Nepumuk und Argon von Birgit Sommerkamp |
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Vom festen Willen getrieben, ihre Angehörigen zu finden, vergaßen die beiden Raum und Zeit. Ihr Weg führte sie durch enge Schluchten, breite, tiefe Täler, trostlose Wüsten und heimtückische Moorlandschaften. Doch ihre Suche blieb erfolglos. Nirgendwo fanden sie eine Spur. Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit machten sich in ihnen breit. Argons weißes leuchtendes Fell war stumpf und glanzlos geworden und mit dunklen Schlammspritzern übersät. Schweif und Mähne hingen verfilzt an ihm herunter. Nepumuks Schuppenkleid hatte der Witterung besseren Widerstand bieten können, doch auch er war schlammbespritzt und seine Schuppen waren spröde und rissig geworden. So erreichten sie eines Tages eine tief verschneite Hochebene, auf der sich zwei gigantische Berge in den Himmel erhoben. Dazwischen leuchtete ein Regenbogen. Instinktiv hatten sie also die gleiche Richtung wie Helios und seine Gefährten eingeschlagen und standen nun ebenfalls vor dem Domizil des Weisen Quarzal. Argon entdeckte die "weiße Flechte", die an der Bergwand wuchs, als Erster. Hungrig begann er daran zu knabbern und zu ziehen. Dann spuckte er ein paar lange Fäden aus. "Pfui Teufel, das sind ja Barthaare." In diesem Moment erschien das Gesicht des Weisen im Fels. "Wie ich sehe hast du deine Meinung geändert, Helios!" Erklang die dunkle, volltönende Stimme Quarzals. Erschrocken machte Argon einen Satz rückwärts und suchte Schutz hinter Nepumuks breitem Rücken. "Ich bin nicht Helios, sondern sein Bruder Argon. Aber da du ihn ja zu kennen scheinst, kannst du uns bestimmt sagen, wo wir ihn finden", erwiderte Argon. Ihm dämmerte langsam, dass sie dem Weisen gegenüberstanden, den Helios um Rat hatte fragen wollen. "Woher soll ich wissen, wo sich dein Bruder jetzt herumtreibt. Er wollte auf dem kürzesten Weg zu seinem Volk zurückkehren und dann die Suche nach dem Garten der Phantasie fortsetzen." Kleinlaut und mit gesenktem Kopf gestand Argon, dass er die Rückkehr seines Bruders nicht abgewartet hatte, sondern sich auf eigene Faust auf die Suche begeben hätte. Unterwegs sei er dann zufällig auf Nepumuk gestoßen, der nach seiner Familie suchte und so hätten sie beschlossen gemeinsam zu suchen. In dem verwitterten Steingesicht blitzte ein Lächeln auf. Anscheinend wandte sich doch alles zum Guten. Ohne es zu wissen hatten diese beiden den ersten Schritt zur Versöhnung ihrer verfeindeten Rassen getan. Daher klang Quarzals Stimme nun mild und freundlich, als er erneut zu sprechen anfing. "Gut, Argon und Nepumuk, hört mir genau zu. Ich hoffe, Euch ist der alte Spruch bekannt, wie der Weg zum Garten der Phantasie gefunden werden kann." Beide nickten bejahend. "Beim Abbild des Boten von dem die Rede ist, handelt es sich um ein Sternbild. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es ist das Sternbild des Pegasus gemeint, denn Pegasus ist der geflügelte Bote der Phantasie. Dorthin müsst Ihr. Alles Weitere wird sich dann finden." Nepumuk schüttelte sein Haupt. Er kannte so viele Sternbilder,
aber von einem Sternbild dieses Namens hatte er noch nie etwas gehört.
Die alten Karten aus den Drachenchroniken hatte sein Volk beim Aufbruch
mitgenommen oder sie lagen verschüttet in den eingestürzten Höhlen
seines Volkes. Wie sollten sie ohne Anhaltspunkte jemals den Weg dorthin
finden. Quarzal bemerkte Nepumuks Niedergeschlagenheit. Er forderte Argon
auf, mit seinem Huf gegen den Felsen zu schlagen. Nachdem Argon dieser
Aufforderung nachgekommen war, öffnete sich ein schmaler Spalt und
eine kleine vergilbte Pergamentrolle fiel in den Schnee. Nepumuk studierte
sie sorgfältig. Anscheinend handelte es sich hierbei um eine Sternenkarte.
Sie war den alten Drachenkarten nicht unähnlich, aber viele Zeichen
waren ihm unverständlich. "Hilft sie dir weiter?" wollte Argon wissen.
"Nun, ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, ich weiß jetzt,
wo wir in etwa suchen müssen", erwiderte Nepumuk nachdenklich und
beugte sich erneut über das Pergament. Schließlich hob er seinen
Kopf. "Danke, großer Weiser für deine Hilfe." Quarzal lächelte
erneut. Ein kurzer, heftiger Windstoß erfasste das Pergament und
ließ es wieder in dem Spalt verschwinden. Mit einem leisen Rumpeln
schloss sich dieser wieder. "Es wird Zeit für Euch. Ihr solltet nun
gehen. Folgt dem schmalen Pfad und passiert den Regenbogen. Viel Glück."
Quarzals Stimme war bei diesen Worten immer leiser geworden und als beide
nun die Felswand empor schauten, war sein Gesicht verschwunden. In der
weißen, unberührten Schneedecke wurde ein schmaler Pfad sichtbar.
Langsam und vorsichtig folgten sie der Markierung. Hoch über ihren
Köpfen spannte sich der Regenbogen von Gipfel zu Gipfel und ließ
den Schnee bunt schillern. Weiter vorne verschwand der Weg in einer grauen
wabernden Nebelwand. Allen Mut zusammennehmend gingen die beiden weiter.
Kurz darauf waren sie von feuchten Schwaden umgeben, die anfingen, sich
immer schneller um sie zu drehen. Dann erfasste sie eine Art Strudel und
sie wurden empor gerissen und durch die Luft geschleudert. Plötzlich
zerflossen die Nebelschwaden und gaben den Blick auf ein grandioses Schauspiel
frei. In der samtenen Schwärze, die sie umgab, funkelten unzählige
Punkte in unterschiedlichen Größen, vereinzelt oder in Gruppen.
Bunte Nebel in den verschiedensten Formen schwebten dazwischen. Meteore
rasten an ihnen vorbei, manche dunkel und metallisch schimmernd,
manche hell wie ein von Kindern geworfener Schneeball. Nepumuk und Argon
konnten sich nicht satt sehen. Argon vergaß alles um ihn herum. Er
galoppierte mal hierhin und mal dahin. Endlich mahnte Nepumuk: "Argon,
spar dir deine Kräfte, wir haben noch einen weiten Weg vor uns." Damit
wandte er sich einem blassvioletten Spiralnebel zu und flog los. Argon
folgte ihm mit einigem Abstand.
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