Ein ungewöhnlich schöner Regenbogen war nach tagelangem
Regen am Himmel zu sehen und über den Bäumen des nahe gelegenen
Waldes dampfte es.
Auf den Waldwegen gab es noch Pfützen und der Boden war matschig.
Es dauerte nicht lange und eine Rotte Schwarzwild kam durch den Wald heran
getrabt und schlabberte aus den Pfützen. Am Himmel tummelten sich
Schwalben und einige Lerchen, die hoch über den Feldern flogen, schmetterten
ihre Lieder.
Die Vögel in den Büschen und auf den Bäumen zwitscherten
fröhlich ihre Lieder und einige Wolken zogen über den Himmel.
Am Horizont sah man die dunklen Regenwolken weiterziehen, durch
die einige Sonnenstrahlen guckten. Endlich war die Luft angenehm frisch
und prickelnd. Viele atmeten auf, da die Dämpfigkeit endlich vorbei
war.
Bevor der Regen fiel, gab es eine wochenlange Trockenheit und die
Brunnen und die Teiche waren fast ausgetrocknet. Jetzt endlich waren sie
mit frischem Wasser aufgefüllt worden. Die Bäche und Flüsse
waren randvoll und traten an einigen Stellen über das Ufer.
Auf den Feldern und in den Gärten grünte und blühte
es. Insekten kamen aus ihren Verstecken und bevölkerten die Gärten
und Felder. Bienen summten und freuten sich, weil sie ihre Stöcke
verlassen konnten.
Alle Fenster des Schlosses Sternen waren geöffnet worden, damit
der leichte Wind, der jetzt aufgekommen war, die stickige und dämpfige
Luft aus dem Räumen wehen konnte.
Das Hauspersonal wirbelte umher, um klar Schiff zu machen. Die Fenster
blitzten nach dem Putzen mit der Sonne um die Wette.
Frisch gewaschene Wäsche hing an der Leine und flatterte im
Wind, der sie schnell trocknete. Die Wäsche erhielt dadurch einen
wunderschönen Duft. Tumdah und auch ihre Geschwister liebten diesen
Duft von an der Luft getrockneten Wäsche.
Das Schloss Sternen lag am Ortsrand von der Hauptstadt Sternen und
war ein gut durchgeplanter Bau. Das Schloss war immer wieder modernisiert
worden, so dass in den Wintern die Räume schön warm waren und
kein kalter Wind durch die Mauern pfiff. Zuletzt hatte Tumdahs Vater Thoren
das Schloss auf den neuesten Stand bringen lassen. Durch Sonnenenergie
erzeugter Strom wurden die Elektrogeräte betrieben und Erdwärme
heizte das Gebäude.
An Windenergie durch Windkrafträder dachte noch keiner.
Über zwei Stufen der Außentreppe, durch das von einem
Elfentischler mit Tiermotiven, unter anderem auch Drachen, gestaltete sehr
alte Portal, betrat der Besucher den Hausflur. Der Besucher entdeckte im
Hintergrund eine Treppe, die wie ein U gestaltet und aus einheimischem
Sandstein gebaut worden war. Die Handläufe dieser Treppe waren aus
Rosenholz gefertigt.
Der Fußboden der Eingangshalle bestand aus rosa und grauem
Marmor. Die mit wertvollen Teppichen belegt war.
An den Wänden hingen Bilder der Ahnen. Dann gab es noch die
uralten, großen Holztruhen, die die Ausstattung ergänzten. In
diesen waren einige Schätze versteckt. Bedauerlicherweise kamen die
Bewohner nicht daran, weil die Schlüssel zu den Truhen verschwunden
waren. Auf diesen Truhen stellte Atina regelmäßig Vasen mit
frischen Blumen aus dem eigenen Garten.
Die Zweiläufige Treppe endete im ersten Obergeschoss an einem
Balkon, von der Tumdah auf die Eingangshalle blicken konnte. Die Treppenstufen
waren mit einem strapazierfähigen Teppich versehen.
Von der Haupteingangshalle ging es links in die Büros der Fürstin
Tumdah und ihrer Mutter Atina, sowie zu den Besprechungsräumen. Auf
der rechten Seite waren die Türen in das Wohnzimmer und zu den Speisezimmern
sowie ein weiterer Flur, der zu dem großen Ballsaal führte,
der in einem Flügel untergebracht war.
In den oberen Geschossen hatte die Familie ihre Privaträume.
Die junge Fürstin besaß ein eigenes Appartement, das die Eltern
gemütlich einrichteten und ihr symbolisch den goldenen Schlüssel
für ihr kleines Reich an ihrem achtzehnten Geburtstag übergaben.
Beim Versteckspielen mit den Geschwistern fand sie auf dem Dachboden
einige alte Bilder, die sie reinigte und in ihrem Wohnzimmer aufhängte.
Sie liebte diese alten Bilder. Auf dem einen war das Schloss zu sehen und
auf einem anderen ein Drache mit seinen Freunden, sowie drei Blumenbilder.
In einem anderen Teil des Schlosses wohnte das Personal sowie in
Bedienstetenhäusern, die den Hof umrahmten. Die Bewohner schmückten
die Fensterbänke mit Blumen und in den Vorgärten wuchsen die
verschiedensten Büsche und Pflanzen.
Nicht weit davon entfernt waren die Pferdeställe und die Garagen,
sowie die Werkstätten.
Auf den beiden hinter den Ställen befindlichen Pferdekoppeln
konnten die Pferde rumtollten oder auch in Ruhe fressen.
Das Arbeitszimmer, in dem die junge Fürstin Tumdah jetzt saß,
war unverändert geblieben, als sie die Amtsgeschäfte ihres verstorbenen
Vaters übernommen hatte. Schöne und kostbare Teppiche lagen auf
dem Boden.
Wertvolle Gemälde hingen an den Wänden, sowie ein Spiegeltelefon
und von der Decke hing ein Kronleuchter aus rosa und weißem Bergkristall.
Auf dem großen Schreibtisch stand eine Schreibtischlampe,
deren Lampenschirm aus Muranoglas bestand, und ihr Schreibwerkzeug. Die
Gold- und Silberschmiede fertigten die Schreibwerkzeuge aus den besten
Materialien an, die es im Sonnen-Drachenland gab. Auf den Griffen prangte
Tumdahs Wappen und ihr Name war eingraviert. Die Schale, in der das Schreibwerkzeug
lag, bestand aus Silber mit Drachenschuppen eines Golddrachens und sie
war ein Geschenk ihres Vaters an sie zum bestandenen Abitur.
»Nein, Mama«, sagte die dreiundzwanzigjährige Fürstin
Tumdah an diesem Morgen energisch, die an ihrem Schreibtisch leicht angespannt
saß.
Hinter ihr hing das Bild ihres leider zu früh verstorbenen
Vaters.
Sie fuhr fort: »Nur weil unser Rat verlangt, dass ich Netz
heiraten soll, damit eine Vorhersage in Erfüllung gehen soll.«
Sie runzelte dabei ihre Stirn.
Ihr gegenüber saß auf einem geblümten Sofa ihre
Mutter Atina und sah sie fragend an: »Warum nicht, mein Kind?«
»Weil Netz ein dummer Mann ist. Er lässt sich von anderen
beeinflussen und ich kann mit ihm keine vernünftigen Gespräche
führen. Ich habe das Gefühl, dass er noch nicht reif ist für
ein Ehe«, sagte sie erregt, nahm einen Schluck aus ihrer Teetasse
und fuhr fort: »Mir ist so, als ob ein anderer Mann gemeint ist.«
»Ah, so.«
In der offen stehenden Terrassentür stand der Chefzauberer
von Sternen und die Feenkönigin. Die beiden sahen fasziniert zwischen
Mutter und Tochter hin und her.
»Wie hast du das festgestellt?«, fragte die Mutter und
hob ihre Teetasse an ihre Lippen.
Auch Tumdah trank ihre Tasse leer, dabei überlegte sie in Ruhe,
wie sie ihre Gefühle gegenüber Netz in Worte fassen konnte. Nach
einer Weile sagte sie: »Von mir selber. Bei den Unterhaltungen, die
ich verfolgte, habe ich ihn beobachtet, wie er mit anderen spricht. So
stellte ich fest, dass er keine eigene Meinung hat. Darauf angesprochen
meinte er, er könne sich anpassen. So ein Blödsinn. Ich will
einen Mann, der weiß, was er will, und seine Meinung gut vertreten
kann und dabei bleibt. Auch kennt er unsere Autoren nicht, die für
uns schöne Bücher schreiben. Dann behauptet er, er wisse nicht,
wie man den Zauberspiegel bedient und ich könne es ihm ja beibringen.
Ich vermute, das ist ein vorgeschobener Grund.«
»Das ist schlimm«, nickte die Mutter.
»Beleidigend ist er auch«, stellte der Chefzauberer
fest.
»Inwiefern?«
»Hoheit, indem er gegenüber den Feen und Elfen unhöflich
ist und er soll ihre Ratschläge ignorieren.« Die Feenkönigin
holte tief Luft und fuhr fort: »Dann ist uns bekannt geworden, dass
er Tiere quält, so behauptete Nala es.«
»Liebste Feenkönigin, das ist sehr schlimm. So einen
Schwiegersohn will ich nicht«, sprach Atina entsetzt. »Habt
ihr das selber an euch gemerkt?«
»Nein, dies haben wir nur von Nala und seinen Freunden gehört.
Direkt hatten wir persönlich noch keinen Kontakt mit Netz. Dann ist
da noch folgendes, er wird durch Nala beeinflusst, ansonsten würde
er die Ratschläge annehmen«, ergänzte der Chefzauberer
den Satz der Feenkönigin.
»Ja, Mutti, meine Berater Muschel und Cauw meinen, nur so
könnten wir Einfluss auf die Grafschaft Stolzen nehmen. Da ist doch
Nala der Herr und den mag ich noch weniger«, sagte Tumdah, schloss
energisch ihre Schreibmappe, legte ihre silberne Schreibfeder in die Schale
und stand auf.
»Ich reite aus, um meiner Erregung Herr zu werden, da ich
auf keinen Fall mit Nala unter einem Dach wohnen möchte, geschweige
denn Netz heiraten«, erklärte sie, beugte sich zu ihrer Mutter,
gab ihr einen Kuss auf die Wange und verschwand. Und ließ eine nachdenkliche
Mutter mit dem Chefzauberer und der Feenkönigin zurück.
Wenig später hörte Atina durch das geöffnete Fenster,
wie ihre Tochter Anweisungen zum Satteln und Ausreiten gab. Eine halbe
Stunde später waren durch die geöffneten Fenster schnaubende
und wiehernde Pferde und dann davon trabende Pferdehufe zu hören.
Tumdah schwang sich auf ihren Lieblingshengst und trabte vom Hof.
Ihre langen schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und auf ihrem
Kopf einen Schutzhelm. Darum hatte die geliebte Mutter gebeten, die von
der Erde stammte.
Atina hatte dort etliche Reitunfälle beobachtet, wo der Reiter
ungeschützt ritt und durch einen Unfall schwere Kopfverletzungen davontrug.
Fachleute waren der Auffassung, mit einem guten Helm wäre das nicht
passiert.
»Sie ist im heiratsfähigen Alter«, sprach die Feenkönigin
und strich ihren blauen Seidenrock glatt. »Wir müssen für
sie einen Mann suchen, der auch ihre jüngeren Geschwister respektiert
und akzeptiert. Wichtig ist es ebenfalls, dass sie zu ihm aufsehen kann.«
»So ist es«, gab Atina zu. »Sie hat in uns Eltern
ein gutes Beispiel. Ihr Vater hat mich respektiert, geachtet und geliebt,
so dass ich gern mit meinem Thoren zusammen war. Er hat mir eine wundervolle
neue Heimat gegeben.«
Der Chefzauberer setzte sich in einen bequemen Sessel, murmelte
einen Spruch und hielt wenig später einen großen Becher mit
Kaffee in der Hand.
»Schon wieder dieses komische Getränk«, neckte
Atina ihn.
Ruhig antwortete der Chefzauberer, der zur ersten Klasse gehörte:
»Ja, diesmal mit Kakaogeschmack. Auch einen Becher?«, fragte
er die beiden Frauen und nippte.
»Nein, dann kann ich nicht schlafen«, wehrte Atina das
Angebot freundlich ab. »Ich trinke lieber Kräutertee, der ist
gesünder. Wenn ich Kaffee trinke, dann ist es Malzkaffee.«
Sie kannte das aromatische Gebräu aus der Zeit, bevor sie ins
Sonnen-Drachenland kam.
Die Feenkönigin hatte ein Glas naturtrüben Apfelsaft,
den sie mit Mineralwasser mischte, vor sich stehen.
Während die drei noch über Tee oder Kaffe redeten, galoppierte
Tumdah mit ihren Begleitern durch den Schlosspark und dann durch den Wald.
Sie genoss es mit ihrem geliebten Hengst durch die Landschaft zu galoppieren.
Da tauchte das Elfenschloss vor ihnen auf. Sie zügelte, ein Stallknecht
nahm das edle Ross in Empfang und führte es in den Stall.
Die Elfenkönigin Blaustern hörte die Stimme ihrer Nichte
und blickte über die Balkonbrüstung. Sie beobachtete, wie Tumdah
leichtfüßig die Außentreppe hinauf eilte.
Liebevoll begrüßten sie sich. Blaustern legte ihren Arm
um die Schultern der Nichte und führte sie zu deren Lieblingsplatz.
Tumdah, die ansonsten sehr zurückhaltend war, gab der Tante einen
Kuss auf die Wange und nahm Platz.
Sie unterhielten sich über dies und das, so auch über
den Wunsch der Berater, Tumdah solle Netz heiraten. Blaustern hielt sich
mit einem bissigen Kommentar zurück und sprach nur sachlich über
Netz und dessen Verhalten.
Mitten im Gespräch tauchte auf einmal Uno, der Leitwolf des
ersten Wolfsrudels, auf, der laut jaulte, so dass Tumdah aufsprang, die
Außentreppe hinunter sprang und zu ihm eilte.
Sie wusste, wenn Uno so laut jaulte, dann stimmt im Wald etwas nicht.
Sie kraulte ihn und erfuhr durch geschicktes Nachfragen, dass ein verletzter
Mann am Bärenfelsen läge.
Umgehend wurde durch sie eine Rettungstruppe zusammengestellt. Die
Erste-Hilfe-Box hing bereits an ihrem Sattel, ohne diese Box ritt sie nie
aus. Denn man kann ja nie wissen, so ihre Einstellung, die sie von ihrem
Vater übernommen hatte. Sie schwang sich in den Sattel und ihre Helfer
folgten. Die freundlichen Bäume und Büsche machten den Weg frei
und Uno Wolf führte sie eilends zum Verletzten.
Tumdah empfing durch ihr feines Gehör den Schall eines leisen
Stöhnens. Sofort sprang sie vom Pferd, hängte sich die Erst-Hilfe-Box
um und mit ein paar Schritten war sie beim Verletzten. Ein Lächeln
glitt über ihr Gesicht, als sie den gut aussehenden Fremden vor sich
liegen sah. Ihr Herz schlug schneller und um die Magengegend herum schwirrten
Hunderte von Schmetterlingen.
Bei genauerem Hinsehen entdeckte sie einen in seiner linken Schulter
steckenden Pfeil und dass er sich vor Schmerzen nach rechts krümmte.
Sie legte eine Hand auf die Stirn und bemerkte, dass diese heiß war.
Tumdah hatte bereits als Jugendliche einen Erste-Hilfe-Kurs mit
Bravur abgeschlossen und bildete sich immer weiter. Von ihrer Tante Blaustern
lernte sie die verschiedensten Kräuter kennen und wie sie zu verwenden
sind. In einem Beutel, den sie stets dabei hatte, waren die verschiedensten
Kräuter.
Mit einem Blick entdeckte sie einige in der Nähe wachsende
Heilkräuter, die sie umgehend pflückte. Dann nahm sie aus ihrer
Erste-Hilfe-Box eine Schere, hockte sich neben den Verletzten und schnitt
vorsichtig die Jacke auf.
Leise stöhnte der Verletzte vor Schmerzen auf, so sprach sie
mit sanften Worten beruhigend auf ihn ein. Mit einem geschickten Griff
entfernte sie den Pfeil und legte einen schmerzstillenden Kräuterverband
auf die Wunde.
Wenn sie keine frischen schmerzstillenden Kräuter fand, nahm
sie eine Dose aus der Box, in die ihre Tante Blaustern eine Kräuterpaste
abgefüllt hatte. Sie selbst zog frische Kräuter vor.
Mit einem kühlenden Tuch tupfte sie ihm die Schweißtropfen
von der Stirn ab. Weil er so zitterte, wickelte sie ihn mit Hilfe eines
ihrer Begleiter in eine Goldfolie, die ihn etwas wärmte.
Inzwischen hatten die anderen beiden Begleiter die Trage zusammengebaut
und hoben den Mann vorsichtig darauf. Mit beruhigenden Worten sprach Tumdah
auf ihn ein.
Entspannt lag Löw mit geschlossenen Augen auf der Trage und
wehrte sich nicht gegen ihre Behandlung. Die junge Frau lief neben ihm
her, führte ihr Pferd am langen Zügel und achtete darauf, dass
es dem Verletzten gut ging. Mit schnellen Schritten durchquerten sie den
Wald und erreichten nach kurzer Zeit die Notaufnahme des kleinen Krankenhauses
am Stadtrand von Sternen.
Ein Zauberer der zweiten Kategorie hatte die Aufgabe stets dafür
zu sorgen, dass ein Verletzter auf dem kürzesten Wege ins Krankenhaus
gebracht wurde. Er überwachte das Ganze durch ein besonderes Fernglas
und benutzte dafür besondere Sprüche.
Das Krankenhaus in Sternen hatte den besten Ruf und war auf dem
neuesten Stand der Technik. Ansonsten gab es noch kleine Krankenstationen
in den verschiedensten Orten. Auch in Mondstaub gab es mal ein Krankenhaus,
das wegen Baufälligkeit geschlossen wurde. Ein neues wurde nicht gebaut,
denn man war sehr schnell in Sternen und da stand ein großes modernes
Haus.
An diesem Krankenhaus war eine Schule für Krankenpfleger und
Krankenschwestern sowie für Hebammen angeschlossen. Die hier ausgebildeten
Kräfte konnten weitere Kurse besuchen, um im Landgebiet tätig
zu werden.
Einige bildeten sich zu Dorfhelfern weiter. Eine Zusammenarbeit
mit den Elfenmedizinern und der Erfahrungsaustausch machte das Sterner
Krankenhaus zu einem Treffpunkt. Dazu kamen zur Behandlung von Kranken
noch die modernsten Geräte, die es auf dem Markt gab.
Tumdah erklärte dem Chefarzt, was sie bis jetzt gemacht hatte,
der nickte verstehend und übernahm die weitere Behandlung. Die junge
Fürstin verabschiedete sich und verschwand.
Bei der Untersuchung krümmte sich Löw erneut vor Schmerzen
und der behandelnde Arzt reagierte sofort. Schnell wurde ein Operationsteam
zusammengestellt und Löw kam unters Messer.
Bei der Operation stellte der Chefarzt fest, dass die Einlieferung
gerade rechtzeitig war, um den stark entzündeten Blinddarm zu entfernen.
Im Krankenhaus war Löw bereits bekannt, da er in den letzten
Jahren mehrmals hier eingeliefert wurde. Mal war es ein Beinbruch, das
andere Mal eine kleine Schnittwunde am Auge, die genäht werden musste.
Löw lag in seinem Bett und schlief. Hin und wieder stöhnte
er, sofort reagierte die Krankenschwester und gab ihm eine schmerzstillende
Spritze. Dann setzte sie sich wieder neben sein Bett und passte auf.
Der Chefarzt saß in seinem Büro und ließ sich von
seiner Sekretärin mit Schloss Mondstaub verbinden.
»Hier ist das Krankenhaus Stern, Chefarzt Blume«, fing
der Arzt, ein Auelf, an, als er Leu erreichte.
»Hallo Doktor Blume, was liegt an? Ich habe nicht viel Zeit,
wir sind nämlich auf der Suche nach Löw, der ist seit gestern
Abend verschwunden«, sagte Leu.
An der Stimme konnte der Anrufer erkennen, wie Leu in Sorge und
in Eile war.
»Sie brauchen ihn nicht länger zu suchen, er ist vor
wenigen Stunden bei uns eingeliefert worden«, beruhigte der Arzt
mit einem Lächeln in der Stimme. »Und er wurde von einem frechen
Blinddarm befreit, der sich entzündet hatte. Sie können ihn morgen
Mittag besuchen.«
»Gut. Dann sage ich Löws Tanten Bescheid und komme noch
heute Abend, um zu sehen, was mit meinem Schützling los ist«,
sagte Leu erleichtert und beendete das Gespräch.
Kurz darauf stand Leu vor Ideh und Nele und beruhigte sie: »Löw
ist gefunden und liegt im Sterner Krankenhaus.«
»Oh, hoffentlich ist er nicht zu schwer verletzt«, meinte
Ideh, und Nele stimmte ihr zu.
»Das weiß ich nicht, der Arzt sagte etwas von einem
entzündeten Blinddarm, der entfernt werden musste. Weiteres hat er
mir am Telefon nicht sagen können. Daher breche ich gleich auf und
erkundige mich, obwohl der Arzt sagte, es ginge ihm gut und ich könnte
morgen kommen«, sprach Leu in einem besorgten Ton und klingelte nach
Löws Kammerdiener.
»Schön, dass Sie kommen. Löw liegt im Sterner Krankenhaus.
Packen Sie bitte eine kleine Reisetasche, mit Nachthemd und so weiter,
was man so halt im Krankhaus benötigt«, ordnete Leu an.
Er brauchte nicht lange warten und alles war für seine Abreise
vorbereitet.
Als Leu am späten Abend im Krankenhaus auftauchte, hatte er
Löws Reisetasche dabei. Hier ließ er sich vom Chefarzt alles
erklären und durfte nach seinem schlafenden Schützling sehen.
Die Reisetasche übergab er der Krankenschwester, die sie auspackte
und in den Kleiderschrank einräumte.
Die Krankenschwester fand Leu sehr attraktiv und stattlich. Leus
braunen Augen blickten sehr zärtlich auf den Kranken hinab, er liebte
Löw wie ein eigenes Kind, strich ihm liebevoll übers dunkelblonde
Haar und verschwand.
Zwei Tage später war Löw ansprechbar und hätte seinen
Geschäften nachgehen können, was er ablehnte.
»Ich kümmere mich um die Amtsgeschäfte«, teilte
Löw Leu mit, »wenn ich wieder aus dem Krankenhaus zurück
bin.«
Er bedauerte, dass seine Retterin nicht an sein Bett kam und sich
vorstellte. Am dritten Tag nach der Operation durfte er aufstehen und umhergehen.
Zufällig sah er aus dem Fenster und sah Tumdah. Seine Hand
lag auf der operierten Stelle und das Lachen tat ihm noch weh, als die
Krankenschwester, die neben ihm stand, etwas Lustiges erzählte.
Tumdah drehte sich um und lächelte freundlich die an den Fenstern
stehenden Patienten an, winkte und verschwand in einer bereitstehenden
Silbertransportkugel.
Mit dem Finger am Kinn überlegte Löw, wer die junge Frau
sei, die so freundlich winkte und wie die umweltfreundliche Transportkugel
funktionierte, die er auch gerne in seinem Besitz hätte.
Eine Stunde später saß Tumdah an ihrem Schreibtisch und
bearbeitete die Gesetzesentwürfe. Gelegentlich kaute sie an dem Federstiel
und dachte an den Fremden, dem es wieder gut ging, wie sie sich täglich
berichten ließ. Gern hätte sie gewusst, wer er ist. Sie seufzte
und wandte sich wieder den Akten zu, die vor ihr auf dem Schreibtisch lagen.
Bei der einen oder anderen Vorlage war sie einverstanden und unterschrieb.
Bei anderen nicht, die wurden mit Rotstift rigoros durchgestrichen, und
wieder andere Vorlagen wurden mit Notizen versehen und mussten zur Überarbeitung
zurück an das zuständige Ministerium. Für sie war es nicht
leicht, die Nachfolgerin ihres Vater zu sein.
Mit Disziplin und mit Unterstützung von ihrer Mutter schaffte
sie es, das große Land zu regieren und zu führen. Sie war von
ihrem Vater diesbezüglich gut geschult worden.
Als ihr Bruder geboren wurde, legte Thoren schriftlich fest, dass
seine älteste Tochter die nächste Regentin nach ihm sein sollte.
Die Mitglieder der Regierung waren damit einverstanden, denn es
stellte sich heraus, dass Tumdah eine natürliche Begabung hatte, Menschen
zu führen und anzuleiten. Thoren war der Auffassung, dass auch Frauen
ein guter Regent sein können.
An einer Wand des Arbeitszimmers hing eine Landkarte, die Tumdah
gerne ansah. So wusste sie, dass das Fürstentum Sternen im Süden
am Meer lag und der Hauptort einen breiten Sandstrand besaß.
Im Nordosten lag ein großer Gebirgszug, wo sich das zur Zeit
verwaiste Drachenland befand, wie Tumdah gerade an nahm.
Ihr war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt, dass ein Drachenpaar
in die Drachenburg einzog und es sich nun gemütlich machte.
Nördlich, vom Westen bis zum Osten, zog sich der Elfenwald
mit einem großen Moor. Dieses war sehr gut geeignet für Moordrachen,
die sich einige Zeit später hier ansiedelten.
Im Westen von Sternen lag das Herzogtum Mondstaub. Davon im Nordwesten
die kleine Grafschaft Stolzen. Sternen, Mondstaub und auch Stolzen lagen
jeweils am Meer. Vor der Küste von Sternen und Mondstaub lagen kleine
Inseln, die hin und wieder besucht werden.
Der Hafen von Sternen war gut ausgebaut, so dass auch große
Schiffe anlegen konnten. Die Mondstauber hatten sich mit den Sternern zusammengetan
und betrieben gemeinsam die Hafenanlagen. Der Warenaustausch mit anderen
Ländern funktionierte reibungslos.
Vor vielen Generationen wurde durch Erbaufteilung Sternen von Mondstaub
getrennt und Stolzen war entstanden.
Durch einen über dreißig Jahre dauernden, sehr blutigen
Bürgerkrieg verschwanden die Drachen, da auch sie in diesen Krieg
hineingezogen worden waren und einige von ihnen getötet wurden.
Bevor sie verschwanden, murmelte der Drachenkönig eine Vorhersage:
»Wenn nachweislich überall Frieden an der Tagesordnung ist,
kommen wir wieder.«
Es dauerte einige Jahrzehnte, bis Tumdahs Großvater anfing,
mit seinem Nachbarn, Löws Großvater, gute nachbarschaftliche
Beziehungen aufzubauen und zu halten.
Eine gemeinsame Währung half, die Wirtschaft anzukurbeln und
so fand ein reger Austausch von Waren und Lebensmitteln statt.
Die Baubranche boomte und die zerstörten Häuser wurden
aufgebaut und einige der Ruinen weggeräumt. An deren Stelle gab es
Grünflächen und Parkanlagen. Dadurch wurden die Orte luftiger
und grüner. Hier hatte Thorens verstorbene Mutter ihre Hände
im Spiel.
Davon profitierten auch die Stolzener. Der damalige Graf Fred von
Stolzenburg hatte diesen Währungsvertrag mit unterschrieben. Durch
diesen Vertrag gab es genügend Arbeit und Arbeitsplätze.
Thoren von Sternen schloss mit Herzog Liu von Mondstaub, Löws
Vater, einen Vertrag ab, der besagte, beide Reiche haben die gleichen Rechte
und Pflichten. Schon hier wurde der Grundstein gelegt, dass beide Reiche
wieder zusammenkommen konnten und zu einem Reich wurden.
Vereinbart wurde auch, dass die Hafenanlagen gemeinsam genutzt und
gepflegt werden sollte. Was auch gern getan wurde, so wurde regelmäßig
durch die Hafenarbeiter das Hafenbecken und die Fahrrinnen ausgebaggert.
Aus dem Menschenreich (der Parallelwelt zu Edrena) waren zwei Baggerschiffe
eingeführt worden, die auf dem neuesten Stand der Technik waren. Der
ausgebaggerte Sand und Schlick wurde als Vorspülungen an anderer Stelle
ausgebracht.
Das gemeinsam betriebene Seezeichenschiff, das ebenfalls aus dem
Menschenreich geholt wurde, war bei Wind und Wetter unterwegs, um defekte
Seezeichen auszutauschen und neue zu setzten.
Die Hafenanlage wurde täglich von einer Gruppe Senioren gereinigt,
alles im Ruhestand befindliche Hafenmitarbeiter oder Seeleute.
Wehe, wenn ein Gast ein Stück Papier auf den Boden fallen ließ
und es nicht sofort aufhob und in die bereitstehenden Papierkörbe
warf, wurden fünfzig Dracegulden Strafe fällig.
In regelmäßigen Abständen hatte das Hafenamt Warn-
und Hinweisschilder anbringen lassen.
Die Kaianlagen waren tipptopp, darauf achteten die Anwohner argwöhnisch.
Das galt nicht nur für den ganzen Hafenbereich, sondern in allen Landesteilen.
Der Müll wurde getrennt, da machten die Kinder gerne mit und
bastelten nicht nur in der Schule aus wiederverwertbaren Dingen Kunstobjekte,
sondern auch daheim. Auch die ortsansässigen Künstler zauberten
daraus nicht nur schöne, sondern auch hässliche Kunstobjekte.
Aus alt wurde neu und die Betriebe hatten viel zu tun. Kleider,
die nicht mehr zu gebrauchen waren, wurde ebenfalls eingesammelt und aus
diesen Lumpen wurde Papier hergestellt.
Auch die Häute der gefangenen Fische wurden weiterverarbeitet.
Eine der Fischerfrauen fand heraus, wie daraus Leder gemacht werden konnte.
Durch die besondere Herstellung verarbeiteten die Schneiderinnen aus dem
Atelier Schollentracht dieses besondere Leder zu Taschen, Gürtel oder
auch Damenhüte. Es gab auch Kleider aus diesem Material, diese Kleider
kaufte nicht jeder, sondern nur Frauen, die meinten etwas besonderes zu
sein.
Der Fürstin Atina und ihren Töchtern wurden solche Dinge
nicht vorgeführt, was diesen nicht gefiel. In den letzten Jahren wurden
sie nicht einmal zu einer Modenschau eingeladen, das kränkte Atina
enorm. Als ihr Thoren noch lebte, war es ganz anders, da rissen sich die
Modeateliers um ihre Anwesendheit.
Etwas abseits vom Haupthafen lag der Yachthafen. Hier dümpelten
die verschiedensten Yachten und Boote, die von weither kamen, um hier in
den Gewässern zu segeln. In einem anderen Teil des Hafens, in einem
geschützten Bereich, lagen die Yachten und Boote der Herrscher von
Sternen und Mondstaub.
Gern saß Tumdahs jüngste Schwester Ale auf der Kaimauer
und malte. Viele der Bilder, die sie malte, hingen nun im Rathaus an den
Flurwänden und einige Kaufinteressenten gab es auch schon. Die bescheidene
Ale freute sich über das rege Interesse an ihren Bildern und dass
ihre Spardose gut gefüllt wurde.
Die Stolzener hatten ihren eigenen Hafen, da es zu weit zum Sterner
Hafen war. Für sich hatte Nala einen extra Hafen anlegen lassen, in
dem seine verschiedensten Boote lagen. Von außen war er nicht einsehbar,
da er in einer kleinen Bucht lag. Er liebte schnelle Boote und gab hierfür
Unmengen von Dracegulden aus.
Löw saß am Fenster seines Krankenhauszimmers und blickte
auf den Hafen. Das Krankenzimmer, in dem er lag, hatte Eckfenster. Diese
standen weit auf und er konnte die Vögel singen hören.
Hin und wieder wehte der Wind eine Briese Meerluft zum Krankenhaus
hinüber.
Von einem Fenster sah er in den Park und vom anderen konnte er das
Treiben des Hafens sowie den Eingang zum Krankenhaus beobachten.
Es machte ihm mehr Spaß, mit seinem Fernglas in Richtung Hafen
zu blicken, als seine Akten zu bearbeiten.
Da kam die Krankenschwester herein, um den Verband zu wechseln.
»Wie geht es Ihnen heute Morgen, Hoheit?«, fragte sie
Löw.
»Die Schulter schmerzt noch etwas und der Verband am Bauch
nervt. Ich überlege die ganze Zeit, wer die junge Frau ist, die vor
kurzem in die silberne Transportkugel stieg.«
Die Krankenschwester gab lächelnd zur Antwort: »Es ist
unsere geliebte Fürstin Tumdah, die uns regelmäßig besucht.
Als vor knapp zwei Jahren ihr Vater unerwartet starb, man munkelt er sei
ermordet worden, nahm sie die Geschicke des Landes in ihre zarten Hände.
Einer ihrer engsten Berater ist ihre Mutter, die nach einer Trauerzeit
von einem Jahr endlich wieder am Leben teilnimmt.«
»Hört Fürstin Tumdah auf ihre Mutter?«
»Ja, sie ist vom Vater gut geschult worden. Ihre jüngere
Schwester Annug meinte oft, sie solle jüngere Berater nehmen. Aber
Tumdah lehnt dies stets ab. Aus Erfahrung weiß sie, dass ihre Berater
ihr nie falschen Rat geben werden und mit ihr über Probleme reden.
Auch kann sie sich auf ihr Beraterteam verlassen, so wie es ihr Vater auch
tat. Unter anderem ist die Elfenkönigin Blaustern ihre Tante.«
Löw saß auf der Bettkante, nickte und zuckte zusammen,
als die Krankenschwester das Pflaster an der Schulter abzog und die Fäden
zog. Der Chefarzt kam herein, begutachtete die Narbe und die Krankenschwester
konnte ein frisches Pflaster auf die heilende Wunde kleben. Dann kam der
Bauch dran. Wie der Arzt feststellte, konnten die Fäden ebenfalls
gezogen werden, was er auch umgehend machte. Dann wurde leichter Druckverband
darauf gelegt.
»Ich bin sehr zufrieden«, sagte der Arzt nach der Begutachtung
der gut verheilenden Wunden. »Noch drei Tage hier bei uns im Krankenhaus,
dann können wir Sie nach Hause entlassen.«
Der Arzt und Löw plauderten noch etwas übers Segeln und
der Arzt verabschiedete sich, weil er noch zu anderen Patienten musste.
Löw legte sich zurück, drehte sich auf seine rechte Seite und
träumte von Tumdah.
Es klopfte, die Krankenzimmertür wurde leise geöffnet
und Leu betrat das Zimmer. Kaum hörbar trat er an das Krankenbett
und sah seinen Schützling liebevoll an.
»Hallo Löw«, sagte Leu leise und legte seine Hand
auf die Schulter. »Wann darfst du nach Hause?«
Sich umdrehend und Leu verträumt ansehend, sprach er: »In
drei Tagen darf ich nach Haus.«
Dann drehte er sich wieder um, sah hinaus und träumte weiter
von sich und Tumdah. In seinem Traum hatte er mit ihr eine große
Kinderschar und tollte mit den Kindern. In seinem Traum kamen auch Drachenbabys
vor, die sich vertrauensvoll an ihn schmiegten.
Leu verabschiedete sich still und stand drei Tage später mit
Löws Kammerdiener wieder im Krankenzimmer.
Der ganze Haushalt von Mondstaub stand Kopf und wartete sehnsüchtig
auf ihren Löw. Die meisten von ihnen standen bereits seit vielen Jahren
im Dienste der Herzöge von Mondstaub. Generationen der Familien des
Personals dienten und dienen Löw und seiner Familie.
Im Krankenhauszimmer: Mit gespielten Gestöhne, wurde Löw
von seinem Kammerdiener in seine Kleider gesteckt.
»Löw, so geht es nicht«, murmelte der Kammerdiener
mit gerunzelter Stirn, weil Löw seinen linken Arm nicht in die Jacke
stecken wollte.
»Mir tut die Schulter weh«, jammerte Löw, dabei
lachten seine Augen.
Leu stand am Fenster, die Arme vor der Brust verschränkt und
sah väterlich auf seinen Schützling. Amüsiert beobachtete
er Löw, wie er sich beim Ankleiden helfen ließ.
Eine halbe Stunde später verließ Löw das Krankenhaus.
Er drehte sich in Richtung Schloss Sternen und entdeckte einen wunderschönen
Regenbogen am Himmel.
Die Sonne schien und das Thermometer zeigte um die fünfundzwanzig
Grad. Der vom Meer herkommende Wind machte die Luft annehmbar und frisch.
Hin und wieder zogen einige Wolken am Himmel, die aber keinen Regen mit
sich brachten.
Weil kein Regen vorhergesagt worden war, nahm Leu eine offene Kutsche
und fuhr damit nach Sternen zum Krankenhaus.
Löw liebte es, in einer offenen Kutsche zu fahren. Der Kammerdiener
verstaute die Reisetasche und half ihm beim Einsteigen. Kaum saßen
Löw und seine beiden Begleiter, knallte der Kutscher mit der Peitsche.
Munter trabten nun die Pferde die Auffahrt hinunter, bogen in die Hauptstraße
und dann in Richtung Mondstaub.
Sich zurücklehnend träumte Löw und Leu ließ
ihn träumen. Neben dem Kutscher saß der Kammerdiener und der
blickte hin und wieder zurück zu seinem Herrn, um zu sehen, wie es
diesem ging. Ein erleichtertes Lächeln glitt über sein Gesicht,
als er sah, dass es ihm gut ging.
Hin und wieder schnaubten die beiden Rappen freudig. Nach gut drei
Stunden Fahrt kam das Schloss Mondstaub in Sichtweite.
Vor dem Schloss Mondstaub liefen Löws Zwillingstanten Ideh
und Nele wie aufgescheuchte Hühner hin und her. Die Zwillinge hatten
das verwaiste Kind in ihre Obhut genommen und zu einem warmherzigen Menschen
herangezogen. Für die Rückkehr des jungen Herzogs war alles vorbereitet.
»Endlich kommt unserer Kind nach Hause«, sagte Ideh
erleichtert.
»Ja«, bestätige ihre Schwester Nele und zupfte
an ihrem Taschentuch.
»Unser leider zu früh verstorbener Bruder und unsere
geliebte Schwägerin haben ihr Kind in unsere Obhut gegeben, damit
wir ihn großziehen«, fing Ideh an zu sinnieren, bevor sie weiter
sprechen konnte, öffnete sich das Tor und sie konnten die offene Kutsche
über die mit Kastanienbäumen flankierte Allee heranrollen sehen.
Nele nickte zustimmend und freute sich, dass ihr geliebter Junge
nach Hause kommt.
Kaum hielt die Kutsche vor der Freitreppe, da eilten einige Lakaien
heran und halfen ihrem geliebten Herzog beim Aussteigen.
Am nächsten Abend gab Löw eine kleine Genesungsparty.
Der gut aussehende Herzog wurde wieder von schönen Frauen umschwärmt.
Er war enttäuscht, dass Tumdah nicht erschien. Die weder Zeit und
noch Lust hatte, auf eine Langweilparty zu gehen. Als der Abend zu ende
ging, war der Gastgeber erleichtert, da er sich nun zurückziehen konnte.
Es war anstrengender, als er es sich gedacht hatte. Kaum lag sein Haupt
auf dem Kopfkissen, schlief er ein.
Täglich ließ sich Tumdah berichten, wie es dem jungen
Mann ging, den sie am Bärenfels gefunden hatte. Sie wusste immer noch
nicht, wen sie da gerettet hatte. Ihr wurde nur mitgeteilt, dass es sich
um einen Mondstauber handle.
Während Tumdah eine Verordnung für den Schulunterricht
durchlas und korrigierte, weil einige Sätze missverständlich
geschrieben worden waren, kam die Chef-Fee Juna herein, die sich gerne
um die Bibliothek kümmerte.
Juna las gerne und mochte alte Bücher, deshalb kümmerte
sie sich gern um das Archiv und die Bibliothek der Familie Sternen. Sie
hatte vor vielen Jahren sich beim verstorbenen Fürsten als Archivarin
beworben und wurde eingestellt.
Der zu diesem Zeitpunkt tätige Archivar arbeitete schlampig
und wurde nach Junas Einarbeitung in den Ruhestand geschickt. Sie war sehr
fleißig und brachte die Bibliothek in kürzester Zeit auf den
neuesten Stand. Es tauchten Bücher auf, die noch in Kisten verpackt
waren.
»Hallo Tumdah«, sagte Juna.
»Guten Morgen, liebe Juna, was liegt an?«, fragte Tumdah
den Kopf hebend, mit einem Lächeln um den Mund.
»Ich habe ein sehr altes Buch gefunden«, antwortete
sie und legte es vor Tumdah auf den Schreibtisch.
Juna lächelte und schlug das Buch auf, tippte mit ihrer graziellen
Hand auf einen Text.
»Lies, Kind, lies«, sagte sie und setzte sich in einen
bequemen Sessel.
Tumdah las und las.
»Interessant«, murmelte sie und klappte das Buch zu.
»Ich bin also auserwählt, zwei Reiche zusammen zu führen
und einem Mann zu zeigen, dass es Frauen gibt, die nicht dumm sind«,
stellte sie kurz darauf fest.
»Gut zusammengefasst. Fang dir Löw ein, denn er ist ein
liebenswürdiger Mensch, der durch falsche Frauen verdorben wurde.«
»Wer ist Löw?«, Tumdah lehnte sich in ihrem Sessel
zurück und sah ihre Chefbuchfee lächelnd an.
»Das ist der Herzog von Mondstaub und der Mann, den du gerettet
hast.«
»Aha. Und wie stelle ich das an?«
Die Chef-Fee kicherte und sagte: »Bleib so wie du bist, ganz
natürlich. Etwas zurückhaltend, aber freundlich. Er muss sich
um dich bemühen und sich nicht abschrecken lassen, weil du dich ihm
gegenüber reserviert verhältst. Das sollte ihn reizen, sich um
dich zu bemühen.«
Tumdah nickte und fuhr fort: »Was weißt du noch über
ihn? Was liest er? Welche Musik mag er?«
»Gemach, meine Liebe, gemach. Soviel ich von meiner Kusine,
der Mondstauber Chefarchivarin Edel, erfuhr, hat er ähnliche Bücher
in der Bibliothek wie wir. Seine beiden Tanten, sehr liebenswürdige
Personen, sind ebenfalls belesen und tauschen oft mit uns die Bücher.
Löw hört gern gute Musik, besucht das Theater regelmäßig
und geht in die Oper, wo manchmal Ballettstücke aufgeführt werden.«
»So ist es also mit den Büchern. Ich habe mich schon
gewundert, besonders bei den letzten beiden Büchern, als ich auf der
ersten Seite einen Stempel von Mondstaub sah.« Tumdah nahm einen
Schluck Wasser und sagte: »Er mag also, wie ich auch, Theater, gute
Musik und Opern?«
»Richtig. Segeln und Reiten sind seine sportlichen Aktivitäten.
Beim Segeln hat er einige Pokale ersegelt.«
»Was ist mit Reiten?«
»Nur ein Hobby, ein Freizeitreiter, der aus Spaß an
der Freud reitet und er mag Pferde.«
Zur gleichen Zeit hatte Löw ebenfalls Besuch von seiner Chefarchivarin
Edel.
»Guten Morgen, Edel, was gibt es neues?«
»Guten Morgen, Löw, neue Bücher. Die Liste liegt
auf deinem Schreibtisch.«
»Hab sie gesehen und meinen Lesewunsch notiert.«
»Was ist los, Löw? Du siehst so nachdenklich aus?«,
fragte Edel ihn besorgt.
»Es geht um Fürstin Tumdah. Ich habe erfahren, dass sie
mir das Leben gerettet hat und mich nicht am Krankenbett besuchte«,
sagte er und der letzte Teil des Satzes klang traurig.
Edel lachte leise, es hörte sich wie ein Glasglockenspiel an.
»Sie weiß, was sich gehört. Sie ist eine Elfe, besser
gesagt eine Halbelfe.«
»Eine Halbelfe?«, fragte Löw verdutzt und seine
blauen Augen wurden größer.
»Ja, durch ihren Vater, der eine Frau aus dem Menschenreich
heiratete.«
»So?«
»Ja, so! Atina war achtzehn, als sie ihre Eltern verlor. Thoren
lebte zu dieser Zeit zwecks Studium im selben Ort, wie auch Atina, die
vorher Anita hieß. Thorens Vater erlaubte ihm, nein, er drängte
darauf, dass der Sohn zum Studieren in die Menschenwelt reist. Beide verliebten
sich ineinander und heirateten. Sie zog umgehend mit ihrem Mann hierher
und wurde mit einundzwanzig zum ersten Mal Mutter.
So wie mir bekannt ist, hat Atina es niemals bereut, hierher zu
ziehen. Ich fragte sie mal danach und sie bestätigte es. Tumdah liebt
ihre Mutter und ihre jüngeren Geschwister. Sie war sehr traurig, als
man ihren Vater tot auf fand.«
»Ermordet?«
»Ja. Der Täter ist noch auf freiem Fuß.«
Löw wurde nachdenklich. »Liegt es eventuell daran, weil
es keine konkreten Vereinbarungen zwischen beider Polizeidirektionen gibt?«,
fragte er neugierig.
Edel nickte zustimmend und antwortete: »Ja, so ist es. Da
solltest du was in Gang setzen.«
Da klopfte es und Leu kam herein. Eine Stunde später saß
der Rat zusammen und besprachen einen Vertrag wegen länderübergreifender
Polizeiarbeit und ein zentrales Polizei-Staatsanwalts-Gebäude und
wo es gebaut werden sollte. Dessen Pläne lagen einige Wochen später
als Entwurf vor.
Tumdah wie auch Löw genehmigten die Pläne und wiesen die
Finanzminister an, hier Gelder freizugeben.
Zur Grundsteinlegung Monate später kamen alle wichtigen Persönlichkeiten
aus Sternen und Mondstaub. Die Pläne mussten kurz geändert werden,
da auch für Drachen Räume geschaffen werden mussten.
© Luise
Drachenanwältin
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