Die Prophezeiung von Dulmyth von Dragonsoul Lianth
3: Ein gefährlicher Auftrag
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Gebirge von Tahth
20. Minar, Anno 1036

Anfang Frühling hatte Lortac einen viel versprechenden Auftrag angeboten bekommen. Herzog von Nemnon hatte größere Schwierigkeiten in seinen Grenzgebieten, die in das Gebirge von Tahth reichten. Das Herzogtum Nemnon war noch sehr jung und das Gebirge war kaum erforscht. Was dahinter war, konnte man nur vermuten.
Es hatte sich herausgestellt, dass das Herzogtum an ein anderes Reich grenzte und der dortige Herrscher war nicht erfreut über seinen neuen Nachbarn. Der fremde Herrscher, Jufgarr von Namen, versuchte, Herzog von Nemnon die Grenzgebiete streitig zu machen.
Die Söldner hatten sehr viel Geld geboten bekommen, damit sie die Grenzgebiete verteidigten. Und Lortac hatte mit Freuden eingewilligt, denn der Auftrag schien für seine Gruppe nicht besonders gefährlich. Doch er wusste zu dem Zeitpunkt nicht, was sie erwarten würde.

"Also, ich habe ja schon einiges erlebt und gesehen, aber so etwas ist mir noch nie untergekommen!" Es war Lortac, der diese Worte sehr verwirrt aussprach.
Er beugte sich über eine Kreatur, die er bis jetzt für nicht existent gehalten hatte. Der Körper erinnerte entfernt an eine Mischung aus Fledermaus und Goblin: Sie war klein, reichte einem ausgewachsenen Mann knapp über die Hüfte. Sie war, wie die Goblins, rundlich vom Corpus und sehr muskulös. Die Haut war hart und grau, das Gesicht schien gemeißelt und unvollständig – die Züge waren abgehackt und es waren weder Nase noch Ohren oder daran erinnernde Öffnungen vorhanden. Auch hatte sie kleine, ungelenk wirkende Flügel, die zwischen den vier Armen aus dem Rücken wuchsen.
Jedoch war die Kreatur keineswegs ungelenk, sie konnte sehr gut fliegen, was sie bewiesen hatte, als Cullyn gegen sie gekämpft hatte. Wie durch ein Wunder hatte er diesen ungleichen Kampf als Sieger und vor allem unverletzt überstanden.
"Ein Dämon?" fragte Cullyn schließlich unsicher.
Lortac starrte die Kreatur noch ein paar Augenblicke an und nickte dann: "Ich denke schon."
Cullyn pfiff erschrocken und dann lachte er triumphierend. Lortac und Likah blickten ihn erstaunt an. Cullyn grinste über das ganze Gesicht. "Denkt doch einmal nach..." antwortete er auf diese Blicke, "Welcher Elb kann schon von sich behaupten, er habe einen leibhaftigen Dämonen besiegt?"
Lortac schüttelte den Kopf. "Seid froh, dass Ihr noch lebt!" tadelte er ihn.
Cullyn verzog das Gesicht und starrte die Kreatur an. Er hatte nur gesiegt, weil er den Überraschungsmoment auf seiner Seite gehabt hatte. Hätte der Dämon noch ein paar Augenblicke Zeit gehabt, hätte er ernsthaft angegriffen und Cullyn hätte seine liebe Müh und Not mit ihm gehabt. 
Lortac erhob sich schließlich. "Verbrennt den Kadaver", befahl er Cullyn und Likah, "ich werde inzwischen mit dem Herzog sprechen. Ich will endlich wissen, ob er uns etwas vorenthalten hat." Seine Stimme verriet nichts gutes.
Cullyn und Likah machten sich daran, trockene Äste um den Kadaver zu häufen, nachdem Lortac gegangen war. Als sie die Kreatur bedeckt hatten, entzündete Likah das Holz mit Hilfe seiner Magie. Sie schauten den Flammen bei ihrer vernichtenden Arbeit zu.
"Es wird nicht der einzige Dämon bleiben, oder?" fragte Cullyn schließlich, doch er erwartete keine Antwort. Er wusste es genauso wie Likah und Lortac. "Wann wird er den Männern davon erzählen?" sann er weiter. "Oder wird er den Auftrag vielleicht wieder abgeben?"
Likah lachte leise. "Er wird nicht austreten", murmelte er, "dazu hat er zu viel zu verlieren."
Cullyn fröstelte auf einmal. Er blickte Likah an und deutete mit dem Kopf in die Richtung eines nahen Waldes. Aus dem war auch der Dämon gekommen. Likah blickte sich den Waldrand genauer an und schürzte die Lippen. "Das wird eine Herausforderung, diesen Auftrag zu überleben", zischte er. 
"Oh ja!" bestätigte Cullyn. "Und ich will wirklich nicht feige erscheinen, aber ich wäre jetzt viel lieber wieder in den Ebenen von Cyr!"
Likah starrte wieder in die nun hell lodernden Flammen. "Nicht nur du... nicht nur du." 
Als der Kadaver verbrannt und das Feuer gelöscht war, kehrten die beiden Männer zum Lager zurück. Es war inzwischen viel Zeit vergangen und Lortac war bereits von seinem Gespräch mit dem Herzog zurück. An seinem Gesichtsausdruck konnte Likah erkennen, dass Nemnon davon gewusst hatte. Cullyn schürzte die Lippen und sein Blick war finster.
Als Lortac die beiden sah, winkte er sie herbei. Er berichtete kurz, was der Herzog erzählt hatte. Es war nicht viel, nur dass die Leute hier schon des öfteren in den letzten Wochen von Dämonen berichtet hatten, doch er hatte es bis jetzt für Humbug gehalten. Likah lächelte verachtend.
"Dass er es nicht besser wusste!" beschwerte sich Cullyn. "In jeder Geschichte steckt Wahrheit."
Lortac schüttelte nur den Kopf und beendigte damit dieses Thema. Er blickte Likah an. "Ich bin jetzt am Überlegen, ob wir diesen Auftrag ausführen, oder ob wir gehen."
Likah starrte ihn erstaunt an. Solche Worte, wie einen Auftrag fallen lassen, waren völlig untypisch für Lortac.
"Sire!" begehrte Cullyn auf. "Ihr könnt doch nicht aufgeben!"
Lortacs Blick war abwesend: "Warum nicht?"
Cullyn zischte. "Weil das nicht unsere Art ist", antwortete Likah an Cullyns Stelle, "wir sind die besten Söldner! Und wir sind keine Feiglinge!"
Lortac nickte kurz und dachte einige Augenblicke nach. "Fragt doch die Männer, was ihnen lieber ist", schlug Cullyn vor.
Lortac blickte ihn an und lächelte. "Das ist eine Möglichkeit, fürwahr", murmelte er. "Also gut. Fragen wir die Männer!"
Als die Männer sich versammelt hatten, blickte Lortac sie finster an. Dieser Blick gefiel keinem von ihnen, denn er bedeutete, dass Lortac etwas unangenehmes zu verkünden hatte. Es war totenstill, während Lortac seine Männer abschätzend anblickte.
Schließlich hob er das Wort an sie: "Ich will nicht lange um das Problem herum reden, darum komme ich gleich zum Thema: Ich habe erfahren, dass wir es mit keinen menschlichen Gegnern zu tun haben, sondern mit Dämonen." In der Pause, die er einlegte, wagte es keiner zu sprechen, doch die Augen zeigten deutlich den Schrecken der Männer. "Ich bin geneigt, den Auftrag fallen zu lassen, doch ich will eure Meinung dazu hören, immerhin haben wir einen Ruf zu wahren."
Lange Zeit schwiegen die Männer, keiner wollte das Wort ergreifen. Also übernahm Cullyn das: "Ich werde mich voll und ganz dafür einsetzten, dass wir den Auftrag behalten, denn wir haben unseren Titel als 'schwarze Dämonen' zu verteidigen. Und außerdem ist es mir ja bereits gelungen, einen dieser Bastarde zu töten. Sie sind also genauso verletzbar wie wir." Er blickte herausfordernd in die Menge. "Und dass wir es mit Dämonen zu tun haben, ist vielleicht Ironie, aber es ist auch eine Herausforderung! Oder seid ihr Feiglinge, die lieber ihren Ruf lassen, als diese einmalige Gelegenheit zu ergreifen, als Helden dazustehen?"
Likah grinste Lortac verstohlen an. Cullyn war wirklich ein überzeugender Redner, wenn er wollte. Unter den Männern regte sich ein Murmeln. Schließlich hob Hugh die Stimme und rief: "Ich bin kein Feigling! Und mit einem Dämonen werde ich allemal fertig!" Er reckte die Faust in die Luft. Einer nach dem anderen nickte zustimmend. Sie sahen alle die Chance, ihr Ansehen zu verbessern – und das erheblich.
Lortac nickte nur. "Also behalten wir den Auftrag", schloss er, "jedoch, wer gehen will, der soll gehen. Ich trage es niemandem nach, denn der Auftrag ist lebensgefährlich und ich will niemanden dazu zwingen, sein Leben aufs Spiel zu setzten." Doch niemand regte sich zu gehen.

Sealla schüttelte nachdenklich den Kopf. "Wenn wir nichts über diese Kreaturen wissen, wie sollen wir dann wissen, wie wir sie töten können?" 
Likah saß im Schneidersitz vor ihr und polierte seine Schwertklinge. Er hatte es mit der Rüstung von Grindel bekommen und war sehr stolz auf dieses perfekte Artefakt aus früheren Zeiten. "Schlag ihr den Kopf ab. Dann dürfte sie eigentlich nicht mehr aufstehen können", grinste er sie an. 
Im Lager hatte sich eine seltsame Spannung breit gemacht. Die Männer scherzten sehr viel, doch es war eher Galgenhumor, denn jeder musste damit rechnen, den nächsten Tag nicht mehr zu erleben. Likah wusste, dass viele nicht hatten bleiben wollen, doch sie taten es für Lortac. Ohne ihn würden sie sowieso nicht mehr leben.
Sealla blieb eigentlich nur aus Freundschaft zu Likah, Arton und Cullyn. Außerdem wollte sie sich schließlich beweisen. Und hier sah sie eine einmalige Gelegenheit dafür. Likah war natürlich besorgt, dass sie sich überschätzte, doch innerlich amüsierte er sich über ihre Sturheit.
Cullyn war mit zehn Mann aufgebrochen, die Umgebung genauer in Augenschein zu nehmen. Lortac hatte beschlossen, dass solche Trupps von nun an die nähere Umgebung absuchten, damit sie nicht überrascht werden konnten. Alle drei Stunden brach also ein neuer Trupp auf, wenn der alte gerade wieder eintraf.
"Ich frage mich, was wir machen, wenn der Trupp nicht innerhalb der Frist zurückkommt..." setzte Sealla an.
Likah lachte leise: "Die Waffen nehmen und sie suchen." Sie schnitt ihm eine Grimasse und drehte sich weg. "Du machst dir zu viele Gedanken", seufzte Likah. "Wir können nur versuchen, das als normalen Auftrag zu sehen." Er zuckte die Schultern. "Wird schon schief gehen." Sie schüttelte nur den Kopf. Sie würde ihn wohl nie verstehen.
Als Cullyn wiederkehrte war seine Laune nicht besonders gut. Er berichtete Lortac, dass ihnen fünf dieser Kreaturen begegnet waren. Die Spuren des Kampfes konnte man gut sehen. Keiner der Männer war unverwundet.
Likah schüttelte den Kopf. "Da braut sich etwas zusammen!" prophezeite Cullyn düster. Lortac nickte abwesend.
Doch die nächsten Trupps hatten mehr Glück als Cullyns. Die nächsten drei Tage gab es keine Zusammenstöße mit Dämonen. Im Lager machte sich nach und nach der Scherz breit, Cullyn würde die Dämonen anziehen, dass sie auf sein Aussehen flogen. Cullyn antwortete in der Regel nur mit einem Knurren auf die scherzhafte Frage, ob er denn schon wieder von Dämonen belästigt worden wäre. Lortac war froh, dass seine Männer das Ganze noch mit so viel Humor nahmen, er selbst konnte es nämlich nicht.

Am folgenden Tag waren Likah, Sealla und acht weitere Männer auf einem Erkundungsgang. Likah hatte auf eine so kleine Gruppe bestanden, weil sie weniger auffiel. Sie wollten sich eine Schlucht im Norden ansehen, die eventuell taktisch von Hilfe sein könnte.
Sie waren eine Stunde nach Sonnenaufgang losgeritten und erreichten die Schlucht drei Stunden später. Sealla blickte die hohen Wände respektvoll an. "Das kann eine tödliche Falle sein, wenn man da eingesperrt wird", vermutete sie.
Likah lachte leise. "Oh ja!" antwortete er. "Jetzt besonders vorsichtig!" wies er die Männer an. "Das könnte auch für uns zu einer Falle werden!" 
Unbehaglich ritten sie in die enge Schlucht. Es konnten höchstens drei Pferde nebeneinander reiten. Außerdem war die Schlucht so gewunden, dass man nicht mehr als zehn Meter vor und hinter sich im Auge hatte.
Ein erwartungsvolles und ängstliches Schweigen hatte sich unter dem Trupp ausgebreitet. Misstrauisch beobachteten die Männer den Weg und die Wände. Jederzeit konnte ein Dämon hinter einer Ecke hervorkommen, oder ein Steinschlag die Männer bedrohen. Doch zu ihrem Erstaunen geschah nichts dergleichen. Der Ritt durch die Schlucht war ungestört und sie erreichten das Ende unbeschadet.
Der Anblick, der sich den Söldnern bot, als sie aus der Schlucht ritten, war unglaublich und fesselnd. Vor ihnen erstreckte sich ein weitläufiges Tal. Ein ruhiger Fluss durchschnitt es in der Mitte und wohin man sah, man entdeckte Wald oder Wiese. Der Fluss wurde von einem See ganz am östlichen Rand des Tales gespeist. Das Tal war von allen Seiten von Steilwänden umgeben und nur am anderen Ende, fast gegenüber der Schlucht, aus der sie gekommen waren, verlief eine weitere Schlucht aus dem Tal heraus.
Likah staunte sehr über diesen Ort. Taktisch wäre er recht gut geeignet. Er war am Boden sehr gut zu verteidigen, nur wenn der Gegner aus der Luft kam, konnte er in das Tal eindringen. Likah blickte die Wände abschätzend an. Hochklettern war möglich, also konnte man schon in der Schlucht Fallen aufstellen. Er drehte sich zu den Männer um. Sie schienen ähnliche Gedankengänge zu haben.
"Wir sollten Lortac unbedingt hiervon berichten!" bemerkte Fondran.
Likah nickte und blickte sich noch einmal um. "Nehmen wir das Tal einmal genauer in Augenschein!"
Langsam lenkten sie die Pferde in Richtung des Flusses. Das Tal schien sehr friedlich, selbst die Tiere hier schienen keine Angst zu haben. Sie blickten die Reiter neugierig an und ließen sie bis auf wenige Meter herankommen.
"Also hier waren definitiv noch keine Menschen!" stellte Sealla fest. Doch die Männer interessierte das eher weniger. Likah befahl am Flussufer, abzusitzen. Sie ließen die Pferde grasen, während sie zu Fuß die nähere Umgebung auf Spuren absuchten, doch zu ihrer Freude entdeckten sie nichts. Da es bereits Mittag war, nahmen sie nun auch ihr Mahl ein, bevor sie wieder aufsaßen und dem Flusslauf in Richtung des Sees folgten.
"Ich frage mich, ob dieses Tal auch dem Gegner bekannt ist", sinnierte Fondran.
"Hoffen wir, dass nicht", bemerkte Likah trocken.
Sealla schüttelte den Kopf. "Solch ein Tal kann einfach nicht unbekannt bleiben, wenn man nach Nemnon will!"
Likah lächelte. Ihren Scharfsinn bewies sie nun nicht zum ersten Mal. Er nickte und starrte auf das entfernte Seeufer. "Ich glaube kaum, dass es ihm unbekannt ist", murmelte er zu sich, "er wird hier irgendwo ein paar Posten aufgestellt haben, also seid vorsichtig." Sofort legte sich die Hochstimmung wieder, die die Männer hatte ergreifen wollen.

Es waren die scharfen Sinne der Pferde, die sie kurze Zeit später retteten. Die Pferde bäumten sich plötzlich auf und versuchten, sich von den Bäumen, an denen sie festgebunden waren, loszureißen. Aus Reflex zogen die Söldner ihre Waffen und drehten sich zu den Pferden um. Die Angreifer waren da, bevor die Söldner überhaupt wussten, was eigentlich los war.
Die wolfsähnlichen, aufrecht gehenden Kreaturen stürmten mit atemberaubender Geschwindigkeit auf sie zu. Sie holten mit ihren Langmessern aus und versuchten, die Söldner aufzuschlitzen. Ohne nachzudenken, wichen die Männer aus.
Likah beobachtete es wie in Zeitlupe. Innerlich fluchte er, dass sie nicht vorsichtiger gewesen waren. Doch um lange nachzudenken, hatte er keine Zeit. Eine der Kreaturen stürzte sich auf ihn und er hatte große Mühe, den schnell aufeinander folgenden Schlägen auszuweichen. Zum Parieren waren diese Kreaturen einfach zu schnell.
Schließlich tat er das einzige, was ihm aus dieser unangenehmen Situation heraushelfen konnte: Er wich dem nächsten Schlag nur halbherzig aus und hob sein Schwert selbst zum Schlag. Die Messerklinge traf ihn hart in der Hüfte. Er keuchte vor Schmerz, doch er nutzte den Schwung des Angreifers instinktiv aus und drehte sich um die eigene Achse.
Seine Schwertklinge nach außen gestreckt, fuhr er herum und trennte der Kreatur den Kopf ab, doch nicht ohne noch einen Schlag von ihr versetzt zu bekommen. Jedoch spürte er die Schmerzen schon gar nicht mehr. Er wendete sich seinen Männern zu und sah, dass nur noch eine von den Kreaturen auf den Beinen stand. Sie schlug nach einem jungen Söldner, die anderen versuchten, ihr den Kopf abzutrennen.
Doch das Biest war sehr schnell und wendig, es wich den Schlägen leicht aus. Es war Sealla, die dem Untier den Todesschlag versetzte. Sie war unbeweglich dagestanden, bis die Bestie in ihre Reichweite kam. Ihr Schwert fuhr hoch und trennte ihr mühelos den Kopf ab. Der kopflose Körper sank langsam zu Boden, als wolle er verzweifelt stehen bleiben und sein Werk fortsetzten.
Eine der Kreaturen lag verletzt auf dem Boden, doch sie regte sich noch. Langsam trat Likah an sie heran. Er blickte sie einen langen Augenblick an und hob dann das Schwert. Das Wesen brüllte ihn an und versuchte, Likah von den Beinen zu reißen und ihn zu sich zu zerren. Likah trat einen Schritt zurück. Fondran trat hinzu und enthauptete die Kreatur schließlich mit seiner Kriegsaxt.
Likah stand noch eine Weile unbeweglich da. Er hielt sein Schwert noch immer fest, doch die Spitze berührte den Boden und es war leicht nach vorne geneigt. Ein dünnes Rinnsal Blut lief von seinem Arm über die Klinge zu Boden.
Langsam hob er den Blick und schaute zu den anderen. Zwei der Männer waren tot und alle trugen leichte oder minderschwere Verletzungen. Sealla war zu einem jungen Mann getreten, dessen Brustkorb völlig zerfetzt war. Sie legte ihm ein feuchtes Tuch auf die Brust und versuchte die Blutung zu stillen, doch es war eine Tat der Hilflosigkeit. Auch die anderen kümmerten sich nun um ihre Verletzungen.
Als Likah sich bewusst wurde, dass auch er verletzt war, stellte sich bei ihm der Schmerz wieder ein. Er zischte und starrte die Wunde an seiner Hüfte an. Das Hemd war an dieser Stelle blutgetränkt. Er fluchte leise und zog das Hemd aus, wobei sich auch seine Schulter schmerzhaft zu Wort meldete. Doch das ignorierte er erst einmal. Zumindest versuchte er es, denn seine Schulter schmerzte bei der kleinsten Bewegung.
Er presste das Hemd auf die Wunde an seiner Hüfte und trat zu Sealla heran. Sie blickte ihn mit verzweifelten Augen an. Doch er senkte die Augenlider und schüttelte traurig den Kopf. Es war zu spät für den jungen Mann. Likah kniete sich an den toten Körper und schloss die Augen des Jungen. Für ihn war es der erste und auch der letzte Einsatz gewesen. Das Schicksal war sehr hart.
Sealla bemerkte Likahs Wunden und wollte sich gleich darum kümmern, doch er wies sie an, sich erst einmal um sich selbst zu kümmern. Nach einer Stunde hatten die Männer ihre Wunden so weit es ging verarztet und begannen, die Toten auf ihre Pferde zu legen und festzubinden.
Dann wurden die Kadaver der Kreaturen angezündet und die Männer setzten auf, um wieder ins Lager zu reiten. Während des gesamten Ritts sprach keiner von ihnen auch nur ein Wort. Jeder hing seinen eigenen düsteren Gedanken nach oder gedachte der gefallenen Kameraden.

Am selben Morgen führte Arton einen Spähtrupp an. Sie umrundeten das Lager in großem Abstand. An einem schmalen Grat entdeckten sie menschenähnliche Spuren, die nicht von den Söldnern stammen konnten. Arton wies die Männer an, den Spuren zu folgen.
Sie verliefen in einem nahezu geraden Weg nach Norden. Die Männer waren sehr vorsichtig. Nach mehreren hundert Metern sahen sie, dass andere Spuren dazu kamen. Sie folgten der Spur ein wenig versetzt, was die Söldner zu der Annahme führte, dass dieses Wesen die Person verfolgte.
Die Spuren konnten nicht älter als drei Stunden sein, denn sonst wären sie nicht mehr so gut zu erkennen. Und die Söldner holten schnell auf, da die Personen zu Fuß unterwegs waren.
Nach einer halben Stunde scharfen Galopps hielten sie ihre Pferde an, um die Spur erneut zu überprüfen. Sie war nunmehr nicht älter als eine Stunde. Arton nickte zufrieden und blickte die Spur des Verfolgers, in dem sie einen Dämonen vermuteten, genauer an. Sie war fast so alt, wie die Spur des Verfolgten. Nicht mehr wie zuvor eine Stunde jünger.
Arton hob den Blick zu seinen Männern. "Da wird jemand bald Probleme haben, wenn wir nicht rechtzeitig kommen", bemerkte er kühl. Die anderen nickten und setzten wieder auf. Sie trieben ihre Pferde an, um Zeit gutzumachen.
Die Spur führte sie auf ein Plateau, von dem man einen weiten Überblick über die Umgebung hatte. Doch die Männer schenkten dieser Tatsache keine Beachtung. Sie hatten die Person beinahe eingeholt, doch das Gleiche galt auch für die Kreatur. Als sie die Spur wieder betrachteten, fiel auf, dass der Verfolgte zu rennen begonnen und nun die Richtung geändert hatte. Die Spur verlief nun schnurstracks zu einem Wald, der zwei Kilometer entfernt war.
Doch zu der Spur des ersten Verfolgers hatten sich die Spuren von zwei weiteren Kreaturen gesellt. Und diese Kreaturen waren ungewöhnlich schnell. Arton erkannte es daran, dass die Erde aus den Fußabdrücken weit nach hinten geschleudert worden war. Die Abdrücke waren nicht besonders tief, doch an dem vorderen Rand waren deutlich die Abdrücke von Krallen zu erkennen, die sich tief in den Boden gegraben hatten. Arton fröstelte unwillkürlich, als er versuchte, sich diese Kreatur vorzustellen.
Doch sie ritten weiter, obwohl einige von ihnen am liebsten wieder umgekehrt wären. Und wie als Trost, ging die Spur des ersten Verfolgers ab und verschwand nach Süden. Als die Männer ungefähr zehn Minuten durch den Wald geritten waren, hörten sie einen hohen, angsterfüllten Schrei von rechts. Sofort lenkten sie ihre Pferde dorthin und gaben ihnen die Sporen.
Sie kamen auf eine kleine Lichtung. Und mitten auf der Lichtung standen die beiden wolfsähnlichen Kreaturen. "Werwölfe!" zischte Arton entgeistert.
Die Werwölfe standen einander gegenüber und zwischen ihnen stand - eine Asrai. Der Anblick dieses Feenwesens erschreckte die Männer bald mehr, als die beiden Dämonen.
Einer der beiden Dämonen entdeckte die Söldner und stürzte auf sie los. Arton fluchte lauthals los und griff nach seiner Armbrust. Doch noch bevor er richtig zielen konnte, war der Dämon bereits heran und schlug mit dem Langmesser, das er in seiner linken Pranke hielt, nach Artons Pferd. In Panik ging das Tier hoch und warf seinen Reiter ab. Arton ließ seine Armbrust fallen und fing seinen Sturz mit einer Rolle seitwärts geschickt ab.
Doch sein Pferd war weggelaufen. Auch die Pferde der anderen versuchten, durchzugehen und die Hälfte schaffte es auch, die Reiter abzuwerfen und zwischen den Bäumen zu verschwinden.
Arton raffte sich gehetzt auf, doch der Werwolf zollte ihm keine Beachtung. Er hatte sich wieder der Asrai zugewandt. Arton fluchte erneut und lief zu seiner Armbrust. Auch Norton ergriff seine Armbrust und zielte auf einen der Dämonen. Doch Arton hatte den ersten Schuss. Er traf den Werwolf, der ihn angegriffen hatte genau zwischen den Schulterblättern, knapp unter dem Genick.
Aber das Untier dachte nicht daran, umzufallen. Mit einem Wutgeheul fuhr es statt dessen zu Arton herum und stürzte sich auf ihn. Arton schrie auf und riss beide Hände vor sein Gesicht, bevor der rasende Dämon sich auf ihn stürzen konnte. Arton spürte nur noch das schwere Gewicht auf seiner Brust und dann den dumpfen Schmerz, als er mit dem Rücken auf den Boden aufschlug.
Der nach Verwesung stinkende Atem des Dämonen schlug Arton ins Gesicht. Er schrie, doch er merkte nichts davon. Er hörte weder sich schreien, noch bemerkte er, dass seine Männer ihm zur Hilfe eilten. Er starrte nur das hässliche Gesicht dieses Untiers zwischen seinen Fingern hindurch an. Es waren endlose Sekunden der Angst, die Arton erlitt. Die Kreatur hob die linke Hand mit dem Messer und wollte es Arton ins Herz stoßen.
Doch plötzlich heulte sie erneut auf und versuchte, sich umzudrehen. Doch bevor sie sich ganz umdrehen konnte, fiel ihr Körper schlaff auf Arton zurück. Der Kopf rollte rechts von Arton über den Boden und blieb in zwei Metern Entfernung liegen, von wo aus er Arton mit leeren Augen anstarrte.
Norton reichte Arton die Hand und half ihm beim Aufstehen. Arton starrte noch immer den leblosen Kopf des Werwolfes an. Dann wendete er sich fröstelnd um. Der andere Dämon lag ebenfalls kopflos auf der Wiese. Kystar, ein ehemaliger Ritter, stand grinsend neben dem Untier, seine blutverschmierte Axt in den Händen.
"Alles in Ordnung?" Nortons Frage drang wie durch einen Nebel zu Arton. Er nickte, ohne es zu merken.
Noch nie war er dem Tode so nahe gewesen! Innerlich schauderte er noch immer, wenn er an dieses Gesicht dachte, das ihn beinahe höhnisch angegrinst hatte. Außer Arton war nur Kystar leicht verletzt. Doch auch Artons Wunden waren zu seinem Glück nicht besonders tief. Norton unterzog Artons Brust einem kurzen kritischen Blick und nickte dann.
"Nur ein paar Kratzer", bemerkte er zufrieden. "Seid froh, dass der Dämon keine längeren Krallen hat." Arton blickte ihn finster an. Er war nun wirklich nicht zum Scherzen aufgelegt und das zeigte er auch. Norton verstummte und ging zu den anderen.
"Wir müssen die Pferde wiederfinden!" beschwerte sich einer von ihnen gerade. Diese Bemerkung brachte Arton jäh in die Gegenwart zurück. Er blickte sich auf der Lichtung um. Nur drei der Pferde waren nicht weggelaufen.
Er seufzte resignierend. "Bis wir die wiederfinden, ist schon Nacht."
"Und das, wenn wir Glück haben", fügte Kystar trocken hinzu.
"Ich kann sie herrufen." Die Männer drehten sich bei dem Klang der hellen und leisen Frauenstimme um.
Die Asrai war zu ihnen herangetreten. Betroffen starrten die Männer sie an. Sie hatten ganz vergessen, dass sie da war. Doch die Asrai lächelte nur freundlich. Sie nahm es den Söldnern nicht übel. Immerhin hatten sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt. "Ich will mich bei euch bedanken, dass ihr mir das Leben gerettet habt", fügte die Asrai hinzu.
"Ehrensache", stammelte Arton. Die Asrai lachte glockenhell.
Arton betrachtete sie nun genauer. Er hatte noch nie zuvor eine Asrai gesehen, sondern nur in Geschichten von dieser friedvollen Rasse gehört. Sie war recht klein, reichte Arton knapp bis zur Hüfte. Ihr Gesicht war fein und die Augen hatten einen goldenen Schimmer. Ihre Haare waren kurz, standen nach oben und waren feuerrot mit einigen feinen silbernen und goldenen Strähnen dazwischen. Sie trug ein knielanges, ebenfalls feuerrotes Kleid, das ihre dünne, zerbrechliche Figur deutlich erkennen ließ.
Arton schüttelte den Kopf. Die Asrai blickte ihn fragend an, sie schien seine Verwirrung zu spüren. "Was macht Ihr denn in solch einer gefährlichen Gegend?" brachte Arton endlich heraus.
Die Asrai lächelte erneut. "Ich habe von den Übergriffen der Dämonen gehört und wollte mich davon selbst überzeugen." Ihre Stimme hatte einen melancholisch schönen Klang, der die Männer regelrecht in ihren Bann zog.
Plötzlich fuhr sie wie von einem Basilisken gebissen zusammen. Auch die Männer erschraken und blickten sich gehetzt nach Angreifern um. Die Asrai lächelte entschuldigend. "Ich habe ja ganz vergessen, mich vorzustellen!" sagte sie erschrocken. Die Männer starrten sie nur völlig entgeistert an. "Ich heiße Gaia", fuhr sie fort, ohne die Blicke zu beachten.
Artons Reaktion rettete den Ruf der Söldner. "Ich bin erfreut", antwortete er geistesgegenwärtig, "ich heiße Arton." Er verneigte sich gekonnt und stellte dann auch die anderen zwölf Söldner nacheinander vor. Gaia hörte aufmerksam zu und nickte bei jedem Namen lächelnd.
Als Arton verstummt war, blickte Gaia ihn fragend an. "Soll ich Eure Pferde nun holen?" fragte sie.
"Könnt Ihr das denn?" forschte Arton ungläubig.
Gaia lachte wieder und nickte. "Es ist das Mindeste, das ich für Euch als Dank tun kann." Sie drehte sich um und bildete mit den Händen einen Trichter vor ihrem Mund. Sie ließ einen hellen, lang gezogenen Laut hören, der einem Pfiff sehr ähnlich war. Sie hob und senkte die Tonhöhe drei Mal. Und verstummte dann. Eine Weile stand sie mit zur Seite gelegtem Kopf da und lauschte. Schließlich lächelte sie. "Die Pferde werden gleich wieder hier sein", verkündete sie. Die Männer starrten sie erstaunt an und warteten.
Doch Gaia hatte nicht gelogen. Keine zehn Minuten später traten die Pferde aus dem Unterholz auf die Lichtung. Keiner der Söldner verhehlte sein Erstaunen darüber. Sie nahmen ihre Pferde, die nun wieder gehorchten wie sonst auch immer, an den Zügeln und überprüften das Gepäck. Es war alles noch da.
Arton blickte zum Himmel auf und schüttelte den Kopf. "Wir sollten zurückkehren", stellte er besorgt fest, "Lortac wird sich schon wundern, wo wir bleiben." Die Männer nickten und saßen auf. Arton sah zu Gaia. "Es wäre sicherer für Euch, wenn Ihr uns begleitet", schlug er vor.
Gaia überlegte kurz und nickte dann: "Da habt Ihr recht." Arton ließ Gaia hinter sich auf sein Pferd sitzen und gab das Zeichen zum Aufbruch. Sie lenkten die Pferde in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Im Wald konnten sie ihre Spuren gut erkennen. Und das machte Arton Sorgen. Denn das hieß auch, dass Dämonen die Spur ebenfalls verfolgen konnten. Arton zügelte sein Pferd und drehte sich zu den anderen um. "Wir müssen vorsichtig sein", warnte er sie. "Die Götter wissen, wie viele Dämonen sich hier noch herumtreiben." Er schüttelte den Kopf und seufzte. "Ich hoffe nur, dass sie unsere Spur noch nicht entdeckt haben, und es auch nicht tun, bevor wir nicht in Reichweite des Lagers sind."
Die Söldner schwiegen alle betroffen. Die Dämonen waren nun wirklich nicht leicht zu besiegen gewesen. Und einen Angriff aus dem Hinterhalt würden sie nicht so glimpflich überstehen. "Ich werde sie noch rechtzeitig bemerken", mischte Gaia sich zuversichtlich ein.
Arton blickte sie erstaunt an, doch dann lächelte er über seine Vergesslichkeit. Sie war schließlich eine Asrai. Und Asrai waren für ihre hervorragend ausgebildeten Sinne bekannt. "Ich danke Euch", sagte er schließlich.
Doch Gaia lächelte nur nachsichtig. "Wofür?" fragte sie in einem ruhigen Ton, "Es geht doch auch um mein Leben."
Arton schwieg betroffen. Sie ist sehr ehrlich, das muss man ihr lassen, dachte Arton beeindruckt. Doch er erwiderte nichts, sondern trieb sein Pferd wieder an.

Sie erreichten das Lager nicht ganz zwei Stunden später. Lortac hatte gerade Cullyn mit einem Suchtrupp losschicken wollen. Als er die Männer einreiten sah, lief er ihnen wütend entgegen. "Wo wart ihr so lange?" feixte er.
Arton wurde kreidebleich. So gereizt hatte er Lortac noch nie erlebt. "Bitte verzeiht", brachte er endlich hervor, "aber wir haben einen Zusammenstoß mit Dämonen gehabt." Lortac blickte die Männer nun besorgt an.
"Zusammenstoß!" kicherte Gaia und sprang vom Rücken des Pferdes. "Sie haben mir das Leben gerettet, also verzeiht ihnen bitte", wendete sie sich nun an Lortac.
Lortac blickte Gaia erstaunt an. Er konnte sie erst nicht einordnen. Im ersten Augenblick dachte er, eine Fee vor sich zu haben, doch ihr fehlten die Flügel. Dann fiel ihm ein, dass Asrai den Feen sehr ähnlich waren. "Ihr seid eine Asrai!" bemerkte er erstaunt.
Sie grinste amüsiert. "So werden wir genannt, ja." Lortac verzog das Gesicht. "Ich dachte immer, Asrai leben auf den Inseln von Zandro."
Gaia grinste noch breiter. "Da denkt Ihr richtig."
Lortac schüttelte den Kopf. Jeder, den er kannte, bestand darauf, dass die Asrai ihre Inseln so gut wie nie verließen. Erst recht nicht, um in solch kalte und unwirtliche Gegenden zu gehen. "Was macht Ihr hier?" fragte er schließlich.
Gaias Dauerlächeln wich einem besorgten Gesichtsausdruck. "Ich verschaffe mir einen Überblick über die hiesige Situation."
Lortac lachte bitter. "Sie ist sehr schlecht", bemerkte er trocken.
Gaia blickte sich aufmerksam um. "Wer seid Ihr, und was macht Ihr hier?" fragte sie schließlich.
Lortac hob die Augenbrauen und begutachtete sie genau. Dann zuckte er die Schultern. "Ich heiße Lortac, das hier ist die Söldnerarmee der 'schwarzen Dämonen' und wir sind hier, um unseren Auftrag zu erfüllen. Was bedeutet, dass wir gegen die Dämonen hier kämpfen müssen."
Gaia schüttelte den Kopf. "Ihr wagt ja einiges", bemerkte sie dann abwesend.

Likah und sein Trupp kehrten eine Stunde vor Sonnenuntergang zurück. Die bedrückte Stimmung hatte sich in der Zwischenzeit nicht besonders gebessert.
Sie wurden im Lager mit verwunderten Blicken empfangen. Likah ließ vor dem Zelt des Heilers halten und absteigen. Vorsichtig hoben sie die Toten aus ihren Sätteln. Sie sprachen immer noch kein Wort und die Männer, die herbeigeeilt waren, um nach dem Geschehen nachzufragen, wagten auch nicht, zu fragen. Drei Tote - die Söldner wurden schmerzlich daran erinnert, dass sie nur zu verwundbar waren.
Als die Toten aufgebahrt waren, ließen die zurückgekehrten Söldner ihre Wunden versorgen. Nur Likah blieb vor dem Zelt stehen.
"Was bei allen Göttern ist geschehen?" fragte Arton entgeistert, der gerade zu Likah herantrat. Likah schürzte die Lippen und sein Blick blitzte vor Zorn und Hass. Arton trat zu den Leichen heran und kniete sich vor ihnen nieder. Er sah lange Zeit auf die Männer nieder, betete lautlos. Dann drehte er den Kopf leicht in Likahs Richtung. "Dämonen?"
"Ja." Likah drehte sich abrupt um und ging davon. Doch dann blieb er kurz stehen. "Bereite alles für die Verbrennung vor", sagte er leise, "bitte."
Likah  ging zu seinem eigenen Zelt und setzte sich auf einen Hocker. Er starrte in den kleinen Spiegel, der vor ihm auf dem niedrigen Tisch stand. Dann seufzte er und zog sein blutverschmiertes Hemd aus und löste den Verband um seine Hüfte. Die Wunde hatte sich zur Hälfte geschlossen, doch sie war noch immer ein großes Risiko.
Er schüttelte den Kopf und legte seine linke Hand über die Wunde. Leise sprach er eine Formel aus und ein sanftes bläuliches Licht breitete sich auf seiner Haut aus. Langsam wurde die Wunde kleiner und verschwand dann ganz. Die gleiche Prozedur wiederholte Likah dann bei seiner Wunde auf der Schulter.
Ein paar Augenblicke saß er noch regungslos da und starrte das Gesicht im Spiegel an. Schließlich erhob er sich und zog sich ein anderes Hemd über. Er musste mit Lortac sprechen, so schwer es auch fiel. Als er sich zum Ausgang drehte, stand Arton ihm gegenüber.
"Die Toten werden nach Sonnenuntergang verbrannt", sagte er betrübt, "Lortac ist in Kenntnis gesetzt. Er fragt schon nach dir." Likah lächelte traurig und trat durch die dünne Stoffplane nach draußen. 
Als er Lortacs Zelt erreichte, lief dieser davor ungeduldig auf und ab. Die Männer, die ihn sahen, blickten nur betroffen zu Boden. Die Nachricht von den Toten hatte sich im ganzen Lager verbreitet. "Da seid Ihr ja endlich", schalt Lortac Likah, als er ihn entdeckte.
Likah starrte zu Boden. "Verzeiht", murmelte er leise.
Lortac schüttelte entschuldigend den Kopf. "Ihr müsst Euch nicht verantwortlich fühlen", sagte Lortac plötzlich beinahe väterlich zu Likah.
Likah hob den Blick und starrte Lortac erstaunt an. "Wie?" fragte er verständnislos.
Lortac lächelte. "Ich weiß, wie Ihr Euch jetzt fühlt", tröstete er Likah. "Glaubt mir, mir ging es auch nicht anders, als das erste Mal Männer, die unter meinem Kommando standen, ums Leben gekommen sind." Er starrte in die Ferne. "Es schmerzt sehr. Man wirft sich vor, nicht besser Acht gegeben zu haben, die Männer in ihr Unglück geführt zu haben."
Likah senkte den Blick. Lortac hatte Recht. Likah fühlte sich mehr als nur Verantwortlich für den Tod der drei Männer.
"Doch Ihr könnt nichts dafür." Lortacs Stimme war nun sehr ernst. "Jeder hier weiß, wie gefährlich dieser Auftrag ist und sie sind freiwillig hier. Sie wissen, dass jeder Tag der letzte für jeden von uns sein kann."
"Und dennoch..." setzte Likah an, verstummte dann jedoch hilflos. Lortac lächelte nachsichtig und wies Likah an, sich zu setzten und etwas Wein zu trinken.

Als die letzten Strahlen der Sonne den Horizont erhellten, versammelte die Söldnertruppe sich am Ostrand des Lagers. Die Leichname lagen auf drei gesonderten Scheiterhaufen. Jedem der Verstorbenen waren die Wunden gereinigt und die Waffen in die Hand gelegt worden. So gehörte es sich für einen Krieger, der in der Schlacht gestorben war. Sie lagen dort, wie Könige. Denn die Götter hatten einst geboten, dass nach dem Tod der König mit der gleichen Ehrerbietung verbrannt werden musste, wie der Bettler von der Straße.
Niemand sprach, als die Haufen gleichzeitig in Brand gesetzt wurden. Alle Söldner starrten in die hell lodernden Flammen. Stundenlang standen sie beinahe bewegungslos an ihrem Platz und beobachteten die Flammen bei ihrer verzehrenden Arbeit. Als das letzte der Feuer erlosch, sanken alle Söldner, egal ob Mensch, Elf oder Elb, auf die Knie, um still zu den Göttern zu beten, die über jedes Volk wachten. Thard war bereits aufgegangen, als die Männer nach und nach aufstanden und zum Lager zurückkehrten.
Likah stand noch immer regungslos auf seinem Platz, als Lortac sich zum Gehen wenden wollte. Er schüttelte den Kopf und trat an Likahs Seite. Er legte dem jungen Krieger die Hand auf die Schulter und blickte ihm ernst in die Augen. "Wir haben noch einen weiten und sehr harten Weg vor uns", sagte er scharf, "Und wir brauchen jeden Mann. Euch besonders! Also versinkt jetzt nicht in Selbstvorwürfe, sondern konzentriert Euch auf das Morgen!" Lortacs Stimme war sehr drohend, als er weitersprach. "Oder wollt Ihr, dass noch mehr ihr Leben lassen müssen?"
Likah hob erschrocken den Kopf und starrte Lortac an. "Wieso?" fragte er irritiert.
"Weil Ihr eine wichtige Rolle im Gewebe des Schicksals dieses Trupps habt." Likah und Lortac drehten sich zu der zarten Frauenstimme um, die hinter ihnen erklungen war. Gaia stand melancholisch lächelnd in zwei Metern Entfernung.
Likahs Augen wurden schmal. "Gaia?" fragte er erstaunt.
Die Asrai hob die Augenbrauen. Auch Lortac blickte Likah an. Likah hatte gar nicht die Zeit gehabt, die Asrai kennen zu lernen. "Woher kennt Ihr die Asrai?" fragte er darum misstrauisch.
Likah schaute Lortac verwirrt ins Gesicht und zuckte die Schultern. Wie sollte er es erklären, wenn er es selbst nicht wusste? Irgendeine innere Stimme hatte ihm diesen Namen genannt. Er hatte auch das Gefühl, die Asrai zu kennen, doch er hatte sie nicht in Erinnerung.
Gaias Lächeln wurde sehr mild. "Hab ich Euch endlich gefunden!" triumphierte sie.
 

© Dragonsoul Lianth
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