Der Weg einer Druidin von Martha Wilhelm
Kapitel 1: Lichtdurchflossen (2)

Ein Sonnenstrahl auf ihrem Gesicht weckte Gaya. Sie öffnete die Augen und sah auf einen sturmgrauen Himmel, auf dem die Wolken wie luftige Schafe vorbeieilten. Neben sich hörte sie Dajanas gleichmäßigen Atem. Gaya drehte sich um und sah direkt in ihr hübsches Gesicht, das von Strähnen ihres weizenfarbenen Haares teilweise verdeckt wurde. Wenn sie schläft, wirkt sie wie ein Engel. Sie richtete sich halb auf und entdeckte Julian unweit. Er lehnte sich gegen einen großen Baum und sah in die Ferne. Die Rüstung hatte er ausgezogen - Gaya meinte sich zu erinnern, dass es in der Nacht ziemlich heiß geworden war - und sie konnte nicht übersehen, was für ein muskulöser Körper sich unter dem blauen Hemd abzeichnete. Sie befahl sich ärgerlich damit aufzuhören ihn anzustarren. Er interessiert mich nur so sehr, weil ich seit etlichen Jahren nicht mit Männern meines Alters zutun hatte! Na ja, in den Wäldern schon, aber da ist enger Kontakt sowieso strengstens verboten... Gaya wandte sich schnell ab und stand endgültig auf. Sie brachte ihre Kleidung zuerst in Ordnung und ging erst dann zu Julian rüber.
 "Guten Morgen", sagte er und sie erwiderte den Gruß halb gähnend. 
"Und - hat er sich blicken lassen?" Er schüttelte den Kopf. 
"Ich werde nächste Nacht wieder herkommen müssen. Langsam fängt es an mich zu nerven. Und die Leute müssen mich für verrückt halten Nacht für Nacht hier oben zu verbringen." 
"Ja, noch ein merkwürdiges Geschehnis in N’hoa, ein weiteres Gerücht, das sie sich erzählen werden - 'Habt ihr schon von dem verrückten Ritter gehört? Er geht jede Nacht auf den kahlen Hügel hinauf und hält Wache, um einem sagenhaften Zauberer aufzulauern...'" Julian lachte, aber es klang gezwungen. 
"Langsam denke ich wirklich, dass er nur eine erfundene Person ist! Warum zeigt er sich nicht?" Er schüttelte verständnislos den Kopf. Gaya zuckte mit den Schultern und hielt es für besser ihn auf andere Gedanken zu bringen. 
"Was machen wir nur mit Dajana? Ich weiß wirklich nicht, wozu ich sie diesem Söldner abgenommen habe, sie macht nur Schwierigkeiten!" 
"Ich habe auch keine Ahnung. Ich bezweifle, dass ich sie mit ins Team aufnehmen kann oder was denkst du?" 
"Nein, es sei denn wir benutzen ihre scharfe Zunge anstatt eines Bogens oder sie als Lockvogel." 
"Gar keine schlechte Idee! Sie könnte vor uns hergehen und so tun als würde sie die Kriegerin sein, während wir uns von hinten heranschleichen." Er grinste wieder so jugendlich und sie fragte sich, wie alt er wohl war. 
"Ich habe einen wahnsinnigen Hunger und ich muss Dajana zum Rathaus bringen. Gehen wir?", fragte sie. 
"Klar. Ich komme mit zum Rathaus." Gaya ging zu der schlafenden Dajana rüber und rüttelte sie. 
"Dajana Stromsyard, wach auf! Es ist Zeit den Bürgermeister zu besuchen!" Das Mädchen murrte etwas unverständliches, schlug Gayas Hand beiseite und drehte sich demonstrativ um. Gaya riss daraufhin mit einem Ruck den Mantel unter ihr weg, so dass Dajana auf dem nassen Gras landete. "Steh endlich auf, Schankmädchen!" 
"Kein Schankmädchen... Kriegerin...", murmelte sie noch halb in einem Traum versunken, machte aber dann die Augen auf. 
"Lass mich in Ruhe, Druidin!", sagte sie laut und deutlich. 
"Ich nehme an du bist jetzt wach!", erwiderte Gaya und ging zurück zu Julian. Er hatte sein Schwert rausgeholt und führte ein paar Angriffe gegen die Luft. Gaya bemerkte gleich seine hervorragende Technik, obwohl es ihr seit ihrer Kindheit verboten war ein Schwert auch nur zu berühren.  Mit der gleichen Konzentration, mit der er einen richtigen Gegner angegriffen hätte, hieb Julian Stich für Stich auf seinen unsichtbaren Gegenüber ein und bewies dabei eine Geduld, die Gaya nie fähig wäre aufzutreiben. Sie schaute ihm eine Weile fasziniert zu und beobachtete seine geschmeidigen Bewegungen. Wieder mal beneidete sie die Leute, die mit einem Schwert umgehen konnten. Ein Stab war einfach nicht das gleiche. Sie wurde von hinten geschubst und wäre fast mit der Nase auf den Boden geknallt. 
"Wach auf, Gaya Asearien! Sonst fallen dir noch die Augen raus!", zischte Dajana. Gayas Hieb mit dem Stab konnte sie noch entwischen und zeigte ihr die Zunge. Gaya blickte schnell zu Julian, aber es war zu spät, er hatte seine Übungen schon abgebrochen und steckte das Schwert zurück in die Scheide., was Gaya doch ziemlich bedauernd fand. Wenigstens hatte er nichts bemerkt. Mit einer ruckartigen Bewegung schüttelte sie sich die Haare aus dem Gesicht, fasste ihren Stab fester und ging ihren Mantel aufheben. 
"Gehen wir jetzt?", fragte Julian. 
"Wenn die Druidin soweit ist!", erwiderte Dajana gehässig und Gaya verfluchte sich wieder dafür die Göre mitgenommen zu haben. 
"Immer doch, Kleine!", sagte sie und freute sich Dajanas Wut zu sehen. Zufrieden vor sich her lächelnd machte sich Gaya an den Abstieg.
Es dauerte nicht lange und sie waren in N’hoa. Zu der frühen Zeit waren noch nicht viele Bürger auf den Straßen, aber die wenigen sahen Gaya und Julian misstrauisch und Dajana verständnislos an. Aber keiner wurde offen feindlich. Das muss mit dem Gerücht zu tun haben, dass es hier eine Quelle gibt, von der nur Magier wissen. Die Bürger wollen keine Geheimnisse in ihrer Stadt. Das Rathaus hatte Gaya schon gestern gesehen, aber diesmal wartete keine lange Menschenreihe vor der Tür. Gaya nahm Dajana sicherheitshalber bei der Hand, was diese mit einem funkensprühenden Blick quittierte, und klopfte. 
Die Tür wurde von einem Türposten mittlerer Jahre mit einer Glatze geöffnet. Er musterte Gaya und Dajana wie Insekten und Gayas Nackenhaare sträubten sich. 
"Wir wollen zum Bürgermeister, wegen eines Unrechts", sagte sie in dem eisigen Ton, den sie so gut beherrschte. Seine Arroganz schrumpfte sichtlich.
"Der Bürgermeister ist äußerst beschäftigt. Ihr könnt später wiederkommen." Gaya setzte ein frostiges Lächeln auf und ließ ihre Finger wie unbewusst mit dem Stab spielen. 
"Später haben wir leider keine Zeit. Würdest du dem Bürgermeister bitte ausrichten, dass es eine Angelegenheit von größter Wichtigkeit ist. Ich bin sicher er wird einer Dienerin der Großen Göttin schon etwas Zeit schenken." Sie hatte das magische Wort gesagt. Jetzt hatte der Türposten eindeutig Angst.
"Ja... natürlich", sagte er schnell und verschwand. Dajana warf ihr einen anerkennenden Blick zu. 
"Ich verstehe wirklich nicht, wieso die Leute so eine große Angst nur beim Erwähnen der Druiden bekommen. Als würden wir friedliche Menschen ihnen was antun", sagte Gaya betont unschuldig. Sah sie da ein verstecktes Grinsen in Dajanas Augen? Schneller als sie erwartet hatte, tauchte der Mann wieder auf.
"Er erwartet euch, Ladys."
"Vielen Dank", sagte Gaya mit einem süßen Lächeln.
Sie ging mit Dajana ohne sich zu beeilen in den nächst gelegenen Raum. Er war vollgestopft mit Schränken und die Füße ertranken in einem blutroten Teppich. Das Zimmer wurde von einem gewaltigen Tisch beherrscht, in einem prunkvollen Sessel dahinter saß ein fettleibiger, älterer Mann. Der Bürgermeister. Er sah nicht auf als sie hineinkamen und widmete sich weiterhin seinen gestapelten Papieren. Gaya sah jedoch, dass er nervös war und schloss daraus, dass er das ganze nur abzog, damit sie verunsichert wurde. Das würde natürlich nicht passieren, aber wie konnte er das wissen? Gaya bedeutete Dajana stehen zubleiben, ließ ihren Arm los und ging geräuschlos zum Tisch rüber. Einen kurzen Augenblick sah sie auf den Bürgermeister nieder und knallte dann ihren Stab mitten auf die Papiere. Er blickte sie erschrocken an und sah direkt in ein freundliches Lächeln.
"Guten Morgen, Bürgermeister. Mein Name ist Gaya Asearien, Druidin des heiligen Ordens der Mutter. Dies ist Dajana Stromsyard. Wir wollten euch wirklich nicht stören, Bürgermeister, aber unser Fall ist außerordentlich wichtig und kann nicht bis später warten." Er sah ziemlich unschlüssig aus, doch sie ließ ihm keine Zeit zum Überlegen. Ohne zu zögern setzte sie sich direkt auf den Tisch, legte den Stab senkrecht, so dass seine Spitze wie durch Zufall auf des Bürgermeisters Gesicht zeigte, und winkte Dajana zu sich. "Bürgermeister, dies ist ein Fall, den ich kraft eines Versprechens übernommen habe, um beiden Beteiligten Gerechtigkeit walten zu lassen. Es geht dabei um dieses Mädchen. Ihr ist gestern ein kleines Missgeschick passiert und der Betreffende, ein Söldner, hat das gleich als versuchter Diebstahl ausgelegt. Der ungehobelte Kerl wollte sie also zusammenschlagen und vielleicht schlimmeres antun, als ich dazu gekommen bin und sie sozusagen gerettet habe. Ich musste ihm versprechen, dass ich das Mädchen zu euch bringe, damit ihr als ein gerechter Mann die Sache regelt. Ich denke, dass dieses Missverständnis eine Angelegenheit von Sekunden ist, denkt ihr nicht?" Gaya beendete die kurze Rede und sah den Bürgermeister weiterhin unschuldig an.
"Ja, das wäre sie tatsächlich, aber das Mädchen ist schon zum vierten Mal wegen Diebstahl hier", sagte er bedächtig. Gaya warf Dajana einen vernichtenden Blick zu. Und davon erfuhr sie erst jetzt? Schnell wie eine Fregatte wechselte sie die Taktik. 
"Tatsächlich?" Sie sah das Objekt des Gesprächs finster an. "Nun, dann habe ich wohl kaum eine andere Wahl als sie mitzunehmen."
"Mitzunehmen?", fragte der Bürgermeister mit gerunzelter Stirn.
"Mitzunehmen?", fragte Dajana entrüstet. Gaya wies ihr mit einer Geste an zu schweigen.
"Jawohl, mitzunehmen. Wenn sie so ein hoffnungsloser, unverbesserlicher Fall ist, könnt ihr nichts dagegen tun, Bürgermeister. Das ist eine Sache, mit der ich mich persönlich als Druidin befassen muss. Wir in unserem Orden wissen, wie man mit solchen undisziplinierten Kindern verfährt, um sie wieder auf die rechte Bahn zu führen." Ein Muskel zuckte in Dajanas Gesicht bei dem Wort Kindern, aber sie blieb stumm. Gut für sie, dachte Gaya. 
Der Bürgermeisterte sah abwechselnd Gaya und Dajana an. Dann Gayas Stab, unbehaglich. Sie sah ihn überlegen, wartete geduldig ab.
Schließlich seufzte er.
"Ich habe von dem Orden der Druiden genug gehört, um sagen zu können, dass ihr ehrenvoll seid und das tut, was ihr versprecht. Ich wüsste sowieso nicht, was ich mit diesem Mädchen anfangen sollte. Sie ist eine Unruhestifterin. Also nehmt sie mit, zum Wohle der Stadt und ihrem eigenen." Gaya nickte ernst.
"Ich danke euch für euer Verständnis. Bei mir wird sie in guten Händen sein." Sie hob ihren Stab auf, wobei der Stein darauf kurz grün aufleuchtete, um den Mann an die Macht zu gemahnen, derer sie gebot. Ein knappes Nicken als Abschied, dann schob sie Dajana demonstrativ grob aus dem Raum.  Der Türposten wich respektvoll zur Seite, als sie an ihm vorbeikamen. 
Draußen erwartete sie schon Julian, die Sonne spielte in seinem Haar. "Sind wir sie los?", fragte er ohne Umschweife. Gaya musste ihn enttäuschen.
"Nein, tut mir leid. Ich habe dem Bürgermeister versprochen, ich würde mich als Druidin mit diesem hoffnungslosen Fall von Mädchen befassen und sie mitnehmen."
"Mitnehmen", wiederholte er tonlos. Gaya zuckte entschuldigend mit den Schultern.
"Ich hätte es auch lieber anders..."
"Moment!", unterbrach Dajana. "Ich will nirgendwohin mitgenommen werden! Hast du schon mal an mich gedacht, Gaya?! Ich weigere mich partout diese Stadt zu verlassen!" 
"Ach, willst du lieber gehängt werden?", fragte Gaya lakonisch. 
"Ge-gehängt?" 
"Natürlich. Oder was denkst du, was der Bürgermeister mit dir machen würde, wenn du hier bliebest?"
"Ins Gefängnis sperren?", schlug sie vor.
"Bei vierfachem Diebstahl?"
"Versuchtem Diebstahl", korrigierte sie automatisch.
"Vierfach?", unterbrach Julian ungläubig. Dajana errötete leicht.
"Ich bin auch nur ein Mensch!", sagte sie trotzig und verschränkte die Arme ineinander. 
"Das übersteigt mein Fassungsvermögen. Wie kannst du viermal versucht haben zu stehlen?" 
"Ich brauche halt noch ein wenig Übung", gab Dajana zu.
"Nichts da!", widersprach Gaya schnell. "Keine Übung mehr! Ich will nicht noch mehr Schwierigkeiten! Du wirst dich benehmen, klar?"
"Hör auf dich so aufzuspielen", murrte Dajana. 
"Soll das heißen, dass wir sie jetzt wirklich nicht mehr loswerden?", erkundigte sich Julian.
"Sieht so aus." Er schüttelte den Kopf.
"Vielen Dank, Gaya. Wirklich vielen Dank." 
"Dem kann ich mich nur anschließen", meinte Dajana. Beide sahen Gaya finster an, die verlegen lächelte. 
"Man kann es jetzt nicht mehr ändern, also hört auf euch zu beschweren. Dajana, du hast sowieso keinen Grund dazu. Ich habe dir sozusagen den Hals gerettet."
"Darüber kann man sich streiten", murmelte diese, aber Gaya ignorierte sie.
"Also, wie wär’s, wenn wir alle Streitigkeiten vergessen und stattdessen frühstücken gehen?"
"Vorschlag angenommen!", sagte Dajana prompt. Julians Mundwinkel zuckten.
"Gut", willigte er ein und sah Gaya dabei an. "Aber du wirst bezahlen. Wegen dir muss ich die da mitnehmen!" 
"Einverstanden", sagte Gaya.

Sie verzichteten darauf in "Zum müden Gaul" zu gehen und gingen lieber zur zweiten, kleineren Gaststätte. Sie hieß "Silberknauf" und war erstaunlich leer. 
"Die Meisten bevorzugen es in den Gaul zu gehen", erklärte Dajana und handelte sich einen bösen Blick vom Gastwirt ein. "Stimmt doch!", verteidigte sie sich. Die Drei setzten sich an den Tisch am Fenster. 
"Was wünschen der Herr und die Damen?", fragte sie eine pummlige Frau und ließ dabei ihre glänzenden Augen nicht von Julian. Gaya verkniff sich ein Grinsen. 
"Haben sie Fisch?", fragte sie. Die Frau nickte und Gaya bestellte daraufhin gebratenen Fisch mit Salat. Dajana nahm nur Salat und Julian Rindbraten. Zu Trinken wollten Gaya und Dajana Rotbeere und Julian Bier. 
"Gleich kommt’s", sagte die Frau, lächelte Julian zu und ging davon. Gaya und Dajana wechselten einen Blick und lachten. 
"Du ziehst ja wirklich Blicke auf dich, wie, Herr Ritter?", neckte ihn Gaya. 
"Ja, sehr witzig. Du hast ja gut lachen, Gaya! Ich bin ohnehin noch sauer auf dich, also solltest du damit aufhören", sagte er, lächelte aber auch. Er konnte nicht nachtragend sein, hatte Gaya den Eindruck. 
"Ich denke, das ist genau der richtige Moment, um sich zu erkundigen, wo ich hier eigentlich hineingezogen wurde", bemerkte Dajana. Gaya fand, es war genau der falsche Moment, aber sie sagte nichts, denn einerseits konnte sie das Mädchen verstehen. Irgendwie.
"In eine Mission", erklärte ihr Julian.
"Mission?"
"Ja. Ich habe mir nämlich vorgenommen einen Trupp fähiger Leute zusammenzustellen, so dass wir zusammen die Ordnung in Cihyal wiederherstellen."
"Was verstehst du darunter – die Ordnung wiederherstellen."
"Nun." Er überlegte. "Es gibt da diese Bestien, die die Kraterberge unsicher machen und kleine Dörfer angreifen. Keiner unternimmt etwas dagegen, aber etwas sollte getan werden. Ich könnte mir vorstellen, dass solch eine Gruppe fähig wäre der Angst der Menschen dort ein Ende zu bereiten und die Kreaturen zu töten."
"Du meinst, du willst umherziehen und Heldentaten vollbringen, damit du Ehre und Ruhm erlangst?", schloss Dajana. Er runzelte die Stirn, lauschte den Worten.
"Das hört sich an wie ein Märchen", meinte er dann. "Ich brauche weder Ehre noch Ruhm. Was ich brauche, ist – Erfahrung." Gayas überraschter Blick ließ ihn leicht erröten. "Ich... bin noch nicht lange Ritter und hab nicht sehr viel Praxis hinter mir. Das muss sich ändern und zwar schnell." 
"Ist da nicht der König für zuständig?", erkundigte sich Dajana. Die Antwort interessierte Gaya ebenfalls. Julian zögerte.
"Eigentlich schon. Aber ich will mit König Frederique nichts zu tun haben." Eine mutige Aussage. Gaya setzte schon an, das laut zu sagen, als wieder die Bedienstete auftauchte, in der Hand ein vollgeladenes Tablett. 
"Bitte schön." Mit diesen Worten stellte sie es auf den Tisch, warf Julian einen koketten Blick zu und ging betont hüftenschwingend davon. Er achtete jedoch kaum auf sie und wich genauso Gayas Blick aus, der ihn nicht loslassen wollte. Dajana interessierte das Thema nicht, welches bei Gaya und Julian so widersprüchliche Gefühle wachrief, also griff sie unbekümmert nach der Schüssel mit ihrem Salat, einem Becher und goss sich Saft hinein. 
"Du bist also auf Frederique nicht gut zu sprechen, Julian?", kam Gaya wieder darauf zu sprechen, als die Frau außer Hörweite war. Darüber zu sprechen war ihm sichtlich unangenehm, doch Gaya als Druidin kannte keine Nachgiebigkeit.
"Ja, ich schätze ihn nicht besonders", erwiderte er schließlich. 
"Wie kommt es, dass du mit dieser Einstellung königlicher Ritter bist?", erkundigte sie sich ruhig.
"Mm", war seine Antwort, denn er hatte hastig nach seinem Essen gegriffen und gab nun vor sich ganz darauf zu konzentrieren.
"Julian", fing Gaya an, einen bedrohlichen Unterton in der Stimme – Geheimnisse waren das Letzte, das sie gebrauchen konnte -, doch Dajana verhinderte einen Streit, indem sie auf das zurücklenkte, was für sie von Belang war. 
"Noch mal zurück zu dieser Gruppensache", sagte sie und wurde somit zu Julians Rettung. "Wen hast du denn schon alles mit dabei?"
"Nun – mich. Gaya. Und wie es scheint, dich."
"Das ist alles?"
"Ich bin noch nicht lange auf der Suche!", verteidigte er sich. Dajana beachtete diesen Einwand nicht.
"Du willst so viel erreichen und deine ganzen Pläne und Vorstellungen stützen sich auf eine Druidin und mich?"
"Also..."
"Und damit willst du ganz Cinhyal befreien? Mit uns?" Julian sah Gaya hilfesuchend an, doch die war jetzt verstimmt und beschäftigte sich demonstrativ mit ihrem Fisch. Damit blieb ihm Dajana aufgebürdet, die ihn immer noch entgeistert anstarrte, von der Vorstellung entsetzt, was da auf sie zukam.
"Es wird mehr Leute geben", sagte er. "Wenn wir erst mal diesen Zauberer gefunden haben..."
"Den es vielleicht nicht gibt", ergänzte Dajana.
"... und uns bei den Söldnern umhören..."
"Die alle in Sunaj, beim König, sind."
"... wird schließlich eine ganz passable Gruppe zusammenkommen", beendete er endlich seinen Satz und sah sie wütend an. Was ihr nicht das Geringste ausmachte, denn sie schüttelte nur unzufrieden den Kopf und nahm einen Schluck Saft. 
Eine Weile beschäftigte sich jeder mit seiner Mahlzeit und seinen finsteren Gedanken – und finster waren sie alle, denn keinem von ihnen gefiel die Situation, in die sie da geraten waren, obwohl jeder aus verschiedenen Gründen damit nicht einverstanden war. 
Dajana überlegte, wie sie heil aus dieser Sache rauskommen sollte, und kam zu dem Entschluss, dass mit Gaya nicht zu spaßen war. Wenn die Druidin versprochen hatte, sie mitzunehmen, dann würde sie es auch tun, denn sonst wäre sie ja keine Druidin. Also würde man sie nicht gehen lassen und sie musste bei diesen Verrückten bleiben, die augenscheinlich vorhatten auf ehrvolle Weise Selbstmord zu begehen.
Gaya wusste, dass Julian nicht reden wollte. Doch irgendwie musste sie herausfinden, was er verbarg! Wie sollte sie sich sonst auf ihn verlassen? Und das musste sie können, wenn es tatsächlich zu irgendwelchen Kämpfen kommen sollte.
Julian seinerseits hasste es zu lügen und wenn Gaya ihn wieder fragte, würde er lügen müssen, denn erzählen konnte er ihr nichts, was ihm ebenfalls auf die Nerven ging, da er ansonsten ein offener und ehrlicher Mensch war. Es war eine verzwickte Situation, die den ganzen Tag zu ruinieren drohte.
Da fiel Dajana etwas ein, woran sie bisher überhaupt nicht gedacht hatte und was die Zukunftsaussichten etwas erhellte. Eine Frage:
"Was ist mit der Bezahlung?" Julian hielt inne und sah sie schief an.
"Wie meinst du das?", erkundigte er sich vorsichtig.
"Es muss doch gewiss eine Bezahlung für diesen Schwachsinn geben! Würde sonst jemand freiwillig mitkommen?" Gaya sah ebenfalls auf.
"Das ist doch wirklich eine gute Frage", meinte sie nachdenklich. "Haben wir gestern nicht mal das Thema Geld angeschnitten, Julian?"
"Du hast nichts von Bezahlung erwähnt", sagte er schnell.
"Dazu sind wir noch nicht gekommen", verbesserte sie ihn sanft. "Aber es würde mich wirklich interessieren, wie du das zu handhaben gedenkst. Wie steht es überhaupt mit deinem Gold? Dein Plan erfordert ziemlich viel davon, würde ich mal sagen."
"Ich habe genug."
"Aber wir müssen doch bezahlt werden!", meinte Dajana. "Schließlich begeben wir uns in Gefahr - wegen deinem Plan!"
"Erstens sollte keiner mitkommen, wenn er nicht an diesen Plan glaubt und nur das Gold haben will. Überzeugung ist gefragt, keine Geldgier. Zweitens würdest du sowieso nichts bekommen, da du nichts tust um es zu verdienen. Gaya und ich werden kämpfen, doch du wirst nur zuschauen und die ganzen Zeit über in Sicherheit sein. Warum sollte man dich dafür bezahlen?"
"Aber ich kann euch im Kampf nutzen!", rief sie und erntete skeptische Blicke. "Doch! Ich kann nämlich ausgezeichnet mit dem Bogen umgehen!" 
"Ach, tatsächlich?", fragte Julian gedehnt. Er glaubte ihr ebenso wenig wie Gaya. Dajana hörte das aus seiner Stimme heraus und wurde wütend.
"Und ob ich es kann! Wie könnt ihr es nur wagen und daran zweifeln? Schließlich..."
 "Beweise es", unterbrach Julian sie ruhig. Dajana schnappte aufgebracht nach Luft, dann zögerte sie und gab schließlich kleinlaut zu keinen Bogen zu haben. 
"Eine gute Bogenschützin ohne Bogen?", fragte Gaya vorsichtig. Dajanas Augen sprühten Funken. 
"Woher soll ich denn das Geld dafür nehmen? Schankmädchen verdienen nicht so viel, falls ihr es noch nicht wisst!" Ihr Zorn war in gewisser Hinsicht lustig, aber Gaya lachte nicht, zeigte nicht einmal die Andeutung eines Lächelns. Anscheinend lag Dajana wirklich etwas an diesem Thema und Gaya fand, dass sie ein wenig Respekt verdiente. Doch sie konnte ihr immer noch keinen Glauben schenken. Es passte einfach nicht.
"Wir brauchen Beweise, das ist dir doch klar?", erkundigte Julian sich und sie nickte, ein wenig besänftigt, weil die beiden es ernst nahmen.
"Natürlich. Beschafft mir einen Bogen und ich zeige es euch!" Keiner von ihnen besaß jedoch einen Bogen - Julian konnte damit nicht umgehen und Gaya durfte nicht einmal damit umgehen. Dajana sah sich also schnell um, sprang dann auf und lief unter Gayas und Julians erstaunten Blicken zu dem Nachbartisch, an dem zwei Männer saßen. Sie sagte kurz etwas zu einem von ihnen, es wurde herzhaft gelacht und der Mann übergab ihr einen verhüllten Gegenstand. Sie strahlte ihn an und lief fröhlich zu den Beiden rüber.
"So", sagte sie triumphierend und packte den Gegenstand aus. Natürlich war es ein Bogen. Es war ein schäbiges Teil, die Sehne war seit langem nicht mehr geölt worden und das Holz war rissig. Dajana spannte den Bogen probeweise und war zufrieden. "Was soll ich treffen?", fragte sie stolz.
Julian sah sich um und zeigte dann auf das Aushängeschild des gegenüberliegenden Ladens. Es präsentierte zwei Glasflaschen und mehrere Kräuter.
"Triff die Mitte des Korkens von der grünen Flasche", sagte er. Gaya maß den Abstand mit dem Auge ab und nickte. Das war eine gute Bewährungsprobe. 
"Von hier aus?", erkundigte sich die angebliche Bogenschützin. Er bejahte und sie stand auf. Als sie einen Pfeil auf die Sehne legte, kamen Gaya erste Zweifel. Zwar kannte sie sich damit nicht aus, aber es sah doch richtig aus. Dajana zielte sorgfältig, zog die Sehne weit zurück – es sah so aus, als würde sie jeden Augenblick reißen – und ließ los. Ihre Hand hatte nicht gezittert.
"Gehen wir raus und schauen es uns an", schlug Gaya vor und die Drei verließen die Gaststube. In dieser Gegend hielten sich wenige Bürger auf und keiner hatte mitbekommen, wie der Pfeil sich in das Schild gebohrt hatte. Sie blieben stehen und sahen hoch. Der Pfeil steckte tief in dem Verschluss der Flasche. Der blauen Flasche. 
Dajana schnappte überrascht nach Luft.
"Verdammt! Ich hätte schwören können, die Flasche war grün..."
Julian machte "hm". Gaya wusste auch nicht weiter. Hatte Dajana nur die Farben verwechselt oder ernstlich daneben getroffen? 
"Ehrlich, ich dachte das wäre grün. Ich habe nicht daneben getroffen!", versicherte das Mädchen. Julian sah sie mitfühlend an.
"Du kriegst noch eine Chance."
"Danke! Danke! Das war wohl wegen der Sonne... ich habe gedacht die Flasche wäre grün..."
Dajana ging also zurück zum "Silberknauf" und nahm ihre vorherige Position an. Gaya sah, wie ihre Muskeln sich spannten und spürte den Luftzug, als der Pfeil knapp an ihr vorbeiflog. Julian sah hoch und schüttelte mit dem Kopf. Der zweite Pfeil hatte sich ebenfalls in den Korken der blauen Flasche
gebohrt. "Noch mal!", rief er Dajana zu und sie zuckte zusammen. Verständnislos schaute sie auf das Aushängeschild und hob schließlich wieder den Bogen. Nachdem Julian den vorherigen Pfeil entfernt hatte, schoss sie. Diesmal sah Gaya, dass sie ein anderes Ziel vor Augen hatte. Trotzdem traf sie auch zum dritten Mal die blaue Flasche.
"Das kann doch nicht sein!", rief sie verzweifelt und kam zu ihnen rüber. "Das Schild ist bestimmt verhext! Ich habe ganz eindeutig auf die andere Flasche gezielt..."
"Und sie verfehlt", schloss Julian. Dajana blickte zu dem Pfeil hoch und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie tat Gaya leid. Anscheinend bedeutete ihr das wirklich sehr viel. Und sie kannte sich mit dem Bogen anscheinend auch aus, nur die Zielsicherheit war nicht ganz... Plötzlich öffnete sich die Tür des Geschäfts, zu dem das Aushängeschild gehörte, und ein junger Mann trat heraus. Wütend blickte er auf das Schild.
"Was soll denn das?", rief er. "Seit wann ist das Schild eine Zielscheibe fürs Bogenschießen?"
"Entschuldigt. Wir musste nur dringend die Fähigkeiten von ihr prüfen", sagte Julian höflich und der Blick des Mannes wanderte zu Dajana, die immer noch wie erstarrt mit dem Bogen in der Hand da stand. Sein Gesicht wurde weicher und Gaya las in seinen blauen Augen aufflammende Bewunderung.
"Sie hat doch ziemlich genau getroffen", meinte er.
"Ja, aber das Ziel war die grüne Flasche gewesen", erklärte Julian. Der Mann sah ihn fragend an.
"Welche grüne Flasche?" Gaya, Julian und Dajana blickten auf das Schild – und tatsächlich waren dort nur zwei blaue Flaschen abgebildet. Julian wechselte einen verwirrten Blick mit Gaya, während der junge Mann lächelte.
"Das ist ein Streich, den die Sonne oft spielt. Es sind zwei blaue Flaschen, doch von weitem können sie einem grün vorkommen", erklärte er. "Darauf wurde ich schon mehrmals angesprochen. Sag mal", er wandte sich an Dajana, die plötzlich sehr erleichtert aussah, "hast du wirklich versucht eine grüne Flasche zu treffen?" Sie grinste verlegen und zuckte mit den Schultern.
"Mir kam sie gleich so komisch vor, aber ich hielt sie für grün. Doch ich dachte wirklich, das Schild wäre verhext - das dritte mal zielte ich nämlich auf die andere Flasche, nur um sicher zu gehen. Aber sie waren ja beide blau!" Sie kicherte gelöst. Gaya kam sich ausgesprochen dämlich vor und Julian schien es nicht anders zu gehen.
"Tja, anscheinend war es wirklich ein Missverständnis. Tut mir leid, Dajana", sagte Julian und lächelte ein wenig irritiert. Sie war ihm erstaunlicherweise nicht böse, nur erleichtert, dass sie sich nicht getäuscht hatte.
"Und, hat sie den Test bestanden?", erkundigte sich der Mann.
"Oh, ich denke, das hat sie durchaus", erwiderte Julian und Dajana strahlte förmlich, was ihr weitere bewundernde Blicke einbrachte. Gaya konnte das durchaus verstehen, denn Dajana sah wirklich ziemlich gut aus, doch sie ertappte sich dabei, wie sie wünschte, dass auch Julian sie mal so ansehen möge. Unsinn, schalt sie sich selbst.
Vom "Silberknauf" erklang auf einmal ein anderes Geräusch. Sie musste sich erst umdrehen, um es zu erkennen - die wenigen Gäste klatschten begeistert, unter ihnen auch der Mann, von dem Dajana den Bogen hatte. Das Mädchen errötete und ihr Lächeln wurde noch breiter. Sie sah wirklich zauberhaft aus, insbesondere als sie sich vor ihrem Publikum verbeugte und dann die vollen Haare zurückstrich. 
Sie liebt es im Mittelpunkt zu stehen, dachte Gaya amüsiert, man sieht es ihr an. Wie sehr sie diese Aufmerksamkeit doch genießt!
Und letztendlich ist es doch kein ruinierter Tag, dachte Julian, lächelte und konnte nicht aufhören damit, während er zusah, wie die Leute aus dem Gasthaus stürmten und eine selige Dajana in Empfang nahmen.

"Dankt den Göttern, dass ihr mich habt", sagte Dajana später. Die Drei schlenderten die Straße entlang und beobachteten die Natur, die Stadt, den Himmel. "Sonst hättet ihr das Essen bezahlen müssen!"
"Nein", korrigierte Julian. "Gaya hätte es bezahlen müssen. Für uns beide. Schon vergessen?"
"Stimmt. Das heißt, du schuldest mir noch etwas, Gaya!" Gaya wechselte ihren Stab in die andere Hand, genoss die Ruhe und war einfach in friedlicher Stimmung. Daher war der Blick, den sie Dajana nach diesen Worten schenkte, ganz und gar nicht unfreundlich. 
"Das warten wir mal ab. Eigentlich sind wir jetzt eher quitt, denkst du nicht? Ich habe deinen diebischen Hals vor der Schlinge, du meinen Geldbeutel vom Ausbluten gerettet." 
"Mm. So kann man es natürlich auch sehen", lenkte sie ein und streckte sich genüsslich. Licht fing sich in ihrem offenen Haar und floss an ihrem Rücken herunter. "Andererseits... schleppst du mich schließlich auf diese Abenteuer... das musst du auch noch wiedergutmachen."
"Damit habe ich dich doch vor dem Galgen gerettet!" Dajana lachte.
"Ist das nicht völlig verrückt? Aber wisst ihr, ich finde euch gar nicht so schlimm. Ihr seid zwar wahnsinnig und wollt mich aus N’hoa fortnehmen, aber diese Stadt ist sowieso ein verschlafenes Rattennest. Viel verpasst man da nicht."
"Schön, dass du auch dieser Meinung bist", sagte Gaya und lächelte. Ah, es tat gut so im Sonnenschein spazieren zu gehen, mit Freunden an der Seite, umgeben von reiner Natur... Freunden? Es wunderte Gaya, dass sie die Zwei so schnell als Freunde bezeichnete, aber dann erinnerte sie sich, dass es in ihrem Leben bisher noch nie richtige Freunde gegeben hatte. Wahrscheinlich wusste sie nicht einmal, was darunter zu verstehen war. 
Aber es macht Spaß... mit Julian, trotz seiner Geheimnisse, mit Dajana, trotz ihrer Sturköpfigkeit. Vielleicht gerade deswegen. Auch wenn ich nicht weiß, was Freundschaft ist, gefällt mir einfach der Zustand, den wir gerade teilen. Es genügt mir... voll und ganz.
Während Gaya diese Feststellung machte, die sie sehr erstaunte, überlegte Dajana, ob sie die Frage stellen sollte, die ihr schon den ganzen Morgen auf der Zunge lag, seit der junge Mann vom Kräuterladen - er hatte sich als Cycil vorgestellt - sich von ihnen verabschiedet hatte und dabei kurz eine Wasserquelle erwähnt hatte. Da sie alle in so schöner Stimmung schwelgten, entschloss sie sich dazu direkt zu fragen.
"Julian, gibt es in N’hoa eine Zauberquelle?", fragte sie also geradeaus. Er sah sie verdutzt an, losgerissen von der Zählung der Wolken am Himmel.
"Was?"
"Du hast schon verstanden. Gibt es in N’hoa eine Zauberquelle? Bedenke, ich bin in deiner Gruppe und du darfst mich nicht anlügen!" Er zögerte. Gaya sah zu, neugierig, wie er reagieren würde.
"Ja, es gibt eine Zauberquelle hier", antwortete Julian schließlich. Dajana machte große Augen.
"Tatsächlich? Ich... ich habe alles für ein Gerücht gehalten! Aber wenn es wahr ist... wieso gehen wir dort nicht hin?"
"Weil nur Zauberer durch die magische Tür gelangen können...", sagte Julian und stockte plötzlich. Er sah Gaya an, als erblicke er sie das erste Mal. "Aber wir haben ja jetzt eine bei uns... Daran habe ich ja noch gar nicht gedacht, wir können wirklich zur Quelle gehen!" Gaya sah ihn skeptisch an. 
"Wenn du bis jetzt nicht da warst, woher weißt du dann, wo sie sich befindet?"
"Oh, die Tür habe ich schon vor einigen Tagen gefunden. Aber um sie zu öffnen, muss man Magie besitzen und die habe ich eben nicht. Aber du könntest die Tür für uns öffnen!"
"Ja... könnte ich. Wahrscheinlich", sagte sie nachdenklich. "Warum also nicht? Führ uns hin." Julian ging schnell voran, und Gaya und Dajana mussten ihm fast hinterher rennen. Gaya dachte nach. Was wusste sie von dieser sagenhaften Quelle? Es hieß, dass man mit dem Wasser dieser Quelle aus einfachen Tränken Zauberelixiere machen konnte, die sehr mächtig waren, zum Beispiel sollte ein Schimmelpilz in einem Glas mit diesem Wasser dazu fähig sein alle Gifte im Körper unschädlich zu machen. Eine Glockenblume sollte vorübergehende Unverletzbarkeit herbeiführen. Natürlich waren das alles nur Gerüchte, aber wer wusste schon ob da nicht was dran war. Von irgendwoher mussten Gerüchte doch kommen! Außerdem suchten die Antellis-Hexer ebenfalls nach ihr und die mussten sich immerhin damit auskennen. 
Julian führte sie am Hügel vorbei, an dem sie nächtliche Wache geleistet hatten, und etwas weiter eine grüne Wiese entlang, bis der Wald am Horizont auftauchte. Gaya wollte ihn gerade fragen ob sie in den Wald gehen mussten, als er stehen blieb. Sie waren immer noch auf der Wiese, aber ziemlich nah am Rand und direkt vor ihnen wuchs ein großer Apfelbaum. Dajana sah Gaya fragend an und die zuckte verständnislos mit den Schultern. Währenddessen kniete Julian sich hin und fegte die Erde beiseite. Zur Überraschung der beiden anderen kam eine Luke darunter zum Vorschein. 
"Das ist die Tür. Jetzt musst du sie nur noch aufkriegen", verkündete Julian zufrieden und erhob sich.
"Woher weißt du, dass das der Eingang zur Quelle ist und nicht einfach nur ein alter Bergbauschacht ist?", fragte Gaya.
"Weil es da drauf steht", sagte er und zeigte auf eine verblasste Inschrift.
"Der Weg zum Quell der Magie steht jedem ihrer Träger offen", las sie. "Und wie soll ich sie öffnen?"
"Du bist hier die Magierin", meinte er und grinste. "Das ist deine Sache." Sie machte ein finsteres Gesicht und hielt Ausschau nach einem Riegel oder so etwas, aber es war einfach ein steinernes Quadrat mit Buchstaben drauf. Sie klopfte mit dem Stab dagegen und ließ etwas von der Magie der Erde rüberfließen, aber nichts tat sich. 
"Kann man da nicht einfach draufhauen?", erkundigte sich Dajana mit einer Naivität, die nicht überraschte.
"Dann wäre sie ja nichts besonderes mehr, oder? Außerdem habe ich es schon versucht. Mein Schwert 
ist dabei in zwei Teile zersprungen." Gaya dachte nach. 
"Braucht man vielleicht ein geheimes Wort oder so?", fragte sie.
"Keine Ahnung. Wenn ja, woher kennen es alle, die zur Quelle wollen?"
"Gute Frage. Hm." Sie sah sich um, aber nichts in der Umgebung gab ihr einen Hinweis darauf, was sie machen musste. "Das ist doch bescheuert. Ich bin nicht zum Rätselraten hierher gekommen! Hey, Luke, würdest du bitte so nett sein und uns durchlassen?", rief Gaya sarkastisch. Zur allgemeinen Überraschung schob sich daraufhin lautlos der Deckel beiseite und gab eine gewundene Treppe preis. 
"Das war’s?", sagte Julian entgeistert. "Man musste nur höflich fragen? Ich werde diese alten Zauberer nie verstehen." 
"Gehen wir also rein?", fragte Dajana unsicher. 
"Ich denke schon", sagte Gaya und stieg als erste runter, sich am Rande der Luke festhaltend. Es war nicht dunkel, ein schwaches Licht drang aus den Wänden und kribbelte auf Gayas Haut. Sie spürte die starke Magie fast körperlich. Die Treppenstufen waren sehr dünn, es ging steil herab, und Gaya hielt sich an den Wänden fest und bewegte sich sehr vorsichtig. Hinter sich hörte sie Julian heruntersteigen und mehrmals stieß er gegen sie, wobei sie fast runtergefallen wäre. Die Wände waren natürlich gewachsen, wie von einer Höhle, aber es war sehr ungewöhnliches Gestein, das grün glitzerte und an manchen Stellen brach etwas goldenes durch und bildete ein verschlungenes Muster. Sie begriff, dass das wirklich Gold war. Zu ihrer Erleichterung endete der Schacht schnell und sie betraten eine riesige Höhle. Erstaunt blieb Gaya stehen und Julian musste sie zur Seite schieben um selbst durchzukommen. 
Es war schwer zu sagen, ob die Höhle bearbeitet wurde oder nicht. Sie war vollkommen rund ohne den geringsten Riss, aber weder Hammer noch Meißel hatten eine Spur darauf hinterlassen. Die Wände waren jetzt völlig grün und glänzten wie Glas auf das ein Sonnenstrahl fällt. Der Boden war genauso und schien ein grünes Meer aus Licht zu sein, das sich ständig bewegte und ein Schwindelgefühl verursachte. Und im Zentrum des Ganzen lief die Quelle durch. Es war ein einfacher Bach, der unter der Wand anfing, die Mitte des Raumes kreuzte und im Boden verschwand. Obwohl es keine sichtbare Neigung gab, strömte er munter vor sich hin und das lebhafte Plätschern hallte verstärkt von den Wänden wieder. Die Wasserspritzer leuchteten wie kleine Kristallsplitter und hinterließen keine Spur auf dem grünen Boden. 
"Das ist…unglaublich", sagte Julian beeindruckt und starrte auf das faszinierende Schauspiel, dass sich ihnen bot. 
"Wunderschön", sagte Gaya ihrerseits und Dajana fügte hinzu:
"Einfach fantastisch." Die Drei blieben an der Treppe stehen, als würden sie es nicht wagen den schillernden Boden zu betreten. Gaya bemerkte, dass der Diamant an der Spitze ihres Stabs leuchtete, als ob er das allgegenwärtige Licht verschlucken und in Energie umwandeln würde. 
"Wie in einem Märchen. Und das befindet sich die ganze Zeit unter den Füßen der Bürger von N’hoa?", rief sie wie vom Donner gerührt aus. 
"Kein Wunder, dass es jemand rumerzählt hat", sagte Dajana und in ihren gedankenvollen grünen Augen spiegelte sich die Quelle wieder. Julian sah sie scharf von der Seite an.
"Es war falsch. Die Bürger von N’hoa können sowieso nicht hier runter. Sie sind nur misstrauisch geworden und die Mossheimer Hexer haben bestimmt Wind davon gekriegt, dass die Quelle hier ist. Wetten, bald kommen sie her und greifen die Stadt an? Bis dahin sollten wir möglichst weit weg sein."
"Weit weg? Sollten wir den Bürgern nicht beistehen?"
"Sie haben sich selbst reingeritten, wieso sollten wir es für sie ausbaden? Es sind außerdem noch andere Kämpfer in der Stadt, tapfere Männer, die gut mit ihren Waffen umgehen können. Sie werden N’hoa schon verteidigen."
"Mit Waffen können sie kämpfen, aber die Hexer werden mit Magie angreifen! Wie sollen sie dagegen ankommen?", fragte Gaya aufgebracht. Er wollte doch tatsächlich weggehen!
"Gegenfrage: Wie sollen wir dagegen ankommen? Du bist die einzige, die Magie besitzt und sie sind einige Hunderte. Nein, wir verschwinden und zwar je schneller, desto besser. Vielleicht wird ja der König selbst beistehen, schließlich ist N’hoa eine bedeutende Stadt. Und jetzt - wollen wir nicht unsere Flaschen mit dem Wasser füllen? Wenn wir schon mal hier sind." Gaya war immer noch wütend, sah aber ein, dass er recht hatte, und betrat die Höhle als erstes, ohne Julian einen Blick zu schenken. 
Der Boden war sehr hart und eben. Die huschenden Schatten hatten eine größere Entfernung zur Quelle vorgetäuscht und ehe sie es sich versah, war Gaya schon angekommen. Die Wasserspritzer benetzten ihre leichte Rüstung, ohne jedoch bis zum Hemd vorzudringen, und prickelten angenehm auf der Haut. Sie war sich hundertprozentig sicher, dass das magisches Wasser war und kniete sich hin. Vorsichtig tauchte sie ein kleines Glas in den Strom und füllte es bis zum Rand. Als sie es zustöpselte, nahm es eine blaue Tönung an, blieb aber weiterhin durchsichtig. Gaya besaß nicht viele Behälter und verstaute die drei, die sie dabei hatte, behutsam in ihren Bündel. Julian hatte nur ein bauchiges Gefäß dabei und Dajana überhaupt keins. Unsere Ausrüstung lässt wirklich zu wünschen übrig.
"Kann man es eigentlich einfach so trinken?", fragte Dajana neugierig.
"Ich glaube nicht. Es ist ziemlich stark und würde dich wahrscheinlich vergiften", antwortete Gaya und tunkte nach kurzem Überlegen eine Hand in die Quelle. Es fühlte sich kühl an, aber gleichzeitig nicht wie Wasser, sondern wie Nebel. Nach einigen genussvollen Augenblicken schoss ein scharfer Schmerz Gayas Arm hinauf und sie zog ihn schnell raus. 
"Es hat mich gebissen", stellte sie erstaunt fest und zeigte eine kleine, blutende Wunde zwischen Mittel- und Zeigefinger. Julian sah die unschuldig dahin fließende Quelle forschend an.
"Da!", deutete er aufs Wasser. Den Grund der Quelle bedeckte ein silbernes, moosartiges Gewächs mit zwei langen Fortsätzen, die in blattförmigen Spitzen endeten. Sie schlängelten ruhig im Strom dahin. Hin und wieder zuckte eins und kleine Blitze durchfuhren die gesamte Pflanze. Dann öffneten sich blitzschnell mehrere purpurne Blüten und stießen winzige, hell-orange Blasen aus, die sich im Wasser auflösten. Wenn man genau horchte, hörte man ein leises Zischen und Blubbern. 
"Was ist das?", fragte Dajana fasziniert.
"Keine Ahnung. Aber ich nehme an, dass diese Dinger die Quelle so magisch machen", sagte Gaya und untersuchte die Wunde. Sie hatte sich schon geschlossen und tat überhaupt nicht mehr weh.
"Wirklich? Ich habe gedacht sie wurde verhext oder so...", meinte Julian und zuckte mit den Schultern. "Na ja, ist auch nicht so wichtig. Ich glaube wir sollten gehen. Mir ist es hier irgendwie nicht geheuer." Er wandte sich von der Zauberquelle ab und ging Richtung Treppe davon. Gaya wechselte einen verständnislosen Blick mit Dajana, dann gingen die Beiden dem Ritter hinterher. Die vollen Flaschen gluckerten leise in Gayas Tasche.
 

© Martha Wilhelm
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Und schon geht's weiter zum 1. Teil des 2. Kapitels :-)

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