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Gebirge von Tahth
27. Minar, Anno 1036
Sealla stand bei Likah und betrachtete den Sonnenaufgang. "Und Lortac
hat nichts mehr gesagt?" fragte sie erstaunt.
Likah schüttelte lächelnd den Kopf. "Sollte er?"
Sealla lachte nur und drehte sich um. "Was wird er jetzt wohl machen?"
"Er wird wahrscheinlich überlegen, wie wenigstens einige von
uns die nächsten Tage überleben."
Sealla zischte erschrocken: "Glaubst du das wirklich?" Langsam nickte
Likah. Er wendete dem Dämmerlicht das Gesicht zu und schloss die Augen.
"Sag an...", begann Sealla plötzlich, "dieser Drache, warum hast du
den denn freigelassen?"
"Drachen sind Geschöpfe Gallras." Er lächelte müde.
"So wie ich es bin."
Sealla schüttelte verständnislos den Kopf. "Wie?" fragte
sie schließlich hilflos.
Likah lachte leise. "Gallra hat meine Seele einst geschaffen, damit
ich ihm diene." Er zuckte die Schultern. "Und das tue ich, indem ich seinen
Geschöpfen helfe."
"Oh." Zu mehr war sie nicht imstande.
Likah blickte sie fragend an. "Ist etwas?" Sie schüttelte verwirrt
den Kopf. "Jeder Magier ist ein Geschöpf eines Gottes", versuchte
er ihr zu erklären. "Solange wir uns der Magie bedienen, dienen wir
diesem Gott. Selten, dass der Gott diese Seele irgendwann freilässt."
Sie starrte auf den Boden. "Das heißt, du bist Sklave des
Gottes Gallra."
"Nein!" lachte Likah amüsiert. "Ich bin sein Patron."
"Also verrichtest du seinen Willen hier auf Pantrath?"
Likah lächelte und nickte. "Sie hat es verstanden!" Sie lachte
plötzlich über sein schelmisches Grinsen.
Langsam drehte Likah sich zu dem Lager um. Die Leute schliefen zumeist
noch. "Was ist?" fragte Sealla neugierig.
Likah schüttelte den Kopf. "Ich musste gerade daran denken,
dass die meisten den Sommer nicht mehr erleben werden", seufzte er leise.
Sealla schürzte die Lippen und blickte ihn traurig an. "Ich
habe mir geschworen, zu denen zu gehören, die überleben."
Likah lächelte traurig. "Ich hoffe es", flüsterte er,
"ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn auch du sterben würdest."
Sie trat an ihn heran und sah ihm beschwörend in die Augen.
"Sag so etwas nicht!" Likah blickte sie lange Zeit nur schweigend an. "Ich
werde dich nicht verlassen", flüsterte sie und nahm seine Hand, "Niemals!"
Likah lächelte versonnen. "Versprichst du es mir?" fragte er
plötzlich.
Einen langen Augenblick sah sie ihn nur erstaunt an, doch dann nickte
sie. "Ich verspreche es."
"Danke." Er schloss sie in den Arm und sie vergrub ihr Gesicht in
seiner Schulter.
Als er sie wieder losließ, sah er sie noch einen Augenblick
lang an. Plötzlich wurde seine Miene finster. "Du solltest gehen!"
"Wohin?"
"Weg." Er schüttelte den Kopf. "Wahrscheinlich wird keiner
von uns überleben. Ich möchte nicht, dass du dazu gehörst."
Sealla wurde bleich. "Nein!" keuchte sie, "Ich bleibe! Ich habe
es geschworen. Und wenn ich jetzt gehe, dann falle ich bei den Göttern
in Ungnade!"
Likah drehte sich hart um. "Die Götter!" murmelte er abfällig.
"Sie helfen uns nicht! Warum sollten sie sich dann hinterher darum scheren?"
"Likah!" Sie blickte ihn erschrocken an. "Was ist los? Das bist
nicht du, der da redet!"
Likah senkte den Kopf ein wenig und starrte sie aus den Augenwinkeln
an. "Wirklich nicht?"
"Likah!?" Sie wich zurück. "Was ist in dich gefahren?"
Likah lachte leise. "Nichts! Ich muss nur den Willen der Götter
befolgen!" spottete er.
Sealla blickte ihn lange Zeit abschätzend an. "Du hast Angst,
nicht wahr?"
Likahs Körper schien bei ihrer Bemerkung zusammenzusacken.
"Ja", flüsterte er plötzlich, "ich werde alles aufgeben müssen."
Sie blickte ihn verwirrt an. "Aber wieso?"
Likah lachte wieder abfällig. "Weil ich...." er stockte und
brach mit einem Kopfschütteln ab. "Ich kann es nicht sagen. Ich darf
es nicht!"
Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. "Es ist doch egal. Ich
halte zu dir. Darum werde ich nicht gehen!"
Likah drehte sich zu ihr um und lächelte dankbar. Schließlich
seufzte er. "Ich hoffe, du weißt, was du tust."
Sie schüttelte den Kopf. "Nein," gab sie zu, "ich fühle
nur, dass es richtig ist. Und darauf muss ich mich verlassen."
Likah blickte zum Lager zurück. "Ich werde mit Lortac reden
müssen."
"Wie? Ich verstehe nicht!"
Likah lächelte nachsichtig. "Es gibt eine Möglichkeit
zu siegen, doch es wird sehr viel Glück benötigen."
Sie senkte den Blick. "Hauptsache, wir können helfen."
Likah fasste sie einen Moment lang in den Blick. Dann trat er ohne
ein Wort zu sagen an sie heran und küsste sie sanft auf die Lippen.
Als er wieder von ihr abließ, sah sie ihn verwirrt an.
"Was?" fragte sie hilflos.
Likah lächelte sie gequält an. "Ich werde vielleicht dabei
umkommen", murmelt er leise, "ich wollte dich nur wissen lassen, was ich
für dich empfinde, bevor es zu spät ist."
Sie schüttelte den Kopf. "Sag doch nicht so etwas!" Sie legte
ihm einen Finger auf die Lippen. "Wir werden es beide überstehen!
Verstanden?"
Likah nickte leicht. "Wenn du es so sagst, möchte ich es dir
sogar glauben", antwortete er versonnen.
Doch sie blickte ihn nur ernst an. "Es wird so kommen!" prophezeite
sie, doch eher um sich selbst zu beruhigen.
Likah drehte sich ruckhaft zum Lager um und ließ Sealla allein
stehen. Sie blickte ihm einige Zeit lang nach, dann wendete sie sich seufzend
wieder dem Sonnenaufgang zu.
"Welche Laune hast du denn?" hörte sie Cullyns spöttische
Stimme im Hintergrund. "Eigentlich solltest du ja Luftsprünge machen!"
Sealla drehte sich zu ihm um und zischte ihn an. "Du konntest dir
wohl wieder einmal nicht verkneifen, zu lauschen?"
Cullyn lachte lauthals los. "Lauschen brauchte ich gar nicht! Taten
sagen oftmals mehr als Worte!" Sealla knurrte mürrisch, während
Cullyn an ihre Seite trat. "Armes, armes Kind!" seufzte er. "Weiß
nicht, was sie denken oder fühlen soll."
Sie blickte ihn erstaunt an. "Wie kommst du darauf?" fragte sie
gereizt.
Cullyn kicherte vor sich hin. "Du hast dich eben verraten." Doch
dann wurde er plötzlich ernst. "Du solltest dir keine Gedanken machen!"
riet er ihr, "Gefühle und Gedanken sind nicht vereinbar. Nimm das
Geschenk, das er dir gibt, an. Und zweifle nicht an deiner Würdigkeit."
Sie schloss die Augen. "Wieso sagst du so etwas?"
"Weil du zweifelst, das sehe ich dir an. Und weil ich weiß,
wie schwer es Likah gefallen ist, dir seine Gefühle zu offenbaren.
Zerstöre nicht das, das man dir in Kristall gefasst gibt!"
Sie schüttelte den Kopf. "Du redest wie die Asrai!" versuchte
sie zu scherzen.
Cullyn fasste sie am Arm. "Es ist mir ernst!" zischte er. "Wenn
du an dir zweifelst, dann zweifelst du auch an Likah. Und Likah wird bei
dir Halt brauchen! Glaub es mir!" Mit diesen Worten ging er langsam wieder
zum Lager zurück. Sealla stand noch einen Augenblick hilflos da, doch
dann kehrte auch sie ins Lager zurück.
Lortac wurde unsanft von Likah geweckt. Unwirsch erhob er sich und
rieb sich den Schlaf aus den müden Muskeln. "Was ist denn?" fragte
er mürrisch. "Ich hoffe, es ist wichtig."
Likah trat zurück und nickte stumm. Seufzend erhob Lortac sich
und schenkte sich einen Kelch Wein ein. "Nun gut. So redet."
Likah schloss die Augen. "Ich habe nachgedacht, wie wir eventuell
überleben können."
Lortac lachte boshaft. "Ja, wir geben uns geschlagen."
Likah lächelte müde. "Ich wünschte, es wäre
so einfach", murmelte er.
Und auch Lortac nickte. "Also, worüber genau habt Ihr nachgedacht?"
"Über einen Angriff!"
Lortac ließ vor Schreck seinen Weinkelch fallen. "Wie bitte!?"
stieß er hervor. "Höre ich richtig? Ihr wollt auch noch angreifen?"
Likah schloss die Augen. "Ich weiß, es klingt selbstmörderisch,
doch es ist unsere einzige Chance!"
"So?" Lortac hob eine Augenbraue und blickte ihn zweifelnd an. "Und
wie kommt Ihr zu dieser Behauptung?"
Likah lachte leise. "Tut nicht so, als ob Ihr nicht selbst auch
schon daran gedacht habt! Ihr wisst genauso gut wie ich, dass die Männer
die Armee niemals lange aufhalten, geschweige denn besiegen können."
Lortac seufzte, als er so hart an die Realität erinnert wurde. "Der
einzige Weg, doch noch siegreich zu sein, ist, Jufgarr persönlich
gefangen zu nehmen oder ihn zu töten."
Lortac nickte abwesend. Diese Taktik hatten sie schon öfters
angewandt, aber bei einem Magier... Likah schien Lortacs Gedanken zu lesen,
denn er lächelte. "Ich bin ebenfalls Magier, vergesst das nicht!"
erinnerte er kühl.
Lortac schüttelte den Kopf. "Ich weiß. Es ist die einzige
Möglichkeit." Er schloss die Augen. "Bei Beth! Ich wünschte,
es gäbe einen anderen Weg! Aber wie wollt Ihr das anstellen?" Lortac
blickte Likah auf einmal sehr neugierig an.
Likah grinste breit. "Ein Ablenkungsmanöver."
Lortac rieb sich nachdenklich das Kinn. "Also einen offenen Angriff
gegen die Dämonenarmee?" Likah nickte angespannt. Er wusste, dass
er damit sehr viel von Lortac und den Söldnern verlangte. "Es wird
viele das Leben kosten!"
"Wenn wir Glück haben, unterschätzt er uns."
Lortac lachte abfällig. "Glück! Ich habe es immer gehasst,
mich auf Glück verlassen zu müssen. Deshalb habe ich es gelassen."
Er sah Likah triumphierend an. "Und darum lebe ich heute noch!"
Likah verstand diesen Wink. "Was wollt Ihr dann tun?" fragte er
misstrauisch.
Lortac lachte amüsiert vor sich hin und griff nach seinem Weinkelch.
"Ich werde diesen Jufgarr verwirren, dass ihm Hören und Sehen vergeht!"
erklärte er, nachdem er einen Schluck genommen hatte. "Ein Vorgehen,
das er nicht erwartet und das er nicht einschätzten kann." Likah blickte
seinem Kommandanten fragend an. "Ich werde die Armee aufteilen!" sagte
er schließlich siegessicher.
Likah keuchte erschrocken auf. "Ihr wisst, dass diese Aktion die
Männer in sehr große Gefahr bringt?" forschte er nach.
Lortac nickte. "Es gibt nur ein Problem", gab er plötzlich
zu, "wir wissen nicht, wo wir Jufgarr finden können."
Likah grinste nur. "Das dürfte kein allzu großes Problem
sein", versicherte er, "Gjarth - der Drache", verbesserte er schnell, "wird
uns helfen." Lortac schüttelte den Kopf.
"Ich weiß nicht!" mischte Gaia sich plötzlich ein. Sie
war wie so oft unbemerkt in das Zelt getreten und hatte aufmerksam zugehört.
"Ich halte nicht sehr viel davon, mich auf Drachen verlassen zu müssen."
Likah schnaubte verächtlich. "Nur weil sie nicht den Göttern
folgen!" Gaia zuckte nur vielsagend die Schultern.
Lortac unterbrach die beiden energisch. "Lasst mich erst einmal
in Ruhe darüber nachdenken", knurrte er.
Likah nickte nur und verließ das Zelt mit einem warnenden
Blick an Gaia. Sie blieb jedoch unbeweglich an ihrem Platz stehen und fasste
Lortac in den Blick. "Denkt gut über Euer Vorgehen nach!" riet sie
ihm leise.
"Sagt mir nicht, wie ich meine Taktik zu machen habe!" knurrte Lortac
unwirsch.
Sie zuckte gleichgültig die Schultern. "Nehmt Euch in Acht
vor den Drachen. Sie halten sich nicht an die Gesetzte der Götter."
Lortac zischte und drehte sich zu ihr um. "Würde es Euch etwas
ausmachen, mich nun alleine nachdenken zu lassen?" fragte er übertrieben
freundlich. "Ich wäre Euch sehr dankbar."
Die Asrai verzog das Gesicht über diesen deutlichen Verweis
und verließ das Zelt ruckartig. Nachdenklich ließ Lortac sich
auf seine Pritsche sinken. Was er vorhatte war gefährlich, das ließ
sich nicht abstreiten. Und es setzte voraus, dass sie wussten, wo sie Jufgarr
finden konnten. Er wollte eigentlich, dass ein kleiner Trupp unbemerkt
zu Jufgarr vordrang und ihn bezwang.
Doch dazu mussten sie Jufgarr von der Armee fernhalten, sonst war
alles verloren. Aber Gaia hatte recht, es war in seinen Augen riskant,
sich auf einen Drachen zu verlassen. Andererseits setzte Likah sich für
diesen ein, das wollte etwas heißen. Angespannt reib er sich die
Schläfen. Es war gar nicht so einfach, so hoch zu spielen.
Als Lortac das Zelt schließlich verließ, sah er Likah
in der Nähe sitzen und warten. Langsam trat er zu ihm hin. Likah bewegte
sich nicht, sah ihn einfach nur abschätzend an. "Also gut", sagte
Lortac nach kurzem Schweigen, "ich werde den Drachen vertrauen, wenn Ihr
Euch für ihn verbürgt."
"Mit meinem Leben!" antwortete Likah ruhig und stand auf. "Habt
Ihr irgendwelche Entscheidungen geändert?" fragte er leise.
Lortac schüttelte den Kopf. "Und die Männer erfahren noch
nichts", befahl er plötzlich scharf. Likah nickte stumm. "Ich hoffe,
ich erwische diese Asrai noch, bevor sie wieder die Neuigkeit im ganzen
Lager verbreiten kann", seufzte Lortac noch leise und wendete sich ab.
Likah lächelte traurig und sah ihm einige Zeit nach. Gaia war
nicht so einfach zum Schweigen zu bringen, wenn sie es für besser
hielt, dass etwas in aller Munde war. Er drehte sich schließlich
ebenfalls um und machte sich auf die Suche nach Arton.
Er fand Arton schon nach kurzem Suchen in dem Zelt des Heilers.
Im ersten Augenblick war Likah etwas irritiert, denn Arton ging eigentlich
nie freiwillig zu einem Heiler. Man musste ihn schon dorthin tragen. Doch
das ungewöhnliche Verhalten klärte sich schnell auf. Arton ließ
sich von dem Heiler einige Verbandsmethoden und Heilsalben erklären.
"Wie?" scherzte Likah. "Du weißt nicht, wie man eine Wunde
verbindet?"
Arton lachte amüsiert und drehte sich zu Likah um. "Doch, aber
ich habe inzwischen gelernt, dass man nie genug wissen kann." Sofort wurden
die beiden wieder ernst. Der Tod der Kameraden hing ihnen doch noch nach.
Schließlich seufzte Likah und schüttelte den Kopf. "Wenn
du nicht zu beschäftigt bist, könntest du mich begleiten", sagte
er schließlich.
"Wohin?" fragte Arton nach.
Likah schürzte die Lippen und blickte den Heiler an. "Dorthin
wo es von Nöten ist."
Arton schüttelte den Kopf. "Also weißt du es nicht, oder
willst es nicht sagen."
Likah zuckte lächelnd die Schultern. "Sowohl, als auch!" gestand
er ein.
Arton blickte den Heiler entschuldigend an und eilte dann neben
Likah das Zelt hinaus. "Also, wohin?"
Likah lächelte geheimnisvoll. "Nur in den Wald. Der Rest kommt
von allein."
Arton schüttelte den Kopf. "Eines schwöre ich:" versprach
er verheißungsvoll, "An dem Tage, an dem ich all deine Sätze
verstehe, lege ich das Schwert nieder und werde Gelehrter!"
Likah kicherte unterdrückt. "Dann hat dein Schwert ja nichts
zu befürchten!" scherzte er. Arton nickte lachend.
Als sie den Wald betreten hatten, blieb Arton fragend stehen. "Und
nun?" fragte er spitz. "Warten wir nun darauf, dass die Gegend verschwindet?"
Likah blickte ihn kopfschüttelnd an. "Bitte!" versetzte er.
Arton grinste nur. Schließlich lächelte auch Likah. "Unmöglich!"
resignierte er ironisch. "Du bist unmöglich!"
"Wie geht es nun weiter?" kam Arton wieder auf das Thema zurück.
Statt eine Antwort zu geben, drehte Likah sich um und schrieb mit
den Händen unsichtbare Zeichen in die Luft. Als er fertig war, leuchtete
das komplexe Muster für einen kurzen Moment auf. Arton wich erschrocken
zurück. An Stelle der Zeichen war nun ein schwarzes Loch in der Luft.
"Likah!" stammelte Arton, "Du machst mir Angst!"
Likah lächelte nachsichtig. "Du musst keine Angst haben", beruhigte
er ihn, "es ist... ein Tunnel, der uns an unser Ziel führt." Mit diesen
Worten trat er auf die dunkle Öffnung zu. Arton folgte ihm zögernd
und mit gezogenem Schwert.
Als sie eintraten umschloss sie für wenige Sekunden die tiefe
Schwärze. Zum Atmen schien keine Luft dazusein. Doch waren auch keine
Gefühle möglich. Arton fühlte sich seltsam leer und losgelöst.
Dann, ganz plötzlich, war der Zauber vorbei.
Arton blickte sich verwundert um. Sie standen mitten in einem felsigen
Nichts. Als er Likah ansah, fielen ihm auf einmal tausend Fragen ein. Doch
nur eine kam ihm über die Lippen: "Fühlt es sich so an, wenn
man stirbt?"
Likah blickte ihn einen langen Augenblick nachdenklich an. "Ich
glaube schon", murmelte er schließlich.
"Ein seltsames Gefühl", sinnierte Arton, "Aber warum?"
Likah überlegte einige Zeit, bevor er den Hintergrund der Frage
erkannte. "Wir bewegen uns in diesen 'Tunneln' zwischen den Welten", versuchte
er zu erklären, "es ist eine Ebene, die den Geistwesen vorenthalten
ist. Normalerweise."
Arton starrte Likah erstaunt an. "Du kannst wirklich viel!" japste
er schließlich. "Das hätte ich nicht einmal der Macht eines
Patrons zugetraut."
Likah lachte leise. "Man lernt eben nie aus."
Er drehte sich plötzlich um und betrachtete die Umgebung. Für
einen kurzen Augenblick schloss er die Augen, erspürte die Nähe
des Drachen. Er drehte sich einmal um die eigene Achse, bevor er die Stimme
hob: "Gjarth!" rief er in die Ebene, "Zeigt Euch!"
Arton blickte sich aufmerksam um, doch entdeckte er durch Zufall
den Schatten, der über sie hinweg glitt. Erschrocken hob er den Blick
zum Himmel und erkannte gegen das Sonnenlicht den Drachen, der in Spiralen
tiefer sank. Mit angehaltenem Atem beobachtete er das langsame Landemanöver.
Als der Drache endlich aufgesetzt hatte, trat Likah an ihn heran.
"Schön, Euch wieder zu sehen!" grollte der Drache freundlich.
Arton fiel auf den Hintern. Das hatte er nicht erwartet! Likah hob
seine linke Hand, legte sie zum Gruße auf seine rechte Schulter und
verbeugte sich kurz. "Habt Ihr denn etwas anderes erwartet?" fragte er
dann. Gjarth lachte leise. Es war tief, aber wohlklingend verzaubernd.
"Ist das Euer Freund?" fragte Gjarth plötzlich und deutete
auf Arton. Likah nickte still. Arton wusste nicht mehr zu tun, als verstört
die Hand zu heben. Ein verzweifelter Versuch, Herr der Lage zu werden.
Likah grinste Arton an. "Keine Sorge", beruhigte er ihn, "Gjarth
ist ein alter Freund von mir." Arton nickte nur und starrte den Drachen
weiter an.
"Was führt Euch zu mir?" wollte Gjarth plötzlich wissen.
Likah senkte den Blick für einen langen Augenblick. "Eine Bitte",
antwortete er schließlich. Neugierig legte Gjarth den Kopf schräg,
um aufmerksam zu lauschen. "Ich wollte Euch bitten, Euch in dem Reiche
Jufgarrs umzusehen."
Der Drache wiegte ein paar Sekunden den Kopf und dachte nach. "Ihr
wollt wissen, wo Ihr diesen Übeltäter suchen müsst..." vermutete
er und Likah nickte ernst. "Es ist viel verlangt, das wisst Ihr?" forschte
Gjarth weiter. "Ich begebe mich dabei in Lebensgefahr..."
Likah nickte traurig. "Ich weiß. Aber ich würde es niemals
von Euch verlangen, wenn ich es nicht müsste."
Arton, der inzwischen seine Sprache wiedergefunden hatte, mischte
sich plötzlich ein. "Aber was ist mit diesem 'Tunnel'?"
Likah lächelte müde. "Ich muss entweder das Aussehen der
Landschaft, oder das Aussehen einer Person, die sich dort befindet, kennen.
Ich muss mir einen Bezugspunkt vorstellen können." Arton senkte resignierend
die Augen. "Ich weiß zwar nicht, worum es dabei geht..." setzte er
an.
Plötzlich wurde er jedoch von Gjarth unterbrochen. "Ich auch
nicht!" Das war eine eindeutige Aufforderung an Likah, zu erklären.
Dieser seufzte leise. "Gaia vermutet, dass Jufgarr das Übel
aus der alten Prophezeiung ist. Darum wollen wir Jufgarr heimlich ausschalten."
Er blickte erst Gjarth, dann Arton an. "Das ist alles. Wir müssen
halt an den Dämonen vorbei, deshalb brauche ich Eure Hilfe, Gjarth."
Der Drache stand noch lange Zeit schweigend da und wiegte wieder
den Kopf. Likah blickte ihn die ganze Zeit über unverwandt an, schwieg
aber respektvoll. "Also gut", brach Gjarth endlich das Schweigen, "aber
dass mir das nicht zur Gewohnheit wird!"
Likah lächelte erleichtert. "Bestimmt nicht", versicherte er
und Gjarth nickte zufrieden. Schließlich wendete er sich zu Arton.
"Wir gehen", sagte er kurz.
Etwas mühsam raffte Arton sich auf und trat an Likahs Seite.
"Ist das dein Ernst?" fragte er, als Likah die Hände hob und wieder
Runen in die Luft zeichnete. "Das mit dem Plan?"
"Ja", nickte Likah abwesend. Arton schüttelte den Kopf. Das
gefiel ihm nicht. Jeder kannte die Prophezeiung. Und er wusste, dass die
letzten Zeilen menschliches Blut meinten.
"Ich hoffe, dass ich etwas respektvoller begrüßt werde,
wenn ich wieder in die Nähe eures Lagers komme", mahnte Gjarth Likah
plötzlich. "Sonst könnt ihr alleine zurecht kommen!"
"Ich werde persönlich dafür Sorge tragen", versprach Likah.
Damit zufrieden erhob der Drache sich in die Luft und die beiden Männer
kehrten in das Lager zurück.
Am Morgen des nächsten Tages entschloss Lortac sich, sofort
aufzubrechen. Aus Sicherheitsgründen, wie er es nannte. Darum wendete
er sich an Likah, sich drei Männer auszusuchen, die ihn begleiten
sollten. Die Wahl fiel Likah nicht schwer: Es mussten die besten Männer
der Truppe sein, also Cullyn, Arton und Norton. Lortac nickte abwesend.
Gaia hatte es aufmerksam verfolgt. Nun mischte sie sich ein: "Vier
Männer. Sie werden sehr ungeschützt sein!"
Likah nickte zustimmend. "Ihr habt doch bestimmt diesbezüglich
einen Plan?" fragte er Lortac.
"Natürlich!" kam prompt die Antwort, "Ihr werdet bei der Armee
bleiben, bis wir die Aufmerksamkeit Jufgarrs ganz und gar auf sie gelenkt
haben." Er blickte von Likah zu Gaia. "Dann werde ich die Truppe entzweien
und ihn somit verwirren. Währenddessen schleicht ihr euch davon. Das
ist alles."
Likah lachte leise. "Das ist alles!" wiederholte er ironisch.
Lortac blickte ihn kurz tadelnd an, wendete sich dann aber zu Gaia.
"Werden die Asrai uns unterstützen?"
Gaia starrte auf den Boden. "Fünf meiner Schwestern werden
morgen hier sein. Sie werden Euch mit ihrer Heilmagie helfen", erklärte
sie leise.
"Und Ihr?" forschte Likah.
Gaia lächelte milde. "Mein Platz ist an Eurer Seite, so verlangen
es die Götter." Ihre Stimme zeigte deutlich, dass sie keinen Widerspruch
duldete.
Likah ging im Anschluss sofort in sein Zelt. Dort begann er, sich
die Rüstung anzulegen, die er von Grindel bekommen hatte. Dabei wurde
er von Sealla überrascht. Sie trat ohne jegliche Vorwarnung in sein
Zelt. Likah drehte sich ein wenig erstaunt zu ihr um und sah sie fragend
an. Plötzlich keuchte sie erschrocken. Sie kannte Likah inzwischen
gut genug, um zu wissen, dass er Rüstungen eigentlich hasste. "Stimmt
es etwa doch?" fragte sie leise. "Werden wir die Dämonen angreifen?"
"Woher weißt du das denn?" Likah sah sie misstrauisch an.
Sie senkte den Blick. "Von Gaia", antwortete sie kleinlaut, "sie
sagte, es sei wichtig, dass ich es wüsste."
Likah seufzte resignierend. Er würde diese Asrai nie verstehen.
"Ja, es stimmt. Und was bringt dir dieses Wissen?"
"Gaia meinte, du würdest Jufgarr direkt angreifen. Außerhalb
der Armee."
Likah knirschte die Zähne. Langsam wurde er wütend auf
Gaia. Als ob er nicht schon genug Probleme hatte! Nun musste er sich auch
noch vor Sealla rechtfertigen! Und er ahnte, warum Sealla hergekommen war.
"Nein", zischte er gepresst, "Du wirst nicht mitgehen!"
Sie trat einen Schritt vor und starrte ihn trotzig an. "Warum nicht?"
"Weil das entschieden zu gefährlich ist!" Er blickte sie hart
an. "Ende der Diskussion!"
Sealla schnaubte verächtlich. "In dieser Beziehung lasse ich
mir nichts befehlen! Ich werde dich begleiten!"
Likah setzte an, etwas zu sagen, doch er brach ab. Einen Augenblick
sah er sie abschätzend an. Da muss ich anders vorgehen. "Nenne
mir einen Grund", sagte er gedehnt. Sie blickte ihn erstaunt an. "Einen
einleuchtenden Grund, dann will ich nichts gesagt haben", wiederholte er.
Sealla war verwirrt über diese plötzliche Änderung
in Likahs Verhalten. Sie verstand nicht, was er bezweckte. Doch er hatte
sie eiskalt erwischt: Einen einleuchtenden Grund hatte sie sich gar nicht
überlegt. Sie wollte einfach nicht von seiner Seite weichen, aber
das würde er nicht dulden. Lange Zeit überlegte sie angespannt.
Likah wähnte sich schon als Sieger, als sie schließlich
zu einer Antwort ansetzte. "Du willst nicht, dass mir etwas geschieht,
nicht wahr?" Likah nickte langsam, jedoch sehr misstrauisch. "Aber, wenn
ich bei Lortac bleibe, bin ich genauso in Lebensgefahr, wie wenn ich dich
begleite. Vielleicht noch mehr. Schließlich hat Lortac vor, die Dämonenarmee
anzugreifen." Likah zischte. Daran hatte er gar nicht gedacht. "Und wenn
ich bei dir bin, kannst du mich ja beschützen, wenn es schlimm kommt.
Bei Lortac geht das nicht."
Das stimmte, Likah musste sich wohl oder übel geschlagen geben.
"Also gut", knurrte er unwirsch, "Aber glaube nicht, dass ich das täte,
wenn ich nicht an mein Wort gebunden wäre!"
Sealla lächelte triumphierend. "Ich doch nicht!" grinste sie
und verließ das Zelt.
Frauen fanden aber auch immer einen Grund oder Vorwand, ihren Kopf
durchzusetzen!
Als er sich ganz gerüstet hatte, ging Likah wieder zu Lortac,
der gerade den bevorstehenden Aufbruch verkündete. Die Männer
würden den Plan erst erfahren, wenn die Zeit dazu gekommen war. Likah
konnte sich vorstellen, dass Lortac bis jetzt mit Gaia gestritten hatte,
dass auch sie stillhalten sollte.
Die Männer waren natürlich nicht davon begeistert, dass
sie allein gegen die Dämonen kämpfen mussten. Und noch weniger
würden sie von Lortacs Plan begeistert sein, aber sie würden
ihm vertrauen und ihm folgen.
Als die Männer sich daran machten, die Zelte abzubrechen und
den Proviant einzupacken, wendete Lortac sich an Likah. "Ihr werdet Eure
Männer unterwegs aufklären. Sie sollen genug Zeit haben, sich
darauf vorzubereiten." Likah nickte bedrückt. "Gaia hat nicht stillgehalten?"
fragte Lortac beiläufig.
Likah wunderte sich nicht über diese Frage. Es wäre verwunderlich
gewesen, wenn sie es getan hätte. "Nein", antwortete Likah kopfschüttelnd,
"sie hat es bereits Sealla erzählt."
Lortac lachte mitleidig. "Lasst mich raten: Sie ist sofort zu Euch
geeilt und hat Euch solange genervt, bis Ihr ihr versprochen habt, sie
mitzunehmen?" Likah nickte resignierend. Lortac schüttelte den Kopf.
"Sie ist wirklich ein störrisches Kind."
"Und ob!" lächelte Likah. Und gerade das gefiel ihm ja auch
an ihr.
Noch an diesem Mittag, gleich nach dem Mahl, setzte die Söldnerarmee
sich in Bewegung Richtung Nordwesten. Lortac, Likah und die Männer,
die Likah begleiten sollten, ritten an der Spitze. Erst nach einer geraumen
Weile wandte Likah sich an die Männer. "Ich habe eine Sonderaufgabe
für euch", murmelte er schließlich.
"So?" fragte Cullyn mit hochgezogener Augenbraue. "Warum nur gefällt
mir dieser Satz ausnahmsweise mal nicht?"
Likah lächelte müde. "Weil ich nichts daran erkennen kann,
das dir gefallen könnte." Cullyn grinste breit.
"Nun rede schon!" forderte Arton Likah freundlich auf.
"Ihr werdet mich begleiten, Jufgarr persönlich aus dem Weg
zu räumen."
"Aus dem Weg räumen? Ist das das Gleiche, wie umbringen?" forschte
Norton vorsichtig.
Lortac nickte stumm und blickte die Männer nacheinander ernst
an. "Ich verlasse mich auf euch", sagte er leise. "Es ist die einzige Chance,
hier zu siegen!" Cullyn stieß einen langgezogenen Pfiff aus.
"Nur wir vier?" fragte Norton leise.
Likah schüttelte den Kopf. "Gaia und Sealla werden auch dabei
sein."
Cullyn grinste breit. "Freiwillig nimmst du die beiden doch nicht
mit, oder?"
"Bestimmt nicht!" warf Arton ein. "Frauen können verdammt stur
sein, nicht wahr?" Likah lachte über Artons Worte. Er staunte immer
wieder darüber, dass Arton seine Gedanken so präzise zu kennen
schien.
"Und was müssen wir genau tun?" fragte Cullyn plötzlich.
Likah lächelte traurig. "Jufgarr töten. Wie wir vorgehen
weiß ich noch nicht."
"Schöne Aussichten!" murmelte Cullyn sarkastisch.
Während dieses Tages geschah nichts besonderes, was die Männer
doch etwas beunruhigte. Sie ritten bis Sonnenuntergang und legten sich
auf den nackten Boden, errichteten kein Lager. Am nächsten Tag brachen
sie in den frühen Morgenstunden auf und setzten ihren Weg weiter fort.
Während des späten Nachmittags stießen die Asrai zu ihnen,
wie Gaia es verhießen hatte.
Als sie auch am dritten Tage auf keinen Dämonen stießen,
begann auch Lortac langsam unruhig zu werden. Es schien ihm kein gutes
Zeichen zu sein. Jedoch war ihre Sorge vorerst unbegründet. Denn am
nächsten Tag trafen sie dann auf einen kleinen Trupp von fünf
Dämonen. Sie gingen aufrecht und erinnerten an Echsen.
Lortac ordnete an, nur vier der Dämonen zu töten, in der
Hoffnung, der letzte würde Jufgarr irgendwie Mitteilung machen und
somit die Aufmerksamkeit auf sie richten. Und es klappte sehr gut. Die
Spähtrupps hatten in den folgenden drei Tagen immer mehr Sichtungen
zu melden. Und die Stärke der Dämonen nahm zu...
Lortac wies schließlich seine Männer an, ein Lager am
Fuße eines Steilhanges aufzuschlagen. Der Platz dort war sehr gut
zu verteidigen, weil nur ein schmaler Pfad dorthin führte. Nicht mehr
als drei Pferde konnten nebeneinander gehen. Zehn Bogenschützen konnten
den Ort also recht gut verteidigen. Auch floss ein kleiner Bach neben dem
Pfad, sie hatten also genug Wasser.
"Ich frage mich langsam, wo Euer Freund bleibt!" Lortac ging nervös
in seinem Zelt auf und ab.
Likah saß seelenruhig auf dem kleinen Schemel und beobachtete
Lortac gelassen. "Er wird kommen", versicherte er zuversichtlich.
Lortac blieb stehen und seufzte. "Ich will es mal hoffen."
"Macht Euch nicht so viele Gedanken!" schlug Likah vor. "Das ist
nicht gut für die Nerven. Und davon werdet Ihr noch viele brauchen."
Lortac lachte leise. "Ihr jetzt auch noch!" bemerkte er trocken.
Likah blickte Lortac verwirrt an. "Wie meinen?" fragte er.
"Seitdem wir diesen Auftrag haben, machen sich alle Sorgen, ich
müsse mich schonen!" Lortac erwiderte Likahs Blick kalt. "Wirke ich
denn so alt?"
Energisch schüttelte Likah den Kopf. "Nur Euer Alter lässt
sich leider nicht abstreiten. Und Ihr seid jedem von uns ans Herz gewachsen."
Lortac schüttelte entgeistert den Kopf. "Ich glaube, ich kann
immer noch am besten abschätzen, was ich mir zutrauen kann!"
"Es sollte wirklich nicht abwertend erscheinen!" versicherte Likah
hastig. "Es ist nur..." Er starrte zu Boden. "Ihr gebt vielen Männern
Halt im Leben. Und einige werden nicht wissen, wohin mit sich, wenn Ihr
nicht mehr seid."
Lortac ließ sich langsam auf die Kante seiner Pritsche sinken.
"Ich werde kämpfen, solange ich ein Schwert in der Hand halten kann."
Likah wollte etwas einwenden, doch Lortac unterbrach ihn mit einer Handbewegung.
"Lasst mich zu Ende reden. Ich weiß nicht, ob ich noch einmal dazu
eine Gelegenheit habe." Betroffen schwieg Likah. Ihm gefiel dieses Thema
nicht.
Doch Lortac fuhr ungerührt fort. "Ich halte nicht viel von
dem 'Heldentod'. Ich würde viel lieber irgendwo im Bette liegend sterben,
an der Seite einer geliebten Frau. Und ich hoffe, dass Ihr schlauer seid
als ich und hiermit aufhört, solange Ihr es noch könnt." Er rieb
sich müde die Schläfen. "Ich habe zu lange gewartet. Ich kann
nicht mehr anders. Macht nicht den gleichen Fehler wie ich: Verlasst die
Söldner, solange Ihr noch jung seid. Und ich hoffe, nein ich verlange!"
Nun fasste er Likah fest in den Blick. "Dass Ihr, wenn ich sterbe und einige
das hier überleben, die Truppe der 'schwarzen Dämonen' auflöst!"
Erschrocken keuchte Likah auf. "Ist das Euer Ernst!?"
Lortac nickte langsam und nachdrücklich. "Schwört es mir!"
Likah schluckte schwer. Er hatte immer diese Truppe weiterführen
wollen, im Andenken an Lortac. Dies hier schockierte ihn sehr. Aber er
musste Lortacs Wunsch respektieren. "Warum?" fragte Likah leise.
"Diese Truppe aufzustellen, war mein größter Fehler.
Ich will ihn wiedergutmachen."
Das leuchtete Likah irgendwo ein, doch der Gedanke gefiel ihm nicht
so recht. "Ich schwöre es Euch", flüsterte er tonlos. Noch nie
war es ihm so schwer gefallen, etwas zu schwören, wie jetzt.
Als er Lortacs Zelt verließ, fühlte Likah sich wie erschlagen.
Es fiel ihm noch immer schwer, zu glauben, was Lortac gesagt hatte. Die
Söldnerarmee auflösen, und damit Lortacs Lebenswerk zerstören!
Aber Lortac hatte auch recht: Es war ein Fehler gewesen, denn viele Männer
hatten ihr Leben unter Lortac verloren.
Auf einmal hatte der Name dieser Truppe eine ganz andere Bedeutung.
Lortac hatte sie einzig aus Rachegefühlen ins Leben gerufen. Rache,
Mord und Leid - das war alles, was sie gebracht hatten. Aber sie hatten
auch vielen Männern Halt und neue Hoffnung gegeben. Durfte man das
übersehen?
Was würde aus den Männern dann werden? War es denn wirklich
verantwortlich, ihnen den Inhalt ihres Lebens zu nehmen? Inhalt... war
Morden wirklich ein Inhalt eines Lebens? Natürlich, sie verdienten
so ihr Geld, aber wie viele Menschen hatten ihr Leben für dieses Geld
gelassen? Konnte man dieses Geld überhaupt reinen Gewissens nehmen?
Aber sie hatten doch auch vielen anderen das Leben ermöglicht, die
sonst gestorben wären...
"Likah!" Beim Klang von Seallas Stimme fuhr Likah aus seinen trübsinnigen
Gedanken hoch. Plötzlich wurde er sich wieder der Realität bewusst.
Beinahe entschuldigend drehte er sich zu ihr um. Sie sah ihn vorwurfsvoll
an. "Was ist denn los?" fragte sie missmutig. "Ich habe dich jetzt schon
fünf mal gerufen!"
"Tut mir leid", seufzte er leise, "ich war in Gedanken."
"Und das gründlich!" Sie trat an Likah heran und blickte ihm
in die Augen. "Worüber zerbrichst du dir den Kopf?"
Er sah zu Boden und war zuerst gewillt, ihr nicht zu antworten.
Schließlich seufzte er. "Lortac hat mich schwören lassen, dass
ich nach seinem Tode die Truppe auflöse."
"Was!?!" Sealla starrte ihn fassungslos an. "Und das hast du geschworen!?"
Er blickte sie hart an. "Was hätte ich denn tun sollen?" fragte
er unwirsch zurück. "Ich bin es ihm schuldig, seinen Wunsch zu respektieren
und zu erfüllen!"
Sie senkte langsam den Blick. "Das stimmt", murmelte sie traurig,
"es ist seine Truppe. Er entscheidet und wir befolgen."
Likah lächelte müde. "So ist es. Aber es wird mir fehlen."
Sealla blickte ihn erstaunt an. "Was?"
"Die Männer hier, diese Kameradschaft."
Sie lächelte verständnisvoll. "Mir auch", gab sie zu,
"aber ich hoffe einfach, dass man sich nicht verliert. Zumindest Cullyn
und Arton sollten immer in der Nähe sein."
Likah lachte leise. "Die zwei werden wir bestimmt nicht los!"
Am nächsten Tag kam dann Gjarth und erklärte Likah genau,
wo sie Jufgarr suchen mussten. Likah hörte aufmerksam zu und merkte
sich alles. Doch Gjarth flog nicht wieder weg, sondern blieb wo er war.
Die Söldner waren sichtlich beeindruckt von dem Mut des Drachen, doch
keiner wagte es, näher als sechs Meter an ihn heran zu gehen.
Nur Arton überwand sich nach einiger Zeit und trat an Gjarth
heran. Aus Neugierde fragte er, warum der Drache noch hier war. Lange Zeit
starrte Gjarth ihn von oben herab an und schätzte Arton ab. "Weil
ich jetzt sicher bin, dass diese Asrai recht hat", grollte er.
"Auf einmal?" fragte Arton, wenn auch sehr vorsichtig. Gjarth lachte
polternd und starrte kurz in die Runde.
"Ich glaube nur meinen eigenen Augen. Und ich werde nicht so feige
sein, wie die Asrai."
Arton verzog das Gesicht. "Soll das heißen..." - "Ja. Ich
werde mich nützlich machen und dem Skjergar t´Srar helfen."
Arton ließ sich auf die Knie fallen und machte ein gequältes
Gesicht. Das kann ja heiter werden! Ein Drache und eine Asrai, die sich
nicht leiden können! Welch hervorragende Mischung!
Likah war sofort zu Lortac geeilt, um ihn in Kenntnis zu setzten.
Lortac lauschte aufmerksam. "Sehr gut", knurrte er schließlich, "wir
werden also direkt auf Jufgarrs Burg marschieren!"
Likah blickte Lortac einen Augenblick entsetzt an, doch dann verstand
er die Taktik. "Und die andere Abteilung?"
"Sie wird einen Umweg machen, ein wenig weiter östlich, parallel
zu meiner Abteilung marschieren."
Likah nickte. "Wann brechen wir auf?"
"Morgen früh. Wisst Ihr, wie Ihr Eure Männer unbemerkt
von der Armee trennen könnt?"
Wieder nickte Likah. "Ich werde ein wenig Magie spielen lassen.
Ich hoffe, dass Jufgarr darauf nicht achtet."
"Dann wollen wir die Männer in Kenntnis setzen", seufzte Lortac
und stand auf. Likah folgte ihm in kurzem Abstand aus dem Zelt.
Die Söldner waren, wie erwartet, nicht sehr begeistert, als
sie den Plan hörten, doch sie fügten sich. Es war zwar nur eine
geringe Chance, doch es war eine. Darum herrschte den Rest des Tages reges
Treiben: Waffen wurden geschliffen, Rüstungen poliert und die Pferde
noch einmal gut gefüttert.
Am nächsten Morgen dann brach die erste Abteilung gleich bei
Sonnenaufgang auf, sich in östliche Richtung zu begeben. Lortacs Abteilung
brach drei Stunden später auf und begab sich auf den direkten Weg.
Likah und seine Männer waren am Orte geblieben, geschützt von
einem Zauber, der sie für das normale Auge unsichtbar machte. Gjarth
war schon während der Nacht vorausgeflogen und erwartete sie an einem
vereinbarten Treffpunkt. Nachdem Lortacs Abteilung außer Sichtweite
war, brachen auch sie auf, ihrem Schicksal entgegen...
© Dragonsoul
Lianth
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