Sieben gegen Sieben von Itariss
Kapitel 1: Die Nacht des Todes

Riyonn ließ seinen glasigen Blick über Teras Andum schweifen. Bald würden die Lichter der majestätischen Stadt erlöschen, wie jede Nacht. Der sternenklare Himmel schien sich bedrohlich über Teras Andum zu erheben, so als würde er es mit kräftigen Armen umklammern, um es vor dem drohenden Überfall der Diebesgilde zu beschützen. 
Die waldkahle Ebene, die ihr Aussehen durch frühere Rodungen und das Bebauen von Getreidefeldern, oder das Nutzen der Wiesen für das Vieh der Städter erlangte, verstärkte diesen Effekt nur noch umso mehr.
Trotzdem verspürte Riyonn nicht das geringste Anzeichen von Furcht. Es waren reine Aufregung und Neugier, die ihm die Nervosität durch den Körper trieben. 
Zuvor hatte der Dieb die größeren Raubüberfälle auf Teras Andum oder das kleinere Vyacess Grao nur aus der Ferne bewundern können. Damals waren seine Fähigkeiten noch weniger ausgeprägt und vielseitig gewesen, wie an jenem Tag. Dieses Mal würden er und Imogen dabei sein, wenn es ans Beuteeintreiben ging.
Wie bereits geplant, hatten sich er und Imogen mit dem weniger kampferprobten Teil der Gilde, die größtenteils aus jüngeren und unerfahreneren Leuten bestand und damit auch den kleineren Teil der Verbrecherorganisation ausmachte, auf die Lauer gelegt. Sie würden das Lichtzeichen des sich momentan an die westlichen Stadttore anpirschenden größeren Teils abwarten, um dann als eigentliche Räuber durch die Abwasserkanäle des östlichen Stadtteils und somit am anderen Ende Teras Andums hineinzugelangen und dort zuzuschlagen, während zur gleichen Zeit am Westtor die restlichen Diebe den direkten Überfall markieren werden. Das wiederum würde in ein Massaker mit den Stadtwachen, den Andumir, ausarten, die die meisten ihrer Leute deshalb wahrscheinlich dorthin schicken würden. Doch war selbstverständlich nicht zu erwarten, dass sie ausschließlich alle Stadtwachen zu den Westtoren sendeten. Einige würden garantiert auf ihren Posten bleiben, sodass die kleinere Gruppe Diebe nicht einfach ungehindert in der Stadt umher tanzen könnte und dort ihre Beute - Gold, Silber, Nahrung und Kunstgegenstände - nur noch einsammeln bräuchte. Zwar würden diese wenigen Posten den Dieben das Stehlen um einiges erschweren, denn die Stadtwachen Teras Andums waren sehr effektive Kämpfer.
Doch dafür war vorgesorgt. Riyonn, Imogen und der Rest der kleineren Gruppe waren mit Weidenbogen und mörderischen Lyk-tai Kampfsäbeln ausgerüstet. Außerdem führten sie, aufgrund der immensen Kosten ziemlich wenig, Sprengstoff mit sich, in nässedichten Holzkästchen verwahrt.
Zusätzlich trugen die Diebe eiserne Kampfmonturen, die sie schützen sollten – leider nicht undurchdringbar, aber sehr robust gegenüber Schwertern und anderen Nahkampfwaffen, wohingegen es für mit Distanzwaffen abgefeuerte Pfeile und Bolzen fast ein Leichtes war, das Eisen zu durchdringen.
Doch was war dieses kleine Risiko des Todes gegen die unermessliche Anzahl Beutestücke, die dieser Zug der Gilde einheimsen würde? So jedenfalls hatten es auch alle anderen Mitglieder der Gilde identifiziert.
Ausgeklügelt und erstellt wurde der Plan zu diesem Überfall von Taron, Taron Greyhand, jener Gründer der Gilde und ihr Führer.
Keiner aus der Gilde wusste, seit wie vielen Jahrhunderten der spinnenbeinige Elfen-Mutant schon lebte, seine Umwelt mit seinem urtümlichen Atem verpestete.
Allenfalls war dieser Plan, den Taron entwickelt hatte, viel komplizierter und schlauer bedacht, vor allen Dingen aber größer angelegt als die vorigen. Bisher brüsteten sich die Diebe der Gilde lediglich mit Überfällen auf Handelskarawanen, Wanderer, Bauern rund um Teras Andum oder Vyacess Grao, Botschafter, Steuereintreiber oder einfache Leute, die sich aus den sicheren Mauern der Stadt herausgewagt hatten. 
Doch waren Tarons Pläne immer unzweifelhaft perfekt ausgearbeitet worden, wenn ein Fehler geschah, so lag das an denen, die ihn durchführten. Riyonn wiegte dieses Wissen in einer gewissen Sicherheit. Seine schwarzen Haare wurden von einem sanften Wind durchsäuselt.

* * *

"Was meinst du, was die anderen dort drüben noch so lange treiben?" Imogen zupfte ungeduldig am Ärmel ihres Ziehvaters Zoran. Unsicher sah sie in den emotionslosen Blick seiner blassgrünen Augen.
"Es wird sicher nicht mehr lange dauern. Sieh, die ersten von uns beginnen schon nach dem vereinbarten Lichtzeichen Ausschau zu halten. Mach dir keine Gedanken darüber, wann es losgeht... du wirst bald merken, dass es hier mit stehlen allein nicht getan ist. Bald wird dein Säbel das erste Blut seiner Feinde schmecken. Auch du selbst wirst den Geschmack des Blutes auf deiner Zunge kleben haben. Du wirst eins werden mit deiner Waffe und wie ein Hammer einschlagen. Doch du wirst auch spüren, was ein solcher Angriff alles mit sich bringt. Unheil, Schmerzen... Tod. Die Nacht ist das Leichentuch."
Imogen unterdrückte die Übelkeit, die mit der widerlichen Beschreibung ihres Ziehvaters in ihr aufkam. "Aber ich dachte, die anderen halten uns die Andumir vom Leib?"
Zoran seufzte. "Sicher, aber doch nicht alle. Und die Bewohner der Häuser, die wir berauben, werden auch nicht einfach zusehen, wie ihnen ihr Besitz gestohlen wird. Du kannst dich nicht davor drücken zu töten, Imogen", erklärte Zoran geduldig. "Wahrscheinlich hast du bei der Besprechung wieder nicht aufgepasst."
Imogen zog die Augenbrauen herunter. "Es war langweilig..."
Ihr Vater tat die Entschuldigung mit einem Handzeichen ab. "Jaja. Aber wenn du keinen Gefallen an dem blutigen Kampf findest, stehen deine Überlebenschancen niedriger. Ekel und Angst helfen da nicht weiter. Diejenigen, die mit vollem Kampfgeist und Emotionen dabei sind, führen den Kampf. Sei wie sie und du beendest ihn, lass dich nicht irreführen vom Wehgeschrei Fallender. Hier sind Unbarmherzigkeit und keine Gnade angesagt. Zeige alles, was du in all den Jahren deiner Ausbildung gelernt hast, aber lass dich nicht zu irgendwelchen Kunststückchen hinreißen... die Nacht ist das Leichentuch..." Zoran brach plötzlich ab und starrte zu Boden.
"Du sprichst in letzter Zeit viel vom Tod, Vater. Hat das etwas mit dem Brief von deinem alten Freund Gerjyho-Zura, diesem verkorksten Magier, zu tun?"
Er seufzte. "Zum ersten ist er nicht verkorkst, und zum zweiten ...man ...er ...hat sich umgebracht."
Imogen erschrak. "Umgebracht? Aber wie..." 
"Konnte er mir dann diesen Brief schreiben? Ganz einfach. Er tat es in der Nacht nachdem er den Brief losschickte und das ist fast zwei Monde her." Beide schwiegen.
Auf einmal trat Riyonn von hinten an sie heran.
"Was denn? Schon wieder einer? Diese Magier müssen einen gewissen Hang zum Selbstmord haben..."
"Das hat überhaupt nichts miteinander zu tun, Riyonn!", entgegnete Zoran leicht gereizt. "Dieser reisende Magier mit seinem Schutztrupp, den wir letzten Mond überfallen haben und der sich selbst in sein Schwert gestürzt hat, hat nicht im Entferntesten aus demselben Grund gehandelt, wie Gerjyho-Zura!"
"Ach ja? Mit was hatte dieser Magier denn zu tun?"
"Sonderbeauftragter Steuernlieferant von den Hafenstädten im Norden. Wäre er ohne Geld in Kouwah aufgetaucht, wäre er ohnehin so sehr in seiner Ehre verletzt gewesen, dass er sowieso Harakiri begangen hätte."
Riyonn zog unschlüssig die Brauen hoch. "Magier...", murmelte er kopfschüttelnd. "Und dein Magierfreund? Was war mit ihm?"
"Ich... das geht euch Kinder nichts an!", wehrte Zoran forsch ab.
"Ich wollte dir nicht zu nahe treten... Darf ich dich trotzdem sanft darauf hinweisen, dass du es bei mir nicht mit einem Kind, sondern einem erwachsenen Mann zu tun hast, Vater?"
"Sechzehn?"
"Ist doch so!"
"Riyonn!"
"Was?"
"...ach... vergiss es. Komm nur bitte nicht wieder auf Gerjyho-Zura zu sprechen... es schlägt mir noch zu sehr aufs Gemüt, die Sache mit seinem Ableben..."
Riyonn zog es vor, seinem Vater den Gefallen zu tun. Der alte Mann wirkte in letzter Zeit sehr traurig und auf irgendeine Weise sonderbar ... alt.
Vor Zorans innerem Auge sah er seine Kinder - Imogen: ein hübsches junges Mädchen, sechzehn Jahre alt, die für ihr Alter schon regelrecht ausgewachsen aussah, rotbraune glatte Haare hatte, die ihr im Zopf noch auf die Schulterblätter fielen, ein charakteristisch unschuldiges Gesicht aufwies, verstärkt von rotbraunen großen ausdrucksvollen Augen umrandet von dichten dunklen Wimpern, die sie nur ein wenig auf und zuschlagen brauchte und vor ihr knieten reihenweise Männer um Zuneigung winselnd. Außerdem besaß ihr sanft braun gebranntes Gesicht schön geschwungene Augenbrauen, volle dunkle Lippen, meist zu einem Lächeln geformt und eine schlanke kleine Nase. Und Riyonn: der ebenfalls sechzehn-jährige junge Mann mit grauen schmalen Augen, die weitsichtig und übermenschlich durch sämtliche Dinge hindurch zu sehen schienen, unter dem linken Auge prangten zwei auffällige Leberflecke, mit einer schmalen Nase, schwarzen Augenbrauen, einem schlanken Gesicht und rabenschwarzen Haaren, die meist ungekämmt auf seine Schultern hingen und lediglich mit ein paar Federn und Lederbändchen aus dem Gesicht gezwirbelt wurden.
Es machte Zoran immer wieder traurig die beiden zu sehen, und doch im tiefsten Inneren zu wissen, dass es nicht seine eigenen, leiblichen Kinder waren, die er aufgezogen hatte, nachdem sie die Diebesgilde an zwei verschiedenen Stellen im Sichelwald, der das Lager der Diebe vor den Blicken Neugieriger schützte, gefunden hatte. Damals waren sie noch keinen Mond alt gewesen.
Imogen hatte ihren Blick auf die Stadt gerichtet.
"Vater!", rief Imogen plötzlich aufgeregt und piekte Zoran unsanft in den Oberarm. Der alte Mann fuhr aus den Gedanken. Zoran erspähte das heiß ersehnte Signal zum Start des Überfalls aufleuchten, das Licht einer Fackel, ungefähr fünfzig Schritte vom Stadttor entfernt. Die so genannte "Raubflamme", die einem Winkel zur Stadt vollführt wurde, in dem sie von den Stadtwachen unbemerkt blieb.
Imogen trat mit einem flauen Gefühl im Magen, und doch einer freudigen Geste im Gesicht, von einem Bein auf das andere. Riyonn seufzte leise.
"Der Raubüberfall beginnt." Imogen warf ihm einen strengen Blick zu.
"Du klingst ja gerade so, als wenn sie schon jemanden beerdigt hätten, dabei ist noch nicht einmal jemand verletzt worden." Daraufhin wies Riyonn kopfschüttelnd Richtung Stadttor. Imogen erkannte einen gewaltigen Pfeilhagel auf die Stadtmauer prasseln, jedoch auch die Stadtwachen ließen das Feuern von Bolzen mit ihren Armbrüsten nicht aus. Die wenigen Schildträger der Diebe schienen es nicht zu schaffen, alle ihre Mitstreiter vor einfallenden Geschossen zu beschirmen. Bevor Imogen noch irgendetwas dazu sagen konnte, rissen die älteren Diebe sie mit sich zu den Kanalgängen.
"Tarons Plan ist strategisch gut, aber moralisch doch völlig unzulässig...", grummelte Riyonn. "Man opfert nicht den besten Teil einer Garnison für einen kläglichen Raubüberfall..."
Die strengen Mienen der Älteren entmutigten Imogen dazu, Riyonn einen Kommentar zuzuflüstern. Sogar das vorher noch bestandene Wispern war verstummt. Es war nahezu unheimlich, wie genau es die Älteren mit der Lautlosigkeit nahmen. Selbst zu lautes Auftreten auf den Boden wurde mit grimmigen Gesten bestraft. Auch dem sonst ziemlich wortkargen Riyonn missfiel diese absolute Stille zutiefst.
Bald hatten sich die Diebe den Hügel hinunter über die heranreifenden Weizen- und Gerstenfelder zum Eingang der Kanalisation vorgearbeitet, um dort hinein zu kriechen, allen abstoßenden Gerüchen zum Trotz. Bei dem abartigen Gestank, der in den Kanalgängen haftete, drehte es manchen Dieben schier den Magen um. Den Ratten und dem Geruch entgegen kämpften sie sich durch.
Schließlich hatten sie es durch das ekelhafte Abwasser geschafft und traten am anderen Ende aus den engen Gängen in den fahlen Lichtschein des Sichelmonds, dabei genüsslich die frische Luft einatmend. Wenige Worte miteinander im Flüsterton wechselnd, stahlen sich die ausgebildeten Diebe durch die winkligen Gassen von Teras Andum.
Während sie sich an den Wachtürmen der Stadt vorbeischlängelten, montierten sie die Sprengkästchen daran, und verbanden sie gleichzeitig mit einer Spur Pulver. Erstaunlich, dass Taron an dieses Zeug herankommt, obwohl es so teuer und selten zu haben ist, dachte Riyonn anerkennend.
Die Pulverspur hinter sich her ziehend, verschwanden die Diebe rasch im Stadtinneren, damit sie die Explosionen nicht aus nächster Nähe miterlebten. Imogen hielt sich eng an Zoran, während hingegen Riyonn, wie ein aufgehetzter Hund, aufgeregt umher lief, um auch nichts zu verpassen. Seine Neigung, das Verhalten aufgescheuchter Tiere von oben herab mit einem Kopfschütteln zu betrachten, schien er in diesem Augenblick wohl vergessen zu haben.
Als seine anfängliche Aufregung abschwächte, mischte er sich vorwitzig unter die Älteren und Veteranen. Doch das ließ ihm nicht einen Grund nehmen, sich doch wie ein unerfahrener Wolfswelpe zu benehmen, so wie die anderen, die zum ersten Mal einem großen Überfall beiwohnen durften. Der Mond verschwand für einen Moment hinter einer dichten Wolkenfront, die scheinbar urplötzlich aufgezogen war.
Freygos Lei, der das Installieren der mit Sprengstoff gefüllten Kästchen geleitet hatte, zückte zwei Feuersteine und entzündete mit einem Funken die Spur aus dem Salpeter-Schwefel-Kohlestaub-Gemisch. Zischend sauste das Feuer diese entlang. Gleich darauf ertönte lautstark eine Reihe erster Explosionen. Die Fachwerke sämtlicher in der Nähe der Türme stehender Häuser fingen Feuer. Bald erhob sich eine mächtige grellrote Feuerfront von den Wachtürmen her, lose Steine, Balken und Menschen flogen durch die Luft.
Mit teils belustigten, teils entsetzten Gesichtern beobachteten die Diebe das Schauspiel.
Plötzlich erschien ein Mann in Rüstung auf der Straße, mit auf die Diebe gerichtetem Zeigefinger.
"Die waren es, die Räuber des Teufels sind in unserer Stadt. Wachen zu mir!" Zoran gab Imogen einen Schubs in die Seite.
"Schluss mit lustig, Kleines." Ganze Häuser standen nun in Flammen und Geschrei erfüllte die Nacht. "Jetzt, Imogen, siehst du die Andumir", flüsterte Zoran lächelnd. Imogen starrte gebannt auf die schwarzen Gestalten, die sich zügig näherten.
"Veteranen an die Front, die anderen schnappen, was sie kriegen, so viel sie schleppen können und machen sich dann sofort aus dem Staub!", brüllte der Befehlshaber der Diebe laut. Zoran zog den Kampfsäbel und stellte sich, zusammen mit den anderen Veteranen den Angreifern. Imogen verlor noch einen Blick an den alten Mann, dessen Bewegungen immer noch stark und gleichzeitig flink verlaufend die Waffe in die Körper der Feinde bohrte. Kraftvoll schwang er sie gegen die Brustpanzer der Andumir und wich den Gegenschlägen behände aus. Dann leistete auch sie dem Befehl des Anführers Folge und lief hinter den anderen her in die Häuser.

* * *

Riyonn hetzte durch die brennenden Räume eines der Häuser, auf der Suche nach irgendetwas Wertvollem. Der Qualm kratzte in seiner Kehle und erschwerte ihm das Atmen. Keuchend bahnte er sich zu den Schränken und wühlte, entgegen der immer knapper werdenden Luft, nur noch langsamer und intensiver in den Schubladen. Nicht allein die Anstrengung trieb ihm bald den Schweiß auf die Stirn.
"Verflixt!"
Abermals stolperte er fast über die weibliche Leiche, die auf dem Fußboden des eigenen Hauses das zeitliche gesegnet hatte, von einem Balken erschlagen, mit in Flammen stehenden Kleidern.
Schon war Riyonn überzeugt davon, dass es hier nichts zu holen geben konnte.
"Es ist aber auch..." Plötzlich fuhr er aus den Gedanken. Hastig wischte er sich die feuchten schwarzen Haarsträhnen aus der schweißklebenden Stirn. Ihm war unheimlich. Irgendetwas war da gewesen. Ein unbestimmtes Gefühl, fremd und kalt. Er glaubte eine Bewegung in einer spärlich erhellten Ecke des Raums auszumachen und fuhr herum, war wie unter Hochspannung.
Womöglich eine Kanalratte, die sich hierher verirrt hatte, wollte es ihm durch den Kopf sausen, aber er hielt mit den Gedanken inne. Ein dröhnender Schmerz, ein Ton hoch und laut, jagte durch seinen Kopf. Stillschweigend stand er im Raum. Die Flammen loderten rings um ihn, doch er spürte sie nicht mehr. Es war, als wenn sein Gefühl den Körper verlassen hätte. Er fühlte weder die Hitze, noch die Hast mehr. Er blieb einfach ruhig stehen. Seine grauen Augen schienen mit ihrem Blick über die Stadt hinauszuwachsen. Weit über Valyar, in dem er sich eben noch gesehen hatte. Er fuhr hinauf zu den Sternen, doch selbst bei ihnen wollte sein Weg nicht enden. Erst als alle Sterne längst seinem Blickfeld entschwunden waren, stoppte der Flug. Es war aber nicht dunkel um ihn herum, sondern farblos... nichts... Leere...
"Aaaaah!" Der Schmerz durch ihm zu nahe gekommenen Flammen hatte Riyonn wieder zurück gerissen. Noch völlig perplex fasste er sich an den schmerzenden Kopf. Die Luft im Raum wurde knapp. Um Atem ringend spürte er Panik in sich aufsteigen. Er fragte sich nicht, was geschehen war, sondern versuchte aus dem wütenden Flammenmeer einen Fluchtweg nach draußen zu finden.
Da gab der Boden nach. Von oben prasselten Funken wie ein Regen auf ihn herunter. Manche Balken trotzten der Übermacht des Feuers nicht länger und kippten krachend um, brachen ein, stürzten von der Decke und verschwanden knarrend in den hohen fresslustigen Flammen und verbrannten.
Geschwind klammerte Riyonn sich am Fensterrahmen fest, um nicht in die Tiefe zu fallen. Reaktionsschnell schwang er sich hindurch, hinaus ins Freie. Dort schlug er auf der harten Erde auf. Schnell fasste er sich wieder von dem Schrecken und watete unbeirrt durch die auf einer zu einem Garten gehörenden Wiese kniehoch stehenden Flammen. Ein rotes Meer des Todes.
Um rasch von der brennenden Wiese herunterzukommen, schwang er sich erneut durch ein Fenster, das zu einem schon eingestürzten Haus gehörte, von dem nur noch diese eine Seitenwand stand, und landete schmerzhaft wieder im Feuer. Seine Schmerzen trieben ihn fast zur Raserei. Von dieser qualvollen Pein getrieben, rannte er wild und verzweifelt um sich schlagend durch die Flammen. Seine Kräfte schwanden, machtlos ließ sich Riyonn zu Boden sinken. Bald erhob sich das Feuer über ihn, wollte ihn einschließen, ihm die Luft zum Leben rauben. 
Trotz der Schmerzen rann ihm keine einzige Träne über die blutüberlaufenen glühenden Wangen. Selbst in dieser Verzweiflung brachte ihn nichts dazu, das Gesicht vor sich zu verlieren. Er geriet von einer Panik in die nächste, krümmte sich bloß noch zusammen und erwartete mit zugekniffenen Augen seinen Tod.
Doch seiner Aufgabe entgegen, stand er wieder auf, mit letzter Kraft. Ausweglos irrte er durch das Feuer, das sich in seine Haut und durch seine Kleidung fraß, fiel wieder auf die Knie, begann zu krabbeln. Sein Leben hing davon ab, ob er die Kanäle rechtzeitig fand oder nicht.
"Hi... Hilfe!", presste er tonlos über die feuergefangenen Lippen. Da kniete er wieder auf den Boden, bohrte seinen Kopf in die verschränkten Arme. Seine Verzweiflung wurde zu kalter Wut. Wut auf sich selbst. Die Unterdrückung der Tränen erschwerte ihm das Loslassen umso mehr. Er richtete seinen Blick auf zu den Sternen und wandte sich mit schwerem Herzen dem Tod zu, der ihn nur langsam zu ereilen schien. Als er an Imogen und Zoran, seine Familie, dachte, schob sich ihm eine Frage ins Bewusstsein, die er sich, seit er denken konnte, stellte. "Wer bin ich?" Wie auf eine Antwort hin, beschlich ihn das seltsame Gefühl von vorhin, als er noch in dem brennenden Haus gewesen war. Riyonn wusste nicht, ob es ein Zeichen für sein Sterben war oder etwas völlig anderes. Die Schmerzen verflogen und seine Augen wanderten wieder über die Sterne hinweg, zu der Stelle der Leere, in der nur diese eine Leere herrschte. Die Geräusche, Gerüche und Gefühle um ihn herum waren verschwunden hinter einer unsichtbaren Mauer und ließen ihn alleine. Plötzlich wandelte sich die Farblosigkeit um zu einer undurchdringbaren Finsternis. Doch er war allein und doch nicht allein, denn er fühlte sich beobachtet. Als er seine wild umher kreisenden Gedanken endlich wieder sammeln konnte, richtete er seinen Blick hinein in die Schwärze um sich und entdeckte eine Stelle, die sich durch ihre noch düstere Dunkelheit etwas hervorhob. Er spürte den Geruch von Verwesung und Tod in seine Nase steigen. Der Gestank brannte scharf in Riyonns Kopf. Auf einmal sah er zwei die Finsternis durchbrechende Lichter auf sich zu bewegen. Der Geruch wurde immer stärker und schärfer, bald schmerzte sein Kopf davon.
"Halt!", hörte Riyonn sich mit einem Male selbst aufschreien. "Aufhören!" Tatsächlich kam der Geruch nicht näher. Riyonn bemerkte einen großen Schatten direkt vor sich.
"Du willst mich anhalten? Mich, deinen Freund?" Die Stimme, die Riyonn dem Schatten mit den sich als Augen entpuppende Lichter zuordnete, klang heiser, rau und kratzend, war aber dennoch hallend und laut, als fiele das Echo bedrohlich von jedem Punkt der Schwärze zurück.
"Du bist nicht mein Freund!", bemerkte Riyonn kühl. "Du hättest mich beinahe umgebracht."
"Ich?", gab die Stimme mit schallendem Gelächter zurück. "Ich? Was meinst du, wer dich gerade von diesen lästigen Schmerzen befreit hat? Du etwa selbst?"
Riyonn sah stumm aber unerschrocken, letzteres konnte er sich selbst nicht erklären, in die ihn zu durchdringen versuchenden Augen seines Gegenübers.
"Du hast versucht mich aus dem Jetzt zu holen, während einer gefährlichen Situation. Ich wäre gar nicht erst in diese blöde Lage geraten, ohne dein Eingreifen. Und jetzt, wo ich inmitten dieser Flammen zu sterben versuchte, trittst du schon wieder mit mir in Verbindung und nennst dich meinen Freund. Da stellt sich mir doch die Frage, was das für ein kreutzdämlicher Typ ist. Aber eines kann ich ausschließen: er ist nicht mein Freund. Wer bist du und was willst du von mir?"
Riyonn merkte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg. Es hatte ihn viel Mut gekostet, so spitzzüngig mit diesem Fremden zu reden, doch was ihn erstaunte, war, dass ihm die Worte vielmehr aus dem Mund gefallen waren, als dass er vorher überlegen gemusst hatte, was er sagen wollte. Sich einem kaum sichtbaren Wesen in tiefschwarzer Dunkelheit entgegenzustellen, irgendwo im Nirgendwo, von dem er nicht im Entferntesten ahnen konnte wo es war, ging an die Grenze seiner Fassungskraft. Es war, als wenn sich die Zeit für ihn stoppte, während er sich einer raum- und zeitlosen Area in Gegenwart eines Unbekannten befand, sich aber der Erdball unaufhörlich weiter um seine eigene Achse drehte.
"Wer ich bin?" Die Stimme und der Verwesungsgeruch rissen Riyonn wieder aus seinen Gedanken zurück.
"Als ob ich dir das erklären müsste, junger Dieb."
"Dein Name, Wesen!", entgegnete Riyonn aufgebracht.
"Pah! Wenn dir meine Gegenwart allein nichts sagt, bringt dir mein Name überhaupt nichts. Außerdem sind Namen Schall und Rauch. Sie kommen mit der Zeit und gehen mit der Zeit... und wir befinden uns außerhalb der irdischen Zeit! Was also erhoffst du dir davon meinen Namen zu erfahren, Dieb?"
Riyonn verdrehte die Augen. Eine unbändige Wut stieg in ihm hoch.
"Was kann so weit von der Zeit entfernt sein, dass einen Namen nicht mehr interessieren sollten?" Das Wesen lachte heiser.
"Du hast es wirklich nicht begriffen, Dieb. Ich bin in dir. In deinem Inneren, dort wo du denkst." Riyonn machte verwirrt zwei Schritte zurück. Die rotleuchtenden pupillenlosen Augen des Wesens flackerten kurz auf, und gaben einen Blick auf die weißblitzenden raubtiergebissähnlichen spitzen Zähne des Wesens frei, an denen gelbschaumiger Speichel und Geifer herabtropften. Es schien zu grinsen, was Riyonn aus der Stellung der Zähne zu schlussfolgern versuchte.
 "Du fürchtest dich vor mir, oder nicht? Ein gelehriger Schüler, wirklich." Riyonn unterdrückte seine Wut und verzog sein Gesicht zu einem emotionslosen eiskalten durchdringenden Blick. Er wollte auf keinen Fall dieses Wesen in seiner absurden Vermutung bestätigen, dem er so viel Vertrauen entgegenbrachte, wie einem speichelleckenden tollwütigen Warg, der aussah als hätte er seit drei Monden nichts gefressen.
"Schmier dein hohles Gerede doch einem Wolf ins Fell, aber lass mich damit in Ruhe!", sagte er entschlossen. 
"Hrmpf", das Wesen verfiel wieder in schallendes Gelächter. "So gelehrig war er dann doch nicht, mein kleiner Dieb. Was soll’s."
Sein Grinsen verbreiterte sich, dass man meinen könnte, es gelte einen Zähnebleck-Wettbewerb zu gewinnen. 
"Nun gut, mein Dieb. Oder soll ich Ihr sagen?"
Riyonn runzelte die Stirn. "Was? Wieso..."
"Ihr wollt wissen wer ich bin."
Riyonn meinte darauf ziemlich verunsichert: "Das Du ist ... wäre mir lieber. Ich bin kein Halter von Formalitäten." Der Schatten, der das Wesen von der Dunkelheit abhob, kam Riyonn ein wenig näher.
"So?" Der Unbekannte sprach mit bedrohlichem Unterton in seiner dunklen hallenden Stimme. "Dabei erschien mir das Ihr fast für angebrachter." Er lachte. "Aber es ist schließlich Eur... äh... deine Entscheidung, Dieb. Da du mich ja trotz allem nicht als deinen Freund bezeichnen willst... wäre ich lieber beim Höflichen geblieben." Riyonn bemerkte, wie der Unbekannte versuchte, ein weiteres Lachen zu unterdrücken.
"Höflich? Wa...", begann Riyonn ihm zu entgegnen, aber das Wesen fiel ihm ins Wort.
"Schweig, Dieb! Es ist nicht gerade dein Talent, andere aussprechen zu lassen." Deines aber auch nicht, dachte Riyonn leise seufzend.
"Meinen Namen wolltest du wissen, Dieb", griff das Wesen das Gespräch wieder auf. "Ich glaube wirklich nicht, dass er dir etwas sagt. Hm. Außerdem bin ich nicht überzeugt davon, dass meine Meister es genehmigen würden, wenn ich dir meinen wahren Namen nennen würde. Aber im Grunde bliebe mir nichts anderes übrig." Wieder setzte der Unbekannte ein breites Grinsen auf, sodass Speichel und Geifer aus seinem Mund heraustropften. "Es scheint so, als könnte ich dir nur meinen wirklichen Namen offenbaren."
"Und der wäre?"
"Unterbrich mich nicht ständig, Dieb." Riyonn war nahe daran dem Unbekannten an die Gurgel zu springen, um ihm den Hals umzudrehen. Was bildet der sich eigentlich ein? Bringt mich an irgendeinen Ort, unabhängig von Zeit und Raum, und hält mich mit irgendeinem Schrott unnütz lange auf! Und was soll das eigentlich, dass er mich ständig mit Dieb anredet?, erregte Riyonn sich innerlich.
"Nenn du mich erst nicht nochmals Dieb. Das klingt so... so..."
"So was? Ich nenne dich doch nur nach dem was du bist, Dieb. Ist es dir etwa unangenehm? Klingt das Wort Dieb vielleicht zu sehr nach Stehlen oder Klauen, für dich? Du bist nun einmalein Dieb und wenn ich es mir recht überlege sogar ein ziemlich schlechter. Schließlich war deine Beute nicht sonderlich ertragsreich. Doch falls du immer noch Interesse daran hast, wie der Name deines Gegenübers lautet, so rate ich dir dringenddavon ab, mich weiterhin zu unterbrechen, sondern einfach den Mund zuzulassen, Dieb."
Wutentbrannt wandte Riyonn sein Gesicht von dem Unbekannten ab und starrte in die finstere Leere hinter sich. 
"Schwätzer", murmelte er kaum hörbar.
"Hast du was gesagt?", zischte dieser darauf. "Aber nicht doch", meinte Riyonn schnell, "Edles Wesen, dessen Haut die Farbe der Nacht trägt" Er zwang sich zu einem freundlichen Lächeln. Was soll dieses Spiel eigentlich? Daraufhin weitete der Unbekannte überrascht die Augen.
"Komisch. Ich dachte ich hätte etwas anderes gehört. Du musst wissen, mein Gehör ist weit ausgeprägter als das der Menschen. Es wäre allerdings das erste Mal, dass ich mich geirrt hätte." Drohend blickte er Riyonn tief in die grauen Augen.
"Es gibt immer ein erstes Mal", wollte sich Riyonn aus der Sache herausreden, doch das Wesen ging nicht darauf ein.
"Wag es noch einmal, und an deiner statt liegt ein Häufchen Asche. Übrigens... mit dem Wesen, dessen Haut die Farbe der Nacht trägt, lagst du gar nicht so weit daneben. Tatsächlich bedeutet mein Name, plus des Namens meiner Rasse, schwarzer Dä... äh... schwarzes Wesen... Gebieter der ewigen Flammen des Bösen."
"Was wiederum ganz deutlich ausschließt, dass du mein Freund bist. Ich gehöre nicht zum Bösen." Der Unbekannte vermittelte Riyonn plötzlich aufschnaubend, dass er da anderer Meinung war. Sofort schloss Riyonn den Mund.
"Gut für dich, dass du still bist, Dieb. Ich will dir doch nichtjetzt schon meine Macht demonstrieren. Du verstehst, ich bin eher der zurückhaltende Typ, gebe nicht so mit dem an, was ich kann. Es wäre auch viel zu zeitaufwendig dir das alles zu zeigen." Dem Wesen huschte ein argwöhnisches Grinsen übers Gesicht, bevor sich sein Blick verfinsterte. Riyonn erwiderte das Grinsen mit einem großen Drang in sich, dem Wesen seine unverschämte Arroganz vorzuhalten, unterließ es lieber und nickte, kaum merklich,zustimmend mit dem Kopf. Nur zu gut meinte er das hinterlistige Wesen zu durchschauen. Blödmann! Will mir noch nicht seine ganze Macht demonstrieren... Was will der überhaupt, außer mir hier meine kostbare Zeit, na schön, die jetzt weniger, jedenfalls Energie zu stehlen und meine Nerven unnötig zu strapazieren! Ich frage mich was das soll? Der macht mich verrückt! Sucht der nur irgendeinen Grund um mich anzufallen, oder was? Der Verwesungsgeruch, der von dem Unbekannten ausging, stieg augenblicklich an. Angewidert rümpfte Riyonn die Nase.
"Gut das du das auch so siehst, Dieb. Ich wusste, was für ein kluger Dieb du bist, Dieb. Ist auch nur zu deinem Besten, wenn du dieselbe Meinung vertrittst wie ich", meinte das Wesen höhnisch auflachend. Gespannt blickte Riyonn in die rot glühenden Augen. Er meinte, es wäre nun der Augenblick gekommen, in dem der Unbekannte endlich das Geheimnis um seinen Namen lüften werde.
 "Nenn mich vorerst Bahamut." Das Wesen bleckte seine Speichel umschäumtenZähne. Riyonns Miene verfinsterte sich.
 "Wenn du schon zu feige bist, mir deinen richtigen Namen zu offenbaren, lass mich wenigstens wissen auf wessen Seite du stehst. Oder sagt die Bedeutung deines Namens allein schon alles aus?" Kurz schien Bahamuts Köper in einem trübrötlichen Licht aufzuflackern. Er ähnelte einer zehnfach geflügelten Echse, seine Proportionen glichen aber größtenteils denen der Menschen.
"Meine Gesinnung?" Bahamut war wieder von der Düsternis um Riyonn nicht zu unterscheiden. "Ich stehe auf deiner Seite, Dieb, schließlich bin ich dein Freund."
Riyonn stöhnte laut auf. Allmählich wurde er richtig verärgert über den sturen Unbekannten. Raaah! Was soll das?
"Als wenn wir dieses Thema nicht schon ausgehandelt hätten. Deine Gesinnung, Bahamut!"
Da legte Bahamut ein spöttisches Grinsen auf. Seine Stimme wirkte noch hallender und dunkler als vorher.
"Mir scheint wir haben uns doch nicht ganz verstanden, Dieb."
Nein! Wirklich, ich verstehe hier so gut wie gar nichts..., seufzte Riyonn innerlich auf.
Plötzlich stieg Bahamuts Stimme zu einer bedrohlichen Lautstärke an. "Vielleicht sollte ich dich doch in das Ausmaß meine Macht einweihen."
Riyonn beobachtete, wie Bahamut sich mit seinen Flügeln in die Luft erhob, dort verharrte und angestrengt über Riyonn hinweg in die schwarze Ferne starrte. Kaum einen Augenblick später löste sich von dem roten Glühen, dass Bahamuts Augen umgab, ein roter Feuerstrahl, der sich blitzschnell in die Richtung bewegte, in die Bahamut starrte. Dort verglühte der Feuerstrahl und die Finsternis blieb zurück. Als Bahamut wieder zu Riyonn herab geflogen kam, verschmolz Bahamuts Körperfarbe wieder mit dem einheitlichen Schwarz. Daraus schloss Riyonn, dass Bahamut aus derselben Dunkelheit bestehen musste, wie die, die sie umgab. Sein Gewebe musste mit der Schwärze verfließen, aus demselben Stoff, war hervorgerufen worden aus ihr. Riyonn zuckte zusammen. Dass er solch einem finstren Wesen gegenüberstand, hatte er nicht ahnen können. Derweil hatte Bahamut wieder vor Riyonn Stellung bezogen. Er war nicht sonderlich außer Atem von seiner Demonstration.
"Was sagst du, Dieb?" Riyonn schwieg. "Hat es dir die Sprache verschlagen, wie?"
"Keineswegs, Bahamut", gab Riyonn kühl zurück. "Ich meine dich sogar überschätzt zu haben, was deine magischen Künste angeht."
Bahamut knirschte wütend mit den Zähnen. "Überschätzt?"Er verengte die Augen zu schlitzen. Riyonn grinste verschlagen. "Halte mich nicht zum Narren, Dieb. Ich habe doch gesehen, wie du vor meinem gewaltigen Antlitz gezittert hast wie Espenlaub. Mach mir nichts vor. Du sagst überschätzt?"
Riyonn lachte in sich hinein. "Warum fragst du so oft nach? Mangelt es dir an Gehör? Außerdem musst du dir selbst zugestehen, dass dein Körper nichts ausdrückt, vor dem man erzittern müsste. Verrate mir doch, zu welcher Art Tier ich dich einstufen soll? Echse?" Riyonn wagte ein weiteres Grinsen. Innerlich aber pochte sein Herz bis zum Hals. Er wusste nicht, wie Bahamut auf das reagieren werde. Trotz dem, dass er viel Mut hatte aufbringen müssen, um Bahamut so zu reizen, verspürte er nicht wirklich Angst. Es war die Neugierde, die ihn dazu brachte so über sich hinauszuwachsen. Er hatte sich wohl an seinem Gegner erschreckt. Doch gerade das durfte Riyonn in seiner jetzigen Situation keinesfalls zeigen. Der eigentliche Sinn bestand daraus, herauszufinden, wer Bahamut wirklich war. Denn vielleicht wüsste sich Riyonn dann, falls es zu einem Kampf kommen sollte, besser zu wehren. 
"Du beleidigst mich, Dieb. Aber glaube nicht, dass ich dich nicht durchschaut habe. Deine Gedanken sind ein offenes Buch für mich. Zu primitiv und einfach. Niemals kämest du zu meiner ausgeprägten, komplexen Denkweise. Dazu reichte dir dein kleiner Menschenverstand nicht aus. Wenn es dir solch eine Freude bereitet, zu wissen wer ich bin, bitte. Ich bin ein Dagora, einer der zehn höchsten Dämonen, und mein Name ist Don Diaven." 
Riyonn erstarrte. Entsetzt öffnete er den Mund, ohne dabei ein Wort zu sprechen. Er hätte sich niemals vorstellen können, dass er einen Dämonen vor sich hatte, noch dazu einen der zehn höchsten Dämonen. Jedoch konnte Riyonn daraus schlussfolgern, dass Don Diaven als ein Dämon automatisch dem Bösen angehörte, womit die Frage um seine Gesinnung geklärt war. Don Diaven rieb sich, teuflisch dabei lachend, seine Klauenbestickten Hände.
"Ich stehe im Dienste der Lich, Dieb. Das sind Untote." Er lachte durchdringend. Riyonn verzog keine Miene. Starr blickte er in Don Diavens rote Augen. In seinem Kopf drehte sich alles. Ein Dämon, er stand vor einem Dämonen. Aber was konnte der von ihm wollen? Er war doch nur ein Dieb, ein harmloser einfacher Dieb. Noch dazu hatte er sich nie mit den Fronten Gut und Böse konfrontiert. Sich selbst hatte er selbstverständlich nie zu den Bösen gezählt, doch war ihm absolut klar, dass er sich schlecht als einen Guten bezeichnen konnte, schließlich galt er als Dieb nicht als beste Sorte Mensch. Vor allem nicht unter den bestohlen wordenen. Als er den Dämonen nach seiner Gesinnung gefragt hatte, dann nur mit dem Gedanken, ob für oder gegen die Diebe. Weiter hatte er nicht gedacht gehabt.
"Ich... ich habe noch nie von Untoten gehört, geschweige denn von Lich. Ich bin ein normaler Dieb, ich bekomme vom Geschehen von außerhalb nichts mit. Sind die Lich diese komischen Meister, die du vorher erwähnt hattest, Don Diaven?" Don Diaven bleckte verwundert seine Zähne.
"Du sprichst ebenso meinen Namen, wie den meiner Meister so respektlos und unhuldvoll aus. Du weißt nicht einmal die Bedeutung und den Sinn der Worte die du so unachtsam um dich schleuderst. Wag es nicht noch einmal meine Meister als komisch zu bezeichnen. Sie werden durch dich nicht noch ein weiteres Mal umkommen, das schwöre ich bei meinem Dienste an ihnen."
Riyonn, der Tatsache unbewusst wen er vor sich hatte, funkelte erbost in Don Diavens Richtung.
"Du meinst wohl ehemaligen Dienst. Wenn deine Meister tot sind, kannst du ihnen ja nicht mehr dienen. Ich habe außerdem noch kein Wesen gekannt, das zweimal sterben konnte."
"Es deprimiert mich, dass du trotz meiner Erklärungen immer noch nichts kapiert hast, Dieb. Das von dir zu hören, der du doch eigentlich schon längst darüber aufgeklärt sein müsstest... von ihm. Und was das mit dem einstigen Dienste angeht, kann ich dir ohne Umschweife und Komplikationen mitteilen, dass ich heute ebenso wie vor mehreren tausend Jahren immer noch im Dienste der Lich stehe."
Die Stimme des Dämons wuchs zu einem bedrohlichen lauten Klang an.
"Die Zeit in der die Lich mitsamt ihrer Untoten wiederkehren werden ist nur noch Augenblicke vom Jetzt entfernt. Sie werden aus ihren Gräbern auferstehen und wieder die Herrschaft von Valyar an sich reißen. Mein Auftrag ist es den Weg der Lich zu bereiten. Die einzigen die je in die Lage kommen könnten meine Meister endgültig zu vernichten, sind sieben Auserwählte, aus jedem der Reiche eine Person. Doch eines verspreche ich dir: soweit wirst du nicht kommen. Das werde ich selbst verhindern. Glaube nicht, dass du aus dieser Situation lebend herauskommst."
Zornig richtete sich Don Diaven vor Riyonn in seiner vollen Größe auf. Die Finsternis wirkte plötzlich enger und bedrückender auf Riyonn, auch der Verwesungsgestank roch noch übler und schärfer. Er keuchte, der Gestank drehte ihm schier seinen Atem ab. Diebisch grinsend schwang sich Don Diaven mit zwei seiner Flügel in die Luft. Ein leuchtendroter Energieschweif floss durch seine gespannten Arme in die Pranken, zum Magieangriff bereit. Riyonns Hände griffen impulsiv nach dem Kampfsäbel. Erschrocken musste Riyonn feststellen, dass er verschwunden war. Ohne lange zu überlegen nahm er sich stattdessen seinen Dolch. Langsam und ohne Hast zog er die Klinge, die sich mit einem metallischen Reiben von ihrer Schutzhülle löste, aus der Scheide und strich vorsichtig mit dem Finger über die scharfe Schneide. Schließlich erhob er die kleine Waffe und blieb in unbeweglicher Kampfhaltung stehen.
Sie standen sich gegenüber, Dieb und Dagora. Zwei schon allein von ihrem Rang her völlig unterschiedliche Gestalten. Don Diaven – ein Wesen, das die gewaltige Macht der Lich hinter sich hatte, gegen einen einfachen menschlichen Dieb, der von allem Weltgeschehen nicht die leiseste Ahnung hatte, es sei denn es handelte sich um ertragsreiche Beute. Dass Riyonn nicht vor Schrecken und Angst vor Don Diaven gelähmt verstarrte, konnte er sich selbst nicht erklären. Ihm war, als würde eine unbekannte Kraft seinen Körper und seine Gedanken stabilisieren. Ein glühender warmer Strom schien jede seiner Zellen zu durchziehen. Als wenn sich ein verloren gewesener, bei ihm in Vergessenheit geratener Teil seiner selbst sich wieder in sich einzubauen versuchte. Don Diaven wunderte sich über die emotionslose Gelassenheit im Gesicht des Diebes.
Riyonn hatte noch nie getötet. Obwohl er dem Tod, die damit zusammenhängenden Schmerzen außer Acht gelassen, souverän und unbeeindruckt ins Auge blicken konnte, ohne die Besinnung zu verlieren und auszurasten, gerann ihm das Blut in den Adern bei dem Gedanken, selbst wenn es sein größter Feind war, jemanden kaltblütig, wie ein Killer, abzuschlachten, frohgemut in der roten Blutlache zu stolzieren und, ohne dabei mit der Wimper zu zucken, den Tod als seinen größten Verbündeten zu bezeichnen. Der Tod war sein größter Feind.
 

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