Irgendwo, inmitten des Ozeans der Kälte
lagen zwei Inseln, eng umschlungen. Einmal, vor langer Zeit waren sie ein
Ganzes gewesen, doch unvorstellbare Gewalten hatten sie geteilt und die
eine Insel zu zwei gemacht, die sich aus den Fluten erhoben. Man nannte
sie die Träneninseln:
Cinhyal und Acippa.
Cinhyal war die Magierinsel. In einer Zeit,
da Magie immer seltener wurde und Zauberer ausstarben, fand sich dort die
größte Konzentration von Magierblut überhaupt. Das verlieh
der Insel Macht. Ehrfürchtige Macht.
Acippa dagegen schien eine ganz normale Insel
zu sein, merkwürdig nur von der Form her – der Nordteil ihrer war
in viele kleinere Bruchstücke von Inseln zersplittert, zur Zeit der
Teilung. Aber auch sie hatte ihre Besonderheiten und das, wofür sie
bekannt war, war die tödliche Gefahr dieser Nordinseln: Drachen. Die
letzten Drachen auf der Welt fristeten ihr Leben auf den Resten des einst
so großen Kontinents.
Aber trotz der Spalte zwischen den Träneninseln
verband sie einiges. Allem voran die Religion.
Die Allmächtigen Fünf, die Götter
dieser Menschen, wurden überall angebetet. Seit sie, Überlieferungen
nach, das Volk aus ihrer ursprünglichen, zerstörten Heimat zu
den Inseln gebracht hatten.
Nun schrieb man das Jahr 726 nach der Besiedlung.
Das Leben ging weiter, aber Unruhen breiteten sich auf Cinhyal aus. Das
Land bot einen trügerisch ruhigen Schein, aber in Wirklichkeit zog
da ein Gewitter auf. Und mitten drin waren sechs Menschen.
Es war ein windiger Tag im Frühling des
Monats Avrell, als die Ereignisse ihren Lauf nahmen. Keiner der Sechs,
deren Schicksal miteinander verbunden war, ahnte etwas davon, denn ihr
Leben schien kompliziert genug. Doch es war von den Göttern so festgelegt
worden und so kam es dann auch; in der kleinen, alten Stadt N’hoa begegneten
sich die ersten beiden Menschen, von denen die Zukunft Cinhyals abhing.
Und so begann das Spiel der Götter.
Das alte Schiff namens Wintermond hatte sie
innerhalb von fünf Tagen nach N’hoa gebracht. Die Stadt lag schwer
erreichbar vom Celine-Wald umschlossen und nur der Königsfluss schmiegte
sich in einer eleganten Kurve an ihren Hafen an. Umgehen konnte man den
Wald auch nicht, da ein breites Moor jeden Zugang unmöglich machte.
Der Weg durch den Celine war kürzer als der über Wasser, aber
dafür sehr unsicher, galt sogar als gefährlich. Keiner wagte
sich in den Wald hinein.
Nicht die Angst war es aber gewesen, die die
junge Frau dazu gebracht hatte sich auf die knarrenden Planken zu begeben.
Angst war ein Gefühl, das sie nicht zeigte – weder anderen noch sich
selbst. So wurde es in ihrem Orden gelehrt.
Beim Gehen schwang ihr grüner Umhang
ein wenig zur Seite und enthüllte zwei blitzende Klingen, scharf,
aber kurz, denn Schwerter zu tragen war verboten. Außerdem hielt
sie einen mächtigen Stab fest in der Hand, auf dessen Spitze ein grüner
Diamant funkelte.
"Druidin!", murmelten einige der anderen Passagiere
und musterten sie verstohlen hinter ihrem Rücken. Während der
Fahrt sagte man zu ihr kein Wort ob aus Ehrfurcht, Angst oder Verachten.
Wahrscheinlich aus allen drei Gründen. Sie hielt sich im Hintergrund
und schaute lange aufs Wasser hinaus, bis die Spitze der Wachturms zu sichten
war. Sie war eine der ersten, die auf die Holzrampe heraustrat und die
geringe Entfernung zwischen Land und Schiff mit schnellen Schritten überbrückte.
Mehrere Wachen standen nicht weit entfernt,
mit gezückten Schwertern sahen sie sich wachsam um. Der kleine Hafen
lag an einem gefährlichen Ort, unweit des Lagers der zahlreichen Hexer
aus Antellis, die seit geraumer Zeit die Umgebung der Stadt unsicher machten
auf ihrer fanatischen Suche nach der magischen Quelle. Die Frau spürte
die Bedrohung und sah sich wachsam um. Der Wald, der den Ankerplatz umgab,
schwieg wie er es seit Jahrhunderten tat, doch tief in seinem Innern verbarg
sich etwas und dieser Hauch einer Bedrohung erreichte die geschärften
Instinkte der Frau. Der Kristall schimmerte ein wenig heller, aber ansonsten
zeigte sie keine Reaktion. Sie wollte sich erst mal umsehen, die Stadt
und ihre Umgebung erkunden.
Die Wachen geleiteten die Passagiere auf dem
gepflasterten Weg in die Stadt und führten sie an den niedrigen Mauern
entlang, die mehr verschönern sollten, als Feinde außen vorzuhalten.
Über dem elegant geschwungenen Torbogen hing ein verziertes Schild,
vom Alter ein wenig verrostet.
"Willkommen, Bürger vom weitem Land!
Erweist uns die Ehre und verweilt in N’hoa, der Stadt der Altgründung,
so lange es euch beliebt. N’hoa tû Sunaj!"
Der letzte Satz war der früheren Sprache
entnommen, derer sich alle bedient hatten, bevor der Rest des auserwählten
Volks über das Meer gekommen war. Er hieß "N’hoa zu Sunaj!",
ein ehrenhaftes Treueversprechen zu dem alten Geschlecht der Könige
in Sunaj, der Hauptstadt der Träneninsel Cinhyal. Nach dem Sturz des
letzten Königs dieser Familie schwang eine gewisse höhnische
Ironie in diesen Worten.
Sie sah hoch, wo die Sonne den kühlen
Avrelltag beschien. Ließ sich den Wind durch die kurzgeschnittenen,
braunen Haare wehen und spürte gleichzeitig beruhigend fest die Erde
unter ihren Füßen, die Quelle ihrer Macht, die Mutter allen
Lebens.
Nach einem kurzen, gedanklichen Gebet an diese
strenge Göttin, der sie ihr Leben geweiht hatte, überschritt
sie schließlich die unsichtbare Linie, die das Stadtgebiet abgrenzte,
und betrat so N’hoa.
Auf den ersten Blick fand Gaya die Stadt etwas
ärmlich. Sie war in Sunaj geboren und obwohl sie auf der Druiden-Insel
Yasing aufgewachsen war, wo die wilde Schönheit der Natur dominierte,
war die Erinnerung an den wunderschönen Palast im Zentrum Sunajs hell
und strahlend lebendig. Da sie wusste, dass N’hoa noch älter war als
selbst Sunaj, hatte sie unbewusst angenommen hier ebendiese majestätische
Architektur zu finden.
Doch das einzige Gebäude, das sie einigermaßen
beeindruckte, war das Rathaus, welches mit seinen Marmorsäulen und
den reich verzierten Wänden die Umgebung beherrschte. Soweit sie wusste,
war der Bürgermeister von N’hoa ein fähiger Mann, doch anscheinend
hatte er eine Schwäche für Zierrat und keinerlei Gefühl
für Maße. Was man oft genug in der Welt antraf, wie Gaya sehr
wohl wusste.
Sie schritt auf der schmalen Straße
daher, die das Hauptverkehrsmittel der Stadt war und traf trotzdem auf
wenige Menschen. Doch selbst diese wenigen warfen ihr argwöhnische
Blicke zu, während sie vorbeigingen. So lag das in der Natur der Menschen:
sie fürchteten die Druiden, weil sie der mächtigen Muttergöttin
so nahe standen und dies eine Macht war, die sie nicht verstanden. Man
hatte sie zwar vor dieser Einstellung gewarnt, aber weil Gaya trotz ihrer
Ausbildung immer noch recht jung war und zum ersten mal die Insel verlassen
hatte, fühlte sie sich unbehaglich.
Umso froher war sie, als sie das Haus des
Waffenschmieds entdeckte, mit dem charakteristischen Schild davor: gekreuzter
Hammer und Schwert. Gaya wusste zwar, dass ihr die meisten Waffen verboten
waren, aber sie war neugierig und wollte insgeheim dem verräterischen
Sonnenlicht entrinnen.
Also ging sie hinein.
Drinnen herrschte ein angenehmes Dämmerlicht.
Das prasselnde Feuer schuf eine gemütliche Atmosphäre und der
grob aussehende Besitzer wog gerade einen Bogen aus. Er sah Gaya merkwürdig
an, ignorierte sie jedoch ansonsten. Sie besah sich die Waffen an den Wänden
an und verglich sie mit ihren Dolchen, weil ihr ansonsten jede Vergleichsmöglichkeiten
fehlten. Kein Zweifel, diese hier waren besser gearbeitet und mehr ausgeglichen.
Dafür waren ihre Waffen alle gesegnet, dachte sie trotzig. Dann entdeckte
sie das Schwert.
Und was für ein Schwert! Seine Klinge
war leicht krumm und noch nicht ganz scharfgeschliffen, aber sie bestand
aus sehr hartem Stahl. Das Heft war schimmernd weiß mit leicht gewundenen
Ranken zum besseren Festhalten. Sie zweifelte nicht daran, dass diese Waffe
nicht so leicht zerbrechen würde. Gerade streckte sie die Hand aus
um es zu ergreifen, als der Schmied urplötzlich aufstand und warnend
knurrte.
"Fass mir das nicht an, Mädel! Dieses
Schwert ist außerordentlich teuer!" Mädel? So
jung war sie nun wieder auch nicht!
"Das sollte für mich kein Hindernis sein:
ich habe genug Geld um deine ganze Hütte zu kaufen", erwiderte sie
betont verächtlich.
"Das Schwert wird auf Bestellung gemacht,
klar? Der Käufer hat im Voraus bezahlt", sagte der Mann unwirsch und
blieb kurz vor ihr stehen. Gaya war nicht groß und sah trotzdem auf
ihn hinab.
"Ich kann es ihm immer noch abkaufen", bemerkte
sie lässig, obwohl sie nicht die geringste Absicht hatte, etwas derartiges
zu tun. Aber es machte sie einfach wütend, wie dieser Mann sie niedermachte,
nur weil sie eine Frau war. Daran war sie nicht gewohnt.
"Na, mach doch! Er ist ’n Ritter. Einer von
den Königsleuten!", verkündete er herausfordernd.
Gaya ließ es sich nicht anmerken, aber
sie war überrascht. Ein Ritter? Hier, in diesem verschlafenen Städtchen?
"Ach, tatsächlich?...", sagte sie nachdenklich.
Was mochte das zu bedeuten haben?...
"Jetzt bist du nicht mehr so vorlaut, wie?",
höhnte der Schmied. "Ja, leg dich bloß nicht mit einem Ritter
an, der würde dir gleich den Hintern versohlen und dich lehren, was
dir Göre schon längst einer hätte beibringen sollen..."
Zu mehr kam er nicht, denn Gaya wartete nicht ab, bis er weitere Unverschämtheiten
von sich gab. Ihr Temperament brach durch, welches weder durch Disziplinübungen
noch durch harte Strafen ganz ausgetrieben worden war. Mit kalkulierter
Schnelligkeit wechselte sie ihre Körperhaltung und glitt fließend
in den kampfbereiten Zustand, eine verschwommene Bewegung aus Grün
und Braun.
"Du hast soeben ein Mitglied des heiligen
Ordens der Druidengemeinschaft beleidigt", zischte sie, die Augen verengt,
den Stab locker aus den Handgelenken heraus haltend. "Hast du auch nur
eine Ahnung, was dafür als Strafe steht?" Die hatte er ganz offensichtlich
nicht, wie sie es kaum anders erwartet hatte. Woher auch? Aber wenigstens
schien ihm der Name des Druidenordens etwas zu sagen, denn Angst blühte
in seinen Augen auf. Außerdem die etwas verspätete Erkenntnis,
dass Gaya wohl nicht nur zum Spaß einen Stab trug und damit umgehen
konnte.
Er schielte zu seiner Waffe, einer breiten
Keule, die in der Ecke lehnte. Zu weit weg. Viel zu weit weg. Das sah er
wohl auch ein, denn er öffnete den Mund zu etwas, was mit Sicherheit
eine verspätete Entschuldigung hätte werden sollen. Doch er kam
nicht dazu sie auszusprechen. Eine scharfe Stimme schnitt die Luft wie
eine Peitsche.
"Was geht hier vor?" Blitzschnell drehte Gaya
sich um und sah ein Schwert auf ihre Kehle gerichtet; die Spitze berührte
kühl ihre Haut. Sie folgte mit dem Blick den Schwertarm hinauf bis
zu dem Kopf des Mannes, der diese Klinge in der Hand hielt. Ein Helm verdeckte
das meiste von seinem Gesicht und ließ nur den breiten Mund frei,
um den sich eine strenge Linie gelegt hatte. Die Augen blickten mit der
Genauigkeit eines geübten Schwertkämpfers. Gaya wusste, dass
das der angekündigte Ritter sein musste. Seine Waffe war ein einfaches
Langschwert, aber tödlich scharf geschliffen. Eine Bewegung und es
würde ihr die Kehle durchschneiden.
Sie atmete möglichst flach und verfluchte
ihre Hitzköpfigkeit.
"Legt den Stab hin", befahl der Ritter. Seine
Stimme klang jünger als sie vermutete hatte, höchstens ein paar
Jahre älter als sie selbst. Aber Gaya hatte nicht vor sich der Gnade
zweier unbekannter Männer in einer fremden Stadt auszuliefern, egal
wie ritterlich der eine war.
Sie konzentrierte sich. Ihre Finger öffneten
sich und der Stab schlug dumpf auf dem Boden der Hütte auf. Der Ritter
zog langsam sein Schwert zurück und Gaya nützte die Gelegenheit.
Mit einer unbändigen Kraft entfesselte sie die Macht der Erde. Ein
grau-brauner Strahl flitzte auf den Ritter zu, der versuchte sich mit dem
Schwert zu verteidigen. Aber der Strahl ging glatt hindurch und wurde von
Gaya knapp vor seinem Gesicht aufgehalten, wo er erstarrte. Der Schmied
hinter ihr keuchte und Gaya trat präzise nach seinen Beinen, so dass
sie umknickten und er hinfiel. In der anschließenden Stille nahm
sie in aller Ruhe ihren Stab vom Boden.
"Frau, zieht eure Magieränke zurück!",
keuchte der Ritter. Gaya konnte nur müde lächeln.
"Bin ich von Sinnen? Vor einigen Augenblicken
bedrohtet ihr mich noch mit eurem Schwert und jetzt verlangt ihr so etwas
von mir? Wart ihr zulange in der Sonne?" Sie ließ ihre Stimme scharf
und kalt werden: "Ich verlange eine Entschuldigung von euch beiden oder
ihr kommt nicht mit dem Leben davon!"
"Ich habe euch kein Leid angetan!", erklärte
der Ritter stolz.
"Ihr habt die Ausführung einer Strafe
verhindert und sie euch somit selbst aufgeladen!", sagte Gaya ungerührt.
"Sprecht oder wählt den Tod!"
Der Schmied machte Anstalten zu seiner Waffe
zu kriechen. Gaya richtete den Stab auf ihn.
"Eine Bewegung und ich breche dir endgültig
die Beine!" Sie meinte es durchaus ernst – nicht die Sanftmütigkeit
wurde bei den Druiden gelehrt.
Der Ritter senkte sein Schwert und machte
eine beruhigende Geste.
"Regt euch nicht so auf! Ich wusste nicht,
dass dieser Mann euch ein Unrecht angetan hat, sonst hätte ich mich
nicht eingemischt. Ich bitte um Vergebung." Gaya gefielen die Ehrlichkeit
und der neu erwachte Respekt in seiner Stimme.
"Gut, ich nehme eure Entschuldigung an. Im
Unwissen sind schon schlimmere Fehler begangen worden." Mit diesen Worten
ließ sie den Blitz in der Wand der Schmiede zerschellen. Der Ritter
atmete sichtbar auf.
"Nun zu dir", sagte Gaya und wandte sich dem
sich duckendem Schmied zu. "Du hast es gewagt eine Dienerin der Großen
Erdenmutter zu verspotten!" Ihr Stab berührte seine Kehle, der
Edelstein glimmte auf, so dass sich grüne Schatten auf sein Gesicht
legten. Hitze breitete sich auf seinem Gesicht aus, aber er wagte es nicht
etwas zu sagen. Seine Augen traten fast aus ihren Höhlen, die Angst
ging in fast sichtbaren Wellen von ihm aus. Gaya musterte ihn prüfend
und eindringlich. Schließlich ließ sie die Waffe sinken.
"Nun gut, ich erlasse dir diesen Fehler dies
eine Mal. Soll dir das eine Lehre sein. Schau dir das nächste Mal
deine potentiellen Kunden genauer an, bevor du ihnen mit Worten zusetzt!
Nicht immer wird ein Ritter zur Stelle sein um deine Haut zu retten." Sie
drehte sich um und ging möglichst würdevoll am Ritter vorbei.
Kaum war sie draußen, hörte sie,
wie ihr jemand folgte. Als sie sich umsah, wurde sie des Ritters gewahr,
der gerade die Tür der Schmiede hinter sich zutat. Was will er
von mir? fragte sie sich unruhig, als er zielstrebig zu ihr rüberging.
"Entschuldigt, Lady, ich will euch nicht von
wichtigen Angelegenheiten in der Stadt aufhalten, aber ich würde mich
gerne mit euch unterhalten", sagte er.
"Dann sprecht", forderte sie ihn auf.
"Ich würde eine vertrautere Umgebung
bevorzugen", erwiderte er. Das Schwert lag in seiner Scheide, stellte Gaya
fest, doch immer griffbereit. Er war wirklich geübter Schwertkämpfer,
das konnte sie an den leichten Bewegungen seines Körpers erkennen,
die man normalerweise übersah, an der gewissen Spannung darin. Übung,
Erfahrung, Geschick.
"In Ordnung, Ritter. Gehen wir in ein Wirtshaus,
ich bin durstig von der langen Reise", sagte sie schließlich.
Er lächelte.
"Der müde Gaul" erwies sich als das beste,
was Gaya bisher in N’hoa erfahren hatte. Die Atmosphäre war einigermaßen
sauber und die Luft roch passabel. Die Tische waren fast alle besetzt und
ein gesprächiges Murmeln hing im Raum ohne störend zu sein. Jetzt
wusste Gaya, wo die Bürger N’hoas abgeblieben waren. Sie und der Ritter
nahmen an der Schenke Platz und warteten schweigend bis der Wirt zu ihnen
kam, ein imposanter Mann mit rosigem Gesicht.
"Was wollt ihr?", fragte er, kaum freundlich
zu nennen.
"Ich bin nicht von hier", sagte Gaya und nickte
zum Ritter. "Ich nehme das gleiche wie er."
"Dunkles, wenn’s geht", sagte der Ritter und
der Wirt ging an die Bar. "So, hier können wir uns gut unterhalten,
Lady", wandte er sich an Gaya und nahm dann seinen Helm an, um ihn auf
die Theke zu stellen. Gaya betrachtete sein Gesicht eingehend und musste
zugeben, dass man ihn als... attraktiv bezeichnen konnte. Durchaus. Sie
war sich nicht sicher, ob es die längeren, blonden Haare waren, die
seine Gesichtszüge so vorteilhaft wirken ließen, oder die blauen,
hellen Augen. Lichtdurchflossen, ja, so wirkte er. Dabei war er unzweifelhaft
sehnig, wettergegerbt und auch kantig. Trotzdem ließ sich die Anziehungskraft
nicht leugnen, die ihm entströmte.
Verdammt anziehend, musste man schon sagen.
Gaya riss sich von der Betrachtung seiner
hinreißenden Kinnlinie los und griff nach dem Krug, den der Wirt
soeben gebracht hatte. Nach dem ersten Schluck musste sie husten.
"Bei der heiligen Mutter, was ist denn
das für ein Gift?", fragte sie nach Luft haschend.
"Ich finde es ganz annehmbar", bemerkte der
Ritter und trank aus seinem Becher. Dann grinste er sie über den Rand
des Kruges hinweg an. Das Grinsen machte ihn etliche Jahre jünger.
Gaya schaffte es das feurige Getränk runter zu würgen und hatte
ihre Selbstbeherrschung wiedergefunden. Teilweise.
"Also, Ritter. Was wollt ihr von mir?", fragte
sie, unbewusst lächelnd. Er stellte sich jedoch zuerst vor, die Höflichkeit
höchstpersönlich.
"Ich heiße Julian Drewen. Darf ich euren
Namen erfahren, Lady?"
"Gaya Asearien", antwortete sie ihrerseits
vor und fügte dann hinzu: "Es wäre mir lieber, wenn wir diese
geschwollenen Umgangsformen lassen würden, ich bin daran nicht gewöhnt.
Warum belassen wir es nicht bei einem einfachen Du?" Er blinzelte überrascht,
das kam unerwartet. Auch für Gaya selbst. Es war zwar die Wahrheit,
aber dass sie es zugab und noch dazu so schnell, war mehr als ungewöhnlich.
Es machte ihr Sorgen.
"Gut, ich denke, das wäre wirklich...
einfacher", meinte er nach kurzer Pause. "Also - Gaya?" Sie nickte bestätigend,
so fuhr er dann fort:
"Du bist Druidin?"
"Natürlich."
"Ich wollte nur noch mal sicher gehen. Bist
du im Auftrag deines Ordens hier?" Sie musterte ihn prüfend. Wozu
wollte er das wissen?
"Nein", antwortete sie langsam. "Ich bin nach
meinem eigenen Wunsch hier."
"Ich habe gehofft, dass du diese Antwort geben
würdest, Gaya."
"Warum?" Ganz die Druidin: immer aufmerksam
und argwöhnisch.
"Ich suche einige tüchtige und erfahrene
Leute, die so frei sind auf eine längere Reise zu gehen. Ich denke
mir, dass das so auf dich zutrifft", antwortete er rasch. Gaya hob ihre
Augenbrauen und griff automatisch nach dem Bier. Fast hätte sie das
Gesöff geschluckt, erinnerte sich jedoch noch rechtzeitig an die verheerende
Wirkung - vor allem an den Geschmack - und ließ es lieber sein.
"Wozu?", wollte sie wissen. Julian trank ohne
zu zögern seinen Becher leer und blickte Gaya fragend an. Sie schob
ihm ihre Portion rüber.
"Ich will eine Gruppe zusammenstellen, die
mit mir in Cinhyal umher zieht", erklärte er dann.
"Und das Ziel wäre?"
"Etwas Ordnung im Lande zu schaffen. Sicherheit.
Wie du sicherlich gehört hast, befinden sich die Menschen in Aufruhr
und unmenschliche Kreaturen nutzen diese Situation, um uns den Kampf anzusagen.
Ich habe vor sie daran zu hindern." Seine Hand schloss sich um den Schwertknauf,
entschlossen, demonstrativ.
"Das ist Selbstmord", stellte sie fest. "Es
gibt viele feindliche Wesen in Cinhyal und wenn du sie alle vertreiben
willst, bist du verrückt."
"Ich versichere dir, dass es nicht so ist.
Ich bin der Meinung, dass es für eine Gruppe entschlossener Kämpfer
nicht unmöglich ist."
"Werbt Söldner an", schlug sie vor.
"Wo bist du gewesen, Gaya? Alle Söldner
halten sich in Sunaj auf und helfen Frederique den Thron zu halten. Außerdem
sind Söldner nicht vertrauenswürdig."
"Dafür kämpfen sie für Geld",
warf sie ein. "Sie tun alles für ihren Lohn."
"Es ist eine harte Zeit", seufzte er. Dann
streifte er sie mit einem unerwartet listigen Blick. "Was ist mit dir?
Was würdest du alles für Geld tun?" Ein dünnes Lächeln
schlich sich auf ihr Gesicht.
"Man kann mich nicht kaufen", erklärte
sie sanft.
"Nein, das habe ich auch nicht angenommen.
Aber es ist eine gerechte und ehrenhafte Sache, die ich dir anbiete. Seid
ihr Druiden nicht darauf bedacht so etwas zu tun? Um eurer Göttin
willen?" Gaya strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und beobachtete
ihn nachdenklich. War es eine List? Aber mit welchem Zweck? Sie hatte das
Festland von Cinhyal erst vor kurzem betreten. Man kannte sie hier nicht
– na ja, außer in Sunaj vielleicht und sie dachte nicht, dass ihre
Familie so etwas organisieren würde. Sie traute ihren Verwandten vieles
zu, aber das nicht.
"Wieso bist du ausgerechnet hier, Julian?
N’hoa scheint von tatkräftigen Leuten nicht gerade zu bersten", fragte
sie, statt eine endgültige Antwort zu geben. Julian sah sich schnell
um, beugte sich zu Gaya vor und sagte leise:
"Ich habe Gerüchte gehört. Es sollen
merkwürdige Dinge in N’hoa vorzugehen. Jemand hat der ganzen Stadt
erzählt, dass es hier tatsächlich eine verborgene, magische Quell
gibt, die nur Magier kennen. Und jetzt suchen die Bürger seit knapp
einer Woche andauernd nach ihr. Es würde mich nicht wundern, wenn
selbst die Hexer aus Antellis das mitgekriegt haben und sich schon zum
Angriff sammeln." Gaya sah ihn überrascht an, aber Julian nickte nur
ernst und zog sie wieder näher an sich heran. "Aber das Wichtigste
ist, dass man sich berichtet, ein mächtiger Feuerzauberer gehe hier
umher und bekämpfe die Antellis-Hexer. Ich habe gehofft ihn zu finden
und für mein Vorhaben zu gewinnen. Schließlich ist Feuermagie
selten und sehr gefährlich. " Julian lehnte sich zurück und sah
sie erwartungsvoll an. Gaya spürte immer noch seinen warmen Atemhauch
auf der Wange, als sie erwiderte:
"Ich habe von der Quelle schon gehört
und wollte mich dort mal umsehen. Der Feuerzauberer ist mir allerdings
neu. Denkst du tatsächlich, dass da etwas dran ist?" Sie hatte leiser
als er gesprochen, kaum vernehmbar.
"Oh ja. Ich habe letzte Nacht Funken und Flammen
am Hügel gesehen, aber als ich dort angekommen war, fand ich nur noch
Leichen vor. Er hat ungefähr ein Dutzend von den Hexern umgebracht."
Ein Mann am Nachbartisch lachte laut auf und schlug mit der Faust auf den
Tisch, so dass die Flaschen wackelten. Gaya verzog das Gesicht. Sie hasste
Betrunkene. Ein hübsches Mädchen um die siebzehn nahm hastig
Reißaus von dem Kerl und verschwand im Nebenraum. Gaya konzentrierte
sich wieder auf Julian.
"Das muss ein guter Kämpfer sein. Wie
willst du ihn finden?", interessierte sie sich.
"Ich bleibe Nacht für Nacht auf und beobachte
die Umgebung. Irgendwann wird er sich zeigen müssen und mir nicht
entwischen..."
"Und wie willst du ihn dann daran hindern
dich umzulegen? Aus Versehen zum Beispiel? Oder wenn er keine Lust
hat, dass ihn jemand stört?" Julian leerte den Becher und wischte
sich mit der Hand über den Mund. Er schien unbekümmert, als er
sie wieder ansah.
"Dann werden wir eben bis zum Schluss kämpfen",
sagte er und behielt sie genau im Auge. Sie unterbrach den Blickkontakt
und betrachtete abwesend die schmutzige Theke. Sie war sich unschlüssig,
was sie tun sollte. Einerseits war es ein sinnloses und gefährliches
Unterfangen. Andererseits war sie schließlich hierher gekommen um
der Göttin im Kampf zu dienen. Das war die Gelegenheit dazu. Außerdem
spürte sie die Neugier, die die harten Jahre auf der Druideninsel
nicht hatten vertreiben können, in sich aufsteigen. Ein Ritter. Warum
wusste niemand etwas davon, dass Frederique einen Ritter ausgesandt hatte,
um Cinhyal zu befreien?
Julian währenddessen hatte sich von ihr
abgewandt und betrachtete die übrigen Geschehnisse in der Gaststätte.
Das junge Mädchen von vorhin war zurückgekehrt und schenkte gehorsam
dunkel-roten Wein ein. Sie sah sehr müde und abgespannt aus, was Gaya
nicht wunderte. Doch da war noch etwas anderes, das Gaya veranlasste sie
sich näher anzuschauen. Eine Stimme? Ein Gefühl? Ein Kribbeln
auf der Haut, von dem Mal der Göttin ausgehend, welches sie auf ihrem
Hals trug.
Sie ist etwas besonderes.
"Gaya? Ist etwas?", fragte Julian besorgt
in ihre Gedanken hinein.
"Nein... nichts", sagte sie und lockerte den
Griff um ihren Stab. Die Stimme verstummte - hatte es sie überhaupt
gegeben?
"Wie wär’s, wenn wir gehen?", schlug
er vor und sie nickte dankbar. "Ich bezahle. Schließlich hast du
das Bier so gut wie nicht angerührt." Gaya lächelte leicht.
"Wenn man das Bier nennen kann", ergänzte
sie.
"Über Geschmäcker sollte man sich
nicht streiten", meinte Julian versöhnlich und zählte einige
Silbermünzen von einem Beutel ab, den er eingenäht in seine Weste
trug. Während er das tat, sah sich Gaya noch mal nach dem Mädchen
um, das ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Ein ganz normales Schankmädchen,
schien es. Und doch war mehr an ihr dran. Das Gefühl war wie ein Jucken
an einer unerreichbaren Stelle.
"Ich komme schon, Julian", sagte sie zerstreut
und folgte ihm nach draußen, immer noch im Grübeln.
Draußen war es schon dunkel geworden
und die Sonne verschwand fast völlig hinter den Hügeln im Osten.
In den kleinen Häusern brannte überall Licht und kaum einer hielt
sich noch auf den Straßen auf.
"Bald ist Zeit für meine Wache", sprach
Julian und zeigte auf die Hügel. "Dorthin gehe ich immer. Willst du
mitkommen?" Gaya sah ihn von der Seite an. Ihr Misstrauen, für kurze
Zeit besänftigt, flackerte wieder auf. War das ein unehrbares Angebot?
Aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass Julian mit seinen schönen
Augen sie belügen sollte. Außerdem, konnte eine Dienerin der
Großen Mutter nicht selbst auf sich aufpassen?
"Gerne", sagte sie. Als sie ihm über
den leeren Stadtplatz folgte, wog sie die Möglichkeit ab, dass er
gar nicht auf der Lauer liegen wollte, sondern an ihr interessiert war.
Der Gedanke erschien ihr einerseits äußerst reizvoll, andererseits
war ihr jeglicher enger Kontakt mit dem anderen Geschlecht verboten. Das
war eins der großen Tabus des Druidenordens. Natürlich hatte
Gaya nicht vor es zu brechen - unter keinen Umständen! -, aber trotzdem
wäre es sicherlich ganz interessant...
Aber bevor ihre Gedanken weiter eskalieren
konnten, wurden sie unterbrochen. Hinter ihnen wurde irgendwo heftig eine
Tür aufgestoßen, so dass sie gegen die Wand krachte, und das
Geraune verriet Gaya, dass es sich um "Den müden Gaul" handelte. Sie
drehte sich um, als ein schriller Schrei ertönte und dumpfes Knallen
zu hören war. In der Dunkelheit konnte sie nicht genau sehen, was
da vorging, aber sie hatte vor das herauszufinden. Da war das Jucken wieder.
"Hey, wohin gehst du?", fragte Julian, aber
sie machte nur eine abwehrende Handbewegung in seine Richtung.
"Bin gleich wieder da!" Gaya überwand
rasch die Entfernung zwischen sich und der Kneipe und hörte einen
weiteren, diesmal gedämpften Schrei. Sie erkannte das junge Mädchen
aus der Kneipe, das gegen die Wand des Hauses gepresst wurde und zwar von
einem recht stämmigen Mann, der ihr auch noch den Mund zuhielt. Sie
wehrte sich, aber er war ungleich stärker als sie. Gayas Stab leuchtete
auf und verbreitete ein unheilvolles, grünes Licht.
"Was ist hier los?", fragte sie scharf und
blieb kurz von den Beiden stehen. Der Mann - es war ein Söldner, wie
sie ohne Mühe feststellte - knurrte einen Fluch und wandte sich Gaya
zu.
"Diese Göre hat versucht mich zu beklauen!",
rief er wütend. Das Mädchen wimmerte und versuchte sich ihm zu
entwinden.
"Hast du Beweise dafür?", fragte Gaya
kühl.
"Sie hat meine Geldbörse aus meinem Mantel
gezogen! Ich habe sie gerade noch festhalten können, bevor sie weglief!
Ist das Beweis genug?", dröhnte er.
"Und was hast du nun vor? Sie zu verprügeln
und blutend zurück zu lassen?"
"Ich werde ihr eine Lehre erteilen, die sie
nicht wieder vergisst!" Gaya hätte fast geseufzt. Das war so ein typischer
Großmaul-Spruch!
"Dann wirst du vors Gericht kommen", setzte
sie ihn liebenswürdig in Kenntnis. "Sie muss zum Rathaus gebracht
werden und dort wird sie dann eine Strafe kriegen", ihre Lippen kräuselten
sich, "die sie nicht wieder vergisst."
"Das Rathaus ist zu und öffnet erst wieder
morgen früh! Was soll ich denn mit dem Langfinger so lange anfangen?",
jammerte der Söldner. Das Mädchen verhielt sich ganz still.
"Sie kommt mit mir. Ich weiß wo sie
die Nacht verbringen kann ohne dass sie abhaut. Morgen bringe ich sie dann
zum Bürgermeister." Der Söldner musterte sie abschätzend.
Sie sah ihm an, dass er das Mädchen loswerden wollte, ihr aber nicht
traute.
"Na gut, Druiden-Frau. Ich geb’ sie dir, wenn
du mir bei eurer Göttin schwörst, dass sie ihre Strafe bekommt."
Sie war ein wenig erstaunt über diese Forderung - wer hätte gedacht,
dass es unter Söldnern noch welche mit Verstand gab?
"Ich schwöre, dass sie bestraft wird,
wenn sie schuldig ist. Möge die Große Göttin mich
verfluchen und meine Seele keinen Frieden finden, wenn ich diesen Schwur
breche." Er nickte zufrieden und ließ das Mädchen los, das immer
noch kein Wort sagte.
"Und denk dran, morgen!", erinnerte er sie
noch mal und ging dann zurück in "Den müden Gaul".
"So, Mädchen, jetzt müssen wir uns
mal unterhalten", sagte Gaya. Die Diebin kam mit verschränkten Armen
näher zu Gaya. Sie hatte hell-blondes, lockiges Haar und große,
ausdrucksvolle, grüne Augen.
"Ich gehe nirgendwohin mit dir, Druidin",
sagte sie hell, mit einer gewissen Arroganz.
"Na, das werden wir noch sehen." Julians Stimme
erschallte aus der Dunkelheit.
"Gaya, wo bleibst du?...Wer ist denn das?",
fragte Julian, als er in dem Glimmen des Stabes die Gestalt des Mädchens
sah.
"Keine Ahnung", gab Gaya zu.
"Dajana Stromsyard", stellte sich das Mädchen
vor und warf Julian einen interessierten Blick zu. Was Gaya ganz und gar
nicht gefiel. Julian jedoch würdigte Dajana kaum eines Blickes.
"Aha. Gehen wir nun?", wollte er stattdessen
von Gaya wissen, in der Stimme gewisse Ungeduld.
"Klar. Aber Dajana nehmen wir mit", sagte
Gaya und griff nach Dajanas Arm.
"Hey!", protestierte diese, aber Gaya zerrte
sie unerbittlich mit.
"Ich habe einen Eid geschworen, dass du heute
mit mir kommst, also kommst du gefälligst mit!"
"Was ist ein Eid heutzutage schon wert?",
fragte Dajana bissig, aber sie war schwächer als Gaya und musste hinter
ihr her gehen. Julian schien sich noch erkunden zu wollen, worum es überhaupt
ging, aber anscheinend lag ihm nicht sehr viel daran sich mit Dajanas mürrischer
Miene auseinander zu setzen, also schwieg er lieber und ging vor.
"Wohin gehen wir überhaupt?", fragte
Dajana nach einer Weile, als sie einsah, dass stures Schweigen keinen der
beiden besonders hart traf.
"Zu den Hügeln", antwortete Julian knapp.
"Wozu?"
"Du musst doch nicht alles wissen oder?",
sagte Gaya und lachte erstaunlich fröhlich. Das unangenehme Gefühl
war verschwunden, Kribbeln hin oder her. Die nächtliche Luft trug
Gerüche nach frischem Gras zu ihr her, nach feuchter Erde, nach Leben.
Gaya war unglaublich froh endlich die See verlassen zu haben.
Sie verließen die Stadt. Vor ihnen lag
eine stetig ansteigende Grasfläche mit vereinzelt stehenden Bäumen,
auf denen Früchte sanft im Wind hin und her wiegten. Es war eine so
idyllisch wirkende Landschaft, dass es Gaya wie in einem Traum vorkam.
Es fiel ihr nicht schwer den Hügel hinauf zu steigen, aber sie musste
vorsichtig sein, weil das Gras vom letzten Regen noch nass war und man
leicht ausrutschen konnte. Außerdem standen an ein paar Stellen Felsen
im Weg, die die Dunkelheit völlig unsichtbar machte. Dajana stolperte
und riss Gaya mit zu Boden. Beinahe wären beide den Hügel hinunter
gerollt, aber Julian ergriff schnell Gayas Umhang und hielt sie fest. Dajana
hätte sich fast losgerissen, aber Gaya erhöhte den Druck auf
deren Arm, bis sie das Mädchen vor Schmerz aufstöhnen hörte.
"Versuch so etwas nie wieder, Mädchen!",
zischte sie und erhob sich vorsichtig.
"Alles in Ordnung?", fragte Julian besorgt.
Sie nickte. Dajana stieß einen Laut aus, der fast wie das Fauchen
von einer Katze klang.
"Ihr seid ja verrückt! Was wollt ihr
in der Nacht da oben? Der Wald ist ganz in der Nähe, da treibt sich
nur übles Pack herum..."
"Schmeichelhaft", bemerkte Julian.
"Was wollt ihr da?", wiederholte Dajana
und Gaya hörte leise Angst mitschwingen.
"Lass dich überraschen", erwiderte Gaya
und hörte Julian unterdrückt lachen.
"Verrückte. Hab ich mir schon gedacht",
verkündete Dajana und ging schnell vor, so dass Gaya ihre Schritte
beschleunigen musste. Der Mond war nur zu einem Viertel zu sehen und spendete
ziemlich wenig Licht, aber Gaya sah ihr Ziel, den Hügelkopf deutlich
von Schatten umrissen.
Irgendwie kamen sie heil dort oben an, obwohl
Dajana ganz eindeutig schlecht gelaunt war. Der Hügel war leer, weder
Zauberer noch Leichen waren zu sehen.
"Schön, dann warten wir eben", verkündete
Julian und hielt Ausschau nach einem guten Rastplatz. "Wir halten abwechselnd
Wache", erklärte er, als sie sich hingesetzt hatten. "Die erste übernimmt
Gaya, die zweite ich und Dajana die dritte."
"Sie wird sofort abhauen, wenn ich sie loslasse",
sagte Gaya und Dajana starrte sie wütend an.
"Wer bist du eigentlich, dass du dich hier
so aufspielst?", fauchte sie wieder.
"Habe ich mich nicht vorgestellt? Oh, verzeiht,
hohe Dame, wo bleiben nur meine Manieren? Ich bin Gaya Asearien, Mitglied
des Druidenordens, zu ihren Diensten." Gaya verbeugte sich spöttisch.
"Druiden." Das Wort klang aus Dajanas
Mund so verächtlich, dass Gaya sich fast auf sie gestürzt hätte.
"Ihr seid der arroganteste Orden auf dem Kontinent."
"Ach, Schankmädchen sind ja um so vieles
besser! Ist ein sehr geachteter Beruf, muss ich schon sagen." Dajanas Augen
sprühten Funken.
"Hey, beruhigt euch wieder", fuhr Julian dazwischen
und beide sah streng an. "Seid ihr kleine Kinder?"
"Sie - ja", sagte Gaya. Dajana schubste sie
ein wenig.
"Ich werde nicht abhauen", verkündete
sie dann feierlich. "Die Druidin hat mich vor diesem abstoßendem
Söldner gerettet, also bin ich ihr was schuldig. Aber wenn ich schon
Wache halten soll, muss ich doch wissen nach wem ich Ausschau halten soll."
Sie legte ihren Kopf auf kindliche Art schief und sah Julian unschuldig
an. Gaya wurde den Eindruck nicht los, dass sie versuchte ihn um den Finger
zu wickeln.
"Nach dem berüchtigten Feuerzauberer.
Er treibt sich hier oft herum um Hexer zu erschlagen und ich muss ihn sprechen",
sagte Julian und zu ihrer Befriedigung bemerkte Gaya, dass er gereizt war
und auf Dajanas naive Anmache nicht reinfiel.
"Wozu?", wollte Dajana sofort wissen. Gaya
bereute schon sie diesem Söldner nicht überlassen zu haben. So
eine Nervensäge.
"Das kann dir egal sein", sagte Julian, noch
immer geduldig.
"Kann es mir eben nicht! Ich muss doch wissen,
wofür..."
"Musst du nicht."
"Muss ich doch!"
"Musst du nicht."
"Muss ich doch!"
"Das reicht jetzt, Kleine, geh schlafen. Ich
wecke dich, Julian", mischte sich Gaya schnell ein, bevor es ihm einfallen
sollte sie dafür zu tadeln, dass sie Dajana mitgenommen hatte. Dajana
wollte anscheinend noch etwas sagen, beließ es aber zum Glück
bei einem ätzenden Blick. Sie nahm ihren fadenscheinigen Mantel ab,
breitete ihn auf dem Gras aus und legte sich hin, mit dem Rücken zu
Gaya.
"Na dann, gute Nacht. Pass aber gut auf, Gaya
und weck mich sofort, wenn es eine Veränderung gibt",
sagte Julian. Gaya konnte sein Gesicht in
der dichten Dunkelheit nicht erkennen und er ihrs vermutlich auch nicht,
aber sie verzog ihr Gesicht trotzdem gekränkt.
"Keine Sorge, ich bin ja nicht blind!" Er
zuckte wahrscheinlich mit den Schultern und fragte dann:
"Du hast übrigens noch nicht richtig
auf mein Angebot geantwortet, Gaya. Kommst du nun mit oder nicht?"
"Ja, ich denke schon. Du musst mir morgen
noch genauer erklären, wie du das alles geplant hast", erwiderte sie.
Dann erst kam ihr zu Bewusstsein, was sie gesagt hatte und sie erstarrte
erschrocken. Julian murmelte etwas als Zustimmung und legte sich
ebenfalls hin. Gaya blieb verwirrt und allein in der Finsternis zurück.
Was nun? Warum hatte sie nur eingewilligt,
ohne darüber nachgedacht zu haben? Sie war sich doch so unsicher.
Hatte sie die richtige Entscheidung getroffen? Instinktiv? Sie sah zum
Sternenhimmel auf als erhoffe sie dort die Antwort zu lesen und richtete
ihren Blick dann auf den dunklen Stein am Stab. Plötzlich wusste sie,
was zu tun war.
Gaya kniete sich hin und pflanzte den Stab
fest in den Boden. Sie schloss die Augen und legte beide Hände auf
die Erde. Der Geruch nach frischem Gras umgab sie und Gaya spürte
die Göttin ganz nah.
"Du Große, ich bin nur ein winziger,
unbedeutender Teil von Dir, aber gewahre mir Deine Gunst und erhöre
mich", flüsterte sie. "Mein Leben steht an einem Wendepunkt. Ich wage
es nicht zu hoffen, Du habest besondere Pläne mit mir, doch will ich
nicht die Chance verpassen in Deinem Namen Gutes zu tun. So flehe ich Dich
als untertänigste Dienerin an - hilf mir bei dieser schwierigen Entscheidung.
Soll ich meinem Herzen folgen und mit Julian gehen?" Gaya verharrte einige
Augenblicke lang in dieser Haltung und wartete geduldig. Der Wind strich
sanft um ihren Nacken, wie eine kühle Hand, und sie erschauderte.
"Ich danke Dir", sagte sie leise und legte
kurz zwei Finger auf das Symbol der Göttin auf ihrem Hals. Sogleich
fühlte sie sich besser. Wenn die Göttin meint es wäre
der richtige Weg, dann kann ich nichts falsch machen. Zufrieden mit
sich und der Welt setzte sie sich bequemer hin. Danach gestattete sie es
sich ein wenig über Julians süße Nase und die schön
geschwungenen Augenbrauen zu träumen.
Nach einer Zeitlang begannen ihre Gedanken
zu wandern. Sie sah auf das stille N’hoa nieder und erinnerte sich wieder
an das Willkommensschild am Eingang. 'N’hoa zu Sunaj!' stand dort. Sie
fragte sich, wie der neue König darauf reagieren würde. Was
ist eigentlich mit dem armen König Òdrean passiert? Wurde er
getötet oder nur gefangengenommen? Gaya hatte lange Zeit in den
stillen Wäldern Yasings verbracht und wusste nicht so recht um die
jetzige politische Situation.
Der Sturz von König Òdrean lag
jetzt fünf Mondumdrehungen zurück und schon waren Nachwirkungen
der unsicheren Regierung zu spüren. Der Neue hieß Frederique
und war ein entfernter Verwandter von Òdrean. Er war in die Burg
gekommen um Verwirrung zu verbreiten, was ihm hervorragend gelungen war,
und dann hatte er plötzlich den alten König gefangen genommen
- oder getötet - und sich zum Herrscher erklärt. Weil Frederique
ein starkes Heer aufgetrieben hatte, hatte es keiner gewagt sich ihm zu
wiedersetzen und der Wandel war ohne großes Blutvergießen vollzogen
worden. Trotzdem schien sich Frederique nicht so recht an das Königtum
gewöhnen zu können. Als Gaya ihren Entschluss gefasst hatte den
Wald zu verlassen und die Große Göttin im Krieg zu suchen, war
sie zuerst nach Sunaj gegangen und es hatte sie ungemein überrascht,
wie misstrauisch die Menschen dort geworden waren. Sie hätte auf der
Straße übernachten müssen, wenn nicht ihre Eltern in der
Stadt gewohnt hätten. Aber sie waren auch besorgt gewesen.
Gaya erinnerte sich daran, dass Òdrean
ja einen Sohn gehabt hatte, den Namen wusste sie nicht. Was mochte aus
dem geworden sein? Wahrscheinlich wird er ebenfalls in dem Verlies sitzen.
Gehabende Göttin, was hast du mit der Welt bloß vor? Da
fiel ihr plötzlich Julian ein. Er war ein Ritter aus Sunaj, aber von
welchem König? Es war kaum möglich, dass ein Ritter Òdreans
so dreist die Aufmerksamkeit von Frederique auf sich lenken würde,
aber wieso würde der neue König seinen Ritter ausschicken um
das Land zu befreien? Er brauchte sie doch gewiss alle um seine Stellung
zu halten! Und wenn Julian zu Frederique gehörte, warum wurde es denn
nirgendwo verkündet, dass der König so eine große Wohltat
vollbringen ließ? Darüber muss ich mit ihm sprechen. Ich
will nicht im Namen eines Thronräubers gute Taten vollbringen!
Eine Druidin schlief niemals, wenn sie als
Wachposten fungieren sollte. Gaya machte da keine Ausnahme, sie beschloss
sogar Julian ein wenig länger schlafen zu lassen, weil es sowieso
nicht danach aussah, dass der Zauberer auftauchen würde. Zwar war
es langweilig auf diesem einsamen Hügel zu sitzen und den nächtlichen
Geräuschen zu lauschen, aber es erinnerte sie an ihre Große
Prüfung vor zwei Jahren und mit der damit verbundenen Verantwortung,
deswegen dachte sie nicht im geringsten daran einzuschlafen, als sich jäh
eine Hand auf ihre Schulter legte.
Gaya wirbelte sofort herum, den Stab vor sich
abwehrbereit haltend, und schlug zu. Holz traf auf Metall und die Wucht
des Aufpralls erschütterte Gaya bis auf die Knochen. Sie löste
den Stab, duckte sich und führte einen Schlag nach den Beinen des
unsichtbaren Gegners. Er sprang im rechten Moment beiseite und sie sah
ein Schwert im fahlem Mondlicht aufblitzen.
"Gaya, ich bin’s nur!", hörte sie dann
Julians Stimme. Beruhigt ließ sie den Stab sinken.
"Du hast mich zu Tode erschrocken, Julian!
Musst du dich so anschleichen?" Er steckte das Schwert in die Scheide und
lachte leise.
"Musst du auf alles draufhauen, was du nicht
siehst? Nein, schon gut, ich weiß ich hätte etwas sagen sollen,
aber ich wollte sehen, ob du schläfst. Du hättest mich schon
längst wecken sollen!", fügte er vorwurfsvoll hinzu.
"Wozu? Hier ist ungefähr so viel los,
wie auf einer verlassenen Insel mitten auf dem Meer!"
"Auch eine verlassene Insel kann von Piraten
angegriffen werden! Na ja, jedenfalls gehst du jetzt schlafen. Die Nacht
ist schon zur Hälfte um, also wird es keinen Sinn haben Dajana zu
wecken, aber du kannst dich noch ausruhen." War es echte Fürsorge,
die sie da in seiner Stimme hörte?
"Ich bin nicht müde", widersprach sie.
"Doch das bist du. Du bist nur zu stur um
es zuzugeben."
"Woher willst du das wissen? Du kennst mich
gerade mal einen Tag lang!"
"Ich habe so verschiedene Geschichten über
euch Druiden gehört, Gaya..." Sie schnaubte. "Geschichten!
Ich habe auch viele Geschichten über Ritter gehört, Julian, und
manche davon sind nicht besonders vertrauenserweckend. Und übrigens
würde ich nie auf dem Wachposten einschlafen." Seine Hand schloss
sich um ihr Handgelenk.
"Ja, das glaube ich dir sogar. Aber jetzt
entspann dich und geh endlich schlafen. Ich komme schon allein zurecht."
Gaya streifte seine Hand ab und ließ ihn allein. Als sie es sich
neben Dajana gemütlich machte, hörte sie, wie Julian sich einen
bequemen Sitzplatz suchte. Und doch bin ich überhaupt nicht müde,
Julian! dachte sie trotzig, bevor sie in einen tiefen Schlaf fiel.
© Martha
Wilhelm
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