Herrin der Schattengreife von Dragonmaid
2. Kapitel: Der Brief

Nun klopf schon an, drängte Dechesty sich in Akiras Gedanken. Akira zögerte noch einen Moment, dann klopfte sie an. "Komm herein", hörte sie Merlins Stimme von drinnen und betrat den Raum.
Merlin saß an seinem Schreibtisch, der vor einem großen Fenster stand. Rechts und links an den Wänden standen hohe Regale, die mit Büchern und Pergamentrollen vollgestopft waren. 
Auf dem Boden lag ein altmodischer Fransenteppich und an der Decke hing ein Kronleuchter aus Glas.
Als Akira die Tür hinter sich geschlossen hatte, wies Merlin sie an, Platz zu nehmen. Akira setzte sich Merlin gegenüber auf den Stuhl und wartete. Eine ganze Weile saß Merlin einfach da und sah sie an. Dann seufzte er und schob einen Umschlag über den Tisch in Akiras Richtung. "Ich möchte, dass du das hier liest", sagte er. Mit klopfendem Herzen nahm Akira den Umschlag in die Hand und musterte ihn. Es war der Brief, den sie Merlin heute Mittag gegeben hatte. Sie öffnete den Umschlag und zog ein Blatt Pergament heraus. Es war eine kurze Nachricht:

Lieber Merlin,
die Lage ist ernst. Die Herrin der Schattengreife hat den Schutzstein gestohlen. Schon lange habe ich vermutet, dass Esmira irgendetwas vorhat, ihre Schattengreife, die durchs Land streifen, sind in den letzten Jahren immer zahlreicher geworden. Nun, jetzt weiß ich es.
Ich bitte sie, helfen sie uns!
König Daros

Akira ließ den Brief sinken und sah Merlin entsetzt an. "Aber das heißt ja, dass die Welt in Dunkelheit versinken wird", sagte sie. Merlin nickte. "Wenn nicht schnell etwas unternommen wird", erwiderte Merlin, "hör zu. Der Schutzstein beschützt die Erde vor dem Bösen. Dieser Stein befindet sich normalerweise in einer versteckten Höhle, wo er in die Felswand eingelassen ist, wird er daraus entfernt, versinkt die Welt, wie du schon sagtest, in Dunkelheit. Es gibt eine Möglichkeit dies zu verhindern. Jemand müsste den Stein von Esmira zurückholen. Allerdings weiß niemand, wo ihre Festung steht.
Der König will anscheinend, dass ich derjenige bin, der das tut. Aber ich fürchte, ich bin zu alt für ein solches Unternehmen...!"
"Kein Problem, Dechesty und ich können das übernehmen", warf Akira ein.
Hey, ich möchte wenigstens gefragt werden, empörte sich Dechesty.
Keine Sorge, antwortete Akira, das hätte ich noch getan.
Aber wahrscheinlich erst, nachdem alles geklärt wäre und es kein zurück mehr gäbe.
Würdest du denn mitkommen?
Was bleibt mir andres übrig? Irgendwer muss ja auf dich aufpassen.
Darauf antwortete Akira lieber nicht und wandte sich stattdessen wieder an Merlin: "Wann sollen wir aufbrechen?" "Ich halte das für keine gute Idee", meinte Merlin, "aber uns bleibt keine andere Wahl. Keiner meiner Schüler ist gut genug um es mit Esmira aufzunehmen." "Dechesty und ich schaffen das schon", meinte Akira schnell und lächelte Merlin an. Dieser konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen: "Also gut", sagte er, "dann soll es so sein. Du kannst morgen aufbrechen, um Proviant kümmere ich mich." "Super", rief Akira und stand auf, "kann ich gehen, ich muss ein paar Sachen zusammen packen." Merlin nickte und sie verließ das Zimmer.
Auf dem Weg zu ihrem Zimmer summte sie vor sich hin, bis Dechesty sie unterbrach: Ich hoffe du weißt, auf was du dich da eingelassen hast. Esmira soll eine der größten Magierinnen sein, also freu dich nicht zu früh.
Ach was, so gut ist die auch nicht, meinte Akira.
Da wäre ich mir nicht so sicher.
Musst du immer alles mies machen? Freu dich, das ist unser erster großer Auftrag oder willst du lieber weiterhin Postbote spielen? Das ist unsere Chance, endlich mal ein Abenteuer zu erleben.
Stimmt, und wenn du dich nicht zusammenreißt, wird es gleichzeitig unser letztes sein.
Ach hör schon auf. Darf man sich nicht einmal mehr freuen?
Klar, aber ich würde mit ein bisschen mehr Ernst an die Sache rangehen.
Du kennst mich doch, wenn es losgeht bin ich immer ernst und bei der Sache.
Darauf gab Dechesty keine Antwort und wenig später stand Akira vor ihrer Zimmertür.
Als sie das Zimmer betrat, merkte sie gleich, dass jemand da gewesen war. Das Bett war gemacht und das Fenster geöffnet worden. Auf dem Stuhl lag ein leerer Lederbeutel und von draußen drangen die Stimmen der anderen Schüler und Schülerinnen herein. Akira nahm den Beutel und legte ihn aufs Bett. Dann nahm sie ihre Rüstung und ihr Schwert aus dem Schrank und breitete sie ebenfalls auf dem Bett aus. Prüfend schaute sie sich ihre Sachen an und verließ den Raum. Sie würde sich einen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen aus der Waffenkammer besorgen, damit sie auch eine Waffe für den Fernkampf dabei hatte. Als sie das Hauptgebäude verließ kamen ihr zwei Mädchen entgegen. Das Rechte hatte kurze rote Haare, die wild in alle Richtungen vom Kopf abstanden, und braune Augen. Es war genauso groß wie Akira und hatte eine schlanke Figur. Das Linke war etwas kleiner, dafür stämmiger gebaut als Akira. Es hatte ihre langen blonden Haare, die im Licht der Lampen, die zur Beleuchtung an der Hauswand hingen, golden schimmerten, hinten zu einem Zopf gebunden. In ihren blauen Augen blitzte der Schalk. Beide trugen, genau wie Akira, die Schuluniform.
"Hi, Akira! Wie geht’s?", begrüßten sie Akira und umarmten sie. Die Beiden, sie hießen Salena und Sarah, waren 15 Jahre alt und würden im Sommer die Schule verlassen. Sie hatten zusammen eine schöne Schulzeit hinter sich und waren die besten Freundinnen.
"Mir geht’s prima", sagte Akira. "Was machst du hier? Ich dachte du wärst am Hof des Königs angestellt", fragte Salena neugierig und auch Sarah schaute sie erwartungsvoll an. "Ich habe Meister Merlin einen Brief vom König überbracht", antwortete Akira. "Muss ja etwas wirklich wichtiges sein", meinte Sarah gespannt, "sonst hätte er Merlin nicht informiert. Weißt du, um was es geht?" Akira nickte. "Ich muss noch etwas besorgen, wir treffen uns in meinem Zimmer. Da können wir reden", sagte sie und setzte sich wieder in Bewegung.

Als sie mit einem Kurzbogen der Elfen und einem Köcher voller Pfeilen ins Zimmer trat, sahen Salena und Sarah sie überrascht an. "Was willst du mit dem Bogen? Und wozu hast du deine Rüstung auf dem Bett liegen", fing Sarah gleich an. "Immer mit der Ruhe, wenn ich euch gesagt habe, was in dem Brief stand, werdet ihr von allein drauf kommen", sagte Akira. Sie machte eine kleine Pause bevor sie fortfuhr: "Also, der Schutzstein ist gestohlen worden! Ihr wisst ja wohl, was das bedeutet!" Die entsetzten Gesichtsausdrücke ihrer Freundinnen waren Antwort genug. "Der König möchte, dass Merlin ihn zurückholt, aber Merlin sagt, er sei zu alt dafür", sagte Akira, "also hab ich mich bereit erklärt den Stein zurückzuholen..." "Du", unterbrach Salena, "weißt du auch, auf was du dich da eingelassen hast? Du könntest bei dem Unternehmen sterben!" "Jetzt wiederhol nicht das, was Dechesty mir auch schon gesagt hat", fuhr Akira sie wütend an, "ich weiß genau, auf was ich mich da eingelassen habe, klar? Außerdem irgendwer muss es ja tun!" "Ist ja gut, Salena hat es nicht so gemeint", versuchte Sarah zu beschwichtigen. "Tut mir Leid, Akira. Ich hab nur Angst um dich", entschuldigte sich Salena. "Schon gut, ich kriege auch ein mulmiges Gefühl im Magen, wenn ich daran denke Esmira zu suchen und in ihre Festung einzudringen", meinte Akira und die Beiden lächelten sich versöhnlich an. Da meldete Sarah sich wieder zu Wort: "Weißt du schon, wo du anfangen willst zu suchen? Ich meine bis jetzt weiß doch niemand wo die Herrin der Schattengreife sich aufhält, oder?" "Stimmt", antwortete Akira, "ich werde wohl als erstes die Elfen fragen. Wenn die keine Vermutung haben, dann muss ich mir etwas einfallen lassen." "Aber die Elfen sind erstens am anderen Ende des Königreiches und zweiten Fremden gegenüber misstrauisch", sagte Sarah, "und wo du doch keine ganze Elfe bist..." "Da hab ich auch schon drüber nachgedacht", meinte Akira achselzuckend, "aber ich kann doch auch nichts dafür, dass meine Mutter eine Wolfsfrau war."
Wolfsfrauen, so nannte man die Weiblichen Wolfsmenschen.
Das waren Menschen, die sich vor fünftausend Jahren mit Wölfen gepaart hatten. Daraus entstand eine Menschenrasse, die die Eigenschaften eines Wolfes hatte und sich, wenn nötig, in einen Wolf verwandeln konnten.
Akira, die ja nur zur Hälfte ein Wolfsmensch war, konnte dies allerdings nicht. Dafür waren ihre Sinne schärfer als bei einem normalen Menschen oder Elf, auch die scharfen Eckzähne hatte sie von ihrer Mutter geerbt.
"Die Elfen werden dir schon zuhören", meinte Salena, doch es klang nicht überzeugend, "Du schaffst das schon." "Und wenn sie es nicht schafft?", fragte Sarah, "wenn sie von Esmira getötet wird?" Salena sah Sarah erschreckt an: "Hör zu, Akira schafft das. Sie ist die beste Drachenreiterin, die es gibt, wenn einer es schafft, dann sie", sagte Salena beschwörend. Akira lächelte schwach: "Danke, dass du an mich glaubst", sagte sie, "ich weiß, dass ich nicht scheitern werde. Außerdem bin ich ja nicht allein, schließlich kommt Dechesty auch mit. Und jetzt lasst uns von was anderem reden, sonst lass ich mich von euch noch überzeugen, dass ich es wirklich nicht schaffe!"

Die Mädchen quatschten noch eine Weile über die Sachen, die sie zusammen erlebt hatten und wie es ihnen in letzter Zeit so ergangen war, dann gingen Salena und Sarah auf ihre Zimmer. Akira zog sich ein weißes Nachthemd an und legte sich ins Bett. Sie wünschte Dechesty eine gute Nacht und war kurz darauf auch schon eingeschlafen.
 

© Dragonmaid
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Und schon geht's weiter zum 3. Kapitel: Takus Auftrag

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