Lonely Fire - die einsame Flamme des Friedens von Pascal32
Teil 1: Drakkon, Insel der Hoffnung
Kapitel 1: Aus dem Leben und Sterben

1.1 Reykahn's Familie

Der Tag bricht an. Auch wenn man es nicht sofort erkennt, weil dicke dunkle Wolken seit über 30 Jahren den Himmel bedekt halten. In dem kühlen Wind spürt man richtig das Böse, das in Zerran Einzug hält.
Reykahn, ein junger Aurora-Drache, erwacht auf Drakkon. Die letzte Nacht war wieder eine wahre Tortur. Die Alpträume, die ihn seit langer Zeit plagen, die eisige Kälte auf der Insel und der Hunger, den diese Wesen schon lange leiden, weil die Menschen ihnen konstant den Zugriff auf das Festland verwehren, zeren an der Kraft des jungen Wesens. Immer wieder kehren Nahrungssammler nicht mehr von ihrer Aufgabe zurück. So erging es auch Reykahn's Mutter. Noch heute hofft der Kleine, dass sie eines Tages zurückkehrt.
Reykahn's ältere Schwester, Minkate, beobachtet dies nur mit traurigem Blick. Wie sollte denn so ein junges Wesen verstehen, dass seine Eltern tot sind? Den einzigen Trost finden die beiden noch bei ihrem Großvater Takex.

Manchmal sitzt Reykahn stundenlang an der Klippe und starrt in den Nebel, den die Insel umgibt. Hoffnungslosigkeit ist das einzige was den neununddreißig Drachen hier noch bleibt.
Vorsay weiß das. Obwohl er der jüngste Drachenkönig ist, den es jemals gab, versucht er immer wieder einen neuen Ansatz zu finden, diese Miesere zu beenden. Er will mit seinen verbleibenden Artgenossen endlich zurück ins Licht. Doch genau dies erlosch schon vor vielen Jahren. Es gibt da eine alte Legende, die den Ausweg aus diesem Chaos zeigt, doch sein Vater, Hüter dieser Legende, starb, bevor er sie Vorsay erzählen hätte können.
Es kommt auch nicht selten vor, dass Vorsay sich, wie Reykahn, an die Klippe stellt und über die Situation nachdenkt.
Im Nebel erkennen die Drachen oft ihre alten Freunde oder die vergangenen glücklichen Tage. Obwohl man es keinem dieser Ungeheuer ansieht, so sind alle traurig.

Später beginnt es zu regnen. Das vierte Mal in dieser Woche. Es scheint, als ob die Natur mit den Wesen fühlt. Alle Tiere von Zerran verhalten sich sehr depressiv. Die Landstriche sind düster. Die Nacht scheint den Tag immer mehr zu verschlingen. Manchmal, so erzählen sich einige Drachen, wäre es wohl besser einfach aufzugeben und sich einfach das Leben zu nehmen. Dann hätte wohl endlich die Qual ein Ende.
Aber Vorsay will diesem Gedanken nicht nachkommen. Er möchte nicht aufgeben. Bisher haben die Drachen immer alles überlebt. Sie waren dabei als sich Zerran entwickelte. Sie waren dabei als die ersten Menschen auftauchten. Leider waren sie auch dabei, als sie mitansehen mussten, wie ihr geliebter Anführer feige von Menschen gemeuchelt wurde. Damit fing das ganze an. Heute scheint alles so nichtig. Es ist Vergangenheit! Es ist vorbei. Aber die Nachwirkungen spürt man heute noch deutlich. Diese 50 Jahre haben die Drachen geprägt. Die Antwort auf die Frage, ob je wieder Frieden herrschen soll, befindet sich, ähnlich zu Drakkon, im Nebel.

Reykahn ist einer der wenigen Jung-Drachen, die dem Wahnsinn der Menschen entkommen sind. Er und drei weitere Freunde bilden wohl die letzte Generation von Drachen auf Zerran. Diese Tatsache drückt weiter die Hoffnung der Erwachsenen. Zwar versuchen alle Neununddreißig Ruhe zu bewahren, doch diese traurige Stimmung, der Hunger und die Angst vor der ungwissen Zukunft lösen oft gewaltsame Auseinandersetzungen aus. Zum Glück wurde bisher nie jemand ernsthaft verletzt. Dazu sind die Wesen momentan einfach zu schwach.
Wenn die Menschheit wüsste, wo sich Drakkon befindet, würden die Drachen wohl in weniger als zwei Tagen sterben. Momentan bedarf es nichtmal magsicher Hilfsmittel diese neununddreißig Wesen zu töten.

Reykahn geht von der Klippe weg. Wieder hat er an seine Eltern gedacht. Mit Tränen in den Augen geht er zu der Höhle seiner Familie. Während er so langsam vor sich hin trottet, schaut er sich um, zwischen den mächtigen Körpern seiner Artgenossen. Einige liegen einfach nur so da, in der Hoffnung auf Erlösung. Andere stehen regungslos herum und warten. Jeden Tag.
Über einer Pfütze stoppt Reykahn. Er schaut sein Spiegelbild an. Dabei fragt er sich, was denn an ihm oder anderen Drachen ist, was die Menschen so wütend auf sie macht. Er ist zu jung, um die wahren Gründe verstehen zu können.
Schon oft hat er seinen Großvater oder seine Schwester gefragt, warum denn das alles so ist, wie es ist. Beide antworteten immer mit trauriger Stimme, dass sie, die Drachen, wohl keinen Platz mehr in dieser von Menschen beherrschten Welt haben. Zwar folgten dann immer aufmunternde Worte, aber dieser Satz prägte sich in Reykahn's Gedächnis ein. Andere Drachenkinder in seinem Alter haben auf der Wiese gespielt, Luftakrobatik gemacht und so weiter. Diese Generation scheint komplett vom Glück verlassen. Sie müssen auf einer felsigen Insel aufwachsen, die von einer konstanten Nebebank umgeben wird. Sie werden wohl nie erfahren, was grüne Wiesen, weiße Berge oder blaue Flüsse sind.

1.2 Nahrungsstreifzug

Da landen zwei Drachen auf der Insel. Es sind die beiden "Nahrungssuch"- Drachen. Die Ausbeute ist, wie so oft, gering. Und es wird jeden Tag weniger, dafür aber diese Aktionen immer gefährlicher. Gerade vorhin war es wieder kritisch. Nur knapp entkam einer der beiden dem Zugriff eines Trupps von Soldaten. Die zahlreichen Wunden an dessen Körper zeugen von nur einer knapp gelungenen Flucht. Aber zum Glück kamen beide wieder lebend zurück.
Vor zwei Tagen war es weniger glücklich verlaufen. Die Menschen stellten einem anderen Paar von Drachen eine hinterhältige Falle. Nur ein Drache kehrte schwer verletzt zurück.

Vorsay weiß welches Opfer diese Sammler eingehen, und er würde vieles geben eine andere Möglichkeit zu haben, aber leider gibt es momentan keine. Nicht solange die Menschen die Nahrungsquellen blockieren. Doch tapfer lehnen es auch diese Sammler ab, nicht mehr für die anderen da zu sein. Schließlich hängt von ihnen alles ab. Es ist eine Frage der Vernunft! Jetzt ist keine Zeit für Rangkämpfe oder ähnliches. Heute geht es um die Zukunft! Diese acht Wesen, die diesen Dienst aus freiem Willen nachgehen, sind wahre Helden. Es macht keinen Sinn an sich zu denken, wenn andere, neben einem, ihr Leben geben. Reykahn möchte auch zu diesen mutigen Wesen gehören. Er will auch helfen. Aber für einen 15-jährigen Drachen würde das den Tod bedeuten. Selbst Minkate wird, mit neunzehn, noch als zu jung und unerfahren eingestuft.

Die spärlichen Nahrungsmittel, wie Früchte und Gemüse, sollen nun für neununddreißig Wesen ausreichen? Vorsay muss da immer eine weise Entscheidung treffen. Immer wieder verzichtet er auf seinen, fast rechtmäßigen, Anteil. Nur um anderen damit ein Fortbestehen zu ermöglichen. Reykahn und seine drei Kindkollegen werden meist bevorzugt, auch wenn sich die Vier sehr schuldig fühlen, ihre Artgenossen scheinbar "auszunutzen". Aber in diesen Vier liegt die Zukunft. Was soll man machen?

Ein langer Tag geht vorüber. Wieder rückt die unausweichliche Niederlage näher und jeder der Drachen weiß das. In der Nacht bibbert Reykahn in der Höhle seiner Familie. Offensichtlich wieder ein Alptraum. Da schreckt er hoch und schnauft aufgeregt. Alles ist dunkel. Draussen stürmt es. Donner grollt durch den Himmel und hohe Wellen klatschen an die Klippe.
Vorsichtig schaut der Kleine aus dem Höhleneingang. In der Ferne sieht er jemandem stehen. Langsam geht er auf denjenigen zu. Dabei erkennt er, dass es Vorsay ist, sein König. Dieser starrt regungslos in die Ferne.
Reykahn will wieder zurück. Da spricht Vorsay laut, ohne seinen Kopf zu wenden: "Hab keine Angst, Reykahn!" Der antwortet: "W...woher wisst Ihr???" Vorsay wendet seinen Kopf zu Reykahn und entgegnet: "Ich habe dich einfach gespürt..." Reykahn fragt weiter: "Was macht Ihr hier in der Nacht?" Vorsay seufzt ratlos: "Nachdenken... wie jede Nacht. Ich kann einfach nicht ruhig schlafen, wenn ich weiß wie ihr euch alle so quält." Reykahn spricht unsicher weiter: "Meint Ihr.... meint Ihr, dass wir eines Tages...?" Vorsay schüttelt leicht den Kopf und antwortet: "Wenn ich das wüsste! Noch nie war die Zukunft so düster." Reykahn wartet einen Moment, meint dann: "Ich möchte ja so gerne helfen, aber..." Vorsay unterbricht Reykahn laut: "Nein! Reykahn, dafür bist du zu jung! Der Verlust von so einem jungen Mitglied unserer Art könnte uns den Todestoß geben. Versteh' mich bitte!" Reykahn schweigt.
Vorsay schaut wieder Richtung Meer und spricht nostalgisch: "Da draussen... das war einmal unserer Herrschaftsgebiet. Heute ist das alles lebensbedrohlich für uns." Reykahn fragt: "Aber wieso hassen uns die Menschen?" Vorsay antwortet: "Oh, sie hassen uns nicht. Sie sind nur verblendet von der Gier nach Macht und Reichtum." Reykahn fragt neugierig weiter: "Aber was haben wir damit zu tun? Und was wollen die Menschen damit?" Vorsay entgegnet: "Die Menschen wissen, dass in manchen von uns gewaltige Mächte ruhen, wie in mir. Und sie wollen diese Mächte für sich, um damit sich und anderen zu beweisen, dass sie besser sind." Reykahn erwidert knapp: "Ist das alles?" Vorsay fährt fort: "Glaube mir: Ich verstehe deren Beweggründe auch nicht so recht. Sie glauben, dass Macht und Geld den Status eines Wesens ausmachen. Für sie sind Sachen wie Freundschaft und Ehre fremd, wenn es darum geht über andere zu triumphieren." Pause.
Vorsay spricht sanft zu Reykahn: "Jetzt versuch' weiterzuschlafen. Es wird sicher alles gut! Denk' dran: Die Menschen können uns alles nehmen, aber eine Sache bleibt uns immer: Die reine Seele! Am Ende siegt immer die Gerechtigkeit!" Damit gibt sich der kleine Drache zufrieden und geht zurück in die Höhle. Vorsay bleibt allein an der Klippe zurück.

Am nächsten Morgen. Als wieder zwei Drachen zu ihrer aufopferungsvollen Mission aufbrechen, schaut Reykahn verzweifelt hinterher. Diesmal will er nicht untätig bleiben. Als er sicher ist, dass niemand auf ihn achtet, stößt er sich selbst von der Klippe ab und folgt den beiden Drachen durch den Nebel.
Zum ersten mal sieht Reykahn die Welt, wie sie wirklich ist. Dummerweise hat er die beiden anderen Drachen aus dem Blickfeld verloren, so überwältigt war er von dem Anblick eben. Er geht runter, weil ihn der Flug bereits zuviel Kraft gekostet hat. Auf einer Wiese landet er. Vorsichtig marschiert der Kleine durch die Gegend, in der Hoffnung etwas essbares zu finden. Doch er kann nichts ausmachen.
 

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Es gibt auch eine Übersichtskarte der Inseln Nirad und Drakkon (neues Fenster)


Und schon geht es weiter zum 2. Teil des 1. Kapitels...

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