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Hochebenen von Cyr
35. Jastjar, Anno 1035
Da während des Winters keine Kriege und kämpferische Streitigkeiten
ausgetragen wurden, hatten die Söldner während dieser Jahreszeit
auch nichts zu tun. Die Männer, die eine Familie hatten, kehrten Ende
Herbst dorthin zurück. Doch auch die, die kein eigenes Heim hatten,
trennten sich normalerweise von der Söldnergruppe und gingen die nächsten
vier bis fünf Monate eigene Wege. Manche kamen auch gar nicht wieder.
Doch Lortac staunte immer wieder, dass Anfang Frühling fast
alle Männer wiederkamen. Viele mussten wiederkehren, weil sie das
Geld benötigten, doch einige kamen wieder, weil sie nichts anderes
mehr mit ihrem Leben anfangen konnten. Doch Lortac waren die Gründe
egal. Er konnte sich auf seine Männer verlassen und das machte seine
Gruppe zu der stärksten und angesehensten auf dem Kontinent Dulmyth.
Jedes Jahr trafen sie sich bei der Burgruine, die zu ihrer Blütezeit
Lortacs Heim gewesen war.
Arton und Cullyn waren mit Likah in Richtung Süden geritten.
Dem Winter konnten sie nicht entfliehen, doch in den Hochebenen von Cyr
war der Winter immer sehr mild und es schneite so gut wie nie. Doch für
Söldnerdienste war die Hochebene nicht geeignet. Dort lebten nur einige
wenige Menschen und die Elben, die die Hochebenen beherrschten, hielten
nicht viel von Kriegen. Doch um ein paar Monate Abstand und Ruhe zu finden,
waren diese Länder mehr als perfekt.
Die drei Männer waren schon drei Wochen unterwegs und sie hatten
die Hochebenen vor zwei Tagen erreicht. Der Winter war hier noch zu spüren,
doch es war auszuhalten, im Freien zu nächtigen. Es war zwar nun eigentlich
nicht mehr nötig, aber die Männer sparten sich das Geld für
die Herberge lieber noch etwas, denn sie wussten nicht, wofür sie
es noch benötigen würden.
Die Sonne war bereits am Untergehen, als sie an einem Flussufer
ihr Lager aufschlugen. Cullyn hatte sich sehr still verhalten, seit sie
die Hochebenen erreicht hatten, und auch Likah schwieg mehr, als dass er
sprach. Arton jedoch redete fast ununterbrochen. So auch an diesem Abend.
Er erzählte wieder eine Geschichte aus seiner Jugend.
"Könnt Ihr denn nicht einmal still sein!?" fauchte Cullyn ihn
gereizt an. Likah hob den Kopf. Auch Arton blickte Cullyn erstaunt an.
So kannten sie diesen Mann gar nicht.
"Was ist eigentlich los mit Euch?" fragte Arton endlich.
"Nichts!" Cullyn hatte sich abgewandt und starrte in die Flammen.
Likah seufzte leise. "Ich glaube," murmelte er leise zu Arton, "er
hat diese Gegend in Erinnerung – und zwar in keiner Guten."
Arton blickte ihn verblüfft an. "Stimmt das?" fragte er Cullyn
ungläubig.
"Etwas dagegen?" zischte dieser. Arton schüttelte den Kopf.
Likah jedoch lachte leise. Cullyn als Griesgram, das war etwas Neues.
Cullyn murrte etwas vor sich hin, doch Arton konnte nur Bruchstücke
davon verstehen – wie: "Verräter", "tun doch alles für Geld"
und ähnliches.
Likah ahnte, was Cullyn beschäftigte: Die Assassinen hier waren
nicht sehr gut auf ihresgleichen zu sprechen. Likah hatte davon gehört,
dass sie sich gegenseitig verrieten, um im Geschäft zu bleiben. Aber
mit dieser Taktik hatten sie sich nach und nach selbst ausgerottet. Cullyn
hatte das wohl am eigenen Leibe zu spüren bekommen, doch Likah fragte
nicht nach. Er hielt es für gesünder, den Mund zu halten und
auch Arton zog es vor zu schweigen.
Den Horizont erhellte nur noch ein schmaler heller Streifen, als
die Männer in ihrer Nähe Pferdeschritte hörten. Die Drei
blickten sich kurz an. Cullyn hatte augenblicklich einen Dolch in der Hand
und Arton hatte Hand auf den Schwertgriff gelegt. Auch Likah fiel es schwer,
sein Schwert nicht zu ziehen.
Cullyn stand auf und drehte sich in die Richtung des Geräusches.
Doch es traten nur ein älterer Mann, Anfang vierzig, und eine junge
Frau in den Lichtschein. Cullyn entspannte sich sichtlich.
"Bitte verzeiht, doch meine Tochter und ich sahen aus der Ferne
Euer Feuer und wollten Euch bitten, uns bei Euch niederlassen zu dürfen",
bat der Mann freundlich.
Likah lächelte nur. "Sicherlich", antwortete er und deutete
auf das Feuer, "es ist Platz genug da." Der Mann lächelte erleichtert
und setzte sich neben seine Tochter den Männer gegenüber.
Cullyn spielte mit seinem Dolch und beobachtete die beiden Fremden.
"Ihr kommt nicht von hier?" fragte er.
"Nein." murmelte der Mann. "Wir suchen ein Heim, das uns nicht zerstört
wird." Er blickte in die Flammen.
"Ihr flieht vor einem bevorstehendem Krieg?"
"So ähnlich könnte man es nennen", antwortete der Mann
tonlos. "Ich bin leider zu alt, um Haus und Tochter zu beschützen."
"Aber Vater!" begehrte das Mädchen auf. "Ich kann mich doch
selbst verteidigen!"
"Bist du ruhig!" zischte der Mann. "Wenn Männer reden, haben
Frauen zu schweigen! Wann begreifst du das endlich?" Dann drehte er sich
zu den Söldnern um. "Bitte verzeiht ihr", entschuldigte er sie. Cullyn
und Arton nickten nur etwas irritiert.
Likah fasste das Mädchen genauer in seinen Blick. Sie starrte
in die Flammen, doch in ihren Augen konnte er wilde Entschlossenheit erkennen.
Sie war nicht sehr groß, dennoch war sie muskulös gebaut. Aber
er erkannte, dass sie diese Muskeln nicht bei der Arbeit bekommen hatte.
Sie musste also eine Kampfkunst erlernt haben. Auch ihre Haltung deutete
auf ihr Können hin. Sie hielt sich stolz aufrecht.
Likah lächelte zufrieden. "Welcher Adelsfamilie gehört
sie an?" fragte er plötzlich. Alle blickten ihn erstaunt an. Doch
in den Augen der jungen Frau sah er Entsetzten.
"Wie kommt Ihr denn auf solch eine Frage?" stammelte der Mann. "Sie
ist meine Tochter, und ich bin garantiert kein Adliger."
Likah lachte. "Bitte," versetzte er, "versucht nicht, mir etwas
vorzumachen. Ich kann adliges Blut von gemeinem Blut unterscheiden." Cullyn
und Arton blickten das Mädchen genauer an, doch sie konnten nichts
erkennen, das sie als Adlige auszeichnete.
Der Mann blickte Likah fest in die Augen. Likah lächelte noch
immer. "Ihr könnt es ruhig sagen, ich bin kein Kopfgeldjäger",
beruhigte er den Mann.
Cullyn grinste plötzlich. "Also wirklich!" spottete er "Wir
sind vielleicht Söldner, aber Kopfgeldjäger!" Er schüttelte
den Kopf. "Das ist nun wirklich unter unserer Würde!"
Arton lachte auf einmal los. "Und da ist unser alter Cullyn wieder!"
grinste er. "Wo warst du denn?"
Cullyn fletschte ihn an, doch dann lachte er: "In der Kneipe!"
Likah blickte das Mädchen nun an: "Also, was habt Ihr angestellt,
Sealla?"
Die junge Herzogstochter schaute ihn hart an. "Ich habe es gewagt,
mich für etwas zu interessieren, was sich für eine Frau nicht
geziemt." Ihr Tonfall war bitter.
Likah grinste. "Lasst mich raten", bat er, "ihr habt Euch in Schwertkampf
ausbilden lassen."
Deimin, ihr Begleiter, verzog das Gesicht. "Wenn es nur das gewesen
wäre."
Likah lachte nur. Arton und Cullyn hörten aufmerksam zu. "Doch,
woher wusstet Ihr, dass ich adelig bin?" fragte Sealla neugierig.
Likah verstummte augenblicklich und starrte in die Flammen. "Ich",
begann er, "ich habe so meine Erfahrung mit dem Adelsgeschlecht."
"Woher?"
Likah blickte Sealla drohend an. "Ihr wisst doch hoffentlich, dass
zuviel Neugierde durchaus tödlich enden kann?" Auf diese Frage wurde
Sealla bleich. Auch Arton und Cullyn starrten Likah entgeistert an. Es
war gar nicht normal für ihn, einer Frau zu drohen.
Doch Arton fasste sich schnell wieder. "Anderes Thema", schlug er
vor. Er blickte Deimin an. "Was wollt Ihr hier machen, um durchzukommen?"
fragte er.
"Ich weiß nicht", murmelte Deimin. "Ich kann so ziemlich alles
machen, was man von mir verlangt." Arton nickte nur nachdenklich. "Es wird
schwer werden, doch ich werde es schon schaffen", fügte Deimin zu.
Sealla blickte ihn an. "Ich kann doch auch etwas machen", sagte
sie energisch. "Ich kann kämpfen!"
Cullyn und Arton lachten lauthals los. Auf Seallas ärgerlichen
Blick, japste Cullyn: "Hat Euch denn niemand aufgeklärt? Hier kann
man mit Kampfkunst gar nichts anfangen! Hier wurde schon seit Jahrhunderten
nicht mehr gekämpft!"
Seallas Gesichtszüge entgleisten ihr. "Wie!?" Doch Cullyn lachte
nur.
Den Rest des Abends unterhielten sie sich über allgemeine Dinge.
Nur Likah schwieg nachdenklich.
Als die Söldner am nächsten Morgen aufbrachen, schlossen
Deimin und Sealla sich ihnen an. Deimin war bei dem Herzog der Ausbilder
der Ritter und Soldaten gewesen und wusste sehr viel über die Waffenkunst
– Er hatte auch Sealla das Kämpfen beigebracht. Darum hatten Arton
und er sehr viel zu bereden. Arton war ein sehr begeisterter Schwertkämpfer
und hoffte, von Deimin noch etwas Neues lernen zu können.
Sealla ritt voraus, Cullyn hatte sich schon nach kurzer Zeit zu
Likah zurückfallen lassen. Eine Weile lang ritt er schweigend neben
Likah her. "Ihr kommt auch aus Adelskreisen, nicht wahr?" fragte er plötzlich.
Likah lächelte bitter. "Ja," antwortete er, "ich war einst
Lord."
Cullyn schwieg wieder eine Weile. "Seid Ihr verstoßen worden?"
vermutete er.
Likah verzog das Gesicht. "Ja." murmelte er.
"Wegen Eurer Magie?"
Likah lachte lautlos. "Hätte er davon gewusst, hätte er
mich verbrennen lassen."
"Wie bitte?!" Cullyn war entsetzt. "Was ist das für ein Unmensch?"
keuchte er.
Likah zuckte die Schultern. "Das Ganze war einmal", murmelte er,
"aus und vorbei."
Cullyn starrte auf den Weg. Likah war nicht alt, er hatte sein Alter
noch nie Preis gegeben, doch Cullyn schätzte ihn auf nicht älter
als siebzehn – also noch nicht einmal erwachsen. Er hob den Blick. "Warum?"
fragte er plötzlich.
Likah lachte bitter. "Weil ich es gewagt hatte, einen Zwerg als
Freund zu haben."
"Was ist daran so verwerflich?"
Likah verzog das Gesicht und imitierte die Stimme seines Vaters:
"Dieser Hund ist ein schlechter Umgang für dich! Er bringt dir nur
bei, ein dummer, feiger Säufer zu sein!"
Cullyn schaute Likah verblüfft an. "Spinnt der Kerl?" fragte
er.
Likah lachte lauthals los. "Scheint so", grinste er. Auch Cullyn
lachte. Zwerge waren die mutigsten und zähesten Kämpfer auf Dulmyth.
Gegen Abend erreichten sie Tirmar, eine ruhige und saubere Stadt
am Fuße des Gebirges von Cyr. Sie mieteten sich in einem großen
Gasthaus am Stadtrand ein. Die Stube war ein großer, freundlicher
und lichtdurchfluteter Raum. Er war auch im Gegensatz zu den Gasthäusern
der Menschen sehr sauber. Der Wirt, ein etwas älterer Elf von 125
Jahren, war freundlich und sehr zuvorkommend. Auch wurden die Gäste
hier bedient, wenn sie etwas wollten, und mussten es sich nicht selber
holen.
Die Stube war noch recht leer. Nur die Hälfte der Plätze
waren besetzt und so hatten der Wirt und seine Frau nicht allzu viel zu
tun. Und die vier Frauen, die dem Wirt halfen, standen bei den Gästen
und unterhielten sich lachend mit ihnen.
Likah hatte seine Sachen in das Zimmer gebracht, das er mit Cullyn
und Arton teilte. Die beiden hatten ihre Habseligkeiten nur achtlos in
die Ecke geschmissen und waren gleich wieder hinuntergegangen. Likah kam
etwas später nach. Er entdeckte die beiden mit Deimin an einem Tisch
sitzen und sich rege unterhalten.
Sealla saß allein an einem anderen Tisch und fragte ein Mädchen
aus. Likah trat lächelnd zu ihr und bat das Mädchen, Chantun
zu holen. Das Mädchen blickte ihn erstaunt an, eilte aber gleich los.
"Was ist denn Chantun?" fragte Sealla neugierig.
Likah lachte und setzte sich zu ihr. "Zwergenschnaps", erklärte
er, "Man nennt ihn auch nicht umsonst 'Höllenfeuer'"
Sie blickte ihn entgeistert an. "Muss sehr stark sein", vermutete
sie nachdenklich.
Likah grinste breit. "Also, wenn selbst ein Zwerg nach zwei Krügen
davon unter dem Tisch liegt, dann will das etwas heißen."
"Und Ihr vertragt so etwas?"
Likah grinste nur das Mädchen, das den Krug gerade abstellte,
breit an und nickte. Er schenkte sich eine Kelch davon ein und nahm einen
tiefen Schluck – und hustete im nächsten Moment los. "Oh Ihr Götter!"
fluchte er erstickt. "Ein wahres Teufelszeug!" Sealla lachte. Es klang
hell und schön – und es gefiel Likah sehr.
Abends füllte sich das Gasthaus. Es kamen vor allem die Bürger,
die nun bei einem oder zwei Karaffen Bier mit Bekannten über den Tag
reden wollten. So herrschte in der Stube auch ein reges Plaudern. Doch
zu Seallas Verwunderung waren auch Frauen unter den Gästen. Aus ihrer
Heimat war sie so etwas nicht gewohnt.
Sie fragte Likah, ob er denn wisse, warum hier auch Frauen trinken
durften und er nickte. "Hier wird alles lockerer gehandhabt", erklärte
er. "Die Regel, dass Frauen minderwertiger seien, als Männer, haben
die Menschen aufgestellt. Die wenigsten Völker haben diese Ansicht
übernommen." Er grinste plötzlich schalk. "Wenn man bedenkt,
dass bei den Gnomen die Frauen das Sagen haben und die Männer Reißaus
nehmen, wenn ihre Gattinnen wütend sind..."
Sealla lachte leise. "Das ist dort wohl normal."
Likah nickte grinsend. "Und daher kommt der Spruch, dass Frauen,
die ihre Männer beherrschen, Haare auf den Zähnen hätten."
"Wie jetzt?" fragte Sealla verwundert. "Haben Gnomfrauen Haare auf
den Zähnen?"
Likah nickte lachend. Er war im Laufe des frühen Abends offener
geworden, was man doch auch dem Chantun zuschreiben konnte. Likah kämpfte
tapfer gegen den dritten Kelch an, doch er merkte die starke Wirkung bereits.
Cullyn, Arton und Deimin hatten sich vor einiger Zeit an einen Spieltisch
gesetzt. Also konnten Sealla und Likah ungestört sprechen. Sealla
versuchte schon seit einiger Zeit, etwas über Likahs Vergangenheit
zu erfahren, doch er ging nicht auf dieses Thema ein. Deshalb versuchte
sie es nun auf Umwegen. "Warum seid Ihr eigentlich hier, wenn es hier keine
Arbeit für Söldner gibt?" fragte sie plötzlich.
Likah hob eine Augenbraue und blickte sie über den Rand des
Kelches hinweg an. "Auch ein Söldner will mal eine Pause haben", murmelte
er.
Sie starrte ihn an. Von Söldnern wurde immer behauptet, sie
wären des Kämpfens nie müde. Doch diese Antwort entsprach
diesem Klischee nicht.
Likah schien ihre Gedanken zu erraten und lachte leise. "Ihr solltet
nicht alles glauben, was die Barden singen", riet er ihr, "sie neigen sehr
zur Übertreibung."
Sie blickte ihn seltsam an. Likah wurde still. Ihr Blick gefiel
ihm nicht. "Sagt an..." begann sie vorsichtig, "gibt es irgendwelche Regeln,
die es Frauen verbieten, Söldner zu werden?"
Likah blieb der Chantun im Halse stecken. Er starrte sie entsetzt
an. "Das ist doch nicht Euer Ernst!" keuchte er schließlich.
"Warum nicht?" fragte sie störrisch.
Likahs Blick wurde abschätzend. "Niemand wird aus freien Stücken
Söldner", antwortete er.
Sie blickte ihn an. "Aber es ist nicht verboten?"
Likah seufzte. Er konnte nicht lügen, das hatte er noch nie
gekonnt. "Nein", antwortete er tonlos. Sie lächelte ihn siegessicher
an.
"Und, was hast du mit der kleinen Schönheit den ganzen Abend
geredet?" fragte Cullyn neugierig, als er und Arton in das Zimmer traten.
Likah stand am Fenster und starrte in den Sternenhimmel. Er drehte sich
nicht um und antwortete auch nicht. "Hallo? Jemand zu Hause?" fragte Cullyn
nach und klopfte Likah auf die Schulter.
Langsam wurden Likahs Augen wieder klarer und er blickte Cullyn
an. "Was? Hast du etwas gesagt?" fragte er erstaunt.
Cullyn seufzte. "Wenn du endlich wieder unter den Ansprechbaren
weilst, will ich noch einmal fragen", spottete er, worauf er einen ärgerlichen
Blick von Likah bekam. "Ich habe gefragt, was die Dame zu erzählen
hatte, dass du die Stube so fluchtartig verlassen hast", knurrte Cullyn.
Likah lächelte kalt. "Die Dame", wiederholte er ironisch
Cullyns Ausdruck, "hat sich in den Kopf gesetzt, Söldner zu werden."
Cullyn pfiff und Arton keuchte entsetzt. "Wie!?"
"Tja", murmelte Likah, "sie will nicht von Deimin abhängig
sein und glaubt, es wäre für sie das beste, Söldner zu werden."
Cullyn lachte nur, während Arton sich auf eines der Betten
sinken ließ. "Die ist wohl irgendwann einmal auf den Kopf gefallen
und weiß nicht mehr, was sie tut", lachte Cullyn. Likah blickte ihn
nur ernst an und Cullyn schwieg betroffen.
Likah und Arton waren bei Sonnenaufgang bereits aufgestanden und
hatten sich in die Stube gesetzt, damit Cullyn seinen Rausch, den er sich
am Abend noch angetrunken hatte, ungestört ausschlafen konnte. "Wie
sie es wohl Deimin erklären wird?" fragte Arton während des Frühstücks.
Likah blickte ihn gedankenverloren an. "Wenn sie schlau ist, wird
sie es ihm noch nicht sagen", murmelte er, "aber ich glaube, dass sie es
ihm spätestens beim Frühstück sagen wird." Arton schüttelte
den Kopf über soviel Unvernunft. Sie aßen schweigend zu Ende.
Nach einer Stunde kam Deimin die Treppe in die Stube herunter gestampft.
Arton blickte Likah an. "Sie war nicht schlau", bemerkte er trocken.
Wütend ließ Deimin sich auf einem Stuhl nieder und starrte
die beiden an. "Dieses Mädchen treibt mich noch einmal in den Wahnsinn!"
knurrte er und nahm einen Kelch Wein, den er in einem Zug leerte. "Wisst
Ihr, was sie sich jetzt wieder in den Kopf gesetzt hat?" Likah und Arton
blickten einander an. "Natürlich!" knurrte Deimin. "Wie konnte ich
nur fragen? Wer von Euch hat ihr diese Flause in den Kopf gesetzt?"
Likah blickte ihn kühl in die Augen. "Glaubt Ihr nicht, dass
sie das selbst entschieden hat?" fragte er.
Deimin starrte ihn eine Weile an und seufzte dann resignierend.
"Ja, doch", murmelte er, "verrückt genug ist sie ja."
Arton lachte leise. "So sind Frauen halt", grinste er, "schön
und verrückt oder schön und gefährlich."
"Überlegt es Euch noch einmal", flehte Deimin Sealla an, "bitte.
Es gibt wirklich besseres, als das Söldnerdasein."
"Nein!" Sealla blickte Deimin trotzig an.
Sie und Cullyn hatten sich nacheinander zu den dreien gesellt. Und
seitdem Sealla dasaß, versuchte Deimin, sie umzustimmen – erfolglos.
Likah und Arton hielten sich weitest möglich da raus. Und Cullyn hatte
nicht den Kopf, sich an dem Gespräch zu beteiligen.
Sealla sah von Arton über Cullyn zu Likah und dann wieder zu
Deimin. "Sie sind auch Söldner," beharrte sie, "und sie leben auch
ein gutes Leben."
"Aber..."
"Außerdem ist das immer noch mein Leben und damit meine Entscheidung!"
Deimin schwieg betroffen.
"Eins zu Null", kommentierte Arton. Likah warf ihm nur einen warnenden
Blick zu, doch Sealla blickte Arton grinsend an.
"Ich kann doch in Eure Truppe rein", schlug Sealla plötzlich
vor.
Likah hob nur zweifelnd die Augenbraue und Arton starrte schweigend
seinen Kelch an. Nur Cullyn lachte lauthals los. "Wenn Ihr Euch da nicht
zuviel vornehmt!" grinste er.
"Wieso?" fragte Sealla.
Doch Deimin mischte sich ein. "Welcher Gruppe gehört ihr denn
überhaupt an?" fragte er neugierig. Cullyns Grinsen wurde noch breiter
und auch Likah lächelte mit leichtem Stolz.
Arton grinste Sealla an. "Auf jeden Fall in einer, die von der Dame
sehr viel abverlangen würde."
"So? Welche?"
"Die schwarzen Dämonen unter Lortac", verkündete Cullyn
stolz. "Und der hier", er deutete auf Likah, "ist stellvertretender Kommandeur."
Likah warf ihm einen wütenden Blick zu. Doch leider zu spät.
"Was!?" keuchte Deimin, "DIE schwarzen Dämonen? Die einzige
Söldnertruppe, die noch nie besiegt wurde!?" Er hatte die Worte sehr
laut ausgesprochen und in der Stube war es totenstill geworden. Alle Anwesenden
starrten zu dem Tisch herüber, an dem die Söldner saßen.
Likah schüttelte den Kopf und Arton zischte wütend.
"Toll!" knurrte er Cullyn an. "Kannst du nicht einmal deinen Mund halten?"
Cullyn starrte wütend zurück. "Was kann ich dafür,
dass der Kerl so laut schreit?" entgegnete er ärgerlich.
"Ruhe ihr zwei!" wies Likah die Streithähne an. Er drehte sich
zu Deimin um und fasste ihn scharf ins Auge. "Ich hoffe, Ihr habt kein
Problem damit?" fragte er drohend und bewusst so laut, dass alle Anwesenden
es verstehen konnten. Die Leute verstanden diesen Wink und drehten sich
verlegen um.
Likah lächelte zufrieden. Deimin senkte ebenfalls den Blick.
Schließlich stand Likah auf. "Wir sollten langsam aufbrechen, wenn
Ihr nicht unter Sternen schlafen wollt", sagte er kurz und ging zum Wirt,
um ihn zu bezahlen. Als sie den Gasthof verließen, folgten ihnen
die Blicke der Leute.
"Sind wir uns einig?" fragte Sealla spitz. Deimin seufzte leise.
Und Likah nickte schicksalsergeben. Sealla klatschte in die Hände.
"Gut!" freute sie sich. Sie war jedoch die einzige, der es gefiel.
Es war inzwischen eine Woche vergangen und sie saßen in der
Gaststube des "goldenen Basilisken". Am Abend zuvor hatten sie die Stadt
Quard erreicht, wo sie den Rest des Winters verweilen wollten. Sealla hatte
in der Zwischenzeit jedoch nicht aufgehört, die Männer zu bearbeiten.
Sie hatte es schließlich geschafft, einen nach dem anderen
umzustimmen. Deimin und Likah hatten jedoch nicht freiwillig nachgegeben,
sondern mussten sich völlig entnervt geschlagen geben. Sie waren erst
einmal dabei verblieben, dass Sealla und Deimin den Rest des Winters in
der Gesellschaft der Söldner verbrachten und sie Sealla mit zu Lortac
nahmen, um ihn endgültig entscheiden zu lassen.
"Armer Lortac", bedauerte Arton, "er wird schwer an ihr zu beißen
haben, wenn er sie ablehnen will."
Cullyn knurrte. "Bis jetzt war er immer stur." Likah lächelte
leise. Er verstand die Anspielung auf den Sold, doch er sagte nichts.
"Er wird aber langsam alt", murmelte Arton. "Ich weiß wirklich
nicht, warum er noch immer die Führung hat. Alle anderen haben sich
in seinem Alter und mit seinem Geld schon längst zur Ruhe gesetzt."
Likah schüttelte den Kopf. "Was sollte er denn machen?" fragte
er ihn. "Vergiss nicht, dass er seiner Familie, seines Heimes und seiner
Freunde beraubt wurde."
Arton starrte auf den Tisch. Lortac war wirklich arm dran. Er war
Söldner geworden, weil er allem beraubt worden war. Er hatte die Söldnertruppe
aufgestellt, um sich rächen zu können. Doch er hatte seine Rache
bekommen und nun blieb ihm nichts mehr außer den Söldnern.
"Er wird kämpfen, bis er an einen stärkeren gerät."
Cullyn hatte dies schon immer behauptet, so auch jetzt.
"Wer wird nach Lortac die Führung bekommen?" fragte Sealla
ungeschickt.
Die Männer blickten sie ärgerlich an. Lortac bedeutete
jedem von ihnen viel, denn so gut wie jeder Söldner hatte ihm sein
Leben zu verdanken. Manche sogar mehrfach. Darum kehrte jeder zu Lortac
zurück, auch wenn er wo anders mehr verdienen konnte. Sie würden
für Lortac in den Tod gehen. Darum wollte auch niemand an so etwas
wie seine Nachfolge denken. Likah lächelte trocken.
"Wenn Lortac stirbt", setzte Arton an, "so wird die Gruppe wahrscheinlich
auseinander gehen."
Likah schüttelte den Kopf. "Nein", murmelte er entschieden.
Arton starrte ihn erstaunt an. "Aber Lortac ist der einzige Grund,
warum die Männer überhaupt zurückkehren."
Likah lächelte. "Das stimmt schon," murmelte er, "aber denkst
du nicht auch, dass die meisten weiter machen werden, um Lortacs Andenken
zu erhalten?"
Arton starrte vor sich hin. "Ich wollte immer weg, sobald ich genug
Geld habe...", murmelte er. "Ich habe nie daran gedacht, was sein wird,
wenn Lortac vorher stirbt....Ob ich dann gehen könnte."
"Ich nicht", gab Cullyn zu.
Likah lächelte traurig. "So gut wie keiner wird gehen", nickte
er, "und führen wird der, der Lortacs Gruppe die größte
Ehre bringt."
Cullyn grinste. "Und das kann nur Likah sein."
Likah seufzte und schüttelte den Kopf. "Ich weiß nicht..."
Cullyn zuckte seine Schultern. "Es ist noch nicht offiziell, aber
ich denke, Lortac wird es vorschlagen", prophezeite er. "Dich hat er ja
anscheinend besonders ins Herz geschlossen. Und keiner wird sich dem widersetzten."
Sealla lehnte sich zurück und starrte an die Wand. Das Gespräch
hatte unerwartet düstere Wege genommen und war nun endgültig
verstummt. Dieser Lortac muss ihnen viel bedeuten. Ich möchte wissen,
was
er für ein Mann ist... Sie blickte zu Deimin, der die ganze Zeit
geschwiegen hatte.
Sein Blick war finster und seine Lippen waren blutleer geschürzt.
Sie wusste, dass er sie nicht unter Söldnern sehen wollte, aber sie
sah auch keinen anderen Weg. Deimin war alt – immerhin 44 Jahre – für
einen Krieger ein beträchtliches Alter. Und er würde, so sehr
er es auch wollte, nie für sich und auch sie aufkommen können.
Sie war realistisch, er würde nicht mehr lange leben, zehn
Jahre, wenn er viel Glück hatte vielleicht auch zwölf. Und dann?
Sie wollte nicht wahllos einen Mann heiraten, um leben zu können.
Auch würde sie keiner haben wollen, weil sie mehr eine Kriegerin war.
Die Söldner hatten sie gewarnt, welch ein Leben sie dann führen
würde, doch in ihren Augen war es noch immer besser, als das Leben
einer Hausfrau. Sie verabscheute es, wenn Frauen als minderwertig behandelt
wurden. Als Söldnerin würde sie dem entgehen – hoffte sie.
Likah und Sealla waren am frühen Morgen des nächsten Tages
nach Byszenz geritten, um dort eine Waffe für sie zu kaufen. Byszenz
war berühmt für die hervorragenden Waffen, die die Zwerge dort
schmiedeten. Sie hatten die Stadt zwei Stunden nach Aufgang der Sonne erreicht,
und es herrschte reges Treiben auf den Straßen.
Likah ritt zielstrebig an den Marktbuden vorbei, in denen die verschiedensten
Waren angeboten wurden. Sealla fiel es jedoch schwer, nicht bei jedem Händler
stehen zu bleiben. Dort wurde so viel angeboten: edler Schmuck, feine Stoffe,
Pferde, Lederwaren und vieles mehr. Doch Likah ließ sie nicht halten.
"Die sind das ganze Jahr über hier", pflegte er jedes Mal zu sagen,
wenn sie halten wollte.
In einer kleinen Seitengasse hielt Likah endlich sein Pferd an.
Sealla blickte sich erstaunt um. Die Gasse machte keinen wohlhabenden Eindruck,
doch Likah saß ab und so musste sie es auch tun. Er steuerte auf
ein Haus rechts von ihr zu, das ein Schild angebracht hatte, auf dem ein
goldener Falke abgebildet war und darunter stand in kaum leserlichen Buchstaben:
Schmiede.
Sie verzog das Gesicht. "Da wollt Ihr doch nicht etwa rein gehen?"
fragte sie entgeistert. Doch statt ihr eine Antwort zu geben, trat er durch
die Tür und sie musste ihm folgen.
Likah stand in der Mitte eines kleinen Raumes, in dem nur zwei Bänke
und ein niedriger Tisch zu finden waren. Sealla blickte sich aufmerksam
um, doch sie konnte nichts entdecken, das an eine Schmiede erinnerte.
"Einen Moment!" schallte es just in dem Moment aus einem Hinterzimmer,
als sie Likah fragen wollte, ob er sich geirrt habe.
Likah grinste breit beim Klang der ihm wohlbekannten Stimme. Er
setzte sich an den Tisch und deutete Sealla, es ihm gleich zu tun. Sie
setzte sich neben ihn und starrte ungeduldig auf die Tür, aus deren
Richtung die Stimme gekommen war.
Nach einer kurzen Weile öffnete sich die Tür und ein Zwerg
trat in den Raum. Er wischte sich gerade die Hände an einem Tuch ab
und blickte die Ankömmlinge nicht an. Likah grinste leicht. "Ihr wart
schon einmal schneller, Grindel", neckte er den Zwerg.
Grindel hob den Kopf, als er Likah sprechen hörte und lachte
lauthals los. "Sieht man Euch auch mal wieder!" freute er sich und reichte
Likah die Hand. "Ich hätte ja nicht gedacht, dass der verwöhnte
Sohn eines Lords sich so wacker schlägt", grinste er.
Sealla blickte Likah erschrocken an, als sie das Wort Lord hörte.
"Ihr seid Lord!?" fragte sie. Likah lächelte nur kurz im rechten Mundwinkel,
doch er sagt nichts.
"Immer noch der alte Geheimniskrämer, wie?" neckte Grindel.
Likah blickte ihn entschuldigend an. "Es hat sich vieles geändert,
seit Ihr weggezogen seid", murmelte er traurig.
Und Grindel verstand. "Ich konnte Euren Vater noch nie leiden",
fluchte er, "aber dass er seine Drohung wahr macht, das hätte ich
selbst von ihm nicht erwartet!"
Likah lächelte nur. "Das ist Vergangenheit. Sehen wir lieber
in die Zukunft."
Grindel grinste wieder. "Womit kann ich helfen?"
Sealla staunte nicht schlecht, als sie all die Waffen sah, die in
den Hinterzimmern gestapelt waren. Es war wirklich alles vorhanden: Wurfdolche,
Kurzdolche, Langmesser, Kurzschwerter, Zweihänder, Äxte, Morgensterne,
und noch vieles mehr, das sie gar nicht kannte. Likah stand bei Grindel
und ließ sich von ihm eine Rüstung zeigen.
Er war ebenfalls schwer beeindruckt. "Leicht und stabil", murmelte
er, "als ob es nur Leder wäre. Was ist das für ein Metall?"
Grindel grinste noch breiter. "Sternenobsidian", erklärte er
stolz, "ein Metall, das nur die Asrai zu fördern wissen. Ich kann
mich zu den wenigen Glücklichen schätzen, die dieses Metall in
ihre Hände bekommen!" Likah grinste. Grindel prahlte noch immer für
sein Leben gerne. "Wollt Ihr eine Rüstung?" fragte er Likah.
"Wenn Ihr noch genug Metall habt..."
"Für Euch doch immer. Was macht Ihr eigentlich nun?"
Likah blickte zu Sealla, die das Antworten ohne abzuwarten übernommen
hatte: "Er ist Söldner."
Grindel schaute Likah von unten her an. "So kann man sich verändern",
staunte er. "Als ich Euch das letzte Mal gesehen habe, wart Ihr friedfertig
wie die Asrai."
Likah lachte kalt. "Es hat sich vieles verändert", wiederholte
er. "Ich bin Esthar, wie Ihr mir ja erzählt habt. Und ich habe erfahren,
dass ich mit dem Können zum Kämpfen geboren wurde."
Grindel nickte. "So holt das Schicksal jeden ein", murmelte er zu
sich.
Likah starrte ihn an. "Was meint Ihr damit?" Doch Grindel schüttelte
schweigend den Kopf. Er würde darüber nichts mehr sagen.
"Welche Waffe wollt Ihr denn, Mylady?" fragte Grindel Sealla hilfsbereit.
"Ich weiß nicht", gab sie zu, "ich habe das Kämpfen mit
einem Kurzschwert gelernt."
Grindel grinste. "Dann ist doch alles klar." Und führte sie
zu einem Regal, das mit einem Dutzend Schwertern gefüllt war. Er blickte
Sealla abschätzend an und holte ein armlanges Schwert heraus. Sealla
nahm es in die Hand und staunte über das geringe Gewicht. Es war etwas
länger als ein Kurzschwert, doch es wog nicht ganz so viel.
Sie führte es prüfend von einer Seite zur anderen. Es
war sehr ausgewogen und lag in der Hand wie eine künstliche Verlängerung
des Armes. "Es ist unglaublich."
"Alle Waffen, die Ihr hier seht, sind hervorragend", gab Grindel
an.
Likah lachte leise im Hintergrund. Sealla blickte Grindel an: "Wie
teuer?"
Grindel grinste. "Fünfhundert Goldstücke."
Sealla japste entgeistert. Likah schüttelte tadelnd den Kopf.
"Grindel!" mahnte er.
Grindel lachte. "Das sind Meisterwerke! Billiger geht nicht. Aber
ihr könnt es nach und nach abzahlen", lächelte er.
"Und wenn ich nicht wiederkomme, um zu bezahlen?" fragte sie.
Grindels Blick wurde finster. "Ich würde Euch das nicht anraten!"
drohte er.
Likah drehte sich zu ihr um. "Jeder muss bezahlen", erklärte
er. "Es gibt Männer, die dafür sorgen, dass derjenige, der nicht
bezahlt, entweder das Geld nachliefert, oder sie holen das Schwert zurück."
Sein Blick wurde ernst. "Und sie gehen über Leichen, wenn nötig."
Sealla schluckte schwer. "Und wenn ich nicht bezahlen kann?"
Grindel lächelte. "Da Ihr anscheinend eine Freundin Likahs
seid, lasse ich immer mit mir reden. Also, wie viel könnt Ihr anzahlen?"
"Einhundert!" antwortete Likah.
Sealla staunte, während Grindel nickte. "Jedes Jahr weitere
Hundert, und wenn Ihr könnt mehr", schloss er.
Likah nickte zufrieden. "Abgemacht."
Grindel hatte darauf bestanden, dass Likah und Sealla noch etwas
blieben und mit ihm etwas tranken. Während Grindel das Getränk
holte, warnte Likah Sealla vor. Denn Grindel servierte grundsätzlich
nur Chantun. Sealla verzog das Gesicht, denn sie erinnerte sich daran,
wie sehr Likah immer über dieses Getränk geflucht hatte, wenn
er es trank.
Doch sie musste da durch. Likah lächelte ihr ermutigend zu,
als Grindel mit einem Krug in der Hand eintrat. Er setzte sich zu den beiden,
doch er stellte nicht drei, sondern vier Kelche neben den Krug. Likah hob
lächelnd eine Augenbraue. Grindel deutete Likahs Blick richtig und
grinste. "Fürwahr", bestätigte er, "hier gibt es auch einen mutigen
jungen Mann, der sich zu einem täglichem Glas überreden ließ.
Ihr wart nicht der einzige übermütige Jüngling!"
Likah lachte leise. "Ich hätte Euch immerhin beinahe geschlagen.
Beinahe", antwortete er.
"Wenn Euer Vater nicht gewesen wäre", knurrte Grindel.
"Ich hätte es auch so bereut", murrte Likah vor sich hin.
Grindel lachte breit. "Nehmt es nicht so ernst. Ich war immerhin
auch betrunken." Grindels Grinsen war so breit wie sein Gesicht. "Und der
Kater am nächsten Tag war auch nicht ohne..."
Und auch Likah lachte amüsiert. Sealla schüttelte den
Kopf. Sie wusste nicht, was die beiden an starken Kopfschmerzen so witzig
fanden.
Sie mussten nur etwas mehr als eine viertel Stunde warten, bis ein
junger Elb eintrat. Likah musterte ihn aufmerksam. Doch er entsprach dem
normalen Aussehen der Elben: hoher, schlanker Körperbau, feine Züge
und weiße Haare. Er fiel nicht auf. Er wurde Likah und Sealla unter
dem Namen Synth vorgestellt.
Kaum dass er sich gesetzt hatte, hob Grindel seinen Kelch und deutete
den anderen, ihren ebenfalls zu nehmen. Sealla staunte, wie schnell Grindel
eingeschenkt hatte. Likah lächelte nur, während er seinen Kelch
nahm. Sealla tat notgedrungen das gleiche. Sie führte den Kelch an
die Lippen und nahm einen kleinen Schluck.
Der Chantun schmeckte scharf und brannte in der Kehle. Doch Likah
und Grindel schluckten das hochprozentige Getränk in kurzer Zeit hinunter.
Grindel grinste, als er Likah nachschenkte. "Wollt Ihr Euren Rekord vom
letzten Mal brechen?" scherzte er.
Likah lachte nur. "Das werde ich wohl so schnell nicht mehr schaffen",
gab er zu, "ich bin aus der Übung."
Grindel lachte laut los. "Das will ich sehen!"
Likah verzog das Gesicht. Er wusste, was das bedeutete. Er blickte
Grindel kurz an. "Ich hoffe, Ihr habt genug Platz, Sealla und mich zu beherbergen."
Grindel nickte mit einem breiten Grinsen. Likah würde solange
trinken müssen, bis er oder Grindel aufgab. Er blickte Sealla an.
"Ich glaube, Ihr habt heute wohl mehr als genug Zeit, Euch den Markt in
Ruhe anzusehen."
Sealla nickte und stand auf. Grindel grinste nur und schenkte Likah
und sich wieder nach.
Als Sealla am nächsten Morgen aufstand, hatte sie ihre liebe
Mühe, Likah zu wecken. Sie brauchte zehn Minuten, bis er endlich die
Augen öffnete. Doch er stöhnte und bat sie, zu schweigen, als
sie ihm etwas sagen wollte.
Sie grinste breit. "Einen dicken Kopf?" fragte sie spöttisch.
Likah hob nur flehend die Hand. "Bitte...", flüsterte er mit
erstickter Stimme.
Doch sie lachte nur. "Selber schuld!"
Likah zischte schmerzhaft und scheuchte sie hinaus. Aber es dauerte
noch über eine halbe Stunde, bis er sich endlich überwinden konnte,
aufzustehen. Langsam zog er sein Hemd an und blickte in den Spiegel. Er
stöhnte wieder. Toll siehst du aus! schimpfte er innerlich.
Er seufzte. Genauso wie damals, als Vater mich erwischt hatte. Er
nahm eine Hand voll Wasser aus der bereitstehenden Schüssel und glättete
sein Haar soweit es ging.
Dann ging er langsam und ein wenig wankend in die Stube. Grindel
saß dort mit Sealla und redete mit ihr. Er grinste Likah an, als
dieser sich zu den beiden setzte. Sein Gesicht verriet anscheinend seine
Kopfschmerzen.
"Ihr hattet recht", neckte Grindel ihn, "ihr vertragt wirklich nicht
mehr viel."
Likah verzog das Gesicht. "Hört auf, mich zu quälen, und
gebt mir lieber etwas Chantun", bat er.
Grindel grinste und reichte Likah einen gefüllten Kelch. Der
Junge trank ihn schnell aus.
"Warum noch mehr Chantun?" fragte Sealla erstaunt.
Grindel grinste nur. Auch Likah lächelte schwach: "Bis heute
Abend hält er mir die Kopfschmerzen vom Leibe. Und Morgen ist mir
egal, da muss ich nicht reiten." Sealla lachte amüsiert.
"Also, kommt in zwei Wochen wieder, dann ist die Rüstung fertig."
Grindel reichte Likah die Hand zum Abschied. Likah lächelte und nickte
freundlich. Dann stieg er in den Sattel. "Gehabt Euch wohl", verabschiedete
er sich. Er wendete das Pferd und ritt mit Sealla los. Grindel blickte
ihnen nach, bis sie um die Ecke geritten waren, dann drehte er sich um
und ging wieder in das Haus.
Nachdem Likah und Sealla eine Weile schweigend geritten waren, hielt
sie das Schweigen nicht mehr aus. "Warum seid Ihr zu den Söldnern
gegangen?" fragte sie plötzlich.
Likah hob die rechte Augenbraue. "Warum?" fragte er forsch.
Sie zuckte die Schultern. "Ich bin eben neugierig."
Likah lachte leise. "Wenn man untertauchen muss, ist es der einfachste
Weg", gestand er.
"Wieso untertauchen?" Sie verstand gar nichts.
Likah kicherte vor sich hin. "Leben oder Tod", rezitierte er einen
alten Spruch. "Ich hatte die Wahl: Untertauchen oder getötet werden."
"Von wem?"
"Den Kirmarpriestern." Seine Stimme war bitter geworden. "Darum
bin ich unter die Söldner gegangen. Niemand sucht einen Magier unter
Söldnern."
Sie fröstelte auf einmal. Die Kirmarpriester waren bekannt
für ihre fanatische Brutalität. Sie hatten es sich vor einigen
Jahrzehnten in den Kopf gesetzt, alle Magier zu töten. Sie behaupteten,
sie wären von den Göttern erwählt worden, die Welt von dieser
'Bedrohung' zu befreien. Doch sie nahmen keine Rücksicht darauf, dass
viele Magier gut waren und den Völkern nur zu helfen versuchten. Darum
hielten sich die Magier im Geheimen. Auf einmal verstand sie Likahs Verschwiegenheit
und sein Misstrauen.
Die nächsten Wochen vergingen eher ereignislos. Die Söldner
freuten sich über diese Abwechslung zu ihrem sonstigen Leben. Doch
Deimin trennte sich nach drei Wochen und zog alleine weiter. Er hatte zwar
versucht, Sealla noch zu überreden, ihn zu begleiten, doch sie weigerte
sich vehement.
Arton hatte sich bereit erklärt, ihr sein Wissen über
den Schwertkampf zu vermitteln und so war sie die meiste Zeit außerhalb
der Stadt. Likah besuchte in der Zwischenzeit des Öfteren Grindel.
Cullyn verschrieb sich ganz und gar dem Alkohol und dem Spielen. Doch abends
saßen sie fast immer gemeinsam an ihrem Stammtisch und redeten miteinander.
Sealla verstand die komplizierte Freundschaft, oder besser gesagt
Zusammengehörigkeit, der drei Männer immer mehr. Ihr Schicksal
schien sie absichtlich zusammengeführt zu haben, doch niemand verstand,
warum. Manchmal fragte Sealla sich, ob sie nicht vielleicht auch dazu gehörte,
doch sie bezweifelte es stark. Nur Cullyn hegte daran keine Zweifel. Es
lag vielleicht an seiner schwachen prophetischen Begabung, die alle Elfen
besaßen.
Als die Zeit des Aufbruches anstand, fühlte Sealla sich zugehörig
und vermeinte die Männer schon ewig zu kennen. Die Pferde wurden sehr
sorgfältig gesattelt und beladen, denn sie wollten noch ein bisschen
die Ruhe genießen.
"Warum geht ihr zurück?" fragte Sealla, als sie aus der Stadt
geritten waren. "Ihr müsst es doch gar nicht."
Cullyn warf Likah und Arton einen vielsagenden Blick zu. "Ihr habt
ein schlechtes Gedächtnis", scherzte er. "Wegen Lortac. Das sind wir
ihm schuldig."
Sie starrte vor sich hin. "Er hat wohl sehr viel für Euch getan."
Cullyn zuckte die Schultern. "Nicht mehr, als ein anderer Kommandant.
Jeder von uns verdankt ihm sein Leben und außerdem ist er ein Freund."
Cullyn blickte sie scharf von der Seite an. "Und auch wenn er es niemals
zugeben würde, so ist er dennoch auf unsere Hilfe angewiesen."
Likah lachte vor sich hin. "Das ist jeder Kommandant, der seine
Männer über den Winter entlässt", verwies Arton Cullyn.
"Er ist darauf angewiesen, dass sie zurückkehren."
Sie starrte vor sich hin. "Ich hoffe, er nimmt mich auf..." flüsterte
sie leise zu sich. Likah blickte sie aufmerksam von der Seite an. Er verstand
einfach nicht, warum sie unbedingt Söldnerin werden wollte.
Die Reise dauerte noch dreieinhalb Wochen, doch dann erreichten
sie endlich das Herzogtum von Hanran. Von der Grenze waren es nur noch
zwei Tage, bis sie den Treffpunkt erreichten. Hanran wurde gegen alle Proteste
von einer Herzogin beherrscht. Ihr verstorbener Mann hatte Lortac in den
Ruin getrieben und hatte dafür mit dem Leben zahlen müssen. Und
da der einzige Sohn des Herzogs damals erst geboren war, herrschte seine
Mutter, bis er alt genug sein würde. Denn sie weigerte sich, einen
anderen Mann zu heiraten.
Cullyn kannte die Herzogin noch von dem Rachezug Lortacs. Sie war
eine verständnisvolle Frau, und sie hatte Lortac vorgeschlagen, seine
Besitztümer wieder herzugeben, doch Lortac hatte abgelehnt. Darum
hatte sie es mehr als nur für gerecht empfunden, Lortac zumindest
seine alte Burg zurück zu geben.
Cullyn erzählte Sealla während des nächsten Tages
von der Herzogin und sie hörte aufmerksam zu. Sie staunte, dass diese
Frau es geschafft hatte, sich so gut durchzusetzen. Und sie schwor sich,
es der Herzogin gleichzutun und nicht aufzugeben.
Als sie in der Ferne die Ruine erblickten, war Sealla schwer beeindruckt.
Die Burg war teilweise zerstört, doch man konnte noch immer ihre eigentliche
Größe erkennen. Es muss eine prachtvolle Burg gewesen sein!
Sie konnte den ganzen Weg bis zur Burgruine an nichts anderes denken, als
daran, wie sie einst ausgesehen haben mochte.
Kaum dass sie bemerkt worden waren, ritt ihnen ein kleiner Trupp
entgegen, an ihrer Spitze Lortac. Likah entdeckte jedoch auch zwei neue
Gesichter unter Lortacs Begleitern. Arton verzog erstaunt das Gesicht,
als er einen Elben darunter erkannte. Ein Elb als Söldner, das hatte
er noch nie gesehen. Sie begrüßten ihren Anführer erfreut.
Lortac lachte über das ganze Gesicht. "Ich habe gehört,
ihr wart in den Hochebenen?"
Arton grinste breit. "Ja."
"Die Männer haben schon Wetten abgeschlossen, ob ihr Geschmack
findet, oder ob ihr zurückkehrt."
Cullyn lachte lauthals los. "Wer im Namen Beth´s hatte so
wenig Vertrauen in uns?"
Lortac lachte ebenfalls. "So einige..."
Cullyns Blick wurde finster. "Die Männer sollten mir besser
aus dem Weg gehen, wenn ihnen ihre Gesundheit lieb ist!" drohte er.
Norton, der rechts von Lortac stand, wurde bleich und blickte betroffen
zu Boden. Arton lachte lauthals los, als er Cullyns tödlichen Blick
sah. "Immer mit der Ruhe", bat Lortac Cullyn. Doch der Elf knurrte etwas
von Verräter und lenkte sein Pferd in Richtung Lager.
Arton und Likah seufzten und schüttelten den Kopf. Doch Lortac
grinste nur amüsiert. "Und ich dachte, ihr wolltet euch erholen und
ausspannen."
Likah zuckte hilflos mit den Schultern. Sie hatten Cullyn in der
letzten Zeit als reinen Griesgram kennen gelernt. "Und wer bitte," fragte
Lortac, "ist die Lady da?" Arton räusperte sich nur und blickte Likah
nichtssagend an.
"Danke, für diese Unterstützung!" knurrte dieser sarkastisch.
"Wenn ich vorstellen darf: Sealla. Und fragt besser nicht, was sie hier
will." Lortac nahm Sealla aufmerksam ins Visier.
"Ich hoffe, Ihr habt Euch das gut überlegt?" Lortac starrte
Sealla an. Er konnte nun wirklich nicht verstehen, was diese Frau zu dieser
Wahnsinnsidee trieb.
Doch sie lächelte ihn sicher an. "Ja, ich habe es mir gut überlegt",
antwortete sie schließlich.
Likah ließ ein kurzes Kichern hören. "Gezwungenermaßen!"
berichtigte er.
Lortac schüttelte den Kopf. So etwas war ihm noch nie untergekommen.
Jemand, der freiwillig Söldner werden wollte, und noch dazu eine Frau!
"Und was hat Euch zu Eurer Entscheidung bewogen?" forschte er nach. Er
wollte niemanden in seiner Truppe, der aus Übermut hier war.
"Ich...." sie starrte auf den Boden. Doch dann hob sie den Kopf
und blickte Lortac fest in die Augen. "Ich will als Mensch behandelt werden.
Mit allen dazu gehörenden Rechten!"
Lortac blickte sie sehr zweifelnd an. Er schüttelte schließlich
seufzend den Kopf. "Und Ihr glaubt, dieses als Söldner", er betonte
das letzte Wort besonders stark und legte eine vielsagende Pause ein, "zu
erreichen? Kindchen, du weißt doch gar nicht, was es bedeutet, ein
Söldner zu sein!"
Sie starrte ihn erschrocken an. Sie verstand gar nicht, was Lortac
hatte. Er lebte doch gut. Und er hatte auch ein großes Ansehen, wie
seine Gruppe.
Als sie ihn darauf ansprach, lachte er laut über sie. "Das
ist nur, solange wir helfen!" sagte er schließlich hart. "Niemand
wird uns soviel Respekt zukommen lassen, wie einem Krieger unter der Führung
eines Adligen. Wir sind für die meisten bloß Abschaum – Ausgestoßene,
die in Kriegen ihr Leben lassen, ohne dass ihnen jemand nachtrauert!" Er
fasste sie fest in seinen Blick. "Kindchen, Kindchen... Du weißt
noch gar nichts. Die Barden übertreiben stets."
Sie starrte zu Boden. Diesen Satz hatte sie schon einmal zu hören
bekommen. Mit einem Mal tat sie Likah leid, wie sie so da stand, völlig
desillusioniert und hilflos. Lortac blickte sie ernst an. "Willst du immer
noch Söldner werden?" fragte er, doch er erwartete eigentlich gar
keine bestätigende Antwort.
Sealla ballte die Hände zu Fäusten und starrte Lortac
fest an. "Ja!" presste sie schließlich heraus.
Lortac japste erschrocken und auch Likah schnappte nach Luft. Diese
Antwort hatte keiner von beiden erwartet.
"Ich kann doch sonst nirgendwo hin, ohne dass ich als minderwertig
bezeichnet werde", ihre Stimme war bitter. "Dann lieber als Söldner,
der noch ein gewisses Ansehen hat. Und sei es nur in Geschichten und Liedern!"
Lortac und Likah tauschten vielsagende Blicke aus. "Du bist stur",
nickte Lortac schließlich, "das zeugt von einem starken Kampfgeist.
Also gut", er blickte sie fest an, "Willkommen unter den schwarzen Dämonen.
Enttäuscht mich nicht, Soldat!"
Sealla starrte ihn erstaunt an. Als sie begriff, dass sie aufgenommen
war, hätte sie vor Freude am liebsten geschrieen, doch sie beherrschte
sich. Sie verneigte sich statt dessen, wie es sich geziemte. "Ich werde
mich hüten." Sie warf Likah einen freudestrahlenden Blick zu.
Likah lächelte nur und nickte. "Ich hoffe, Ihr seid zufrieden..."
© Dragonsoul
Lianth
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