Die Schneeprinzessin von der Schwertbraut |
1: Ayrin und Anija |
Im Kamin des kleinen Hauses, welches sich an die Schlossmauern schmiegte, prasselte ein kleines Feuer fröhlich vor sich hin. In seinem Schein saßen zwei Mädchen, etwa achtzehn und zwanzig Jahre alt, und flickten Kleidung. Draußen pfiff ein eisiger Nordwind. Dieses Jahr hatte der Winter schon sehr früh eingesetzt und die Bewohner des kleinen Küstenreiches Resum waren so überrascht worden, dass sie nicht einmal mehr genug Zeit hatten, alle Feldfrüchte einzubringen. Die Tür schlug krachend gegen die Steinwand. Beide Mädchen sprangen auf und zogen die vermummte Gestalt, die zwischen Tür und Angel stand, herein. Aus einem anderen Zimmer erschien eine rundliche Frau mit freundlichem Gesicht. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen, hastete zur Tür und drückte diese mit aller Kraft zu. Dann schob sie rasch den schweren Holzriegel vor. "Rasch Anija, hilf deinem Vater aus den nassen Sachen. Und du Ayrin, hol ihm Brühe." "Ja, Mutter!" riefen beide gleichzeitig. "Und du Nofal, komm ans Feuer!" Nofals Frau zog ihren Mann näher an den Kamin. Ayrin rannte in die Küche und füllte die kräftige, würzige Fleischbrühe in eine Schüssel. "Hier, Vater, iss! Aber pass auf, sie ist sehr heiß!" "Es scheint mir, als ob die Schneeprinzessin wieder einmal um ihr Volk trauert...", meinte Nofal zu seiner Familie. Alle nickten. "Da fällt mir ein, Rexus bat mich, euch beide morgen in die Ratskammer zu schicken. Es geht um die Reise von Prinzessin Séanizza ins Reich der Schneeprinzessin." Anijas und Ayrins Augen begannen zu leuchten. Auch wenn es den Anschein hatte, Ayrin und Anija waren keine Schwestern. Zwar nannten sie beide Nofal und seine Frau, Pinora, ihre Eltern, aber nur Anija war deren leibliche Tochter. Anija war einen Kopf größer als Ayrin, hatte rotblondes Haar und den leicht bronzefarbenen Teint, der den Menschen von Resum Eigen war. Ayrin hingegen war klein und zierlich, mit dunkelbraunen Haaren und porzellanfarbener Haut. "Wieso will die Prinzessin ins Schneereich?", fragte Anija. Sie hatte sich vor dem Sessel ihres Vaters niedergelassen und den Kopf auf die Armlehne gelegt. "Sie wird nächstes Jahr den Prinzen von Hohenfels heiraten. Deswegen muss sie die Schneeprinzessin bitten, die Winde ruhen zu lassen. Das ist eine Tradition unter allen Königshäusern der Welt.", meinte Pinora. "Was ist eigentlich im Reich der Schneeprinzessin geschehen?" Ayrin hatte sich ebenfalls vor dem Sessel ihres Vaters niedergelassen. "Habe ich euch die Geschichte etwa noch nicht erzählt?" Nofal sah mit hochgezogener Augenbraue auf seine Töchter herab. Diese senkten schuldbewusst ihre Köpfe. Er aber begann zu lachen: "Also gut, hört zu. Ihr kennt doch das Winterreich, das hoch im Norden liegt. Noch weit, weit hinter dem Land der Nordmänner. Dort war aber nicht immer ewiger Winter... Es mag wohl 5000 Jahre her sein, da lag in der geschützten Talmulde eines Plateaus in den Eisbergen ein kleines Königreich. Es wurde das Goldene Reich genannt, da es wohlhabender war, als alle umliegenden Reiche zusammen. Jedoch maß sich der Wohlstand des Landes nicht an Gold oder Edelsteinen, sondern an zwei anderen Dingen. Da war zum einen das Mithril. Ein wunderbares, unzerstörbares Metall. Nur die Schmiede des Goldenen Reiches konnten es bearbeiten, denn sie allein kannten sein Geheimnis. Zum anderen war es die Gabe der Herrscherin, mit den hohen, alten, den mächtigsten Kreaturen der bekannten Welt zu kommunizieren. Den Drachen. Es wird erzählt, die junge Herrscherin sei schön wie der Morgen. Ihr Haar war braun, wie das Wasser eines Baches, wenn es über Steine fließt. Wenn der Mond auf sie schien, zauberte er silbrige Reflexe hinein, als ob das Wasser sich kräuseln würde. Und ihre Augen waren golden wie die Sonne, die hinter den Klippen, die das Tal umgeben, aufsteigt, um Licht und Leben zu schenken. Jedoch ihre Haut war weiß wie Schnee und glänzte wie das Angesicht des Mondes, der die Nacht erhellt. Aus diesem Grund wurde sie von ihren Untertanen nur die Schneeprinzessin genannt. Unter ihrer Herrschaft blühte das Reich auf. Allerdings gab es auch Neider, wie überall auf der Welt, wo Reichtum und Wohlstand sind. Jenseits der Eisberge lag das Reich der Alkor. Sie nannten sich nach ihrem Gottkönig, den sie auch als ihren Schöpfer verehrten. Er beneidete die Herrscherin um das Mithril und ihre Gabe. Seine Gemahlin und Hohepriesterin, Asanorela, beneidete sie um ihre Schönheit und Anmut, denn sie selbst war so abstoßend und hässlich, wie ihr Innerstes. So kam es zum Krieg. Zehn Jahre konnten die Bewohner des Goldenen Reiches ihren natürlichen Schutz aus Fels und Gestein halten. Dann jedoch fielen die schändlichen Horden Alkors ein. Orun, der oberste General der Schneeprinzessin, hatte sie verraten und den Angreifern den geheimen Weg in das Reich gezeigt. Die junge Herrscherin war in arge Bedrängnis geraten. Viele ihrer Krieger waren gefallen und ihr Volk stark dezimiert worden. Zwar kämpften ihre Leibwachen, die legendären Draconier, tapfer gegen die Eindringlinge, aber schließlich fiel auch die letzte Bastion und der Feind war vor dem Kristallschloss angelangt. Da fasste die junge Herrscherin einen Entschluss. Sie sah keine andere Möglichkeit mehr, als einen verbotenen Zauber zu wirken, um ihr Reich zu retten. So opferte sie ihr eigenes Leben, um den Zauber mächtig genug zu machen, Alkor und seine Truppen in ihr Reich zu verbannen. Daraufhin wurde es von einem dichten, undurchdringlichen Nebel eingeschlossen. Das ist das, was wir heute als die Nebelwand kennen. Leider hatte der Zauber fatale Folgen. Alles Leben im Goldenen Reich erlosch und fror ein. Sämtliche Bewohner des Reiches, die Pflanzen und die Tiere verwandelten sich in Eis. Die Drachen verschwanden und wurden nie wieder gesehen. Nur die Draconier überlebten auf wundersame Weise, aber auch sie verschwand schließlich. Es heißt, dass sie bis heute das verwunschene Reich beschützen und auf die Rückkehr der Schneeprinzessin warten, die es aus seiner Starre erlöst. Ob die Prinzessin aber wirklich ihr Leben gelassen hat, ist strittig. Die einen sagen, sie hätte nur ihre Seele vom Körper gelöst, der seitdem als Eisskulptur im Thronsaal des Kristallschlosses steht und wurde so Herrin über den Nordwind, Eis und Schnee. Andere wiederum sagen, dass sie wirklich gestorben ist, aber nach einer bestimmten Zeit wiedergeboren werden würde, um ihr Reich zu erlösen, die Drachen zurückzuholen und Alkor endgültig zu besiegen... Das Wissen um die Bearbeitung des Mithril allerdings ging verloren. Es existieren nur noch sehr wenige geschmiedete Waffen und Rüstungen. Der Speer des Königs, beispielsweise, ist eine von ihnen. Der Ahnherr von König Andron bekam ihn vor 5000 Jahren von der Schneeprinzessin zu seiner Hochzeit geschenkt." Damit schloss Nofal seine Erzählung. Pinora stand auf und klatschte in die Hände: "Nun ab ins Bett, Mädchen. Ihr müsst morgen ausgeschlafen sein." Anija und Ayrin gaben ihren Eltern einen Gute-Nacht-Kuss und gingen zu Bett. Als sie am nächsten Morgen erwachten,
hatte es schon aufgehört zu schneien. Der Himmel hatte aufgeklart
und auch die Sonne war wieder herausgekommen. Es versprach eigentlich,
ein schöner Tag zu werden.
Sie wurden von einem jungen Wächter eingelassen.
In der Kammer befanden sich das Königspaar, sowie Rexus, vier weitere
Mädchen, die in die engere Auswahl gekommen waren, und Eris, die Amme
der Prinzessin.
Nofal und Pinora waren bei ihrem täglichen
Rundgang nun auch in der Küche angelangt. Die Majordoma beaufsichtigte
gerade einige der jungen Zofen, die das Gebäck und den Tee der Königin
vorbereiteten. Als Majordoma unterstand ihr das ganze weibliche Personal
von der Gänsemagd bis hin zu den Leibzofen. In der Hierarchie stand
nur noch ihr Gemahl, als Majordomus, über ihr. Ihm unterstand das
ganze Personal, mit Ausnahme der Wachen. Er hatte auch die Schlüsselgewalt
im Schloss.
Pinora scheuchte ihre Töchter zurück
an die Arbeit. Anija sollte bei Malus und Clementyne in der Küche
arbeiten und Ayrin schickte sie in die Kleiderkammer der Prinzessin, um
dort beim Nähen und Flicken zu helfen.
In der Kleiderkammer erging es Ayrin nicht
anders. Während sie den Stoff für das neue Ballkleid der Prinzessin
bestickte, sang sie lauthals, und schief, eine alte Volksweise. Eine alte
Leibzofe der Prinzessin verzog dabei ihr runzliges Gesicht und versuchte
angestrengt nicht hinzuhören.
Als die beiden am Abend in ihren Betten lagen,
träumten sie von der Schneeprinzessin und ihrem Goldenen Reich.
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Und schon geht es hier weiter
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2. Kapitel: Das Abschiedsfest
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