300 Jahre später
Sie lief und lief. Schneller und schneller
drang sie immer tiefer in den Wald hinein. Sie konnte nichts sehen, alles
um sie herum war pechschwarz. Blind rannte sie weiter durch die Nacht.
Ihre Seite schmerzte wie durch tausend kleine Stiche. Warum das alles?
Es hatte doch keinen Sinn. Eine Sklavin, die versuchte davonzulaufen. Sie
hörte das Gebell der Hunde. Sie waren schon näher gekommen. Diese
blutrünstigen Viecher. Allein an den Käfigen dieser kläffenden
und wilden Meute vorbei zu gehen hatte sie jedes Mal Überwindung gekostet.
Nun jedoch war kein Gitter zwischen ihnen. Die Hunde würden sie in
Stücke reißen! Man machte sie extra wild, indem man ihnen oft
tagelang kein Fressen gab.
Wieder hörte sie dieses wahnsinnige Heulen.
Sie lief immer noch. Zweige klatschten ihr ins Gesicht. Dornen zerrissen
ihre Haut. Ohne sich darum zu kümmern, lief sie weiter. Wieso hatte
sie nur dieses Gespräch belauscht? Warum nur? Ein Gefühl der
Übelkeit überkam sie. Der Schweiß auf ihrer Stirn war eiskalt.
Das Blut rauschte in ihren Ohren, jeden Moment musste sie umfallen. Ihr
kleines Herz pochte wie wild und drohte zu zerspringen. Es war Wahnsinn!
Sie hatte heute kaum etwas gegessen und nun spürte sie einen stechenden
Schmerz in ihrem Kopf. Der Schweiß, der ihr in die Augen rann, ließ
diese brennen. Sinnlos. Sie konnte nicht entkommen. Und dennoch rannte
sie weiter. Ihr wurde schwindelig. Ohne Kontrolle über ihre Bewegungen
stolperte sie schließlich über einen dünnen Baumstamm.
Wertvolle Sekunden lang lag sie benommen mit dem Gesicht auf dem kühlen
Waldboden. Sie keuchte. Wie nah waren die Bestien? Sie horchte, doch alles
was zu hören war, waren ihre eigenen heftigen Atemstöße.
Vorsichtig kniete sie sich hin, sofort wurde ihr wieder schlecht. Weiter!
Nur weg hier! Völlig verzweifelt rappelte sie sich auf. Ein furchtbarer
langer Heuler ertönte. Auch das Gebell war nun wieder deutlich zu
vernehmen. Sie stützte sich noch kurz gegen einen dicken Stamm. Es
musste sein. Langsam, fast schon widerwillig ließ sie den Stamm los
und fiel in einen leichten Trab. Kein Sinn, alles keinen Sinn. Hunde. Aufseher.
Gespräch. König. Tränen liefen ihr übers Gesicht. In
ihrem Hals brannte es. Sie erhöhte ihr Tempo. Wie war sie nur in diese
Lage geraten? Sie hatte zwei Männer belauscht. Zwei ranghohe Männer.
Die beiden hatten über Dinge gesprochen, die sie nicht verstand. Politik.
Dann plötzlich fielen die Worte König und Verrat. Sie hatten
davon gesprochen, den König zu stürzen! Eigentlich konnte ihr
das egal sein, der König hatte nie etwas für sie getan. Warum
sollte er sich auch um Sklaven kümmern? Jedoch hatten die beiden auch
über Dinge gesprochen, die damit zusammenhingen. Dinge, die ihr Angst
gemacht hatten. Magie.
All diese Gedanken schossen ihr durch den
Kopf, während sie weiter rannte. Jeder Atemzug war mittlerweile zur
Qual geworden, bei jedem Schritt schmerzten ihre Muskeln. Es war aussichtslos.
Sie stellte eine Gefahr für die Verschwörer dar und diese würden
alles tun, um sie zu töten. Sie konnte nicht mehr atmen, ihr Hals
war wie zugeschnürt. Mehrmals fiel sie hin. Unzählige Zweige
schlugen ihr ins Gesicht oder gegen den Körper. Doch sie lief immer
noch. Mit dem Gebell im Genick. Es war schon lauter geworden. Bald würden
sie sie eingeholt haben, bald.
Plötzlich war der Boden unter ihren Füßen
verschwunden. Sie fiel. Zum ersten Mal seit ihrer Flucht sah sie ein Licht.
Der Mond. Weit, weit über ihr. Und er entfernte sich immer mehr.
Dann schlug sie in Wasser ein. Die dunkle
Flut begrub sie unter sich. Schlagartig war alles still. Erschrocken wollte
sie schreien, doch ihr Mund füllte sich mit Wasser. Panik überkam
sie. Alles um sie herum war schwarz. Wo war die Oberfläche? Ihr Gewand
sog sich voll und wurde immer schwerer. Sie hatte nie schwimmen gelernt.
Es zog sie nach unten. Sie drehte sich und dann sah sie verschwommen einen
hellen Fleck. Den Mond. Seine silbernen Strahlen drangen kaum bis zu ihr.
Sie trat auf das Wasser. Immer mehr Wasser trat sie, als ob sie auf der
Stelle laufen würde. Half es etwas? Ihr ging die Luft aus. Hilfe.
Vor Verwendung dieser
Autoren-EMail-Adresse bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM"
entfernen!
|