Drachenfeuer von Salyan Silberklinge
Kapitel 3: Der Heiler

Warum folgte ich diesem Jungen noch mal? Er lief nach Osten und sagte dort sind Alben. Normalerweise würde ein vernünftiges Wesen, soweit es nicht mächtiger war als die Alben, einen großen Bogen um sie machen und wahrscheinlich nach Westen gehen. Also gab es vier mögliche Erklärungen: 1.) Der Junge war mächtiger als die Alben 2.) Er suchte den Tod 3.) Er log, und 4.) Oder aber er war dämlich.
Ich tippte entweder auf 2 oder 4, so etwa 50:50.
Das erklärte immer noch nicht, warum ich ihm folgte. Ich glaube, ich war auch etwas dämlich oder verrückt, aber ich wollte auch nicht nach Westen, denn schließlich bin ich dort hergekommen. Eine Erklärung wäre, dass ich auch aus Ghaidhad raus wollte, denn für magische Wesen war es hier ja deutlich zu gefährlich. Jeder Depp versuchte hier irgendein Wesen zu fangen, sogar die schwächsten Bauern, nur um des Geldes wegen. Außerdem glaubte ich, dass es überall ruhiger war als in Ghaidhad, wo überall Alben herumliefen*1. Es gibt viele Gründe ein Land zu verlassen, ein wichtiger ist Verfolgung. Also besser gehen als erlegt zu werden.
Aber egal, ich war schon auf dem Weg und es brachte nichts jetzt darüber nachzudenken. Trotzdem könnte der Junge mich immer noch anlügen...
Zurück zum Geschehen: Narian, so sein Name, führte mich nun direkt nach Osten. Er erklärte mir, dass der Wald nördlich direkt an Angarin angrenzte. Schon mal nicht schlecht. Also fragte ich, wie er uns an Grenze bringen wollte, wo dieser Wald doch angeblich von Alben nur so wimmelte.
»Ganz einfach«, sagte er, »wir umgehen die Alben.«
Die Erklärung war zu wenig, fand ich.
»Heißt genau...?« fragte ich.
»Wir gehen hintenrum«, antwortete er.
»Hättest du vielleicht die Freundlichkeit mir das zu erklären!«, fragte ich gereizt.
»Gerne«, sagte er und setzte sich auf den Waldboden.
Wir waren erst ein paar Minuten gelaufen, schätzte ich.
Narian kramte in seinem lädierten Rucksack und holte ein altes Blatt Papier heraus.
Es war eine Karte.
Eine Karte die ganz Ghaidhad zeigte.
Darauf waren alle Städte, Straßen, Dörfer, Flüsse und Wälder aufgezeichnet mit schwarzer Tinte. Die Namen waren in Rot geschrieben. Es war ein richtiges Kunstwerk: Jeder Baum der Wälder war einzeln gezeichnet mit dem dazugehörigen Stamm, zwischen einigen Bäumen waren Hirsche, Vögeln und sogar Einhörner eingezeichnet. In den Flüssen und im Meer waren kleine Wellen zu sehen und in ihnen tummelten sich Fische, große und kleine. Vor den kleinen Fjorden, die die Nordküste des Landes bildeten, sah man Wale und der Kompass war in Form eines Narwales gezeichnet, dessen Horn nach Norden zeigte. Sogar die Häuser der Städte und Dörfer waren einzeln gezeichnet. Die Karte sah aus wie ein kleines Gemälde. 
Im Norden war unser Wald, im Osten stand das Gebirge, im Westen waren der Wald der Alben sowie die westlichen Berge eingezeichnet*2. Etwas weiter östlich lag die größte Stadt: Die Hauptstadt Garen.

Narian hatte aber nur Augen für den Wald, der hier als "Alfing-Wald" verzeichnet war.*3 Durch den Wald zog sich eine Hügelkette, deren höchster Punkt eingezeichnet war mit 1958 Metern. Sie wurden "Die Fjells" genannt. Am Ende dieser Hügelkette, mitten im Wald, war ein Turm eingezeichnet.
»DAS«, erklärte Narian, »ist er Standpunkt der Alben. Von dort aus können sie die gesamte Grenze im Osten überblicken und bewachen. Der einzige Weg nicht von ihnen entdeckt zu werden, ist, sie nördlich zu umgehen.«
»Woher weißt du das noch mal?« fragte ich.
»Von unserem Dorfmagier*4. Er hat mir das mal erklärt als ich ihn nach den Alben fragte.«
»Aha«, bemerkte ich.
Ich prägte mir die Karte gut ein. So wie’s aussah, waren die Alben genau zwischen uns und der Ostgrenze.
»Was meinst du, wie lange werden wir brauchen, wenn alles gut geht?«, fragte ich.
»Hmm...«, sagte er und schaute auf die Karte. »Schwer zu sagen. Hier ist keine Meilenangabe. Aber wenn ich schätzen müsste, würde ich sagen etwa drei bis vier Tage.«

Also begannen wir nach Osten zu gehen.
Die Sonne stand schon tief im Westen und es war verdammt kalt, aber da die Bäume hier etwas lichter waren als direkt bei der Quelle, konnte zumindest ich mit meinen Drachenaugen einen Blick auf die Hügelkette werfen, die sich im Osten wie ein sehr krummer Rücken über den Wald hob.*5
Später war die Sonne fast verschwunden.
Ich konnte noch sehen, aber Narian war hilflos blind. Also rasteten wir.
Ich muss zugeben, dass wie ziemlich schnell vorangekommen sind, denn wir waren jetzt am Rand der Fjells. Der Boden bestand fast nur noch aus furchigem grauem Stein, was Narian nicht gerade gefiel... 
»Dieser dämliche Boden!!!« schimpfte er. »Hätte wir nicht irgendwo anders rasten können? Vielleicht da wo es noch Erde gab???«
»Nein, denn ich will so schnell wie möglich aus Ghaidhad raus«, sagte ich.
Er murmelte noch ein paar Schimpfworte*6 und legte sich dann auf den Boden. Damit er nicht erfror, hatte er im Rucksack eine Decke, die ihn aber wenig vor der nächtlichen Kälte des Septembers schützte. Ich wusste nur nicht, der wievielte heute war, aber September war es ganz sicher.
Ich wollte ja nicht, dass er erfror, also legte ich mich so hin, dass mein Kopf auf den Jungen zeigte. Das half, denn mein heißer Atem wärmte den Jungen noch zusätzlich.

Am nächsten Morgen wachte ich als erster auf. Anscheinend war es kurz nach Sonnenaufgang. Es war immer noch kalt.
Ich weckte Narian so sanft wie ich konnte: Ich schubste ihn einfach, sodass er unter seiner Decke hervorgerollt kam.
»Hättest du mich nicht sanfter wecken können?!« fragte er verschlafen, aber trotzdem wütend.
»Hab ich doch! So sanft, wie ich konnte.«
Tag zwei unserer Reise begann wie der letzte aufgehört hatte: Mit laufen.
Narian sagte, wir müssten aufpassen, denn nun verschwanden die Bäume und wir bestiegen die Fjells. Ich suchte nach einer möglichst tiefen Route durch die Hügel, die uns so gut wie möglich vor unerwünschten Augen schützen sollte.
Die Route führte nach Nordwesten. Im Norden sah man sogar das Meer und im Osten lag das Land Angarin.*7
Wir liefen den ganzen Tag so gut es durch diese Steinhügel mit endlosen Geröllfeldern ging.*8
Es gab keine tiefen Täler, denn wir durchquerten ja nur den südlichsten Teil der Fjells, welcher nicht allzu hoch war. Bäume wuchsen hier nicht. Aber bald kamen wir wieder in den Wald, denn hier, wo wir die Fjells überquerten, waren sie nicht sehr breit.
Aus diesem Grund waren wir ohne Zwischenfälle am Ende des zweiten Tages auf der anderen Seite der Fjells.
»Und wie geht’s morgen weiter?« fragte ich als die Sonne unterging. Wir übernachteten in einer Mulde am Rande des Hügelzugs.
»Ab jetzt nur noch nach Norden, solange bis wir am Meer sind. Und dann nach Osten.«
Eine etwas dürftige Erklärung, aber da ich zu müde war um weiter nachzufragen ließ ich es bleiben.

Und wieder ein neuer Tag. Äußerst kalt und eisig. Wenigstens regnete es in dieser Gegend kaum.
Also ginge es jetzt durch den Wald in Richtung Meer. Nach der Karte und Narians Schätzung ging es vielleicht noch ein paar wenige Stunden bis wir es erreichten und den nächsten Tag bis wir an der Ostgrenze waren. Ohne zu fliegen.
Es war etwa 9 Uhr*9. Narian hatte auch einen Kompass dabei, was zwar nicht nötig war, da wir auch sicherlich ohne bis zum Meer gekommen wären, aber ich fand es lustig, wie sehr Narian anscheinend auf diese Spielereien wie Uhren und Kompasse angewiesen war. Drachen brauchen keinen Kompass, sie haben immer einen dabei. Der Innere Kompass der Drachen und der Orientierungssinn sind genauso zuverlässig, weshalb sich ein Drache niemals verfliegt.*10
Nach einer gesprächslosen Wegstrecke entdeckten wir endlich das Meer. Ich hatte es wohl ebenso noch nie gesehen wie Narian. Wir standen da wie zwei Steinsäulen und starren auf die endlosen Wassermassen. Dann schauten Narian nach unten und hätte fast das Gleichgewicht verloren. Denn nur einen Schritt vor ihm ging es steil bergab. Vor lauter Bewunderung für das Meer hatten wir beide den Abgrund übersehen. Diese Freiheit musste ich einfach ausnutzen!
Also stürzte ich mich kurzerhand hinunter und flog endlich wieder!!!

...*11
Nach einigen Minuten in der Luft landete ich wieder bei Narian, der an einen Baum gelehnt auf mich wartete.
»Das war gefährlich. Die Alben hätten uns entdecken können«, merkte er an.
»Musst du eigentlich alles besser wissen?« wollte ich wissen.
»Ja.«
Also ging es weiter nach Osten am Meer entlang.
Wir sahen Wolken im Osten aufziehen und einige Stunden später regnete es. Wusstet ihr, dass Drachen Regen hassen?
Am Abend sagte Narian dann: »Ab jetzt müssen wir aufpassen. Die Stellungen der Alben sind nicht mehr weit entfernt. Morgen um diese Zeit müssten wir in Angarin sein, wenn nichts dazwischen kommt.«
»Na hoffentlich«, meine ich. »Ich hab den Wald hier langsam satt.«

Der nächste Morgen war nicht sehr aufregend. Die Küste bog nun nach Norden ab und wir behielten unseren Kurs ostwärts bei. Die Fjells lagen nun endgültig hinter uns. Eigentlich neben uns, denn an der Stelle, an der wir sie überquert hatten, spalteten sie sich auf, ein Ausläufer nach Westen, einer, der längere, nach Osten, an dessen Ende die Stellungen der Alben waren.

Am Mittag trafen wir auf einen Streifen offenen Landes, keine 200 Meter breit, aber er reicht vom Meer, welches jetzt schon einige Meilen entfernt war, bis zu den Fjells, die eine Meile rechts von uns lagen.
»Was jetzt?«, wollte ich wissen.
»Kein Plan. Auf der Karte ist so ein langer Streifen offenen Landes nicht eingezeichnet.«
»Na toll.«
»Das ist ein perfekter Platz, uum entdeckt zu werden, findest du nicht?« sagte er.
»Ein zu guter Platz.«
Aber was blieb uns übrig? Auf der anderen Seite des Waldes standen, wie ich erst jetzt bemerkte, nur tote, schwarze Bäume. Sie waren verwachsen und dicht, trugen keine Blätter und standen weit auseinander. Aber gut, wir liefen los.
Und keine drei Schritte später schoss ein Pfeilhagel aus den toten Bäumen.
»Na toll, entdeckt!«, rief ich.
Mir konnten die Pfeile eigentlich nichts tun, denn meine Schuppen waren zu hart, aber Narian war ungeschützt. Also warf ich mich vor ihn und wehrte die Pfeile ab. Sekunden später: die nächsten Pfeile.
»Spring auf!«, sagte ich zu Narian und legte einen Flügel aus, damit er auf meinen Rücken klettern konnte.
»Was hast du vor?«, fragte er.
»Wirst gleich sehen!«
Ich legte mich flach auf den Boden, breitete die Flügel aus und stieß mich von Boden ab.
»Wo soll ich mich denn festhalten?« rief Narian verzweifelt.
Ich hörte gar nicht auf ihn. Ich würde schon dafür sorgen, dass er nicht runter fiel, aber zuerst einmal mussten wir den Schützen zwischen den Bäumen entkommen. Ich flog nach Süden, so schnell ich konnte über die Hügel. Nur einige Augenblicke dauerte es aus dem Schussfeld der Schützen zu gelangen.
»Nicht da lang! Da sind...«, rief er. Leider verstand ich nicht alles was es sagte. Aber ich wusste was er meinte, denn im selben Moment spürte ich einen stechenden Schmerz in beiden Flügeln. Pfeile! Von unten kamen Pfeile. Die Schmerzen wurden schnell größer und ich musste runtergehen, ansonsten wäre ich in Ohnmacht gefallen. Das letzte, was ich tun konnte: Ich drehte nach Osten ab, um ein zweites Mal aus dem Schussfeld zu gelangen.
Dann kamen die Bäume, der Aufprall und schließlich wurde es schwarz...

Keine Ahnung, wie lange ich weg war, aber bestimmt lange genug um einiges zu verpassen. Als ich die Augen aufmachte, bemerkte ich zuerst, dass ich auf Stein lag. Besser gesagt auf schwarzem Marmor. Dann erkannte ich, dass meine Beine, Flügel und meine Schnauze zugebunden waren. Und schließlich, dass wir - Narian lag ebenfalls gefesselt neben mir und war anscheinend bewusstlos - uns in einer quadratischen, aus schwarzem Holz bestehenden Halle befanden. Ich drehte meinen Hals und schaute mich um. Die Halle war schlicht gehalten. Außer dem Marmorboden und den Holzwänden, die eine - Überraschung! - ebenfalls schwarze Decke aus Holz stützten, gab es nur ein kleines Holztor, welches nicht schwarz war sondern braun und einen erhöhten Holzsitz auf der gegenüberliegenden Seite, auf dem ein Alb saß.
»Wie schön, dass du endlich wach bist, Drache«, sagte er und erhob sich.
Eigentlich wollte ich zu einer schlagkräftigen Antwort ausholen, aber leider war mein Mundwerk zugeschnürt.
»Da du ja gerade still bist, hörst du mir am besten zu: Wie du sicherlich weißt, gibt es in ganz Ghaidhad keine Drachen mehr bis auf dich.«
Das hatte ich mir gedacht.
»Und da du der Letzte bist, sollte dir auch eine besondere Ehre zuteil werden. Du darfst von unserem Fürsten Höchstselbst gejagt werden, nachdem wir dich zu ihm gebracht haben.«
Immerhin war er selbst nicht der Fürst. Immerhin...
Schließlich schaute er noch auf Narian.
»Und der Kleine hier darf dich noch begleiten. Auch bis in den Tod.«
Er drehte sich wieder um und der Umhang, den er trug und der anscheinend aus schwarzer und brauner Seide gemacht war, drehte sich mit leisem Rauschen mit. Er schnippte mit den Fingern und zwei Alben kamen herein.
»Bringt die beiden in ein Lagerhaus. Und sorgt dafür, dass sie da auch bleiben.«
Einer der beiden nahm einen Strick, an dem ich und Narian zusammen hingen, und wollte schon ziehen, aber der andere hatte noch etwas zu sagen.
»Mein Herr, wir habe eine Nachricht erhalten. Von den Spähern an der Grenze«, sagte er.
»Und was sagen sie?«, fragte der Herr gelangweilt.
»Ein berittener Bote aus Sinarien hat die Grenze nach Angarin überquert.«
»Und warum haben sie ihn nicht aufgehalten?« fragte der Herr jetzt etwas neugieriger.
»Nun ja«, sagte der eine. »Sie hielten es nicht für nötig. Er war nicht bewaffnet.«
»Nicht für nötig?«, sagte der Herr scharf. »Was soll denn das heißen? Sie haben doch den Befehl jeden aufzuhalten, der über die Grenze will.«
»In der Tat, das hatten sie auch vor. Nur leider sind die menschlichen Grenzer ihnen zuvorgekommen. Sie sahen sich die Nachricht an und ließen den Boten passieren. Die Alben befragten die Menschen danach nach der Botschaft«, erzählte der eine.
»Die da lautet: ...?«, wollte der Herr wissen.
»Nun, den genauen Wortlaut kenne ich nicht, doch es ging wohl um den Krieg von Sinarien gegen das südliche Königreich Monirië. Sinarien bittet anscheinend um den Beistand Angarins.«
»Monirië, interessant...«, meinte der Herr. »Von denen hab ich seit langem nichts mehr gehört seit vor 50 Jahren ihre Söldner nach West-Sinarien geschickt wurden und dies zu ihrem Gebiet erklärt hat. Der Schatten im Süden regt sich...
Svartal wird das bestimmt hören wollen. Aber darum werde ich mich persönlich kümmern. Und jetzt schafft sie weg.«
Die Alben nahmen uns an dem Strick und zogen uns hinter sich her.
Ich wunderte mich über die enorme Kraft, die die Alben aufbringen mussten, um uns aus der Halle und durch das Tor zu ziehen. Einen Drachen, egal wie jung er ist, zieht man nicht so leichtfertig über den Boden.
Schließlich hatten sie uns aus der Halle gezogen und wir wurden über eine dreistufige Treppe aus Holz auf einen Hof geschleift. Und dann sahen wir die ganze Siedlung:
Das Haus, in dem der Albenherr saß, besaß drei Stockwerke und war somit das höchste Gebäude. Anscheinend füllte die Halle, in der wir waren, zwei Stockwerke aus. Das Gebäude bestand wie die anderen Gebäude aus schwarzem Holz. Das Dach lief spitz zu und bestand aus roten Ziegeln, die irgendwie so gar nicht in das Bild dieser Siedlung passten. Aus denselben Materialien bestanden die restlichen Gebäude, vierzehn an der Zahl und im Halbkreis um das Hauptgebäude angeordnet. Doch sie unterschieden sich deutlich voneinander: Während ein kleiner Teil der Häuser als Schmieden gebaut worden sind, gab es überwiegend Lagerhallen. Die Schmieden hatten nur ein Stockwerk und vor jeder stand ein Brunnen. Die vordere Wand fehlte, sodass man direkt in die Schmieden blicken konnte. In ihrem Inneren gab es zwei Öfen und eine Unmenge an Werkzeug, wie Hämmer, Zangen und so weiter. Auch Ambosse standen herum und die Alben hämmerten auf glühenden Eisenstücken. Von außerhalb der Siedlung, wo nur tote Bäume standen, hörte man Holzfäller bei ihrer Arbeit und auch Hämmern und Sägen. Außerhalb der Siedlung wurde also auch gearbeitet. Die Frage war bloß: An was?
Die restlichen Gebäude waren Lagerhallen mit zwei Stockwerken, die eine große Schiebetür besaßen. Wir wurden auf eine davon zugezerrt und einer den Alben öffnete das Tor. Das Innere war vollkommen dunkel, zumindest für Narian, denn schließlich konnte ich ja im Dunkeln sehen. Und was ich sah, gefiel mir gar nicht.
Die Halle war etwa 50 Meter lang und 20 Meter breit und im Inneren lagerten vier große  Belagerungswaffen, Katapulte um genau zu sein. Sie bestanden aus schwarzem(!) Holz und wurden mit Seilen und Metallstücken zusammengehalten.
In der Halle war Platz für fünf davon, doch den restlichen Platz durften wir belegen, als sie uns rein zerrten.
»Keine Dummheiten!«, sagte einer der Alben und nachdem sie verschwunden waren schlossen sie das Tor.
Wie auch... dachte ich.
Es gab keine Fenster, aber ich brauchte keine um zu sehen, dass es keine Möglichkeit gab, mich zu befreien.
Narian war noch immer bewusstlos. Allmählich wurde es unheimlich wie lange der Junge noch schlafen wollte. Ich stupste ihn mit meinem Schwanz an und sah, dass er zumindest zuckte. Er träumte wohl schlecht, war aber noch lebendig.
Blöd von mir, dass ich nie nachdachte, denn erst jetzt merkte ich, dass diese Dilettanten von Jägern vergessen hatten, meinen Schwanz zusammenzubinden.*12 Also bewegte ich ihn an die Fesseln an meinem hinteren Beinpaar und riss mit einem Ruck das Seil durcheinander.*13 Danach stellte ich mich auf die Hinterbeine, während mein Vorderkörper noch auf dem Boden lag. Zum Glück erreichte ich mit dem Schwanz auch das vordere Beinpaar und riss das Seil weg. Zum Schluss zerschnitt ich mit den Krallen noch das Seil, das mein Maul zusammenpresste und befreite meine Flügel. Endlich Freiheit!!
Nebenher schnitt ich auch Narians Seile mit meinen Krallen durch und überlegte mir einen Fluchtplan.
Zwar fiel mir keiner ein, aber das sollte mich nicht aufhalten. Ich fragte mich nur, wie ich den ohnmächtigen Narian befördern sollte.
Zum Glück hatte der Junge noch den Rucksack. Ich nahm den lädierten Lederriemen in den Mund und hievte Narian irgendwie auf meinen Rücken. Das Leder hielt immer noch! Schließlich ruckte ich ihn mit meinem bewährten Schwanz in die Stellung eines Reiters und klemmte seine Beine mit meinen Schulterblättern fest. Da es wahrscheinlich ungefährlicher war, die Hintertüre der Halle zu nehmen, musste ich nur noch die Katapulte aus dem Weg schaffen, um durch die hintere Wand entkommen zu können. Zuerst aber musste ich mir noch eine Hintertüre machen. Da mir Kraft und Zeit fehlten, die Waffen zur Seite zu schieben, steckte ich eine nach der anderen mit meinem Drachenfeuer in Brand. Ein paar Sekunden später waren die Waffen nur noch Asche.
Das gleiche geschah mit der hinteren Wand. Als diese weg war und der Rest der Halle durch das Drachenfeuer anfing zu brennen, nahm ich Anlauf, sprang hinaus und flog los. Bäume, die mir im Weg standen, erlitten das gleiche Schicksal wie die Katapulte und die Wand. Natürlich sahen die Alben mich sofort. Außerdem hatte ich sowieso nicht erwartet heimlich und leise zu entkommen. Von irgendwoher hinter mir kamen Pfeile, doch ich tauchte darunter hinweg. Narian ließ sich gut halten mit einem ordentlichen Muskelspiel. Sekunden darauf, wieder ein stechender Schmerz in den Flügeln. Auch unter mir waren Alben. Ich drehte nach Nordosten ab, doch schon trafen die nächsten Pfeile und erneut ging’s in den Sturzflug. Diesmal blieb ich bei Bewusstsein als wir aufschlugen, doch ich verlor Narian.
Wir waren irgendwo einige Meilen von der Siedlung runtergegangen und die Alben mussten gleich hier sein. Ich blickte zu Narian und mir verschlug es die Sprache. In seinem Rücken (er war auf dem Bauch gelandet) steckten drei pechschwarze Pfeile. Sie steckten nicht tief, aber es sah dennoch übel aus. Dann hörte ich ein Rascheln. Nicht weit weg. Und es kam näher. Weglaufen war jetzt nicht mehr drin. Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich mich einem richtigen Kampf stellen. Fand ich gar nicht gut! Doch was plötzlich zwischen den Bäumen auftauchte war nicht das, was ich erwartet hatte.
Es hatte dieselben Gesichtszüge wie die Alben, dieselbe Art sich zu bewegen, dieselben Spitzohren. Aber man sah in der ersten Sekunde sowohl an seinen Kleidern, als auch an seinen Haaren (vielleicht auch am Gesichtsausdruck und an der Tatsache, dass es keine Waffe besaß), dass das kein Alb war. Ich war ja nicht blöd, weshalb ich sofort erkannte, was da in grüner und brauner Kleidung und mit blonden, mittellangen Haaren*14 vor uns stand: Ein Elb. 
Ein waschechter Elb. Wenn das mal kein Glück war. Schließlich waren und sind Elben das genaue Gegenteil von Alben. Gut, freundlich und auf magische Wesen gut Kirschen essen.
»Guten Tag«, sagte er mit ruhiger und gelassener Stimme. »Kann ich euch helfen?«
Ich wollte ja nicht quengeln aber: »Vielleicht habt ihr es noch nicht bemerk, aber der Wald ist voller Alben und es wäre doch sehr freundlich, wenn ihr uns dabei helfen könnten, ihnen vor ihrer Nase zu entkommen.«
»Gerne doch«, meinte er sogar noch ruhiger als vorhin. »Aber ich glaube am dringendsten braucht dein Freund hier meine Hilfe.« Langsam ging er zu Narian und schaute ihn sich an.
Dabei schaute ich ihn an. Feines Gesicht, blaue Augen, dunkelblonde Haare, spitze Ohren... bis auf die Haare und die hellen Augen erinnerte alles an die Alben. Wie eine hohe Lichtgestalt, so wie ich mir die Elben immer vorgestellt hatte, wirkte er gar nicht. Im Gegenteil, er machte auf mich den Eindruck, als stünde ich einem Menschen gegenüber, der zufällig aussieht wie ein Elb.
»Die Pfeile sitzen nicht tief«, meinte er. »Dennoch könnte er gleich sein Leben verlieren.«
»Wieso?«, fragte ich.
»Alben benutzen gerne Gift an ihren Pfeilspitzen. Ein Gift, welches sie eigentlich zur Jagd auf Wesen wie dich einsetzen. Normalerweise lähmt es magische Wesen für eine gewisse Zeit. Aber für nichtmagische Wesen wie Menschen ist es tödliches Nervengift, das mit schlechten Umständen innerhalb von einer Stunde töten kann.«
»Oh.«, sagte ich nur. Das muss wohl passiert sein als ich unter den Pfeilen durchtauchte. »Gibt es kein Gegengift oder so was?«, wollte ich wissen. Ich wollte auf keinen Fall, dass der Junge wegen mir starb. Damit könnte ich gar nicht leben.
»Nein, aber eine andere Methode der Heilung«, sagte der Elb. »Das Gift wird langsam über das Blut ins Gehirn transportiert, wo es seine Wirkung entfaltet. Nur ein Blutaustausch könnte schlimmeres verhindern. Magisches Blut hindert, dass das Gift sich weiter ausbreitet. Es wirkt dann eher lähmend, aber nicht tödlich. Und nach einer gewissen Zeit verflüchtigt sich das Gift. Deshalb sind Menschen so anfällig für dieses Gift. Sie haben kein magisches Blut.«
»Seid ihr ein Heiler?« wollte ich wissen.
»Ja, so könnte man mich nennen.«
»Und magisches Blut von wem...?«
»Von dir natürlich. Und von mir auch. Dann wird es stärker wirken und das Gift noch mehr schwächen«, sagte er.
Ich nickte nur. Aus seinem Umhang zog er eine Nadel und ein Röhrchen. Auf meinen verwunderten Gesichtsausdruck meinte er nur: »Heiler.«
Da ich keine Ahnung hatte, wo eine gute Stelle war, um mir Blut abzunehmen, ließ ich ihm den Vorrang. Er stach sich zwischen Ober- und Unterarm und steckte dort das eine Ende des Röhrchens hinein. Sofort begann das Blut zu fließen. Bei Narian machte er das gleiche. Ich ließ ihn einfach arbeiten. Zwischendurch zog er mal mit seinem Mund an diesem Ende des Röhrchens und am anderen und als er zu mir kam stach er mir zwischen die Schuppen in die gleiche Stelle, um an das Blut zu gelangen. Er wiederholte die Prozedur. Dabei erklärte er mir etwas: »Beim Blutspenden zweier Menschen müsste man darauf achten, dass die beiden Menschen die gleiche Blutgruppe haben, da es verschiedene Blutgruppen bei den Menschen gibt. Wenn es verschiedene wären, könnte dies im schlimmsten Fall zum Tode des Empfängers des Blutes führen. Bei anderen Wesen macht es keinen Unterschied, wie bei uns beiden, denn unser Blut kann mit jedem Menschenblut vermischt werden, obwohl das kaum vorgekommen sein dürfte. Und wahrscheinlich auch nie wieder vorkommen wird, so absurd wie diese Prozedur hier klingt.«
Als er fertig war sagte er: »Gebrochen hat sich der Kleine nichts. Er wird sich bald erholt haben und aufwachen. Am besten ich zeige dir den Weg aus dem Wald.«
Und das tat er auch, ohne dass wir den Alben begegneten.

Ende des dritten Kapitels

Das bisher längste Kapitel gehört jenem, der mich zum Buch "Bartimäus" brachte und mir damit die Inspiration für Mardics Charakter lieferte.
(Namen werden bis zum letzten Kapitel nicht genannt, aus Gründen meiner Sicherheit vor den entsprechenden Personen^^)


Fußnoten:
(Der kleine blaue Pfeil () führt jeweils in die Zeile zurück, von wo aus auf die jeweilige Fußnote verwiesen wurde.)
1: Wie ihr sicher bemerkt habt, habe ich eine gewisse Abneigung gegen Alben.
2: Der Wald bestand anscheinend nur aus dichten toten, schwarzen Bäumen. Passt irgendwie zum dunklen Image der Alben.
3: Was für ein dämlicher Name^^.
4: "Dorfmagier" sind die Erfindung Nogilns. Um jedes noch so kleinste Dorf kontrollieren zu können, hat er diese "Sekte", oder wie man das nennt, ins Leben gerufen. Sie mischen im Grunde nur Tränke und hantieren mit Gegenständen von echten magischen Wesen, wie Drachenzähnen und Einhornhörnern und haben keine Ahnung. Sie werden auch Alchimisten genannt. Im Gegensatz zu den Alchemisten, den echten Trankmischern.
5: Ich hab vielleicht schon vergessen zu sagen, wie vorteilhaft Drachenaugen sind...^^
6: Zum Schutz der lieben Kinderchen, die diese Geschichte möglicherweise gerade lesen, bleiben die Worte lieber ungenannt... Nicht, dass sie nicht jugendfrei wären, aber Schimpfworte sind Schimpfworte, auch wenn sie täglich sehr viele Leute gebrauchen.
7: Zumindest ich konnte von den Hügeln aus soweit sehen.
8: Sicherlich, ich hätte auch fliegen können, aber nach Narians Meinung hätten die Alben uns sehen können...
9: Woher wir das wussten? Narian trug ein Band um das Handgelenk mit einem Metall-Glasgehäuse. In dem Gehäuse war ein Blatt mit Zahlen drauf und drei Zeiger: Einer bewegte sich ständig und schneller als die anderen. Narian erklärte mir, dass es eine Uhr war, mit der man die Zeit ablesen konnte. Praktische Erfindung!! Sicherlich kam sie von den Zauberern, den echten in Méarlice... Meine innere Uhr war jetzt ein bisschen überflüssig...
10: Drachen haben ein interessantes Innenleben...
11: "..." bedeutet, dass ich gerade zu sehr im Rausch des Fliegens war um zu erzählen wie es war. Stellt euch einfach vor, wie es ist, aus 100 Meter in die Tiefe zu stürzen und dann frei umher zu fliegen... Am nächsten kommt dem Gefühl das Bungeejumping.
12: Der Schweif eines Drachen ist sehr biegsam und für mich war er manchmal so etwas wie ein 21. Finger. (Drachen haben 20 Klauen [4 Pfoten mit 5 Krallen], die man wie menschliche Finger einsetzen kann, wenn die Krallen nicht zu lang sind.
13: Auch das kann man mit einem Drachenschweif!^^
14: Ich beschreibe Dinge gern etwas ausführlicher...
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© Salyan Silberklinge
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Und schon geht es weiter zum 4. Kapitel: "Angarin"...

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