The Neverending Tale von Christopher Batke
- 03 -
Anhörung

Es herrschte allgemeine Konfusion. Die Fahnenträger waren augenscheinlich ohne das Wappen heimgekehrt. Ghilthanas stand ebenfalls mit leeren Händen da. Gunnar hielt die Menge zur Ruhe an und deutete den Fahnenträgern das Wort zu ergreifen.
Lamey trat einen Schritt vor und berichtete. "Ghilthanas hat uns nach kürzester Zeit eingeholt, es fiel uns schwer unseren Vorsprung zu halten. Egal welchen Weg wir auch einschlugen und wie wenig Spuren wir hinterließen, er kam uns näher. Als ob er für jeden unserer Schritte nur einen halben zurücklegen müsste. Er kennt den Wald mittlerweile wirklich sehr gut. Wie zuvor besprochen richteten wir am dritten Tage das Lager ein. Wir stellten Fallen auf, wachten jeweils mindestens zu zweit. Doch vergebens, denn in einer unachtsamen Sekunde muss er die Taschen ausgetauscht haben. Wir haben es wahrscheinlich erst nach einigen Stunden gemerkt, als der Bursche schon auf und davon war. Dieses Mal war er also so clever und ist uns entwischt, hat dem direkten Aufeinandertreffen vorgebeugt."
Ein Raunen zog sich durch die Menge. Was Lamey da beschrieb war ein Erfolg in jederlei Hinsicht. Ghilthanas hatte die Prüfung gemeistert, aber wo war das Wappen?
Keltson hatte sich derweil der Menge genähert, um kein Detail zu überhören. Sein Blick ruhte auf seinem Neffen, der erschöpft und voller Resignation da stand. Er hielt dem Blick Gunnars stand, doch seine Schultern hingen schlaff herunter. Die Hände, auf dem Rücken zu Fäusten geballt, waren angespannt, Ghilthanas linker Arm zitterte. Es war die Wut, die er unterdrückte.
Gerade wollte Gunnars Mund neue Worte formen, doch da brach es aus Ghilthanas heraus: "Ein Elduar stahl meine Tasche. Das Wappen ist weg, ich habe es durch Unachtsamkeit verloren! Ich habe versagt, ich habe kläglich versagt!"
Urplötzlich wurden seine Knie schwach, die Beine schienen ihn kaum noch halten zu können, sein Blickfeld verdunkelte sich. Es war wie ein Schleier, der sich langsam über das gesamte Geschehen senkte. Einige verworrene Stimmen schienen sich immer weiter zu entfernen. Ghilthanas verlor das Bewusstsein und fiel seitlich zu Boden.

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"... zehn Stunden liegt er jetzt schon. Es wird Zeit, dass er endlich etwas zu sich nimmt."
Seine Augen blinzelten zweimal kurz, doch noch war er zu benebelt, um zu realisieren wo er war. Sein Körper schien bequem zu liegen, ein Bett mit weichen Kissen. Doch die Erschöpfung ließ nicht zu, dass er die Augen komplett öffnete. Die sträubten sich gegen jederlei Dienst, so dass er sich die Mühe sparte und einfach liegen blieb. Plötzlich senkte sich die Matratze ein wenig, eine raue Hand berührte erst seine Stirn, dann die Wangen.
"Ghilthanas, kannst du mich hören?"
Die vertraute Stimme drang zu ihm durch. Er blinzelte erneut, schaffte es dann sogar die Augen offen zu halten. Sofort kam seine Großtante Jolinn herbeigeeilt und hielt dem Jungen ein Glas Wasser hin.
"Endlich bist du wieder wach. Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht."
Er nahm das Glas und trank ein paar Schlücke. Kurz danach half ihm Keltson sich aufrecht hinzusetzen. In seinen Erinnerungen grub er nach den letzten Geschehnissen.
Die Versammlung, ich bin direkt vor Gunnar zusammengebrochen!
"Wie geht es dir, mein Junge?"
"Ich denke ganz gut. Wie lange liege ich schon hier?"
"Die ganze Nacht, was natürlich nicht verwunderlich ist. Nach dem, was die Fahnenträger berichtet haben, musst du ein enormes Tempo zurückgelegt haben. Mich würde es nicht wundern, wenn du die gesamte Prüfung lang weder geschlafen, noch gegessen hast."
Ghilthanas starrte zum Fenster hinaus. Er hatte wahrlich keine Zeit für solche Dinge gehabt. Wegen einer Unachtsamkeit hatte er alle Strapazen umsonst auf sich genommen. Vermutlich hatten die meisten Recht, er musste einfach noch ein paar Jahre warten. Noch solch eine Demütigung würde er nicht ertragen.
"Ich habe versagt", sein Blick wanderte langsam zu Keltson.
"Erzähl nicht so einen Unfug. Du hast großes geleistet. Das Dorf ist sehr stolz auf dich, ich bin sehr stolz auf dich!"
"Aber das Wappen, ich habe es verloren! Das ist beschämend für unser Dorf, wie soll da irgendjemand stolz sein?"
Ein Lächeln zog sich über Keltsons Gesicht. Das Gleiche herzliche und sanfte Lächeln, das er immer aufsetzte, wenn er Ghilthanas beschwichtigen wollte. Es passte eigentlich gar nicht zu diesem Mann. Dem starken Krieger und ehemaligen General der königlichen Garde. Er war von Kämpfen gezeichnet, hatte immer noch eine Ehrfurcht erweckende Statur. Doch dieses sanfte Lächeln offenbarte die herzliche Seite des Mannes, der sich Ghilthanas vor vielen Jahren angenommen hatte.
"Du hast das Wappen nicht zurückgebracht, das ist wahr. Aber gerade zu dieser Stunde berät sich der Dorfrat. Diese Situation ist außergewöhnlich. Daher besteht die Chance, dass du die Prüfung noch bestehen kannst."
"Ich kann was? Aber die Frist ist abgelaufen, der fünfte Tag vollendet. Wie soll das möglich sein?"
"Die Reifeprüfung hat lange Tradition. Bisher galten die Regeln als unantastbar. Aber lass uns doch auf die Entscheidung von Gunnar warten. Er hat das letzte Wort in dieser Sache. Bis dahin solltest du dich erst einmal stärken. Du hast mehrere Tage in Folge nichts gegessen. Walwam hat uns extra eine große Portion seines Munghwo mitgegeben."
"Ich halte es sogar schon die ganze Zeit warm für dich! Mein Junge, es wird wirklich Zeit, dass du sofort isst. Ich hole dir sofort eine Schale voll."
Eilig begab sich Jolinn in die Küche, um Ghilthanas das wohlverdiente Mahl zu holen und ans Bett zu bringen.
"Ich habe tatsächlich noch eine Chance? Das ist ja fantastisch!"
Seine Schmerzen waren wie verflogen, die Neuigkeiten versprühten neuen Elan in seinem Körper. Keine Spur von Müdigkeit und dem Verlangen nach Rast. Mit einem Ruck schwang er sich aus dem Bett und schleuderte Keltson fast von der Kante.
"Wann kann ich Gunnar sprechen, wann wird er mich anhören?"
Keltson, der gerade erst sein Gleichgewicht wieder gefunden hatte, war nicht überrascht von der Reaktion. Trotzdem konnte er sich ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen. Er hielt die Hände vor seinen Bauch. Der klang seiner tiefen Stimme erfüllte den ganzen Raum.
"Immer mit der Ruhe. Bevor dich irgendjemand anhört wirst du einige große Löffel Munghwo verspeisen. Also setz dich wieder hin und bedank dich bei deiner Tante, die seit mehreren Stunden den Kessel warm hält."
Im selben Moment trat Jolinn samt Schale und Löffel vor das Bett.
"Hier Ghilthanas, es ist noch mehr da. Ich kann dir jederzeit einen Nachschlag holen."
"Danke, Jolinn."
Der Duft des köstlichen Eintopfes stieg in seine Nase und schlagartig trat das Hungergefühl in den Vordergrund. Sein Magen knurrte so stark, dass Keltson erneut lauthals auflachen musste. Schnell war die erste Schale geleert, dann eine zweite. Während des Essens musterte Ghilthanas seine Arme und Beine. Als der Elduar davon flog und er den Hügel hinunterstürzte schien er sich doch einige Blessuren zugezogen zu haben. Besonders der rechte Arm war übersäht von Schürfwunden und blauen Flecken.
17 Jahre jung, es ist beachtlich, was der Junge geleistet hat. Gunnar wird ihm die Chance geben.
"Bis wir zu Gunnar gebeten werden, musst du erzählen, wie du es angestellt hast. Dass du sie aufspürst habe ich erwartet, aber du bist nicht in eine Falle getappt. Und sie haben nicht einmal bemerkt, dass du die Taschen ausgetauscht hast. Ein genialer Schachzug übrigens."
"Nun ja, du hast selbst gesagt, ich müsse aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Ein offener Kampf kam nicht in Frage. Und so habe ich zwei Probleme zugleich beseitigt. Ich ersparte mir den Kampf und habe einen Vorsprung dadurch bekommen, dass sie den Austausch nicht mitbekommen haben."
Ghilthanas bemerkte erst jetzt mit welch leuchtenden Augen Keltson ihn anblickte. Der Stolz war förmlich zu spüren, kroch unter seine Haut und versorgte ihn mit angenehmer, wohliger Wärme. Zwar hatte er die Prüfung nicht bestanden, doch im Vergleich zum Vorjahr hatte er sich verbessert, das wurde ihm nun klar.
"Wann denkst du, wird Gunnar mich empfangen?"
"Nun ja, ich ..."
Plötzlich brach die Tür auf. Völlig außer Atem spurtete ein schlacksiger Junge durchs Haus, vergaß sogar die Haustür zuzumachen. Seine rot-braunen, kurzen Haare waren trotz der noch kühlen Temperaturen nass vor Schweiß. Als er in Ghilthanas Zimmer ankam stütze er im Stehen die Hände auf die Knie, beugte sich leicht nach vorne und versuchte zu Atem zu kommen. Jolinn war wenig begeistert von dem stürmischen Besuch. Sie schloss die Haustür und ging ebenfalls in das Schlafzimmer.
"Also hör zu, Hal, das nächste Mal kannst du mich auch anständig begrüßen und dich ein wenig gesitteter verhalten."
"Ich, ich ... Es tut mir Leid. Ghilthanas!"
"Hal, mein Freund. Es ist schön dich zu sehen. Beruhige dich doch erst einmal, was ist denn passiert?"
Hal und Ghilthanas waren seit einigen Jahren gute Freunde und verbrachten viel Zeit miteinander. Vermutlich wollte er ihn aushorchen und alle Datails hören, dachte sich der immer noch auf dem Bett sitzende Ghilthanas.
"Gunnar, er ... er wünscht dich zu sprechen!"
"Es ist also so weit, du solltest..." - doch noch ehe Keltson seinen Satz vollenden konnte, war Ghilthanas bereits aus seinem Bett gesprungen um sich seine Kleidung anzuziehen.
Wenige Minuten später stand er dem Dorfvorsitz gegenüber. Gunnar, sowie seine beiden Stellvertreter Wandray und Thrent, saßen in bequemen Sesseln nahe des Kamins, die zu einem Halbkreis angeordnet waren. Wandray und Thrent waren Brüder und als unfassbare Streithähne bekannt. Doch sie gehörten mit zu den cleversten Dorfbewohnern, weshalb Gunnar es schätzte wichtige Entscheidungen mit diesen mittlerweile ergrauten und etwas in die Jahre gekommenen Männern zu treffen. Das Konfliktpotential zwischen beiden stellte sich sogar oftmals als Segen heraus. Bei ernsthaften Themen wurde dadurch meist so lange diskutiert, bis alle Blickwinkel der Sachlage ausgehend berücksichtigt wurden. Verhandlungen waren zäh, doch die Entscheidungen waren stets fundiert und fair. Einen besseren Dorfvorsitz mochten sich die Bewohner kaum vorstellen.
"Ghilthanas, es freut uns, dass du dich anscheinend erholt hast. Die Strapazen waren dir gestern merklich anzusehen. Geht es dir wieder gut?"
Nickend erwiderte er: "Ja, danke der Nachfrage. Es war nur ein wenig Schlafmangel, nichts ernstes." Er drückte seine Schultern durch und versuchte sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen.
"Du bist hart im nehmen."
Die Brüder saßen stillschweigend da. Vermutlich hatten sie die Nacht durch hinter verschlossenen Türen debattiert und bereits mehr als genug gesagt. Die Verkündungen überließen sie stets Gunnar.
"Du kannst dir sicherlich denken, warum wir dich hier her gebeten haben."
Sein Magen drehte sich in alle erdenklichen Richtungen. Zweifel und Angst stiegen in ihm auf. Er hatte das Wappen an einen Elduar verloren. Bestohlen von einem Vogel!
"Das Ergebnis meiner Prüfung steht aus."
"Sehr wohl. Die Tatsache, dass du noch immer weit unter dem üblichen Alter eines Anwärters liegst, ist an sich schon etwas Außergewöhnliches, doch haben wir dahingehend die Bedingungen ja vor längerer Zeit schon gelockert. Dieses Mal hast du viele Teile der Prüfung bestanden."
Er spürte die prüfenden Blicke von sechs Augen auf sich ruhen und schien unter deren Druck immer kleiner zu werden.
Viele Teile, aber nicht alle...
"Du hast die Fahnenträger aufgespürt, eingeholt und überlistet. Deine Kenntnisse der Umgebung haben sich als beträchtlich erwiesen, dein Durchhaltevermögen und Ehrgeiz erstaunlich. Und selbst wenn es dir niemand übel nimmt, dass du in der schwierigen Situation, nach Tage langem Dasein ohne Schlaf und Essen, einen Moment der Unachtsamkeit hattest. Fakt ist, dass du das Wappen bis Ende der Frist nicht heimbringen konntest. Die Prüfung gilt somit als nicht bestanden."
Schweigen senkte sich über den Raum. Ghilthanas hatte sich auf diesen Moment vorbereitet, doch Keltson hatte ihm neuen Mut gegeben. Sein letzter Funken Hoffnung drohte zu erlöschen. Die Reifeprüfung konnte er nächstes Jahr wiederholen. Doch den Verlust des Wappens würde er vermutlich bitter böse bezahlen müssen.
"Ich verstehe."
Er senkte seinen Kopf, um die Trauer in seinen Augen zu verbergen.
"Kommen wir nun zu unserem nächsten Anliegen. Der Verlust des Wappens war ein großer Schock für das gesamte Dorf. Du sagtest, dass ein Elduar es gestohlen hat. Auch wenn die Elduar sich vornehmlich im Gebirge aufhalten und als Jungtiere so gut wie nie alleine unterwegs sind, so haben die Fahnenträger deine Geschichte bestätigt. Auch sie haben ihn gesehen, schenkten ihm jedoch nicht mehr als einen kurzen Moment der Verwunderung. Schließlich wussten sie zu diesem Zeitpunkt noch nichts von dem Vorfall. Das Wappen muss unter jeden Umständen wieder den Weg ins Dorf zurück finden. Da sind wir uns einig, oder Ghilthanas?"
"Selbstverständlich. Es tut mir Leid, ich ..."
"Entschuldige dich nicht. Du wirst das Wappen zurückbringen."
"Ich, ich werde was?"
Gunnar zog die Mundwinkel leicht nach oben und schloss die Augen.
"Die Elduar gehören zu den stolzesten Tieren dieses Landes. Sie aufzuspüren ist schwierig. Nahe an sie heran kommen ist noch schwieriger, da sie sich meist in Gipfelnähe aufhalten. Finde den Elduar, dann findest du das Wappen. Solch eine Tat würde von wahrer Reife zeugen."
"Aber, ihr meint...? Ich bekomme noch eine Chance?"
"Der Sinn der Reifeprüfung ist es zu zeigen, dass man die Tugenden unseres Volkes verinnerlicht hat, sich großen Strapazen und schwierigen Aufgaben selbstständig stellt und sich bereit erklärt, sich in den Dienst des Dorfes zu stellen. Diese Aufgabe ist eine Steigerung zur traditionellen Reifeprüfung. Bring uns das Wappen und die Prüfung gilt als bestanden."
Sein Herz schien Freudensprünge zu machen. Keltson hatte tatsächlich recht, er konnte seinen Fehler wieder gut machen und so ein weiteres sich dahinziehendes Jahr voller Warterei verhindern. Neuer Enthusiasmus machte sich in ihm breit. Er würde das Wappen zurückbringen!
"Ich möchte Euch danken, vielen Dank!" gab er von sich und kniete sich auf sein rechtes Knie, eine übliche Geste des Respekts und der Danksagung. Die Stimmung lockerte sich, als alle drei Dorfvorsitze sich grinsend anschauten, aufstanden und auf Ghilthanas zugingen.
"Weißt du, meiner Kleiner, ich gehörte bis vor kurzem zu dem Teil der Bewohner, die sich ein wenig lustig über deine Bemühungen machten", äußerte Thrent und legte eine Hand auf seine Schulter. "Dein Talent ist nun auch mir nicht länger verborgen. Nutze die Chance, die wir dir geben."
Auch Wandray sprach ihm Mut zu: "Wir wären stolz, dich mit unserem Wappen nach Dadrim zum großen Turnier zu schicken. Vollziehe den letzten nötigen Schritt!"
"Ich danke euch! Gunnar, wann soll ich aufbrechen?"
"Schone dich so lange, wie du es für nötig hältst. Einen Elduar zu verfolgen wird dir mehr abfordern, als unsere drei Fahnenträger."
Gunnar hatte Recht, diesen Aspekt hatte er noch gar nicht berücksichtigt. Wie sollte er den gefiederten Dieb überhaupt ausfindig machen? Er konnte ihn ja nicht einmal einige Minuten verfolgen, nachdem er direkt vor seiner Nase daher flog. Sofort verwarf er die negativen Gedanken wieder. Die Aufgabe musste einfach gelöst werden. Das war er dem Dorf schuldig und das war er sich selbst schuldig. Es war die unerhoffte Eintrittskarte zu seinem großen Ziel.
"Ich werde gleich heute Abend aufbrechen und nicht eher zurückkehren, bis ich das Wappen heil in den Händen halte."
Mit fröhlicher Miene deutete ihm Gunnar an endlich aufzustehen.
"Dann kehre nun zu deiner Tante und deinem Onkel zurück. Jolinn wird dich noch ein wenig pflegen wollen und Keltson hat mit Sicherheit noch ein paar gute Ratschläge auf Lager."

Überglücklich berichtete Ghilthanas Zuhause vom Verlauf des Treffens und nutzte den Rest des Tages, um sich mit Hal, Jolinn und Keltson zu unterhalten. Er berichtete in aller Ausführlichkeit von den fünf kräftezehrenden Tagen, schwenkte aber meist auf die bevorstehende Aufgabe um. Im Laufe der Stunden kamen nach und nach zahlreiche Besucher. Alle wollten sich nach Ghilthanas Zustand erkundigen und die meisten sprachen ihm ihren Stolz aus. Anscheinend honorierten die Bewohner seine Leistungen tatsächlich, obwohl er versagt hatte.

Der Tag verging schnell und noch ehe die Sonne begann am Horizont zu verschwinden, packte Keltson zusammen mit Jolinn Proviont ein. Er bestand trotz mehrfachen Drängen von seiner Tante darauf lediglich leichtes Gepäck mitzunehmen.
"Die Natur bietet alles was ich brauche."
"Du bist mir halb verhungert in den letzten Tagen!"
"Dieses Mal werde ich mir die nötige Rast gönnen, glaub mir. Ich habe ja diesmal keinen festen Zeitdruck. Zwar möchte ich schnellstmöglich wieder hier sein, aber das wichtigste ist doch, dass ich überhaupt mit dem Wappen heimkehre", beschwichtigte Ghilthanas seine überfürsorgliche Tante.

Als er bereit war seine Aufgabe anzutreten, kam er nach wenigen Schritten aus dem Haus bereits zum Stehen. Erneut hatten sich zahlreiche Leute versammelt, vermutlich noch mehr als bei seiner Heimkehr am Vorabend. Alle wollten ihm Glück wünschen und sich von ihm verabschieden. Sprachlos bahnte er sich einen Weg durch die Menge, an deren Ende Keltson und Gunnar standen. "Du weißt um die Bedeutung des Wappens, junger Anwärter. Es ist das Symbol unserer Gemeinschaft, unserer Traditionen und unserer Stärke. Ohne das Wappen fehlt jedem von uns ein Stück seiner selbst. Sorge dafür, dass wir wieder ganz werden."
Gunnar sprach mit ermutigender Stimme und blickte ihn hoffnungsvoll an. Dann trat Keltson hervor, hielt Ghilthanas eine ausgestreckte Hand hin und sah ihn schweigend an.
"Was ist das?"
"Eine Hilfe und zusätzliches Rätsel zugleich. Löse das Rätsel und es wird dir behilflich sein, deine Aufgabe zu meistern. Und jetzt geh, du solltest vor der Dämmerung aufbrechen."
Ghilthanas verstand nicht. Er nahm den winzigen, zugeschnürten Lederbeutel aus der Hand seines Onkels und schaute hinein. Ein kleines Schmuckstück befand sich darin. Er nahm es heraus und erkannte, dass es ein Armband war. Ein merkwürdiger geschmeidiger Stoff, mit einer steinernen Kugel daran. Es war sanfter als Leder, schien jedoch mindestens genauso fest zu sein.
"Mach es um, und dann zieh endlich los", ermutigte ihn Keltson augenzwinkernd.
Er legte das Band um sein linkes Handgelenk, verstaute den Lederbeutel in seiner Umhängetasche und verabschiedete sich von Keltson, indem er seinen Oberam fest packte. Sein Onkel erwiderte die Geste mit einem Lächeln.

Dann ging er schnellen Schrittes zum nördlichen Ende des Dorfes. Er würde zunächst den Weg zum kleinen Keiler nehmen und den Elduar in der Nähe des ersten Aufeinandertreffens suchen. Abschließend blickte er noch einmal über die Schulter. Einige Zurufe erreichten ihn, manche winkten ihm zum Abschied. Niemand wusste genau, wie viel Zeit es Ghilthanas kosten würde. Doch er selbst war sich über eines im Klaren.

Bei meiner Rückkehr werde ich das Anwärter-Dasein hinter mir gelassen haben!
 

© Christopher Batke
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