Regenbogendrachen von Luise Drachenanwältin
Teil 1: Lugur und Lilian
Kapitel 4: Tumdah

Ein ungewöhnlich schöner Regenbogen war nach tagelangem Regen am Himmel zu sehen und über den Bäumen des nahe gelegenen Waldes dampfte es.
Auf den Waldwegen gab es noch Pfützen und der Boden war matschig. Es dauerte nicht lange und eine Rotte Schwarzwild kam durch den Wald heran getrabt und schlabberte aus den Pfützen. Am Himmel tummelten sich Schwalben und einige Lerchen, die hoch über den Feldern flogen, schmetterten ihre Lieder.
Die Vögel in den Büschen und auf den Bäumen zwitscherten fröhlich ihre Lieder und einige Wolken zogen über den Himmel.
Am Horizont sah man die dunklen Regenwolken weiterziehen, durch die einige Sonnenstrahlen guckten. Endlich war die Luft angenehm frisch und prickelnd. Viele atmeten auf, da die Dämpfigkeit endlich vorbei war.
Bevor der Regen fiel, gab es eine wochenlange Trockenheit und die Brunnen und die Teiche waren fast ausgetrocknet. Jetzt endlich waren sie mit frischem Wasser aufgefüllt worden. Die Bäche und Flüsse waren randvoll und traten an einigen Stellen über das Ufer.
Auf den Feldern und in den Gärten grünte und blühte es. Insekten kamen aus ihren Verstecken und bevölkerten die Gärten und Felder. Bienen summten und freuten sich, weil sie ihre Stöcke verlassen konnten.
Alle Fenster des Schlosses Sternen waren geöffnet worden, damit der leichte Wind, der jetzt aufgekommen war, die stickige und dämpfige Luft aus dem Räumen wehen konnte.
Das Hauspersonal wirbelte umher, um klar Schiff zu machen. Die Fenster blitzten nach dem Putzen mit der Sonne um die Wette.
Frisch gewaschene Wäsche hing an der Leine und flatterte im Wind, der sie schnell trocknete. Die Wäsche erhielt dadurch einen wunderschönen Duft. Tumdah und auch ihre Geschwister liebten diesen Duft von an der Luft getrockneten Wäsche.
Das Schloss Sternen lag am Ortsrand von der Hauptstadt Sternen und war ein gut durchgeplanter Bau. Das Schloss war immer wieder modernisiert worden, so dass in den Wintern die Räume schön warm waren und kein kalter Wind durch die Mauern pfiff. Zuletzt hatte Tumdahs Vater Thoren das Schloss auf den neuesten Stand bringen lassen. Durch Sonnenenergie erzeugter Strom wurden die Elektrogeräte betrieben und Erdwärme heizte das Gebäude.
An Windenergie durch Windkrafträder dachte noch keiner.
Über zwei Stufen der Außentreppe, durch das von einem Elfentischler mit Tiermotiven, unter anderem auch Drachen, gestaltete sehr alte Portal, betrat der Besucher den Hausflur. Der Besucher entdeckte im Hintergrund eine Treppe, die wie ein U gestaltet und aus einheimischem Sandstein gebaut worden war. Die Handläufe dieser Treppe waren aus Rosenholz gefertigt.
Der Fußboden der Eingangshalle bestand aus rosa und grauem Marmor. Die mit wertvollen Teppichen belegt war.
An den Wänden hingen Bilder der Ahnen. Dann gab es noch die uralten, großen Holztruhen, die die Ausstattung ergänzten. In diesen waren einige Schätze versteckt. Bedauerlicherweise kamen die Bewohner nicht daran, weil die Schlüssel zu den Truhen verschwunden waren. Auf diesen Truhen stellte Atina regelmäßig Vasen mit frischen Blumen aus dem eigenen Garten.
Die Zweiläufige Treppe endete im ersten Obergeschoss an einem Balkon, von der Tumdah auf die Eingangshalle blicken konnte. Die Treppenstufen waren mit einem strapazierfähigen Teppich versehen.
Von der Haupteingangshalle ging es links in die Büros der Fürstin Tumdah und ihrer Mutter Atina, sowie zu den Besprechungsräumen. Auf der rechten Seite waren die Türen in das Wohnzimmer und zu den Speisezimmern sowie ein weiterer Flur, der zu dem großen Ballsaal führte, der in einem Flügel untergebracht war.
In den oberen Geschossen hatte die Familie ihre Privaträume. Die junge Fürstin besaß ein eigenes Appartement, das die Eltern gemütlich einrichteten und ihr symbolisch den goldenen Schlüssel für ihr kleines Reich an ihrem achtzehnten Geburtstag übergaben.
Beim Versteckspielen mit den Geschwistern fand sie auf dem Dachboden einige alte Bilder, die sie reinigte und in ihrem Wohnzimmer aufhängte. Sie liebte diese alten Bilder. Auf dem einen war das Schloss zu sehen und auf einem anderen ein Drache mit seinen Freunden, sowie drei Blumenbilder. 
In einem anderen Teil des Schlosses wohnte das Personal sowie in Bedienstetenhäusern, die den Hof umrahmten. Die Bewohner schmückten die Fensterbänke mit Blumen und in den Vorgärten wuchsen die verschiedensten Büsche und Pflanzen.
Nicht weit davon entfernt waren die Pferdeställe und die Garagen, sowie die Werkstätten.
Auf den beiden hinter den Ställen befindlichen Pferdekoppeln konnten die Pferde rumtollten oder auch in Ruhe fressen.

Das Arbeitszimmer, in dem die junge Fürstin Tumdah jetzt saß, war unverändert geblieben, als sie die Amtsgeschäfte ihres verstorbenen Vaters übernommen hatte. Schöne und kostbare Teppiche lagen auf dem Boden.
Wertvolle Gemälde hingen an den Wänden, sowie ein Spiegeltelefon und von der Decke hing ein Kronleuchter aus rosa und weißem Bergkristall.
Auf dem großen Schreibtisch stand eine Schreibtischlampe, deren Lampenschirm aus Muranoglas bestand, und ihr Schreibwerkzeug. Die Gold- und Silberschmiede fertigten die Schreibwerkzeuge aus den besten Materialien an, die es im Sonnen-Drachenland gab. Auf den Griffen prangte Tumdahs Wappen und ihr Name war eingraviert. Die Schale, in der das Schreibwerkzeug lag, bestand aus Silber mit Drachenschuppen eines Golddrachens und sie war ein Geschenk ihres Vaters an sie zum bestandenen Abitur.
»Nein, Mama«, sagte die dreiundzwanzigjährige Fürstin Tumdah an diesem Morgen energisch, die an ihrem Schreibtisch leicht angespannt saß. 
Hinter ihr hing das Bild ihres leider zu früh verstorbenen Vaters.
Sie fuhr fort: »Nur weil unser Rat verlangt, dass ich Netz heiraten soll, damit eine Vorhersage in Erfüllung gehen soll.« Sie runzelte dabei ihre Stirn.
Ihr gegenüber saß auf einem geblümten Sofa ihre Mutter Atina und sah sie fragend an: »Warum nicht, mein Kind?«
»Weil Netz ein dummer Mann ist. Er lässt sich von anderen beeinflussen und ich kann mit ihm keine vernünftigen Gespräche führen. Ich habe das Gefühl, dass er noch nicht reif ist für ein Ehe«, sagte sie erregt, nahm einen Schluck aus ihrer Teetasse und fuhr fort: »Mir ist so, als ob ein anderer Mann gemeint ist.«
»Ah, so.«
In der offen stehenden Terrassentür stand der Chefzauberer von Sternen und die Feenkönigin. Die beiden sahen fasziniert zwischen Mutter und Tochter hin und her.
»Wie hast du das festgestellt?«, fragte die Mutter und hob ihre Teetasse an ihre Lippen.
Auch Tumdah trank ihre Tasse leer, dabei überlegte sie in Ruhe, wie sie ihre Gefühle gegenüber Netz in Worte fassen konnte. Nach einer Weile sagte sie: »Von mir selber. Bei den Unterhaltungen, die ich verfolgte, habe ich ihn beobachtet, wie er mit anderen spricht. So stellte ich fest, dass er keine eigene Meinung hat. Darauf angesprochen meinte er, er könne sich anpassen. So ein Blödsinn. Ich will einen Mann, der weiß, was er will, und seine Meinung gut vertreten kann und dabei bleibt. Auch kennt er unsere Autoren nicht, die für uns schöne Bücher schreiben. Dann behauptet er, er wisse nicht, wie man den Zauberspiegel bedient und ich könne es ihm ja beibringen. Ich vermute, das ist ein vorgeschobener Grund.«
»Das ist schlimm«, nickte die Mutter.
»Beleidigend ist er auch«, stellte der Chefzauberer fest.
»Inwiefern?«
»Hoheit, indem er gegenüber den Feen und Elfen unhöflich ist und er soll ihre Ratschläge ignorieren.« Die Feenkönigin holte tief Luft und fuhr fort: »Dann ist uns bekannt geworden, dass er Tiere quält, so behauptete Nala es.«
»Liebste Feenkönigin, das ist sehr schlimm. So einen Schwiegersohn will ich nicht«, sprach Atina entsetzt. »Habt ihr das selber an euch gemerkt?«
»Nein, dies haben wir nur von Nala und seinen Freunden gehört. Direkt hatten wir persönlich noch keinen Kontakt mit Netz. Dann ist da noch folgendes, er wird durch Nala beeinflusst, ansonsten würde er die Ratschläge annehmen«, ergänzte der Chefzauberer den Satz der Feenkönigin.
»Ja, Mutti, meine Berater Muschel und Cauw meinen, nur so könnten wir Einfluss auf die Grafschaft Stolzen nehmen. Da ist doch Nala der Herr und den mag ich noch weniger«, sagte Tumdah, schloss energisch ihre Schreibmappe, legte ihre silberne Schreibfeder in die Schale und stand auf.
»Ich reite aus, um meiner Erregung Herr zu werden, da ich auf keinen Fall mit Nala unter einem Dach wohnen möchte, geschweige denn Netz heiraten«, erklärte sie, beugte sich zu ihrer Mutter, gab ihr einen Kuss auf die Wange und verschwand. Und ließ eine nachdenkliche Mutter mit dem Chefzauberer und der Feenkönigin zurück.
Wenig später hörte Atina durch das geöffnete Fenster, wie ihre Tochter Anweisungen zum Satteln und Ausreiten gab. Eine halbe Stunde später waren durch die geöffneten Fenster schnaubende und wiehernde Pferde und dann davon trabende Pferdehufe zu hören.
Tumdah schwang sich auf ihren Lieblingshengst und trabte vom Hof. Ihre langen schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und auf ihrem Kopf einen Schutzhelm. Darum hatte die geliebte Mutter gebeten, die von der Erde stammte.
Atina hatte dort etliche Reitunfälle beobachtet, wo der Reiter ungeschützt ritt und durch einen Unfall schwere Kopfverletzungen davontrug. Fachleute waren der Auffassung, mit einem guten Helm wäre das nicht passiert.
»Sie ist im heiratsfähigen Alter«, sprach die Feenkönigin und strich ihren blauen Seidenrock glatt. »Wir müssen für sie einen Mann suchen, der auch ihre jüngeren Geschwister respektiert und akzeptiert. Wichtig ist es ebenfalls, dass sie zu ihm aufsehen kann.«
»So ist es«, gab Atina zu. »Sie hat in uns Eltern ein gutes Beispiel. Ihr Vater hat mich respektiert, geachtet und geliebt, so dass ich gern mit meinem Thoren zusammen war. Er hat mir eine wundervolle neue Heimat gegeben.«
Der Chefzauberer setzte sich in einen bequemen Sessel, murmelte einen Spruch und hielt wenig später einen großen Becher mit Kaffee in der Hand.
»Schon wieder dieses komische Getränk«, neckte Atina ihn.
Ruhig antwortete der Chefzauberer, der zur ersten Klasse gehörte: »Ja, diesmal mit Kakaogeschmack. Auch einen Becher?«, fragte er die beiden Frauen und nippte.
»Nein, dann kann ich nicht schlafen«, wehrte Atina das Angebot freundlich ab. »Ich trinke lieber Kräutertee, der ist gesünder. Wenn ich Kaffee trinke, dann ist es Malzkaffee.«
Sie kannte das aromatische Gebräu aus der Zeit, bevor sie ins Sonnen-Drachenland kam.
Die Feenkönigin hatte ein Glas naturtrüben Apfelsaft, den sie mit Mineralwasser mischte, vor sich stehen.
Während die drei noch über Tee oder Kaffe redeten, galoppierte Tumdah mit ihren Begleitern durch den Schlosspark und dann durch den Wald. Sie genoss es mit ihrem geliebten Hengst durch die Landschaft zu galoppieren. Da tauchte das Elfenschloss vor ihnen auf. Sie zügelte, ein Stallknecht nahm das edle Ross in Empfang und führte es in den Stall.
Die Elfenkönigin Blaustern hörte die Stimme ihrer Nichte und blickte über die Balkonbrüstung. Sie beobachtete, wie Tumdah leichtfüßig die Außentreppe hinauf eilte.
Liebevoll begrüßten sie sich. Blaustern legte ihren Arm um die Schultern der Nichte und führte sie zu deren Lieblingsplatz. Tumdah, die ansonsten sehr zurückhaltend war, gab der Tante einen Kuss auf die Wange und nahm Platz.
Sie unterhielten sich über dies und das, so auch über den Wunsch der Berater, Tumdah solle Netz heiraten. Blaustern hielt sich mit einem bissigen Kommentar zurück und sprach nur sachlich über Netz und dessen Verhalten.
Mitten im Gespräch tauchte auf einmal Uno, der Leitwolf des ersten Wolfsrudels, auf, der laut jaulte, so dass Tumdah aufsprang, die Außentreppe hinunter sprang und zu ihm eilte.
Sie wusste, wenn Uno so laut jaulte, dann stimmt im Wald etwas nicht. Sie kraulte ihn und erfuhr durch geschicktes Nachfragen, dass ein verletzter Mann am Bärenfelsen läge.
Umgehend wurde durch sie eine Rettungstruppe zusammengestellt. Die Erste-Hilfe-Box hing bereits an ihrem Sattel, ohne diese Box ritt sie nie aus. Denn man kann ja nie wissen, so ihre Einstellung, die sie von ihrem Vater übernommen hatte. Sie schwang sich in den Sattel und ihre Helfer folgten. Die freundlichen Bäume und Büsche machten den Weg frei und Uno Wolf führte sie eilends zum Verletzten.
Tumdah empfing durch ihr feines Gehör den Schall eines leisen Stöhnens. Sofort sprang sie vom Pferd, hängte sich die Erst-Hilfe-Box um und mit ein paar Schritten war sie beim Verletzten. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie den gut aussehenden Fremden vor sich liegen sah. Ihr Herz schlug schneller und um die Magengegend herum schwirrten Hunderte von Schmetterlingen.
Bei genauerem Hinsehen entdeckte sie einen in seiner linken Schulter steckenden Pfeil und dass er sich vor Schmerzen nach rechts krümmte. Sie legte eine Hand auf die Stirn und bemerkte, dass diese heiß war.
Tumdah hatte bereits als Jugendliche einen Erste-Hilfe-Kurs mit Bravur abgeschlossen und bildete sich immer weiter. Von ihrer Tante Blaustern lernte sie die verschiedensten Kräuter kennen und wie sie zu verwenden sind. In einem Beutel, den sie stets dabei hatte, waren die verschiedensten Kräuter.
Mit einem Blick entdeckte sie einige in der Nähe wachsende Heilkräuter, die sie umgehend pflückte. Dann nahm sie aus ihrer Erste-Hilfe-Box eine Schere, hockte sich neben den Verletzten und schnitt vorsichtig die Jacke auf.
Leise stöhnte der Verletzte vor Schmerzen auf, so sprach sie mit sanften Worten beruhigend auf ihn ein. Mit einem geschickten Griff entfernte sie den Pfeil und legte einen schmerzstillenden Kräuterverband auf die Wunde.
Wenn sie keine frischen schmerzstillenden Kräuter fand, nahm sie eine Dose aus der Box, in die ihre Tante Blaustern eine Kräuterpaste abgefüllt hatte. Sie selbst zog frische Kräuter vor.
Mit einem kühlenden Tuch tupfte sie ihm die Schweißtropfen von der Stirn ab. Weil er so zitterte, wickelte sie ihn mit Hilfe eines ihrer Begleiter in eine Goldfolie, die ihn etwas wärmte.
Inzwischen hatten die anderen beiden Begleiter die Trage zusammengebaut und hoben den Mann vorsichtig darauf. Mit beruhigenden Worten sprach Tumdah auf ihn ein.
Entspannt lag Löw mit geschlossenen Augen auf der Trage und wehrte sich nicht gegen ihre Behandlung. Die junge Frau lief neben ihm her, führte ihr Pferd am langen Zügel und achtete darauf, dass es dem Verletzten gut ging. Mit schnellen Schritten durchquerten sie den Wald und erreichten nach kurzer Zeit die Notaufnahme des kleinen Krankenhauses am Stadtrand von Sternen.
Ein Zauberer der zweiten Kategorie hatte die Aufgabe stets dafür zu sorgen, dass ein Verletzter auf dem kürzesten Wege ins Krankenhaus gebracht wurde. Er überwachte das Ganze durch ein besonderes Fernglas und benutzte dafür besondere Sprüche.
Das Krankenhaus in Sternen hatte den besten Ruf und war auf dem neuesten Stand der Technik. Ansonsten gab es noch kleine Krankenstationen in den verschiedensten Orten. Auch in Mondstaub gab es mal ein Krankenhaus, das wegen Baufälligkeit geschlossen wurde. Ein neues wurde nicht gebaut, denn man war sehr schnell in Sternen und da stand ein großes modernes Haus.
An diesem Krankenhaus war eine Schule für Krankenpfleger und Krankenschwestern sowie für Hebammen angeschlossen. Die hier ausgebildeten Kräfte konnten weitere Kurse besuchen, um im Landgebiet tätig zu werden.
Einige bildeten sich zu Dorfhelfern weiter. Eine Zusammenarbeit mit den Elfenmedizinern und der Erfahrungsaustausch machte das Sterner Krankenhaus zu einem Treffpunkt. Dazu kamen zur Behandlung von Kranken noch die modernsten Geräte, die es auf dem Markt gab.
Tumdah erklärte dem Chefarzt, was sie bis jetzt gemacht hatte, der nickte verstehend und übernahm die weitere Behandlung. Die junge Fürstin verabschiedete sich und verschwand.

Bei der Untersuchung krümmte sich Löw erneut vor Schmerzen und der behandelnde Arzt reagierte sofort. Schnell wurde ein Operationsteam zusammengestellt und Löw kam unters Messer.
Bei der Operation stellte der Chefarzt fest, dass die Einlieferung gerade rechtzeitig war, um den stark entzündeten Blinddarm zu entfernen.
Im Krankenhaus war Löw bereits bekannt, da er in den letzten Jahren mehrmals hier eingeliefert wurde. Mal war es ein Beinbruch, das andere Mal eine kleine Schnittwunde am Auge, die genäht werden musste.
Löw lag in seinem Bett und schlief. Hin und wieder stöhnte er, sofort reagierte die Krankenschwester und gab ihm eine schmerzstillende Spritze. Dann setzte sie sich wieder neben sein Bett und passte auf.
Der Chefarzt saß in seinem Büro und ließ sich von seiner Sekretärin mit Schloss Mondstaub verbinden.
»Hier ist das Krankenhaus Stern, Chefarzt Blume«, fing der Arzt, ein Auelf, an, als er Leu erreichte.
»Hallo Doktor Blume, was liegt an? Ich habe nicht viel Zeit, wir sind nämlich auf der Suche nach Löw, der ist seit gestern Abend verschwunden«, sagte Leu.
An der Stimme konnte der Anrufer erkennen, wie Leu in Sorge und in Eile war.
»Sie brauchen ihn nicht länger zu suchen, er ist vor wenigen Stunden bei uns eingeliefert worden«, beruhigte der Arzt mit einem Lächeln in der Stimme. »Und er wurde von einem frechen Blinddarm befreit, der sich entzündet hatte. Sie können ihn morgen Mittag besuchen.«
»Gut. Dann sage ich Löws Tanten Bescheid und komme noch heute Abend, um zu sehen, was mit meinem Schützling los ist«, sagte Leu erleichtert und beendete das Gespräch.
Kurz darauf stand Leu vor Ideh und Nele und beruhigte sie: »Löw ist gefunden und liegt im Sterner Krankenhaus.«
»Oh, hoffentlich ist er nicht zu schwer verletzt«, meinte Ideh, und Nele stimmte ihr zu.
»Das weiß ich nicht, der Arzt sagte etwas von einem entzündeten Blinddarm, der entfernt werden musste. Weiteres hat er mir am Telefon nicht sagen können. Daher breche ich gleich auf und erkundige mich, obwohl der Arzt sagte, es ginge ihm gut und ich könnte morgen kommen«, sprach Leu in einem besorgten Ton und klingelte nach Löws Kammerdiener.
»Schön, dass Sie kommen. Löw liegt im Sterner Krankenhaus. Packen Sie bitte eine kleine Reisetasche, mit Nachthemd und so weiter, was man so halt im Krankhaus benötigt«, ordnete Leu an.
Er brauchte nicht lange warten und alles war für seine Abreise vorbereitet.
Als Leu am späten Abend im Krankenhaus auftauchte, hatte er Löws Reisetasche dabei. Hier ließ er sich vom Chefarzt alles erklären und durfte nach seinem schlafenden Schützling sehen. Die Reisetasche übergab er der Krankenschwester, die sie auspackte und in den Kleiderschrank einräumte.
Die Krankenschwester fand Leu sehr attraktiv und stattlich. Leus braunen Augen blickten sehr zärtlich auf den Kranken hinab, er liebte Löw wie ein eigenes Kind, strich ihm liebevoll übers dunkelblonde Haar und verschwand.
Zwei Tage später war Löw ansprechbar und hätte seinen Geschäften nachgehen können, was er ablehnte.
»Ich kümmere mich um die Amtsgeschäfte«, teilte Löw Leu mit, »wenn ich wieder aus dem Krankenhaus zurück bin.«
Er bedauerte, dass seine Retterin nicht an sein Bett kam und sich vorstellte. Am dritten Tag nach der Operation durfte er aufstehen und umhergehen.
Zufällig sah er aus dem Fenster und sah Tumdah. Seine Hand lag auf der operierten Stelle und das Lachen tat ihm noch weh, als die Krankenschwester, die neben ihm stand, etwas Lustiges erzählte.
Tumdah drehte sich um und lächelte freundlich die an den Fenstern stehenden Patienten an, winkte und verschwand in einer bereitstehenden Silbertransportkugel.
Mit dem Finger am Kinn überlegte Löw, wer die junge Frau sei, die so freundlich winkte und wie die umweltfreundliche Transportkugel funktionierte, die er auch gerne in seinem Besitz hätte.

Eine Stunde später saß Tumdah an ihrem Schreibtisch und bearbeitete die Gesetzesentwürfe. Gelegentlich kaute sie an dem Federstiel und dachte an den Fremden, dem es wieder gut ging, wie sie sich täglich berichten ließ. Gern hätte sie gewusst, wer er ist. Sie seufzte und wandte sich wieder den Akten zu, die vor ihr auf dem Schreibtisch lagen.
Bei der einen oder anderen Vorlage war sie einverstanden und unterschrieb. Bei anderen nicht, die wurden mit Rotstift rigoros durchgestrichen, und wieder andere Vorlagen wurden mit Notizen versehen und mussten zur Überarbeitung zurück an das zuständige Ministerium. Für sie war es nicht leicht, die Nachfolgerin ihres Vater zu sein.
Mit Disziplin und mit Unterstützung von ihrer Mutter schaffte sie es, das große Land zu regieren und zu führen. Sie war von ihrem Vater diesbezüglich gut geschult worden.
Als ihr Bruder geboren wurde, legte Thoren schriftlich fest, dass seine älteste Tochter die nächste Regentin nach ihm sein sollte.
Die Mitglieder der Regierung waren damit einverstanden, denn es stellte sich heraus, dass Tumdah eine natürliche Begabung hatte, Menschen zu führen und anzuleiten. Thoren war der Auffassung, dass auch Frauen ein guter Regent sein können.
An einer Wand des Arbeitszimmers hing eine Landkarte, die Tumdah gerne ansah. So wusste sie, dass das Fürstentum Sternen im Süden am Meer lag und der Hauptort einen breiten Sandstrand besaß.
Im Nordosten lag ein großer Gebirgszug, wo sich das zur Zeit verwaiste Drachenland befand, wie Tumdah gerade an nahm.
Ihr war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt, dass ein Drachenpaar in die Drachenburg einzog und es sich nun gemütlich machte.
Nördlich, vom Westen bis zum Osten, zog sich der Elfenwald mit einem großen Moor. Dieses war sehr gut geeignet für Moordrachen, die sich einige Zeit später hier ansiedelten.
Im Westen von Sternen lag das Herzogtum Mondstaub. Davon im Nordwesten die kleine Grafschaft Stolzen. Sternen, Mondstaub und auch Stolzen lagen jeweils am Meer. Vor der Küste von Sternen und Mondstaub lagen kleine Inseln, die hin und wieder besucht werden.
Der Hafen von Sternen war gut ausgebaut, so dass auch große Schiffe anlegen konnten. Die Mondstauber hatten sich mit den Sternern zusammengetan und betrieben gemeinsam die Hafenanlagen. Der Warenaustausch mit anderen Ländern funktionierte reibungslos.
Vor vielen Generationen wurde durch Erbaufteilung Sternen von Mondstaub getrennt und Stolzen war entstanden.
Durch einen über dreißig Jahre dauernden, sehr blutigen Bürgerkrieg verschwanden die Drachen, da auch sie in diesen Krieg hineingezogen worden waren und einige von ihnen getötet wurden.
Bevor sie verschwanden, murmelte der Drachenkönig eine Vorhersage: »Wenn nachweislich überall Frieden an der Tagesordnung ist, kommen wir wieder.«
Es dauerte einige Jahrzehnte, bis Tumdahs Großvater anfing, mit seinem Nachbarn, Löws Großvater, gute nachbarschaftliche Beziehungen aufzubauen und zu halten.
Eine gemeinsame Währung half, die Wirtschaft anzukurbeln und so fand ein reger Austausch von Waren und Lebensmitteln statt.
Die Baubranche boomte und die zerstörten Häuser wurden aufgebaut und einige der Ruinen weggeräumt. An deren Stelle gab es Grünflächen und Parkanlagen. Dadurch wurden die Orte luftiger und grüner. Hier hatte Thorens verstorbene Mutter ihre Hände im Spiel.
Davon profitierten auch die Stolzener. Der damalige Graf Fred von Stolzenburg hatte diesen Währungsvertrag mit unterschrieben. Durch diesen Vertrag gab es genügend Arbeit und Arbeitsplätze.
Thoren von Sternen schloss mit Herzog Liu von Mondstaub, Löws Vater, einen Vertrag ab, der besagte, beide Reiche haben die gleichen Rechte und Pflichten. Schon hier wurde der Grundstein gelegt, dass beide Reiche wieder zusammenkommen konnten und zu einem Reich wurden.
Vereinbart wurde auch, dass die Hafenanlagen gemeinsam genutzt und gepflegt werden sollte. Was auch gern getan wurde, so wurde regelmäßig durch die Hafenarbeiter das Hafenbecken und die Fahrrinnen ausgebaggert.
Aus dem Menschenreich (der Parallelwelt zu Edrena) waren zwei Baggerschiffe eingeführt worden, die auf dem neuesten Stand der Technik waren. Der ausgebaggerte Sand und Schlick wurde als Vorspülungen an anderer Stelle ausgebracht.
Das gemeinsam betriebene Seezeichenschiff, das ebenfalls aus dem Menschenreich geholt wurde, war bei Wind und Wetter unterwegs, um defekte Seezeichen auszutauschen und neue zu setzten.
Die Hafenanlage wurde täglich von einer Gruppe Senioren gereinigt, alles im Ruhestand befindliche Hafenmitarbeiter oder Seeleute.
Wehe, wenn ein Gast ein Stück Papier auf den Boden fallen ließ und es nicht sofort aufhob und in die bereitstehenden Papierkörbe warf, wurden fünfzig Dracegulden Strafe fällig.
In regelmäßigen Abständen hatte das Hafenamt Warn- und Hinweisschilder anbringen lassen.
Die Kaianlagen waren tipptopp, darauf achteten die Anwohner argwöhnisch. Das galt nicht nur für den ganzen Hafenbereich, sondern in allen Landesteilen.
Der Müll wurde getrennt, da machten die Kinder gerne mit und bastelten nicht nur in der Schule aus wiederverwertbaren Dingen Kunstobjekte, sondern auch daheim. Auch die ortsansässigen Künstler zauberten daraus nicht nur schöne, sondern auch hässliche Kunstobjekte.
Aus alt wurde neu und die Betriebe hatten viel zu tun. Kleider, die nicht mehr zu gebrauchen waren, wurde ebenfalls eingesammelt und aus diesen Lumpen wurde Papier hergestellt.
Auch die Häute der gefangenen Fische wurden weiterverarbeitet. Eine der Fischerfrauen fand heraus, wie daraus Leder gemacht werden konnte. Durch die besondere Herstellung verarbeiteten die Schneiderinnen aus dem Atelier Schollentracht dieses besondere Leder zu Taschen, Gürtel oder auch Damenhüte. Es gab auch Kleider aus diesem Material, diese Kleider kaufte nicht jeder, sondern nur Frauen, die meinten etwas besonderes zu sein.
Der Fürstin Atina und ihren Töchtern wurden solche Dinge nicht vorgeführt, was diesen nicht gefiel. In den letzten Jahren wurden sie nicht einmal zu einer Modenschau eingeladen, das kränkte Atina enorm. Als ihr Thoren noch lebte, war es ganz anders, da rissen sich die Modeateliers um ihre Anwesendheit.
Etwas abseits vom Haupthafen lag der Yachthafen. Hier dümpelten die verschiedensten Yachten und Boote, die von weither kamen, um hier in den Gewässern zu segeln. In einem anderen Teil des Hafens, in einem geschützten Bereich, lagen die Yachten und Boote der Herrscher von Sternen und Mondstaub.
Gern saß Tumdahs jüngste Schwester Ale auf der Kaimauer und malte. Viele der Bilder, die sie malte, hingen nun im Rathaus an den Flurwänden und einige Kaufinteressenten gab es auch schon. Die bescheidene Ale freute sich über das rege Interesse an ihren Bildern und dass ihre Spardose gut gefüllt wurde.
Die Stolzener hatten ihren eigenen Hafen, da es zu weit zum Sterner Hafen war. Für sich hatte Nala einen extra Hafen anlegen lassen, in dem seine verschiedensten Boote lagen. Von außen war er nicht einsehbar, da er in einer kleinen Bucht lag. Er liebte schnelle Boote und gab hierfür Unmengen von Dracegulden aus.

Löw saß am Fenster seines Krankenhauszimmers und blickte auf den Hafen. Das Krankenzimmer, in dem er lag, hatte Eckfenster. Diese standen weit auf und er konnte die Vögel singen hören.
Hin und wieder wehte der Wind eine Briese Meerluft zum Krankenhaus hinüber.
Von einem Fenster sah er in den Park und vom anderen konnte er das Treiben des Hafens sowie den Eingang zum Krankenhaus beobachten.
Es machte ihm mehr Spaß, mit seinem Fernglas in Richtung Hafen zu blicken, als seine Akten zu bearbeiten.
Da kam die Krankenschwester herein, um den Verband zu wechseln.
»Wie geht es Ihnen heute Morgen, Hoheit?«, fragte sie Löw.
»Die Schulter schmerzt noch etwas und der Verband am Bauch nervt. Ich überlege die ganze Zeit, wer die junge Frau ist, die vor kurzem in die silberne Transportkugel stieg.«
Die Krankenschwester gab lächelnd zur Antwort: »Es ist unsere geliebte Fürstin Tumdah, die uns regelmäßig besucht. Als vor knapp zwei Jahren ihr Vater unerwartet starb, man munkelt er sei ermordet worden, nahm sie die Geschicke des Landes in ihre zarten Hände. Einer ihrer engsten Berater ist ihre Mutter, die nach einer Trauerzeit von einem Jahr endlich wieder am Leben teilnimmt.«
»Hört Fürstin Tumdah auf ihre Mutter?«
»Ja, sie ist vom Vater gut geschult worden. Ihre jüngere Schwester Annug meinte oft, sie solle jüngere Berater nehmen. Aber Tumdah lehnt dies stets ab. Aus Erfahrung weiß sie, dass ihre Berater ihr nie falschen Rat geben werden und mit ihr über Probleme reden. Auch kann sie sich auf ihr Beraterteam verlassen, so wie es ihr Vater auch tat. Unter anderem ist die Elfenkönigin Blaustern ihre Tante.«
Löw saß auf der Bettkante, nickte und zuckte zusammen, als die Krankenschwester das Pflaster an der Schulter abzog und die Fäden zog. Der Chefarzt kam herein, begutachtete die Narbe und die Krankenschwester konnte ein frisches Pflaster auf die heilende Wunde kleben. Dann kam der Bauch dran. Wie der Arzt feststellte, konnten die Fäden ebenfalls gezogen werden, was er auch umgehend machte. Dann wurde leichter Druckverband darauf gelegt.
»Ich bin sehr zufrieden«, sagte der Arzt nach der Begutachtung der gut verheilenden Wunden. »Noch drei Tage hier bei uns im Krankenhaus, dann können wir Sie nach Hause entlassen.«
Der Arzt und Löw plauderten noch etwas übers Segeln und der Arzt verabschiedete sich, weil er noch zu anderen Patienten musste. Löw legte sich zurück, drehte sich auf seine rechte Seite und träumte von Tumdah.
Es klopfte, die Krankenzimmertür wurde leise geöffnet und Leu betrat das Zimmer. Kaum hörbar trat er an das Krankenbett und sah seinen Schützling liebevoll an.
»Hallo Löw«, sagte Leu leise und legte seine Hand auf die Schulter. »Wann darfst du nach Hause?«
Sich umdrehend und Leu verträumt ansehend, sprach er: »In drei Tagen darf ich nach Haus.«
Dann drehte er sich wieder um, sah hinaus und träumte weiter von sich und Tumdah. In seinem Traum hatte er mit ihr eine große Kinderschar und tollte mit den Kindern. In seinem Traum kamen auch Drachenbabys vor, die sich vertrauensvoll an ihn schmiegten.
Leu verabschiedete sich still und stand drei Tage später mit Löws Kammerdiener wieder im Krankenzimmer.
Der ganze Haushalt von Mondstaub stand Kopf und wartete sehnsüchtig auf ihren Löw. Die meisten von ihnen standen bereits seit vielen Jahren im Dienste der Herzöge von Mondstaub. Generationen der Familien des Personals dienten und dienen Löw und seiner Familie.
Im Krankenhauszimmer: Mit gespielten Gestöhne, wurde Löw von seinem Kammerdiener in seine Kleider gesteckt.
»Löw, so geht es nicht«, murmelte der Kammerdiener mit gerunzelter Stirn, weil Löw seinen linken Arm nicht in die Jacke stecken wollte.
»Mir tut die Schulter weh«, jammerte Löw, dabei lachten seine Augen.
Leu stand am Fenster, die Arme vor der Brust verschränkt und sah väterlich auf seinen Schützling. Amüsiert beobachtete er Löw, wie er sich beim Ankleiden helfen ließ.
Eine halbe Stunde später verließ Löw das Krankenhaus. Er drehte sich in Richtung Schloss Sternen und entdeckte einen wunderschönen Regenbogen am Himmel.
Die Sonne schien und das Thermometer zeigte um die fünfundzwanzig Grad. Der vom Meer herkommende Wind machte die Luft annehmbar und frisch. Hin und wieder zogen einige Wolken am Himmel, die aber keinen Regen mit sich brachten.
Weil kein Regen vorhergesagt worden war, nahm Leu eine offene Kutsche und fuhr damit nach Sternen zum Krankenhaus.
Löw liebte es, in einer offenen Kutsche zu fahren. Der Kammerdiener verstaute die Reisetasche und half ihm beim Einsteigen. Kaum saßen Löw und seine beiden Begleiter, knallte der Kutscher mit der Peitsche. Munter trabten nun die Pferde die Auffahrt hinunter, bogen in die Hauptstraße und dann in Richtung Mondstaub.
Sich zurücklehnend träumte Löw und Leu ließ ihn träumen. Neben dem Kutscher saß der Kammerdiener und der blickte hin und wieder zurück zu seinem Herrn, um zu sehen, wie es diesem ging. Ein erleichtertes Lächeln glitt über sein Gesicht, als er sah, dass es ihm gut ging.
Hin und wieder schnaubten die beiden Rappen freudig. Nach gut drei Stunden Fahrt kam das Schloss Mondstaub in Sichtweite.
Vor dem Schloss Mondstaub liefen Löws Zwillingstanten Ideh und Nele wie aufgescheuchte Hühner hin und her. Die Zwillinge hatten das verwaiste Kind in ihre Obhut genommen und zu einem warmherzigen Menschen herangezogen. Für die Rückkehr des jungen Herzogs war alles vorbereitet.
»Endlich kommt unserer Kind nach Hause«, sagte Ideh erleichtert.
»Ja«, bestätige ihre Schwester Nele und zupfte an ihrem Taschentuch.
»Unser leider zu früh verstorbener Bruder und unsere geliebte Schwägerin haben ihr Kind in unsere Obhut gegeben, damit wir ihn großziehen«, fing Ideh an zu sinnieren, bevor sie weiter sprechen konnte, öffnete sich das Tor und sie konnten die offene Kutsche über die mit Kastanienbäumen flankierte Allee heranrollen sehen.
Nele nickte zustimmend und freute sich, dass ihr geliebter Junge nach Hause kommt.
Kaum hielt die Kutsche vor der Freitreppe, da eilten einige Lakaien heran und halfen ihrem geliebten Herzog beim Aussteigen.
Am nächsten Abend gab Löw eine kleine Genesungsparty. Der gut aussehende Herzog wurde wieder von schönen Frauen umschwärmt. Er war enttäuscht, dass Tumdah nicht erschien. Die weder Zeit und noch Lust hatte, auf eine Langweilparty zu gehen. Als der Abend zu ende ging, war der Gastgeber erleichtert, da er sich nun zurückziehen konnte. Es war anstrengender, als er es sich gedacht hatte. Kaum lag sein Haupt auf dem Kopfkissen, schlief er ein.

Täglich ließ sich Tumdah berichten, wie es dem jungen Mann ging, den sie am Bärenfels gefunden hatte. Sie wusste immer noch nicht, wen sie da gerettet hatte. Ihr wurde nur mitgeteilt, dass es sich um einen Mondstauber handle.
Während Tumdah eine Verordnung für den Schulunterricht durchlas und korrigierte, weil einige Sätze missverständlich geschrieben worden waren, kam die Chef-Fee Juna herein, die sich gerne um die Bibliothek kümmerte.
Juna las gerne und mochte alte Bücher, deshalb kümmerte sie sich gern um das Archiv und die Bibliothek der Familie Sternen. Sie hatte vor vielen Jahren sich beim verstorbenen Fürsten als Archivarin beworben und wurde eingestellt.
Der zu diesem Zeitpunkt tätige Archivar arbeitete schlampig und wurde nach Junas Einarbeitung in den Ruhestand geschickt. Sie war sehr fleißig und brachte die Bibliothek in kürzester Zeit auf den neuesten Stand. Es tauchten Bücher auf, die noch in Kisten verpackt waren.
»Hallo Tumdah«, sagte Juna.
»Guten Morgen, liebe Juna, was liegt an?«, fragte Tumdah den Kopf hebend, mit einem Lächeln um den Mund.
»Ich habe ein sehr altes Buch gefunden«, antwortete sie und legte es vor Tumdah auf den Schreibtisch.
Juna lächelte und schlug das Buch auf, tippte mit ihrer graziellen Hand auf einen Text.
»Lies, Kind, lies«, sagte sie und setzte sich in einen bequemen Sessel.
Tumdah las und las.
»Interessant«, murmelte sie und klappte das Buch zu. »Ich bin also auserwählt, zwei Reiche zusammen zu führen und einem Mann zu zeigen, dass es Frauen gibt, die nicht dumm sind«, stellte sie kurz darauf fest.
»Gut zusammengefasst. Fang dir Löw ein, denn er ist ein liebenswürdiger Mensch, der durch falsche Frauen verdorben wurde.«
»Wer ist Löw?«, Tumdah lehnte sich in ihrem Sessel zurück und sah ihre Chefbuchfee lächelnd an.
»Das ist der Herzog von Mondstaub und der Mann, den du gerettet hast.«
»Aha. Und wie stelle ich das an?«
Die Chef-Fee kicherte und sagte: »Bleib so wie du bist, ganz natürlich. Etwas zurückhaltend, aber freundlich. Er muss sich um dich bemühen und sich nicht abschrecken lassen, weil du dich ihm gegenüber reserviert verhältst. Das sollte ihn reizen, sich um dich zu bemühen.«
Tumdah nickte und fuhr fort: »Was weißt du noch über ihn? Was liest er? Welche Musik mag er?«
»Gemach, meine Liebe, gemach. Soviel ich von meiner Kusine, der Mondstauber Chefarchivarin Edel, erfuhr, hat er ähnliche Bücher in der Bibliothek wie wir. Seine beiden Tanten, sehr liebenswürdige Personen, sind ebenfalls belesen und tauschen oft mit uns die Bücher. Löw hört gern gute Musik, besucht das Theater regelmäßig und geht in die Oper, wo manchmal Ballettstücke aufgeführt werden.«
»So ist es also mit den Büchern. Ich habe mich schon gewundert, besonders bei den letzten beiden Büchern, als ich auf der ersten Seite einen Stempel von Mondstaub sah.« Tumdah nahm einen Schluck Wasser und sagte: »Er mag also, wie ich auch, Theater, gute Musik und Opern?«
»Richtig. Segeln und Reiten sind seine sportlichen Aktivitäten. Beim Segeln hat er einige Pokale ersegelt.«
»Was ist mit Reiten?«
»Nur ein Hobby, ein Freizeitreiter, der aus Spaß an der Freud reitet und er mag Pferde.«

Zur gleichen Zeit hatte Löw ebenfalls Besuch von seiner Chefarchivarin Edel.
»Guten Morgen, Edel, was gibt es neues?«
»Guten Morgen, Löw, neue Bücher. Die Liste liegt auf deinem Schreibtisch.«
»Hab sie gesehen und meinen Lesewunsch notiert.«
»Was ist los, Löw? Du siehst so nachdenklich aus?«, fragte Edel ihn besorgt.
»Es geht um Fürstin Tumdah. Ich habe erfahren, dass sie mir das Leben gerettet hat und mich nicht am Krankenbett besuchte«, sagte er und der letzte Teil des Satzes klang traurig.
Edel lachte leise, es hörte sich wie ein Glasglockenspiel an. »Sie weiß, was sich gehört. Sie ist eine Elfe, besser gesagt eine Halbelfe.«
»Eine Halbelfe?«, fragte Löw verdutzt und seine blauen Augen wurden größer.
»Ja, durch ihren Vater, der eine Frau aus dem Menschenreich heiratete.«
»So?«
»Ja, so! Atina war achtzehn, als sie ihre Eltern verlor. Thoren lebte zu dieser Zeit zwecks Studium im selben Ort, wie auch Atina, die vorher Anita hieß. Thorens Vater erlaubte ihm, nein, er drängte darauf, dass der Sohn zum Studieren in die Menschenwelt reist. Beide verliebten sich ineinander und heirateten. Sie zog umgehend mit ihrem Mann hierher und wurde mit einundzwanzig zum ersten Mal Mutter.
So wie mir bekannt ist, hat Atina es niemals bereut, hierher zu ziehen. Ich fragte sie mal danach und sie bestätigte es. Tumdah liebt ihre Mutter und ihre jüngeren Geschwister. Sie war sehr traurig, als man ihren Vater tot auf fand.«
»Ermordet?«
»Ja. Der Täter ist noch auf freiem Fuß.«
Löw wurde nachdenklich. »Liegt es eventuell daran, weil es keine konkreten Vereinbarungen zwischen beider Polizeidirektionen gibt?«, fragte er neugierig.
Edel nickte zustimmend und antwortete: »Ja, so ist es. Da solltest du was in Gang setzen.«
Da klopfte es und Leu kam herein. Eine Stunde später saß der Rat zusammen und besprachen einen Vertrag wegen länderübergreifender Polizeiarbeit und ein zentrales Polizei-Staatsanwalts-Gebäude und wo es gebaut werden sollte. Dessen Pläne lagen einige Wochen später als Entwurf vor.
Tumdah wie auch Löw genehmigten die Pläne und wiesen die Finanzminister an, hier Gelder freizugeben.
Zur Grundsteinlegung Monate später kamen alle wichtigen Persönlichkeiten aus Sternen und Mondstaub. Die Pläne mussten kurz geändert werden, da auch für Drachen Räume geschaffen werden mussten.
 

© Luise Drachenanwältin
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Und schon geht's hier weiter zum 5. Kapitel: "Tumdah liest aus den Sterner Chroniken"...

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