Der Weg einer Druidin von Martha Wilhelm
Kapitel 2: Feuer und Eis (2)

Das Schiff, Wintermond, war das gleiche, das Gaya nach N’hoa gebracht hatte. Cycil stand am Schiffsdeck und lehnte sich gegen die Reling. Der Wind frischte auf und die Segel waren bereits fast alle gesetzt. Nicht mehr lange, dann würde Wintermond in See stechen. Das blaue Wogen der unruhigen Wellen erinnerte an das Meer. Leichter Nebel hing über den stillen Hängen des Celine-Waldes und der Wind schaffte es nicht, die Spitzen der ewiggrünen Bäume zum Schaukeln zu bringen. Die rauen Rufe der Seeleute überlagerten sich mit dem Dröhnen der Brandung. Von einem unverständlichen Kummer erfüllt, ließ Cycil das Wasser sich kräuseln und einen kleinen Strudel dicht am Rumpf des Schiffes bilden. Plötzlich hörte er etwas, das nicht in die ruhige Atmosphäre passen wollte: den Ruf einer bekannten Stimme, den Klang seines Namens. Er drehte sich überrascht um. Dajana blieb stehen und atmete tief durch. Er sah ihr an, dass sie gelaufen sein musste.
"Hey. Was machst du hier?", fragte er sie vom Deck her. Sie sah zu ihm hoch, ihre grünen Augen funkelten schelmisch. 
"Ich gehe nur spazieren! Besser gesagt ich laufe spazieren." Sie lachte. "Was denkst du denn, was ich tue? Dich suchen natürlich!" Sein Herz verkrampfte sich. Da hatte er sich schon von allem verabschiedet und dieses Mädchen kam angerannt und brachte all seine Standhaftigkeit durcheinander. Dabei kannte er nicht mal ihren Namen! Für kurze Zeit war er sogar ärgerlich auf sie - aber diese Zeit war sehr, sehr kurz.
"Nun, hier bin ich. Also?" Sie bedeckte mit einer Hand ihre Augen vor der Sonne.
"Also. Eigentlich wollte ich mich für unser Benehmen entschuldigen. Erst beschuldigt dich Julian, dann greift er dich an und wir versuchen auch noch dir vorzuschreiben was du zu tun hast! Du musst ja denken, das Wort Höflichkeit sei uns fremd. Es war wirklich nicht fair. Deswegen... deswegen wollte ich mich nur noch mal entschuldigen, bevor du verschwindest." Er konnte ihr Gesicht nicht lesen, wenn sie es so verdeckte, aber ihr Tonfall klang ehrlich. Und das heiterte ihn auf.
"Keine Sorge, ich bin nicht sauer!", sagte er und stellte fest, dass er es tatsächlich nicht war. "Jeder Mensch hat die Freiheit, das zu tun, was er will." Wenn man ihn lässt. Die bitteren Gedanken schob er möglichst weit von sich. Sie wollte noch etwas sagen, das merkte er ihr an.
"Ähm. Das mag sich jetzt zwar verquer anhören, aber falls... falls dir mal Beneth zu langweilig wird, bist du jederzeit bei uns willkommen. Wir würden uns freuen." Er konnte nichts dafür, dass ihm bei ihren Worten ganz warm wurde, das hatte er nun wirklich nicht unter Kontrolle. Ganz plötzlich war er froh, dass sie durch die Sonne ebenso wenig sein Gesicht sehen konnte, wie er ihrs, sonst hätte sie die Röte vielleicht noch als etwas ausgelegt, was er nicht wollte.
"Ich... Danke. Ich werde es mir überlegen, falls es schief gehen sollte. Ich wünsche euch viel Glück." 
"Ich dir auch. Bei deinem Kräuterladen", sagte sie und nahm die Hand doch noch weg, so dass er ihr ernstes Gesicht noch einmal sah. Ihre goldenen Haare wehten ihr ins Gesicht und sie verzog den Mund, versuchte gleichzeitig seinen Blick nicht zu verlieren und die lästigen Haarsträhnen zu verscheuchen. Cycil verspürte plötzlich den völlig irrationalen Impuls alle seine Pläne und Bedenken über den Haufen zu werfen und ihr bis ans Ende der Welt zu folgen. Verrückt. Das war es in der Tat. Als er bemerkte, dass sie unter den Wasserspritzern ganz nass wurde, ließ er sie an ihr zurückspringen und die Wellen scheuchte er ein wenig zurück, damit ihre Stiefel nicht feucht wurden. Als ihr das auffiel, lächelte sie ihn dankbar an, auf eine Weise, die ihn fast zum Herzstillstand verleitet hätte.
"Dann... bis irgendwann", sagte sie schließlich. Cycil konnte das nicht mehr aushalten. Er hätte sich in dem Moment lieber umgebracht, als sie so auf dem Land zurückzulassen, alleine und so wehrlos. Obwohl ihm sein Verstrand ganz klar sagte, dass sie ganz sicher nicht allein oder wehrlos war, hatten derzeit die Gefühle die Oberhand und die ließen sich nicht mit Logik zurückdrängen. Cycil seufzte innerlich, als er merkte, dass sich die unweigerlichen Worte den Weg raus bahnten. Das ist doch einfach nicht zu glauben!, dachte er resigniert und hörte sich selbst machtlos zu.
"Weißt du, ich habe es mir doch noch anders überlegt. Einen Laden aufmachen kann ich auch später, aber wann kriegt man schon die Gelegenheit bei so einer selbstmörderischen Mission mitzumachen?", rief er. Sie strahlte.
"Wirklich? Du kommst mit? Das ist ja toll!" Über die Freude in ihrer Stimme schüttelte der eine Teil Cycils schwermütig den Kopf und der andere wollte am liebsten auf der Stelle hüpfen.
Er erklärte dem Kapitän, dass es doch noch eine Planänderung gab und bekam sein Gold zurück. Immer noch fassungslos darüber, was er da gerade tat, ging er über den Steg und auf sie zu. Sie lächelte ihn an.
"Du wirst schon sehen, es wird klasse! Du wirst es nicht bereuen, Cycil!" Seine Laune konnte wieder nicht anders als sich zu heben, und er lächelte zurück.
"Ganz bestimmt nicht." Das Schiff brach hinter ihnen auf und mit ihm Cycils ganze Hoffnung auf so etwas wie eine normale Zukunft.
Dajana betrachtete ihn eingehend und wunderte sich insgeheim. Gaya hatte tatsächlich recht gehabt. Er war doch noch mitgekommen. Aber die Frage, die sie sich stellte, war: Wieso?

Gaya war erleichtert, als sie sah, dass ihr Plan von Erfolg gekrönt war, aber andererseits gefiel es ihr nicht so recht. Schließlich hatte er es ja nicht gewollt! Was für ein Recht hatte sie, ihn - indirekt - 
dazu zu zwingen? Julian schien von solchen moralischen Zweifeln nicht geplagt zu werden. Er machte einen bewusst unschuldigen Eindruck und "wunderte" sich, als er Dajana mit Cycil ankommen sah.
"Cycil? Läuft dein Schiff nicht ab?"
"Ist schon weg." Cycil machte eine wegwerfende Geste. "Ich denke, ich hätte doch noch nichts 
dagegen, bei eurer selbstmörderischen Aktion mitzumachen. Schließlich lebt man nur einmal." Täuschte Gaya sich oder hörte sie Töne der Resignation in seiner Stimme?
"Das ist gut", sagte Julian und reichte ihm die Hand. "Dann willkommen an Bord." Cycil schüttelte die Hand des Ritters kräftig.
"Danke. Aber ich weiß immer noch nicht wie ihr alle eigentlich heißt." 
"Stimmt. Habe ich ja ganz vergessen. Ich heiße Julian Drewen, das sind Gaya Asearien und Dajana Stromsyard." Cycil nickte.
"Ich bin Cycil Whynneyar." Das folgende verlegene Schweigen, wurde von Dajana unterbrochen.
"Ist ja alles schön und gut und ich will nicht die Stimmung kaputt machen, aber ich muss euch leider wieder daran erinnern, dass es Zeit fürs Frühstück ist!" Gaya und Julian lachten.
"Tut mir leid, Dajana! Das nächste Mal erinnere ich mich ganz bestimmt daran!" sagte Julian grinsend. "Dann lasst uns wieder mal den Gaul besuchen!"
Das Frühstuck verlief ruhiger als sonst. Die Drei erzählten Cycil davon, wie sie sich kennen gelernt hatten, über ihre Pläne und schließlich auch über den Brief von Azur. Cycil sah überrascht auf.
"Alay Sorèndyo? Die Alay Sorèndyo? Ist ja ein Ding. Ich hätte nicht gedacht, dass jemand sich überhaupt traut ihren Namen öffentlich auszusprechen", sagte er.
"Woher kennst du sie denn? Warst du in Sunaj?", fragte Gaya neugierig.
"Kurz. Auf Durchreise sozusagen. Das war noch vor dem Machtwechsel."
"Wo kommst du eigentlich her?"
"Ich bin in Jera geboren. Das ist östlich von hier, am Ozean der Kälte", antwortete er und trank das Wasser aus. Dajana seufzte.
"Alle scheinen von der Welt mehr zu wissen als ich! Hol mal die Karte raus, Julian. Ich möchte wissen, wo dieses Jera liegt." Belustigt gab ihr Julian die neu gekaufte Karte. Sie war nicht besonders groß, dafür aber farbig und es waren alle drei Inseln von Cinhyal und noch ein Stück von Accipa angezeichnet.
"Hier sind wir. Östlich... Ist das links oder rechts? Links? Ah, da ist ja Jera. Und das sind die Kraterberge... Was ist höher - das Hochgebirge oder die Kraterberge?"
"Das Hochgebirge. Deshalb heißt es ja Hochgebirge von Royala." Dajana blitzte kurz zu Julian rüber.
"Entschuldigung, aber nicht jeder erhält eben eine Ritterausbildung! Woher soll ich denn wissen, dass es nicht Hochgebirge heißt, weil es höher als dieses Tal da ist?" Julian kicherte.
"Daher, dass ein Gebirge immer höher ist als ein Tal." Verärgert warf sie ihm die zusammengerollte Karte treffsicher an den Kopf.
"Du bist heute so witzig, Julian!"
"Danke! Was ist heute nur los mit dir, Dajana? Bist du krank oder so etwas? Normalerweise stehen Komplimente doch nicht auf deiner Speisekarte." Sie schnaubte empört.
"Wenn du denkst das war ein Kompliment, dann bist du hier der Kranke!" Gaya lächelte mild.
"Das geht jeden Tag so", sagte sie Cycil, der sich aus den Unterhaltungen raushielt. "Ich habe mal versucht sie zur Ruhe zu zwingen, aber sie sind beide zu sturköpfig um auf weisere Leute zu hören." 
"Scheint ja echt lustig bei euch zu sein", erwiderte er und lächelte leicht.

So in dem Sinne verlief auch der Vormittag. Die Vier ließen sich auf einer gemütlichen Bank in der Nähe eines Wasserfalls nieder und Gaya fing mit Julian eine unbekümmerte Diskussion über Anwendung von Magie an, bei der er die Meinung vertrat es sei unfair Magie im Kampf zu benutzen, solange der Gegner sie nicht ebenfalls nutzen kann. Cycil hörte interessiert zu und steuerte von Zeit zu Zeit auch seine Meinung bei. Dajana erkundete währenddessen die Karte. Die Sonne hatte den Höhepunkt schon überschritten und begann mit großen Schritten den Nachmittag zu durchlaufen, als Cycil plötzlich mitten in einem Satz inne hielt und lauschte.
"Hört ihr das?", fragte er sie angespannt. Gaya horchte und vernahm nach einer Weile der Stille so etwas wie leise Knalllaute aus der Ferne.
"Was ist das?", fragte Dajana und legte den Kopf auf eine kindliche Art zur Seite.
"Hört sich an wie... kleinere Explosionen", meinte Julian nachdenklich und stand auf. "Schauen wir uns das mal an."
Die Geräusche wurden lauter, je näher sie der Wiese der Zauberquelle kamen. Eine schreckliche Vermutung stieg in Gaya auf - hatten die Antellis-Hexer endlich herausgefunden, wo der Quell sich befand? Eine ähnliche Vermutung musste auch Julian haben, denn er sah Cycil zornig an und fing dann an zu laufen. Die anderen mussten wohl oder übel hinterher rennen. Gaya verfluchte seine spontanen Einfälle, packte ihren schweren Stab fester und versuchte nicht allzu weit hinten zu bleiben. Ein heller Feuerblitz stieg gegen den Himmel auf und hinterließ eine Spur sprühender Funken. Ist es...? Julian beschleunigte und baute seinen Abstand zu den anderen weiter auf. Cycil lief knapp vor Dajana, die in den ungewohnten Stiefeln nicht so gut vorankam. Gaya musste darauf achten, den Stab in Gleichgewicht zu halten und hatte nicht den Wunsch noch schneller zu rennen. Es war allerdings nicht weiter notwendig.
Als sie eine Gruppe Apfelbäume umrundet hatte, blieb Gaya abrupt stehen, genauso wie die anderen Drei vor ihr. Ein Kampf spielte sich vor ihnen ab, der von Magie nur so strotzte. 
In der Mitte der Lichtung, auf einer kleinen Erhöhung, stand ein Mann, umgeben von Flammen. Gaya konnte nicht viel von ihm erkennen, nur dass er anscheinend rote Haare hatte und einen Stock hielt, an dessen Ende etwas scharfes glänzte. Ein Speer? Um ihn herum, außerhalb der Feuerrings, standen ungefähr zwei Dutzend in Grün gekleidete Gestalten. Es waren ausnahmslos dürre, hochgewachsene Männer mit einem unbekannten Symbol auf der Brust - ein Kreis, halb durchbohrt von einem Pfeil, umkreist von Blitzen. In ihren Händen hielten die meisten Stäbe, aber sie waren dünner als Gayas, und die Edelsteine darauf hatten eine blutrote Farbe. Es brauchte Gaya niemand zu erklären, dass das die berühmten Antellis-Hexer waren.
Sie führten einen gruppierten Angriff durch. Dünne Stränge weißer Energie wirbelten durch die Luft und verbanden sich miteinander, so dass ein weites, strahlendes Netz entstand, das sie über den Mann in dem Feuer zu werfen versuchten. Er hob eine Hand und aus der Handfläche schoss ein Ball aus Feuer hervor, der das Netz mühelos durchbrach. Es fing an zu brennen und löste sich auf. Jemand brüllte scharfe Befehle. Gaya entdeckte einen Hexer, der etwas abseits von den anderen stand, und offenbar ihr Anführer war. Eine lodernde Peitsche schlug in seine Richtung, prallte jedoch an einem unsichtbaren Schutzschild ab. Die Hexer formierten eine Kugel, einen riesigen, weißen Ball, der das Licht der Sonne reflektierte und in den Augen schmerzte. Diesmal griffen sie nicht den Feuerzauberer – denn wer sonst konnte es sein – direkt an, sondern ließen den Ball auf seinen Feuerschutz niedersausen. Die Flammen loderten noch mal zum Himmel empor und erloschen dann zischend. Die Hexer stürzten sich alle wie ein Mann auf den Zauberer. 
"Los!", rief Julian und lief auf das Schlachtfeld. Der Rest folgte ihm eher widerstrebend, aber sie hatten keine Zeit darüber nachzudenken. Durch den Überraschungseffekt schaffte es Julian mit dem Schwert zwei gleichzeitig niederzustrecken und kämpfte sich weiter zum Feuerzauberer vor, der verzweifelt versuchte sich einer Übermacht von einem knappen Dutzend Hexer zu erwehren, während zwei andere ihn mit Blitzen aus der Luft attackierten. 
Gaya hatte jedoch nicht die Zeit sich weiter diesen spektakulären Kampf anzusehen, denn kaum hatten die Hexer gemerkt, dass vier neue Gegner zu ihnen gestoßen waren, ließen sie ihnen kaum genug Zeit um Luft zu holen. Dajana kreischte erschrocken auf, als eine Miniaturausgabe des Lichtballs auf sie zusteuerte, und duckte sich. Der Ball prallte an bläulichen Schild ab, der plötzlich über Dajana schwebte. Cycil schaffte es gleichzeitig den Schild aufrecht zu erhalten und einen Schwertkampf mit einem Hexer auszufechten. Gaya kämpfte mit ganz anderen Mitteln. Durch ihren Stab zeichnete sie sich als Trägerin der Magie aus und drei Hexer versuchten den gleichen Trick mit dem Netz bei ihr, um ihr den Stab zu entreißen. Gaya schnaubte, hob den Stab – der Diamant erstrahlte tageshell – und schleuderte das Netz zurück auf die Hexer. Sie rissen ihre Stäbe noch rechtzeitig hoch um es abzufangen, aber Gaya entriss es ihrer Kontrolle und fing damit den leuchtenden Ball über dem Feuerzauberer ein. Als die beiden Energien sich berührten, verschwanden der Ball und das Netz funkensprühend. Gaya schleuderte den Hexern einen grünen Blitz entgegen.
Julian kämpfte sich erbittert zum Feuerzauberer vor, der seinerseits versuchte sich mit ihrer Gruppe zu vereinen. Aber seine magischen Kräfte schienen erschöpft zu sein; nur noch selten durchbrach das wütende Brüllen eines Feuersturms das Kampfgeschrei. Mit seinem Speer hielt er die Hexer jedoch ziemlich gut in Schach, wenn man bedachte, dass sie immer noch eine Übermacht besaßen. Julian schlug einen Hexer nieder, sprang über dessen Leiche hinweg und zerbrach den Stab eines anderen. Die Hexer hatten als Waffen nur ihre Magie und seltsame, krumme Dolche, die sie jedoch an jeder Stelle des Körpers zu tragen schienen. Der Ritter musste mit seinem Schwert gleich gegen drei Dolche kämpfen, die sein Gegner mit unglaublicher Geschwindigkeit schwang und Julian kaum die Chance zum Angriff ließ. Wäre er nicht so schnell gewesen, hätte der Hexer ihn bald durchgebohrt. Der andere riss den Kopf hoch, als er den weißen Ball über seinem Kopf vorbeischießen sah und Julian nutzte diese Unaufmerksamkeit, indem er die linke Hand des Hexers abschlug. Dieser kreischte vor Schmerz auf und bevor er sich wieder besinnen konnte, lag er mit einer langen klaffenden Wunde in der Brust da. Julian verschnaufte kurz und sah sich schnell um.
In der Luft tobte eine erbitterte Schlacht, die der auf dem Boden um nichts nachstand. Gaya und der Anführer der Hexer schienen im Gegenüber einen ebenbürtigen Gegner gefunden zu haben und schmetterten Blitze gegeneinander. Grün gegen Weiß - die Luft knisterte wie bei einem Gewitter. Ein farbiger Regen ergoss sich auf die Kämpfenden.
Dajana führte einen seltsamen Kampfstil vor - sie hieb mit einem erbeuteten Stab wild hin und her und versuchte gleichzeitig näher an den Dolch zu kommen, der im Boden steckte wie ein glänzender, metallischer Zahn. Nicht weit von ihr focht Cycil eifrig mit einem sehr großen Hexer. Die Klingen der Beiden schienen einen eigenartigen, schnellen Tanz aufzuführen, bei dem es unmöglich war zu entscheiden wer im Vorteil stand. Aber Cycil machte durchaus nicht den Eindruck sich mit letzter Kraft seiner Haut zu erwehren.
"Duck dich!", rief eine männliche Stimme von rechts. Ohne nachzudenken, gehorchte Julian und spürte im gleichen Augenblick, wie eine Feuerzunge haarscharf über ihn hinweg brauste. Der Hexer, der sich an den Ritter herangeschlichen hatte, konnte ihr nur knapp ausweichen und stolperte über die Leiche einer seiner Gefährten. Julian wollte gerade aufspringen und ihm den Garaus machen, aber der Hexer wurde – eher zufällig – von einer grünen Energiewelle getroffen und sank zu Boden mit einer klaffenden, verbrannten Wunde am Kopf.
Als Julian wieder hoch sah, stand der Zauberer neben ihm. Er hielt seinen blutbefleckten Speer kampfbereit und angespannt, während seine Augen kurz zu Julian rüber sahen.
"Wir müssen deine Leute hier versammeln", raunte er Julian zu und dieser nickte.
"Leute, hierher!", rief er laut.
Gaya blickte auf diesen Ruf hin zu Julian und entdeckte ihn zusammen mit dem Feuerzauberer nicht weit von sich. Sie beschrieb mit ihrem Stab einen großen Bogen, grüne Schleier blieben in der Luft hängen und deckten sie, als sie sich zu den Beiden durchschlug. Ein verletzter Hexer stellte sich ihr in den Weg und sie rammte ihm ohne nachzudenken den eigenen Stab in den Magen. Er keuchte und ging zu Boden. Sie kümmerte sich nicht darum ihn entgültig zu töten, sondern lief zu Julian rüber.
"Alles in Ordnung bei dir?", fragte sie besorgt, denn er hatte eine blutende Verletzung an der Schulter und zwei weitere an den Armen. Er winkte ab.
"Alles klar. Verdammt, wo bleibt Dajana?" Gaya drehte sich um.
Dajana lief in just diesem Moment auf sie zu, aber sie versuchte ihren Arm nicht zu bewegen und hinkte ein bisschen. Sieht schlimm aus, dachte Gaya und sah, wie Cycil, der fast bei ihnen angelangt war, nach Dajana schaute. Nach kurzem Zögern schleuderte er die Hände in die Luft und eine blass-blaue Druckwelle löste sich davon. Die Hexer in seinem Umkreis fielen zu Boden, unverletzt, aber überrascht. Er verschwendete keine Zeit und half Dajana. Als die beiden endlich bei ihnen angekommen waren, loderte eine Flammenwand zwischen ihnen und den Hexern hoch und schirmte sie vor den Anfreifern ab.
"Das wird nicht lange halten, ich habe nicht mehr viel Kraft", sprach der Zauberer hastig. "Wir müssen irgendwie diesen hässlichen Kerl mit der Medaille um den Hals tot kriegen, sonst hauen die nie ab."
"Er ist durch eine Barriere geschützt." Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, gemacht mit Cycils ruhiger Stimme.
"Ja, aber sie ist nur für Magie geeignet. Wenn ich doch bloß... Kann einer von euch mit dem Bogen umgehen?"
"Ich!", sagte Dajana, fügte dann errötend hinzu: "Aber ich habe keinen Bogen." Der Zauberer störte sich nicht daran.
"Sehr gut. Könntest du den Kerl von hier aus treffen?" Sie schätzte die Entfernung ab.
"Vielleicht", sagte sie schließlich unsicher. Er griff nach hinten, wo er einen lumpigen Rucksack hängen hatte, und wühlte darin rum. Dann holte er einen kleinen, unscheinbaren Bogen raus und gab ihn Dajana.
"Dann schieß, Mädchen! Versuch die Medaille zu treffen – dann wird der Zauberschild deaktiviert und ich kann diesem Bastard die Hölle heiß machen." Dajana blickte überrascht auf den Bogen in ihrer Hand, sagte aber nichts. Sie spannte ihn probeweise und schürzte die Lippen.
"Miese Ware. Na ja, was soll’s." Sie spürte all die Blicke auf ihr, biss sich auf die Lippe und atmete 
tief durch. "Ich schaffe es schon. Pfeile?" Er reichte ihr das Angeforderte. "Das Feuer wird die Pfeile verbrennen", gab sie zu Bedenken und spannte gleichzeitig den Bogen. 
"Kümmere dich nicht darum, aber beeil dich – noch ein Hexer-Bataillon müsste bald anrücken und dann sind wir echt erledigt." Die Stimme des Zauberers klang sehr angespannt und Gaya bemerkte, dass er zitterte. Er hat bestimmt schon zu viel Magie verbraucht, dachte sie und begutachtete die Flammenwand. Sieht aber noch recht stabil aus... In dem Moment schoss Dajana ab.
Die Sehne sang hell und der Pfeil durchstieß die Flammen, ohne verbrannt zu werden. Fünf Augenpaare verfolgten gebannt wie er an den überraschten Hexern vorbeiflog, die inzwischen recht wenige waren, und auf den Anführer zusteuerte, der wie erstarrt da stand, anscheinend nicht begreifend, was geschah. Ihm blieb auch keine Zeit dazu. Ohne aufgehalten zu werden, durchstieß der Pfeil die magische Barriere und bohrte sich tief in die Brust des Hexers. Er wankte und selbst aus der Entfernung sah Gaya einen dicken Strom Blut aus der Wunde quellen. Unbarmherzig zischte der zweite Todesbote heran und traf mitten in die Medaille. Der Zauberschild flackerte und verschwand. Der Hexer hielt sich am Baum fest und versuchte aufrecht zu stehen, aber schon war der dritte Pfeil heran, hell lodernd durchstieß er den Hals des Hexers und nagelte ihn am Baum fest. Seine Kleidung fing Feuer.
Die übrig gebliebenen Hexer stimmten ein lautes Geschrei an und rannten davon. Keiner von ihnen kümmerte sich um die Leichen und Verwundete auf dem Schlachtfeld, und niemand sah nach dem Anführer. Schnell wie Schatten verschwanden sie im Wald. 
Die Feuerwand zuckte ersterbend und verschwand dann mit einem Zischen. Der Feuerzauberer stützte sich auf seinen schweren Speer und atmete schwer. Sein Gesicht war ganz blass geworden. Dajana senkte etwas widerstrebend den Bogen und grinste zufrieden, als sie Cycils bewundernden Blick auffing. Julian steckte sein Schwert in die Scheide und wischte sich den Schweiß vom Gesicht, wobei er eine Blutspur auf der Stirn hinterließ. Gaya säuberte den Smaragd am Stab sorgfältig vom Schmutz und setzte sich erst dann erschöpft auf das Gras. Sie hatte vorher noch nie so viel Magie auf einmal im Kampf benutzen müssen. Darauf hatten sie die Druiden nicht vorbereitet. 
"Wir sollten es uns hier nicht gemütlich machen", bemerkte Cycil, der von seinem Schwert das Blut abwischte. "Sie könnten wiederkommen."
"Du hast recht. Aber diesmal hat es wenigstens dieser Anführer nicht mehr geschafft. Ich bin schon seit drei Tagen hinter ihm her, aber dieses verdammte Medaillon hat ihn beschützt. Gut geschossen, Mädchen", sagte der Magier und Dajana strahlte. Sie wollte ihm den Bogen zurückgeben, aber er schüttelte den Kopf. "Behalte ihn, wenn du willst. Ich habe ihn bei einer Wette gewonnen, aber gebrauchen kann ich einen Bogen sowieso nicht." Er sah sie alle zum ersten Mal prüfend an. "Ich hab mich ja noch gar nicht bedankt, dass ihr so rechtzeitig zur Stelle wart. War wirklich zum richtigen Zeitpunkt. Ich heiße Johannes Cynnethan." Julian stellte sie der Reihe nach vor. "Freut mich", sagte Johannes, nachdem der Ritter fertig war. "Man trifft in N’hoa nicht oft gleichgesinnte..." Er wankte kurz und stützte sich dann wieder auf seinen Speer.
"Bist du verletzt?", erkundigte Gaya sich besorgt. Er schüttelte den Kopf.
"Nicht richtig. Ich habe nur meine Magiereserven mehr angezapft als ich es hätte tun dürfen. Das übliche eben." 
"Das ist gefährlich", erwiderte Cycil. "Wenn du deine Lebenskraft angezapft hast..."
"Hab ich nicht", unterbrach er ihn. "Wir sollten jetzt aber wirklich wo anders hin gehen, um uns ausgiebig zu unterhalten. Ich weiß sogar, wohin." Julian war einverstanden und so folgten sie dem Feuerzauberer, der trotz seiner offensichtlichen Schwäche ziemlich rasch auf die Stadt zuging. Julian verlangsamte seinen Schritt, bis er mit den Frauen und Cycil hinter Johannes ging. 
"Und, was denkt ihr?", fragte er leise. Gaya zuckte mit den Schultern. Sie war wirklich zu müde, um zu überlegen, ob sich Johannes ihrer Gruppe anschließen würde.
"Er kann toll kämpfen", sagte Dajana und betrachtete glücklich ihren neuen Bogen. "Und er scheint nett zu sein."
"Ach nein", erwiderte der Ritter sarkastisch und sah zu Cycil rüber. "Hast du etwas zu sagen, was wir bisher nicht wissen und gebrauchen können?"
"Ich bezweifle, dass er sich uns anschließen wird. Er scheint selbst feste Ziele zu haben", meinte 
Cycil, ruhig wie immer. Tja Julian, ich bezweifle, dass dir das mehr gefallen hat als Dajanas Meinung, dachte Gaya und in der Tat machte Julian nicht gerade einen erfreuten Eindruck.

Johannes brachte sie zu einem niedrigen Gebäude am Rande der Stadt, das keinen besonders ehrbaren Eindruck machte. Es war ziemlich heruntergekommen und nichts deutete darauf hin, dass man sich hier in Ruhe ausgiebig unterhalten konnte. Er bemerkte ihre skeptischen Blicke und lächelte geheimnisvoll.
"Das Äußere täuscht oftmals", kommentierte er und klopfte mit dem Speer sacht gegen die schmutzige Holztür. Zweimal langsam, Pause, ein Mal langsam, Pause und dreimal schnell. Eine Weile rührte sich nichts, aber Johannes wartete unbeeindruckt. Schließlich wurde eine Klappe beiseite geschoben und ein grünes, wachsames Auge spähte raus.
"Wer da?", fragte eine quiekende Stimme und der Blick huschte prüfend über die Gesichter von Julian, Gaya, Dajana und Cycil.
"Ich, wer denn sonst. Mach endlich die Tür auf, Spot, das war ein schwerer Kampf heute!", rief Johannes ungehalten.
"Die da kenn ich nich’", sagte Spot misstrauisch. "Keine Gäste, Magier, die nicht eingeladen wurden!"
"Soll ich eure hübsche Eingangstür verbrennen? Wäre doch bestimmt lustig." Spot seufzte genervt.
"Schon gut, schon gut, darf man nicht einmal einen Scherz machen, meine Güte aber auch..." Die Tür schwang geräuschlos auf und ein dürrer, drahtiger Junge um die zehn Jahre lugte heraus.
"Rein mit euch, aber hastig", brummte er, aber Gaya bemerkte, wie es in seinen Augen schalkhaft aufblitzte.
"Sag Danaill, dass ich da bin", sagte Johannes und forderte die anderen auf hineinzutreten. An die Tür schloss sich ein enger Gang an, der in Dunkelheit lag, denn es gab in ihm keine Fenster. Spot schloss die Tür, sobald sie alle drin waren, und das letzte Licht blieb draußen. Der Junge zündete eine Fackel an, die mehr Rauch verbreitete als Licht, und hüpfte davon. 
"Spot! Bleib gefälligst hier!", rief ihm Johannes hinterher.
"Was? Sag jetzt nicht du brauchst ’ne Fackel. Kannste nicht wieder ’nen Feuerball machen oder was?"
"Ich bin heute nicht so ganz auf der Höhe", erklärte Johannes, und Spot zuckte mit den Achseln. 
"Wenn’s so ist. Aber dann hätt’ ich dich doch noch draußen lassen sollen." Er lachte und ging voraus. Johannes folgte ihm und die anderen ebenfalls, wobei sie versuchten sich nicht gegenseitig auf die Füße zu treten. Gaya musste aufpassen, dass sie mit ihrem Stab nicht gegen die Wände stieß und fluchte innerlich. Hätte der Zauberer sie nicht in einen ordentlichen Laden bringen können?
Zum Glück endete der Gang ziemlich bald und sie gelangten in einen geräumigen Raum. Er war viel zu hoch für das Haus und Gaya begriff, dass er teilweise unterirdisch lag, weswegen der Gang wahrscheinlich angelegt worden war. Ungefähr zehn Männer hielten sich in dem Raum auf, auf die paar Tische verteilt, die herumstanden. Es gab ebenfalls keine Fenster, aber genug Licht wurde von Leuchtern an den Wänden produziert und so sah es ziemlich einladend aus. An den Wänden angeschlagen waren sehr viele blutige Trophäen, von denen die meisten wie haarige Pfoten oder Krallen aussahen. In einem Schrank in der Ecke lag außerdem eine Ansammlung von Waffen, meistens Schwerter und Keulen, aber Gaya entdeckte unter ihnen mehrere krumme Dolche, die wie die Gegenstücke von den Waffen der Hexer aussahen. Es gab so etwas wie eine Theke und hinter der stand eine recht eindrucksvolle Frau, die dem Aussehen nach ohne große Mühe zwei Tische balanciert hätte. Mehrere Türen und Gänge zweigten von diesem Raum ab und bei den meisten führten Stufen entweder nach oben oder weiter nach unten. Ist da ein ganzes Labyrinth unter uns oder was?
Spot huschte schnell zu der einzigen Frau rüber und flüsterte ihr etwas zu. Sie blickte auf und lächelte Johannes an; dann drehte sie sich um und sprach mit jemandem außerhalb Gayas Sichtweite. 
"Steht nicht so rum, kommt mit", sagte Johannes und führte sie zu einem langen Tisch an der Wand. Als sie sich an den anderen Tischen vorbei drängten, bemerkte Gaya, dass die Männer dort mit so wichtigen Angelegenheiten wie Kartenspielen, Essen und Sprechen beschäftigt waren. Allerdings erblickte sie auch zwei abseits Sitzende, die einen funkelnden Goldberg aufgeschlichtet hatten und jetzt versuchten einzelne Goldmünzen daraus zu ziehen ohne den Berg zu bewegen. Sie musste zugeben, dass das doch ein recht interessanter Zeitvertreib war.
Sie setzten sich. Fast sofort, bevor sie etwas sagen konnten, erschien ein stämmiger Mann an der Seite.
"Johannes, du bist ja schon so schnell wieder da!", rief er und sein wettergegerbtes Gesicht verzog sich zu einem herzlichen Lächeln. "Und, warst du heute erfolgreich?"
"Nicht in deinem Sinne, Danaill", antwortete Johannes. "Hab leider keine weiteren Trophäen für dich mit, aber wir haben den Hexer-Anführer erledigt."
"Das ist eine gute Nachricht. Wir - meinst du damit deine reizenden neuen Freunde?" Auf die belustigte Bestätigung hin, wurde Danaill noch begeisterter. "Freut mich, euch kennen zu lernen! Ich bin Danaill Van Fienn, der Besitzer dieser Bruchbude und sozusagen Dieb ehrenhalber!" Er zwinkerte ihnen zu und Gaya lächelte, obwohl sie nicht ganz verstand, was er mit "Dieb ehrenhalber" meinte.
"Es ist wirklich nett hier. Ich heiße Gaya Asearien, das sind Julian Drewen, Dajana Stromsyard und Cycil Whynneyar." Danaill starrte Dajana überrascht an und brach dann in Gelächter aus.
"Dajana Stromsyard? Die Dajana? Na, das ist mal eine Überraschung!" Und zu allgemeinem Erstaunen brüllte er durch den Raum: "Hey, Leute, wir haben heute einen Ehrengast bei uns! Dajana Stromsyard ist hier!" Allgemeines Lachen antwortete ihm. Dajana wurde rot und sah Johannes fragend an. Der zuckte mit den Schultern und stellte seinen langen Speer an die Wand, wo er glänzend über ihnen aufragte. 
"Was... was ist denn mit mir?", fragte Dajana Danaill, immer noch rot im Gesicht. Der große Mann grinste sie breit an.
"Du musst wissen, Mädchen, dass wir uns seit zwei Wochen um dich streiten! Wirklich, das war die längste Rauferei in der Geschichte von diesem Städtchen! Fast hätten sich Karl und Sergio gegenseitig die Kehlen aufgeschlitzt, so aufgebracht waren sie!"
"Ihr... habt euch um mich gestritten?" Der Blick, den sie Johannes zuwarf, enthielt eine vorsichtige Frage nach dem geistigen Zustand der anwesenden Männer. Der Feuerzauberer nahm davon keine Notiz, er war zu sehr damit beschäftigt, eine lange, blutende Wunde auf seiner Schulter mit einem nassen Tuch auszuwaschen. Seinem Gesichtsausdruck nach war es nicht besonders angenehm. 
"Ja! Ich fand’s lustig. Natürlich bin ich als Ladenbesitzer unparteiisch, aber es war amüsant. Deinem Blick nach zu urteilen, fragst du dich gerade, ob der Danaill noch alle Lichter im Kopf brennen hat. Ich kann dich beruhigen, Mädel, wir sind hier alle noch recht klar bei Verstand, mit Ausnahme der beiden da hinten", er zeigte auf zwei alte Männer, die vor sich zwanzig Bierkrüge stehen hatten, und offenbar versuchten herauszufinden, wieso ihre Gesichter plötzlich so nahe Bekanntschaft mit dem Tisch machten. "Bei diesem Streit ging es um die große Frage, ob wir dich zum Dieb ehrenhalber ernennen – so wie mich."
"Das macht es mir nicht klarer", gab Dajana zu.
"Ach komm, du wirst mich doch nicht enttäuschen! Na, na. Wir haben natürlich von deinen lustigen Versuchen gehört das ehrliche Geschäft im Gaul auszuüben." 
"Das ehrliche Geschäft?"
"Ja, das ehrliche Geschäft. Das einzige Geschäft, bei dem die reichen Schmarotzer endlich das bekommen, was sie verdienen - nämlich gar nichts!" Er lachte auf. 
"Ich habe nicht gestohlen!", protestierte Dajana mit einem knallroten Gesicht. Gaya musste daran denken, was der Bürgermeister gesagt hatte - Dajana war bereits vier Mal festgenommen worden. Sie wechselte einen belustigten Blick mit Julian und musste ein Grinsen zurückhalten.
"Nein, natürlich nicht! Aber oft genug versucht hast du es ja! Ein paar von uns meinten, eine solche Hartnäckigkeit gehöre belohnt und wollten dir den Status eines Diebes ehrenhalber bieten, aber die anderen waren nicht derselben Meinung. Und da ging es erst richtig los! Ich sage doch, das war die längste und heftigste Rauferei in N’hoa. Na ja, vielleicht mit Ausnahme der Geschichte mit diesem anderen Mädel - da war was los, mm... Aber das ist nichts, was ich in der Gesellschaft von solchen zwei reizenden Damen erzählen möchte!" Er zwinkerte wieder. Gaya mochte ihn.
"Sag mal, das hier ist doch nicht zufällig das Versammlungshaus der Freien Diebe von Nord?", fragte Cycil plötzlich. Auf seinem Gesicht stand eine Anspannung, die Gaya nicht so recht verstand. Aber vielleicht bildete sie es sich auch ein, denn der Ausdruck wich schnell der üblichen Aufmerksamkeit.
"’türlich sind wir das! Hat euch Johannes denn nichts erzählt?" Die vier mussten verneinen und Danaill sah Johannes tadelnd an. "Also, alter Freund, was soll denn das? Bringst einfach Leute hier, die nicht einmal den Eid geleistet haben!"
"Ich hatte keine besonders große Lust in den Gaul zu gehen, Danaill! Und wir haben einen schweren Kampf hinter uns. Sie können diesen Eid doch genauso gut hier und jetzt ablegen", erwiderte 
Johannes. Sein Gesicht war sehr blass und Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Gaya dachte 
besorgt, dass die Hexer ihre Dolche möglicherweise vergifteten. Wir sollten nicht soviel Zeit verschwenden, sondern uns um die Verletzungen kümmern! Sie wollte dies gerade verärgert äußern, als die kräftige Frau vom Tresen sich zu ihnen gesellte und mit wütender Miene Danaill ansah. Neben ihr wirkte der hochgewachsene Mann wie ein Kind.
"Danaill, du alter Schwachkopf, was fällt dir ein unsere teueren Gäste unversorgt zu lassen, und ihnen auch noch auf die Nerven zu gehen! Das ist wieder mal typisch für dich! Hab ich dir nicht gleich gesagt, dass du solche Sachen einer Frau überlassen sollst? Nein, du bist natürlich zu stur und zu sehr von deinem männlichen Stolz besessen um mich mal ranzulassen, obwohl du deine Gäste gerade zu Tode redest! Nicht mal ein gesunder Mensch kann deine Ausführungen ertragen und da erwartest du mehr von den armen Kämpfern, die so tapfere Taten vollbringen, während du irgendwelche Stücke von ihrem Ruhm kaufst! Du bist unverbesserlich! Jetzt hol sofort Essen und Trinken für die Gäste und wage es dann nicht mir unter die Augen zu kommen! Wir sprechen uns noch heute Nacht, Freundchen!" Nach dieser vernichtenden Rede schrumpfte Danaill noch mehr und schlich davon wie ein getretener Hund.
"Du hast ihn zu Brei zerstampft, Rosalie", sagte Johannes vorwurfsvoll.
"Er verdient es nicht besser!", fauchte sie. "So, jetzt da der Dummkopf beiseite geschaffen ist, um wem soll ich mich zuerst kümmern?" Ihr Blick wanderte von Julian mit seinen blutenden Wunden an Armen und Schulter, zu Dajanas unzähligen Kratzern und Rissen, von dem unerschütterlichen Cycil, der nur eine Schnittwunde am Bein hatte, über Gayas erschöpftes Gesicht, und blieb schließlich an Johannes hängen. Sie schnalzte mit der Zunge. "Scheint ja ein gewaltiger Kampf gewesen zu sein", bemerkte sie.
"Wir brauchen eure Hilfe nicht, Lady, ich habe Heiltränke bei mir und kann sie alle selbst versorgen. Wir wollen euch nicht belästigen", sagte Cycil. Rosalie sah ihn misstrauisch an, um sich zu vergewissern, dass er sich nicht über sie lustig machte. Lady! Große Göttin, wo ist der Junge aufgewachsen?, fragte sich Gaya.
"Nun gut, das ist sehr nett von dir, Junge", sagte die Frau schließlich. "Ich habe wirklich noch viel zu tun... Ah, da kommt bereits euer Essen! Na dann macht es euch bequem und genießt unsere Gastfreundschaft!" Sie versuchte herzlich zu klingen, aber es war offensichtlich, dass Cycil sie verwirrt hatte. Danaill schleppte ein großes Tablett an. Darauf standen fünf Krüge Bier, ein ausladender Teller mit Fleisch, sowie eingelegte Muscheln und ein Eintopf. 
"Auf Kosten des Hauses", verkündete Danaill, nachdem er die wuchtige Platte auf den Tisch geknallt hatte. Sein Gesicht war von der Anstrengung ein bisschen gerötet. 
"Vielen Dank", sagte Dajana höflich und konnte ihre Augen nicht von dem dampfenden Fleisch abwenden. Gaya roch den köstlichen Duft und musste ebenfalls schlucken. Rosalie schenkte Danaill einen aufgebrachten Blick und verließ den Tisch, weit mit dem Hintern schwingend. 
"Na, guten Appetit dann auch", murmelte der Mann und ging ihr hinterher. Dajana zögerte nicht und griff sofort nach dem Fleischteller. Es roch wie Wildschwein, fand Gaya, und nahm sich ebenfalls ein saftiges Stück. 
"Das schmeckt toll", verkündete Julian, nachdem er das Bier probiert hatte. Gaya hob zweifelnd die Augenbrauen.
"Genauso toll wie dieses Gebräu im Gaul?", fragte sie. "Ich könnte wetten der Wirt dort mischt gewöhnliches Wasser mit Pferdeäpfeln und verkauft es dann." Nach dieser Kritik biss sie herzhaft in das Bein des vermeintlichen Schweins. Dajana schlang es in sich hinein wie die letzte Mahlzeit ihres Lebens, zwischen dem Kauen fand sie noch Zeit Bier dahinter zu kippen. Gaya fragte sich amüsiert, wie sie da noch was schmecken konnte. Julian begutachtete das Tablett und wählte den Eintopf, der anscheinend aus Fleisch und Pilzen bestand. Er aß ihn langsam und sorgfältig, und bewies damit Manieren, die Gaya ein für alle Mal von seiner hervorragenden Ausbildung überzeugten. Allerdings war es ihrer Meinung nach ekelhaft Eintopf mit Bier zu mischen. Nicht, dass er sich davon stören ließ. Cycil widmete sich als einziger den Muscheln und ging dabei so geschickt vor, dass es sie abermals überraschte.
Ich bin von Geheimnissen umgeben. Sie beide hüten eins, da bin ich mir sicher. Und Dajana? Sie ist eine unbekannte Größe. Wie soll ich ihnen vertrauen?
Sie sah von ihrem Teller auf und begegnete dem Blick von Johannes. Dem Blick aus grauen, eindringlichen Augen. Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich beschützt und behütet, als sie so in diese Augen sah. Sicherheit schienen sie auszustrahlen, Sicherheit und noch mehr. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie den Drang in sich aufsteigen einem Menschen auf den ersten Blick Vertrauen entgegen zu bringen. Das wunderte sie, aber es war ein gutes Gefühl. Unter all den Fremden hatte sie einen gefunden auf den sie sich verlassen konnte, aus welchem Grund auch immer. Von diesem Wissen gestärkt, erwiderte sie seinen Blick und lächelte ihm zu. Er lächelte zurück, auf eine Weise, die sein blasses Gesicht erhellte. Er muss uns begleiten. Auf jeden Fall, dachte sie entschlossen, als sie sich wieder dem Essen widmete. Es war nicht das gleiche Gefühl wie bei Dajana und Cycil, wo sie eine Art Befehl der Göttin bekommen hatte. Nein, dieses mal war es ihr eigener Wunsch und deswegen nicht weniger bedeutsam.
Johannes kaute nachdenklich das zähe Fleisch. 

"Halt endlich still, Dajana!", rief Cycil verärgert. Er hielt eine lange, spitze Nadel in der Hand und versuchte sich damit dem Mädchen zu nähern, das sich jedoch immer wieder umdrehte um die Geschehnisse mitverfolgen zu können. "Soll ich dich aufspießen? Dieses Betäubungsmittel wirkt nicht lange, zu deiner Information!" 
"Ich bin ja still!", sagte sie nervös. "Aber die Nadel sieht so scharf aus..."
"Sei froh darüber! Wenn sie nicht so scharf wäre, würde das Nähen höllisch weh tun. Aber das wird es noch, wenn du nicht endlich aufhörst zu zappeln!" Es war ungewöhnlich, dass Cycil sich so über Dajana aufregte, aber er machte selbst einen nervösen Eindruck, was sicher daran lag, dass er vor diesem Tag noch nie eine Wunde genäht hatte, wie er es Gaya heimlich mitgeteilt hatte. Aber Dajana hatte einen langen Schnitt am Rücken, durch den sie viel Blut verlor, und die einzige Behandlungsmethode war die Nadel. Cycil hatte bereits Julian zusammengeflickt, der immerhin ganze drei Prozeduren ohne mit der Wimper zu zucken ausgehalten hatte, doch Dajana schien sich immer noch sicher zu sein, dass Cycil ein Mordinstrument in der Hand hielt. 
"Wir werden dich festhalten müssen, wenn du dich weiterhin so aufregst!", drohte Gaya.
"Du bist nicht stark genug um mich festzuhalten, Druidin!", rief Dajana, aber in ihren großen Augen flackerte Panik.
"Dann hole ich eben Julian und Johannes dazu!"
"Nein!", sagte Dajana entsetzt. Sie saß ohne Oberhemd auf einer Bettkante im Zimmer von Rosalie. Die Wirtin hatte es ihnen freundlicherweise zur Verfügung gestellt, um Dajana die Peinlichkeit zu ersparen vor den ganzen Männern im Gastraum ohne Hemd da zu stehen. Sie hatte sich sogar dagegen gewehrt vor Cycil so zu erscheinen, bis Gaya sie davon überzeugen konnte, dass es nicht ratsam war eine unerfahrene Druidin an die Sache ranzulassen. Nachdem Cycil ihr jedoch einen Betäubungstrank verabreicht hatte, der ihr für eine Weile die Schmerzen ersparen sollte, konnte sie den Anblick der Nadel nicht mehr ertragen. 
"Lass mich ran, Dajana, es wird schon nicht weh tun!", sagte Cycil fast verzweifelt. "Du bist doch kein kleines Mädchen mehr, du hast Verstand! Also lass mich jetzt verdammt noch mal diese Wunde nähen, 
bevor du zuviel Blut verlierst!" Dajana warf ihm einen beleidigten Blick zu und seufzte.
"Schon gut! Wenn ihr aufhört herumzuschreien." Sie drehte Cycil den Rücken zu und starrte mit sturem Gesichtsausdruck die Wand an. Er verdrehte die Augen und machte sich dann vorsichtig an die Arbeit. Gaya sah Dajana mehrmals zusammenzucken, aber sie gab keinen Laut von sich. Das Mädchen ist zwar eine nörgelnde Nervensäge, aber ihre Sturheit und ihr Stolz haben auch gutes, dachte Gaya. 
Cycil begutachtete sein Werk, einen roten mit grauen Fäden zusammengehaltenen Riss, aus dem nur noch vereinzelnd Blut quoll.
"Schon bin ich fertig. Hat es so sehr weh getan?", fragte er sie besorgt.
"Es ging... Aber zu schade, dass dieser Hexer schon tot ist, ich hätte ihn nur zu gerne erwürgt!" Dajana bewegte probeweise ihre Schulter. "Mm! Hoffentlich verheilt das schnell. Würdet ihr mich jetzt bitte alleine lassen? Ich muss mich unbedingt umziehen." Cycil legte die Nadel beiseite, sah sie noch einmal stirnrunzelnd an und verließ dann das Zimmer. 
"Hat er doch gut gemacht. Dafür, dass es erst das zweite mal war", bemerkte Gaya und Dajana erbleichte.
"Das... das zweite Mal? Oh. Ich glaube mir wird schlecht." Gaya klopfte ihr aufmunternd auf die andere Schulter und ging dann ebenfalls raus.
Im Gastraum hielten sich nur noch wenige auf. Es war bereits Abend geworden, obwohl man das am Licht nicht sehen konnte. Danaill unterhielt sich mit einem zerlumpten Mann und Rosalie schrubbte 
energisch die Theke. Julian, Johannes und Cycil saßen immer noch am gleichen Tisch, aber jetzt sahen die Drei wenigstens kräftiger aus. Johannes war zwar noch nie behandelt worden, aber er hatte ihnen versichert, dass er keinen schweren Wunden davongetragen hatte, sondern bloß von soviel Anwendung von Magie erschöpft war. Gaya stellte fest, dass er größer war als Julian, wobei der Ritter schon sehr hochgewachsen war. Wir Frauen sind wieder mal die Zwerge, dachte sie, na ja, Cycil ist wenigstens genauso groß wie ich. Mit diesem Gedanken hielt sie auf den Tisch zu.
"Das ist Irrsinn", hörte sie Johannes überzeugt sagen. "Es wäre viel sicherer den Wasserweg zu nehmen."
"Wozu brauchen wir denn Sicherheit?", widersprach Julian. "Schließlich will ich doch kämpfen und nicht einen angenehmen Urlaub erleben!" Cycil lächelte.
"Ich bin sicher den wollen wir alle nicht, aber ich habe nicht groß Lust extra in die Gefahr zu laufen", sagte er und nahm einen Schluck aus einem großen Becher. Der Arme. Diese Dajana hat ihn ja völlig fertig gemacht.
"Das ist genau meine Meinung", stimmte Johannes zu und bemerkte dann Gaya. "Setz dich, Gaya. Wird Dajana auch noch kommen?" Gaya setzte sich neben ihn und griff ohne nachzudenken nach seinem unberührten Becher. Sie trank ein paar Schlucke des Bieres, schüttelte sich und setzte den Becher wieder ab.
"Furchtbares Zeug", meinte sie und fuhr fort, ohne auf die belustigten Blicke der anderen einzugehen. "Dajana wird jetzt entweder eine Weile schmollen oder ihr Stolz wird sich durchsetzen und sie benimmt sich den ganzen Abend lang wie eine Königin." Julian nickte zustimmend.
"Ich hoffe doch, dass das nicht meine Schuld ist", sagte Cycil unbehaglich.
"Ach was. Es ist einfach die unwürdige Haltung, die wir ihr gegenüber an den Tag legen. Sie mag es nicht als Jüngste behandelt zu werden", sagte Gaya sorglos und wunderte sich, dass sie da so sicher sein konnte. Wie lange kannte sie das Mädchen - drei Tage? Ihr kam es bereits vor wie eine Ewigkeit. 
"Ja, unsere Dajana benimmt sich manchmal wie ein kleines Mädchen!", sagte Julian grinsend, aber Cycil schien sich immer noch unsicher zu sein. Er muss wirklich in sie verliebt sein, dachte Gaya. Ob daraus noch was wird?
"Gaya, was denkst du - was ist die bessere Route nach Sunaj? Durch den Celine-Wald oder per Wasser?", wollte Johannes wissen. Sie zuckte mit den Schultern.
"Ich persönlich bevorzuge ja die Wälder, das Wasser ist nicht so mein Element. Das Schiff ist außerdem langsamer", gab sie zu bedenken und Johannes zuckte mit den Schultern.
"Wenn wir im Celine auf Gegenwehr stoßen, kann es sein, dass wir da nie mehr rauskommen. Mir wäre langsam da lieber."
"Das ist doch Blödsinn! Wir sind fünf kampfbereite Menschen, mit guter Bewaffnung und einem Ziel. Wer sollte uns schon aufhalten?"
"Es gibt Gerüchte", ließ Cycil vorsichtig vernehmen. 
"Gerüchte! Die gibt es überall!", sagte Julian verärgert. 
"Ja, aber hinter jedem Gerücht steckt die Wahrheit." Sein Gesicht verriet nichts, aber Gaya merkte, dass er an die Zauberquelle denken musste. Julian anscheinend ebenso, denn er schnaubte empört und starrte stur auf den Bierkrug. Johannes, der nichts von diesen Ereignissen wusste, schüttelte den Kopf und fuhr sich durch die roten, kurzgeschnittenen Haare. 
"Egal ob die Gerüchte nun wahr sind oder nicht, es gibt im Celine jedenfalls Gefahren, die nicht zu unterschätzen sind", sagte er fest. "Dabei ist die Frage: Wollt ihr das Risiko eingehen?"
"Natürlich!", rief Julian, wie erwartet. Gaya verglich ihn mit einem ungeduldigen Kind. Cycil zuckte mit den Schultern.
"Mir ist es gleich. Wir sollten einfach abstimmen." 
"Aber ist Julian nicht irgendwie euer Anführer oder habe ich das falsch verstanden?", erkundigte sich Johannes. Julian - der sich selbst erst jetzt daran erinnerte, so sehr war es für ihn ungewohnt, dass seine Entscheidungen in Frage gezogen wurden - sah den Magier dankbar an.
"Genau das ist der Punkt. Ich beschließe für die ganze Gruppe und sage wir gehen durch den Wald!"
"Was? Durch den Celine-Wald? Bist du noch ganz beisammen?", rief Dajana. Sie war gerade eben in den Raum getreten und hatte Julians letzte Worte gehört. Ihren aufgerissenen Augen war ganz klar zu entnehmen, dass sie sich auf Johannes’ und Cycils Seite schlug. "Ich habe noch vor irgendwann zu heiraten und ein schön hohes Alter zu erreichen!" Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen und sah ihn entrüstet an. "Durch den Celine! Also wirklich, was habt ihr Ritter eigentlich im Kopf?" Julian zog die Augenbrauen zusammen.
"Mut haben wir, nicht wie ihr Bürgerlichen! Was soll denn das? Ich hatte vor etwas zu erleben und nicht die ganze Zeit über sichere Wege zu begehen!"
"Nichts ist zur Zeit sicher in Cinhyal", warf Johannes ein. "Wir sind eigentlich überall gefährdet, wenn nicht von irgendwelchen Kreaturen, dann von Wegelagerern. Der Wald hat den Vorteil, dass wir dort wenigstens keine menschlichen Angreifer zu befürchten haben. Nicht einmal die Antellis-Hexer wagen sich dorthin."
"Aber es gibt dort Schlangenmenschen!", rief Dajana und aus ihrer Stimme sprach Furcht. Vielleicht erinnerte sich Julian endlich daran, dass sie gerade ihren ersten Kampf hinter sich hatte, noch völlig unerfahren war und nicht einmal freiwillig mitkam, denn sein Gesicht wurde weicher.
"Wenn es dort Schlangenmenschen gibt, haben wir ja ganze drei Magier bei uns. Denkst du nicht, dass das reicht um sie in Schach zu halten?" Das Mädchen richtete ihren Blick auf Johannes.
"Dann schließt du dich uns an?", fragte sie hoffnungsvoll. Er schüttelte den Kopf.
"Nein. Aber ich begleite euch auf jeden Fall bis Sunaj, egal welchen Weg ihr nehmt. Zu fünft ist es besser zu reisen als alleine." 
"Da gebe ich dir recht. Und wenn es im Wald wirklich so gefährlich ist, dann ist es gut einen Feuermagier an der Seite zu haben", sprach Gaya und erntete dafür ein warmes Lächeln. 
"Ich bin sicher meine Magie ist überflüssig. Gaya, du hast die Elementarmagie der Erde, aber was hast du, Cycil?"
"Wasser", antwortete er knapp.
"Dann steht ihr doch schon recht gut da. Die Elemente sind mächtige Helfer", meinte Johannes.
"Ja, aber das Feuer ist das seltenste davon. Wie viele Feuermagier gibt es schon in ganz Cinhyal?", sagte Gaya.
"Fünf", entgegnete er kurz und die Vier sahen ihn ungläubig an. "Ja, ich weiß das ist verdammt wenig, besonders, wenn man bedenkt, wie viele es jedes Jahr aufs neue versuchen. Ich kenne sie alle. Der Älteste ist Nuab in Mendara – er wird dieses Jahr hundertvier Jahre alt. Sein Nachfolger Patreth wird bald die Prüfung ablegen und zählt schon zu uns. Dann gibt es noch Venara aus Jera, sie treibt sich im Moment irgendwo in der Wüste herum, habe ich gehört. Und Mayelle von Beneth. Sie war es, die den Turm von Deanor in Flammen hüllte, und ruht sich derzeit aus. Ich bezweifle, dass sie je wieder ihre Magie nutzen wird." Er seufzte. "Ich bin der Jüngste von ihnen, von Patreth mal abgesehen."
"Wie alt bist du denn?", wollte Julian wissen.
"Fünfundzwanzig." Der Älteste von uns, vermerkte Gaya. Dann fiel ihr auf, dass sie von Johannes als einen von ihnen dachte.
"Ist es denn nicht zu früh zu sagen, dass dieser Patreth einer von euch ist? Ich habe gehört, dass nur jeder zwanzigste die Prüfung überlebt", sagte Cycil.
"Da hast du sicherlich recht, aber Patreth ist sehr begabt. Wenn er die Prüfung hinter sich hat, kann er der mächtigste von allen werden."
"Wer ist es denn jetzt? Der mächtigste?", fragte Dajana neugierig. Johannes zuckte mit den Schultern.
"Entweder Venara oder ich. Die arme Mayelle kann nicht mehr mitzählen, ich fürchte ihre Magie ist völlig dahin." In seiner Stimme schwang ehrliches Mitgefühl mit. Es muss wirklich seltsam sein zu diesen Feuermagiern zu gehören. Sie sind eine aussterbende Rasse. Unter normalen Zauberern wäre man eher froh, wenn ein Rivale aus dem Rennen wäre. Aber unter solchen Umständen ist es etwas völlig anderes...
"Aus welcher Stadt kommst du eigentlich?", fragte Cycil.
"Aus Raven." Dieser Name hatte eine sofortige Reaktion zur Folge. Gaya wusste, dass ihr die Überraschung deutlich im Gesicht stand, aber sie konnte sie kaum verbergen. Raven! Die alte Stadt. Die Stadt der Magie. Sie lag fast unerreichbar hinter dem Hochgebirge Royala und war von Legenden umwoben. Seit Jahrhunderten wurden die stärksten Zauberer in dieser Stadt geboren, aber Besucher aus ihr wurden immer seltener, weil das Gebirge von Jahr zu Jahr immer unpassierbarer wurde. Zu sagen man käme von dort, war ungefähr das gleiche, wie wenn man behaupten würde, die Inkarnation von Haldoneus zu sein. "Würdet ihr bitte aufhören mich anzustarren, als wäre ich ein Gott?", sagte Johannes gereizt. "Raven ist eine Stadt wie jede andere, nur dass dort Nachrichten mit mehrjähriger Verspätung eintreffen." 
"Es kommt nicht oft vor, dass man jemanden von dort trifft", sagte Gaya vorsichtig.
"Es kommt auch nicht oft vor, dass eine Druidin sich dazu entschließt halb Cinhyal auszurotten!", erwiderte er scharf.
"Hey! Wer spricht hier denn von Ausrottung?", fragte sie empört, aber es war ein halbherziger Ausruf. Sie wollte nicht mit ihm streiten. "Schon gut. Ich will keinen Streit."
"Ich auch nicht. Aber ich meine es ernst – Raven ist eine ganz normale Stadt."
"Wir kommen alle aus der Gegend. Ich und Gaya von Sunaj, Dajana ist hier geboren und Cycil in Jera", erzählte Julian. "Raven ist so gut wie das Ende der Welt."
"Es ist das Ende der Welt", berichtigte Johannes. "Und genauso öde, wie es sich anhört. Sprechen wir nicht mehr davon. Also haben wir beschlossen durch den Wald zu gehen?"
"Beschlossen kann man das nicht nennen", murrte Dajana.
"Ja", antwortete Julian ohne auf sie zu achten.
"Dann müssen wir uns ausruhen. Ich war zwar noch nie in diesem Wald, aber ich bin mir sicher, dass an den Gerüchten etwas dran ist. Wir werden unsere Kräfte wahrscheinlich brauchen."
"Gehen wir in den Gaul zum übernachten?", wollte Cycil wissen. Johannes lachte auf.
"Natürlich nicht! Danaill und Rosalie würden uns erwürgen! Wir bleiben selbstverständlich hier." Er rief Danaill her. "Zeigst du uns unsere Zimmer, Danaill? Wir müssen morgen früh aufstehen."
"Natürlich. Folgt mir." Der Mann führte sie in einen der zahlreichen Gänge, der sich nach unten wand. "Ich habe sehr viele Zimmer frei, derzeit ist nicht so die Besuchersaison." Er zeigte auf mehrere Türen. "Sucht euch etwas aus. Soll Rosalie euch bei Morgengrauen wecken?" 
"Ja, bitte. Und vielen Dank dafür, dass wir hier übernachten dürfen", sagte Dajana. Der Wirt lachte.
"Du bist mir vielleicht eine, Stromsyard! Schade, dass du N’hoa verlässt, wir hätten dich garantiert aufgenommen!" Dajana lächelte ihn an. Sie fühlte sich geschmeichelt.
Gaya zog erleichtert ihre Kettenrüstung aus. Obwohl sie sehr leicht war, hatte Gaya sie in den letzten Stunden überdeutlich gespürt. Den Stab lehnte sie an die Wand, wo der Diamant an der Spitze in der Dunkelheit grün glänzte. Nur mit einem luftigen Hemd bekleidet schlüpfte Gaya in das warme, gemütliche Bett und kuschelte sich in die Decken. Es ging ihr durch den Kopf, wie angenehm es doch war, zur Abwechslung mal in einem richtigen Bett zu schlafen. Sie strich sich müde das Haar aus dem Gesicht und schloss die Augen. Und nach so einem anstrengenden Tag war es kein Wunder, dass sie so schnell einschlief.
 

© Martha Wilhelm
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Und schon geht's weiter zum 3. Kapitel :-)

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