Nepumuk und Argon von Birgit Sommerkamp |
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Kurze Zeit nachdem die Einhörner aufgebrochen waren, geschahen auch bei den Felsendrachen merkwürdige Dinge. Bei Einigen von ihnen verblassten die Farben, dann wurden ihre Schuppen durchscheinend wie Glas und schließlich lösten sie sich in einem kleinen Rauchwölkchen auf. Voller Entsetzen rief Dragon den Drachenrat zusammen. Was dann allerdings Gneip in dieser Runde berichtete, raubte allen den Atem. Konnte es wirklich sein, dass ihre Existenz davon abhängig war, dass die Menschen an sie glaubten? Sie sollten ihre Höhlen verlassen und diesen Garten der Phantasie suchen? Und überhaupt, wer sollte sich wo mit wem vereinen? Als Gneip ihnen geduldig erklärte, dass sie ihre alte Fehde mit den Einhörnern beenden sollten, brach ein Tumult los. "Warum denn?" fragte Dragon. "Weil wir nur gemeinsam mit ihnen den Garten finden werden", lautete Gneips Antwort. "Das glaube ich nicht", erwiderte Dragon. "Wir werden uns so schnell wie möglich auf den Weg machen. Gneip, kannst du uns wenigstens einen Anhaltspunkt geben, wo wir mit unserer Suche anfangen sollten?" "Ich bin mir nicht sicher, Dragon, aber es könnte sich bei dem Boten, von dem die Rede ist, um ein Sternbild handeln. Hier auf der Erde vergeuden wir nur unsere Zeit. Wir vom Drachenrat haben uns schon seit einiger Zeit auf einen möglichen Aufbruch vorbereitet. Die Drachenchroniken sind bereits verpackt. Bestimme du den Zeitpunkt unseres Aufbruchs." "Gut, schickt Herolde aus und lasst verkünden, dass wir beim nächsten Vollmond aufbrechen werden. Die Starken sollen die Schwachen und Alten stützen. Wir werden niemanden zurücklassen." Mit diesen Worten schloss Dragon die Ratssitzung und strebte der Höhle seiner Gemahlin zu. Faflar empfing ihn ungeduldig. Die Nachricht vom Aufbruch des Drachenvolkes hatte sich bereits bis zu ihr herumgesprochen. "Was wird aus Nepumuk!" fragte sie statt jeder Begrüßung. Dragon sah sie überrascht an. An seinen Sohn hatte er gar nicht mehr gedacht. Vor gut sechs Mondwechseln hatte Dragon ihn in die Flammenwüste jenseits der Berge geschickt. Die dort lebenden Feuerdrachen wollten versuchen, Dragons Sohn von seinem chronischen Leiden des Nicht–Feuerspeiens zu heilen. "Selbst wenn wir sofort einen Boten schicken, könnte er nicht mehr rechtzeitig hier eintreffen, die Feuerdrachen leben zu weit entfernt. Wir werden ihm eine Nachricht hinterlassen. Er wird uns schon finden. Mach dir keine Sorgen. Er ist doch mein Sohn", versuchte Dragon Faflar zu beruhigen. Faflar seufzte tief auf. Dragon hatte bestimmt Recht, trotzdem war ihr nicht ganz wohl bei dem Gedanken, ihren Sohn hier zurückzulassen. In den nächsten Tagen hielt sie oftmals auf Dragons Plateau Ausschau nach ihm, doch vergebens. Seit Dragons Herolde auch andere Drachenvölker benachrichtigt hatten, war die Anzahl der Aufbrechenden immer weiter angewachsen. Fast täglich kamen immer neue Gruppen zu Dragons Volk; blaue Eisdrachen, kleine bräunliche Erddrachen, mit irisierenden Schuppen bedeckte Drachen der Lüfte und viele andere Arten mehr, das weitläufige Höhlensystem bot ihnen allen kaum noch genügend Platz. Und alle berichteten über die gleichen merkwürdigen Vorkommnisse. Dragon und die anderen Anführer hatten in den letzten Tagen alles genauestens geplant. Jeder Anführer sollte mit seinen Anhängern in einem anderen Sternbild mit der Suche beginnen. Sie konnten nur hoffen, dass Gneip mit seiner Vermutung Recht hatte. So kam der Tag des Mondwechsels. Die erste Gruppe, ein benachbartes Volk von Erddrachen, hatte sich auf Dragons Plateau versammelt. Auf ein Zeichen ihres Anführers hin erhoben sie sich majestätisch in den Himmel. Laut rauschten ihre perlmuttfarbenen Flügel. Sie gewannen schnell an Höhe, wurden zu kleinen hellen Punkten am dunklen Nachthimmel und waren kurz darauf den Blicken der Anderen entschwunden. Dragons Gruppe sollte die Letzte sein. Das gab ihm und Faflar die
Gelegenheit, sich noch einmal ihre alte Heimat anzusehen. So zogen sie
durch die verlassenen Höhlen und nahmen Abschied von der vertrauten
Umgebung, die sie nie wiedersehen würden. Fast andächtig strich
Faflar über das alte Kristallnest ihres Sohnes. Wie es ihm wohl ging?
Ob die Botschaft ihn erreicht hatte? Wann würden sie ihn wiedersehen?
Faflar legte eine ihrer roten Schuppen auf das Nest. Die feinen Linien
und Muster mit der diese übersät war, bildeten eine Botschaft
für ihren Sohn. Dragon räusperte sich laut. Es wurde Zeit. Sie
mussten aufbrechen. Kurze Zeit später erhoben sich Dragons Untertanen
unter seiner Leitung wie eine rotgoldene, feurige Wolke in die Lüfte
und strebten ihrem ersten Ziel, dem Sternbild des Drachen, entgegen.
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