Sebrina A'Leve von Knuddeldrache
Kapitel 1 (Teil 2): Der Weg in die Nurnauen

Am nächsten Morgen war sie so ziemlich die Letzte, die erwachte, und sie fühlte sich gut ausgeschlafen, ein Eindruck, den sie zumindest von den Schwestern nicht gewann. Membar und Frühstück waren schon vorbereitet und die meisten Sachen gepackt. Die Tiere außer Baja waren beladen und so stand nach dem Frühstück nichts mehr zwischen ihnen und dem endgültigen Verlassen der besiedelten Gebiete.
Warn führte sie auf schmalen Pfaden durch die dichten Wälder, vorsichtig spähte er die freien Heideflächen und großen Lichtungen aus, damit sie keine unliebsamen Überraschungen erlebten.
"Im Prinzip", so erklärte Warn ihnen während einer Pause, "is dies alles Niemandsland. Es gehört offiziell keinem, das heißt aber nich, dass es nich bewohnt is. Manch Abenteurer und Waldläufer hat hier irgendwo seine Hütte und auch n’paar kleine Stämme wilder Menschen und Orks lebn hier. Für die wärn wir natürlich eine willkommene Bereicherung."
Die Schwestern sahen sich ängstlich um und fragten dann: "Bereicherung der Speisekarte?"
"Nein, allen Ammenmährchen zum Trotz, die ihr so gehört haben mögt, fressn Orks keine Menschen und auch die Wilden sind keine Kannibaln. Nein, ich meine Bereicherung im Sinne von Gold, Kleider und vor allem Ausrüstung. Hier in den Gärtn sind Waffn schwer zu bekommn."

So zogen sie immer weiter nach Süden. Jeder von ihnen hatte verschiedene Gerüchte über dieses sagenhafte Schloss aufgeschnappt, aber keiner wusste auch nur andeutungsweise, wo es liegen mochte. Warn war der einzige, der sich wenigstens ganz grob mit der Lage der Nurnauen auskannte. Er wusste immerhin, dass die Irrgärten nach über 300 Meilen im Süden am Hohen Fjordgebirge endeten. Im Osten gingen die zerklüfteten Berge in weiter Ferne langsam in die sanfteren Hänge der Meeresreiche über und was im Westen lag oder ob sie dort überhaupt begrenzt waren, war ihm nicht bekannt. Die Südlichen Reiche wurden von der Großen Mauer begrenzt, einem senkrechten Steilabbruch von einigen hundert Schritt Höhe. Was dort oben lag, wusste wahrscheinlich niemand. Nun, vielleicht einige ganz wenige der größten Abenteurer der Reiche und Wälder, aber die redeten nicht sehr viel, sofern sie noch lebten. Es war auch nicht bekannt, wie lang die Große Mauer war, denn weit im Westen endeten die besiedelten Gebiete am Westrand und in den Wilden Wald dort traute sich niemand. Die Mauer jedoch war dort noch fast unvermindert hoch. Angeblich durchschnitt die Gärten der Nurn weiter Östlich in etwas weniger schroffem Gebiet einen Pfad, der zu einer Herberge führen sollte. Manchmal berichteten Abenteurer vom ‚Wild Inn’, einer Wirtschaft am Rande des Fjordgebirges, die sich selbst den südlichsten Ausläufer der zivilisierten Gebiete nannte. Erst wollten die Anderen ja dort mit der Suche beginnen, doch Warn hatte Bedenken:
"Wenn im Wild Inn etwas Genaueres über dieses Schloss bekannt wäre, dann kursierten längst konkretere Geschichten darüber. Nee, wenn man da was weiß, dann rückt man nicht damit heraus. Wir werden selber suchen müssen."
Am Mittag dieses Tages begannen sie ihren ersten steileren Anstieg über die Randgrate. Seba lächelte in sich hinein, als sie die verbissenen Gesichter der Schwestern sah. Sie hoffte, sie würden zur Vernunft kommen und endlich freiwillig umkehren. Denn wenn sie sie zwang zu gehen würden sie sicher auf eigene Faust weitersuchen. Die Zeit, als sie selbst in diesem Alter war, war noch nicht so lange her, als dass sie sich nicht noch sehr genau daran erinnert hätte. Allein aber würden sie sicherlich nicht überleben. Als sie jedoch am späten Nachmittag den Sattel erreichten, strahlten die Mädchen vor Freude es geschafft zu haben. Auch wenn ihnen das Lächeln beim Blick auf die vielen Gipfel und Täler, die vor ihnen lagen, gleich wieder verging, waren sie doch sicher, es schaffen zu können.
Esmond hatte von der Truppe außer den beiden die größten Probleme gehabt den steilen Weg zu meistern. Er schnaubte schwer, doch als Karim und Warn ihm anboten ihm einen Teil seines Gepäcks abzunehmen grunzte er nur: "Entweder ich schaffe diesen Hügel und beiße mich durch das verdammte, herinaverlassene Gebirge, oder ihr könnt meinen faltigen Kadaver unter den Steinen verscharren."
Warn klopfte ihm auf die Schulter und meinte: "Das wird schon wieder, alter Mann... Wenn mal der Alkohol aus deinen Muskeln und aus deinem Willen raus is, dann kannste wieder Bäume ausreißen."
Karim grinste breit und hieb ihm seinerseits die Pranke auf den alten, gebeugten Rücken, dass Esmond einige Schritte vortaumelte. "Bäume vielleicht nicht gleich, aber hier oben hat es ja nen Haufen Heidekraut, damit wird’s schon gehen."
Die beiden Jüngeren lachten laut und auch Seba musste grinsen, sie wusste, dass die beiden es nicht so meinten und auch, dass Esmond das Gerede nicht sehr ernst nahm.
So schimpfte er auch: "Ihr habt gut lachen. Grün hinter den Ohren und noch Mutters Brust im Kopf, aber sich über die weisen Leute lustig machen. Na wartet, wenn ihr mal schwer verletzt rumliegt, ich werd’s euch schon zeigen. Dann heil ich euch besonders schmerzhaft und hab noch nen riesen Spaß dabei."
Er lachte übertrieben gehässig als die beiden sich bei der Vorstellung mit schmerzverzerrten Gesichtern ansahen.
Seba schmunzelte über den nicht ganz ernsten Streit ihrer Männer... Jetzt dachte sie von ihnen schon als ihre Männer... Sie musste sich zusammenreißen, sie war hier nicht die Anführerin. Sie ließ ihren Blick über die vielen Gipfel gleiten, die von hier aus zu sehen waren. Die Berge wurden höher und höher. Bald schon, wahrscheinlich schon nach dem nächsten Pass, mussten sie den Weg durch die Täler und Schluchten nehmen, die Pässe und Sättel würden unerreichbar hoch werden. Schnee glitzerte noch, mitten im Sommer, von den Nordflanken der Hänge. Es war ein schönes und wildes Land. Gefährlich bestimmt, aber reizvoll. Nirgends waren Siedlungen oder Höfe zu sehen. Kein Rauch aus Kaminen oder von Feuerstellen. Sie würden aufpassen müssen mit Feuer. Rauch war hier weit zu sehen und konnte unliebsame Gesellschaft einladen. Seufzend riss sie sich los und drehte sich zu ihrer Truppe um. Die waren noch immer dabei sich zu hänseln, jetzt ärgerten sie gerade Warn wegen seiner schlanken, fast dürren Gestalt. Seba schüttelte den Kopf, das konnte heiter werden, mit dieser Bande durch die Wildnis.
Sie unterbrach sie: "He, wir sollten aufbrechen. In den Tälern wird es schneller dunkel als hier oben. Seht, dort unten ist schon kein Sonnenlicht mehr." Dann dachte sie: ich will nicht die Anführerin sein, aber ich mache mir die Gedanken einer solchen und treffe schon solche Entscheidungen... Ich sollte damit aufhören.
Warn wurde ernst: "Sie hat recht, hier obn wird’s heute Nacht eiskalt. Wir solltn so weit wie möglich runter und wieder in den Wald kommen, dort is’s nachts geschützter und wärmer."
Karim grinste und sagte: "Na, vielleicht finden wir in den Felsen ein Stück unterhalb ne schöne Höhle in der es warm ist und trocken."
Warn schüttelte den Kopf und wollte etwas sagen, aber Esmond kam ihm zuvor: "So gern ich in einer warmen Höhle läge, Karim, aber bequeme und trockene Höhlen sind in diesen Gegenden meistens bewohnt."
Warn fügte hinzu: "Der Alte Mann hat recht" - Esmond bleckte seine restlichen Zähne - "wir dürfn keine Aufmerksamkeit erregen. Auch Feuer solltn wir uns wann möglich verkneifn."
Die Schwestern stöhnten und fingen schon an zu maulen als Sebrina meinte: "Man sieht hier den Rauch zu weit und nachts ist ein Feuer von den Gegenhängen immer zu sehen. Genug palavert, wir müssen wirklich los."
Ernüchtert und still begannen sie den Abstieg, der länger andauerte als sie gehofft und erwartet hatten, da die Packtiere bergab immer wieder stehen blieben und nicht weiter wollten. Es war schon fast dunkel, als Warn sie auf einer geschützten, kleinen Lichtung im Talgrund an einem Bach erwartete.
"Ich denk, hier können wir rasten. Wenn wir nur wenig Holz auflegen, dann können wir wenn’s dunkel ist dort unter der Fichte hinter dem großen Fels ein Feuer machn und auch schlafn."
Seba besah sich die Stelle und musste zugeben, dass Warn ein Auge für so etwas hatte. Eine große Fichte wuchs ziemlich frei auf der Lichtung zwischen einigen größeren Felsblöcken. Unter ihrem dichten Astwerk und zwischen den Felsen war fast etwas wie eine Höhle entstanden. Geräumig genug für alle und geschützt genug um ein Feuer zu machen das von oben nicht gesehen werden konnte. Die Schwestern wurden dazu verdammt Holz zu holen und zu kochen. Als sie sich beschweren wollten, sagten die anderen einstimmig, als hätten sie sich abgesprochen, dass sie dafür nachts keine Wache zu halten brauchten. Damit waren die todmüden Mädchen zufrieden und die vier waren sich stillschweigend einig es ab jetzt immer so zu machen. Sie würden eh nicht schlafen können wenn eines der Mädchen wachte oder eben auch nicht wachte.
So bekamen die Mädchen im Laufe der langen Wanderung auch noch ihre Daseinsberechtigung und die anderen redeten ihnen immer wieder gut zu, dass sie die Dinge, die sie hier beim Kochen und Improvisieren lernten, bei ihrer neuen Anstellung bestimmt gut brauchen konnten. Tatsächlich wurden die Kochkünste der beiden immer besser und sie begannen mit Kräutern zu experimentieren, nicht jedoch ohne vorher Warn oder Esmond, die sich beide etwas damit auskannten, zu fragen.
An diesem Abend jedoch war das Essen ein ‚unvergessliches Ereignis’, wie sich Karim freundlicherweise ausdrückte. Die Tiere waren versorgt und angebunden, Baja spazierte um das Lager und schnüffelte herum und fünf der sechs krochen langsam unter ihre Decken. Seba bekam die erste Wache, gab zwar nach, machte den drei aber deutlich, dass sie nicht bereit sei immer die erste Wache zu nehmen, nur weil sie eine Frau sei. Nach zwei ereignislosen Stunden löste Esmond sie ab, der wiederum nach zwei Stunden von Karim ins Bett geschickt wurde. Die letzten zwei Stunden übernahm Warn, der dann morgens das Feuer ausbrennen ließ, nachdem er heißes Wasser für Membar gekocht hatte. Nach kurzem Frühstück und dem Verpflegen der Tiere ging es weiter Richtung Süden, dem nächsten Anstieg entgegen.
Es wurde ein mühsames Unterfangen. Schon zu Anfang dieses zweiten Anstiegs wurde klar, er musste der letzte sein. Zunächst stieg die Talseite noch vergleichsweise sanft an, je höher sie hinauf gelangten, desto steiler wurde der Weg und desto häufiger mussten sie felsige Abschnitte umwandern. Bis zur Sattelhöhe hatten sie etliche schmale Bänder zwischen senkrechten Wänden zu überqueren und nicht nur die Tiere scheuten vor dem tiefen Abgrund. Als sie endlich nach heftigen Strapazen und teilweise mit letzter Kraft die Höhe erreicht hatten, war es später als gestern und allen klar, sie würden heute nicht mehr bis ganz hinunter kommen. Zu allem Übel hatte sich der Himmel bedeckt und es begann immer stärker zu winden. Zu ihrem Glück war der Abstieg wesentlich flacher als der Aufstieg, jedoch noch immer steil genug. Auf halbem Weg hinab mussten sie sich endlich unter einen Überhang flüchten, weil es zu schütten begann. Der Wind peitschte die Böen bis unter den Vorsprung und Warn schrie gegen das Tosen an: "Ich werd los gehn und nen andren Platz suchen! Wartet hier!"
Er war kaum unter dem Überhang hervorgetreten, da war er schon vor lauter Regen nicht mehr zu sehen. Die anderen drängten sich hinter den verängstigten Tieren. Baja war natürlich mit Warn gegangen. Sie warteten eine ganze Weile und machten sich schon Sorgen, als Warn endlich zurück kehrte. Er triefte und schnaubte, dann rief er: "Kommt! N Stück weiter is ne kleine Höhle, aber groß genug für uns und die Tiere!"
Seba brüllte: "Wie weit?"
"Nich sehr! Hab nur so lang gebraucht um euch wieder zu findn! Man sieht fast nix! Bleibt dicht zusammen! Wenn jemand verlorn geht, is er futsch!" Sie marschierten langsam im Gänsemarsch hinter Warn her. Karim machte ein Stück Seil von einem der Packtiere los und hielt es den Mädchen hin. Sie hielten sich in der Mitte, Karim am Ende und Esmond davor. Karim hielt auch die Leinen der Ponys. Vor Esmond hielt sich Seba, in der anderen Hand ihr Maultier, und ganz vorne Warn, der sie führte. Das Pferd des Waldläufers schritt ungeführt neben ihm her und war scheinbar die Ruhe selbst, wie auch Baja, die eher einen unglücklichen Eindruck wegen der Nässe machte.
Tatsächlich war es nur ein kurzes Stück bis sie alle wohlbehalten an ihrem Seil an der Höhle ankamen. Karim und Warn brachten die Tiere nach hinten, wo sich auch Baja niederlegte und sich abtropfen ließ. Die Gruppe entledigte sich rasch der nassen Kleider und spannte ein Seil in der Höhle, um sie aufzuhängen. Die Mädchen fragten, ob sie ein Feuer machen dürften, und Seba, die seltsamerweise mal wieder gefragt worden war, sah Warn an.
Der nickte und sprach: "Wenn euch das trockene Gesträuch dort am Höhleneingang reicht, denn auch das bisschen Holz, das ihr mitgenommen habt, is pitschnass und Rauch können wir hier drin nich brauchen. Dass wir gesehen werden, ist bei dem Wetter kaum möglich, aber trotzdem werden wir den Eingang mit den nassen Mänteln etwas abhängen."
Sie spannten das Seil nun so, dass der untere Teil des Höhleneinganges so von den Mänteln verdeckt wurde, dass kein Licht des Feuers nach unten dringen konnte. Die Mädchen machten sich eifrig daran ein kleines Flämmchen zu entfachen und setzten zuerst Cha auf, damit die nasse Gesellschaft etwas Warmes in Händen und im Bauch hatte. Jeder hatte in der Zwischenzeit eine blecherne Tasse aus dem Kochgeschirr der beiden bekommen und jeder hielt das dampfende Getränk in beiden Händen, um sie zu wärmen. Lura schwang sich den Überwurf um die Schultern und winkte mit dem Topf zu Warn, der nickte. Pillipa bröselte und hackte Kräuter, schnippelte Kachwurzeln und kleine schwarze Rüben. Gleich darauf war Lura mit dem vollen Topf wieder da und strahlte. "Die Rinnsale an der Felswand sind klasse zum füllen und man wird kaum nass dabei."
Bald dampfte eine Suppe auf dem kleinen Feuerchen und nach einer Weile reichten alle ihre Tassen hin und ließen sie sich füllen. Heute war das Menü wesentlich besser als gestern und so schliefen sie bald im hinteren Teil der Höhle bei den Tieren, wo es wärmer war. Natürlich wurde abwechselnd gewacht und Baja lag die ganze Nacht neben dem jeweiligen Wächter und schlief nur halb. Am Morgen war das Wetter noch nicht sehr viel besser, obwohl Warn, nach einem Blick zum Himmel, behauptete, in einer oder zwei Stunden sei es vorbei. So saßen sie am Höhleneingang und besprachen, wie sie weiter vorgehen wollten.
Karim meinte: "Ich fürchte, wir werden ewig herumirren, wenn wir nur einige Meilen an dem Schloss vorbei ziehen, werden wir es nicht bemerken."
Esmond dagegen: "Es kann nicht so schwer sein. Es muß ja auch in einiger Entfernung Anzeichen von Leben geben. Eine so große Anlage wird nicht spurlos gebaut."
Warn schaltete sich ein: "Wer weiß schon, wie groß die Anlage is. Aber ihr habt beide n bisschen Recht. Wir solltn nich so planlos über die Hänge ziehn. Das Schloss wird kaum auf nem Gipfel stehen. Wenn wir den Tälern nach wandern, dann solltn wir irgendwann drauf stoßn."
Für Seba klang das nicht überzeugend und Karim antwortete auch prompt: "Wir können doch nicht jedes Tal durchstöbern. Wenn wir jetzt eines übersehen oder vergessen und gerade dort ist es..."
Seba murrte: "Wenns und Abers bringen uns nicht weiter. Es war nie sehr aussichtsreich, das war euch doch hoffentlich von vornherein klar. Wir werden einfach weiter suchen. Wenn es unsere Chancen verbessert, dann suchen wir eben in den Tälern weiter, einfacher ist es sowieso als immer über noch steilere Hänge auf und ab zu steigen. Was haltet ihr davon, dem Fluss oder Bach oder was auch immer dort unten abwärts zu folgen und dem nächsten größeren Gewässer wieder aufwärts?"
"Warum erst ab und dann aufwärts?" wollte nun Karim wissen.
"Wenn das da unten schon ein großer Fluss wäre, dann würden wir natürlich aufwärts ziehen. Ich glaube mich zu erinnern, und Warn wird mir da wohl zustimmen, dass die Nurn der größte Fluss hier ist und die fließt durch die ganzen Nurnauen. Ihr flussab zu folgen heißt hier wieder raus zu wandern, und das wollen wir ja nicht, oder?" Alle schüttelten die Köpfe. "Also gut, ein großer Fluss ist lange unterwegs. Ich glaube kaum, dass das Schloss, so es existiert, sehr weit im Norden sein wird. Also wäre ein großes Flusstal gut dazu weit in den Süden vor zu dringen, natürlich nur wenn es nach Süden führt, ist ja klar."
Warn grinste, die anderen vier starrten Seba nur mir großen Augen an. Seba sah flehentlich zu Warn. "Hilf mir doch..."
Warn gluckste, sagte dann aber doch: "He, is schon gut. Wisst ihr Leute, ich denk Sebrina und ich sind einer Meinung und wenn ihr es nicht versteht... Stört uns das nicht weiter. Klar is, wir müssen nach Süden. Oder?"
Die vier anderen nickten.
"Na dann suchn wir uns ein breites Flusstal, das nach Süden führt, je breiter, desto weiter kommn wir nach Süden. Oder?"
Die Vier nickten.
"Dann packt mal eure Sachn und richtet die Tiere, denn es wird in ner viertel Stunde aufhörn zu regnen, klar?"
Die Vier nickten wieder.
"Außerdem seid ihr trübe Tassn und habt nur Stroh im Kopf, klar?"
Die Vier begannen nahezu, aber eben nur nahezu sofort zu murren und ihn anzupflaumen und Warn grinste. "Schade, sie warn grade so schön am Nickn."
Sie sattelten und beluden die Tiere und zogen ihre wieder trockenen Überwürfe an. Dann stapften sie zum Höhleneingang um Warn zu ärgern, weil der Regen nicht aufzuhören schien. Warn jedoch deutete hinaus und sagte: So schnell die Regenfälle im Gebirge beginnen, so schnell enden sie auch."
Er setzte sich am Eingang hin, packte eine kleine Flöte aus und begann zu spielen. Seba hatte ihre Laute versetzt, weil sie die Reise ohnehin nicht überlebt hätte und hatte nur noch eine sehr kleine Ausgabe einer Harfe dabei. Sie wollte sie gerade auspacken als Warn die Hand hob. "Lohnt sich nich mehr Seba, glaub mir." In dem Moment riss die Wolkendecke und der erste Sonnenstrahl glitzerte durch den Dampf und den Regen. Der jetzt tatsächlich nahezu sofort versiegte. Sie traten vor den Eingang und Warn meinte nur noch: "Passt auf, es ist alles ziemlich glitschig jetzt!" Dann schritt er los.
Die anderen vorsichtig hinterdrein. Der Abstieg verlief nicht ohne mehrmaliges Ausgleiten und unten angekommen waren alle bis auf Karim und Warn von Schlamm überzogen. Sebrinas weiter Rock war eigentlich nur noch zum wegschmeißen, völlig zerrissen. Da sie aber hier draußen kaum einen anderen bekommen konnte, musste sie während den Pausen daran herum flicken so gut es eben ging. Die beiden Mädchen trugen weite Pluderhosen, die zwar fast alleine standen, aber nicht so sehr zerrissen waren.
Es war ein kleiner Bach, der am Talgrund dahin plätscherte. Sie folgten den ganzen Tag seinem Verlauf und gerieten dadurch weiter nach Osten. Am Abend fanden sie keinen geeigneten Platz zum Rasten und so blieb heute die Küche kalt und die Kleidung klamm. Sie legten sich eng zusammen, um sich gegenseitig zu wärmen und schliefen außer der Wache bald alle ein. Mitten in der Nacht wurde Seba von Karim geweckt, der Wache hatte. Warn war schon wach und Karim weckte leise noch Esmond auf. Die Mädchen ließen sie schlafen.
Karim flüsterte: "Irgnd jemand oder etwas schleicht rum, Baja hat mich gewarnt."
Warn machte seiner Hündin einige Zeichen und flüsterte als sie verschwand: "Ich schleich mich drumrum..."
Weg war er, die Nacht hatte ihn verschluckt. Seba war verwundert, kein Geräusch war von ihm zu hören und auch von seiner Hündin nicht. Karim zog so leise wie möglich sein Schwert und Esmond fasste die schwere Axt, die sie ihm gekauft hatten, fester. Sie saßen da, geduckt und abwartend, was da kommen mochte. Immer wieder raschelte es im Gestrüpp um sie herum, sie konnten aber nicht sagen, was es verursachte. Warn schien sich Zeit zu lassen. Was mochte dort draußen gerade geschehen. Seba wurde immer unruhiger, auch die anderen schienen sich Sorgen zu machen, doch flüsterte Karim ihr irgendwann zu:
"Bleib mal ruhig, wir können eh nichts machen. Selbst wenn Warn was passiert, was bestimmt nicht geschieht, was sollten wir denn ausrichten? Es ist stockdunkel und würde viel zu viel Lärm geben."
Seba antwortete nicht, musste ihm aber insgeheim recht geben, aber es dauerte so lange und immer wieder erschrak sie an einem leisen Rascheln oder Knacken im Wald. Plötzlich gab es einen kurzen Krawall direkt gegenüber der Seite, auf die sie alle starrten. Knurren und Grunzen, dann Warns gesenkte Stimme: "Still, sonst..." Es raschelte, als sich jemand auf sie zu bewegte. Dann sahen sie die verschwommenen Gestalten über die Lichtung kommen. Erst als sie sie fast erreicht hatten, konnten die zurückgebliebenen erkennen was da auf sie zukam. Warn hielt einen Ork der kleineren Rasse vor sich und hielt ihm mit der anderen Hand sein Jagdmesser an die Kehle. Sie folgten Warn, als er den Ork zu ihrem Versteck stieß. Sie setzten sich um den Gefangenen und Seba betrachtete sich diesen genauer, während die anderen auf ihn und sich gegenseitig einredeten. Natürlich waren bei dem Spektakel die Schwestern wach geworden und glotzten ängstlich und mit großen Augen auf den Gefangenen. Er schien noch recht jung zu sein, wenn Seba so etwas überhaupt einschätzen konnte, und er schien Angst zu haben, was nicht weiter verwunderlich war. Die drei Männer saßen um ihn herum und zischten ihn abwechselnd an. Laut zu werden traute sich in dieser Nacht keiner mehr. Ganz nebenbei hörte Seba Fragen wie: "Bist du allein?" "Woher kommst du?" "Wo ist der Rest deiner Bande?" Der Ork sah hilflos in die Runde und schien kein Wort zu verstehen.
Esmond sagte: "Wir sollten vorsichtig sein, wo einer ist, da sind immer mehrere."
Warn nickte und meinte: "Ich habe Baja losgeschickt, sie soll sich mal’n bisschen umsehen. Bevor sie nich zurück is, solltn wir mal abwartn."
Karim schnaubte: "Was gibt es denn da abzuwarten? Wir sollten ihn erledigen, bevor seine Freunde kommen!"
Seba schüttelte den Kopf und mischte sich nun ins Gespräch ein: "Wir können ihn doch nicht einfach töten, er hat uns doch nichts getan."
Die Schwestern stammelten noch immer total verängstigt: "N-Nein, bringt... bringt ihn um. Der... der wird uns alle töten..."
Warn sah Seba neugierig an, sagte aber nichts als sie weiter sprach: "Jetzt mal keine Panik. Es ist ein einziger Ork, nicht mal ein sehr großer. Nichts was uns jetzt akut gefährden würde."
Karim brummte: "Aber wir können ihn nicht laufen lassen, sonst haben wir die anderen am Hals."
Esmond pflichtete Karim bei und meinte weiter: "Wir sind mitten im Orkgebiet, und außerdem, er ist nur ein Ork..."
Seba wurde zornig: "Nur ein Ork? Ausgerechnet von dir, Herinapriester? Von dir hätte ich mehr erwartet. Ein Leben wie jedes andere. Ich hoffe, die Orks sind nicht so schnell mit dem Urteil wie du. Aber egal, er ist hier und hier bleibt er." Als Karim, Esmond und die Mädchen widersprechen wollten, schimpfte sie weiter: "Wir sind als Durchreisende hier und nicht als Killer, ich will keine Blutfehde mit den Bewohnern. Der Ork wird gefesselt und morgen sehen wir weiter, Punktum, Basta! Diskussionsende!"
Sie wunderte sich sehr, dass niemand widersprach. So, jetzt hatte sie den Salat, nun war sie endgültig das, was sie nie sein wollte, nämlich die Anführerin dieses Haufens. Jetzt lastete die ganze Verantwortung, vor der sie sich immer gedrückt hatte, auf ihr. Aber hätte sie deshalb den Ork opfern sollen? Nein, sie war sich ihres Weges sicher, oder zumindest fast. Während zwei ihrer Männer den Ork banden und knebelten, stand sie auf und ging ein Stück am Bachlauf entlang. Neben ihr tauchte plötzlich Baja auf und wedelte mit ihrem Schwanz. Ganz in Gedanken tätschelte Seba der Hündin den Kopf und kraulte sie zwischen den Ohren. Sie war mit ihrem Kopf so weit entfernt, dass sie erschrocken auffuhr als hinter ihr Warn plötzlich sprach: "Baja is ganz ruhig, es sind keine weiteren Orks in der Nähe. Der Junge war auf nem Jagdausflug als er über uns gestolpert is. Wahrscheinlich hat er noch nie Menschn gesehen."
Seba drehte sich zu ihm und sah ihm in die Augen.
"Hab auch noch nie nen Ork gesehen... Ach Warn, was soll ich nur tun? Ich will nicht diejenige sein, die hier das Sagen hat..."
"Ach? Aber das warst du schon als ich euch traf... Ich dacht, das sei so gedacht?"
Sie blitzte ihn an. "Ganz und gar nicht. Wir sind nur eine Zweckgemeinschaft!"
"Aber auch in ner Zweckgemeinschaft muss einer das Sagen habn. Du scheinst der Antrieb für diese Wanderung zu sein, da ist’s nur Recht und Billig, dass du auch die Anführerin bist."
"Und dann? Wenn ich die Anführerin bin, dann muss ich jetzt sagen, was mit dem Ork geschehen soll?"
"So wird’s sein."
"Aber was soll geschehen? Ich will ihn nicht töten, aber wir können ihn auch nicht gehen lassen. Was also soll ich den anderen sagen?"
"Was hast du für Alternativen?"
"Tja, das frag ich mich auch. Vielleicht könnten wir ihn mitnehmen..."
"Unsere Reise wird lang und beschwerlich genug, auch ohne dass wir jemanden mit uns schleppen, der das gar nicht will."
"Aber wenn wir ihn ein Stück nur mitnehmen? Gerade weit genug, dass uns sein Stamm nicht mehr so schnell erreichen kann und ihn da laufen lassen?"
Warn sah sie nachdenklich an. "Das wär ne Möglichkeit. Wasser werden wir auf unserem Weg genug haben und Nahrung... Na wo’s für sechs reicht, kommt’s auf’n siebtn nich an, denk ich. Aber den anderen darfst du das klar machen."
Sie sah ihn von unten herauf an und zuckte dann mit den Schultern.
"Na, wenn ich anführen soll, dann ist das ja kein Thema und wenn nicht, dann macht mal selber."
Sie standen schweigend nebeneinander und blickten in den düsteren Auwald, der hier am Talgrund wuchs. Dann wandte sich Seba um und trottete durch die Dunkelheit zurück zum Lager.
Karim und Esmond schauten sie fragend an, als sie das provisorische Lager wieder betrat. Sie wusste wohl, was sie von ihr hören wollten. Doch als erstes sah sie jedem der Anwesenden in die Augen. Die Zwillinge wichen ihrem Blick sofort aus, aber auch die beiden Männer hielten nicht lange stand. Seba richtete sich auf und verkündete so stolz wie möglich: "Wir werden den Ork mit uns nehmen! Zumindest soweit, bis wir ihn gefahrlos wieder laufen lassen können." Noch bevor die anderen etwas erwidern konnten fuhr sie fort: "Ich habe mich nicht aufgedrängt unseren Haufen anzuführen noch will ich es jetzt wirklich. Wenn ihr aber mich als Chefin wollt, dann werden wir über diese Entscheidung nicht diskutieren. Akzeptiert ihr das nicht, dann entscheidet von jetzt an euren Kram alleine!"
Keiner der Anwesenden sagte auch nur einen Ton. Der Ork schaute noch immer hilflos und verängstigt in die Runde, aber offensichtlich hatte keiner vor ihm etwas zu tun. Noch nicht zumindest. Seba starrte alle noch einmal der Reihe nach an, ob sich nicht doch noch jemand meldete. Auch Warn, der jetzt mit Baja wieder zu ihnen stieß, aber der verkniff sich scheinbar mühsam ein Grinsen und setzte sich wieder auf den Wachposten, denn durch die fortgeschrittene Stunde war nun er an der Reihe. Die anderen versuchten so gut es ging wieder zu schlafen.
 

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Und schon geht's hier weiter zum 3. (und letzten) Teil des 1. Kapitels...

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