Die Prophezeiung von Dulmyth von Dragonsoul Lianth
4: Dunkle Vergangenheit
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Gebirge von Tahth
25. Minar, Anno 1036

Lortac, Likah und Gaia waren auf Anraten der Asrai in Lortacs Zelt gegangen, um dort in Ruhe reden zu können. Nun saß Lortac auf seinem Hocker und Likah starrte die Asrai an, die es sich auf Lortacs Pritsche bequem gemacht hatte. Er hatte sich absolut nicht setzen wollen und stand nun mit vor der Brust verschränkten Armen vor dem Tisch.
"Was hat das alles zu bedeuten?" fragte Lortac endlich unwirsch, als die Asrai schwieg.
Sie lächelte, wie sie es sonst immer tat, nun jedoch nachsichtig. "Ihr wisst gar nicht, wen Ihr an Eurer Seite habt", sagte Gaia nur geheimnisvoll.
Likah zischte wütend und trat an die Asrai heran. Er legte drohend die Hand auf ihre Schulter. "Ich weiß es aber auch nicht!" fauchte er schneidend scharf, "Und Ihr könnt Euch sicherlich vorstellen, dass ich es wissen will!"
Gaia blickte ihm kalt und ungerührt in die Augen. "Ihr habt Euch kein bisschen verändert", bemerkte sie kühl.
Likah fuhr wie von einem Peitschenhieb getroffen herum. Sein Blick war gefährlich, als er auf den Ausgang zustrebte. "Wenn Ihr Geheimnisse haben wollt," zischte er eiskalt, "so behaltet sie für Euch und seht zu, dass Ihr verschwindet. Ich höre mir Eure Andeutungen nicht länger an!"
Gaia starrte zu Boden. "Es steht wirklich schlimm um Euch", murmelte sie tonlos, "aber ich kann auch nicht helfen." Sie hob den Blick zu Likah, der stehen geblieben war. "Eure Erinnerung müsst Ihr selbst wiederfinden." Likah knurrte leise und verließ das Zelt.
"Was in Beth´s Namen hat das alles zu bedeuten?" fauchte Lortac Gaia an. "Wollt Ihr mir meinen besten Kämpfer vergraulen?"
Gaia sah zu ihm hin. Ihr Blick war seltsam abwesend und resignierend. "Es ist wichtig, dass er sich erinnert", beharrte sie.
Lortac schlug mit der Faust auf den Tisch. "Wir sind Söldner!" fluchte er, "Weil wir die Vergangenheit nicht mehr sehen wollen!"
Gaia lachte leise. "Oh!" machte sie beinahe unschuldig. "Das weiß ich. Und es geht nicht darum, was er weiß. Er kennt sein Leben bald besser als die Götter..."
Lortac fluchte vor sich hin. Diese Asrai war noch schlimmer mit ihrer Geheimniskrämerei, als die Götter. "Und woran soll er sich dann bitte erinnern?" fauchte er gereizt.
Gaia starrte auf den Boden. "Das darf ich nicht sagen", murmelte sie leise, "die Götter verbieten es."
Lortac wendete sich zischend von Gaia ab. Er hatte genug für den heutigen Tag. Darum bat er Gaia tonlos, das Zelt zu verlassen. Sie stand traurig lächelnd auf und ging zum Ausgang. Doch bevor sie das Zelt verließ, blieb sie noch kurz stehen und drehte sich zu Lortac um. "Es ist sehr wichtig, dass er sich rechtzeitig erinnert", flüsterte sie düster.
Lortac starrte ihr verwirrt nach. So etwas war ihm noch nie passiert. Er war ein guter Taktiker, doch die Andeutungen der Asrai machten keinen Sinn. Wenn Likah sich an etwas erinnern sollte, woran? Erst recht verstand er es nicht, wieso Likah sich an etwas erinnern sollte, wenn er doch sein ganzes Leben kannte.

Likah lag mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf seiner Pritsche und starrte auf die Leinwand über ihm, als Arton zu ihm ins Zelt kam. Arton starrte ihn ein paar Augenblicke an und seufzte dann. "Was ist denn los?" fragte er besorgt.
Likah setzte sich auf und blickte Arton abwesend an. "Wenn ich das wüsste", murmelte er gedankenverloren.
Arton setzte sich auf den Hocker und blickte ihn fest an. So verwirrt hatte er seinen Freund noch nie erlebt. Er würde gerne wissen, was die Asrai von ihm gewollt hatte, um ihm helfen zu können. Denn es tat ihm irgendwie weh, Likah so hilflos zu sehen. "Erzähl", forderte er ihn darum auf, "vielleicht kann ich ja helfen."
Likah lachte leise und schüttelte den Kopf. "Ich glaube kaum, dass du da etwas erreichen kannst."
Arton zuckte die Schultern. "Ich kann es ja versuchen. Dafür sind Freunde da." Er lächelte schief. "Und langsam muss ich mich ja auch einmal revanchieren. So oft, wie du mir schon geholfen hast..."
Likah lächelte unwillkürlich. Auf Arton konnte er sich wirklich verlassen. Darum gab er sich einen Ruck und erzählte Arton die verwirrenden Worte der Asrai. Arton hörte aufmerksam zu und sein Blick wurde immer finsterer. Am Ende schüttelte er den Kopf und seufzte. "Die Asrai sind wirklich schrecklich, wenn es um Gespräche geht."
Likah lächelte über diesen Stoßseufzer und nickte. "Das kann man wohl sagen", murmelte er. Schließlich schwiegen die beiden eine ganze Weile lang.
"Hm..." machte Arton endlich. "Ich weiß absolut nicht, was Gaia gemeint hat."
Likah zuckte hilflos die Schultern. "Und das schlimmste ist, dass ich das Gefühl habe, sie zu kennen. Aber ich bin mir sicher, ihr noch nicht begegnet zu sein." Er schüttelte den Kopf. "Vater hatte immer etwas gegen andere Völker, darum ließ er mich auch nicht mit ihnen verkehren oder sie in seine Burg." Einige Zeit blickte er nachdenklich auf den Boden. "Und als ich auf Reisen war, bin ich auch keiner Asrai begegnet. Woher also kenne ich ihren Namen?"
Arton zuckte die Schultern. "Vielleicht hast du ihn bei den Männern aufgeschnappt?"
Likah schüttelte entschieden den Kopf. "Davon wüsste ich etwas!" Arton nickte.
Nach einiger Zeit stand Arton auf. Er hatte einen seltsamen, beinahe triumphierenden Blick. Likah blickte ihn fragend an. "Was ist?" forschte er.
Arton grinste plötzlich. "Das ich da nicht früher drauf gekommen bin!" Er schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn.
"Worauf?" Likah wurde ungeduldig, weil er endlich mehr wissen wollte.
"Du kennst doch auch die Lehren von Ristyn?" fragte er Likah aufgeregt. Likah überlegte eine Zeit lang. Dann nickte er abwesend. "Er hat behauptet, dass die Seelen nach dem Tod nicht in Himmel oder Hölle kommen, sondern wiedergeboren werden." Artons Stimme zitterte leicht. "Und niemand konnte das Gegenteil beweisen!"
Likahs Kopf ruckte hoch. "Du meinst doch nicht...?" er wagte gar nicht, zu Ende zu sprechen.
Arton nickte bestätigend. "Wenn nun jemand so wiedergeboren ward, wie er einst lebte..." zitierte er Ristyn.
Likah schürzte die Lippen. "...So wird es ihm möglich sein, sich an seine vorherigen Leben zu erinnern", beendete er den Satz.
Arton nickte. "Du bist Magier", murmelte er, "Und du hast eine sehr große Macht. Für das, dass du keine Ausbildung hattest...."
Likah starrte auf den Boden. "Mein Wissen über die Kampfkunst und über die Magie wurde mir nie beigebracht..." Er schüttelte den Kopf. "Ich habe nie begriffen warum, aber ich wusste es einfach."
Arton nickte stumm. Doch sein Blick, den er auf Likah warf, sprach Bände. "Es kann doch sein, dass du dich bruchstückhaft an eine früheres Leben erinnerst. Unbewusst."
Likah sagte nichts, sondern starrte auf seine Hände, die er im Schoß gefaltet hatte. "Warum?" fragte er leise. "Warum das Ganze? Wieso erinnere ich mich, wenn es sonst niemand kann?"
Arton schüttelte den Kopf. "Gaia hatte doch gesagt, du hättest eine wichtige Rolle bei den hiesigen Geschehnissen."
Likah lachte kalt. "'Und so holt das Schicksal jeden ein.'" Seine Stimme war bitter, als er Grindels Worte aussprach. Arton schwieg betroffen.

In dieser Nacht fand Likah keinen Schlaf. Zwei Stunden, nachdem Arton gegangen war, lag er noch immer wach auf seiner Pritsche und dachte nach. Schließlich stand er auf und schlenderte scheinbar ziellos durch das Lager.
Nach kurzer Zeit jedoch erkannte er, wohin ihn seine Schritte lenkten: Er hatte den Platz erreicht, auf dem die Leichname verbrannt worden waren. Einen langen Augenblick starrte er stumm und unbeweglich auf die Aschehaufen, dann kniete er zwischen den Haufen nieder. Beinahe mechanisch faltete er die Hände im Schoß und begann, ein uraltes Gebet in der alten Sprache aufzusagen.
Er war so sehr in diese melodischen Sätze versunken, dass er nicht merkte, wie Sealla zu ihm trat. Sie blieb still hinter ihm stehen und lauschte andächtig seinen Worten. Sie verstand die Worte nicht, doch in ihrem Herzen spürte sie ihre tiefsinnige Bedeutung.
Als seine Stimme schließlich verstummte, merkte sie erst, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Langsam ließ sie sich neben ihm in die Hocke sinken und legte ihm die Hand auf die Schulter. Erschrocken fuhr er leicht zusammen und wendete seinen Kopf in ihre Richtung. Doch sobald er sie erkannte, lächelte er gequält.
Lange Zeit starrte er schweigend in den Himmel. Anfangs schwieg auch Sealla rücksichtsvoll, doch dann hielt sie es nicht mehr aus. "Ich habe mit Arton geredet", begann sie vorsichtig.
"Was hat er dir erzählt?" fragte Likah, jedoch klang es sehr desinteressiert.
"Alles", murmelte Sealla mitleidig.
Likah lachte bitter. "Ich brauche kein Mitleid", zischte er abfällig, "denn Mitleid kann einem nicht helfen."
Sealla starrte lange Zeit auf die Asche. "Ich frage mich, warum ausgerechnet diese Männer haben sterben müssen", seufzte sie, "warum nicht ich oder ein anderer?"
Likah zuckte die Schultern. "Ich weiß es nicht", gab er zu, "der Weg des Schicksals ist verworren."
"Du machst dir Vorwürfe", stellte sie fest.
Likah lachte kalt. "Du etwa nicht?" Er blickte sie fest an.
Sealla senkte den Blick auf den Boden. "Doch", flüsterte sie mit zitternder Stimme, "aber das macht sie auch nicht mehr lebendig. Und es kostet nur noch mehr Männern das Leben, wenn ich es nicht vergesse. - Vorerst."
Likah nickte bedächtig. "Man vergisst nur zu gerne."
"Wenn alles vorbei ist, werde ich all den Gestorbenen gedenken und für sie eine Trauerzeit abhalten!" schwor Sealla. "Die Götter mögen meine Zeugen sein!"
Likah lachte plötzlich bitter. "Man vergisst, um zu überleben. Und man will sich hinterher nicht mehr erinnern, um nicht innerlich zu zerbrechen."
Sealla starrte ihn überrascht an. "Was sagst du da?"
Likah stand plötzlich auf und starrte in den Himmel. "Oh ja. Ich könnte mich erinnern, wenn ich es wollte." Dann senkte er den Kopf und leise rannen Tränen über sein Gesicht. "Doch ich habe Angst davor. Es wird mich zugrunde richten!"
Sealla blickte ihn nur verständnislos an. Sie wusste nicht, was Likah meinte. Wenn er sich nicht erinnerte, dann konnte er doch auch nicht wissen, ob es gut oder schlecht war.
"Ich habe schlimme Dinge getan, in meinem früheren Leben, mehr weiß ich nicht. Und mehr will ich auch nicht wissen! Hört Ihr mich, Ihr Götter!?" Er hob die Stimme und wendete sich an den Wind. "Ich will es nicht wissen!" Plötzlich sank er wieder auf die Knie und schluchzte hemmungslos.
Sealla blickte ihn einige Augenblicke verwirrt an. Sie hatte noch nie erlebt, dass er seine Gefühle so offen zeigte. Schließlich ließ sie sich neben ihm nieder und schloss ihn in den Arm. Likah lehnte seinen Kopf an ihre Schulter und versuchte, seine Beherrschung wiederzuerlangen. Doch es dauerte lange, bis er es endlich halbwegs geschafft hatte. Die ganze Zeit über schwieg sie und dachte nach, was ihn so schaffen könnte.
"Sealla?" Seine Stimme war sehr leise.
"Ja?" Sie blickte ihn fragend an.
"Warum?" fragte er plötzlich.
"Warum was?" Sie verstand nicht, was er von ihr wollte.
Er lächelte traurig und setzte sich aufrecht. "Warum bist du wirklich zu den Söldnern gegangen?"
Sie starrte ihn erschrocken an. Sie hatte immer gesagt, sie wolle sich beweisen und das stimmte auch. Doch es gab noch einen anderen Grund... "Weil," sie blickte verlegen zu Boden, "wegen dir", sagte sie schließlich. 
Likah schloss seine Augen. "Also hatte Arton doch recht", murmelte er leise. "Ich wollte es ihm erst nicht glauben."
Sie blickte ihn abschätzend an. "Es stört dich doch nicht?" forschte sie zögernd.
Er schüttelte entschieden den Kopf. Dann starrte er wieder die Sterne an. "Du hast mir von Anfang an vertraut, so etwas bin ich nicht gewohnt."
Sie zuckte die Schultern. "Ich weiß auch nicht, warum ich dir so sehr vertraue. Ich kenne dich kaum." Sie starrte wieder zu Boden. Einige Zeit überlegte sie, ob sie es sagen sollte. Dann entschloss sie sich, alles aufs Spiel zu setzten. Sie konnte ja nicht viel verlieren. "Ich weiß nur, dass ich sehr viel für dich empfinde", flüsterte sie.
Likah senkte den Blick und sah sie lange Zeit schweigend an. Seine Augen verrieten weder was er dachte, noch was er fühlte, doch Sealla fühlte sich nicht unwohl, wie sie es eigentlich erwartet hätte. Darum hatte sie auch ein gutes Gefühl, dass er sie nicht ablehnen würde.
"Du weißt nicht, welche Schmerzen es dir bereiten würde, meine Gefährtin zu sein", hörte sie ihn plötzlich sagen.
Erstaunt hob sie den Kopf. "Wie?" Doch Likah lächelte bitter.
"Was ist los?" fragte Sealla misstrauisch. Doch sie bekam wieder nur ein Kopfschütteln als Antwort. "Likah!" Sie blickte ihn hart an.
Schließlich seufzte er. "Ich erinnere mich an etwas", flüsterte er tonlos. "Etwas, das ich niemals wieder erleben möchte. Das die Welt nicht wieder erleben möchte."
"Was?" Sie blickte ihn auf einmal flehend an. "Bitte sag es mir. Ich kann dir helfen." 
"Bist du dir da so sicher?" Sie nickte ernst. "Es ist aber nicht schön zu sehen", warnte er sie.
"Zu sehen?" forschte sie nach.
Er lachte leise. "Ich könnte es nicht einmal erzählen, wenn ich kein Herz hätte. Ich kann es dir nur zeigen, dann wirst du es auch besser verstehen."
Sie nickte entschieden. "Dann zeige es mir."
Er blickte sie noch einmal abschätzend an, doch dann erhob er sich. "Nicht hier", sagte er leise, "es gibt zu viele mögliche Zeugen." Und sie verstand.
Sie folgte ihm auf eine kleine Lichtung, die im nahegelegenen Wald war. Dort drehte er sich zu ihr um. "Bist du dir wirklich sicher?" fragte er ein letztes Mal und sie nickte stumm. "Also gut!"
Likah ließ sich auf die Knie sinken und hob die Hände vor seine Brust und faltete die Hände. Nur die Ringfinger ließ er gerade. Er sprach kein Wort, doch Sealla spürte die Spannung, die plötzlich in der Luft lag. Eine gewaltige Macht umhüllte sie, zwang sie auf die Knie. Sie keuchte, doch sie hatte das Gefühl, nicht atmen zu können. Ängstlich presste sie die Augenlider fest zusammen und klammerte sich an Likah fest.
Mit einem Mal war alles vorbei. Zögernd öffnete sie die Augen. "Was bei allen Göttern!" stieß sie erschrocken vor. Die kleine Lichtung war verschwunden. Statt dessen sah sie einen großen Raum, in dem sie sich nun befanden. "Wo sind wir hier?" fragte sie.
Likah legte den Finger auf die Lippen und deutete auf die Tür, die aus zwei Flügeln bestand. Der Raum war insgesamt prachtvoll gebaut. Die Wände waren aus feinstem weißen Marmor und überall hingen Teppiche oder Bilder, die Drachen, Einhörner und andere Wesen darstellten. Auch die Türflügel waren reich verziert, mit Drachen, Löwen, Greifen und Einhörnern, die in einem komplizierten Muster ineinander verschlungen waren. 
Sie blickte sich noch einmal genauer um. Sie entdeckte eine junge, wunderschöne Frau, die aus einer kleinen Nebentür in das Zimmer kam. Sie trug ein dünnes blaues Seidenkleid und kämmte ihre Haare. Plötzlich flog die große Tür auf und fünf vermummte Männer stürmten mit gezogenen Waffen herein. Sealla sprang erschrocken auf und zog ihr Schwert. Doch die Männer stürmten einfach durch sie hindurch, auf die Frau zu.
Sealla keuchte, sie hörte die arme Frau schreien, sah sie zum Fenster rennen. Sealla starrte Likah an, der nur traurig auf den Boden blickte. Langsam wendete sie den Kopf wieder den Geschehnissen zu. Die Männer hielten die Frau fest und schlugen sie. Plötzlich blitzte Stahl auf, einer der Männer hatte einen Dolch gezogen und stieß ihn ihr ins Herz. Sealla wendete sich entsetzt ab, doch der Todesschrei der armen Frau hallte in ihren Ohren, wie das Brüllen eines Drachen.
Als sie sich wieder umdrehte, waren die Männer verschwunden. Nur der tote Körper der Frau war noch in dem Raum. Sealla blickte Likah entgeistert in die Augen, doch diese waren völlig leer. Wieder deutete er leicht in die Richtung der großen Tür.
Sealla hob den Blick, gerade als die Tür wieder geöffnet wurde. Ein junger Krieger stand zwischen den Flügeln und starrte auf das andere Ende des Raumes, dort wo die tote Frau lag. Der junge Mann war ganz in schwarz gekleidet und in seiner rechten Hand hielt er einen langen Stab, an dessen Ende ein Krummschwert war.
Doch er ließ den Stab fallen, als er die Frau sah. Er stand einen unendlich langen Augenblick nur da. Dann lief er durch den Raum, zu der Toten hin. Bei ihr sank er auf die Knie und hob sie an. Plötzlich hörte Sealla ein leises Wimmern: der Krieger war über den Leichnam gesunken und weinte. Lange Zeit beobachtete sie ihn, doch er tat nichts als weinen.
Aber sie konnte den Blick nicht abwenden, denn der Mann tat ihr so leid. Dann lehnte er sich zurück und stieß einen lauten, schmerzerfüllten Schrei hervor. 'Ich werde dich rächen!' Diese Worte hörte sie den Mann leise schwören.
Das Bild verschwamm plötzlich. Sealla musste blinzeln, damit ihre Augen den Bildwechsel verarbeiten konnten. Als sie sich umblickte, hätte sie beinahe geschrieen. Sie und Likah waren mehrere Längen über dem Boden. Voller Angst griff sie nach Likahs Arm.
"Keine Angst, das ist nur eine Illusion", beruhigte er sie tonlos. Sie atmete tief durch und öffnete ihre Augen wieder.
Unter ihnen lag eine weite fruchtbare Ebene. Und in deren Mitte lag eine große Stadt, zu Fuße einer beeindruckenden Burg. Doch dieses Bild verschwand und wich einem anderen: Die Stadt und die Burg waren nur noch Trümmer, als ob sie von einer Armee von Drachen angegriffen worden wäre.
Sealla keuchte erschrocken. "Was bei allen Göttern?"
Likah lachte leise. "Nicht was... wer", berichtigte er ihre Frage.
Sie konnte es nicht fassen, wer so etwas einer Stadt antun könnte. "Wie?" begann sie verwirrt.
"Der Schwur wurde eingelöst." murmelte Likah leise.
Sealla verstand gar nichts mehr. "Eine Armee?"
Likah schüttelte traurig den Kopf. "Nur der, der den Eid schwor."
Sie starrte auf die Trümmer. So etwas konnte doch kein einzelner Mensch anrichten! Oder etwa doch? Langsam drehte sie sich wieder zu Likah um. "Wer war dieser Mann?"
Likah starrte auf die Ebene. "Man nannte ihn..." er stockte und atmete durch, "Skjergar t´Srar, den Drachenkrieger."
"Drachenkrieger", wiederholte sie nachdenklich. Sie glaubte, diesen Titel schon einmal gehört zu haben, doch sie wusste nicht mehr, in welchem Zusammenhang. Als die Ebene verblich, warf sie noch einen letzten mitleidigen Blick auf die Ruinen.
Der Zauber war nun gebrochen und sie fand sich in dem Wald wieder. Lange Zeit starrte sie stumm vor sich hin und dachte nach. Auch Likah schwieg, doch er wollte nicht weiter darüber nachdenken. Der Zauber hatte so einige Erinnerungen in ihm geweckt, die er vertreiben wollte. Skjergar t´Srar, das war einst sein Titel gewesen, und jene Macht besaß er in diesem Leben auch, doch er leugnete sie vor sich, wollte es nicht wahr haben.
"Wieso erinnerst du dich daran?" fragte Sealla in das bedrückte Schweigen. "Was hattest du damit zu tun?"
Likah seufzte leise. Er würde diese Erinnerungen nicht verleugnen können, dafür würden Gaia und die anderen sorgen. "Ich war es, der diesen Lebewesen den Tod brachte", flüsterte er entseelt.
Sealla fuhr zusammen und starrte ihn erschrocken an. "Wieso?" fragte sie leise.
Likah lachte plötzlich bitter. "Man hatte mir das wichtigste in meinem Leben genommen. Ich wollte Rache." Er senkte den Blick und seine Stimme wurde leise. "Und ich habe dafür einhundert Jahre bitter zahlen müssen."
Sie schwieg betroffen. Er hatte alles wieder im Gedächtnis, weil sie neugierig gewesen war. Langsam keimten Selbstvorwürfe in ihr auf. Was sie gesehen hatte, ging tief. Und sie verstand es auch, dass er, als Betroffener, überreagiert hatte. Sie hätte ihn niemals auffordern sollen, ihr das zu zeigen. Er hatte doch nur ein Leben führen wollen, in dem er sich diese Tat nicht vorwerfen musste. "Es tut mir leid", brachte sie schließlich erstickt heraus.
Likah schüttelte den Kopf. "Das muss es nicht. Es ist meine Strafe, mein Schicksal." Das letzte Wort spie er voller Verachtung aus.
Sie starrte zu Boden. "Es muss wirklich hart sein, nicht vergessen zu dürfen."
Likah lachte leise. "Es ist, was die Menschen die fünfte Hölle nennen." Er schüttelte den Kopf. "Die Götter können sehr grausam sein, wenn jemand gegen ihre Gesetze verstößt."
Sealla schüttelte den Kopf. "Aber warum haben sie dir das angetan? Du hast doch schon gelitten!"
"Damit ich meine Macht niemals wieder missbrauche." Er starrte in den Himmel. "Ich werde nie verstehen, warum gerade ich diese Macht habe und sie in jedem Leben wiedererlange."
Noch einige Zeit saßen sie schweigend unter dem Himmel, in dem hellen Licht von Wasrai und Thard. Schließlich stand Likah auf und wendete sich zum Lager. "Es ist besser, zurückzukehren, Lortac ist ein Frühaufsteher."
Sie grinste leicht, wenn auch gequält. Doch gerade, als sie einige Schritte gegangen war, blieb Likah ruckhaft stehen und legte den Kopf schräg.
"Was?" fragte Sealla, doch Likah legte den Finger auf seine Lippen und deutete ihr still stehen zu bleiben.
Er drehte sich langsam nach rechts, und blickte das Untergehölz an. Er erhaschte eine leise, huschende Bewegung, der er sofort mit den Augen folgte. Unbewusst ballte er seine Hand zur Faust und spannte die Muskeln im Arm an.
Er sammelte seine Kraft in der Faust, während er sich immer wieder um die eigene Achse drehte. Plötzlich zischte er: Er hatte das Wesen entdeckt! Ein triumphierendes Lächeln in den Mundwinkeln zeigte Sealla seinen Erfolg. Automatisch drehte sie sich ebenfalls in diese Richtung, doch sie entdeckte nur Schatten.
Ein leises fauchendes Zischen war zu hören und dann stürzte ein Dämon aus dem Gehölz. Sealla keuchte, doch bevor sie recht reagieren konnte, fuhr Likahs Faust nach vorne. Eine schwarze Woge glitt lautlos, doch bedrohlich, auf die Kreatur zu. Sie erhob ein Höllengeschrei, als die Woge sie erreichte. Einen kurzen Augenblick schien alles still zu stehen, dann plötzlich gab es ein leises Rauschen und der Dämon war verschwunden.
Sealla starrte entgeistert auf die kahle Erde, wo gerade eben noch das Untier gestanden hatte. "Was war das?" krächzte sie.
Likah wendete sich ihr abwesend zu. "Die Macht des Skjergar t´Srar", murmelte er leise.
Sealla sog erschrocken die Luft ein. Likah hatte sich verändert. "Deine Augen!" stieß sie hervor.
Likah senkte die Lider und nickte traurig. "Ich weiß," seufzte er. Die tiefschwarzen Pupillen waren auf einmal schmale Schlitze, wie die eines Drachen. Drachenkrieger! Jetzt verstehe ich es! Doch Sealla freute sich nicht über diese Erkenntnis.

Als sie wieder das Lager erreichten, schliefen alle noch. Sealla starrte einige Zeit noch zurück auf den Wald, dann blickte sie Likah traurig an. "Bitte sprich mit niemandem darüber", bat er leise und sie nickte.
Er lächelte und ging zu seinem Zelt zurück. Dort angekommen, blieb er stehen und drehte sich um. Sealla war keinen Millimeter von ihrem Platz gewichen. Er fragte sich, was sie jetzt wohl dachte oder fühlte, doch er konnte sich diese Frage nicht beantworten.
Er warf einen Blick in den Himmel und lächelte müde. Am Morgen würde er sich Gaia und Lortac stellen müssen, auch wenn er es nicht wollte. So war es vorgesehen. Leise hörte er Schritte auf sich zukommen. Er musste die Augen nicht öffnen, um zu wissen, dass es Sealla war. "Was bedrückt dich?" fragte er leise.
Sie starrte zu Boden. "Ich verstehe da etwas nicht", murmelte sie leise.
"So?" Er hob eine Augenbraue und blickte sie an.
"In den Liedern heißt es immer, dass Drachenkrieger einen bösen Charakter hatte. Wie kamen die darauf?"
Likah lachte leise. "Macht verleitet, noch mächtiger werden zu wollen." Er blickte wieder in den Himmel. "Außerdem ist die Magie, die mir verliehen wurde, von dem Todesgott."
Sie starrte ihn an. "Die Macht Leben zu nehmen." zitierte sie mechanisch ein altes Lied. "Doch zu helfen vermag sie nicht."
Likah lächelte müde. "Das stimmt jedoch nicht. Ich kann auch Leben schenken, doch es kostet das Leben eines anderen."
Sie schloss ihre Augen. "Und dieser andere ist dann unschuldig", flüsterte sie. Likah nickte traurig.

Likah legte sich den Rest der Nacht auf seine Pritsche und dachte noch einmal alles in Ruhe durch. Doch zu einer Lösung kam er nicht. Und von Gaia hatte er sie auch nicht zu erwarten, soviel stand fest. Warum mussten die Götter auch Geheimnisse so sehr lieben?
Ihm wäre wesentlich wohler zumute, wenn er wüsste, was die Götter von ihm verlangen würden. Denn das hatte Gaia bereits angedeutet: Die Götter hatten ihm einen wichtigen Platz in den Geschehnissen zugeordnet.
Als die Sonne dann endlich aufging und das Lager langsam erwachte, stand er auf und trat in das fahle Dämmerlicht. Er wollte eigentlich direkt zu Lortac, doch irgend etwas sagte ihm, dass das keine gute Idee wäre.
Darum ging er erst zu seinem Pferd, um nach ihm zu sehen. Obwohl es einen guten Eindruck machte, suchte er nach Verletzungen. Zu seinem Erstaunen wurde er sogar fündig. Seine Augen wurden schmal, als er die dünnen Schnitte sah, die das arme Tier auf dem Rücken trug. Dort, wo der Sattel liegen würde.
Er wusste, dass es dem Pferd große Schmerzen bereiten würde, wenn erst der Sattel und dann noch das Gewicht des Reiters hinzukamen. Er streichelte das Tier mitleidig und trat dann zu dem nächsten Pferd. Auch hier fand er wieder diese Verletzungen. Leise zischte er. Das war eindeutig Sabotage!
Wütend fuhr er herum und lief zu den Jungen, die auf die Pferde aufpassen sollten. "Wo wart ihr letzte Nacht?" fauchte er sie wütend an.
Sie wurden kreidebleich und stammelten unverständliche Worte. Likah packte den nächsten Jungen, den er erreichen konnte, am Kragen und zog ihn zu sich heran. Mit schneidend scharfer Stimme wiederholte er seine Frage.
"Auf dem Posten..." versuchte der Junge sich zu retten.
Doch Likah ließ sich nicht belügen und legte ihm die Hand an die Kehle. Mit immer stärkerem Druck auf die Pulsadern zischte er leise: "Du hast die Wahl: entweder du sagst die Wahrheit, oder ich erwürge dich!"
Der Junge keuchte und packte Likahs Arme. "Wir waren Würfeln!" röchelte er schließlich.
Likah ließ ihn los. Er blickte die Jungen scharf an. "Seht euch die Rücken der Pferde gut an!" zischte er leise. "Und wenn sich bis heute Mittag nichts verbessert hat, dann werdet ihr sehr schnell laufen müssen, um mir zu entkommen!"
Sie japsten und rannten sofort zu den Pferden. Likah blickte ihnen nicht nach, sondern ging ins Lager zurück.
Dort kam ihm Sealla aufgeregt entgegen. Völlig außer Atem blieb sie vor ihm stehen und schnappte nach Luft. "Du solltest dir das unbedingt ansehen!" keuchte sie endlich und zog ihn am Arm hinter sich her.
"Was ist denn los?" fragte er erschrocken.
"Komm einfach mit und sieh es dir an!"
"Als ob ich anders könnte!" murmelte er sarkastisch. Sie grinste, doch sie ließ ihn nicht los, sondern steigerte das Tempo noch ein wenig. Likah blieb nichts weiteres übrig, als ihr zu folgen.
Sie durchquerten das Lager, bis Sealla endlich stehen blieb. Aber anstatt etwas zu sagen, deutete sie einfach nur nach vorne.
Likahs Blick folgte ihrem ausgestreckten Finger und er keuchte erschrocken. "Was in Gallras Namen?" stieß er hervor und trat an Lortacs Seite.
Vor Lortac stand ein mannshoher Drache in Ketten. Likah trat langsam auf den Drachen zu. Das Wesen blickte ihn nur ruhig an. Vor dem Drachen fiel Likah auf die Knie. "Verzeiht ihre Unwissenheit", flüsterte er.
Lortac fuhr wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Mit dieser Handlung konnte er gar nichts anfangen. "Likah!" fluchte er. "Was soll das?"
Likah drehte den Kopf leicht in Lortacs Richtung. "Macht ihn frei", befahl er.
"Wie!?" Einer der Männer war vorgetreten. "Aber wieso?"
Likah hatte sich wieder dem Drachen zugewandt. "Nun macht!" zischte er.
Doch Lortac schüttelte den Kopf. "Nein." Und die Männer verharrten auf ihren Plätzen. Gaia starrte Likah nur aufmerksam an.
"Wenn Ihr es nicht tun wollt", murmelte Likah und stand auf, "dann mach es ich." Und mit diesen Worten hob er die Hand und machte eine leichte Handbewegung. Die Ketten fielen klirrend zu Boden.
"Danke", sagte der Drache leise.
Likah lächelte. "Ich lasse die Geschöpfe meines Herren doch nicht im Stich."
Langsam nickte der Drache, dann blickte er Lortac kurz an, bevor er sich in die Luft erhob und davonflog. Lortac starrte ihm nach und wendete dann den Blick zu Likah. "Ich glaube, Ihr habt mir einiges zu erklären."

Likah hatte Lortac zu dessen Zelt geleiten müssen. Dort wartete Gaia bereits. "Schön, dass Ihr auch hier seid", sagte Lortac leise, "von euch erwarte ich auch eine Erklärung!"
Gaia schürzte die Lippen und blickte zur Seite. "Ich weiß", murmelte sie, "das musste so kommen."
Likah lachte leise vor sich hin. "Man muss nur das, das man sich selbst vorschreibt", versetzte er ihr kühl.
Sie blickte ihn hart an: "Wie Leben zerstören?" Likah zischte wütend und ballte die Hände zu Fäusten.
Lortac fluchte lauthals los. "Mir ist es egal, welche Überzeugungen ihr habt, und worüber ihr euch streitet! Ich will jetzt ein paar Erklärungen!"
Likah fasste sich augenblicklich wieder. "Was wollt Ihr wissen?" fragte er lächelnd.
Lortac schüttelte den Kopf. "Erst einmal will ich wissen, was Ihr eigentlich von meinen Männer wollt, Asrai."
Gaia schwieg kurz, doch dann zuckte sie die Schultern. Sie wollte nicht alles noch schlimmer machen, als es bereits war. "Ich muss Eure Männer auf ihr Schicksal vorbereiten."
Lortac knurrte leise. "Nun fangt nicht schon wieder von Schicksal an! Ich will endlich richtige Gründe!"
"Ihr zweifelt an den Plänen der Götter!?" Gaia hob wütend die Stimme. "Ihr habt ein Schicksal! Und egal wie ungern Ihr das hört, Ihr habt es auch zu erfüllen!"
Lortac schüttelte den Kopf. "Beth hat uns unser eigenes Schicksal überlassen! Wir werden von niemandem mehr kontrolliert!"
Gaia starrte ihn erschrocken an. "Der Gott Beth? Wann?"
Likah lachte plötzlich. "Ich dachte, Ihr Asrai würdet genau wissen, wann die Götter was entschieden haben!"
Gaia zischte wütend. "Beth ist der Gott der Krieger! Wir wollen nichts mit ihm zu tun haben!"
Lortac lächelte kühl. "Wie Ihr seht, könnt Ihr mir mit Schicksal nicht mehr kommen, denn so etwas gibt es für uns nicht mehr!"
Gaia schüttelte den Kopf. "Ihr vergesst die übrigen Götter! Sie haben so entschieden. Und danach habt Ihr Euch zu richten."
Likah lachte wieder. "Nicht jeder folgt dem Willen aller Götter", klärte er sie spöttisch auf.
Lortac nickte nur ernst. "Mir egal, ob ich hinterher dafür in einer der Höllen schmoren muss, doch ich befolge nur den Willen Beth´s! Und daran lässt sich nichts rütteln!"
Gaia starrte auf den Boden. "Und dennoch, das Schicksal der gesamten Welt hängt von euch ab."
Lortac schwieg, nur Likah lachte leise vor sich hin. Er hatte verstanden. "Warum nehmt ihr Asrai nicht das Schicksal in die Hand? Ihr seid doch so gottesfürchtig!"
"Ihr kennt den Preis!" zischte Gaia erschrocken.
Likah nickte abwesend. "Ja, ich kenne ihn."

"Wie bitte!?" Lortac fuhr zurück. "Ihr wollt sagen, dass die Prophezeiung von Dulmyth sich bewahrheitet?" Gaia nickte ernst. "Dann sind wir alle verloren", keuchte er leise.
"Ihr versteht nicht recht!" fauchte Gaia.
"Warum nicht? Die Prophezeiung besagt, dass das Übel nicht zu besiegen ist."
Gaia schüttelte den Kopf. "Doch, aber sehr schwer. Und bald ist es zu spät dafür."
"Wann bald?" forschte Lortac.
"Ihr könnt nicht auf die Truppen des Königs warten!" antwortete Gaia eiskalt.
Lortac fluchte auf. "Das ist nicht Euer Ernst!? Wir können diesen Dämonen nicht Parole bieten!"
Likah nickte ruhig. "Das stimmt. Nicht einmal mit den Göttern auf unserer Seite!"
Gaia schüttelte den Kopf. "Ihr müsst!" flehte sie, "Oder die Welt wird bluten!"
Plötzlich lachte Likah bitter. "Warum unternimmt denn sonst niemand etwas? Ihr Asrai seid genauso davon betroffen!"
Gaia starrte auf den Boden. "Was sollen wir denn ausrichten?" fragte sie betrübt. "Wir sind keine Krieger."
"Aber ihr beherrscht die Magie!" warf Lortac ein.
Gaia blickte ihn traurig an. "Wir haben nur die Magie der Heilung gelernt."
"Immerhin etwas!" beharrte Lortac. "Dann müssen wenigstens nicht so viele meiner Männer ihren Wunden erliegen! Unser Heiler ist überfordert, wenn es erst losgeht!"
Sie blickte Likah fragend an. "Werdet Ihr uns dann ebenfalls unterstützen?"
Likah schürzte die Lippen. "Ihr wisst, dass ich nicht Leben geben darf!" sagte er leise.
"Nur heilen!" flehte Gaia.
Likah sog die Luft ein und schloss die Augen. "Ich kann für nichts garantieren. Ihr wisst, was mein Herr davon hält."
Gaia nickte stumm. "Doch es ist eine Möglichkeit, zu sühnen."
Likah lachte bitter. "Sühnen! Dieses Wort hat schon längst seine Bedeutung verloren."
Lortac begann, in seinem Zelt auf und ab zu gehen. "Und jetzt möge man mir erklären, welche Aufgabe genau Euch auferlegt wurde, Likah."
Likah lächelte und zuckte die Schultern. "Ich weiß es nicht, ich kann nur vermuten."
"Dann tut das."
"Ich soll wohl Jufgarr aus der Welt schaffen. Etwas anderes kann ich mir eigentlich nicht vorstellen." 
Lortac rieb sich abwesend die Schläfen.
"Warum nicht?" fragte Gaia neugierig.
Likah lachte leise. "Damals habe ich mich für einen Weg entschieden. Und diesem Weg muss ich folgen. Es gibt kein Zurück mehr!"
Gaia schüttelte nur mitleidig den Kopf. Langsam hob Lortac den Blick. "Ihr redet von vergangenen Dingen. Ich möchte zu gerne wissen, worüber."
Gaia blickte zu Boden. Sie würde nichts dazu sagen.
"Über etwas, das sehr lange zurückliegt", murmelte Likah traurig.
"Worüber? Über das, woran Ihr Euch erinnern solltet?" Likah nickte stumm. "Ich schätze, das hat etwas mit alledem hier zu tun, also redet!"
Gaia räusperte sich und wollte das Zelt verlassen. Doch Lortac wies sie an, zu bleiben. Likah seufzte und blickte zu Boden. "Es ist eine Tat aus einem frühen Leben", flüsterte er, "Ihr müsst wissen, ich habe sehr viele unschuldige Leben auf dem Gewissen."
Lortac blickte ihn nachdenklich an. "Und daran erinnert Ihr Euch?" fragte er zweifelnd.
Likah hob den Blick und sah ihn wütend an. "Es ist die Strafe dafür! Glaubt mir, ich würde viel lieber vergessen!" Lortac schwieg betroffen. "Ich bin Magier, und das hat sich in all den Leben nicht verändert."
Lortac nickte. "Schön, dass ich es auch einmal erfahre", bemerkte er trocken, "doch was genau habt Ihr denn getan?"
Likah lachte bitter. "Ich habe eine ganze Stadt vernichtet, um den Tod einer Person zu rächen!"
Lortacs Kopf fuhr herum. Er hatte diese alte Geschichte sehr oft gehört. Bisher hatte er immer gedacht, sie sei erfunden, doch Likah log nicht, das war sicher, wie der tägliche Sonnenaufgang. "Wollt Ihr damit sagen...?" stammelte er.
Likah nickte ernst. "Ja. Ich bin Likah à Neiger. Skjergar t´Srar, wie man mich einst nannte. Der Patron des Schattengottes Gallra..."
 

© Dragonsoul Lianth
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