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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern zur
zweitbesten Fantasy-Story 2007 im Drachental gewählt!

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Sterben ist nicht genug von Peter Lässig

Der Wind hatte aufgefrischt und die Gewitterwolken hingen tief, so tief, dass der Wolkenkratzer, in dem unter anderem das Strafgericht untergebracht war, im oberen Drittel vollständig verschwunden zu sein schien. Die Blitze, die immer wieder aus dem verhangenen Himmel von Wolke zu Wolke oder erdwärts zischten, beachtete keiner der wenigen Passanten. Sommergewitter waren jetzt nichts Ungewöhnliches.
Etwas anderes hielt die Bewohner dieser Stadt in Atem. Die meisten hatten sich an diesem Tag extra freigenommen und die, die dennoch arbeiten mussten, waren nun vor den Fernsehschirmen in den Werkshallen oder Ladenlokalen versammelt, um dem Spektakel beizuwohnen.
Doch es war kein Sportereignis.

Die Hauptstraße vor dem Gerichtsgebäude war für den öffentlichen Verkehr gesperrt, nur Übertragungsfahrzeuge verschiedener Rundfunkanstalten drängelten sich davor, jede Menge Sicherheitskräfte in Uniformen und auch in Zivil und eine schwarze Limousine nach der anderen fuhr vor. Ihre Scheiben waren getönt, so dass man von außen nicht das Geringste erkennen konnte.
Es waren die Richter, ihre Minen waren ernst. Auf ihnen lastete heute eine besondere Verantwortung.
Normalerweise bestand der Strafsenat aus vier menschlichen Mitgliedern und einem Chi’lin. 
Die Chi’lin gehörten in diesem Land im Fernen Osten zu den seltensten Geschöpfen, die man sich nur vorstellen kann, vielleicht waren sie sogar die seltensten Geschöpfe der gesamten bekannten Welt. Es waren Einhörner, doch hatten sie mit jenen pferdeartigen, verspielt wirkenden Wesen, die in unseren Breiten verbreitet waren, nur das einzelne Horn auf ihrer Stirn gemeinsam. Sie waren nicht größer als ein ausgewachsener Wolf, doch waren sie von einer nahezu unbezähmbaren Wildheit und Mordlust. Ihr Leib war schuppenbesetzt, das hatten sie mit ihren Verwandten, den Kirins, gemein, und ihr Haupt war umrahmt von einer wilden Löwenmähne. Ihre Schuppen schienen aus purem Gold zu sein, ihr Horn aus feinstem Silber. In der Regel war in jedem Gerichtsgremium ein Chi’lin vertreten, denn diese Wesen hatten die Eigenschaft, unfehlbar zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Man musste schon besondere Fähigkeiten besitzen, um solch ein Geschöpf zu täuschen. Das Chi’lin war zugleich auch der Scharfrichter, der den als schuldig Verurteilten gleich an Ort und Stelle mit seinem Horn richtete.
Heute jedoch war zusätzlich noch der oberste Richter anwesend und das zeigte neben all der Medienpräsenz die Brisanz der heute zu verhandelnden Kausa.
Im Gegensatz zu den Angeklagten, die unter schwerster Bewachung unterirdisch in das Gerichtsgebäude geführt wurden, stieg dieser buchstäblich aus dem Himmel herab. Sein schlangenartiger, funkelnder Leib glich silbernen Blitzen, wenn er buchstäblich über und durch die Wolken schwamm. Dieser Himmelsdrache, das weiseste und älteste Geschöpf in diesem fernen Reich, war direkt der tief hängenden Gewitterwolke entstiegen, um der heutigen Verhandlung höchstpersönlich als Richter beizuwohnen.

Der Prozess zog sich in die Länge und die Zuhörer waren entsetzt über die Verbrechen, die den beiden Beschuldigten zur Last gelegt wurden. Der Hauptangeklagte, ein grausamer Drache namens Nero, hatte sich der schwarzen Magie verschrieben. Bei seinen Experimenten und Übungen verstümmelte und tötete er unzählige Opfer auf grauenvolle Weise.
Kiseki, dem Kirin, das aufgrund tragischer Umstände dem Drachen zum bedingungslosen Gehorsam verpflichtet gewesen war, drohte als Mitangeklagten ebenfalls die Todesstrafe.
Nun war atemlose Stille eingetreten, als der oberste Richter Caelestasan würdevoll seine Stimme erhob. Sie tönte wie ein großer bronzener Gong, der geschlagen wurde.
"Nachdem wir alle Beweise geprüft, alle Aussagen gegeneinander abgewogen haben, nachdem somit die Schuld der beiden Angeklagten eindeutig festgestellt worden ist, verkünde ich nun das Urteil. Nero, der Drache, ist unter Aberkennung all seiner Würde..."

Es waren die letzten Worte, die man von diesem prächtigen Himmelsdrachen jemals gehört hatte. Denn genau in diesem Augenblick verschlang ein Feuerball unvorstellbaren Ausmaßes den Gerichtssaal.
Was auch immer an Leben in diesem Raum war, musste unweigerlich binnen Augenblicke dahingerafft worden sein.
Die Mauern barsten und Feuersäulen und dicke, schwarze Rauchschwaden reichten zum Himmel hinauf.
Wer noch in der Lage gewesen war, dem Inferno in dem Gebäude zu entkommen, floh auf die Straße, wo sich die überraschend schnell eingetroffenen Feuerbrigaden einen verzweifelten Kampf mit der Feuersbrunst lieferten.
Im ersten Augenblick dachte niemand daran, dass auch die angrenzenden Gebäude nicht lange dem Ansturm der Höllenglut standhalten würden...

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"Das ist mir ziemlich schnurz, warum er nicht bezahlt hat! Er schuldet mir noch das Geld von der vorigen Lieferung!" brüllte Don Draghone in das Telefon und schlug mit seiner Faust auf den Tisch, so dass das Glas mit seinem Weißbier-Cola vibrierte. Sein Drachenschwanz peitschte die Luft und beinahe hätte er damit die Stehlampe in der hinteren Ecke umgeworfen. "Für was habe ich eigentlich meine besten Leute vor Ort? - Wie? Nun gut, dann brecht ihm auch noch den anderen Arm, zur Warnung, und dann nehmt sein Auto. Muss ich denn hier wirklich alles alleine machen?"
Wütend knallte er den Hörer auf die Gabel.
Der silberne Drache schüttelte den Kopf. Zur Zeit war irgendwie der Wurm drin. Zwar lief seine neu besetzte Entertainmentsparte ausgezeichnet, aber die anderen Unternehmenssegmente zeigten deutliche Umsatzeinbußen. Vor allem der Waffenhandel, die Prostitution und neuerdings auch der Drogenabsatz stagnierten. Das heißt, Drogen wurden in immer stärkerem Maße konsumiert. Doch kauften die Leute immer weniger bei seiner Organisation - und die, die bei ihm kauften, waren immer weniger im Stande, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen. Kein Wunder, waren es zumeist Arbeitslose oder Jugendliche aus der neuen sozialen Unterschicht, wie man das heutzutage so schön formulierte.
Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, arbeitete seine Forschungsabteilung mit Hochdruck an preisgünstigeren Herstellungsmethoden, um den Preis senken zu können, doch die Konkurrenz war immer einen Schritt voraus.
Immerhin konnte Don Draghone in diesem Wettlauf jedoch einen entscheidenden Sieg verbuchen: Beinahe zufällig hatten seine Leute ein Verfahren entdeckt, Rauschgifte so zu veredeln, dass sie beispielsweise von Drogenspürhunden nicht wahrgenommen werden konnten und sogar Polizeianalysen zum Ergebnis kamen, es würde sich um gewöhnlichen Zucker handeln. Doch das hatte wiederum seinen Preis und so erweckte diese neuartige Droge zwar sehr viel Interesse bei den Dealern, aber kaum jemand konnte sie bezahlen. Es war ein Teufelskreis.
Zu allem Überfluss war der Drache auf der Suche nach seinem goldenen Füllfederhalter. Den vermisste er schon seit Tagen, und das, wo er doch so ordentlich und akribisch war. Es war, als ob er einen Kobold bei sich hätte, andauernd verschwand irgendwas und tauchte Tage später wieder an den wundersamsten Orten auf.
Schwerfällig erhob sich Don Draghone aus seinem Sessel, eine Spezialanfertigung, die absolut drachentauglich war. Er lief unruhig in seinem Zimmer auf und ab, sein Schwanz zuckte nervös.
"Diese verdammten Schlitzaugen!" Offensichtlich wurde hierzulande der Drogenmarkt systematisch von Organisationen aus dem Fernen Ostern infiltriert. Dennoch scheute Don Draghone einen offenen Konflikt, bei dem zweifelsohne Blut fließen würde. Einen seiner Leute hatte man ohnehin schon vor einigen Wochen in Einzelteilen aufgefunden. Es war eines ihrer Markenzeichen: Das Zersägen ihrer Opfer. Natürlich wenn es noch am Leben war, versteht sich. Obwohl der Drache äußerst abgebrüht war und selbst nicht gerade zimperlich im Umgang mit anderen, bei den ihm vorgelegten Bildern hatte er sich übergeben müssen.
"Ich brauche Entspannung", grollte er und griff nach seinem Hörer. "Vielleicht sollte ich mal wieder zum Wellness. Und hilf mir mal wer, den gottverdammten Füller zu finden!"

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"Wenn ich's Dir sage, seine Nerven liegen absolut blank."
"Von was redest Du eigentlich die ganze Zeit?" brummte das Drachenpferd. "Musst Du Dich andauernd irgendwo herumtreiben und den Leuten irgendwelche dummen Streiche spielen?"
Higure hielt den goldenen Füllfederhalter näher ans Feuer. Er mochte Dinge, die glitzerten. Der kleine Fuchsgeist, ein einschwänziger Kitsune, erfreute sich noch ein wenig an dem im Flammenschein funkelnden Schreibgerät und warf dann einen zaghaften Blick auf seinen Freund und Vertrauten.
Sie lagerten einige Kilometer außerhalb der großen Stadt in einer alten Burgruine. Menschen kamen so gut wie nie hierher, denn aus einem unerfindlichen Grund hieß es, dass es an diesem Ort nicht mit rechten Dingen zugehen würde. Doch das Kirin konnte keinerlei negativen Energien wahrnehmen.

Sie waren auf der Flucht, Tag und Nacht, vor Menschen, die ihnen nachstellten und, was noch schlimmer war, vor den Schatten Kisekis Vergangenheit.
Kirin sind prachtvolle Geschöpfe. Ihr Erscheinen verheißt Glück und Segen für denjenigen, dem sie erscheinen. Sie ähneln vom Körper her Pferden, jedoch ist dieser mit samtigen Schuppen besetzt, die pastellfarben, manchmal auch weiß oder silbern schimmern. Auf ihrer Stirn tragen diese Drachenpferde ein einzelnes Horn, das aus verschiedensten Gründen für den Menschen äußerst wertvoll ist.
Kiseki jedoch war etwas Besonderes: Er hatte eine anthropomorphe Gestalt und als äußerst seltener Schwärzling war nicht nur sein Horn als Jagdtrophäe besonders begehrt.
Das war einer der Gründe, weshalb er Menschensiedlungen weitestgehend mied und nur wenn es absolut erforderlich war, legte er einen Tarnzauber an und mischte sich in Menschengestalt unter das Volk.
"Glaubst Du, dass das heute wirklich normale Jäger waren, die es mal wieder auf mein Horn oder meine schwarze Schuppenhaut abgesehen haben?" brach Kiseki unvermittelt das Schweigen, doch eigentlich wusste er bereits die Antwort. Daher fügte er mit gesenkter Stimme hinzu: "Es waren seine Assassine, nicht wahr?"
Higure erwiderte nichts darauf, er rutschte nur näher an das Kirin heran und kuschelte sich gegen dessen Seite. Kiseki seufzte und war dankbar für diese Geste des Trostes.

Eigentlich war Kisekis Leben schon immer von Flucht geprägt gewesen. In seiner Jugend war das Dorf von marodierenden Banditen angegriffen und niedergebrannt worden. Fast alle Bewohner wurden brutal ermordet, Frauen und Kinder wurden zuvor noch geschändet. Die dort lebenden Kirin jedoch wurden auf Sklavenmärkten verkauft und in verschiedenste Regionen der Welt deportiert.
Kein Kirin unterwirft sich einem anderen Wesen, ja es würde bei allem Respekt nicht einmal vor einem König oder Kaiser sein gehörntes Haupt senken. So gesehen wäre die Ermordung der Kirins wohl für sie das leichtere Schicksal gewesen.
Über Kiseki hatten jedoch die Götter gnädig ihre schützende Hand gehalten: Wie durch ein Wunder überlebte er diesen Angriff und entkam seinen Häschern. Doch dann zeichnete ihm das Schicksal einen ungewöhnlichen Pfad.
Nach wochenlanger einsamer Wanderung voll Hunger und Gefahren traf er auf einen Drachen, der ihn ohne Zögern bei sich aufnahm als seinen Lehrling und ihn beinahe wie seinen eigenen Sohn behandelte.
Jener Drache war begeisterter Magieschüler und vor allem in den Künsten der Elementarmagie war er aufs höchste begabt.
Noch jung an Jahren war Kiseki leicht zu beeindrucken und so schloss er sich der Ausbildung zum Magier an.
Die Jahre vergingen und das Kirin erwies sich ebenfalls als ein sehr begabter Schüler, sehr zur Freude seines Ziehvaters und Lehrers, der sich jedoch immer mehr der schwarzen Magie verschrieben hatte.
Zu spät erkannte Kiseki, dass er sich auf einem Pfad ohne Wiederkehr befand. Wie es der Drache bewerkstelligt hatte, würde er niemals erfahren, doch brachte er das Kirin dazu, ihm absoluten Gehorsam zu schwören. Einen vollkommeneren Sklaven hätte sich der Drache nicht wünschen können.
Gebunden durch den Treueeid befriedigte Kiseki die Wünsche seines Meisters, auch wenn diese immer öfters zum Schaden von anderen gereichten.
Langsam schlug die jugendliche Begeisterung und Bewunderung um in Angst vor dem Drachen, der ihn immer mehr dazu benutzte, um an ihm neue Zaubersprüche der dunklen Magie zu testen oder ihn zwang, andere Testobjekte für seine Grausamkeiten zu finden. Anfangs waren es noch Insekten, doch später wurden es kleinere Säugetiere und Vögel, an denen der Drache verschiedenste Tötungs- und Folterzauber erprobte. Mit der Zeit verschwanden Katzen und Hunde aus der Gegend rund um die Drachenbehausung, später hieß er das Kirin sogar, Kinder zu entführen. Keines davon ward jemals mehr gesehen.
Kiseki ging dabei fast zu Grunde, da es absolut wider die Natur eines Kirins ist, ein lebendes Geschöpf auch nur zu verletzen. Doch er hatte keine andere Wahl, der Eid war das Heiligste und er fürchtete einen qualvollen Tod, wenn er seinen Drachenmeister enttäuschte.
Erst an jenem Tag, der in den Geschichtsbüchern überall auf der Welt als Giornodifiamme, Feuertag, verzeichnet war, brach seine Bindung zu diesem Drachen.
Er und der Drache standen vor Gericht und ihnen drohte die Todesstrafe.
Doch Nero war mittlerweile der mächtigste Schwarzmagier, den die Welt je gesehen hatte. Mit einem formidablen Trick, dem zahllose unschuldige Menschen zum Opfer fielen, als die Flammen von dem brennenden Gerichtsgebäude schließlich auf die übrige Stadt übergriffen, konnte er erneut entkommen und blieb bis heute unentdeckt. Billigend hatte er den Tod seines Schülers in Kauf genommen und nun sah er in dem überlebenden Kirin eine tödliche Gefahr. Schließlich kannte Nero niemand so gut wie Kiseki.

"Es könnten aber auch Caelestasans Jäger gewesen sein. Schließlich bist Du immer noch zum Tode verurteilt und man unterstellt Dir, dass Du Nero zur Flucht verholfen hast", meinte Higure schließlich.
Kiseki zuckte die Achseln. "Eigentlich ja einerlei, wer mich letztendlich zur Strecke bringt. Die Menschen, Neros Häscher oder die Justiz. Weißt Du, Higure, ich habe langsam keine Lust mehr. Ich bin es leid, ständig auf der Flucht zu sein."
Dass er trotz allem auch seinen Herren und Meister, Nero, vermisste, behielt das Kirin für sich. Vor allem, für ihn selbst war das absolut unverständlich, nach all dem, was ihm dieser Drache angetan hatte.
Der Kitsune kroch nun dem Kirin auf den Schoß und blickte zu ihm auf. Die Andeutung eines Lächelns umspielte seine Fuchsschnauze.
"Weißt Du, das braucht es vielleicht gar nicht."
"Was meinst Du?" fragte Kiseki alarmiert. Denn schon öfters hatten die Ideen des Fuchsgeistes zu viel Unruhe und Chaos geführt.
"Nun, die Justiz ist an sich träge, mehr Gefahr droht Dir von diesem Drachen. Wenn Nero erst einmal endgültig unschädlich gemacht wäre, könntest Du ein weitaus ruhigeres Leben führen."
Kiseki lachte bitter: "Nero unschädlich machen? Du hast selbst gesehen, welche Macht er besitzt. Er entkam sogar den Wächtern des Caelestasan. Niemand kann aus diesem Gerichtsgebäude entfliehen, nicht einmal ein Gott. Doch Nero hat es geschafft. Wer weiß, welche Macht er jetzt hat. Niemand mehr wird es noch wagen, sich ihm in den Weg zu stellen. Niemand wird ihn jemals besiegen können."
"Doch!" widersprach der Kitsune. "Du kannst das, mein Freund, denn Du hast die Macht dazu. Zwar ist Deine Ausbildung nicht so weit fortgeschritten wie die des Meisters, doch dafür kennst Du ihn besser als sonst irgendwer."
"Das nützt mir nichts. Alleine habe ich keine Chance."
"Das ist wahr", lächelte Higure. "Du brauchst dazu Unterstützung. Und zwar am besten von einem anderen mächtigen Drachen."
Missmutig warf das Kirin noch ein paar Scheite ins Feuer. "Blödsinn. Welcher Drache sollte mir schon helfen wollen."
"Einer, der auch Interesse daran hat, dass Nero verschwindet."
"Ach was. Und wer soll das bitteschön sein?"

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Die attraktive Löwin schenkte dem Silberdrachen ein bezauberndes Lächeln, als sie sich ein wenig vorbeugte, dabei einen guten Einblick in ihr Dekolleté gewährend: "Ah, hier, Herr Don Draghone. Schön, dass Sie sich mal wieder bei uns verwöhnen lassen. Sie kennen sich ja aus, Ihr Massagetermin ist wie immer um zwanzig Uhr. Es ist alles für Sie arrangiert. Heute gar nicht in Begleitung?"
Don Draghone schüttelte den Kopf, als er die frisch gestärkten Handtücher und den Bademantel entgegennahm. Er hatte darauf verzichtet, seine beiden engsten Vertrauten oder gar einen Leibwächter mitzubringen. Er wollte alleine sein und einfach entspannen. Meist war der Whirlpool der Ort, an dem ihm die besten Einfälle kamen. Doch heute suchte er auch nicht nach Problemlösungen, das konnte er immer noch später tun.
Mit einem wohligen Brummeln ließ er sich in das warme Wasser des Sprudelbades gleiten. Außer ihm waren kaum Besucher anwesend und nur ein weiterer Badegast teilte momentan mit ihm das Bad.
Der Silberdrache musterte den ziemlich klein gewachsenen Fuchs, der mit geschlossenen Augen die blubbernden Blasen genoss, und murmelte ihm einen Gruß zu. Dann ließ er sich auf der gegenüberliegenden Seite nieder. Don Draghone liebte es, wie das warme Wasser seine silbernen Schuppen umschmeichelte. Es war sehr dampfig und die Luft war geschwängert von einer Duftmischung aus edlen Badeölen und Chlor.
"Bist Du oft hier?"
Die samtige Stimme des Fuchses ließ den Drachen ein wenig aufschrecken.
"Oh, nein, doch, regelmäßig eigentlich, aber, ich meine...", kam Don Draghone ins Stocken. Etwas Seltsames war geschehen: Es war eine Fähigkeit des Drachens, in die Gedanken seines Gegenübers einzutauchen, doch in diesem Fall stieß er auf eine Art Mauer aus Nebel und Rauch. Er konnte nicht einmal erkennen, ob es sich um eine Füchsin oder ein Männchen handelte. Dieses Geschöpf erschien irgendwie geschlechtslos, doch genau dieses Mysterium machte dieses Wesen so bezaubernd und attraktiv.
Dass sich die Fuchsdame, Don Draghone entschied sich dafür, dass es einfach eine Füchsin sein musste, nun von dem Poolrand löste und zu ihm herüberkam, brachte ihn noch mehr aus dem Konzept.
"Du darfst mich Lady Higura nennen, mein Süßer. Und mit wem habe ich das Vergnügen?" Ganz nonchalant hatte sie sich auf seinen Schoß gesetzt und ihr nasses Rückenfell presste gegen die silbernen Brustschuppen des Drachens. Diesem traten Schweißperlen auf die Stirn: "Mein Name ist Draghone. Don Draghone."
Er schluckte. Anscheinend war die Lady Higura eine Füchsin, die ganz genau wusste, was sie wollte. Sie war eindeutig auf Raub aus.
Don Draghone streckte seine Arme aus und strich über ihr weiches, rostfarbenes Rückenfell. Auch wenn es ihn immer noch irritierte, dass er nicht mit seinem Blick in ihr Inneres vordringen konnte, ließ er sich auf ihr Spiel ein. War er schließlich nicht hierher gekommen, um sich zu entspannen und sich verwöhnen zu lassen?
"Hast Du schon einen Massagetermin?" fragte sie beiläufig.
"Ja, nachher bei Fadango."
"Welch ein Zufall, ich auch", hauchte sie. "Vor allem finde ich, das ist der beste Masseur, den die hier haben. Er beherrscht seine Griffe so gut."
Der Drache musterte die Füchsin, die sich auf seinem Schoß räkelte. Ihre berückende Nähe, ihre Keckheit, das warme Wasser, ihr Duft, das alles reizte seine Sinne und er verspürte eine gewisse Regung in seinem Unterleib. "Er beherrscht seine Griffe so gut - natürlich, Mädel, darauf bist Du aus, nicht wahr? Nun Du solltest erleben, wie ein Drache erst seine Griffe beherrscht", dachte Don Draghone und in seinen Augen flackerte Verlangen. Aber er brachte nur ein gepresstes  "Ja, gewiss" hervor.
"Und wann hast Du Deine Massage?" bohrte sie weiter. Ihr gefiel es offensichtlich, wie sie sein Drachenblut langsam in Wallung brachte.
"Jetzt dann, um Acht."
"Ehrlich?" rief sie aus. "So ein Zufall. Ich auch!"
Der Drache ließ ein erfreutes Schnurren vernehmen, als sie sich auf seinem Schoß ein wenig zurecht setzte und hinzufügte: "Dann können wir ja zusammen hingehen und danach noch etwas trinken gehen. Ich kenne da eine ganz lauschige Bar..."
Sie warf ihm einen Blick zu, der Bände sprach. Schließlich rutschte sie von ihm herunter und stieg aus dem Whirlpool, ihren Fuchsschwanz kokett zur Seite geschlagen. Äußerst aufreizend bückte sie sich, um ihr Handtuch aufzuheben. Ein wenig schwerfällig folgte ihr der Drache. Das würde in der Tat ein sehr interessanter Abend werden...

Die schwarzen, gespaltenen Hufe verursachten auf dem blank gewienerten Marmorboden leise Klickgeräusche, die jedoch durch das monotone Surren und Wummern der Bodenpoliermaschine übertönt wurden. Das in den grauen Arbeitsmantel gehüllte Wesen hielt seinen Blick gesenkt, als es vom Ende des Korridors gedämpft Stimmen hörte, die schließlich in einem überraschten Ausruf endeten.
"Das soll wohl ein Witz sein?" grollte der silberne Drache.
"Ach komm, Süßer, reg Dich nicht auf, gehen wir halt gleich in die Bar." Die Füchsin blickte ihren Begleiter lächelnd an.
"Wieso ist da an dieser Tür dieses dämliche Schild?" Don Draghone ging gar nicht auf Lady Higuras Vorschlag ein. "Fadango massiert mich immer in diesem Raum. Das ist das übliche Massagezimmer."
"Naja, wenn da aber steht, dass dieser Raum wegen Renovierungsarbeiten vorübergehend nicht benutzbar ist", beschwichtigte die Füchsin.
"Das hätte dann aber das Kitty vom Empfang auch gleich sagen können, als sie mir den Massagetermin gegeben hat. Ich habe wirklich keine Lust, im ganzen Haus hier dem guten Fadango nachzulaufen."
"Oh, ssurrr Massage, Sssie müssen gehen bitte einfach in die ssweite Ssstock."
"Wie bitte?" Der eigenartige Singsang riss den Silberdrachen aus seinem Grollen. Vor ihm stand die Reinigungskraft, die Bodenpoliermaschine arbeitete auf Hochleistung. Ähnlich wie bei der Füchsin gelang es Don Draghone nicht, in die Gedanken der Putzkraft vorzudringen. Als Stammgast in diesem Etablissement kannte der Drachen von der einfachen Putzfrau bis hin zum Management jeden Beschäftigten namentlich, doch diese Person war ihm gänzlich unbekannt. Zwar trug sie die übliche Arbeitskluft des Putzpersonals, aber er konnte nicht das Gesicht erkennen.
"Ich hab Sie hier noch nie gesehen. Neu hier? Und warum laufen Sie hier mit der Kapuze rum? Etwas albern in einem geschlossenen Raum, nicht?" knurrte Don Draghone. Freilich war ihm bekannt, dass gerade viele junge Leute heutzutage mit Kapuzen herum liefen, das gehörte zu deren Gangsta-Lifestyle, so weit er wusste. Doch die damit verbundene Musik, Rap genannt, war so gar nicht sein Geschmack.
"Ja, Versseihung! Isch hierr neu. Missster Fadango Sssie erwarten in ssweite Sssstock, wenn Sssie Don Draghone."
"Dann gehen wir doch einfach dort rauf, dahinten ist der Lift", schlug Lady Higura vor und bugsierte den Drachen zu dem Aufzug.
"Dem seine komische Stimme geht mir auf den Keks." Don Draghones Schweif peitschte die Luft. "Und ich finde es eine Frechheit, dass..."
Die Lifttüren schlossen sich hinter dem ungleichen Paar.

Der zweite Stock des Wellnesscenters war erst vor kurzem renoviert und ausgebaut worden. Es roch nach frischer Farbe, nach edlen Hölzern und nach Leder. Marmor und Chrom blitzten. Die Füchsin deutete auf ein Hinweisschild: "Hier steht’s ja angeschrieben, die Massagezimmer sind dort hinten. Da, unsere Namen sind bereits auf diesem Belegungsplan eingetragen. Geh doch schon mal vor, ich gehe vorher noch mal rasch für kleine Füchsinnen."
Don Draghone nickte und betrat den angegebenen Raum. "Na klasse, Zimmer 2 42", nörgelte er. Aus irgendeinem Grunde hasste er die Zahl 42. Vielleicht, weil es so schick war, diese Zahl zu mögen. Vor allem in Anhalter-Kreisen...
Die lederverkleidete Tür fiel hinter ihm leise ins Schloss. Der Drache blickte sich um. Der Raum war holzgetäfelt, drei Massagebänke, einige Ablagen für Handtücher, Massageöle und andere Utensilien und ein großes Aquarium waren die einzigen Einrichtungsgegenstände. Fadango war noch nicht zu sehen.
Ein eigenartiger Geruch drang an die Drachennüstern. Entfernt erinnerte er an den Duft von Räucherstäbchen. Doch war da noch etwas anderes, was in Don Draghone ein Gefühl von Unbehagen hervorrief und seine Sinne alarmierte. Kaum wahrnehmbar, doch unzweifelhaft vorhanden. Es roch nach etwas, das dem Drachen seltsam vertraut vorkam.
Er setzte sich auf die Massagebank. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet und seine Kehle brannte auf einmal. Er hatte schrecklichen Durst. Ein Gefühl von Schwindel beschlich ihn.
"Das gibt’s doch nicht!" schrie er entsetzt und sprang auf. Er musste diesen Raum verlassen, bevor es zu spät war, doch er erreichte die rettende Tür nicht mehr. Ihm wurde schwarz vor Augen und er sank zu Boden. Dann verlor er das Bewusstsein.

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Wie lange lag er hier schon? Stunden? Tage? Wochen? Don Draghone war jegliches Zeitgefühl abhanden gekommen und ihm fehlte die Erinnerung. Ganz vage erinnerte er sich an den Wellnesstempel, an diese geheimnisvoll verführerische Füchsin, doch danach kam nichts mehr.
In der Luft lag ein eigenartiger Geruch: Eine Mischung aus dem Duft von frisch geschlagenem Holz, Feuer und Pferd. Pferd?
Der Drache versuchte, die Duftmischung genauer zu analysieren, doch schienen ihm seine Sinne einen Streich zu spielen, denn nun roch er Motoröl, nassen Mörtel und etwas anderes, das er nicht einordnen konnte.
Er verspürte quälenden Durst. Stöhnend versuchte er, seine Augen zu öffnen, es gelang ihm jedoch bloß für einen kurzen Augenblick. Der Raum, in dem er sich befand, war nur sehr spärlich beleuchtet. Sein Kopf schmerzte, als ob er mehrere Nächte durchzecht hätte.
Nach drei weiteren Versuchen gelang es ihm schließlich und verschwommene Schemen formten sich zu einem halbwegs klaren Bild. Er lag am Rücken in einer Art großem Stall, wie es den Anschein hatte.
Don Draghone stellte zu seinem Entsetzen fest, dass er sich nicht bewegen konnte; er war rücklings auf einem großen Tisch festgeschnallt mit stabilen Eisenbändern. Der Drache wollte seiner Wut freien Lauf lassen, doch seine Schnauze war mit einem Lederriemen zugebunden.
"Eine reine Vorsichtsmaßnahme, von der ich überzeugt bin, dass Sie dafür Verständnis haben, hoch verehrter Don Draghone. Ich bin äußerst erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen."
Eine schwarzgeschuppte Pferdeschnauze kam in sein Blickfeld. Der Silberdrache versuchte, die Fesseln zu zerreißen, doch das Wesen blickte kopfschüttelnd auf ihn herab. Don Draghone konnte in dem schwachen Licht das prächtige Horn erkennen. "Ein Kirin", durchzuckte ihn die Erkenntnis wie ein Blitz.
"Richtig beobachtet", lächelte das Drachenpferd. "Wie Sie wissen, sind wir recht magiebegabte Wesen. Das Lesen von Gedanken ist keine große Kunst für uns. Sie fragen sich gerade zurecht, weshalb Sie hier sind an diesem Ort. Ach ja, was die Fesseln anbelangt, sie sind auch magisch gewoben. Sie können sich also Ihre Kräfte, die Sie zweifelsohne noch brauchen werden, sparen. Gestatten Sie mir nun, dass ich mich vorstelle. Und da ich Sie doch als sehr verständig einschätze...", mit diesen Worten löste das Kirin das Lederband von der Drachenschnauze, "...nehme ich Ihnen das hier mal ab."
"Was fällt Ihnen eigentlich ein, ich...", legte Don Draghone los, doch eine Handbewegung des Kirins ließ ihn schlagartig verstummen - im wahrsten Sinne des Wortes: Er konnte seine Zunge nicht mehr bewegen und er röchelte nur noch.
"Glauben Sie mir, ich verstehe Ihre Wut. Doch ich versichere Ihnen, ich möchte Ihnen nur einen Vorschlag unterbreiten, weiter nichts. Ich stelle Ihnen noch meinen engsten Vertrauten, Freund und Mitarbeiter vor. Bitte achten Sie vor allem auf das, was er in seiner Hand hält."
"Hallo, mein Süßer!"
Don Draghone erkannte die Stimme sofort. Er wollte etwas sagen, doch seine Zunge war immer noch starr in seinem Maul.
"Tut mir leid, dass ich Dich enttäuschen muss, Süßer." Die Füchsin setzte sich frech grinsend rittlings auf die Beine des Drachens und grinste ihn an. "Leider bin ich nicht Lady Higura. Auch bin ich keine Füchsin."
Allmählich erkannte der Drache, dass es sich bei diesem Wesen um einen Fuchsgeist, einen Kitsune, handelte.
"Mein richtiger Name ist Higure", sagte der Kitsune leise und hielt Don Draghone seine flache Hand vor Augen, in der einige kleine schwarze Perlen schimmerten. "Ich denke mal, davon kennst Du jedoch den wahren Namen."
Der Drache gab einen gequälten Laut von sich, als ihm der bekannte Geruch in die Nüstern stieg. So also hatten sie ihn überwältigt.
Diese Perlen waren sogenannter Drachenbann in hochkonzentrierter Form. Beim Drachenbann handelt es sich um eine Pflanze, die der Kornblume nicht unähnlich ist. Deren Blätter werden gepresst und der daraus gewonnene Saft wird destilliert. Unter Einsatz von Magie erhält man schließlich jene wunderschönen schwarzen Perlen, mit denen man einen Drachen vernichten kann. Die Dämpfe, die alleine eine einzige kleine Kugel verströmt, lassen das Reptil langsam aber sicher dahinsiechen. Mit jedem Atemzug gerät mehr von dem Gift in den Drachenkörper.
"Nun, ich denke, nachdem Sie gesehen haben, was wir gegen Sie in der Hand haben, mein hoch verehrter Don Draghone, kann ich es riskieren, Sie aufstehen zu lassen und Ihnen Ihre Sprache wiederzugeben. Ich denke, Sie werden vernünftig genug sein, keinen Angriffsversuch zu unternehmen. An Flucht denken Sie ja ohnehin nicht, so wie ich Sie einschätze."
Das Kirin nickte dem Kitsune zu: "Higure, binde unseren Freund los. Und klettere von ihm runter, es gehört sich nicht, dass man sich auf Gäste des Hauses setzt."

Don Draghone streckte seine Flügel durch und musterte das Kirin. Zorn flackerte in seinen Augen und sein Schwanz peitschte die Luft. Doch ihm war klar, dass er seine Häscher nicht überwinden konnte, nicht, so lange sie den Drachenbann bei sich hatten.
"Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wer Sie sind und was Sie von mir wollen", grollte der Drache.
Das Kirin verbeugte sich: "Oh, wo bleiben meine Manieren. Bitte verzeihen Sie mir, in der ganzen Aufregung habe ich doch glatt vergessen, mich vorzustellen. Sie können mich Kiseki nennen."
"Und was soll das ganze Theater hier? Warum halten Sie mich fest und bedrohen mich mit Drachenbann?"
"Nun, darüber möchte ich mit Ihnen ja gerade sprechen, mein Bester. Setzen wir uns doch." Kiseki deutete in eine Ecke des Raumes, in der sich eine gemütlich aussehende Sitzgruppe befand und eine recht gut bestückte Hausbar. "Verehrter Don Draghone, was darf ich Ihnen zu trinken anbieten? Weißbier-Cola?"
Verwirrt schnaubte der Drache auf, doch bevor er etwas erwidern konnte, forderte das Kirin seinen Gefährten auf: "Higure, bringe unserem Gast einen großes Weißbier-Cola, aber selbstverständlich gut gekühlt und keinesfalls geschüttelt, und mit drei Cocktailkirschen. Mir kannst Du das gleiche bringen."
"Woher wissen Sie das?" fragte Don Draghone. Allmählich wichen seine Wut und seine Frustration darüber, dass er übertölpelt wurde wie ein blutiger Anfänger, einer aufkommenden Angst.
"Nun, Sie sind bekannt, Don Draghone. Und ich empfinde eine tiefe Bewunderung für Sie und Ihr - sagen wir - Unternehmen. Da informiert man sich schon mal ein wenig gründlicher."
"Und woher haben Sie ihre Informationen?" fragte der Drache, als er vorsichtig das Weißbierglas in seine Pranke nahm.
"Das ist leider Berufsgeheimnis", lächelte Kiseki.
"Und wo befinden wir uns hier?"
"Auch das, fürchte ich, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber seien Sie unbesorgt, mein Freund. Wir sind hier völlig sicher und garantiert absolut ungestört. Außerdem kann uns hier niemand belauschen oder beobachten. Machen Sie sich nicht so viele Gedanken. Sie sind mein Gast, nicht mein Gefangener."
"Diesen Eindruck habe ich aber nicht, wenn ich an die Umstände dieser Einladung denke und an das hier." Don Draghone schielte zu den Drachenbannperlen, die der Fuchsgeist in sicherer Entfernung abgelegt hatte. Dennoch konnte der Drache ihren Geruch wahrnehmen und er fühlte, dass ihm langsam aber stetig seine Kräfte schwanden.
"Das dürfen Sie nicht persönlich nehmen. Wie gesagt, das dient mehr meinem eigenen Schutz als Ihnen zu drohen. Noch einen Drink?"
Don Draghone schüttelte den Kopf. "Danke. Lassen Sie uns zum Geschäftlichen kommen. Ich möchte endlich wissen, weshalb ich hier bin."
"Das ist nur zu verständlich." Kiseki lehnte sich bequem zurück. "Don Draghone. Sehen Sie mich an. Wissen Sie, wer ich bin?"
Der Drache schüttelte den Kopf. "Ich sehe, dass Sie ein Vertreter der Spezies Kirin sind. Etwas Besonderes obendrein, denn Sie sind schwarz geschuppt. Kirins leben in den fernen, östlichen Teilen dieser Welt und..."
"Ja, ist schon gut", winkte Kiseki ab. "Auch Ihr herausragendes Allgemeinwissen ist weithin bekannt, Don Draghone. Es gibt so gut wie keinen Bereich, in dem Sie nicht bewandert sind, soweit ich weiß. Aber Sie wissen anscheinend nicht, wer ich bin, oder?"
"Nein, Ihr Name sagt mir nichts, das ist wahr", räumte der Drache ein und ärgerte sich insgeheim darüber, dass dieses Geschöpf ihn neugierig machte. Don Draghone hatte eine Schwäche für Geheimnisse und mysteriöse Identitäten.
"Schön, sagt Ihnen der Name Nero etwas?"
"Nero? Nie gehört."
"Nun, Nero, der schwarze Drache, ist der Grund, weshalb Sie hier sind."
"Das müssen Sie mir erklären."

Nachdem Kiseki Don Draghone im Groben die Ereignisse bis hin zu der dramatischen Flucht aus dem Gerichtsgebäude geschildert hatte, fragte Don Draghone mit einem Hauch von Ungeduld in seiner Stimme: "Und, was habe ich damit zu tun?"
Das Kirin lehnte sich ein wenig vor und blickte dem Drachen direkt in die Augen: "Ich brauche Sie. Nur Sie können mir helfen, Nero unschädlich zu machen. Er stellt, wie ich Ihnen hoffentlich verständlich machen konnte, eine gewaltige Bedrohung für die gesamte Zivilisation dar."
"Sie sagen, er wäre der Meister aller Meister der Schwarzen Magie. Wie kommen Sie darauf, dass ich Ihnen dabei helfen könnte, ihn zu schlagen? Wenn Sie sich schon so gut über mich informiert haben, dann wird Ihnen wohl nicht entgangen sein, dass ich kein Drache der Magie bin, abgesehen von dem Bisschen, was jedem Drachen zu eigen ist."
"Das ist schon richtig", bestätigte Kiseki. "Aber dafür verfügen Sie über andere Qualitäten, die für mich ungeheuer nützlich sind. Außerdem sind Sie einer der mächtigsten Drachen dieser Welt, wenn ich das so ausdrücken darf."
Don Draghone fühlte sich geschmeichelt. In der Tat war sein Imperium in der ganzen Welt in irgendeiner Weise präsent, auch wenn es immer wieder lästige Konkurrenz gab. Dennoch widersprach es seinen Prinzipien, sich in eine fremde Fehde einzumischen, mochten die Motive noch so edel sein. 
"Hören Sie, Kiseki. Dieser Nero ist nur hinter Ihnen her. Und was die Bedrohung der Welt anbelangt, nun, da denke ich einmal, sind die Menschen, die hier leider immer noch ihr Unwesen treiben, weitaus gefährlicher. Dieser Drache kam mir bisher nicht in die Quere und aus diesem Grund habe ich keine Veranlassung, mich an einer Vendetta zu beteiligen. Ich denke, dass damit unser Gespräch beendet ist."
"Das, mein verehrter Don Draghone, würde ich so nicht sagen."
Das Kirin hatte sich erhoben und streckte seine Hände aus. Zwischen seinen Fingern zuckten bläuliche Blitze und ein elektrostatisches Knistern war zu hören. Die Luft flimmerte und wurde auf einer Fläche von ein paar Zentimetern milchig schimmernd. Beinahe sah es so aus, als ob in der Luft eine Art Bildschirm hing, auf dem sich nun langsam ein Bild manifestierte. Es zeigte einen großen silber-schwarzen Drachen, dessen schlangenartiges Aussehen ihn eindeutig als einen Ostdrachen qualifizierte. Don Draghone bezeichnete diese Spezies gerne verächtlich als Spaghettidrachen. Doch beim Anblick dieses Exemplars war der Silberdrache aufgesprungen. "Ich kenne ihn!" rief er aus und sein Schweif peitschte die Luft. "Verdammt nochmal, ich kenne diesen Bastard."
Don Draghone warf noch einen weiteren, prüfenden Blick auf die Projektion. Der silber-schwarze Drache hielt eine große, weiße Perle in seinen Vorderpfoten, die er nahezu zärtlich betrachtete und streichelte.
Kiseki lächelte: "Ohne diese Perle geht Nero nirgendwo hin. Das ist beinahe in gewisser Weise sein Markenzeichen. Schon bei unserer ersten Begegnung hatte er diesen Perlenfetisch. Mittlerweile ist die Perle auch Bestandteil seines..."
"Ja, ich weiß. Das Logo seines Imperiums", grollte Don Draghone. "Ich habe diese Perle schon oft genug gesehen. Dieser Bastard verdirbt mit seinen Dumpingpreisen meinen Markt. Ich möchte wissen, wie dieser Bandit so billig produzieren kann und..."
"Von Ökonomie verstehe ich leider nicht sehr viel", entgegnete das Kirin. "Wären Sie nun bereit, unter diesen Umständen Ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken?"
"Was springt dabei für mich raus? Ich meine, dieser Nero ist ja nicht irgendwer. Er hat eine der mächtigsten Organisationen auf diesem Planeten gegründet. Und im Gegensatz zu mir ist er auch sehr aktiv in den Bereichen Terrorismus und Erpressung."
Kiseki trat dicht an Don Draghone heran und schenkte ihm ein entwaffnendes Lächeln. 
Der Drache stieß einen Seufzer aus: "Es gibt wirklich keinen vernünftigen Grund für mich, mich auf dieses Spiel einzulassen."
"Nun", erwiderte Kiseki sanft, "ich bin äußerst zuversichtlich, dass eine Zusammenarbeit äußerst fruchtbar für uns beide wäre. Sie hätten Ihren härtesten Konkurrenten aus dem Weg geräumt und ich hätte meine Haut gerettet. Und nebenbei haben wir die Welt von einer tödlichen Bedrohung befreit."
Don Draghone spürte in sich die Mauer aus Vorbehalten langsam ins Wanken geraten.
"Also gut", gab er schließlich nach.
"Sie wissen nicht, wie glücklich Sie mich damit machen. Aber ich finde, jetzt, wo wir sozusagen ein Team sind, sollten wir auf das förmliche Sie verzichten. Einverstanden?" Kiseki reichte dem Drachen ein weiteres Weißbier-Cola und nahm sich selbst auch einen Drink. Sie tranken Brüderschaft. Doch genau in dem Augenblick, als Don Draghone Kisekis rechte Wange küssen wollte, spürte er einen schmerzhaften Einstich in seine Schulter.
"Autsch!" brüllte er wütend auf und sein Blick fiel auf den Kitsune, der eine Spritze in seiner Hand hielt. Ein Tröpfchen einer durchsichtigen Flüssigkeit hing noch an der Nadelspitze.
"Was war das?" wollte er wissen.
Er konnte es nicht fassen, schon wieder hatte man ihn hereingelegt. Am liebsten hätte er nun ein Blutbad angerichtet, aber der Fuchsgeist hatte bereits die Drachenbannperlen in der anderen Hand.
"Das, mein lieber Freund, ist nur für den Fall, dass Du es Dir anders überlegst. Du musst verstehen, ich habe schon so viel Schlechtigkeit erlebt, ich muss mich einfach absichern. Es ist Drachenbann in äußerst verdünnter Form, das sich nun in Deiner Blutbahn befindet. Für Dich besteht vorerst keinerlei Grund zur Sorge. Du hast ein halbes Jahr Zeit, wenn Du bis dahin das Gegenmittel bekommst, besteht keinerlei Gefahr für Deine Gesundheit. Wirklich, ich bedauere es zutiefst, dass ich Dir das antun musste."
"Du willst also damit sagen, dass, wenn Nero nicht binnen eines halben Jahres beseitigt ist, ich vor die Hunde gehen soll? Du elender..."
"Jetzt reg’ Dich nicht auf. Ein halbes Jahr ist doch bei Deinen Fähigkeiten und Möglichkeiten mehr als genug Zeit. Du kennst doch die ganzen Superhelden, die retten die ganze Welt innerhalb von vierundzwanzig Stunden."
"Ich bin aber kein Superheld. Und bis ich Dich getroffen habe, verlief mein Leben auch noch in geordneten Bahnen."
"Dein Leben ist doch deswegen nicht aus den Fugen geraten. Im Gegenteil, verstehe doch, das ist die Chance Deines Lebens!"
"Und was ist, wenn Dir was zustößt, oder Deinem verdammten Fuchsfreund? Wer gibt mir dann das Gegengift?"
Kiseki legte beschwichtigend eine Hand auf die Drachenschulter: "Ich schwöre Dir bei allem, was mir heilig ist. Du brauchst Dir wirklich keine Sorgen zu machen. Wenn es an der Zeit ist, wird das Gegengift für Dich zugänglich sein."
"Ein bisschen viel verlangt, dass ich Dir vertraue, findest Du nicht?" grollte Don Draghone.
"Komm schon. Du solltest Dich besser damit abfinden, ändern kannst Du jetzt ohnehin nichts mehr."
"Oh doch", knurrte der Drache und zückte drohend seine Krallen. "Ich könnte Euch beide noch in Stücke reißen bevor Ihr mich mit dem Drachenbann erledigt. Zumindest einem von Euch kann ich die Gedärme herausreißen", fügte er hinzu, als er einen Blick auf die Drachenbannperlen warf.
Das Kirin lächelte: "Ihr Drachen seid immer so impulsiv. Wir sollten lieber uns überlegen, wie wir unseren gemeinsamen Gegner ausschalten. Findest Du nicht auch?"

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Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als Kiseki sich müde die Augen rieb. Er hatte versucht, gleich nach Don Draghones Aufbruch Schlaf zu finden, aber er hatte sich bis zur Morgendämmerung nur unruhig auf seiner Schlafstatt gewälzt. Erst in der letzten Stunde hatte ihn der Schlaf übermannt, doch die Aktivitäten seines Schutzgeistes hatten ihn erneut geweckt.
"Du musst was essen", drängte der Kitsune und hielt dem Drachenpferd eine große gusseiserne Pfanne vor die Schnauze. Der köstliche Duft gebratener Eier mit Speck füllte Kisekis Nüstern. Doch das Kirin verspürte keinerlei Appetit.
"Ich weiß, wie Dir zumute ist. Aber Du solltest wirklich was zu Dir nehmen", drängte Higure.
Kiseki schnaubte: "So, weißt Du das?"
Unwillig wandte er sich ab. "Du weißt gar nichts, mein Freund, und es tut mir leid, dass ich Dich meine schlechte Laune spüren lasse", dachte er sich.
Higure sprang auf Kisekis Schoß und schmiegte sich an dessen Bauchschuppen. "Du hast richtig gehandelt, mein Freund. Du brauchst keine Gewissensbisse zu haben."
"Ach ja?" fuhr Kiseki auf. "Ich musste einen üblen Trick anwenden, um den Drachen gefügig zu machen. Dabei hatte ich so sehr gehofft, dass er sich freiwillig auf unsere Seite schlagen würde."
"Das hat er doch auch, oder?"
"Ja", lachte das Drachenpferd bitter, "aber letztlich war er erst vollständig kooperationsbereit nach der Sache mit dem Drachenbann in seinem Körper."
"Auch das ist legitim", erwiderte der Fuchsgeist sanft. "Es geht hier schließlich um Dein Leben. Nero wird nicht aufhören, Jagd auf Dich zu machen. Auch die Häscher Caelestasans werden so lange nach Dir fahnden, bis Du sie von Deiner Unschuld überzeugen kannst, und das kannst Du nur mit Neros Kopf."
"Aber ich benutze jemanden aufs Schädlichste!" rief das Kirin verzweifelt aus. "Kein Kirin verhält sich so."
"Kein Kirin hat sich auch jemals mit einem Schwarzmagier eingelassen", konterte Higure. "Es geht nicht anders. Außerdem ist Nero zu einer Gefahr für die ganze Welt geworden. Der mächtigste Schwarzmagier, den es je gegeben hat. So mächtig, dass er mehr oder weniger offen operieren kann. Denke an die Waffen, die er entwickelt und an die dummen Menschen verkauft, um ihre Selbstzerstörung voranzutreiben."
Kiseki schüttelte den Kopf: "Trotzdem ist es falsch, was ich mache. Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg, als einen Unbeteiligten in meine Angelegenheiten mit reinzuziehen."
"Außerdem", fügte er leise hinzu, "ist da mein Treueeid gegenüber Nero. Ich dürfte es nicht zulassen, dass ihm ein Leid geschieht. Ich bin an ihn gebunden, ich habe ihm mein Leben verschrieben. Es ist schlimmster Verrat, den ich hier begehe."
Kiseki kullerten nun einige Tränen über seine Wangen: "Ich verdiene es nicht, am Leben zu sein, denn ich will meinen Herren und Meister ermorden, ich verrate ihn, der mich damals vor dem sicheren Tod gerettet hat und mich als seinen Sohn adoptiert hat. Ich bin es nicht wert, ein Kirin zu sein."
Weinkrämpfe schüttelten den prächtigen Pferdedrachenleib.
"Jetzt mach aber mal einen Punkt, mein Freund!" sagte Higure streng. Dem Kitsune brach es schier das Herz, seinen Freund und Gefährten auf diese Weise leiden zu sehen. "Du bist Nero in keinster Weise mehr verbunden. Er selbst hat die Bindung gelöst, indem er versuchte, auch Dich zu töten an jenem Tag, an dem Ihr beide verurteilt werden solltet. Er trachtet Dir nach dem Leben. Nein, Kiseki. Du bist kein schlechtes Kirin. Du bist frei und Du hast das Recht auf einen Neuanfang. Dieser Don Draghone hilft Dir dabei, Dich endgültig von den Fesseln Deiner Vergangenheit zu befreien."
Der Fuchsgeist dachte einen Augeblick nach, bevor er leise weitersprach: "Und Dein Illusionszauber in dieser Nacht, einfach grandios. Dem mächtigen Drachen glauben zu machen er würde sich in einem geschlossenen Raum befinden und Weißbier-Cola zu trinken, das war eine gigantische Meisterleistung. Ich bin sehr, sehr stolz auf Dich, mein Freund."
Doch im gleichen Augenblick, als er diese Worte ausgesprochen hatte, wurde dem Kitsune bewusst, dass diese nicht die tröstende und aufmunternde Wirkung hatten, die er eigentlich im Sinn hatte.

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"Nicht! Luft... Nein! Ohhh..."
Schweißgebadet wachte Don Draghone auf. Erneut hatte er davon geträumt, wie er qualvoll verendete, vergiftet durch Drachenbann.
Er konnte es nicht fassen, dieses Kirin hatte ihn in seiner Gewalt und es gab kein Entkommen. Das Gift war in seinem Körper und auch wenn es nur Einbildung war, er meinte es fühlen zu können, wie es sich langsam in ihm ausbreitete, ihn zerfraß.
Er erhob sich schwerfällig und streckte sich. Ein halbes Jahr hatte er Zeit. Das sollte zu schaffen sein, zumal Kiseki und er bereits einen Plan ausgearbeitet hatten.
Neros einzige Schwäche war offensichtlich: Macht. Dazu war dem Schwarzmagier jedes Mittel recht und als Kopf einer international operierenden Verbrecherorganisation, die besser organisiert war als jeder Staatsapparat, konnte er dieses Ziel mit Leichtigkeit verfolgen.
Kiseki und Don Draghone waren sich darüber einig, dass die einzige Möglichkeit, an Nero persönlich heranzukommen, eine Geschäftsbeziehung zu dem östlichen Drachen war. 
Es war weithin bekannt, dass Nero ein passionierter Backgammonspieler war und oft war er in einem seiner zahlreichen Spielcasinos im Fernen Osten persönlich anwesend, um weniger erfahrene Spieler auszunehmen. Die Dreistigkeit, mit der sich der Drache in der Öffentlichkeit zeigte, obwohl er der meistgesuchte Verbrecher der Welt war, war bezeichnend für Nero. Er war sich seiner Stärke so gewiss, dass er keine Risiken scheute.
Folglich war damit geklärt, wie eine Kontaktaufnahme stattfinden sollte: Don Draghone würde sich als der bekannte Geschäftsmann, der er in der westlichen Hemisphäre war, Zugang zu Nero verschaffen und sich als einen sehr zahlungskräftigen Kaufinteressenten für ein Waffensystem ausgeben. Da der Silberdrache selbst gerne Backgammon spielte, sollte der Erstkontakt somit kein Problem darstellen.
Die von Nero entwickelten Waffen waren international sehr begehrt und obwohl es keine Regierung zugeben würde, jede strebte danach, das eine oder andere Waffensystem zu besitzen.
Don Draghone knurrte verärgert auf, als er an die Umsatzzahlen seines eigenen Unternehmens dachte. Auch in diesem Wirtschaftszweig war die fernöstliche Konkurrenz deutlich spürbar. Nero war es irgendwie möglich, seine Produktionskosten extrem gering zu halten, doch nach alledem, was der Silberdrache nun über seinen Gegner gehört hatte, verwunderte ihn das nicht weiter. Mit Sicherheit hatte Nero eine ganze Sklavenlegion, die für ihn arbeitete.
Abgesehen von dem Gift in seinem Körper war der schon lange in ihm brodelnde Zorn auf diesen Konkurrenten ein guter Motivator und er erwärmte sich immer mehr für den Plan, Nero zu beseitigen.
Blieben noch zwei Fragen offen: Wie sollte er dann den Drachen letztendlich überwältigen und wie sollte er nach Hong Kong, dem derzeit bekannten Aufenthaltsort Neros, kommen? Selbst zu fliegen bedeutete einen großen Zeitverlust und war für einen Drachen in Don Draghones Alter etwas beschwerlich. Doch er hasste es, in einem Flugzeug eingepfercht zu sein. Davon abgesehen gab es immer weniger Airlines, die - auch aus Rücksicht auf die anderen Passagiere - Drachen überhaupt beförderten.
Was die erste Frage betraf, so hatten Kiseki und er einen vagen Plan gefasst:
Don Draghone würde für das Waffensystem eine größere Summe an Bargeld als Vorauszahlung leisten und diese Geldscheine sollten Nero dann irgendwie zum Verhängnis werden.

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Der Eingang zu dem unterirdischen Labor war am östlichen Stadtrand. Don Draghone selbst war bisher nur zweimal vor Ort gewesen. Bei seinem ersten Besuch war er sozusagen als Schuldeneintreiber für einen Klienten tätig und später hatte er sich mit dem damaligen Inhaber auf eine angemessene Summe als Ablöse geeinigt. Schon bald hatte er die Rexlabs sehr erfolgreich in seinen Konzern integriert. Früher hatte das Labor offiziell für die Regierung gearbeitet, geheime Experimente - nicht immer im Bereich der Legalität - wurden durchgeführt und der ehemalige Eigner, ein Drache namens Ragnarok, hatte mit seinen Videodokumentationen einiger dieser Tests für Furore gesorgt.
Jetzt entwickelte das Laborteam unter der Führung von Professor Ragnarok für Don Draghones Unternehmen zeitgemäße Waffen, neue Rauschmittel und Gimmicks aller Art. Man hatte auch einen Teil des Entertainmentsegments, nämlich die Produktion diverser Videos, in diese Labors verlegt. Persönlich konnte der Silberdrache mit dieser Art von Unterhaltung nichts anfangen, ja, er lehnte diese strikt ab, aber schließlich musste jemand die Nachfrage befriedigen, die hauptsächlich aus der gesellschaftlichen Oberschicht, namentlich Richter, Staatsanwälte und Politiker, kam. Es war eine ganz einfache Rechnung: Wenn er den Markt nicht bediente, dann würde es jemand anderes tun, weshalb also diesen fruchtbaren Boden nicht bestellen. Pecunia non odet, wie der Lateiner so schön sagt, Geld stinkt nicht.
Den größten Erfolg konnten die Rexlabs jedoch mit der Entwicklung des absolut unaufspürbaren Kokains verbuchen: Nicht erschnüffelbar für trainierte Hundenasen hatte es sogar eine intensivere Wirkung als herkömmlicher Stoff. Leider waren die Produktionskosten dafür immer noch sehr hoch und die Droge konnte sich aus diesem Grund immer noch nicht so richtig im Handel durchsetzen.

Es gab einen guten Grund, weshalb Don Draghone so selten hierher kam: Ihm waren die Laborräume schlichtweg zu eng und er fühlte sich in dem unterirdischen Gewölbe äußerst unwohl. Nicht, dass er Platzangst hatte, aber eben hatte er mit seinem Schweif wieder einen der zahlreichen Bildschirme von einem Tisch gefegt, als er Ragnarok in eine große Halle folgte, die der Präsentation von Rexlabsprodukten diente.
"Wie gesagt, unser Vaposniffor Take me high 2010 könnte der Verkaufsrenner zum Weihnachtsgeschäft werden. Damit kann der Kunde bis zu vierzig verschiedene Berauschungen gleichzeitig erleben, ohne gravierende gesundheitliche Schäden davonzutragen. Wir konnten sogar noch ein Zusatzfeature integrieren: Der Kunde hat nach dem Abklingen der Wirkung den unwiderstehlichen Drang, pünktlich seine korrekte Steuererklärung abzugeben. Sie können sich vorstellen, dass das Finanzministerium sehr an einer Zusammenarbeit mit uns interessiert ist."
Der grün-gelb geschuppte, etwas korpulente Drache rieb sich seine Hände und zeigte ein zahniges Grinsen.
"Geniale Idee." Don Draghone war wirklich beeindruckt.
"Ja, schon", erwiderte Ragnarok. "Aber auch irgendwie alt. Es handelt sich um eine Weiterentwicklung einer Idee des leider zu früh von uns gegangenen Doktor Varbeese."
In diesem Augenblick erklang ein dumpfes Klonk, als silberne Drachenschuppen auf Metall prallten, gefolgt von einem derben Fluch.
"Und was ist das hier?" fragte Don Draghone gereizt und tastete nach etwas Unsichtbarem im Raum, dessen offensichtliche Existenz er eben schmerzhaft bewiesen bekommen hatte.
"Oh, Verzeihung, den habe ich ganz vergessen." Die drei Härchen auf dem ansonsten bis auf die beiden Hörner kahlen Schädel Ragnaroks hüpften lustig, als dieser sich nach dem Silberdrachen umwandte. Don Draghone knurrte ungeduldig.
"Das ist der Inflagranti 5000. Den bauen wir im Auftrag für das Ministerium für konsumierbare Unterhaltung. Momentan sind dreißig dieser Einsatzfahrzeuge in Betrieb."
"Das soll ein Fahrzeug sein?" fragte Don Draghone skeptisch, als mitten in der Halle auf Knopfdruck - Ragnarok hatte eine Art Fernbedienung betätigt - ein bizarres Vehikel sichtbar wurde.
"Wie soll da wer überhaupt einsteigen? Sieht für mich aus wie zahlreiche Computer und Notebooks mit Schläuchen und Rädern und einem Sitz. Seltsame Konstruktion."
"Diese Konstruktion", erläuterte der Professor ein wenig indigniert, "ist der Schlüssel zur Bekämpfung der Schwerstkriminalität. Und selbstverständlich ist er auf die Platzbedürfnisse der Kunden zugeschnitten."
"Da kann doch nicht einmal ein Mensch normal aufgerichtet darin sitzen?" schnaubte der Drache.
"Nun, Sie müssen wissen, Don Draghone, jene Menschen, die dieses Fahrzeug benutzen, gehören einer besonderen Spezies an. Sie werden mit nur schwach ausgebildetem Rückgrat geboren."
"Solche Menschen können tatsächlich leben, so ohne Rückgrat?" entfuhr es Don Draghone.
"Natürlich", erwiderte der Professor. "Sehr gut sogar. Meist als Abgeordnete oder Rechtsanwälte."
Der Silberdrache schüttelte sich. "Naja, wenn die so ein Fahrzeug brauchen. Und für was genau aber soll es gut sein?"
"Der Inflagranti 5000 wurde dazu entwickelt, Straftaten, die an Computern geplant werden, zu vereiteln, indem man, da er sozusagen unsichtbar ist, sofort in die Räumlichkeiten des Kriminellen eindringen kann, nachdem mit diesem nasenähnlichen Fortsatz hier-", Ragnarok deutete auf einen Schlauch, der wie ein Rüssel aus dem Kühlergrill ragte, "- die Straftat und die dazugehörige IP-Adresse und alle damit verbundenen persönlichen Daten erschnüffelt wurden. Mit der eingebauten Laserkanone wird der Verbrecher dann sofort zur Strecke gebracht."
"Geniale Idee!" Don Draghone klopfte mit seinem Schweif anerkennend auf den Boden. Dieser Professor war einfach ein Genie.
"Ja, aber alt. Die Idee des unsichtbaren Fahrzeugs stammte noch aus der Zeit, als man die Welt vor irgendwelchen irren religiösen Fanaten und Terroristen befreien musste. Da war allerdings die Ausstattung ausschließlich für Menschen mit Rückgrat gedacht. Ich habe lediglich diese Idee aufgegriffen, damit man nun die wirklichen Schwerverbrecher erwischen und ausmerzen kann."
"Oh? Wer ist denn der aktuelle Staatsfeind Nummer Eins?"
Don Draghone rechnete damit, den Namen Nero oder vielleicht sogar seinen eigenen zu hören. Eventuell noch den eines korrupten Politikers, obwohl, dann wäre ja der gegenwärtige Staat sein eigener Gegner gewesen. Doch die platte Antwort des Professors überraschte ihn nur ein klein wenig, denn es war einfach eine verrückte Zeit.
"Kinder und Jugendliche, die Musik und Filme aus dem Internet laden."
"Ah ja." Don Draghone räusperte sich. Er würde die Menschen niemals verstehen. Aber eigentlich konnte es ihm egal sein, so lange sie seine Produkte kauften.
"Und darauf bin ich besonders stolz." Ragnarok zog aus einem Regal einen schwarzen Aktenkoffer hervor und öffnete ihn. Dann fuhr er sich durch seine Frisur, wenn man überhaupt davon sprechen konnte. "Hmmm, wo habe ich nur... das gibt's doch nicht... Ach, Don Draghone, wenn Sie so gut wären, da neben Ihnen auf dem kleinen Metalltischchen, diese Krawattennadel, wenn Sie die mal..."
"Diese?" Der Silberdrache reichte dem Professor eine ziemlich kitschig aber teuer wirkende Nadel.
"Ja. Sehen Sie her! Das Geld in diesem Koffer ist mit einer Chemikalie, einem Stoff, der auch in Ihrem Urin vorkommt, präpariert. In einigen der Banknoten wurden die metallischen Sicherheitsstreifen durch Magnesium ersetzt. Mit der Krawattennadel löst man per Zündung die Explosion aus. Es ist nur wichtig, dass man dem Opfer unbemerkt diese Nadel unterjubelt."
"Geniale Idee."
"Ja, aber auch alt. Sie, mein Lieber, brauchen ja etwas noch Spezifischeres. Aber diese Erfindung war die Grundlage für das, was ich nun für Sie habe."
Ragnarok öffnete eine unscheinbar aussehende schwarz-rote Reisetasche. Sie war prall gefüllt mit Dollarnoten.
"Diese Scheine sind echt und für fast jedermann ungefährlich. Zweieinhalb Millionen! Nur für uns Drachen wird dieses Geld zur absolut tödlichen Gefahr. In den Fasern des Banknotenpapiers wurden Spuren des Drachenbanns eingearbeitet. Wir haben dann die Scheine ebenfalls mit dem Stoff behandelt, der auch unser Kokain unentdeckbar macht. Wenn nun also Ihr Gegner diese Banknoten in seine Tatzen bekommt, ist das völlig ausreichend. Er wird augenblicklich kontaminiert, bemerkt aber anfänglich nichts. Sie kennen ja die Wirkung des Drachenbanns. Dieses hier ist so, dass die Symptome erst relativ spät nach dem Kontakt zu den Geldscheinen auftreten. Doch bevor dieser Nero überhaupt ahnen kann, dass es sich um Drachenbann handelt, ist er bereits ausgeschaltet."
"Geniale Idee!" lobte Don Draghone.
"Ja, und gewissermaßen auch neu, denn bisher konnte man ja immer noch ein Gegenmittel gegen Drachenbann finden. Doch hierbei handelt es sich auch noch um einen Cocktail aus verschiedenen Drachenbannpflanzen und ist, wie gesagt, auch in keinem Fall nachweisbar."
Ragnarok rieb sich die Hände und lächelte. "Ich hoffe, ich konnte Ihren Erwartungen gerecht werden?"
"Gewiss doch", entgegnete Don Draghone zufrieden. Nun konnte er sich daran machen, in erster Linie sein eigenes Leben und nebenher auch den Rest der Welt zu retten.
 

© Peter Lässig
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Und schon geht es hier weiter zum zweiten Teil...
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