Je tiefer sie in den Klammwald ritten, desto
schlechter wurde die Sicht. Nun zog auch noch dichter Nebel auf, was das
Vorankommen doppelt und dreifach erschwerte.
Anija stellte sich vor, wie sie die Nebelbank
mit einem Messer durchschnitt, um die Gruppe vorwärts zu bringen.
Auch ihr wurde langsam kalt.
"Wann werden wir rasten?" Ayrin drehte sich
leicht zu Nibor.
"So wie ich Dai kenne, werden wir so weit
reiten, bis wir die Hand vor Augen nicht mehr sehen können." Er lächelte
leicht.
"Ist das nicht schon längst der Fall?",
murmelte Anija.
"Es geht nicht um den Nebel, Mädchen",
brummte Ghim. "Die Dunkelheit ist gemeint."
"Aber der Nebel ist so dicht. Als ob er uns
von hier fern halten wollte..." Ayrin fröstelte.
Nibor zog eine Augenbraue hoch und Ghim brummte
etwas Unverständliches in seinen Bart.
Es begann zu winden. Ayrin hoffte, dass sie
bald eine geschützte Stelle finden würden.
Daimyon führte sie trotz des immer undurchdringlicher
werdenden Dickichts sicher und zielstrebig durch den Klammwald. Er schien
seinen Weg genau zu kennen.
Nach weiteren endlos scheinenden Stunden im
Sattel stoppten die Reiter vor ihnen und die Schwestern konnten zwischen
den sich nun lichtenden Nebelschleiern eine verfallene Ruine, ein Relikt
aus alten Zeiten, erkennen.
Die Krieger vor ihnen saßen ab und wie
eine Welle folgten ihnen die anderen. Der Page, der auf dem Kutschbock
saß, sprang herunter und öffnete die Tür der Kalesche.
Eris stieg aus und ging direkt auf die Schwestern zu.
"He, Mädchen, steigt ab."
Ayrin und Anija standen nun vor Eris. Sie
war gut einen Kopf größer als die Schwestern und ein lockeres
braunes Kleid umhüllte ihren voluminösen Körper. Die hochgesteckten,
an den Schläfen bereits ergrauten Haare und ihre weiße Haube
ließen sie strenger erscheinen, als sie tatsächlich war.
"Ja, Frau Eris?" Anija knickste.
"Ihre Hoheit wünscht ihre abendliche
Toilette zu machen. Ayrin, du wirst Wasser holen. Und Anija kocht für
alle." Sie blickte von einer zur anderen und ihre Mine duldete keinen Widerspruch.
Ayrin schluckte. Sie hatte Angst allein im
Nebel. Und außerdem wusste sie nicht einmal wo sie einen See oder
Fluss finden sollte.
"Nein!" Daimyon war hinzugetreten und baute
sich vor Eris auf. "Es ist unverantwortlich, das Mädchen allein loszuschicken.
Sie kennt sich hier nicht aus und war bestimmt noch nie weiter als einen
Steinwurf von zu Hause entfernt. Außerdem ist es dunkel und die Nacht
hat Augen."
Nun kam auch Séanizza hinzu. Majestätisch
stellte sie sich vor Daimyon.
"Soweit man uns mitgeteilt hat, ist er für
unseren
Schutz zuständig und nicht für den einer Magd." Ein geringschätziger
Blick traf Ayrin, die sofort den Kopf senkte. "Wenn wir frisches
Wasser wollen, bekommen wir auch welches." Ihre Stimme wurde herrischer.
"Kommt, meine Liebe. Geht in die Kalesche,
bis man Euer Zelt aufgebaut hat. Sonst erkältet Ihr Euch nur." Eris
nahm Séanizza bei der Hand und führte sie sanft zur Kalesche
zurück.
Prinz Hagir beobachtete die Szene, angelehnt
an einen morschen Baum. Seine Hand ruhte auf seinem Schwert.
Eris kam wieder zurück. Sie sah Ayrin
an, die immer kleiner zu werden schien.
"Die Eimer sind im Lastkarren." Und zu Anija
gewandt: "Setz’ zwei Kessel aufs Feuer. Einen für das Wasser der Prinzessin
und den anderen für den Eintopf." Sie dirigierte Anija weg von ihrer
Schwester und Ayrin sah fassungslos hinterher.
"Aber wie..." Sie war sprachlos. So hatte
sie sich das ganze nicht vorgestellt. Ayrin war den Tränen nah. Sie
begann zu beben.
"Aber, aber. Nicht doch." Daimyon stellte
sich vor sie und streichelte ihr mit einem Finger über die Wange.
Sie schniefte.
"Rys! Komm her." Er winkte die dunkelhäutige
Kriegerin zu sich.
"Dai?" Sie stellte sich zu Ayrin. "Hat man
ihr wehgetan?"
Er schüttelte den Kopf.
"Ungefähr eine halbe Meile von hier,
in dieser Richtung", er deutete auf einen schmalen von Moos und Flechten
bewachsenen Pfad, "gibt es eine Quelle. Begleite sie. Ayrin soll Wasser
holen."
Rys nickte und lächelte Ayrin freundlich
an.
"Komm, wir holen die Eimer." Rys drehte sich
um und ging zum Lastkarren. Der junge Knappe, der noch auf dem Kutschbock
saß, blickte Rys missbilligend an. Diese störte sich jedoch
nicht im Geringsten daran, sondern fischte nach zwei Holzeimern und der
Tragstange.
"Ghim! He, komm her!" Rys wedelte mit der
Tragstange herum.
Der Zwerg watschelte auf die Frauen zu. Er
hielt die schwere, mit magischen Zwergenrunen, verzierte Kriegsaxt in den
Händen. Ghim hob eine graue buschige Augenbraue.
"Schnall die Axt um und nimm die Eimer." Rys
drückte dem verblüfften Zwerg die Eimer in die Hand, die Tragstange
nahm sie selbst, packte Ayrins Hand und zog sie in Richtung des von Daimyon
beschriebenen Weges.
"Ghim! Komm endlich!" Rys war mittlerweile,
samt Ayrin, im Nebel verschwunden, als Ghim sich endlich aufraffte, den
beiden Frauen zu folgen.
"Eine Unverschämtheit! Was erlaubt die
sich!" Wütend rührte Anija im Eintopf herum. Yolaf und Foxs standen
kopfschüttelnd daneben.
"Pass auf, was du sagst, Anija. Wenn Eris...
oder noch schlimmer: Wenn Séanizza dich hört..." Yolaf ließ
den Satz unbeendet.
"Aber das geht doch nicht! Sie hat Ayrin allein
in den Wald geschickt. Und nur, weil Ihre königliche Hoheit
nicht mit dem mitgebrachten Wasser zufrieden ist." Sie ließ ihre
Wut an Kelle und Kessel aus, die sie nicht gerade sanft aufeinander schlug.
"Ganz ruhig. Ich hab Rys und Ghim bei ihr
gesehen. Ihr wird schon nichts passieren. Rys ist die beste Fährtensucherin
aller Zeiten mit dem besten Orientierungssinn und Ghim kann, wie alle Zwerge,
in der Dunkelheit besser sehen als wir alle zusammen." Foxs nahm ihr die
Kelle aus der Hand und kostete. "Schmeckt gut."
Anija fixierte ihn mit ihren Augen. Sie mochte
es gar nicht, wenn ihr jemand in den Topf griff.
Der Eintopf blubberte schließlich fröhlich
vor sich hin und Loan hatte eine kleine Gruppe damit beauftragt, die Zelte
aufzubauen - das der Prinzessin natürlich zuerst.
Es war rechteckig und größer als
die der anderen. Im Innenraum gab es einen Raumteiler, der das Lager der
Prinzessin von dem ihrer Amme trennte. Das Zelt wurde direkt an einer der
höheren Mauerreste aufgebaut, an der sich ein, Loans Meinung nach,
stabiler Überhang befand. Er würde für einen guten Schutz
sorgen. Nachdem das Zelt aufgeschlagen war, kam Séanizza in Begleitung
Eris’ aus der Kalesche und besah sich ihr Nachtlager. Niemandem entging
ihr missbilligender Blick. Sie rümpfte ihr königliches Näschen
und schritt zu ihrer Lagerstätte.
"Wo bleibt unser Quellwasser?" Sie wandte
sich an ihre Amme. "Die Magd, wo bleibt sie so lange?" Dann erblickte sie
Anija. "He da, Magd! Wo ist deine Schwester?"
"Euer Wasser holen, königliche Hoheit",
presste Anija hervor.
Séanizza drehte sich um. Zum Glück
- für Anija - war ihr der Unterton nicht aufgefallen.
"Wir werden uns nun zurückziehen. Gebt
uns Bescheid, wenn die andere Magd mit dem Wasser kommt!" Zügig schritt
sie, an Eris vorbei, in ihr Zelt. Die Amme maß noch einmal mit einem
prüfenden Blick Anija und den großen Kessel, dann ging sie ihrer
Herrin hinterher.
"Argh!", presste Anija mit geschlossenen Lippen
hervor.
"Ruhig Blut. Das legt sich bestimmt wieder."
Foxs grinste.
"Da kennst du Ihre Hoheit aber schlecht...",
murmelte der Nordmann. "Sie hat heute nämlich einen guten Tag..."
Foxs schluckte. Das konnte ja heiter werden.
Rys ging zügig den schmalen Pfad entlang.
Hinter ihr lief Ayrin - oder stolperte viel mehr. Dann kam Ghim. Dem Zwerg
bereitete die eingeschränkte Sicht nicht die geringsten Probleme.
Sie schwiegen eine Weile.
"Woher kennt Herr Daimyon die Quelle?", brach
Ayrin schließlich das Schweigen.
"Ha, ha, ha! Wenn Dai das hören könnte!
Er und Herr!" Ghim lachte. Das Kreischen von verschreckten Tieren
lag in der Luft. Überall bewegte es sich hektisch.
Ayrin atmete hörbar aus.
"Ghim! Lass das!", fauchte Rys.
"Tut mir leid, Ayrin. Aber es ist einfach
lächerlich. Dai ist alles andere als ein Herr! Und um auf deine
Frage zurückzukommen: Wir waren bereits einmal hier. Damals war Dai
aber noch ein Knabe und grün hinter den Ohren. Er hatte sich verlaufen
und hierher verirrt. Dabei stieß er auf die Quelle."
"Da hinten!" Rys deutete auf eine Lichtung
unweit ihres Standortes.
Der Nebel lichtete sich und ihnen bot sich
ein magischer Anblick. Die Lichtung war von gesunden niedrigen Bäumen
und hohen alten Tannen umgeben. Aus einer Felsformation in ihrer Mitte
sprudelte eine klare Quelle, die sich in einem kleinen See verlor. Über
die Felsen ragten zwei schlanke Bäume, deren Zweige sich in stiller
Umarmung umfingen. Hoch oben am Himmel stand ein runder bleicher Vollmond,
dessen silbriges Licht die Waldschneise in zauberhaftes Licht tauchte.
Es war ein Ort voller Frieden und Ruhe.
Als sie die Lichtung betraten, fühlte
Ayrin sich schlagartig besser. Als ob eine unsichtbare Macht über
diese Stelle wachte und alles Böse des Waldes von hier fernhielt.
Bezaubert schritt Ayrin auf die Quelle und
die Bäume zu. Rys und Ghim standen noch am Rand der Schneise.
"Seltsam", brummte der Zwerg.
"Hm?" Rys sah zu ihm hinunter.
"Irgendwie wirkt sie anders. Ich weiß
nicht, wie ich es sagen soll..." Der Zwerg wackelte mit dem Kopf.
Rys sah nun auch zu Ayrin.
"Sie wirkt seltsam. So nebelhaft, als ob sie
nicht von dieser Welt wäre. Einfach majestätisch." Rys zuckte
mit den Schultern. Sie konnte noch nie die richtigen Worte finden. Die
Amazone stützte sich auf die Tragstange.
Ayrin war einmal um den See herumgelaufen.
Nun legte sie die Hände auf die Rinde eines Baumes. Sie lehnte sich
vollends dagegen und es schien wie ein stummes Zwiegespräch.
Ghim stapfte zur Quelle und Rys lief ihm hinterher.
Ayrin hörte die beiden kommen, sah auf und lächelte.
Der Zwerg sah sich um. Dann blickte er an
den Bäumen hoch.
"Kennst du die Geschichte von Lumia und Firn?"
Ghim blickte immer noch zu den Bäumen.
"Nein", sagte Ayrin leise. Irgendwie wusste
sie, dass die Frage ihr galt.
"Nun..." Ghim setzte sich umständlich
auf einen Stein. Die Eimer stellte er neben sich. "Vor sehr, sehr langer
Zeit lebte in einem Dorf hier im Wald ein Mann mit seiner Tochter Lumia.
Sie war bildschön. Haar wie gesponnener Flachs und Augen blau wie
Saphire. Schlank und grazil wie eine junge Ricke ... Oh! Ich schweife ab...
Jedenfalls war Lumia dem Sohn des Dorfvorstehers versprochen. Aber sie
liebte einen jungen Schmied, Firn. Natürlich stand diese Verbindung
unter keinem guten Stern. Die beiden Liebenden trafen sich immer hier,
an dieser Quelle. Aber eines Tages, als Lumia wieder zur Quelle unterwegs
war, ging ihr der Sohn des Dorfvorstehers hinterher. Er überraschte
sie hier mit Firn. Voller Wut lief er zurück ins Dorf und trommelte
einige Männer zusammen.
Lumia und Firn wussten nichts davon. Sie tauschten
weiter Zärtlichkeiten aus.
Als die Männer hier ankamen, sahen sie
Lumia und Firn bei ihrem Tun. Sie trieben die beiden auseinander und prügelten
Firn halbtot. Lumia ertrug das nicht. Sie betete zum Geist der Quelle,
dass er sie und ihren Liebsten beschützen möge.
Da geschah das Unglaubliche. Wie von Geisterhand
wurden Lumia und Firn neben die Felsen gezogen. Sie streckten die Arme
nacheinander aus. Ihre Füße verbanden sich mit der Erde, die
Körper der beiden wurden in die Länge gezogen und ihre Haut wurde
zu Rinde. Ihre Arme zu Ästen, die sich umschlangen. So stehen sie
noch heute. Hier an dieser Stelle."
Zu dritt blickten sie die Bäume an. Ayrin
schluckte. Sie schwiegen eine Weile.
Rys nahm die Eimer und ging zu der Stelle,
wo das klare Wasser aus dem Fels sprudelte. Sie hielt erst den einen, dann
den anderen Eimer darunter.
Ghim saß noch immer auf seinem Stein
und beobachtete die Umgebung. Sein Gefühl sagte ihm, dass hier etwas
nicht stimmte.
Ayrin ging um die Felsen herum. Direkt dahinter
war eine seltsame Vertiefung im Boden. Im fahlen Licht des Vollmondes kniete
sich Ayrin auf die Erde und schob mit ihren Händen herabgefallenes
Blattwerk und das Gras beiseite. Eine verwitterte Steinplatte kam darunter
zum Vorschein. Sie war quadratisch und an einigen Stellen mit Moos und
Flechten überwuchert. In der Mitte der Platte befand sich eine leichte
Erhebung und seltsame Schriftzeichen waren in die Oberfläche eingemeißelt
worden. Teilweise waren sie schon nicht mehr zu erkennen. Aber eine seltsame
Vertrautheit überkam Ayrin.
"Ghim, Rys! Kommt schnell her!" Ayrin fuhr
mit zitternden Fingern die kunstvolle Schrift nach.
"Ayrin! Mädchen, ist alles in Ordnung?"
Ghim kam und kniete sich neben sie.
Rys ließ die Eimer fallen und rannte
zu der Stelle, an der sie Ayrin vermutete.
"Was ist das?" Sie beugte sich über Ayrin.
"Eine Steinplatte. Aber keine, die mein Volk
geschaffen hat. Und diese Schrift... sie ist mir gänzlich unbekannt..."
"Flammenmeer ..." Ayrin fuhr über eine
Anordnung von Schriftzeichen.
"D-du kannst das lesen?" Ghim war mehr als
überrascht.
"Ich...ich weiß auch nicht, woher oder
warum ..." Sie berührte eine weitere Anordnung. "Dies hier bedeutet
Sternmetall."
"Ghim! Sternmetall ist doch nur ein anderes
Wort für ..." Rys blickte ihren Zwergenfreund erstaunt an.
"Mithril." Beendete er den Satz.
Zitternd berührte Ayrin die Erhebung
in der Mitte der Platte. Ein Geräusch, wie aus weiter Ferne erklang.
Ein Mechanismus, der schon seit Ewigkeiten
nicht mehr benutzt wurde, schob die zentnerschwere Platte zur Seite, als
wiege sie nicht mehr als eine Feder.
Staunend beobachteten sie, wie die Platte
einrastete. Vor ihnen tat sich das Tor zur Unterwelt auf. Gähnende
Leere und ein dunkler Schlund starrten ihnen entgegen.
Ghim kniff die Augen zusammen.
"Was sich da wohl verbirgt?" Er langte an
seinen Gürtel und holte einen kleinen braunen Beutel hervor. "Geh
mir einen trockenen Ast holen, Rys."
Die Amazone nickte und stand auf. Sie verschwand
kurz in der Dunkelheit und kam einige Augenblicke später mit einem
knorrigen Ast zurück.
"Danke." Ghim nahm den Ast entgegen und legte
ihn vor sich. Aus seinem Beutel hatte er zwei weitere Beutel und ein irdenes
Gefäß hervorgezogen. Er nahm eine Prise aus dem einen Beutel
und tat sie in das Gefäß und mit dem Inhalt des anderen verfuhr
er genau so. Als sich die beiden Pülverchen vermischten und mit dem
Stein in Berührung kamen, begannen sie leicht zu glühen. Ghim
nahm den Ast und strich das Pulver auf den oberen Teil.
"Ich gehe vor. Ayrin, du folgst mir und du,
Rys, bildest die Nachhut."
Beide Frauen nickten.
Ghim stieg vorsichtig die Stufen hinunter.
Der Bergbewohner brauchte den glimmenden Ast eigentlich nicht, aber Ayrin
und Rys würden sich an seinem schwachen Licht orientieren können.
Zaghaft kamen Ayrin und Rys hinterher. Die
Stufen waren glitschig und alle mussten aufpassen, dass sie nicht fielen.
"Genau 99 Stufen", sagte der Zwerg, als sie
unten angekommen waren. "Eine merkwürdige Zahl."
"Was kannst du erkennen?" Rys melodische Stimme
hallte von den Wänden wider.
"Einen Gang, der sich weit unter die Erde
erstreckt. Wir werden wohl einige Zeit laufen müssen."
"Ist er schmal oder breit?" Ayrin blinzelte
ein paar mal. Es würde dauern, bis sich ihre Augen an das schwache
Licht von Ghims Pulver gewöhnt hatten.
"Nicht sehr schmal. Die Wände sind mit
Reliefs verziert und mit dieser Schrift, die nur du entziffern kannst."
Ghim setzte sich wieder in Bewegung und zu
dritt liefen sie ins Unbekannte.
"Seltsam, dass mir diese Steinplatte nicht
schon früher aufgefallen ist", brummte Ghim.
Ayrin strich sich einige Strähnen aus
dem Gesicht. Langsam aber sicher gewöhnten sich ihre Augen an das
Zwielicht und sie begann, Umrisse zu erkennen.
Rys erging es ähnlich. Die Amazone lief
nur ein paar Schritte hinter Ayrin und musst ein paar mal nach vorne greifen,
um sie vor dem Stürzen zu bewahren.
"Da vorne. Da ist, glaube ich, was." Rys kniff
die Augen zusammen.
"Hrmmm. Sieht nach einer weiteren Platte aus."
Ghim seufzte.
Ungefähr zwanzig Schritte vor ihnen befand
sich eine deckenhohe Platte, die vom gleichen Gestein wie die Platte war,
welche den Eingang verdeckt hatte.
"Ayrin, sieh dir das an." Ghim hielt seinen
glimmenden Ast direkt vor die Platte.
Sie bestand aus weißem Gestein und die
Schriftzeichen, die hier sehr gut erhalten waren, waren mit Gold ausgelegt.
"Unglaublich." Rys verschlug es schier den
Atem.
"Aus schwarzem Stein geboren, bewohne ich
ein Flammenmeer. Um meiner Herrin zu dienen, erwarte ich ihre Wiederkehr.
Ich bin der Wächter des Sternmetalls." Ayrin fuhr in der Luft die
Schrift nach.
"Scheint eine Art Bann zu sein. Aber keiner,
den ich kenne." Ghim schüttelte den Kopf.
Ayrin legte den Kopf schief. Dann ging sie
näher an die Platte. Vorsichtig drückte sie auf zwei Schriftzeichen.
Mit lautem Krachen und Ächzen schob sich die schwere Platte zur Seite.
"Faszinierend dieser Mechanismus. So etwas
habe ich noch nie gesehen ..." Ghim sah bewundernd zu der Platte, die in
einer Mauer verschwand.
Rys zog Ayrin nach hinten. Der athletische
Körper der Amazone war gespannt wie eine Bogensehne. Wer wusste schon,
welcher Dämon hier gebannt war.
Aber nichts geschah.
Ghim hielt den Ast in den neuen Raum. Glänzender
schwarzer Stein reflektierte das schwache Glühen. Der Raum war quadratisch
und der Boden, die Wände, sogar die Decke waren aus eben diesem schwarzen
Stein gefertigt. Es sah vollkommen natürlich aus. In der Mitte des
Raumes befand sich ein massiver rechteckiger Altar aus Stein. Er war mit
kunstvollen Reliefs verziert.
"Schwarzer und weißer Onyx", hauchte
Ghim andächtig. Er wagte es kaum zu atmen.
Auf dem Altar stand eine kleine Halterung
aus purem Gold. Die drei Beine waren fest mit dem Altar verbunden und ein
eiförmiger Stein lag oben auf. Über dem Stein hing, von einer
Kette aus Gold gehalten, ein schmales Schwert, offenbar für eine Frau
geschmiedet.
Schweigend harrte die kleine Gruppe vor dem
Altar. Nach einer endlos scheinenden Zeit ging Ayrin auf den Altar zu.
Sie streckte eine zierliche Hand nach dem Stein aus und berührte ihn
vorsichtig. Er war glatt und warm. So wie sich normalerweise kein Stein
anfühlte. Sanft hob sie ihn von seiner Halterung herunter und drückte
ihn an sich. Sie zog ihre Schürze aus und wickelte den Stein darin
ein. Aus welchem Grund sie das tat, wusste sie nicht, aber der Stein brauchte
Wärme. Die Bänder der Schürze wand sie sich um die Schulter
und machte sie fest, so dass sie den Stein bequem in ihrer behelfsmäßigen
Tasche tragen konnte.
"Ayrin ..." Rys’ Stimme war so weit weg, so
weit ...
Ayrin stellte sich auf die Zehenspitzen, streckte
sich noch ein bisschen und griff nach dem Schwert. Es war leicht wie eine
Feder und ein seltsam vertrautes Gefühl überkam sie.
Wie in Trance drehte sie sich zu ihren Gefährten
um und ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen.
"Mädchen ..." Ghim trat auf sie zu und
schüttelte sie sanft. "Gib mir das Schwert. Es ist bestimmt zu schwer
für dich." Er griff danach.
Ayrin blickte ihn fragend an, händigte
ihm aber dennoch das Schwert aus. Ghim nahm es an sich und sackte sofort
nach unten. Er keuchte.
"Wie kannst du es nur so einfach tragen ...
Es wiegt doch mindestens drei Zentner ..."
Ayrin blinzelte, als wäre sie gerade
aus tiefem Schlaf erwacht.
"Meister Ghim! Seid Ihr verletzt?" Sie kniete
sich besorgt neben ihn.
"Du sollst mich doch nicht 'Meister' nennen
..." Er legte das Schwert ab und richtete sich wieder auf.
"Hm. Vielleicht kann nur eine Frau dieses
Schwert tragen. Ich erinnere mich, dass auf der zweiten Platte von einer
Herrin
die Rede war." Nun bückte sich Rys und griff nach dem Schwert; aber
auch sie war nicht in der Lage, es anzuheben.
Beide blickten Ayrin an. Diese beugte sich
hinunter und hob das Schwert hoch, als hätte es kein Gewicht.
"Genau. Eine Herrin." Der Zwerg lächelte.
"Und wie es aussieht, haben wir soeben die Herrin gefunden."
"Ich kann ja verstehen, dass du das Schwert
willst. Aber diesen hässlichen Stein?" Rys schüttelte den Kopf.
"Doch! Er muss mit! Es ist nur ein Gefühl,
aber ich glaube, der Stein und das Schwert gehören zusammen." Ayrin
drückte den Stein fester an sich.
"Seltsam ist nur, dass wir dem Wächter
nicht begegnet sind." Ghim sah sich um.
"Und das Sternmetall?" Rys wurde langsam nervös.
Ihr Instinkt schlug Alarm. Etwas war nicht so, wie es hätte sein sollen.
"Wenn ich mich nicht täusche, besteht
das Schwert aus Mithril." Ghim nickte in Ayrins Richtung.
"Wir sollten langsam gehen. Hier stimmt etwas
nicht." Rys wandte sich um und die anderen folgten ihr.
Sie liefen wieder durch den Korridor, der
ihnen dieses mal gar nicht mehr so lang schien und stiegen die Treppe hinauf.
Als sie wieder an der frischen Luft waren,
schloss sich die erste Platte selbständig. Sie gingen um die Felsen
herum.
"Es scheint, als hätten dich deine Instinkte
getrübt, Rys." Ghim deutete auf die stille Lichtung.
Es war ruhig und friedlich. Der Wind streichelte
sanft über die Grashalme. Er liebkoste die Blätter der Bäume
und ließ sie leise rauschen. Das Wasser plätscherte sanft in
den See. Aber doch, irgendetwas stimmte nicht.
"Es ist so friedlich hier." Ayrin lächelte
Rys an.
"Eben. Es ist zu still. Wieso höre
ich keine Tiere? Normalerweise..." Weiter kam sie nicht.
Der Kampflärm brach zwischen den Bäumen
aus. Sechs Kreaturen stürmten auf sie zu. Ihre schwarze, schuppige
Haut glänzte feucht im Licht des Mondes. Sie liefen auf zwei Beinen,
waren aber keine Menschen. Ihre Schädel waren haarlos und aus ihren
geifernden Mäulern ragten gelbe und schwarze Zahnstümpfe.
Mit einer fließenden Bewegung nahm Rys
ihren Bogen und griff nach einem Pfeil. Sie zielte und schoss in einer
Bewegung. Der Pfeil fand sein Ziel direkt zwischen den Augen des ersten
und streckte den Angreifer nieder.
Ghim griff nach seiner zweiblättrigen
Axt und hob sie.
"Arrakhôr!" Der Schlachtruf des Zwerges
ließ die Kreaturen für einen Moment innehalten. Sie glotzten
in die Richtung, aus der sie den Schrei hörten.
Rys spannte ihre Sehne und schoss zwei Pfeile
in Folge ab. Wieder fanden sie ihr Ziel und zwei weitere Angreifer fielen.
Nun mischte sich auch Ghim energisch ins Geschehen
ein. Mit erhobener Axt stürmte er auf den ersten, den er sah, zu.
Wie ein warmes Messer in ein Stück Butter drang die scharfe Klinge
seiner Axt in die Seite seines Gegners. Er spuckte Blut und brach zusammen.
Sofort wandte sich der Zwerg dem nächsten zu. Dieser war wohl der
Anführer. Seine Rüstung war dicker als die der anderen und aus
den verschiedensten Teilen zusammengeschmiedet. Er führte einen massiven
Streitkolben und ließ ihn kraftvoll auf den Zwerg niederfahren. Ghim
parierte mit seiner Axt. Hieb folgte auf Hieb. Ghim wurde weiter in die
Defensive gezwungen. Rys konnte ihm nicht helfen, da sie selbst mit dem
letzten Angreifer zu tun hatte. Außerdem musste sie Ayrin beschützen.
Der Angreifer war schon zu nahe für Rys’
Pfeile. Sie hechtete zu der Tragstange und führte sie wie einen Kampfstab.
Die Amazone wirbelte die Stange über ihrem Kopf und ließ sie
schwungvoll auf den Kopf ihres Gegners krachen. Ein widerliches Geräusch
folgte und die Kreatur ging zu Boden.
Ayrin stand noch immer regungslos an dem Platz,
wo Rys sie zurückgelassen hatte. Sie zitterte am ganzen Leib und wagte
kaum zu atmen.
Rys indes legte wieder einen Pfeil an. Sie
zielte, aber schoss nicht. Die Amazone konnte nicht abschätzen, ob
der Pfeil nicht vielleicht Ghim treffen könnte.
Der Zwerg hatte es geschafft, seine zweite
Axt zu ziehen. Während er mit der großen, schweren die Hiebe
parierte, suchte er mit der Wurfaxt nach Schwachstellen. Der Anführer
der Kreaturen riss seinen Streitkolben nach oben, Ghim duckte sich, hob
die leichte Axt und ließ sie in seine ungeschützte Achselhöhle
krachen. Stöhnend und gurgelnd brach auch der letzte Gegner zusammen.
Rys senkte den Bogen und rannte zu Ayrin.
"Geht es dir gut? Bist du unverletzt?"
Ayrin nickte.
Ghim zog angewidert seine Axt aus dem toten
Körper. Er säuberte die Klingen an der Kleidung der Angreifer.
"Bravo!" Eine fremde Stimme ließ die
Drei herumwirbeln. Auf den Felsen stand ein Mann in schwarzer Rüstung.
Er hatte die Kapuze seines Umhangs tief ins Gesicht gezogen. So war es
unmöglich, sein Gesicht zu erkennen.
"Wie ich sehe, habt ihr das Portal öffnen
können." Er deutete auf Ayrin, die das Schwert immer noch an sich
drückte.
"Rühr sie ja nicht an!" Rys hob ihren
Bogen erneut und schoss auf den Fremden. Er fing den Pfeil mit einer geschickten
Bewegung ab und brach ihn in der Mitte entzwei.
Ein überraschtes Keuchen entwich ihrer
Kehle.
Gemächlich setzte sich der unbekannte
Mann in Bewegung. Er sprang von den Felsen und schlenderte an Ghim vorbei.
"Graahr!" Ghim schwang seine Axt, jedoch der
Fremde war schneller. Mit einer für das Auge kaum wahrnehmbaren Bewegung
hatte er sein eigenes Schwert gezogen und fing die Schläge geschickt
ab. In einer finalen Kombination bückte er sich, hieb in schneller
Folge auf den Zwerg ein und schlug ihm schließlich mit einer immensen
Kraft die Axt aus den Händen. Durch die Druckwelle wurde Ghim an die
Felsen geschleudert und blieb benommen liegen.
"Ghim!" Rys schnappte sich erneut die Stange
und ging auf den Fremden los. Sie wusste, Holz konnte gegen Stahl nichts
ausrichten, aber ihren Freunden hielt sie im Kampf stets die Treue und
wenn es ihr eigenes Leben kosten sollte.
Er parierte ihre Angriffe mit der Breitseite
seines Schwertes und vollführte schließlich die selbe Kombination,
die schon Ghim das Bewusstsein gekostet hatte. Aber sie war vorbereitet.
Blitzschnell duckte sie sich und das Schwert des Mannes riss ihren Arm
auf. Blut spritzte. Sie unterdrückte einen Schrei. Er hob seine freie
Hand und schlug ihr einmal kräftig mit der Faust ins Gesicht. Die
Amazone ging zu Boden.
Er senkte seine Waffe und ungehindert ging
er weiter auf Ayrin zu. Ängstlich wich sie zurück, bis ein Baum
ihre vorsichtige Flucht beendete.
"Du bist es wirklich." Seine Stimme klang
eigenartig sanft und vertraut. Der Fremde streckte seine Hand nach Ayrin
aus. Sie kniff verängstigt die Augen zusammen.
"AYRIN!" Daimyon und Rem preschten aus dem
Wald. Der Söldner hielt direkt auf den Unbekannten zu. Rem rannte
zuerst zu seiner Schwester, dann zu Ghim.
"Fass sie ja nicht an!" Noch im Laufen zog
er sein Schwert. Als er es in der Hand hielt, war aus dem schmucklosen
Breitschwert ein prächtiges Schwert mit schwarzer Klinge geworden.
Der Namenlose zuckte zusammen. Missmutig wandte er sich von Ayrin ab und
hob sein Schwert.
Beide Männer umkreisten sich, starteten
Testangriffe und Finten, um die Schwachstellen des Gegners ausfindig zu
machen.
Der erste Angriff kam von Daimyon. Er hieb
blitzschnell auf den Gegner ein. Nach ein paar Hieben hatte sich der Fremde
an den Rhythmus gewöhnt und fing alle Schläge ab. Er konterte
mit einer ebenso schnellen Parade. Beide waren gleichstark. Plötzlich
hob der Unbekannte sein Schwert direkt vor sein Gesicht. Es war eine Art
Salut. Dann steckte er es zurück in die Scheide und verschwand im
dunklen Wald.
Ayrin atmete heftig. Daimyon ging sofort zu
ihr.
"Daimyon..." Sie torkelte auf ihn zu. Dann
wurde es schwarz um sie herum und sie fiel in seine Arme.
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