Nepumuk und Argon von Birgit Sommerkamp
Nepumuks Jugend

Dragon hatte sich direkt nach dieser verkorksten Feier auf sein Plateau zurückgezogen. Nepumuk!! Ha!!! War Gneip wirklich so von sich eingenommen, dass er dachte, Dragon würde ihm diese plumpe Lüge abkaufen? Nicht genug damit, dass er nicht den Nachwuchs bekommen hatte, den er sich gewünscht hatte, oh nein, man wagte es sogar noch, ihn in aller Öffentlichkeit anzulügen und seinem Sohn einen Namen zu geben, nicht nur diesen, sondern auch ihn und Faflar der Lächerlichkeit preisgab. Er war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht merkte, wie seine Gemahlin durch die schmale Passage trat und sich neben ihm niederließ. Nepumuk hopste ausgelassen hinter ihr her.

Eine Zeitlang beobachtete sie ihren Gatten, doch dann musste sie ihn einfach ansprechen. "Dragon, nimm es doch nicht so schwer. Sieh nur, wie lebhaft unser Sohn ist. Er wird es sicherlich noch sehr weit bringen in seinem Leben. Unter deiner Anleitung wird er ein weiser und gerechter Anführer werden." Dragon drehte sich zu Faflar um und brummte: "Schöner Anführer, mit diesem Namen." "Das kommt ganz darauf an," meinte Faflar grübelnd, "Nepumuks Kapriole hatte zumindest etwas Gutes. Eigentlich hätte Gneip bei einem derart ungewöhnlichen Namen eine Deutung hinzufügen müssen. Dein Sohn hat das verhindert. Vielleicht gelingt es uns ja, dem Namen eine positive Bedeutung zuzuordnen. Weißt du noch, wie wir uns früher einen Spaß daraus gemacht haben, aus den einzelnen Buchstaben eines Namens Sätze zu gestalten?" "Das ist es." Dragon war sofort bei der Sache. Sollte das der Ausweg sein, den er bis jetzt vergeblich gesucht hatte? "Lass uns überlegen, N E P U M U K, hmmmmm, N wie....."

Lange Zeit hörte man von ihm nur ein leises Gemurmel. Faflar blickte besorgt auf ihren Gemahl, dessen rotgoldene Schuppen vor Anstrengung glühten. "Was hältst du davon?" brach er schließlich das Schweigen. "Nachkomme eines prachtvollen und mächtigen uralten Kriegergeschlechts." "Das klingt nicht schlecht", meinte auch Faflar. "Ich hoffe, dass es unser Sohn mit dieser Namensdeutung im Leben einfacher haben wird. Du solltest sie bei der nächsten Gelegenheit öffentlich bekannt geben. Lass dir etwas einfallen." Mit diesen Worten verließ Faflar ihren Gatten, der schon wieder nachdenklich in den funkelnden Nachthimmel blickte. Nepumuk folgte diesmal nicht wie üblich seiner Mutter, sondern blieb neben seinem Vater hocken. Auch er schaute lange zu den Sternen empor, bevor er aus Langeweile anfing, an den Schwanzschuppen seines Vaters zu zupfen. Unwillig wandte Dragon den mächtigen Kopf zu seinem Sohn um und grollte ihn wütend an, er solle endlich verschwinden. Vor Schreck machte Nepumuk einen Satz in Richtung Passage und kugelte weiter bis vor den Eingang zu Faflars Höhle. Leise wimmernd suchte er bei ihr Schutz und Faflar nahm sich vor, mit ihrem Mann noch ein ernstes Wörtchen zu reden. Es konnte nicht angehen, dass er seine üble Laune an seinem Sohn ausließ.

Einige Tage später, als der Drachenrat eines seiner regelmäßigen Treffen hatte, beschloss Dragon, die Namensdeutung bekannt zu geben. "Edler Drachenrat, in den vergangenen Nächten erschien mir des Öfteren mein Ururgroßvater im Traum, um mir etwas über meinen Sohn mitzuteilen." Gneip schaute überrascht Dragon an. Was sollte das nun wieder? Was plante Dragon?

"Ja, er meinte, der Drachenrat hat gut daran getan, ihm einen derart ungewöhnlichen Namen zu geben." Bei diesen Worten blickte Dragon den Ratsältesten so durchdringend an, dass sich Gneip am liebsten in einem Rauchwölkchen aufgelöst hätte. Dragon hatte ihn also bei der Feier zur Namensgebung durchschaut und jetzt versuchte er Rache zu nehmen. "Nur kritisierte er, dass der Rat nicht auch die Bedeutung des Namens bekannt gegeben hat. Das möchte ich jetzt nachholen." In der großen Ratshalle hätte man das Fallen einer Stecknadel hören können. Dann ertönte erneut Dragons mächtige, dunkle Stimme. Hatte der Spruch schon unter freiem Himmel einen guten Klang gehabt, so wirkte er innerhalb der glitzernden Kristallwände der Halle noch viel besser und gewaltiger. Dragon schaute sich zufrieden um. Leider wusste Dragon nicht, dass der Name Nepumuk auf einem ähnlichen Wortspiel des Drachenrates basierte, sonst hätte er diese Ansprache wohl nie gehalten.

Kaum hatte er den Satz zuende gesprochen, erklang auch schon ein brüllendes Gelächter. Gneip fasste sich als Erster. "Oh Dragon, damit hast du deinem Sohn keinen Gefallen getan. So eine hochtrabende Erklärung für seinen Namen passt doch nun wirklich nicht. Hast du immer noch nicht begriffen, dass dein Sohn niemals in deine Fußstapfen treten kann? Es gibt für dich nur zwei Alternativen. Entweder Faflar schenkt dir noch einen Sohn oder du wirst deinen Nachfolger unter den ranghöchsten Drachen deines Volkes auswählen müssen. Du hast bis zum nächsten Mondwechsel Zeit, eine Entscheidung zu treffen."

Damit verließ der Rat die Höhle und ließ einen völlig deprimierten Dragon zurück. Ein uraltes Drachengesetz verbot allen Anführern mehr als einen männlichen Nachkommen, nur wenn der Sohn eines Anführers zu schwach oder ungeeignet war, das Erbe seines Vaters anzutreten, konnte der Drachenrat darauf bestehen, dass ein weiterer Sohn gezeugt wurde. Der Schwächling allerdings musste ausgesetzt oder umgebracht werden, so verlangte es das Gesetz. In seinem Fall würde ein weiterer Sohn das Todesurteil für Nepumuk bedeuten. Auch wenn Dragon seinen Sohn nicht übermäßig liebte, so ließ ihn allein der Gedanke daran, dass er ihn töten müsste, erschaudern. Während der ganzen Zeit, in der Dragons Familie die Anführer stellte, war dieses Gesetz noch nie angewendet worden. Also würde Dragon nichts anderes übrig bleiben, als seinen Nachfolger aus den Reihen seiner Untertanen zu wählen. Schweren Herzens suchte er Faflar auf, um ihr zu erzählen, was vorgefallen war.

Faflar hörte sich ruhig Dragons Ausführungen an. "Bis jemand deine Nachfolge antreten wird, vergeht doch noch so viel Zeit. Ich glaube fest daran, dass Nepumuk uns allen noch beweisen wird, dass er sehr wohl zum Anführer geboren ist. Der Rat wird das auch eines Tages einsehen und dann wird sich alles zum Guten wenden, glaub mir", versuchte Faflar ihren Gemahl zu trösten.

Also gab Dragon schweren Herzens beim nächsten Mondwechsel seine Entscheidung bekannt, dass nach ihm Grex, der Sohn seines Stellvertreters Artrex, Anführer der Felsendrachen werden sollte.

In den nächsten Jahren wuchs Nepumuk heran wie andere Jungdrachen auch. Sein rosa Schuppenkleid wurde langsam immer dunkler und nahm schließlich eine intensive lila Färbung an, die weichen Schuppen auf seinem Bauch färbten sich blassgelb. Auch sein spiralförmiger Schwanz streckte sich allmählich und an dessen Spitze saß eine lanzenförmige, silbern schimmernde Hornschuppe. Seine Stummelflügel entwickelten sich zu großen transparenten Libellenflügeln, die in allen Farben des Regenbogens schillerten. Mit ihnen konnte er sich völlig lautlos in den Lüften bewegen. Nur die Sache mit dem Feuerspeien wollte ihm nicht so recht gelingen. Er konnte zwar mittlerweile recht imposante Rauchwolken erzeugen, die, im Gegensatz zu denen, die er kurz nach seiner Geburt ausgestoßen hatte, nicht nach Veilchen sondern eher schweflig rochen, aber zu Flammen reichte es leider nicht. Somit war er von vornherein von vielen Spielen seiner Altersgenossen ausgeschlossen. Nepumuk störte sich daran allerdings wenig, er begleitete ohnehin viel lieber seinen Vater zu dessen Lieblingsplatz auf dem Hochplateau oder stöberte in den alten Drachenchroniken. Dragon hatte mittlerweile seine Abneigung gegen seinen Sohn überwunden, ja er war sogar ein wenig stolz auf Nepumuk, der sich zu einem umsichtigen und intelligenten Drachen gemausert hatte. Unermüdlich fragte er seinen Vater nach Besonderheiten im Lauf der Gestirne, er kannte alle Sternbilder, wusste in den Wolken zu lesen und spürte Witterungsänderungen sogar noch früher als sein Vater. Er brachte allen den ihnen gebührenden Respekt entgegen und ganz langsam wurde Nepumuk zu einem anerkannten Mitglied der Drachengemeinschaft.
 

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Und gleich weiter zum 4. Kapitel...: Im Wald der Einhörner

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