu töten ging, spießten auf und schlachteten ab, denn die Dämonen hatten es nicht anders verdient, ihre schwarzen Seelen waren es nicht wert zu überdauern und so durchlöcherten sie die grauen Häute.
Twron flog nur wenige Yard dicht über dem Boden und seine Bogensehne vibrierte und machte dieses seltsame Geräusch, ein Pfeil nach dem anderen fand sein Ziel in der Brust eines Wandlers. Der nächste kam in Sicht. Er war größer als die anderen, schweiß glänzte auf seiner Haut und in seiner Hand wog er einen langen Speer. Sofort verließ das Geschoss seine Hand, zischte durch die Luft und Daurin musste an den Zügeln reißen, damit die Pike ihn nicht erwischte. Doch so wurde er gezwungen näher an das Wesen heranzukommen, als ihm lieb war. Mit einer blitzenden Bewegung zog er sein Jagdmesser aus dem Stiefel und konnte es gerade noch in das Gesicht des Grauen rammen, um nicht von einem schweren Prankenhieb erwischt zu werden. Der Krieger kippte um. Und die Hand des Flugreiters war noch immer an einem Messer, das durch zerfallende Haut, Schleim und einen Schwarm bläulich schimmernder Insekten glitt. Die Fliegen schienen jedoch an seinem Arm festzukleben, hakten ihre scharfen Beißzangen in den schwarzen Umhang und krabbelten über seine Haut. Winzige Stiche von Schmerz durchfluteten ihn und er spürte, wie etwas durch die schillernden Insekten in ihn hineinglitt... Angewidert schüttelte er den Arm. Doch die Wesen blieben daran hängen, was er auch versuchte.
Nur kurz vor einem Felsvorsprung des Horenfels-Ábdün riss er den Rock in die Höhe und wies ihn an, er möge zurück zu den Schiffen fliegen. Das Tier schoss über die Wälder und Ebenen von Argon...
Wieder nahm Twron das mit elfischen Schriftzeichen versehene Messer und zog es senkrecht seinen Arm hinab, um die Fliegen davon zu vertreiben. Wild pochender Schmerz durchzuckte ihn, als er seinen Arm aufschnitt, Blut schoss hervor und tränkte seine Kleider...
Für einen Moment war er trotz der Schmerzen erleichtert, dass sie Insekten verschwunden waren. Aber schon in der nächsten Sekunde wimmelte es auf seinem Arm nur so von kleinen, ekelerregenden Tieren...
Er stieß einen Schrei des Entsetzens aus, als sich die winzigen, zuckenden Leiber in sein blutendes Fleisch gruben, Zecken und Spinnen, Maden und Fliegen und Wespen sirrten um die Wunde herum, dicht aneinandergedrängt. Der sirrende Klang ihrer filigranen Flügel klang in seinen Ohren und er spürte jede einzelne ihrer Bewegungen auf seinem aufgerissenen Fleisch, aus dem nun kein Blut mehr trat. Die Insekten schlürften es und er fühlte, wie sich einige Blutrünstige in seinen Arm hineingefressen hatten und in ihm wühlten und bohrten, auf der Such nach Nahrung...
Er schrie wieder, stieß das Messer in seinen rechten Arm.
Er durchbohrte ihn.
Dennoch wich der Fliegenschwarm nicht.
Das Glitzern der Messerklinge, die blutbesudelt auf der anderen Seite seines Armes herausragte, schimmerte wie ein groteskes Werkzeug des Teufels. Und im gleichen Moment hatte er kein Gefühl mehr im unteren Teil seines Armes, denn Sehnen, Muskeln und Bänder waren mit einem Stoß durchtrennt. Und er spürte, wie sie in ihm schlüpften, unglaublich schnell, unglaubliche viele... Larven des Bösen...
 

© Benedikt Julian Behnke
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Und schon geht's weiter zum 26. Kapitel (6. Kapitel des 3. Buches): "Geschichten eines Zauberers"

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