Nepumuk und Argon von Birgit Sommerkamp |
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In der Zwischenzeit hatte Dragons Volk ihr erstes Ziel, das Sternbild des Drachen, erreicht. Jetzt, nachdem sie die Erde verlassen hatten und die Unendlichkeit des Weltalls erblickten, wurde ihnen bewusst, dass sie den Garten der Phantasie, wenn überhaupt, nur durch Zufall finden würden. Vielleicht hätten sie doch auf Gneip hören sollen, der die alten Schriften genau kannte. Die Einhörner, seit jeher die Boten der Fruchtbarkeit und des Frühlings, hätten bestimmt die Nähe des Gartens gespürt. Doch zur Umkehr war es jetzt zu spät. Dragon war auch viel zu stolz, um einzugestehen, dass er einen Fehler gemacht hatte. Doch dazu war es jetzt zu spät. "Wir werden uns in noch kleinere Gruppen aufteilen", befahl Dragon. "Das vergrößert unsere Chancen." Bald darauf erhoben sich viele kleine Gruppen einem Funkenregen gleich und stoben in alle Richtungen davon. Helios stand vor den gleichen Problemen. Nachdem der Nebelstrudel ihn und seine Gefährten in die Heimat zurückgebracht hatte, machten sie sich zwar alle sofort auf den Weg, aber schon kurz nach ihrem Aufbruch sahen sie ein, dass sie auf den Rat des weisen Quarzal hätten hören sollen. Ihre besondere Gabe, alles was wächst, schon aus weiter Entfernung zu spüren, half ihnen ohne Kenntnis der Sterne und Sternbilder allerdings recht wenig. Helios sah die einzige Möglichkeit, die Suche doch noch erfolgreich zu beenden, darin, sein Volk in Zweier-Gruppen aufzuteilen, die sich nach kurzer Rast, wie tanzende Schneeflocken, wieder auf den Weg machten. Nepumuk und Argon hatten den Spiralnebel erreicht. Die Orientierung machte Nepumuk etwas zu schaffen. Alles sah so anders aus als auf den Karten. Forschend schaute er sich um, mal schien ihm diese Sternenkonstellation vertraut, mal eine andere. Argon, der gerade mit den violetten Nebelschleiern Fangen spielte, hielt unvermittelt inne und betrachtete besorgt seinen Freund. "He, Nepumuk, stimmt etwas nicht? Wie geht es weiter? Komm schon, was meinst du, sollten wir uns nicht den Sternenhaufen dort drüben einmal ansehen? Sieht interessant aus. Wer zuerst da ist." Ohne eine Antwort abzuwarten lief er los. Nepumuk hastete hinter ihm her. Nicht genug damit, dass er sich in dieser ihm so fremden Umgebung ohne Hilfe zurechtfinden musste, spielte er auch noch Kindermädchen für diesen Halbstarken. Weit entfernt von jenen Geschehnissen saß Phantasie in ihrem
Garten und beobachtete beide Rassen bei ihren Bemühungen, sie und
ihren Garten zu finden. Warum waren sie alle nur so halsstarrig. Sie hatte
gehofft, dass Dragon und Helios klug genug waren zu erkennen, dass sie
der Gefahr in der sie schwebten nur gemeinsam entrinnen konnten. Aber anscheinend
hatte sie sich in ihnen getäuscht. Seufzend wandte sie sich von dem
schimmernden Teich ab, der ihr als Fenster ins All diente. Langsam schritt
sie auf einen perlmuttfarbenen Pavillon zu, der sich auf einem kleinen
Hügel erhob. Üppige Blumenranken wanden sich um seine Säulen,
buntschillernde Kolibris tranken süßen Nektar aus den betörend
duftenden Blütendolden. Prächtige Pfaue stolzierten über
den samtigen, grünen Rasen und in den nahen Sträuchern sangen
bunte Paradiesvögel ihre schönsten Lieder. Dort wartete bereits
Merlin, ihr treuer Berater, auf sie. "Es ist einfach unerträglich,
tatenlos zusehen zu müssen, wie sie in ihr Verderben laufen. Guter
Merlin, was rätst du mir? Außerhalb meines Gartens habe ich
keine Macht, aber ich muss einen Weg finden, ihnen zu helfen." Phantasie
ließ sich auf einem weichen, malvenfarbenen Kissen nieder und bat
Merlin, ebenfalls Platz zu nehmen. Sie schaute in Merlins gütiges
Gesicht. Der alte Magier strich sich nachdenklich über seinen langen,
weißen Bart. "Hmm", überlegte er. "Ich würde noch etwas
abwarten. Ich hege immer noch die berechtigte Hoffnung, dass Nepumuk und
Argon es auch ohne unsere Hilfe schaffen werden. Wo stecken die beiden
denn gerade?" "Das ist es ja gerade, ich weiß es nicht genau", erwiderte
Phantasie. "Seit sie den Spiralnebel verlassen haben, sind sie verschwunden.
Dabei waren sie doch auf dem richtigen Weg. Hoffentlich ist nicht wieder
Argons Leichtsinn daran schuld. Du weißt selbst, dass er manchmal
aus lauter Übermut sich und andere durchaus in Gefahr bringen kann."
"Dann ist es vielleicht doch besser, wenn ich jetzt schon aufbreche, um
nach dem Rechten zu sehen", meinte Merlin. "Ich werde außerdem alle
Hände voll damit zutun haben, diese sturen Drachen und Einhörner
wieder einzusammeln. Das gibt unseren beiden jugendlichen Helden noch etwas
Zeit, ihren Weg wiederzufinden. Nicht weit vom Sternbild des Pegasus befindet
sich ein kleiner Asteroid, der als Sammelpunkt sehr günstig liegt,
dorthin werde ich alle bringen, die ich finden kann. Du weißt, auch
meine Macht ist begrenzt und wenn die beiden ihr Ziel nicht aus eigener
Kraft erreichen, kann auch ich nicht mehr helfen. Dann waren alle Bemühungen
umsonst und beide Rassen werden der Vergessenheit anheim fallen." Phantasie
nickte betrübt. Sie hatte schon vielen Fabelwesen eine neue Heimat
gegeben, aber noch nie hatte es solche Schwierigkeiten gegeben wie bei
diesen. Merlin erhob sich von seinem Sitz und griff nach seinem mit magischen
Runen bedeckten Zauberstab, den er an eine der weißen Marmorsäulen
gelehnt hatte. In das kostbare Bodenmosaik des Pavillons war eine wundervolle,
aus Lapislazuli und Rosenquarzen bestehende Windrose eingelassen. Dort
stellte sich Merlin auf. Die blaue, kunstvoll in Goldfiligran gefasste
Kugel am oberen Ende des Stabes begann matt zu glühen. Bart und Mantel
wehten im urplötzlich auftretenden Wind. Der Glanz wurde immer intensiver,
breitete sich aus, bis er die ganze Gestalt Merlins umschloss, ein helles
Klingeln wie von kleinen Silberglöckchen erscholl und das blaue Leuchten
zerstob in Tausende und Abertausende kleine blaue Funken. Merlin war verschwunden.
Phantasie blieb noch eine Zeitlang sitzen, um auszuruhen, dann ging sie
zurück zu dem kleinen Teich. Sie kniete sich auf das weiche Moos und
schaute angespannt auf die schimmernde Wasserfläche
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