Krieg der Götter von Roxana
4: Der Traum

Sie waren nicht, wie er geglaubt hatte, zurück in seine Kammer gegangen, sondern in den Innenturm. Dort waren sie endlose Wendeltreppen, die so eng waren, dass sie hintereinander gehen mussten, hinaufgestiegen und immer weiter hinauf. Bis sie schließlich vor einer massiven Eichentür, die gut und gerne 3 Meter hoch sein musste, standen. Mit einem geheimnisvollen Lächeln hatte Simon die Tür auf die schon bekannte Weise geöffnet und war vor Alex in das Zimmer getreten. Als Alex sah, wie groß der Raum war, hatte es ihm sprichwörtlich die Sprache verschlagen, sehr zur Belustigung seiner zwei Begleiter. Sein neues Zimmer war riesig. Es hatte allein drei Fenster, von denen zwar zwei mit irgendwelchen Kommoden oder Schreibtischen verstellt waren, aber das spielte für Alex keine Rolle. An der rechten Wand stand ein Bett, in das sie alle drei gut und gerne hineingepasst hätten und hinter diesem in der Ecke des Zimmers stand ein Zuber, eine Waschschüssel sowie ein kleines Regal, das Handtücher in aller Größe und Form, Waschlappen, reichlich Seife, einen kleinen Spiegel und eine Haarbürste enthielt. Der Mosaikboden des Zimmers war zum größten Teil durch dicke flauschige Felle verdeckt. An der Linken Wand des Raumes standen mehrere bis zur Decke reichende Bücherregale, die mit Hunderten von Papieren, Schriftrollen, Pergamenten und natürlich Büchern vollgestopft waren. Die Einrichtung wurde noch durch einen wuchtigen, sehr alt aussehenden Kleiderschrank komplettiert. 
Minutenlang hatte sich Alex staunend umgesehen bis Simon, der vor Lachen gleich zu platzen schien, sagte: "Hast du geglaubt, eine Zelle, wie die deine, wäre das Größte, was in Calthain Platz finden würde?" Alex hatte es vorgezogen zu schweigen und so hatte Cathleen ihn mit sanfter Gewalt zu dem ovalen Tisch in der Mitte des Raumes geschoben und ihm einen Platz zugewiesen. 
Nachdem Alex den größten Schrecken überwunden hatte, sich nochmals in seinem  neuen Quartier umgesehen hatte und alle sich an den Tisch gesetzt hatten, begannen sie ein Gespräch, an dessen Einzelheiten Alex sich nicht mehr genau erinnern konnte. Sie hatten über dies und das gesprochen und vor allen Dingen hatten ihn Cathleen und Simon über sein zu Hause, seine Familie und seine Welt allgemein ausgehorcht. Manchmal hatten sie so durcheinander gefragt, dass Alex nicht wusste, wem er zuerst antworten sollte. Es schien ihm, als seien die Beiden hungrig auf die gesamte Geschichte der Erde, die sie ja größtenteils verpasst hatten. Aber auch er hatte eine Menge über das Elysium erfahren. Zwar überhörten und ignorierten die beiden jegliche Fragen, die Aquara, die seltsamen Anspielungen Anaxors sowie diesen geheimnisvollen Krieg betrafen, vollkommen, doch auf alle anderen Fragen antworteten sie sehr bereitwillig.
Alex erfuhr, dass Cathleen aus dem 17. Jahrhundert hierher gekommen war und dass sie sich dann freiwillig der Armee unter Anaxors Führung angeschlossen hatte. Ursprünglich kam sie nach ihren Angaben aus Irland, doch ihre Familie wurde wegen eines angeblichen Mordes nach Australien zwangsumgesiedelt. Sie war froh, hier zu sein und auch wenn die Zeiten hier manchmal hart wurden, würde sie niemals das Leben hier gegen ein anderes eintauschen. Bei manchen Aussagen, die das kleine rothaarige sommersprossige Mädchen traf, konnte Alex kaum glauben, dass sie aus dem Munde eines nicht einmal zwölfjährigen Kindes stammen sollten.
Über Simons Vergangenheit erfuhr Alex jedoch fast nichts, denn es schien Simon sehr schwer zu fallen, etwas von seinem Leben vor dem Elysium zu erzählen. Er sprach lediglich von seinem sehr strengen Vater und dem Beschluss, sich im 13. Jahrhundert einem Kreuzzug anzuschließen. Zwischen den Zeilen konnte Alex heraushören, dass Simon wohl in Cornwall auf einem vollkommen verwahrlosten Hof eines kleinen Adligen aufgewachsen war und nie sehr zufrieden oder auch nur in Ansätzen glücklich gewesen war. Als er in das Elysium katapultiert worden war, hatte, nach seiner Aussage, sein Leben erst richtig begonnen. Alex wusste nicht genau, woran es lag, doch mit jedem Wort, das Simon sprach, wurde Alex´ Angst vor Simon weniger und seine Sympathie dem blonden Templer gegenüber stieg immer weiter. 
Zeit schien im Elysium nicht so zu existieren, wie auf der Erde oder in anderen Welten. Es ging jeden Morgen eine Sonne auf und am Abend versank sie wieder hinter dem Horizont, doch es gab weder Monate noch Jahre oder eine andere Zeiteinteilung. Ein Tag war immer genauso lang wie der vorhergehende, denn irgendjemand hatte Tag und Nacht hier künstlich erschaffen, um es den lebenden Wesen einfacher zu machen, im Elysium zu existieren. Die Zeit verging hier nicht, darum konnte kein Lebewesen im Elysium altern, zumindest physisch nicht. Psychisch waren zumindest die Beiden, mit denen Alex den Abend und den Großteil der Nacht verbracht hatte, ganz eindeutig keine Jugendlichen mehr. Cathleen sowie auch Simon sahen die Dinge auf eine Weise, wie es wohl kein lebender Mensch auf der Erde gekonnt hätte. Sie benahmen sich in manchen Angelegenheiten allerdings auch genauso wie es Jugendlichen in ihrem Alter gebührt. Cathleen versuchte den gesamten Abend Simon mit ihren spitzen Bemerkungen aus der Reserve zu locken und Simon versuchte mit seinen sechzehn Jahren, wie ein erwachsenerer und weitaus überlegenerer Krieger jede Art von Spott an sich abblitzen zu lassen und Alex und Cathleen zu zeigen wie "kindisch" sie sich benahmen.  Nach einer Weile hatte er sich jedoch auch nicht mehr voll unter Kontrolle und begann Cathleen seinerseits zu reizen.
Und wie vorher schon einmal versuchte Alex, die Beziehung, in der Cathleen und Simon zueinander standen, zu ergründen, jedoch wieder mit wenig Erfolg. Irgendetwas schien zwischen den Beiden zu stehen, das sie nicht nur zu Verbündeten oder Freunden machte, sondern zu viel mehr. Alex wusste aber mit Sicherheit, dass die Beiden kein Paar waren, denn ihre Beziehung war einfach nicht die Art von Beziehung, die eine Liebe zugelassen hätte, das spürte Alex.
Weit nach Mitternacht waren Cathleen und Simon dann gegangen und Alex war ohne viele Umschweife totmüde in sein herrlich weiches, mit prallen Polstern angefülltes Bett gefallen und war sofort in einen nicht sehr tiefen und schon gar nicht erholsamen Schlaf geglitten. Er hatte sich in einem jener schrecklichen Alpträume wiedergefunden, bei denen einem vollkommen klar ist, dass man träumt, man aber trotzdem nicht im Stande ist zu erwachen oder den Traum zu kontrollieren. Bilder aus seinen Erinnerungen vermischten sich mit Fetzen eines Horrorszenarios, das er nicht richtig erkennen konnte, aber auch nicht glaubte, etwas ähnliches jemals erlebt zu haben.

Er stand auf einer wüsten leeren Ebene. Nichts um ihn herum bewegte sich und nur ein lauer Wind wehte ihm in den Rücken. Es war still, so vollkommen still, dass ihm seine eigenen Herzschläge wie das Dröhnen einer Pauke vorkamen. Die Ebene erstreckte sich so weit er sehen konnte rotbraun von seinen Füßen bis zu Horizont. Als er nach oben sah, um festzustellen, welchen Stand die Sonne erreicht hatte, sah er nichts als eine weißgraue Wolkendecke, die sich über den gesamten Himmel erstreckte. Mit einem Male wurde die dumpfe Stille durch ein Geräusch zerrissen, das so laut war, dass Alex einen erschrockenen Ausruf nicht zurückhalten konnte. Das Geräusch war unheimlich laut und es schwoll sogar zu noch größerer Lautstärke an, sodass Alex die Hände vor die Ohren schlug um nicht zu ertauben. Und plötzlich erkannte er den Laut. Es war das Geräusch von Turbinen, die sich schnell zu nähern schienen. Und dann sah Alex die Flugzeuge. Sie kamen direkt aus seiner Blickrichtung auf ihn zugerast und erzeugten einen unnormalen an- und abschwellenden Krach. Es waren Eurofighter. Das hatte Alex fast sofort erkannt, als die Maschinen in Sichtweite kamen. Und es waren mehr als zwei Dutzend, die in ihrer Kampfformation über seinen Kopf hinwegjagten. Er wandte sich um, um die Flugzeuge weiterhin beobachten zu können und was er dann sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Hinter ihm erhob sich eine riesige Stadt auf einem Hügel. Sie musste früher sehr schön gewesen sein, denn sie schlängelte sich, wie ein vollkommen aus Elfenbein oder Marmor erbautes, weißes Band um den Hügel und genau auf dem höchsten Punkt des Hügels war ein Turm errichtet worden, der Calthain ähnelte, jedoch nicht annähernd so groß und imposant war. Doch nun brannte die Stadt. Und das Feuer der lodernden Flammen ließ den Himmel mit seiner grauen Wolkendecke ebenfalls wie entzündete heiße Lava leuchten. Und nun scholl auch Kampflärm, Angst- und Todesschreie der Soldaten, aber auch der Mütter und Kinder, der gesamten Bevölkerung zu Alex hinüber, der dem grausigen Schauspiel hilflos gegenüberstand. Er sah erneut zum Himmel und konnte beobachten, wie die Kampfformation der Flugzeuge wie auf Kommando auseinander fächerte, um die Stadt anzugreifen. Er war in dem Traum nur ein passiver Beobachter und konnte nichts tun, um die Menschen beziehungsweise die Verteidiger der Stadt vor dem Angriff zu warnen. Dann begannen die Eurofighter die Stadt unter Beschuss zu nehmen...

Schweißgebadet erwachte Alex am nächsten Morgen. Er fühlte sich, als hätte er überhaupt nicht geschlafen. Er war noch genauso müde (wenn nicht sogar noch müder) wie am Vortag.
 

© Roxana
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