Tenet landete auf der Krone einer mächtigen Eiche und spähte
über die Berge.
Er sah sich das umliegende Gebirge genau an und sah, dass rötlicher
Rauch aus einem besonders großen Berg kam, der weit entfernt war
und eine unheimliche Aura ausstrahlte. Es war der einzige Vulkan im Donnerstein-Gebirge,
der Drachenberg, und auf ihm lebte der Herr der Berge, Xaugon, der Feuerdrache.
Plötzlich sah Tenet, wie sich ein kleiner, roter Punkt auf
dem Berg erhob, ein bisschen herumschwirrte und wieder landete.
Tenet flatterte wieder nach unten und landete vor seinen drei Freunden.
"Ich habe den Drachenberg gesehen, und ich glaube, auch Xaugon,
was bedeutet, er ist dort", sagte der Greif.
"Ist auch nicht so schlimm...", meinte Reno, "der Drache mag doch
die Elben, und hier haben wir zwei waschechte Elben, ähm, Halbelben."
"Naja, hoffen wir, er... Moment, da fällt mir etwas ein! Geothande
und Tarantos müssten uns schon fast eingeholt haben!" sagte Lynn
"Argh! Du hast Recht, Lynn! Schnell, wir dürfen keine Zeit
verlieren!" rief Reno erschrocken und umklammerte den glänzenden Griff
seines Arkhora.
Sie wanderten weiter über die steilen Pfade der Berge, immerzu
mit dem Gedanken an Golems und Drachen und Dämonen.
"Rubox, geh am besten vor", zischte Geothande seinen General an.
"Aber Meister, ich bin sehr langsam im Marschieren...", antwortete
Rubox.
"Dann nimm dies, du Trottel", sagte der Dämon. Mit diesen Worten
überreichte er Rubox eine schimmernde Kugel, die in allen möglichen
Sorten von blau, grün und rot funkelte wie Regenbogennebel. "Dies
ist die Nebelsphäre, das Juwel, das dir unglaubliche Geschwindigkeit
und Kraft verleiht. Damit kommst du beinahe an die Kräfte meinerseits
heran, doch werde nicht frech, Rubox", meinte Geothande.
"Ich werde sie gut benutzen, Lord Tarantos. Bald werden diese Würmer
nicht mehr existieren", sagte Rubox, und die Nebelsphere spiegelte sich
in seinen Augen und ließ sie bösartig aufblitzen und bunt leuchten.
Er nahm sie in die Hand und fühlte ihre Macht.
"Und töte sie nicht, sondern bringe sie her, Rubox...", zischte
Tarantos aus dem Hintergrund. "Ich will Reno und seine Freunde alleine
vernichten, und die Rache soll mein sein."
"Jawohl, Lord Tarantos", meinte Rubox und begann, irrsinnig schnell
zu laufen.
Er rannte über den langen Pfad, bis Tarantos und Geothande
ihn
nicht mehr sehen konnten.
"Ich rate dir, Rubox", sagte Geothande laut und böse, "mach
deine Arbeit gut, sonst wirst du die Konsequenzen tragen müssen."
Zwei weitere Tage verstrichen, und die Vier wanderten weiter und
weiter, doch sie schienen niemals irgendwo anzukommen. Auch die Vorräte
gingen langsam zur Neige, denn sie hatten vergessen, sich bei den Greifen
Proviant mitzunehmen. Was die Helden nicht wussten, war... Das verrate
ich euch leider nicht.
"Das hier ist der Drachenpass", meinte Thares und blickte den Torbogen
aus groben Granitblöcken an, der aussah wie die Pforte zu einem anderen
Reich. "Hinter diesem Torbogen ist der Drachenberg."
"Hmm. Also, auf in das Gebiet von Xaugon!" rief Reno und lief langsam
auf den Torbogen zu.
Krach!
Ein Felsen löste sich und plumpste knapp vor Reno mit einem
lauten Knallen auf den Boden. Zwei weitere folgten, und jeder hätte
ihn fast erschlagen. Reno zitterte erschrocken und machte schnell ein paar
Schritte zurück.
"Glück gehabt!" meinte Lynn lachend und sah Reno amüsiert
an.
Dieser jedoch blickte sie verärgert an und zitterte immer noch
ein wenig.
Plötzlich knallte Tenet auf den Boden, denn er wurde von hinten
mit einer Faust geschlagen.
Rubox kam zum Vorschein und grinste bedrohlich. Die Nebelsphäre
hatte er mit seiner Brust verschmolzen und sie leuchtete nun golden und
dunkelrot, wie magischer Nebel, der von dunklen Mächten kontrolliert
wird.
"Wer bist du?" fragte Thares den Dämon.
"Ich? Ich bin Rubox, General der Donnerstein-Truppen und Leibdiener
von Lord Geothande!" rief der Golem dem Halbelbenprinz zu und sah ihn mit
einem schwarzen Funkeln in seinen Augen an.
"Geothande ist doch auch ein schwarzer Meister, nicht?" fragte Reno,
"denn Tarantos´ Leibdiener habe ich mit einem Schwertstreich getötet.
Und ich glaube kaum, dass du viel stärker sein wirst als dieser Kabattor."
"Das werden wir ja sehen...", zischte Rubox, und die Nebelsphäre
strahlte wie die Sonne selbst ein rötliches, warmes Licht aus.
Thares und Reno stießen einen Kampfschrei aus, zogen ihre
Schwerter und rannten auf Rubox zu. Sie schlugen mit ihren Zauberschwertern
auf ihn ein, doch er bekam lediglich ein paar kleine Kratzer.
"Au, das tut ja weh", sagte er leise und grinsend, und formte seine
Hände zu zwei scharfen Kurzäxten.
Es entbrannte ein wilder Kampf: Alle Vier schlugen und zauberten
vergeblich auf Rubox ein, denn er blocke ihre Angriffe ab oder wich aus,
und er fügte ihnen mit den Kurzäxten Schnittwunden zu, die wie
Feuer brannten.
"Es hat keinen Sinn!" rief Thares verzweifelt und drehte seinen
Kopf nach oben. Als er den Torbogen aus lockeren Granitblöcken ansah,
hatte er einen Geistesblitz.
Rubox begann, laut und böse zu lachen und feuerte schließlich
eine purpurrot funkelnde Schockwelle ab, die aus seinem Arm kam und Reno,
Lynn und Tenet auf den Boden warf.
Thares ergriff seine Chance und schleuderte sein Runenschwert gegen
den Torbogen, und es geschah, was er sich erhofft hatte: Die Steine lockerten
sich und fielen herunter, genau auf Rubox und begruben ihn unter sich.
"Ja!!" rief Thares froh und fing sein Schwert wieder auf.
Reno und Lynn richteten sich auf und gingen langsam auf den Steinhaufen
zu. Tenet flatterte auch zu Rubox, der unter den Granitblöcken begraben
war.
"Haben wir es geschafft?" fragte Reno zögernd und umklammerte
den rotgolden leuchtenden Griff seines Schwertes.
"Ich glaube, wir haben es...", murmelte Lynn und erstrahlte in heller
Freude über ihren Sieg.
Doch plötzlich schoss eine rot glitzernde Faust aus dem Steinhaufen,
und kurz darauf kam Rubox aus seinem vermeintlichen Grab heraus und keuchte
laut und wütend. "Das... werdet ihr... mir büßen!" sagte
Rubox schwer atmend. Er machte einen gewaltigen Satz aus dem Granit hinaus
und landete genau vor Tenet. "Grraahhhh!!!" brüllte er und traf den
Greifen mit einem schnellen, präzisen Fausthieb ins Gesicht.
Tenet lag mit einem riesigen, blauen Fleck und einigen kleinen Blutspuren
auf dem ganzen Körper, die man auf den blassgrünen Federn besonders
gut sah, auf dem Boden.
"Jetzt geht das schon wieder los!" rief Lynn erschrocken aus und
sah verstört zu Rubox, der sich gerade zu ihr umdrehte.
Thares blickte ihn verächtlich an, und schließlich fiel
sein Blick auf die Nebelsphäre. Sie schimmerte wie ein Stern am Himmel,
so hell wie nie, und es schien, als würden Rubox´ Wunden in
Sekunden verheilen.
"Das Juwel in seiner Brust!" rief er laut aus und stürmte auf
Rubox zu.
"Er hat die Sphäre entdeckt!" dachte sich Rubox und stieß
Thares mit einem kräftigen Schlag zurück.
Der Halbelb landete auf dem Boden und konnte sich nicht wieder aufrichten!
"Reno! Das runde Juwel, das... so wunderschön glitzert... zerstöre....
es...", murmelte er, doch noch so laut, dass Reno es verstehen konnte.
"Achso!" meinte er und rannte auf seinen Widersacher zu. Lynn stand
an der Seite und betrachtete ängstlich den Kampf, dann nahm sie ihren
Stab und holte weit aus.
"Nicht die Nebelsphäre!" schrie Rubox zornig aus und wollte
den herankommenden Helden mit einem Schlag seiner mächtigen Faust
zurückschleudern.
"Hhhayyahhh!!!" rief Lynn wie eine Ninja-Kämpferin und schlug
Rubox mit ihrem Stab auf den Rücken.
Dieser war kurz aus der Fassung geraten, und ehe er sich versah,
hatte er Arkhora in der Brust, und sein kostbares Juwel zersprang in tausend
kleine, blau funkelnde Splitter, die sich in der Luft auflösten und
ein zischendes Geräusch machten. "NNEEEIINNN!" schrie Rubox verzweifelt
und versuchte wegzurennen, doch ohne die Nebelsphäre war er so langsam
wie ein müder Wanderer.
Tenet richtete sich auf und ihm gelüstete nach Rache für
sein schmerzendes Gesicht.
"Sie sind dran, Herr Greif!" meinte Reno und zeigte mit seinem Finger
auf den fliehenden Golem.
"Sehr gerne...", zischte Tenet.
"Quado Zhator Theflemis Tanth Ufghanwe Rerrefer Lutania Ixo Honwex
Qui Nanona Xypalona Sreddor Jhatsche Limpor Khoto Zhubirix Dentasyca...
Ich beschwöre euch, oh Flammen von Arkholoss, die ihr alles verbrennt,
was euch im Wege steht, und die ihr wie Drachenfeuer alles vernichtet,
das ihr wollt... Lasst den Dämon euren Zorn fühlen und die Wut
am Leibe spüren!"
In Tenets Händen formte sich schnell ein weiß glühender
Feuerball von der Größe eines Menschen. Der Greif stieß
einen Schrei aus und schleuderte die Flammenkugel auf Rubox, der sich nun
bereits ungefähr fünfundzwanzig Meter entfernt hatte und hechelnd
und keuchend versuchte zu fliehen, mit großen Splittern eines magischen
Edelsteins in der Brust. Rubox hatte nicht einmal mehr die Zeit, einen
Schrei auszustoßen, denn die Flammen von Arkholoss zersetzten seinen
Körper in heiße, dampfende Splitter und winzige, glühende
Scherben.
Nur Rubox Arm blieb einigermaßen unversehrt und fiel mit einem
dumpfen Knall auf den steinigen Boden.
"Der ist weg von der Bildfläche...", meinte Lynn und begann
laut und freudig zu jubeln.
"Moment", sagte Reno bedächtig, "wenn der zur Donnerstein-Armee
gehört hat, müssten sie uns schon fast eingeholt haben!"
"Du hast recht, Reno!" rief Thares mit einem Zittern in der lauten
Elbenstimme aus. "Da kommt mir eine Idee...", dachte sich Thares. "Wir
müssen und beeilen und auf den Berggipfel gelangen!" rief er und hob
sein Schwert vom Boden auf.
"Gut. Aber warum zum Berggipfel? Sollten wir nicht den Seitenweg
über den Berg nehmen?" fragte Tenet verwundert.
"Ihr werdet schon sehen..."
Sie brachen schnell wieder auf, wie ein Rudel Wölfe, das ein
blutendes Reh gerochen hatte. Sie wanderten stundenlang schnell und ohne
Pause, und Thares ging vorne an der Spitze, denn er kannte den Weg zum
Berggipfel, wo sich sein Plan hoffentlich verwirklichte.
"Aaaahhh!!! Was ist denn das???" fragte Geothande laut und erschrocken,
als er Rubox’ abgesplitterten Arm und die azurblau funkelnden Scherben
der Nebelsphäre auf dem Boden liegen sah. "Das... ist unglaublich...
sie haben... Rubox besiegt und meinen kostbaren Schatz zerstört! Tarantos,
nun werden wir beide Rache an Reno und seinen Freunden nehmen! Sie sind
des Todes, sage ich dir!"
"Gut gesprochen, Geothande. Außerdem haben die Scherben des
Edelsteins noch nicht ihren Glanz verloren, was bedeutet, dass es höchstens
erst vor ein paar Stunden zerbrochen ist, und somit auch Rubox. Achja,
wie arm er ist..." meinte Tarantos lachend und trat neben Geothande. "Jetzt
aber Beeilung!" brüllte er seine Truppen an, die gerade näher
kamen.
"Jawohl, Sir!" bekam er zu Antwort, und sie setzten sich schnell
in Bewegung, ähnlich wie eine Gruppe von Zwergen, die zu einer Diamantenmine
marschierten.
Reno blickte mit großen Augen auf den gigantischen, tiefschwarzen
Höhleneingang, der in Xaugons Hort führte.
Aus ihm stieg heiß glühender Dampf, vermischt mit eiskaltem
Nebel. Aus einem flachen Felsen vor dem Eingang, der wie eine steinerne
Riesenfußmatte aussah, wuchsen messerscharfe Stalagmiten und blitzten
im Licht der herabstechenden Sonne. Es war absolut ruhig, kein großer
Vogel krächzte, kein Wind wehte und heulte über dem Berg, und
nicht einmal ein winzig kleines Insekt krabbelte vor dem Eingang zum Drachenhort
herum.
"Xaugons Hort..." flüsterte Reno, und Nebel floss in seinen
Mund.
"Mh-hm." meinte Thares und nickte.
"Und was sollen wir jetzt tun?" fragte Lynn aufgeregt und ängstlich.
Doch diese Frage erübrigte sich fünf Sekunden später,
als sie plötzlich ein lautes, ersticktes Stöhnen aus der Höhle
heraus hörten und zwei hellgrün schimmernde Kugeln, wahrscheinlich
Drachenaugen, vor ihnen erschienen, und dann ihr Besitzer.
Die Vier standen vor Xaugon, dem Verbrenner.
Er hatte einen scharlachroten Schuppenpanzer und weißgolden
blitzende Zähne. Seine Zunge war mindestens drei Meter lang und schimmerte
in feuchtem Pastellrot. Seine vier Meter hohen, krummen Hörner, die
nach links und recht abstanden, leuchteten weiß mit einem Schuss
himmelblau.
"Was wollt ihr hier?" fragte Xaugon mit donnernder Stimme. "Seid
ihr Dämonen oder Räuber, die hinter meinem Schatz her sind?"
"Nein, nein...", sagte Reno mit einem erschütterten Ton in
der leisen Stimme.
"Ich spüre Elbenauren... Doch ich kann keine Elben sehen...",
murmelte der Drache erregt, was für die Menschen und den Greifen wie
lautes, wütendes Reden klang.
Thares trat vor, packte Lynn am Arm und schliff sie mit sich vor
die Augen des Verbrenners.
"Seit gegrüßt, edler Xaugon, Herr des Feuers. Mein Name
ist Thares Kularen, und ich bin der Prinz von Zest auf dem grünen
Berg, ein Halbelbe aus dem Irrlichtwald", meinte er verlegen.
"Aahhaa. Ein Halbelb. Und dieses Mädchen ist wohl eine Halbelbe,
nicht wahr, Prinz von Zest?" fragte Xaugon und kroch langsam aus seiner
Höhle heraus.
Nun konnte Reno seine Füße sehen, mit langen, spitzen,
goldweißen Zehennägeln.
"Genau...", wisperte Lynn, mit der Stimme eines kleinen, schüchternen
Rehkitz.
"Wer ist euer Anführer?" äußerste sich Xaugon und
sah sich mit seinen blitzenden Augen um.
Thares und Lynn traten zurück, und Tenet zeigte auf Reno, der
den Drachen erstaunt anstarrte.
"Dies...", sagte der Greif, "ist Reno Starduum, Nachfahre von Ky-Balus
Starduum und Besitzer von Arkhora, dem Feuerschwert."
"So, so. Er hatte sich also des Schwertes Arkhora würdig erwiesen.
Das ist für mich äußerst schwer zu glauben. Ich kann es
nicht glauben. Er soll es beweisen!" meinte Xaugon verschlagen.
"Wie meinst du das, oh Xau..."
Reno konnte den Satz nicht einmal mehr aussprechen, denn ihm fielen
die Augen zu, seine Worte blieben ihm im Hals stecken und er fiel schwebend
leicht zu Boden.
"Drache!" rief Tenet Xaugon in einem nun viel unfreundlicherem,
zischenden Ton an. "Was hast du mit ihm gemacht??"
"Keine Sorge. Wenn du die Wahrheit gesagt hast, wird ihm nichts
passieren. Wenn du gelogen hast, grüner Greif, werde ich ein Festmahl,
bestehend aus vier Lügnern, genießen." Der scharlachrote Drache
lachte so laut, dass der ganze Berg zitterte und rumorte.
Alle Drei schluckten erschrocken auf.
"Was meint er wohl damit?" dachte sich das Mädchen, doch zum
Glück nicht laut.
"Xabolom wird sich schon um ihn kümmern...", meinte der Drache.
"Xabolom, der Herr der....?" fragte Thares und unterbrach seinen
Satz, als Reno begann, sich im Schlaf zu drehen und leise unverständliches
Zeug vor sich hin zu murmeln.
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