Eines Tages hockte Lugur in seiner Höhle und auf dem Tisch
lag vor ihm die Familienchronik. Mit einem zärtlichen Gesichtsausdruck
strich er über den Deckel, der von seiner Großmutter gestaltet
worden war, und schlug die Chronik auf und las:
Drachenland, Anno 1460 und das erste Jahr des neuen Drachenzeitalters.
Wir haben nach langem Suchen ein friedliches Land gefunden. Es ist noch
nicht von Drachen, Elfen und Menschen besiedelt.
Das natürliche Höhlensystem in den Bergen könnte
unser neues gemütliches Heim werden, wenn wir sie uns ausbauen und
einrichten, notierte Lugurs Großvater.
Lugurs Großvater schrieb weiter:
Unten im Tal sind viele Bäume, darunter erkenne ich: Eichen,
Linden, Tannen, Buchen, Erlen und andere Sorten, wie auch Obstbäume.
Nussbäume gibt es auch, die sind gut für die kleinen Elfendrachen
und für leckere Nusskuchen.
Die vier Elfendrachen, die mit uns hierher gereist sind, sind fleißig
dabei, ihre Nester im Walnussbaum zu bauen.
Die Sonne scheint und meine Frau Lulu meint, wir sollten es Sonnenland
nennen. Stellen fest, dass es genügend Wild gibt, las Lugur.
Er las und las was sein Vorvater notierte hatte: Nach und nach tauchen
weitere Drachen auf und das Drachenland wurde bevölkert. Es gibt hier
ja genügend Platz für Drachen.
Hin und wieder gab es Rangeleien um die besten Nistplätze und
Höhlen. Dann gab es unter den Jungdrachen spielerische Wettkämpfe,
wer der stärkere Drache sei.
Einhundert Jahre lang blieben wir Drachen unter uns, da tauchten
die ersten Zwergenfamilien auf, die von den Bodenschätzen in den Bergen
gehört hatten. Sie förderten Edelsteine, davon gaben sie uns
Drachen einige ab, dafür schützen wir Drachen sie und sorgen
dafür, dass das Feuer für die Heizung nie ausgeht.
Eine dieser Familien brachte eine Pflanze mit, die Speik genannt
wurde. Aus dieser Pflanze wurde Seife gefertigt. Je mehr diese geerntet
wurde, um so üppiger wächst sie. Interessante Pflanze.
Lugur hob den Kopf und griff zu einer Schachtel, auf der der Zwergenkönig
etwas vermerkt hatte. Seife aus der Speikpflanze, sowie Feuchtigkeitscreme,
damit die Drachenschuppen glänzen und geschmeidig blieben.
Lilian liebte diesen Duft, der sehr angenehm in ihre Nase stieg.
Er wandte sich wieder der Chronik zu und las: Anfang des Drachenjahres
140 siedelten sich Elfen an und Menschen kamen im Frühjahr, es war
der Wonnemonat Mai. Wir Drachen fürchteten uns vor den Menschen, da
sie uns doch so grausam verfolgten und so viele töteten. Aber diese
Menschen waren anderes, sie achteten uns und unser Wissen. Wir freundeten
uns an, notierte Gurlu. Weitere einhundert Jahre Frieden folgten.
Es war das Jahr 220, da notierte Gurlu: Heute schlüpfte Gurmoon
und er ist ein hübscher kleiner Drache und seine Geschwister, die
schon längst flügge sind, lieben ihren süßen kleinen
Drachenbruder. Auch wird er von seinen älteren Geschwistern verwöhnt,
so dass seine Mutter hin und wieder eingreifen musste, da Gurmoon der nächste
Drachenkönig wird.
Im Drachenjahr 250 notierte Gurlu, mein Sohn Gurmoon hat heute mit
Rittern gekämpft. Ich trat diesen alten modernen Rittern immer wieder
gegenüber und überzeugte sie, Frieden zu halten. Es gab Abenteurer,
die von unseren Schätzen gehört haben und versuchten sie zu stehlen.
Da fauchten wir gewaltig, spuckten Feuer und jagten ihnen einen Schrecken
ein.
- Lugur lachte und las weiter -
Hin und wieder erlaubten wir ihnen, etwas von unseren Schätzen
zu nehmen, aber nur wenn sie es verdienten und bei den Kämpfen mit
uns gewannen. Getötet haben wir Drachen sie nie. Deshalb ließen
sich diese Menschen, auch Ritter genannte, in Sonnen-Drachenland nieder
und gründeten Familienclans.
Dass einige Drachen bei diesen Kämpfen ums Leben kamen, war
traurig, aber das Leben ging weiter; meist durch Unerfahrenheit und weil
sie unvorsichtig waren.
Lulu und ich erzogen unseren kleinen Gurmoon zu einem weisen Drachen,
der Frieden liebt und darum kämpft.
Es gab im Drachenjahr 270 eine große Party, als Gurmoon die
reizende Hyan aus Chynia zu seiner Drachin nahm, die eines Tages direkt
neben ihm auftauchte.
In den nächsten einhundertfünfzig Jahren brachte Hyan
fünfzehn Eier hervor, las Lugur und dachte über seine Geschwister
nach.
Die nächsten Seiten überflog Lugur, die nur vom Schlüpfen
der Drachen, der immer größer werdenden Drachenfamilien berichtete
und wie sie aufwuchsen, so wie die Besiedelung des Landes.
Hin und wieder die kleinen Drachenscheinkämpfe zwischen den
Geschwister und anderen Drachen.
Meine Hyan, so notierte Gurmoon, schenkte mir fünfzehn Drachenkinder,
davon lebten nach dem Bürgerkrieg noch fünf. Die anderen zehn
starben bei den Kämpfen, weil sie unvorsichtig waren und weil sie
ihre Freunde schützten. Meine ältesten vier Drachenkinder waren
bereits flügge und haben an anderen Orten ihre Höhlen; und dort
leben sie mit ihren eigenen Familien.
Nur Lugur blieb bei uns, schrieb Gurmoon. Der für seine Mutter
und mich der Hoffnungsträger war. Er ist der Sonnenschein in unserem
Leben und ein süßes verschmustes Kind, das gerne malt.
Ich hoffe, so notierte Gurmoon, dass er eines Tages eine passende
Drachin für seinen Hort findet und mich zum Drachengroßvater
macht.
Der Drachenkönig Lugur fragte sich, wo seine vier älteren
Geschwister seien und ob sie noch leben und eine Familie haben. Diese Frage
wurde nach der Geburt der Drachenzwillinge beantwortet, indem sie im Sonnen-Drachenland
auftauchten und sich in der Nachbarschaft niederließen.
Dann las er, dass sein Vater Freundschaften mit Elfen und Menschen
pflegte. Dies machte er und seine Lilian zur Zeit nur mit den Elfen. Kontakt
mit den Menschen aufzunehmen, dazu war die Zeit noch nicht gekommen.
Aus der Drachenchronik entnahm er die traurige Mitteilung, dass
zehn seiner Geschwister beim Bürgerkrieg, in dem es auch um das Erbe
von Isidor das Klugen ging, ums Leben kamen.
In dem Bürgerkrieg standen Lugurs Geschwister auf der Seite
von Thule und seinen Freunden und unterstützten sie in den Kämpfen
gegen die Stolzener und die zerstörerischen Drachen, die geholt worden
waren.
Auf der Seite von Troi aus Stolzen kämpften fremde Drachen.
Es waren extra geschulte Kampfdrachen, die nur töten und vernichten
konnten, Troi war es, der sie hatte kommen lassen. Zum Glück von Sonnen-Drachenland
konnten diese Drachen erfolgreich vertrieben werden.
Der Drachenkönig Gurmoon, ebenfalls ein reinrassiger Regenbogendrachen,
ordnete an, dass sie ins Exil abreisen und verließ Sonnen-Drachenland.
Das war drei Jahre nach Lugurs Schlupf.
Der kleine Drache wollte nicht weg und strampelte gewaltig. Die
Golddrachin Hyan hielt ihren Sohn fest und ließ sich auch nicht erweichen,
als Lugur lauthals protestierte. Musste er doch seine Spielkameraden zurücklassen.
Als Troi Twe im Jahr 420 von Lugurs Schlupf hörte, beschloss
er den Babydrachen zu vernichten. Er hasste Drachen, besonders Gurmoons
Familie, da sie friedlich waren. Als Hyan davon erfuhr, berichtete sie
umgehend ihrem Mann von diesem Anschlag, der sofort einen Schutzwall um
seinen Lugur einrichtete.
Gurmoon sagte bei seinem letzten Besuch zu seinen Freunden: »Wenn
Sternen und Mondstaub sich verbinden und ein Regenbogendrache Zwillinge
bekommt, wird es für uns Drachen Zeit, wieder Frieden zu schließen
und sich zu vermehren.«
Als Gurmoon von seinen Freunden über diese Vorhersage befragt
wurde, sagte er: »Ich weiss es nicht, was es bedeuten soll. Es kam
so über mich, direkt aus meinem Herzen.«
Thule merkte sich diese Vorhersage und hat sie in seine Chronik
aufgenommen. Ihm war der besondere Gesichtsausdruck von Gurmoon aufgefallen,
als dieser diese Vorhersage sprach. Gurmoon war so entrückt, als ob
er nicht aus sich selbst redete, sondern dass eine andere, eine höhere
Macht, Gewalt über ihn hatte.
Gurmoon gab den drei Freunden den Rat, zusammenzuarbeiten und durch
vereinte Kräfte gegen Troi Twe zu kämpfen. Die Drachen könnten
jetzt nichts mehr ausrichten, nur Diplomatie könne helfen und die
Zusammenarbeit aller Bewohner des Sonnen-Drachenlandes gegen Stolzen.
Nach und nach kam die Prophezeiung in Vergessenheit, bis Lugur sie
im Drachenjahr 544 wieder entdeckte.
Gemeinsam kämpften die Herrscher von Sternen und Mondstaub
am Erhalt von Frieden, da immer wieder Fremde versuchten Sonnen-Drachenland
zu erobern und zu beherrschen. War es doch bekannt, dass es Bodenschätze
gab, die es zu heben galt.
Beim Aufräumen entdeckte Lilian die Schatzkästen und die
Höhle, in der die heiße Quelle mit fließendem Wasser ihren
Ursprung hatte. Nach ihren Anweisungen mussten die Zwerge hier das Drachenbad
mit einer extra großen Badewanne und Dusche einbauen und an die Wände
kamen blaue Fliesen, mit Motiven der Unterwasserwelt. Lilian bestand darauf.
In einem Magazin hatte sie Fotos von den verschiedensten Bädern
gesehen und legte sie den Zwergen vor. Lilian erklärte, wie sie ihr
Badezimmer haben möchte und die speziellen Fliesen wurden angefertigt
und angebracht.
Dann, nach einigen Monaten, musste die Küche umgebaut werden,
damit sie drachenergonomisch und kindersicher wurde. Geduldig hörten
die Zwerge ihr zu und bauten ihr die Küche um.
Zwerge hatten für die Drachenbibliothek extra große Bücherschränke
getischlert und gemeinsam mit den Elfen aufgebaut. Die Bibliothekshöhle
wurde erweitert und weitere Bücherschränke mussten gefertigt
werden.
In den Wohnräumen sowie in der Bibliothek hingen Spiegelbildtelefone,
mit denen man auch Fernsehen kann.
Überall hatte sie dicke Teppiche und Decken ausgelegt. Der
Zugang zur Badehöhle war durch einen großen Wandteppich, der
aus Nordafrika stammte, abgetrennt. Diesen Teppich hatten sie in einem
Basar gesehen und sich schenken lassen.
Lugur genoss es, in dem heißen Wasser zu plantschen und dann
sich in der großen Grotte an den Stalagmiten und Stalaktiten zu reiben.
© Luise
Drachenanwältin
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