"Hilfe!"
Erschrocken öffnete Michael die Augen,
nur um sie sofort wieder zu schließen, als ihn grelles Sonnenlicht
blendete. Anscheinend hatte ein Rettungstrupp ihn befreit, und nun stach
ihm die Mittagssonne in die Augen.
"Verschwinde, du Ausgeburt des Teufels!"
Das klang eindeutig nicht nach Rettungstrupp.
Erneut öffnete Michael die Augen, um nach der Ursache des Hilferufs
Ausschau zu halten. Doch der Hilferuf war vergessen, als er seiner Umgebung
zum ersten Mal richtig gewahr wurde. Er lag mitten auf einer kleinen Lichtung,
die von dichten Laubbäumen umgeben war. In der Ferne ragten ein paar
gewaltige Berge auf, und irgendwo in der Nähe rauschte ein Bach. Das
Szenario war zauberhaft und hätte ihn unter anderen Umständen
sicherlich begeistert, wäre da nicht der Umstand gewesen, dass von
der Höhle, in der er sich eben noch befunden hatte, weit und breit
keine Spur zu entdecken war. Doch damit nicht genug. Die gesamte Umgebung
hatte eindeutig keinerlei Ähnlichkeit mit der öden Gebirgsregion
Nordafrikas, wo er zu seiner Höhlentour aufgebrochen war. Verwirrt
rieb Michael sich die Augen, doch das half auch nicht weiter. Beunruhigt
registrierte er, dass sein Gedächtnis eine Lücke aufwies. Er
konnte sich nur noch erinnern, dass er in dieser Höhle irgendetwas
entdeckt hatte, aber was? Und wie war er hierher gekommen? Unschlüssig
erhob er sich und streckte die steifen Glieder. Mit Bedauern stellte er
fest, dass er seinen guten alten Helm und einen Großteil seiner Bürsten
eingebüßt hatte, jedenfalls konnte er sie nirgends entdecken.
Stattdessen erspähte er einen Stein in der Form eines Hühnereis,
der harmlos zu seinen Füßen lag, und plötzlich kam ihm
die Erinnerung wieder. Offensichtlich hatte er tatsächlich den Weg
in eine andere Welt oder möglicherweise in einen anderen Teil der
Welt entdeckt. Das war faszinierend. Michael hob den Stein auf und betrachtete
ihn kritisch. Das Pulsieren hatte aufgehört. Vielleicht war die Batterie
leer. Michael schluckte, bedeutete das doch mit hoher Wahrscheinlichkeit,
dass er hier festsitzen würde, wo auch immer "hier" war. Doch zum
Grübeln blieb ihm keine Zeit, denn ein erneuter Schrei erinnerte ihn
daran, dass es zunächst vordringlichere Fragen zu klären galt.
Irgendjemand benötigte offenkundig ganz dringend Hilfe. Mit einem
Seufzen verschob er die Gedanken an eine Rückkehr oder die Frage,
wo er sich befand erst einmal auf später, verstaute den Stein in seiner
Hosentasche und rannte in die Richtung, aus der er den Schrei vernommen
hatte. Dichtes Geäst peitschte ihm ins Gesicht, während er sich
durch das Unterholz quälte, bis er plötzlich ohne Vorwarnung
das Dickicht hinter sich ließ und mitten ins Geschehen stolperte.
Der Wald wurde an dieser Stelle durch einen schlammigen Weg geteilt, auf
dem sich gerade ein junges Mädchen gegen einen Hünen von Mann
zur Wehr setzte.
"Hey, laß sie gefälligst in Ruhe",
rief Michael, der entschlossen den schlammigen Weg betrat. Mit einem Knurren
fuhr der Angesprochene daraufhin herum und entlockte Michael ein entsetztes
Keuchen. In dem kurzen Augenblick, in dem er den Angreifer von hinten gesehen
hatte, war er davon ausgegangen, einen Mann vor sich zu haben, wenn auch
einen kräftigen. Doch nun erkannte er seinen Irrtum, jedenfalls was
die Einordnung der Gattung anbelangte. Eines stand fest, einen Menschen
hatte er eindeutig nicht vor sich, womit sich die Anzahl der Möglichkeiten,
wo er gelandet war, eindeutig um die Position "irgendwo anders auf der
Erde" reduzierte. Einerseits war das zwar ganz interessant, zumal Michael
als Paläanthropologe sich gerne einmal näher mit dem gewaltigen
Schädel seines Gegenübers, der einen weit vorspringenden Unterkiefer
besaß, aus dem zwei gut zehn Zentimeter lange, dolchspitze Zähne
herausragten, beschäftigt hätte – allerdings erst ein paar tausend
Jahre nach dessen Ableben – andererseits sah es vorläufig aber eher
danach aus, als wenn die Kreatur sich demnächst um seinen Schädel
kümmern würde. Jedenfalls ließ die Behendigkeit, mit der
sein Gegenüber sein Schwert, das in einem breiten Ledergeflecht an
der Seite seines ansonsten nahezu unbekleideten, schuppigen Körpers
hing, zog und auf ihn zukam, Entsprechendes befürchten. Die Augen,
in denen ein rotes Feuer zu glühen schien, bestätigten seine
Vermutung. Für seine nächste Zukunft sah es alles andere als
rosig aus. Michaels Gedanken rasten. Was sollte er tun? Einen Kampf gegen
dieses Geschöpf schien aussichtslos, wenngleich ... "Du bist fällig",
grollte die Bestie. Mit einem Pfeifen fuhr ihr Schwert auf Michael herunter.
Der wartete bis zum letzten Augenblick. Dann drehte er sich blitzschnell
seitwärts nach links, nutzte den Schwung seines Gegners aus, um ihn
am Schwertarm zu greifen und nach vorne zu reißen, während er
gleichzeitig seine eigene Drehung verwendete, um seinen Unterarm mit aller
Kraft gegen das Ellenbogengelenk seines Gegners zu schlagen. Mit einem
Schmerzensschrei ließ das Ungeheuer daraufhin das Schwert fallen.
Sofort setzte Michael nach und trat seinem Angreifer zweimal in den Magen.
Dann ließ er sein Bein hoch in der Luft kreisen, um ihm mit der Ferse
mit vernichtender Wirkung gegen den Hinterkopf zu treten. Mit einem Grunzen
ging der Angreifer zu Boden. Erstaunt blickte Michael auf den gefällten
Unhold. "Das ging ja besser als erwartet", murmelte er, während er
sich im Stillen dazu beglückwünschte, dass er als Kind statt
in den Schach- in den Karateclub eingetreten war. Eine weibliche Stimme
ließ ihn herumfahren.
"Danke für die Rettung, aber jetzt müssen
wir hier weg."
"Warum, er ist erledigt. Sag mit lieber, was
hier los ist?", fragte er, während er die Gerettete näher in
Augenschein nahm. Was er sah, gefiel ihm. Selbst in dieser Situation war
ihre Schönheit nicht zu übersehen. Offensichtlich war ihr Michaels
Blick nicht entgangen, denn eine Röte überzog plötzlich
ihr Gesicht, während sie ihre beschmutzte, grüne eng anliegende
Kleidung glattstrich. Irgendwie erinnerte sie Michael an eine weibliche
Ausgabe von Robin Hood.
"Was hier los ist?", erwiderte sie schließlich
mit einer leichten Hysterie in der Stimme. "Du hast gerade einen Bolg getötet.
Wenn seine Kameraden uns erwischen, sterben wir unter schlimmsten Qualen."
"Der ist nur bewußtlos", wiegelte Michael
ab, während er dem Unhold zur Bestätigung kräftig in die
Seite trat, was diesem ein Grunzen entlockte, "aber was zum Henker sind
Bolgs und wo bin ich hier eigentlich gelandet? Vielleicht kannst du mir..."
"Still!" Mit einer energischen Handbewegung
brachte die Unbekannte ihn zum Schweigen. Aufmerksam musterte sie den Weg,
der sich rechts und links von ihnen im dichten Wald verlor, während
sie sich eine der langen, weißblonden Haarsträhnen hinter das
Ohr schob. Erstaunt stellte Michael fest, dass dieses spitz und lang war.
Das war faszinierend.
"Deine Ohren..."
"...hören gerade etwas höchst Unerfreuliches.
Wir bekommen Besuch", unterbrach die Spitzohrige ihn radikal. Michael lauschte
intensiv, konnte jedoch nichts hören. Nun ja, meine Ohren sind ja
auch kleiner als ihre, dachte er. Die Spitzohrige hatte inzwischen einen
Entschluss gefasst.
"Besser, wir verschwinden hier, solange noch
Zeit ist." Dann drehte sie sich um, rannte ohne auf eine Antwort
zu warten los und verschwand auf der gegenüberliegenden Seite im Wald.
Michael hingegen zögerte noch einen Augenblick. Sein Blick glitt zwischen
dem gefällten Unhold und dem düsteren Weg hin und her. Er wußte
nicht so recht, was er machen sollte. Dann konnte auch er plötzlich
vernehmen, was die Elbin zur Flucht veranlasst hatte. Das donnernde, bedrohliche
Stampfen von Hufen. Einer Menge Hufe. Vielleicht waren ja die Kollegen
dieses Unholds im Anmarsch, überlegte Michael, der bezweifelte, dass
sie über die Behandlung, die er ihrem Artgenossen hatte angedeihen
lassen, besonders entzückt wären. Diese Möglichkeit gab
den Ausschlag. "Ich wollte sie ohnehin noch etwas fragen", murmelte Michael
und sprintete der Spitzohrigen hinterher.
Doch obwohl er ein guter Läufer war, dauerte
es einen Augenblick, bis er sie eingeholt hatte, zumal seine Bergstiefel
nicht gerade das beste Rüstzeug für einen Sprint waren.
"Wie heißt du eigentlich?", brachte
er keuchend hervor, während er ihr schnaufend im Höchsttempo
hinterher rannte, offensichtlich einem Fluss entgegen, denn im Hintergrund
war deutlich ein beständig lauter werdendes Rauschen zu vernehmen.
"Monjya", kam es nach einem Augenblick zögernd
zurück, "vom Stamm der Waldelben aus Nebelwald. Und wer bist du?"
"Michael, aus den Reihen der zu neugierigen
Paläanthropologen", erwiderte er zynisch, während er wohl zum
hundertsten Mal überlegte, wo er bloß gelandet war. Das Ganze
wurde immer abenteuerlicher. Vielleicht wachte er ja plötzlich auf
und alles war nur ein Traum. Leider sah es danach vorläufig jedoch
nicht aus, dafür wirkte das Seitenstechen, das sich bei ihm unangenehm
einstellte, zu echt. Zum Glück rannten sie inzwischen einen abschüssigen
Hang hinunter, was nicht ganz so anstrengend war. Am Ende des Abhangs gewahrte
Michael den Fluss, den er die ganze Zeit über schon gehört hatte.
Doch damit tat sich ein neues Problem auf. Selbst durch die dichte Ufervegetation
konnte er erkennen, wie das Wasser wild schäumte und sich an diversen
Felsbrocken brach. Die Möglichkeit, ihn zu durchqueren und ihre Verfolger
abzuhängen, zerbarst wie die unzähligen Wassertröpfchen
an den spitzen Felsen im Fluss.
"Wie willst du denn da hinüber kommen?",
fragte Michael nervös, dem der Magen in die Knie sank bei der Aussicht,
sich in die reißenden Stromschnellen zu begeben. Ob mit oder ohne
Boot, würde dabei wahrscheinlich auf dasselbe Ergebnis hinauslaufen.
Sie würden jämmerlich ertrinken. Doch Monjya gab keine Antwort,
sondern wandte sich nach links und rannte nun im Höchsttempo am Uferrand
entlang. Intuitiv warf Michael einen Blick zurück und wurde augenblicklich
bleich. Auf der Anhöhe waren vier düstere Reiter erschienen,
die auf etwas ritten, das an eine Kreuzung zwischen einem Krokodil und
einem Leguan erinnerte.
"Verdammt, sie haben uns gleich", schrie er
der vorauseilenden Monjya hinterher, die inzwischen eine Wiese in der Größe
eines kleinen Fußballfeldes erreicht hatte und eine seltsam aussehende
Flöte aus der Tasche zog. Als sie darauf blies, konnte Michael keinen
Ton vernehmen. Er vermutete Ultraschall. Wie ihnen das helfen sollte, war
ihm schleierhaft.
"Was soll das? Wir haben keine Zeit zu verlieren,
die können jede Sekunde hier sein", redete er hektisch auf die aufmerksam
den Himmel beobachtende Elbin ein, als plötzlich für einen Augenblick
ein Schatten die Sonne verdunkelte. Irritiert warf Michael einen Blick
in den Himmel und erbleichte erneut. Über ihnen kreiste ein gigantisches
Geschöpf, das Michael an die Zeichnungen von Flugsauriern erinnerte,
und dieses Ungeheuer setzte nun zur Landung an. Womit hatte er das nur
verdient? "Weg hier", brüllte er und versuchte, Monjya fortzuziehen.
Doch die widersetzte sich ihm.
"Bei Gelegenheit mußt du mir unbedingt
einmal erzählen, wo du herkommst. Eigentlich weiß jeder, dass
die Elben des Nebelwaldes Drachenreiter sind." Ein leicht überhebliches
Grinsen erschien auf ihrem Gesicht als sie Michaels verdutztes Mienenspiel
sah. Der wollte gerade eine passende Erwiderung anbringen, als Monjyas
Grinsen schlagartig erlosch. Die Ursache hierfür war nicht zu übersehen.
Am anderen Ende der Wiese waren ihre Verfolger erschienen. Während
sie in perfekter Choreografie ihre Schwerter zogen, sah sich Michael verzweifelt
nach einem Ausweg um. Es gab keinen. Diesmal waren sie endgültig erledigt.
Sie hatten einfach zu lange gezögert. Michael schluckte. Hätte
er doch wenigstens das Schwert seines Angreifers mitgenommen. Doch stattdessen
verfügte er nur über die verbliebenen Bürsten an seinem
Gürtel, und die würden ihm kaum weiterhelfen. Nervös wandte
er sich ihren Verfolgern zu, die ihren Reittieren, denen der Geifer aus
den geöffneten, mit spitzen Zähnen versehenen Kiefern troff,
in diesem Moment in die Seite traten und los stürmten. Wenn es ihm
wenigstens gelingen würde, einen aus dem Sattel zu zerren und ihm
die Waffe abzunehmen, hatten sie vielleicht eine kleine Chance. Wie er
das allerdings anstellen sollte, wußte er nicht, und Zeit darüber
nachzudenken, hatte er auch nicht, denn die Entfernung zwischen den ungleichen
Gegnern verringerte sich rasant. Zu Michaels Überraschung hielt Monjya
plötzlich einen Bogen in der Hand. Die Elbin schien immer wieder für
eine Überraschung gut zu sein. Während Michael noch das
Sirren der Bogensehne in den Ohren klang, hatte Monjya bereits zwei der
Reiter aus dem Sattel geholt. Doch für einen weiteren Pfeil blieb
keine Zeit, denn schon waren die verbliebenen Angreifer heran. Mit einem
Hechtsprung zur Seite brachte sich die Elbin in Sicherheit. Michael hatte
weniger Glück. Nur um Haaresbreite entging er einem tödlichen
Schwerthieb als er versuchte, einen ihrer Angreifer aus dem Sattel zu zerren.
Zum Glück trug der Schwung des Angriffs Michaels Gegner jedoch so
schnell an ihm vorbei, dass dieser keinen weiteren Schwerthieb anbringen
konnte. Brutal rissen die Angreifer daraufhin ihre Tiere herum und sprengten
erneut los. Diesmal nahmen sie ihre Opfer von zwei Seiten in die Zange.
Ein Ausweichen war so schwierig, wenn nicht unmöglich. Während
Michael hektisch nach einem Ausweg suchte und Monjya mit fliegenden Fingern
einen Pfeil auf die Sehne legte, erklang plötzlich ein gewaltiges
Rauschen, als der Drache über sie hinweg glitt und mit einem einzigen
Flügelschlag einen der Angreifer von seinem Reittier beförderte.
Michael jubelte begeistert. Den Drachen hatte er völlig vergessen.
Doch die Gefahr war noch nicht gebannt. Zwar hatte das Reittier des zweiten
Angreifers beim Anblick des angreifenden Drachens gescheut und ihnen so
ein paar wertvolle Sekunden geschenkt, doch der Angreifer hatte sein Tier
schnell wieder in der Gewalt und jagte nun erneut im Höchsttempo auf
sie zu. Doch die paar Sekunden Verzögerung hatten Monjya genügt.
Mit einem gezielten Schuß ins rechte Auge beförderte sie den
Angreifer in eine bessere Welt. Das Reittier, nunmehr seines Herren beraubt
und angesichts des Drachens, der über ihren Köpfen kreiste hochgradig
nervös, flüchtete wie seine Vorgänger ins Unterholz. Im
selben Moment griff der gewaltige Drache den verbliebenen Gegner an, der
sein Reittier gerade noch an der Flucht hatte hindern können und sich
nun wieder auf dessen Rücken schwang. Doch das hätte er lieber
bleiben lassen. Mit der Schnelligkeit und Präzision einer Viper pickte
der Drache ihn so schnell aus dem Sattel, dass dieser noch nicht einmal
dazu kam, einen Angstschrei auszustoßen. Dann war es vorbei. Während
der Drache eine elegante Schleife flog, um auf der Wiese zu landen und
dabei die Überreste des Bolg hinunter schlang, fragte sich Michael
beim Anblick des ebenfalls ins Unterholz flüchtenden letzten Reittiers,
ob er ihm nicht lieber folgen sollte. Immerhin sprach eine gewisse Wahrscheinlichkeit
dafür, dass der Drache für ihn eine Gefahr darstellte. Doch für
eine Flucht war es ohnehin zu spät, denn der Drache setzte gerade
keine zehn Meter entfernt zur Landung an. Selbst auf diese Entfernung warf
Michael der Luftdruck der gewaltigen Flügel beinahe um. Fasziniert,
aber auch stark beunruhigt beobachtete er, wie der Drache die riesigen
Flügel elegant zusammenfaltete und dann auf zwei massiven Beinen aufrecht
gehend auf sie zu kam. Die roten Augen, mit denen er Michael fixierte,
hatten etwas Hypnotisches. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los,
dass der Drache ihn gerade als Nachtisch auf die Speisekarte gesetzt hatte.
Vielleicht hatte der Bolg ihn auf den Geschmack gebracht.
"Du brauchst keine Angst zu haben", beruhigte
Monjya ihn, die offensichtlich seine Gedanken erriet. "Ich sage ihm, dass
du ein Freund bist."
"Prima Idee", erwiderte Michael trocken, "sag
ihm aber bitte auch, dass ich nicht schmecke und Sodbrennen verursache.
Das kann nicht schaden."
Grinsend wandte sich die Elbin daraufhin an
den Drachen und sprach ihn in einer Sprache an, die Michael nicht verstand.
Der Drache lauschte aufmerksam, legte den Kopf jedoch zweimal mißtrauisch
auf die Seite, während er Michael auf eine Weise fixierte, die diesen
blass werden ließ, doch wenigstens blieb er einstweilen stehen. Als
Monjya Michael schließlich mitteilte, dass alles in Ordnung sei,
atmete er erleichtert auf. "Er wird uns nach Nebelwald bringen", informierte
sie ihn, "es sei denn, du hast etwas Besseres vor."
Nachdenklich betastete Michael den Stein in
seiner Tasche, dann schüttelte er den Kopf. Wann hatte man schließlich
als Paläanthropologe schon mal die Gelegenheit, auf einem echten Flugsaurier
zu reiten? Auch wenn der vielleicht ein wenig hungrig war. "Auf nach Nebelwald",
sagte er, alle Bedenken ignorierend.
Der Flug ließ sich mit nichts vergleichen,
was Michael jemals erlebt hatte. Zu Anfang war er noch überzeugt gewesen,
dass ihn jeder Paläanthropologe auf der Welt um dieses Erlebnis beneiden
würde, doch mittlerweile war er da nicht mehr ganz so sicher. Auf
dem Rücken des Drachens war immerhin nur ein Sattel befestigt, so
dass Michael kaum Halt hatte und mehr als ein halbes Dutzend mal beinahe
hinunter gefallen wäre. Das trübte das Vergnügen ein wenig.
Dankbar atmete er daher auf, als ihr Ziel endlich in Sicht kam. Auch ohne
die erklärenden Worte Monjyas hätte Michael den Wald erkannt.
So weit er blicken konnte, wurde er von einem dichten, an klebrige Watte
erinnernden Nebel eingehüllt. Aus der Mitte ragte ein Berg mit
einer abgeflachten Spitze auf, die der Drache nun ansteuerte. Offenkundig
wurden sie schon erwartet, denn nach der erstaunlich sanften Landung fand
sich Michael kurze Zeit später im Waldpalast des Elbenkönigs
wieder, dem Monjya in farbenfroher Schilderung ihre Geschichte erzählte.
Michael erfuhr, dass sie als Späher unterwegs gewesen und von dem
Bolg überwältigt worden war, als ihr Drache auf der Jagd gewesen
war. Als sie von dem mutigen Eingreifen Michaels berichtete, erntete der
bewundernde Blicke. Schließlich kam sie zum Schluss ihres Berichtes,
der weniger Begeisterung hervor rief.
"Dann wird es nur noch eine Frage der Zeit
sein, bis sie auch noch den Silberfluss überqueren und auf Nebelwald
zu marschieren", flüsterte der Elbenkönig schockiert.
"Ich fürchte ja. Sie erobern und unterdrücken
eine Provinz nach der anderen", erwiderte Monjya.
"Wer sind diese Bolg eigentlich?", fragte
Michael neugierig. Die Waldelben sahen ihn erstaunt an.
"Du weißt nicht, wer die Bolg sind?",
fragte der Waldelbenkönig irritiert. Michael schüttelte den Kopf.
"Ich komme von weit her."
"Scheint so", kommentierte der Waldelbenkönig
in leicht zynischem Tonfall. "Also schön, informiert ihn, immerhin
hat er eine der unseren gerettet." Dann machte er eine auffordernde Handbewegung,
worauf ein älterer Waldelb in einem braunen Umhang vortrat, der sich
bisher im Hintergrund gehalten hatte.
"Wogar, unser Seher", erläuterte Monjya,
als sie den fragenden Blick Michaels registrierte.
"Nun", hub Wogar an, "vor langer Zeit erschienen
die Bolg eines Tages aus dem Nichts, wie durch Zauberei. Sie besetzten
Urgas Ville, die alte Feste im Norden, und traten von dort ihren Eroberungsfeldzug
an. Nach und nach fielen die umliegenden Länder unter ihrer Gewaltherrschaft
und wurden ausgebeutet. Viele haben sich tapfer gewehrt, doch keinem hat
es etwas genützt. Ihre Feste ist uneinnehmbar und es gibt nur wenige,
die jemals tief in sie eindrangen und wieder herauskamen, um darüber
zu erzählen. Den spärlichen Berichten nach zu urteilen, beziehen
die Bolg ihre Kräfte und ihren Nachschub über einen riesigen,
magischen Obelisken, der von einem inneren Feuer gespeist wird und ihnen
das Tor zu ihrer Welt offen hält. Dank dieses Zaubers verfügen
sie über unbegrenzten Nachschub an Waffen und Kämpfern und bringen
so Zerstörung und Plünderung über das Land. Es ist nur eine
Frage der Zeit, bis sie auch Nebelwald unterjochen werden."
"Und es gibt nichts, was man dagegen tun könnte?",
fragte Michael.
"Man müßte ihre Quelle zerstören,
doch dafür bedarf es eines Gegengewichts, eines Schlüssels zu
einer konträren Welt. Bringt man beide zusammen, würde die Wechselwirkung
zur vollständigen Zerstörung beider Zauber und damit zur Vernichtung
des Tors führen. Abgeschnitten von ihrem Nachschub, würden sich
die Bolg dann nicht lange halten können. Das Feuer des Widerstands
würde sich neu entzünden, und die Bolg sähen sich plötzlich
einer Übermacht von Widersachern gegenüber, die sich bisher nur
aufgrund der unbegrenzten Kampfreserven ihrer Feinde, diesen unterworfen
haben." Wogar, dessen Stimme während seiner Erzählung beständig
an Lautstärke und Dramatik gewonnen hatte, hob nun theatralisch die
Hände, während er fortfuhr. "Der Legende nach, wird eines Tages
ein Unbekannter aus einer anderen Welt erscheinen und diese Plage von uns
nehmen, denn er wird den Stein der Vernichtung mit sich führen." Die
Hände sanken wieder hinab und Wogar seufzte resigniert. "Doch vermutlich
sind das nur Mythen, und wir sind verloren", schloß er seinen Vortrag.
Während im Saal bedrücktes Schweigen herrschte, betastete Michael
nachdenklich den Stein in seiner Tasche, dann traf er eine Entscheidung.
"Nun", sagte er bedächtig und nahm den
Stein aus der Tasche, "in jeder Legende liegt bekanntlich ein kleines Stück
Wahrheit." Dann drückte er dem verblüfften Wogar den Stein in
die Hand, dessen Licht zum ersten Mal wieder aufflackerte, als wüßte
er, was man von ihm erwartete. "Sieht so aus, als gäbe es einen Job
zu erledigen."
© Klaus-Peter
Behrens
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bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
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