Nebelwald von Klaus-Peter Behrens
1. Kapitel

Das lose Gestein knirschte unter seinen Stiefeln, als Michael über das schmale Felsband tiefer in das weit verzweigte Höhlensystem des Hoggar-Gebirges im Süden Algeriens eindrang. Als Paläanthropologe wußte er um die Gefährlichkeit von Höhlen, die jede Unachtsamkeit sofort gnadenlos bestraften. Sorgsam achtete er daher darauf, dass er den Kontakt zu der Sicherungsleine nicht verlor, die sein Team zu Beginn ihrer Forschungarbeiten auf dem gesamten Weg vom Eingang bis zu der tief gelegenen Arbeitsstätte angebracht hatte. Sollte ihm hier etwas zustoßen, würde er in ernste Schwierigkeiten geraten. Zwar hatten sie im Basislager eine gut ausgerüstete Apotheke, und viele seiner Kollegen waren in der Ersten Hilfe gut ausgebildet worden, was sie jedoch nicht zu Ärzten qualifizierte. Auch die moderne Satellitenkommunikation würde ihm in so einem Fall wenig nützen, denn der nächste Ort war weit entfernt und nur über eine staubige Piste zu erreichen. Aber das war der Preis, wenn man etwas Neues entdecken wollte. Man mußte sich eben ständig daran erinnern, dass jeder Fehltritt hier unten der letzte sein könnte und entsprechend aufpassen. Michael atmete daher dankbar auf, als das Ende des schmalen Sims in Sicht kam. Der Weg entlang des gut vier Meter breiten und in der Tiefe nur schwer abzuschätzenden Abgrunds zu seiner linken Hand, stellte für ihn immer noch die schlimmste Passage auf dem Weg nach unten dar. Was ein Fehltritt hier bedeuten konnte, ließ seine Magennerven jedesmal zu harten Knoten werden. 
Nun betrat er einen der vielen Verbindungswege, die die Höhlen miteinander verbanden und ihn direkt zum Ziel führte, der gigantischen Kaverne, in der sie aufgrund eines Hinweises fantastische Höhlenmalereien entdeckt hatten. Bisher waren Höhlenmalereien hauptsächlich in Westeuropa gefunden worden, insbesondere in den Pyrenäen und der Dordogne. Die bekanntesten lagen in Altamira und Lascaux. Michael hatte daher echte Zweifel gehabt, als sie dem fragwürdigen Hinweis nachgegangen waren, doch das, was sie vorgefunden hatten, hatte alle mehr als überrascht. Seit dem hatte er keine ruhige Minute mehr gehabt und war vor Tatendurst bei der Erforschung und Analyse der Zeichnungen schier geplatzt. Wie auch schon an den vorangegangenen Tagen war er auch heute lange vor den anderen aufgewacht und konnte es kaum erwarten, seine Arbeit wieder aufzunehmen. Trotzdem zwang er sich zu einer langsamen Gangart, denn auch dieser Verbindungsweg wartete mit ein paar unliebsamen Überraschungen auf. Bei ihrer ersten Erkundung wäre Sonjya, eine enge Kollegin Michaels, beinahe in einen tiefen Schacht gestürzt, von denen es in diesem Verbindungsweg insgesamt drei gab. Alle waren inzwischen mit Sicherungsband gekennzeichnet, trotzdem hatte sich diese Erinnerung tief in Michaels Gedächtnis gegraben und schärfte daher seine Vorsicht. Zum Ende hin wurde der Gang immer enger und dunkler, bis er schließlich in die gewaltige Kaverne mündete, in der sie ihre Entdeckung gemacht hatten. Neuntausend Jahre alte Bilder aus der Rundkopfepoche. Bilder aus der frühesten Zeit nordafrikanischer Felsmalerei. Eines der ungelösten Geheimnisse der Menschheit. Das Volk, das diese Bilder einst schuf mit dem Hang, die Köpfe überproportional rund zu zeichnen, war aus der Geschichte verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Es gab keine Hinweise auf ihren Verbleib, und viele der Zeichnungen, die dies vielleicht hätten klären können, waren absichtlich zerstört worden. Ein Mysterium. Wo war das Volk hin verschwunden? Keiner kannte die Antwort hierauf. Michael war daher überglücklich gewesen, als sie auf diese unbekannten Zeichnungen gestoßen waren. Gemeinsam mit seinem Team waren sie nun schon eine Woche damit beschäftigt, die Zeichnungen systematisch zu erfassen und zu untersuchen. Aber einen Hinweis auf den Verbleib des Volkes hatten sie ihnen bisher auch nicht liefern können, bis Michael am vorherigen Tag etwas aufgefallen war, das er nun unbedingt näher untersuchen wollte.
Mit einem erleichterten Seufzer betrat er die gewaltige Kaverne und machte sich sofort an den Akkus der Lampen zu schaffen. Einen Augenblick später erstrahlte die Kaverne im Licht der starken Grubenlampen. Der Anblick raubte ihm immer noch den Atem. Als Michael den Raum zum ersten Mal betreten hatte, war er sich vorgekommen, wie Carter und Carnavon, als sie das Grab des Tut-Ench-Amun betraten. Es war ein unbeschreibliches Gefühl gewesen, als würde eine längst vergangene Zeit plötzlich wieder lebendig werden. Nur einmal in seinem Leben, als er in Lauscaux die sechshundert Höhlenmalerein und rund zwölftausend in den Fels geritzten Zeichnungen untersucht hatte, war er ähnlich beeindruckt gewesen. Aber selbst dieser gewaltige Fund der Altsteinzeit verblasste gegenüber dem, was sie hier entdeckt hatten. Es war einfach unbeschreiblich.
Nachdem er nach einem kurzen Rundblick zu seiner Zufriedenheit festgestellt hatte, dass alles noch so aussah, wie sie es am Vorabend verlassen hatten, näherte er sich zielstrebig dem Abschnitt, der am Vortag seine Aufmerksamkeit gefesselt hatte. Auf dem Weg dorthin glitt sein Blick über die gut erhaltenen Felsmalereien, die ihn immer wieder fasznierten. Die Zeichnungen waren so gut erhalten, als hätten die Künstler gerade erst Feierabend gemacht. Ein Großteil der Zeichnungen bildeten Tierfiguren ab, überwiegend Antilopen. Tiefer in der Kaverne hatten sie aber auch ältere Zeichnungen aus der Zeit des Oberen Paläolithikums gefunden, als die Menschen am Rande der gewaltigen Eisgletscher nach Großwild jagten, was darauf hinwies, dass dieses riesige Höhlensystem über einen unvorstellbar langen Zeitraum genutzt worden war. Die Höhlengalerie repräsentierte also eine Vielzahl von nach einanderfolgenden Epochen, die sich über Jahrtausende erstreckte, einen Zeitraum, der ihn noch immer schwindeln ließ. Während Michael an den plastischen Zeichnungen, die teilweise reliefartig aus dem Fels herausgearbeitet worden waren, um ihnen so Leben einzuhauchen, vorbeiging, dachte er wieder über deren Bedeutung nach. Vermutlich hatten die Darstellungen einmal eine religiöse Bedeutung gehabt und waren bewußt hier in Szene gesetzt worden, wo sie am eindrucksvollsten wirkten. Michael vertrat in dieser Hinsicht den Standpunkt, dass es sich möglicherweise um Schöpfungen von Medizinmännern handelte, die einen animalischen Kult, wie etwa die Veehrung von Tierseelen praktiziert hatten. Ungewöhnlich wäre dies zumindestens nicht gewesen.

Den Bereich, den Michael nun jedoch aufsuchte, war anders und hatte sein Interesse am meisten erregt. Die Wandabschnitte hier zeigten dörfliche Gemeinschaften oder einzelne, bizarre Abbildungen von Menschen, die einem Science-Fiction-Film entsprungen zu sein schienen. Michael konnte gut verstehen, dass der berühmte Afrikaforscher Henri Lhote bei der Entdeckung der ersten Zeichnungen dieser Art geglaubt hatte, er habe das Vermächtnis von Besuchern aus dem All entdeckt. Inzwischen wußte die Wissenschaft es natürlich besser. Allgemein ging man nun davon aus, dass dieses Volk, wie es noch heute einige Urvölker auf der ganzen Welt tun, ihre Körper mit zusätzlichen Attributen geschmückt hatten, deren zeichnerische Darstellung dann in schmeichelhafter Art übertrieben wurde. Doch trotz dieser nüchternen Erklärung war die Magie der Zeichnungen ungebrochen.

Einen Augenblick später erreichte Michael endlich den Abschnitt der Höhle, den sie erst vor zwei Tagen begonnen hatten zu katalogisieren. Aufgefallen war ihm eine seltsame Zeichnung, die eine kreisrunde Höhle mit einem strahlenden Licht in ihrer Mitte darstellte. Vor diesem Licht standen mehrere Männer, Frauen und sogar Kinder Schlange. Wenn Michael es richtig deutete, war das Kind am Anfang dieser Schlange im Begriff, in dieses Licht einzutauchen. Was hatte das zu bedeuten? Vielleicht war es ein Hinweis auf das Verschwinden dieses Volkes. Gleich neben dieser Zeichnung durchzog ein tiefer Spalt den Höhlenboden bis zur Decke. Die Seitenwände und der Boden des Spalts waren mit spitzen Felszacken gespickt, die das Erforschen zu einer Tortur machen würden und von dem Wagemutigen, der das versuchte, Nerven aus Stahl verlangten. Da eine erste Untersuchung mit starken Lampen keinen Hinweis auf weitere Zeichnungen gebracht hatte, hatten sie die Erforschung dieses Spalts erst einmal zurückgestellt. Als er jedoch diesmal an dem Spalt vorbeischritt, fiel ihm plötzlich etwas auf, das ihm bisher entgangen war. Irritiert blieb er stehen und starrte in die tiefe, schwarze Finsternis des Spalts. Kein Zweifel, er hatte sich nicht geirrt. Tief am anderen Ende pulsierte ein schwaches Licht. Michael spürte, wie seine Nackenhaare sich aufstellten. Was hatte es damit auf sich? "Hallo, ist dort jemand", rief er, erhielt aber keine Antwort. Was sollte er tun? Vernünftig wäre es abzuwarten, bis die anderen kommen, ging es ihm durch den Kopf. Aber das konnte noch dauern. Wer wußte schon, ob das Licht bis dahin nicht wieder erloschen war und die Kollegen ihm einen Höhlenkoller atestieren würden? Also traf Michael eine Entscheidung. Er würde es auf eigene Faust versuchen. Als er dicht an den Spalt herantrat, spürte er wieder das vertraute Gefühl in der Magengegend, das immer dann auftrat, wenn er sich in Gefahr begab.
Wird verdammt knapp werden, dachte er, als er sich für seine Tour rüstete. In seinem Leben war er schon in einigen Höhlen unterwegs gewesen und deshalb wußte er, wie schnell man in einem zu engen Spalt stecken bleiben konnte, insbesondere wenn er so aussah wie dieser. Im Licht seiner Helmlampe erinnerte er mit seinen Zacken an ein riesiges Mahlwerk. Erneut zögerte Michael. Es ist einfach zu gefährlich, ging es ihm durch den Kopf. Aber dann fiel sein Blick auf das weit entfernte, blasse, pulsierende Licht. Verdammt! Wahrscheinlich würde er sich bis ins hohe Alter grämen, wenn er dieser Sache jetzt nicht auf den Grund ging. Also gab er sich einen Ruck, atmete tief ein und quetschte sich vorsichtig seitwärts in den Spalt. Gefahr hin oder her, man mußte auch einmal etwas riskieren, wenn man Erfolg haben wollte. Mühsam quälte er sich Zentimeter für Zentimeter vorwärts, immer das seltsame Licht im Auge behaltend.

Nachdem er auf diese Weise die ersten Meter überwunden hatte, war er nahe daran, aufzugeben. Die staubige, abgestandene Luft reizte seine Lungen, und sein Körper schmerzte inzwischen von den diversen spitzen Gesteinsbrocken, die sich mit gnadenloser Gründlichkeit in seine Kleidung gebohrt hatten. Selbst im Gesicht hatte er sich einige schmerzhafte Schnitte zugezogen und wie es aussah, wurde der Spalt sogar noch enger. Verdammt, das war gar nicht gut! Warum mußte er immer nur in solche Situationen geraten? Ächzend zog er den Bauch ein, um so ein wenig mehr Bewegungsfreiheit zu erlangen und mußte dabei unwillkürlich an seine geschiedene Frau Myriam denken, die seine Begeisterung für die Erforschung längst vergangener Zeiten nie geteilt hatte. Ein Mann mit einem Bürojob wäre ihr lieber gewesen. Doch damit hätte Michael sich nie anfreunden können. Schon als Jugendlicher hatte er für längst vergangene Welten geschwärmt, was ihm letztlich zu dem werden ließ, was er heute war, einem Forscher auf den Spuren der Vergangenheit, der mit dreißig Jahren immer noch durch staubige Höhlen kroch, anstatt im Maßanzug am Schreibtisch zu sitzen. Seufzend verdrängte er jede aufkeimende Selbstkritik und machte sich daran, auch noch die letzten Meter zu überwinden.

Wie er es erwartet hatte, übertraf die vor ihm liegende Wegstrecke seine schlimmsten Befürchtungen. Es dauerte daher eine ihm endlos erscheinende Weile, bis er endlich das Ende des Spaltes, der in eine rund vierzig Quadratmeter große, kreisförmige Höhle mündete, erreichte. Mit einem erleichterten Seufzen streckte Michael seine verspannten Glieder. Aber die Anstrengungen waren sofort vergessen, als er die Ursache für das seltsame Licht ausfindig machte. Erstaunt stellte er fest, dass es von einem Stein in ovaler Form in der Größe eines Hühnereis ausging, der auf einer Art Altar lag, der wiederum exakt in der Mitte der Höhle stand. Im Licht der Helmlampe entdeckte Michael, dass die Wände der Höhle mit weiteren Zeichnungen bemalt waren. Allerdings stellten diese andere Motive dar, als die in der Kaverne. Aber am faszinierensten war mit Abstand der seltsame Stein auf dem Altar. Um die Sache näher in Augenschein zu nehmen, ging er vor seinem seltsamen Fund in die Knie und zog automatisch eine seiner Bürsten aus dem Gürtel. Behutsam befreite er seinen Fund von einer feinen Staubschicht. Nun kam seine Schönheit vollständig zur Geltung, und das pulsierende Strahlen wurde noch eine Spur intensiver. Anerkennend pfiff Michael durch die Zähne. Was auch immer er da entdeckt hatte, es sah wertvoll aus. Der Stein schien trotz seiner goldenen Farbe durchsichtig zu sein und wirkte mehr wie ein Edelstein. Doch das Seltsamste war das pulsierende goldene Licht in seinem Inneren. Michael konnte sich dies Phänomen beim besten Willen nicht erklären. Aber das machte die Angelegenheit gerade interessant. Seltsame, nicht zu erklärende Dinge waren sicher wertvoll. Grinsend stellte er sich vor, was Myriam wohl sagen würde, wenn sie sein Bild auf diversen Titelseiten unter der Überschrift "Paläanthropologe macht Millionenfund. Geheimnis der Rundköpfe endlich aufgeklärt" entdecken würde. Dann fiel ihm ein, dass dies nicht die einzige Entdeckung war, die er gemacht hatte. Aufgeregt erhob er sich und wandte sich nun den Zeichnungen zu, um sie einer gründlicheren Untersuchung zu unterziehen. Wie er bald bemerkte, stellten sie eine Erzählung dar. Die Geburt und den Untergang eines Volkes im ewigen Kreislauf des Lebens. Die Zeichnungen fesselten seine Aufmerksamkeit, insbesondere der Schluss der Geschichte. Wenn er die Zeichnungen richtig deutete, stand der Untergang oder das Verschwinden des Volkes in untrennbarem Zusammenhang mit diesem Stein. Aber wie war das möglich? Verwirrt ging Michael zurück zu seinem leuchtenden Fund und betrachtete ihn erneut. "Wie kannst du für den Untergang eines Volkes veranwortlich sein?", fragte er sich nachdenklich selbst und erschrak, denn kaum waren seine Worte verklungen, wechselte das goldene Pulsieren plötzlich zu einem tiefen, kalten Dunkelblau. Möglicherweise hatte er es hier mit Kräften zu tun, die seine Vorstellungskraft sprengten, und er war auf dem besten Weg, sich eine Menge Ärger einzuhandeln. Wie aufs Stichwort gesellte sich zu dem leuchtenden Blau nun ein tiefer, vibrierender Ton, der aus der Tiefe der Erde selbst zu kommen schien. Beunruhigt trat Michael ein paar Schritte zurück, bereit, die Flucht anzutreten, sollte sich eine ernst zu nehmende Gefahr abzeichnen. Zwar tat sich weder der Boden auf, um ihn zu verschlingen, noch drohte die Höhle einzustürzen, dafür erschien aber plötzlich unmittelbar vor dem Altar ein leuchtend blaues Rechteck in der Größe einer Tür. Die Oberfläche dieser seltsamen Erscheinung vibrierte leicht und vermittelte so den Eindruck, als sei der Inhalt dieser "Tür" flüssig, was allen Naturgesetzen widersprach. Mit einem Kribbeln im Nacken stellte Michael fest, dass der Stein nun in der Mitte dieser Lichterscheinung schwebte. Dies war mit Abstand das Seltsamste, was Michael im Laufe seines Lebens zu sehen bekommen hatte. Nach einem Augenblick ungläubigen Staunens hatte er sich wieder soweit gefasst, dass er nun mit der Akribie des Forschers an die Angelegenheit herangehen konnte und die Angst verdrängte. Zunächst umkreiste er die seltsame Erscheinung, die eine Tiefe von gerade einmal zehn Zentimeter aufwies, um sie sorgfältig aus jeder denkbaren Perspektive zu betrachten. Leider brachte ihn das keinen Schritt weiter. Er stand hier vor einem Rätsel, für das er im Moment einfach keine Erklärung hatte. Um sich ein genaueres Bild zu machen, mußte er die seltsame Erscheinung gründlicher auf ihre Substanz hin untersuchen, sie anfassen, abklopfen und vermessen. Vielleicht würde ihn das weiterbringen. Allerdings war ihm nicht ganz wohl bei der Vorstellung, diese unheimliche Erscheinung zu berühren. Sollte er wirklich weiter machen?
Nachdenklich betrachtete er die blaue, leuchtende Oberfläche, die selbst der starke Lichtstrahl seiner Helmlampe nicht zu durchdringen vermochte. Schließlich seufzte er und gab sich innerlich einen Ruck. Er konnte ja nicht ewig hier stehen bleiben und darauf hoffen, dass sich das Rätsel von selbst löste. Also näherte er sich vorsichtig dem unheimlichen Licht. Der Angstschweiß perlte ihm auf der Stirn und sein Herz hämmerte gegen seine Brust als er zögernd die Hand ausstreckte und die leuchtende, vibrierende Oberfläche berührte. Zu seiner grenzlosen Erleichterung erhielt er jedoch keinen tödlichen Stromschlag. Stattdessen spürte er lediglich ein leichtes Prickeln auf der Haut.
Trotzdem zog er seine Hand vorsichtshalber wieder zurück. Immerhin könnte das Licht ja eine schädliche Strahlung aufweisen, die man nicht gleich bemerkte. Eine kurze Inspektion ergab jedoch, dass seine Hand unversehrt war. Mutig geworden versenkte er nun erst seine rechte Hand und dann seinen halben Arm in dem blauen Licht. Nichts geschah. Einer inneren Eingebung folgend, warf er einen Blick auf die Rückseite des leuchtenden Rechtecks. Den Gesetzen der Logik zufolge hätte er dort eigentlich seine Hand entdecken müssen, die auf der rückwärtigen Seite die Oberfläche durchbrach. Aber das war nicht der Fall. Erschrocken zog Michael seinen Arm wieder zurück. Wie konnte das sein? Nachdenklich kratzte er sich das stoppelige Kinn, während er versuchte, hierfür eine Erklärung zu finden. Hatte er hier etwa den Übergang in eine andere Welt vor sich?  War dies der Grund für das Verschwinden eines ganzen Volkes? Wo würde er landen, sollte er dieses Tor durchschreiten?

Michael war hin und her gerissen, während er unschlüssig vor dem Tor auf und ab wanderte. Die Entscheidung fiel ihm alles andere als leicht, aber schließlich siegte die Neugier. Was könnte schon passieren, wenn er nur einen Schritt tat, sich nur einmal kurz umsah? Schließlich hatte er den Arm ja auch problemlos wieder herausziehen können? Einen Augenblick zögerte er noch, dann gab er sich einen Ruck und trat durch die seltsame Türöffnung und bereute es sofort. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, erlosch im selben Augenblick, in dem er durch das Tor trat, das Licht, und für Michael verschwammen Zeit und Raum. Vielleicht sollte man auch als Paläanthropologen nicht zu neugierig sein, war das letzte, was er dachte, bevor er das Bewußtsein verlor.
 

© Klaus-Peter Behrens
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