Nepumuk und Argon von Birgit Sommerkamp
Das Namensfest

In jenen Tagen war es üblich, dass der oberste Drachenrat den Namen für einen frisch geschlüpften Jungdrachen auswählte. Daher wurde dieser kurz nach dem Schlüpfen der Obhut des Rates übergeben. Sechs Monate später wurde dann die Aufnahme des Jungdrachen in die Drachengemeinschaft gefeiert. Während dieses Festes gab der Drachenrat in einer feierlichen Zeremonie den Namen bekannt. Dieser Ritus galt auch für Dragons Sohn. Schweren Herzens hatte Faflar ihn zur Ratshöhle gebracht. Dort nahm ihn der Älteste des Drachenrates in Empfang. Gneip schaute nicht gerade wohlwollend auf das kleine Bündel. Ein rosa Drache, der dazu nur Rauch durch die Nüstern speien konnte, was wollte man mit so etwas anfangen. Nun gut, man würde sehen. Der Drachenrat würde den Kleinen die kommenden Monate beobachten und dann einen Namen für ihn auswählen. Auf Gneips Anweisung versammelte sich der Drachenrat, um Dragons Sohn zu begutachten. Gemäß den alten Regeln studierte man aufmerksam sein Verhalten in bestimmten Situationen, er wurde gemessen und gewogen, man untersuchte seine Rauchrülpser auf Flammenspuren und verglich ihn mit Dragons und Faflars Vorfahren. Der Kleine setzte alles daran, seinen Prüfern die Angelegenheit so schwer wie möglich zu machen. Da ihn seine Flügel noch nicht trugen, benutzte er seinen Spiralschwanz wie eine Sprungfeder und hüpfte damit durch die Höhlen, um sich vor ihnen zu verstecken. Die sorgsam gehüteten Drachenchroniken brachte er innerhalb kürzester Zeit völlig durcheinander oder knabberte sie an, das Maßband fraß er komplett auf. Er machte sich einen Spaß daraus, seine Rauchwölkchen auch durch andere Körperöffnungen entweichen zu lassen, was seine Prüfer schier zur Verzweiflung brachte. Wenn diese Winde wenigstens noch den Geruch nach Schwefel gehabt hätten, aber weit gefehlt, er verbreitete einen intensiven Duft nach Veilchen, für jeden Drachen ein absolut unerträglicher Geruch. Es würde entschieden zu weit führen, hier alle seine Unarten aufzuführen.

Doch schließlich hatte der Drachenrat alle Ergebnisse zusammen, es folgte eine lange und heftige Debatte. Fest stand, dass unser Jungdrache nicht gerade gut dabei wegkam. Im Gegenteil, das Urteil war niederschmetternd. Dem Rat war es einfach unmöglich, ihm einen Namen aus dem anerkannten Namensregister für Drachen zuzuteilen und was noch viel schlimmer war, sie waren einstimmig der Meinung, dass Dragons Sohn niemals Anführer werden durfte. Es gab nicht ein Ratsmitglied, das nicht irgend etwas zu bemängeln hatte. Nichtsnutzig, mickrig, ungeraten, eigensinnig und vieles mehr, so wurde Dragons Sohn betitelt. Gneip seufzte tief. Was sollte er nur tun. Dragon bereitete bereits das Namensfest vor, in wenigen Tagen würden sie den Namen bekannt geben müssen. Ein Ratsmitglied schlug vor, ihn doch "Fafgon" oder "Draglar" zu nennen. Also jeweils eine Silbe aus dem Namen des Vaters und Mutter zu nehmen, damit konnte sich aber keiner so recht anfreunden. Doch gerade diese Vorgehensweise, aus einzelnen Silben verschiedener Namen einen neuen zu bilden, brachte Gneip auf eine Idee. "Wir werden ihn Nepumuk nennen", erklärte Gneip in einem Ton, der Widerspruch von vornherein ausschloss. Als er in die fragenden Gesichter der anderen blickte, sah er ein, dass er eine Erklärung abgeben musste. "Ihr habt selbst gesagt, dass wir ihm keinen der guten, alten Drachennamen geben können. Ihr habt mir so viele Eigenschaften genannt, dass ich einfach die entsprechenden Anfangsbuchstaben zusammengefügt habe. Ich kann doch Dragon unmöglich als Namen für seinen Sohn "nichtsnutziger, eigensinniger, penetrant übelriechender, mickriger, ungeratener Kerl" nennen. Ja, ich weiß, dann müsste es Nepümuk heißen, aber ein wenig dichterische Freiheit darf doch erlaubt sein." Der gesamte Drachenrat brach zunächst in brüllendes Gelächter aus. Doch nach und nach verstummten sie. Wie würde Dragon wohl auf diesen für Drachen völlig untypischen Namen reagieren. Sie beneideten Gneip nicht im Geringsten um seine Aufgabe, den Namen bekannt geben zu müssen, nein wirklich nicht. Dieser zog sich nach diesem Ratsschluss in seine eigene Höhle zurück. Auch ihm war nicht gerade wohl, wenn er an die Zeremonie der Namensgebung dachte. Die restliche Zeit wollte er in absoluter Abgeschiedenheit verbringen, um sich sehr intensiv vorzubereiten.

Der Tag des Namensfestes war gekommen. Wieder war die große Versammlungshöhle bis auf den letzten Platz gefüllt. Obwohl man nach dem großen Schlüpfen so enttäuscht war, wollte sich keiner diese Zeremonie entgehen lassen. Man munkelte, dass der Drachenrat etwas sehr Ungewöhnliches beschlossen hatte. Erwartungsvoll spähten alle auf den Verbindungsgang durch den der Drachenrat eintreten würde. Normalerweise war der Ablauf der Zeremonie seit Urzeiten der Gleiche.

Zuerst würden die Ratmitglieder in einer langen Prozession die Versammlungshalle betreten und sich dann mittels einer sorgfältig einstudierten Choreographie zu beiden Seiten des Mittelganges aufstellen. Danach würde als Letzter der Ratsälteste erscheinen. Ihm gebührte die Ehre, den Jungdrachen zu tragen und ihn seinem Vater zu übergeben.

Normalerweise! Doch diesmal sollte es anders kommen. Nepumuk dachte gar nicht daran, sich tragen zu lassen. In einer Schlangenlinie hüpfte er auf seinem Schwanz durch die Reihe der Ratsmitglieder, die prompt ihre komplizierten Schritte vergaßen, stolperten und übereinander fielen. Er steuerte auf seinen Vater zu, überlegte es sich dann aber doch anders und hüpfte zu seiner Mutter. Gneip vergaß seine Würde und hastete hinter Nepumuk her, um zu retten, was zu retten war. Nepumuk hockte auf dem Schoß seiner Mutter, wackelte aufgeregt mit den kleinen Stummelflügeln und duftete nach Veilchen. Das von ihm verursachte Chaos beachtete er kaum.

Nachdem Gneip wieder zu Atem gekommen war und die Ratsmitglieder endlich ihre vorgeschriebenen Positionen eingenommen hatten, räusperte er sich und begann mit seiner sorgfältig vorbereiteten Rede.

"Höre, oh weiser Dragon. Wir, der Drachenrat, überbringen dir deinen Sohn. Wir haben ihn den vorgeschriebenen Prüfungen unterzogen und sind zu folgender Entscheidung gekommen. Dein Sohn ist ein ähm ausgesprochen ungewöhnlicher Drache, der Seinesgleichen sucht und deshalb wollten wir ihm auch einen ähm ungewöhnlichen Namen geben. Wir haben in den Drachenchroniken keinen Namen für ihn finden können, der seiner außergewöhnlichen Art gerecht würde. Während meiner Meditation wurde mir dann der Name deines Sohnes offenbart. Dieser Name ist einzigartig, genau wie dein Sohn. Wir werden ihn auch nicht in die Namensregister aufnehmen, um seine Einzigartigkeit hervorzuheben." Wenn Drachen beim Lügen hätten rot werden können, so wäre Gneip bei dieser Rede purpurn angelaufen. Dragon war sehr klug, würde er den Schwindel durchschauen? Forschend schaute Gneip Dragon an. Nein, mit keiner Miene verriet Dragon seine Gedanken. "Vernehmt also den Spruch des Drachenrates. Der Sohn und Erbe Dragons und Faflars soll von nun an auf den Namen....." Genau diesen Moment suchte sich Nepumuk aus, um sein neuestes Kunststück vorzuführen. Wie ein aufgeblasener Luftballon, den man vergessen hatte zuzuknoten, sauste er dicht über den Köpfen der versammelten Drachen hin und her, eine extrem nach Veilchen riechende Rauchwolke ausstoßend, die sich nach und nach immer mehr zu verdichten schien. Hustend und keuchend drängten die Festgäste den Ausgängen entgegen, um diesem üblen Geruch zu entfliehen. ".....NEPUMUK hören!" erklang die donnernde Stimme Gneips durch den Tumult, bevor auch er schleunigst das Weite suchte.
 

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Und gleich weiter zum 3. Kapitel...: Nepumuks Jugend

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