Der Wind hatte aufgefrischt und die Gewitterwolken hingen tief,
so tief, dass der Wolkenkratzer, in dem unter anderem das Strafgericht
untergebracht war, im oberen Drittel vollständig verschwunden zu sein
schien. Die Blitze, die immer wieder aus dem verhangenen Himmel von Wolke
zu Wolke oder erdwärts zischten, beachtete keiner der wenigen Passanten.
Sommergewitter waren jetzt nichts Ungewöhnliches.
Etwas anderes hielt die Bewohner dieser Stadt in Atem. Die meisten
hatten sich an diesem Tag extra freigenommen und die, die dennoch arbeiten
mussten, waren nun vor den Fernsehschirmen in den Werkshallen oder Ladenlokalen
versammelt, um dem Spektakel beizuwohnen.
Doch es war kein Sportereignis.
Die Hauptstraße vor dem Gerichtsgebäude war für den
öffentlichen Verkehr gesperrt, nur Übertragungsfahrzeuge verschiedener
Rundfunkanstalten drängelten sich davor, jede Menge Sicherheitskräfte
in Uniformen und auch in Zivil und eine schwarze Limousine nach der anderen
fuhr vor. Ihre Scheiben waren getönt, so dass man von außen
nicht das Geringste erkennen konnte.
Es waren die Richter, ihre Minen waren ernst. Auf ihnen lastete
heute eine besondere Verantwortung.
Normalerweise bestand der Strafsenat aus vier menschlichen Mitgliedern
und einem Chi’lin.
Die Chi’lin gehörten in diesem Land im Fernen Osten zu den
seltensten Geschöpfen, die man sich nur vorstellen kann, vielleicht
waren sie sogar die seltensten Geschöpfe der gesamten bekannten Welt.
Es waren Einhörner, doch hatten sie mit jenen pferdeartigen, verspielt
wirkenden Wesen, die in unseren Breiten verbreitet waren, nur das einzelne
Horn auf ihrer Stirn gemeinsam. Sie waren nicht größer als ein
ausgewachsener Wolf, doch waren sie von einer nahezu unbezähmbaren
Wildheit und Mordlust. Ihr Leib war schuppenbesetzt, das hatten sie mit
ihren Verwandten, den Kirins, gemein, und ihr Haupt war umrahmt von einer
wilden Löwenmähne. Ihre Schuppen schienen aus purem Gold zu sein,
ihr Horn aus feinstem Silber. In der Regel war in jedem Gerichtsgremium
ein Chi’lin vertreten, denn diese Wesen hatten die Eigenschaft, unfehlbar
zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Man musste schon besondere
Fähigkeiten besitzen, um solch ein Geschöpf zu täuschen.
Das Chi’lin war zugleich auch der Scharfrichter, der den als schuldig Verurteilten
gleich an Ort und Stelle mit seinem Horn richtete.
Heute jedoch war zusätzlich noch der oberste Richter anwesend
und das zeigte neben all der Medienpräsenz die Brisanz der heute zu
verhandelnden Kausa.
Im Gegensatz zu den Angeklagten, die unter schwerster Bewachung
unterirdisch in das Gerichtsgebäude geführt wurden, stieg dieser
buchstäblich aus dem Himmel herab. Sein schlangenartiger, funkelnder
Leib glich silbernen Blitzen, wenn er buchstäblich über und durch
die Wolken schwamm. Dieser Himmelsdrache, das weiseste und älteste
Geschöpf in diesem fernen Reich, war direkt der tief hängenden
Gewitterwolke entstiegen, um der heutigen Verhandlung höchstpersönlich
als Richter beizuwohnen.
Der Prozess zog sich in die Länge und die Zuhörer waren
entsetzt über die Verbrechen, die den beiden Beschuldigten zur Last
gelegt wurden. Der Hauptangeklagte, ein grausamer Drache namens Nero, hatte
sich der schwarzen Magie verschrieben. Bei seinen Experimenten und Übungen
verstümmelte und tötete er unzählige Opfer auf grauenvolle
Weise.
Kiseki, dem Kirin, das aufgrund tragischer Umstände dem Drachen
zum bedingungslosen Gehorsam verpflichtet gewesen war, drohte als Mitangeklagten
ebenfalls die Todesstrafe.
Nun war atemlose Stille eingetreten, als der oberste Richter Caelestasan
würdevoll seine Stimme erhob. Sie tönte wie ein großer
bronzener Gong, der geschlagen wurde.
"Nachdem wir alle Beweise geprüft, alle Aussagen gegeneinander
abgewogen haben, nachdem somit die Schuld der beiden Angeklagten eindeutig
festgestellt worden ist, verkünde ich nun das Urteil. Nero, der Drache,
ist unter Aberkennung all seiner Würde..."
Es waren die letzten Worte, die man von diesem prächtigen Himmelsdrachen
jemals gehört hatte. Denn genau in diesem Augenblick verschlang ein
Feuerball unvorstellbaren Ausmaßes den Gerichtssaal.
Was auch immer an Leben in diesem Raum war, musste unweigerlich
binnen Augenblicke dahingerafft worden sein.
Die Mauern barsten und Feuersäulen und dicke, schwarze Rauchschwaden
reichten zum Himmel hinauf.
Wer noch in der Lage gewesen war, dem Inferno in dem Gebäude
zu entkommen, floh auf die Straße, wo sich die überraschend
schnell eingetroffenen Feuerbrigaden einen verzweifelten Kampf mit der
Feuersbrunst lieferten.
Im ersten Augenblick dachte niemand daran, dass auch die angrenzenden
Gebäude nicht lange dem Ansturm der Höllenglut standhalten würden...
.
"Das ist mir ziemlich schnurz, warum er nicht bezahlt hat!
Er schuldet mir noch das Geld von der vorigen Lieferung!" brüllte
Don Draghone in das Telefon und schlug mit seiner Faust auf den Tisch,
so dass das Glas mit seinem Weißbier-Cola vibrierte. Sein Drachenschwanz
peitschte die Luft und beinahe hätte er damit die Stehlampe in der
hinteren Ecke umgeworfen. "Für was habe ich eigentlich meine besten
Leute vor Ort? - Wie? Nun gut, dann brecht ihm auch noch den anderen Arm,
zur Warnung, und dann nehmt sein Auto. Muss ich denn hier wirklich alles
alleine machen?"
Wütend knallte er den Hörer auf die Gabel.
Der silberne Drache schüttelte den Kopf. Zur Zeit war irgendwie
der Wurm drin. Zwar lief seine neu besetzte Entertainmentsparte ausgezeichnet,
aber die anderen Unternehmenssegmente zeigten deutliche Umsatzeinbußen.
Vor allem der Waffenhandel, die Prostitution und neuerdings auch der Drogenabsatz
stagnierten. Das heißt, Drogen wurden in immer stärkerem Maße
konsumiert. Doch kauften die Leute immer weniger bei seiner Organisation
- und die, die bei ihm kauften, waren immer weniger im Stande, ihre Verbindlichkeiten
zu begleichen. Kein Wunder, waren es zumeist Arbeitslose oder Jugendliche
aus der neuen sozialen Unterschicht, wie man das heutzutage so schön
formulierte.
Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, arbeitete seine Forschungsabteilung
mit Hochdruck an preisgünstigeren Herstellungsmethoden, um den Preis
senken zu können, doch die Konkurrenz war immer einen Schritt voraus.
Immerhin konnte Don Draghone in diesem Wettlauf jedoch einen entscheidenden
Sieg verbuchen: Beinahe zufällig hatten seine Leute ein Verfahren
entdeckt, Rauschgifte so zu veredeln, dass sie beispielsweise von Drogenspürhunden
nicht wahrgenommen werden konnten und sogar Polizeianalysen zum Ergebnis
kamen, es würde sich um gewöhnlichen Zucker handeln. Doch das
hatte wiederum seinen Preis und so erweckte diese neuartige Droge zwar
sehr viel Interesse bei den Dealern, aber kaum jemand konnte sie bezahlen.
Es war ein Teufelskreis.
Zu allem Überfluss war der Drache auf der Suche nach seinem
goldenen Füllfederhalter. Den vermisste er schon seit Tagen, und das,
wo er doch so ordentlich und akribisch war. Es war, als ob er einen Kobold
bei sich hätte, andauernd verschwand irgendwas und tauchte Tage später
wieder an den wundersamsten Orten auf.
Schwerfällig erhob sich Don Draghone aus seinem Sessel, eine
Spezialanfertigung, die absolut drachentauglich war. Er lief unruhig in
seinem Zimmer auf und ab, sein Schwanz zuckte nervös.
"Diese verdammten Schlitzaugen!" Offensichtlich wurde hierzulande
der Drogenmarkt systematisch von Organisationen aus dem Fernen Ostern infiltriert.
Dennoch scheute Don Draghone einen offenen Konflikt, bei dem zweifelsohne
Blut fließen würde. Einen seiner Leute hatte man ohnehin schon
vor einigen Wochen in Einzelteilen aufgefunden. Es war eines ihrer Markenzeichen:
Das Zersägen ihrer Opfer. Natürlich wenn es noch am Leben war,
versteht sich. Obwohl der Drache äußerst abgebrüht war
und selbst nicht gerade zimperlich im Umgang mit anderen, bei den ihm vorgelegten
Bildern hatte er sich übergeben müssen.
"Ich brauche Entspannung", grollte er und griff nach seinem Hörer.
"Vielleicht sollte ich mal wieder zum Wellness. Und hilf mir mal wer, den
gottverdammten Füller zu finden!"
.
"Wenn ich's Dir sage, seine Nerven liegen absolut blank."
"Von was redest Du eigentlich die ganze Zeit?" brummte das Drachenpferd.
"Musst Du Dich andauernd irgendwo herumtreiben und den Leuten irgendwelche
dummen Streiche spielen?"
Higure hielt den goldenen Füllfederhalter näher ans Feuer.
Er mochte Dinge, die glitzerten. Der kleine Fuchsgeist, ein einschwänziger
Kitsune, erfreute sich noch ein wenig an dem im Flammenschein funkelnden
Schreibgerät und warf dann einen zaghaften Blick auf seinen Freund
und Vertrauten.
Sie lagerten einige Kilometer außerhalb der großen Stadt
in einer alten Burgruine. Menschen kamen so gut wie nie hierher, denn aus
einem unerfindlichen Grund hieß es, dass es an diesem Ort nicht mit
rechten Dingen zugehen würde. Doch das Kirin konnte keinerlei negativen
Energien wahrnehmen.
Sie waren auf der Flucht, Tag und Nacht, vor Menschen, die ihnen
nachstellten und, was noch schlimmer war, vor den Schatten Kisekis Vergangenheit.
Kirin sind prachtvolle Geschöpfe. Ihr Erscheinen verheißt
Glück und Segen für denjenigen, dem sie erscheinen. Sie ähneln
vom Körper her Pferden, jedoch ist dieser mit samtigen Schuppen besetzt,
die pastellfarben, manchmal auch weiß oder silbern schimmern. Auf
ihrer Stirn tragen diese Drachenpferde ein einzelnes Horn, das aus verschiedensten
Gründen für den Menschen äußerst wertvoll ist.
Kiseki jedoch war etwas Besonderes: Er hatte eine anthropomorphe
Gestalt und als äußerst seltener Schwärzling war nicht
nur sein Horn als Jagdtrophäe besonders begehrt.
Das war einer der Gründe, weshalb er Menschensiedlungen weitestgehend
mied und nur wenn es absolut erforderlich war, legte er einen Tarnzauber
an und mischte sich in Menschengestalt unter das Volk.
"Glaubst Du, dass das heute wirklich normale Jäger waren, die
es mal wieder auf mein Horn oder meine schwarze Schuppenhaut abgesehen
haben?" brach Kiseki unvermittelt das Schweigen, doch eigentlich wusste
er bereits die Antwort. Daher fügte er mit gesenkter Stimme hinzu:
"Es waren seine Assassine, nicht wahr?"
Higure erwiderte nichts darauf, er rutschte nur näher an das
Kirin heran und kuschelte sich gegen dessen Seite. Kiseki seufzte und war
dankbar für diese Geste des Trostes.
Eigentlich war Kisekis Leben schon immer von Flucht geprägt
gewesen. In seiner Jugend war das Dorf von marodierenden Banditen angegriffen
und niedergebrannt worden. Fast alle Bewohner wurden brutal ermordet, Frauen
und Kinder wurden zuvor noch geschändet. Die dort lebenden Kirin jedoch
wurden auf Sklavenmärkten verkauft und in verschiedenste Regionen
der Welt deportiert.
Kein Kirin unterwirft sich einem anderen Wesen, ja es würde
bei allem Respekt nicht einmal vor einem König oder Kaiser sein gehörntes
Haupt senken. So gesehen wäre die Ermordung der Kirins wohl für
sie das leichtere Schicksal gewesen.
Über Kiseki hatten jedoch die Götter gnädig ihre
schützende Hand gehalten: Wie durch ein Wunder überlebte er diesen
Angriff und entkam seinen Häschern. Doch dann zeichnete ihm das Schicksal
einen ungewöhnlichen Pfad.
Nach wochenlanger einsamer Wanderung voll Hunger und Gefahren traf
er auf einen Drachen, der ihn ohne Zögern bei sich aufnahm als seinen
Lehrling und ihn beinahe wie seinen eigenen Sohn behandelte.
Jener Drache war begeisterter Magieschüler und vor allem in
den Künsten der Elementarmagie war er aufs höchste begabt.
Noch jung an Jahren war Kiseki leicht zu beeindrucken und so schloss
er sich der Ausbildung zum Magier an.
Die Jahre vergingen und das Kirin erwies sich ebenfalls als ein
sehr begabter Schüler, sehr zur Freude seines Ziehvaters und Lehrers,
der sich jedoch immer mehr der schwarzen Magie verschrieben hatte.
Zu spät erkannte Kiseki, dass er sich auf einem Pfad ohne Wiederkehr
befand. Wie es der Drache bewerkstelligt hatte, würde er niemals erfahren,
doch brachte er das Kirin dazu, ihm absoluten Gehorsam zu schwören.
Einen vollkommeneren Sklaven hätte sich der Drache nicht wünschen
können.
Gebunden durch den Treueeid befriedigte Kiseki die Wünsche
seines Meisters, auch wenn diese immer öfters zum Schaden von anderen
gereichten.
Langsam schlug die jugendliche Begeisterung und Bewunderung um in
Angst vor dem Drachen, der ihn immer mehr dazu benutzte, um an ihm neue
Zaubersprüche der dunklen Magie zu testen oder ihn zwang, andere Testobjekte
für seine Grausamkeiten zu finden. Anfangs waren es noch Insekten,
doch später wurden es kleinere Säugetiere und Vögel, an
denen der Drache verschiedenste Tötungs- und Folterzauber erprobte.
Mit der Zeit verschwanden Katzen und Hunde aus der Gegend rund um die Drachenbehausung,
später hieß er das Kirin sogar, Kinder zu entführen. Keines
davon ward jemals mehr gesehen.
Kiseki ging dabei fast zu Grunde, da es absolut wider die Natur
eines Kirins ist, ein lebendes Geschöpf auch nur zu verletzen. Doch
er hatte keine andere Wahl, der Eid war das Heiligste und er fürchtete
einen qualvollen Tod, wenn er seinen Drachenmeister enttäuschte.
Erst an jenem Tag, der in den Geschichtsbüchern überall
auf der Welt als Giornodifiamme, Feuertag, verzeichnet war, brach
seine Bindung zu diesem Drachen.
Er und der Drache standen vor Gericht und ihnen drohte die Todesstrafe.
Doch Nero war mittlerweile der mächtigste Schwarzmagier, den
die Welt je gesehen hatte. Mit einem formidablen Trick, dem zahllose unschuldige
Menschen zum Opfer fielen, als die Flammen von dem brennenden Gerichtsgebäude
schließlich auf die übrige Stadt übergriffen, konnte er
erneut entkommen und blieb bis heute unentdeckt. Billigend hatte er den
Tod seines Schülers in Kauf genommen und nun sah er in dem überlebenden
Kirin eine tödliche Gefahr. Schließlich kannte Nero niemand
so gut wie Kiseki.
"Es könnten aber auch Caelestasans Jäger gewesen sein.
Schließlich bist Du immer noch zum Tode verurteilt und man unterstellt
Dir, dass Du Nero zur Flucht verholfen hast", meinte Higure schließlich.
Kiseki zuckte die Achseln. "Eigentlich ja einerlei, wer mich letztendlich
zur Strecke bringt. Die Menschen, Neros Häscher oder die Justiz. Weißt
Du, Higure, ich habe langsam keine Lust mehr. Ich bin es leid, ständig
auf der Flucht zu sein."
Dass er trotz allem auch seinen Herren und Meister, Nero, vermisste,
behielt das Kirin für sich. Vor allem, für ihn selbst war das
absolut unverständlich, nach all dem, was ihm dieser Drache angetan
hatte.
Der Kitsune kroch nun dem Kirin auf den Schoß und blickte
zu ihm auf. Die Andeutung eines Lächelns umspielte seine Fuchsschnauze.
"Weißt Du, das braucht es vielleicht gar nicht."
"Was meinst Du?" fragte Kiseki alarmiert. Denn schon öfters
hatten die Ideen des Fuchsgeistes zu viel Unruhe und Chaos geführt.
"Nun, die Justiz ist an sich träge, mehr Gefahr droht Dir von
diesem Drachen. Wenn Nero erst einmal endgültig unschädlich gemacht
wäre, könntest Du ein weitaus ruhigeres Leben führen."
Kiseki lachte bitter: "Nero unschädlich machen? Du hast selbst
gesehen, welche Macht er besitzt. Er entkam sogar den Wächtern des
Caelestasan. Niemand kann aus diesem Gerichtsgebäude entfliehen, nicht
einmal ein Gott. Doch Nero hat es geschafft. Wer weiß, welche Macht
er jetzt hat. Niemand mehr wird es noch wagen, sich ihm in den Weg zu stellen.
Niemand wird ihn jemals besiegen können."
"Doch!" widersprach der Kitsune. "Du kannst das, mein Freund, denn
Du hast die Macht dazu. Zwar ist Deine Ausbildung nicht so weit fortgeschritten
wie die des Meisters, doch dafür kennst Du ihn besser als sonst irgendwer."
"Das nützt mir nichts. Alleine habe ich keine Chance."
"Das ist wahr", lächelte Higure. "Du brauchst dazu Unterstützung.
Und zwar am besten von einem anderen mächtigen Drachen."
Missmutig warf das Kirin noch ein paar Scheite ins Feuer. "Blödsinn.
Welcher Drache sollte mir schon helfen wollen."
"Einer, der auch Interesse daran hat, dass Nero verschwindet."
"Ach was. Und wer soll das bitteschön sein?"
.
Die attraktive Löwin schenkte dem Silberdrachen ein bezauberndes
Lächeln, als sie sich ein wenig vorbeugte, dabei einen guten Einblick
in ihr Dekolleté gewährend: "Ah, hier, Herr Don Draghone. Schön,
dass Sie sich mal wieder bei uns verwöhnen lassen. Sie kennen sich
ja aus, Ihr Massagetermin ist wie immer um zwanzig Uhr. Es ist alles für
Sie arrangiert. Heute gar nicht in Begleitung?"
Don Draghone schüttelte den Kopf, als er die frisch gestärkten
Handtücher und den Bademantel entgegennahm. Er hatte darauf verzichtet,
seine beiden engsten Vertrauten oder gar einen Leibwächter mitzubringen.
Er wollte alleine sein und einfach entspannen. Meist war der Whirlpool
der Ort, an dem ihm die besten Einfälle kamen. Doch heute suchte er
auch nicht nach Problemlösungen, das konnte er immer noch später
tun.
Mit einem wohligen Brummeln ließ er sich in das warme Wasser
des Sprudelbades gleiten. Außer ihm waren kaum Besucher anwesend
und nur ein weiterer Badegast teilte momentan mit ihm das Bad.
Der Silberdrache musterte den ziemlich klein gewachsenen Fuchs,
der mit geschlossenen Augen die blubbernden Blasen genoss, und murmelte
ihm einen Gruß zu. Dann ließ er sich auf der gegenüberliegenden
Seite nieder. Don Draghone liebte es, wie das warme Wasser seine silbernen
Schuppen umschmeichelte. Es war sehr dampfig und die Luft war geschwängert
von einer Duftmischung aus edlen Badeölen und Chlor.
"Bist Du oft hier?"
Die samtige Stimme des Fuchses ließ den Drachen ein wenig
aufschrecken.
"Oh, nein, doch, regelmäßig eigentlich, aber, ich meine...",
kam Don Draghone ins Stocken. Etwas Seltsames war geschehen: Es war eine
Fähigkeit des Drachens, in die Gedanken seines Gegenübers einzutauchen,
doch in diesem Fall stieß er auf eine Art Mauer aus Nebel und Rauch.
Er konnte nicht einmal erkennen, ob es sich um eine Füchsin oder ein
Männchen handelte. Dieses Geschöpf erschien irgendwie geschlechtslos,
doch genau dieses Mysterium machte dieses Wesen so bezaubernd und attraktiv.
Dass sich die Fuchsdame, Don Draghone entschied sich dafür,
dass es einfach eine Füchsin sein musste, nun von dem Poolrand löste
und zu ihm herüberkam, brachte ihn noch mehr aus dem Konzept.
"Du darfst mich Lady Higura nennen, mein Süßer.
Und mit wem habe ich das Vergnügen?" Ganz nonchalant hatte sie sich
auf seinen Schoß gesetzt und ihr nasses Rückenfell presste gegen
die silbernen Brustschuppen des Drachens. Diesem traten Schweißperlen
auf die Stirn: "Mein Name ist Draghone. Don Draghone."
Er schluckte. Anscheinend war die Lady Higura eine Füchsin,
die ganz genau wusste, was sie wollte. Sie war eindeutig auf Raub aus.
Don Draghone streckte seine Arme aus und strich über ihr weiches,
rostfarbenes Rückenfell. Auch wenn es ihn immer noch irritierte, dass
er nicht mit seinem Blick in ihr Inneres vordringen konnte, ließ
er sich auf ihr Spiel ein. War er schließlich nicht hierher gekommen,
um sich zu entspannen und sich verwöhnen zu lassen?
"Hast Du schon einen Massagetermin?" fragte sie beiläufig.
"Ja, nachher bei Fadango."
"Welch ein Zufall, ich auch", hauchte sie. "Vor allem finde ich,
das ist der beste Masseur, den die hier haben. Er beherrscht seine Griffe
so gut."
Der Drache musterte die Füchsin, die sich auf seinem Schoß
räkelte. Ihre berückende Nähe, ihre Keckheit, das warme
Wasser, ihr Duft, das alles reizte seine Sinne und er verspürte eine
gewisse Regung in seinem Unterleib. "Er beherrscht seine Griffe so gut
- natürlich, Mädel, darauf bist Du aus, nicht wahr? Nun Du solltest
erleben, wie ein Drache erst seine Griffe beherrscht", dachte Don Draghone
und in seinen Augen flackerte Verlangen. Aber er brachte nur ein gepresstes
"Ja, gewiss" hervor.
"Und wann hast Du Deine Massage?" bohrte sie weiter. Ihr gefiel
es offensichtlich, wie sie sein Drachenblut langsam in Wallung brachte.
"Jetzt dann, um Acht."
"Ehrlich?" rief sie aus. "So ein Zufall. Ich auch!"
Der Drache ließ ein erfreutes Schnurren vernehmen, als sie
sich auf seinem Schoß ein wenig zurecht setzte und hinzufügte:
"Dann können wir ja zusammen hingehen und danach noch etwas trinken
gehen. Ich kenne da eine ganz lauschige Bar..."
Sie warf ihm einen Blick zu, der Bände sprach. Schließlich
rutschte sie von ihm herunter und stieg aus dem Whirlpool, ihren Fuchsschwanz
kokett zur Seite geschlagen. Äußerst aufreizend bückte
sie sich, um ihr Handtuch aufzuheben. Ein wenig schwerfällig folgte
ihr der Drache. Das würde in der Tat ein sehr interessanter Abend
werden...
Die schwarzen, gespaltenen Hufe verursachten auf dem blank gewienerten
Marmorboden leise Klickgeräusche, die jedoch durch das monotone Surren
und Wummern der Bodenpoliermaschine übertönt wurden. Das in den
grauen Arbeitsmantel gehüllte Wesen hielt seinen Blick gesenkt, als
es vom Ende des Korridors gedämpft Stimmen hörte, die schließlich
in einem überraschten Ausruf endeten.
"Das soll wohl ein Witz sein?" grollte der silberne Drache.
"Ach komm, Süßer, reg Dich nicht auf, gehen wir halt
gleich in die Bar." Die Füchsin blickte ihren Begleiter lächelnd
an.
"Wieso ist da an dieser Tür dieses dämliche Schild?" Don
Draghone ging gar nicht auf Lady Higuras Vorschlag ein. "Fadango massiert
mich immer in diesem Raum. Das ist das übliche Massagezimmer."
"Naja, wenn da aber steht, dass dieser Raum wegen Renovierungsarbeiten
vorübergehend nicht benutzbar ist", beschwichtigte die Füchsin.
"Das hätte dann aber das Kitty vom Empfang auch gleich sagen
können, als sie mir den Massagetermin gegeben hat. Ich habe wirklich
keine Lust, im ganzen Haus hier dem guten Fadango nachzulaufen."
"Oh, ssurrr Massage, Sssie müssen gehen bitte einfach in die
ssweite Ssstock."
"Wie bitte?" Der eigenartige Singsang riss den Silberdrachen aus
seinem Grollen. Vor ihm stand die Reinigungskraft, die Bodenpoliermaschine
arbeitete auf Hochleistung. Ähnlich wie bei der Füchsin gelang
es Don Draghone nicht, in die Gedanken der Putzkraft vorzudringen. Als
Stammgast in diesem Etablissement kannte der Drachen von der einfachen
Putzfrau bis hin zum Management jeden Beschäftigten namentlich, doch
diese Person war ihm gänzlich unbekannt. Zwar trug sie die übliche
Arbeitskluft des Putzpersonals, aber er konnte nicht das Gesicht erkennen.
"Ich hab Sie hier noch nie gesehen. Neu hier? Und warum laufen Sie
hier mit der Kapuze rum? Etwas albern in einem geschlossenen Raum, nicht?"
knurrte Don Draghone. Freilich war ihm bekannt, dass gerade viele junge
Leute heutzutage mit Kapuzen herum liefen, das gehörte zu deren Gangsta-Lifestyle,
so weit er wusste. Doch die damit verbundene Musik, Rap genannt, war so
gar nicht sein Geschmack.
"Ja, Versseihung! Isch hierr neu. Missster Fadango Sssie erwarten
in ssweite Sssstock, wenn Sssie Don Draghone."
"Dann gehen wir doch einfach dort rauf, dahinten ist der Lift",
schlug Lady Higura vor und bugsierte den Drachen zu dem Aufzug.
"Dem seine komische Stimme geht mir auf den Keks." Don Draghones
Schweif peitschte die Luft. "Und ich finde es eine Frechheit, dass..."
Die Lifttüren schlossen sich hinter dem ungleichen Paar.
Der zweite Stock des Wellnesscenters war erst vor kurzem renoviert
und ausgebaut worden. Es roch nach frischer Farbe, nach edlen Hölzern
und nach Leder. Marmor und Chrom blitzten. Die Füchsin deutete auf
ein Hinweisschild: "Hier steht’s ja angeschrieben, die Massagezimmer sind
dort hinten. Da, unsere Namen sind bereits auf diesem Belegungsplan eingetragen.
Geh doch schon mal vor, ich gehe vorher noch mal rasch für kleine
Füchsinnen."
Don Draghone nickte und betrat den angegebenen Raum. "Na klasse,
Zimmer 2 42", nörgelte er. Aus irgendeinem Grunde hasste er die Zahl
42. Vielleicht, weil es so schick war, diese Zahl zu mögen. Vor allem
in Anhalter-Kreisen...
Die lederverkleidete Tür fiel hinter ihm leise ins Schloss.
Der Drache blickte sich um. Der Raum war holzgetäfelt, drei Massagebänke,
einige Ablagen für Handtücher, Massageöle und andere Utensilien
und ein großes Aquarium waren die einzigen Einrichtungsgegenstände.
Fadango war noch nicht zu sehen.
Ein eigenartiger Geruch drang an die Drachennüstern. Entfernt
erinnerte er an den Duft von Räucherstäbchen. Doch war da noch
etwas anderes, was in Don Draghone ein Gefühl von Unbehagen hervorrief
und seine Sinne alarmierte. Kaum wahrnehmbar, doch unzweifelhaft vorhanden.
Es roch nach etwas, das dem Drachen seltsam vertraut vorkam.
Er setzte sich auf die Massagebank. Schweißperlen hatten sich
auf seiner Stirn gebildet und seine Kehle brannte auf einmal. Er hatte
schrecklichen Durst. Ein Gefühl von Schwindel beschlich ihn.
"Das gibt’s doch nicht!" schrie er entsetzt und sprang auf. Er musste
diesen Raum verlassen, bevor es zu spät war, doch er erreichte die
rettende Tür nicht mehr. Ihm wurde schwarz vor Augen und er sank zu
Boden. Dann verlor er das Bewusstsein.
.
Wie lange lag er hier schon? Stunden? Tage? Wochen? Don Draghone
war jegliches Zeitgefühl abhanden gekommen und ihm fehlte die Erinnerung.
Ganz vage erinnerte er sich an den Wellnesstempel, an diese geheimnisvoll
verführerische Füchsin, doch danach kam nichts mehr.
In der Luft lag ein eigenartiger Geruch: Eine Mischung aus dem Duft
von frisch geschlagenem Holz, Feuer und Pferd. Pferd?
Der Drache versuchte, die Duftmischung genauer zu analysieren, doch
schienen ihm seine Sinne einen Streich zu spielen, denn nun roch er Motoröl,
nassen Mörtel und etwas anderes, das er nicht einordnen konnte.
Er verspürte quälenden Durst. Stöhnend versuchte
er, seine Augen zu öffnen, es gelang ihm jedoch bloß für
einen kurzen Augenblick. Der Raum, in dem er sich befand, war nur sehr
spärlich beleuchtet. Sein Kopf schmerzte, als ob er mehrere Nächte
durchzecht hätte.
Nach drei weiteren Versuchen gelang es ihm schließlich und
verschwommene Schemen formten sich zu einem halbwegs klaren Bild. Er lag
am Rücken in einer Art großem Stall, wie es den Anschein hatte.
Don Draghone stellte zu seinem Entsetzen fest, dass er sich nicht
bewegen konnte; er war rücklings auf einem großen Tisch festgeschnallt
mit stabilen Eisenbändern. Der Drache wollte seiner Wut freien Lauf
lassen, doch seine Schnauze war mit einem Lederriemen zugebunden.
"Eine reine Vorsichtsmaßnahme, von der ich überzeugt
bin, dass Sie dafür Verständnis haben, hoch verehrter Don Draghone.
Ich bin äußerst erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen."
Eine schwarzgeschuppte Pferdeschnauze kam in sein Blickfeld. Der
Silberdrache versuchte, die Fesseln zu zerreißen, doch das Wesen
blickte kopfschüttelnd auf ihn herab. Don Draghone konnte in dem schwachen
Licht das prächtige Horn erkennen. "Ein Kirin", durchzuckte ihn die
Erkenntnis wie ein Blitz.
"Richtig beobachtet", lächelte das Drachenpferd. "Wie Sie wissen,
sind wir recht magiebegabte Wesen. Das Lesen von Gedanken ist keine große
Kunst für uns. Sie fragen sich gerade zurecht, weshalb Sie hier sind
an diesem Ort. Ach ja, was die Fesseln anbelangt, sie sind auch magisch
gewoben. Sie können sich also Ihre Kräfte, die Sie zweifelsohne
noch brauchen werden, sparen. Gestatten Sie mir nun, dass ich mich vorstelle.
Und da ich Sie doch als sehr verständig einschätze...", mit diesen
Worten löste das Kirin das Lederband von der Drachenschnauze, "...nehme
ich Ihnen das hier mal ab."
"Was fällt Ihnen eigentlich ein, ich...", legte Don Draghone
los, doch eine Handbewegung des Kirins ließ ihn schlagartig verstummen
- im wahrsten Sinne des Wortes: Er konnte seine Zunge nicht mehr bewegen
und er röchelte nur noch.
"Glauben Sie mir, ich verstehe Ihre Wut. Doch ich versichere Ihnen,
ich möchte Ihnen nur einen Vorschlag unterbreiten, weiter nichts.
Ich stelle Ihnen noch meinen engsten Vertrauten, Freund und Mitarbeiter
vor. Bitte achten Sie vor allem auf das, was er in seiner Hand hält."
"Hallo, mein Süßer!"
Don Draghone erkannte die Stimme sofort. Er wollte etwas sagen,
doch seine Zunge war immer noch starr in seinem Maul.
"Tut mir leid, dass ich Dich enttäuschen muss, Süßer."
Die Füchsin setzte sich frech grinsend rittlings auf die Beine des
Drachens und grinste ihn an. "Leider bin ich nicht Lady Higura. Auch bin
ich keine Füchsin."
Allmählich erkannte der Drache, dass es sich bei diesem Wesen
um einen Fuchsgeist, einen Kitsune, handelte.
"Mein richtiger Name ist Higure", sagte der Kitsune leise
und hielt Don Draghone seine flache Hand vor Augen, in der einige kleine
schwarze Perlen schimmerten. "Ich denke mal, davon kennst Du jedoch
den wahren Namen."
Der Drache gab einen gequälten Laut von sich, als ihm der bekannte
Geruch in die Nüstern stieg. So also hatten sie ihn überwältigt.
Diese Perlen waren sogenannter Drachenbann in hochkonzentrierter
Form. Beim Drachenbann handelt es sich um eine Pflanze, die der Kornblume
nicht unähnlich ist. Deren Blätter werden gepresst und der daraus
gewonnene Saft wird destilliert. Unter Einsatz von Magie erhält man
schließlich jene wunderschönen schwarzen Perlen, mit denen man
einen Drachen vernichten kann. Die Dämpfe, die alleine eine einzige
kleine Kugel verströmt, lassen das Reptil langsam aber sicher dahinsiechen.
Mit jedem Atemzug gerät mehr von dem Gift in den Drachenkörper.
"Nun, ich denke, nachdem Sie gesehen haben, was wir gegen Sie in
der Hand haben, mein hoch verehrter Don Draghone, kann ich es riskieren,
Sie aufstehen zu lassen und Ihnen Ihre Sprache wiederzugeben. Ich denke,
Sie werden vernünftig genug sein, keinen Angriffsversuch zu unternehmen.
An Flucht denken Sie ja ohnehin nicht, so wie ich Sie einschätze."
Das Kirin nickte dem Kitsune zu: "Higure, binde unseren Freund los.
Und klettere von ihm runter, es gehört sich nicht, dass man sich auf
Gäste des Hauses setzt."
Don Draghone streckte seine Flügel durch und musterte das Kirin.
Zorn flackerte in seinen Augen und sein Schwanz peitschte die Luft. Doch
ihm war klar, dass er seine Häscher nicht überwinden konnte,
nicht, so lange sie den Drachenbann bei sich hatten.
"Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wer Sie sind und
was Sie von mir wollen", grollte der Drache.
Das Kirin verbeugte sich: "Oh, wo bleiben meine Manieren. Bitte
verzeihen Sie mir, in der ganzen Aufregung habe ich doch glatt vergessen,
mich vorzustellen. Sie können mich Kiseki nennen."
"Und was soll das ganze Theater hier? Warum halten Sie mich fest
und bedrohen mich mit Drachenbann?"
"Nun, darüber möchte ich mit Ihnen ja gerade sprechen,
mein Bester. Setzen wir uns doch." Kiseki deutete in eine Ecke des Raumes,
in der sich eine gemütlich aussehende Sitzgruppe befand und eine recht
gut bestückte Hausbar. "Verehrter Don Draghone, was darf ich Ihnen
zu trinken anbieten? Weißbier-Cola?"
Verwirrt schnaubte der Drache auf, doch bevor er etwas erwidern
konnte, forderte das Kirin seinen Gefährten auf: "Higure, bringe unserem
Gast einen großes Weißbier-Cola, aber selbstverständlich
gut gekühlt und keinesfalls geschüttelt, und mit drei Cocktailkirschen.
Mir kannst Du das gleiche bringen."
"Woher wissen Sie das?" fragte Don Draghone. Allmählich wichen
seine Wut und seine Frustration darüber, dass er übertölpelt
wurde wie ein blutiger Anfänger, einer aufkommenden Angst.
"Nun, Sie sind bekannt, Don Draghone. Und ich empfinde eine tiefe
Bewunderung für Sie und Ihr - sagen wir - Unternehmen. Da informiert
man sich schon mal ein wenig gründlicher."
"Und woher haben Sie ihre Informationen?" fragte der Drache, als
er vorsichtig das Weißbierglas in seine Pranke nahm.
"Das ist leider Berufsgeheimnis", lächelte Kiseki.
"Und wo befinden wir uns hier?"
"Auch das, fürchte ich, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber seien
Sie unbesorgt, mein Freund. Wir sind hier völlig sicher und garantiert
absolut ungestört. Außerdem kann uns hier niemand belauschen
oder beobachten. Machen Sie sich nicht so viele Gedanken. Sie sind mein
Gast, nicht mein Gefangener."
"Diesen Eindruck habe ich aber nicht, wenn ich an die Umstände
dieser Einladung denke und an das hier." Don Draghone schielte
zu den Drachenbannperlen, die der Fuchsgeist in sicherer Entfernung abgelegt
hatte. Dennoch konnte der Drache ihren Geruch wahrnehmen und er fühlte,
dass ihm langsam aber stetig seine Kräfte schwanden.
"Das dürfen Sie nicht persönlich nehmen. Wie gesagt, das
dient mehr meinem eigenen Schutz als Ihnen zu drohen. Noch einen Drink?"
Don Draghone schüttelte den Kopf. "Danke. Lassen Sie uns zum
Geschäftlichen kommen. Ich möchte endlich wissen, weshalb ich
hier bin."
"Das ist nur zu verständlich." Kiseki lehnte sich bequem zurück.
"Don Draghone. Sehen Sie mich an. Wissen Sie, wer ich bin?"
Der Drache schüttelte den Kopf. "Ich sehe, dass Sie ein Vertreter
der Spezies Kirin sind. Etwas Besonderes obendrein, denn Sie sind
schwarz geschuppt. Kirins leben in den fernen, östlichen Teilen dieser
Welt und..."
"Ja, ist schon gut", winkte Kiseki ab. "Auch Ihr herausragendes
Allgemeinwissen ist weithin bekannt, Don Draghone. Es gibt so gut wie keinen
Bereich, in dem Sie nicht bewandert sind, soweit ich weiß. Aber Sie
wissen anscheinend nicht, wer ich bin, oder?"
"Nein, Ihr Name sagt mir nichts, das ist wahr", räumte der
Drache ein und ärgerte sich insgeheim darüber, dass dieses Geschöpf
ihn neugierig machte. Don Draghone hatte eine Schwäche für Geheimnisse
und mysteriöse Identitäten.
"Schön, sagt Ihnen der Name Nero etwas?"
"Nero? Nie gehört."
"Nun, Nero, der schwarze Drache, ist der Grund, weshalb Sie hier
sind."
"Das müssen Sie mir erklären."
Nachdem Kiseki Don Draghone im Groben die Ereignisse bis hin zu der
dramatischen Flucht aus dem Gerichtsgebäude geschildert hatte, fragte
Don Draghone mit einem Hauch von Ungeduld in seiner Stimme: "Und, was habe
ich damit zu tun?"
Das Kirin lehnte sich ein wenig vor und blickte dem Drachen direkt
in die Augen: "Ich brauche Sie. Nur Sie können mir helfen, Nero unschädlich
zu machen. Er stellt, wie ich Ihnen hoffentlich verständlich machen
konnte, eine gewaltige Bedrohung für die gesamte Zivilisation dar."
"Sie sagen, er wäre der Meister aller Meister der Schwarzen
Magie. Wie kommen Sie darauf, dass ich Ihnen dabei helfen könnte,
ihn zu schlagen? Wenn Sie sich schon so gut über mich informiert haben,
dann wird Ihnen wohl nicht entgangen sein, dass ich kein Drache der Magie
bin, abgesehen von dem Bisschen, was jedem Drachen zu eigen ist."
"Das ist schon richtig", bestätigte Kiseki. "Aber dafür
verfügen Sie über andere Qualitäten, die für mich ungeheuer
nützlich sind. Außerdem sind Sie einer der mächtigsten
Drachen dieser Welt, wenn ich das so ausdrücken darf."
Don Draghone fühlte sich geschmeichelt. In der Tat war sein
Imperium in der ganzen Welt in irgendeiner Weise präsent, auch wenn
es immer wieder lästige Konkurrenz gab. Dennoch widersprach es seinen
Prinzipien, sich in eine fremde Fehde einzumischen, mochten die Motive
noch so edel sein.
"Hören Sie, Kiseki. Dieser Nero ist nur hinter Ihnen her. Und
was die Bedrohung der Welt anbelangt, nun, da denke ich einmal, sind die
Menschen, die hier leider immer noch ihr Unwesen treiben, weitaus gefährlicher.
Dieser Drache kam mir bisher nicht in die Quere und aus diesem Grund habe
ich keine Veranlassung, mich an einer Vendetta zu beteiligen. Ich denke,
dass damit unser Gespräch beendet ist."
"Das, mein verehrter Don Draghone, würde ich so nicht sagen."
Das Kirin hatte sich erhoben und streckte seine Hände aus.
Zwischen seinen Fingern zuckten bläuliche Blitze und ein elektrostatisches
Knistern war zu hören. Die Luft flimmerte und wurde auf einer Fläche
von ein paar Zentimetern milchig schimmernd. Beinahe sah es so aus, als
ob in der Luft eine Art Bildschirm hing, auf dem sich nun langsam ein Bild
manifestierte. Es zeigte einen großen silber-schwarzen Drachen, dessen
schlangenartiges Aussehen ihn eindeutig als einen Ostdrachen qualifizierte.
Don Draghone bezeichnete diese Spezies gerne verächtlich als Spaghettidrachen.
Doch beim Anblick dieses Exemplars war der Silberdrache aufgesprungen.
"Ich kenne ihn!" rief er aus und sein Schweif peitschte die Luft. "Verdammt
nochmal, ich kenne diesen Bastard."
Don Draghone warf noch einen weiteren, prüfenden Blick auf
die Projektion. Der silber-schwarze Drache hielt eine große, weiße
Perle in seinen Vorderpfoten, die er nahezu zärtlich betrachtete und
streichelte.
Kiseki lächelte: "Ohne diese Perle geht Nero nirgendwo hin.
Das ist beinahe in gewisser Weise sein Markenzeichen. Schon bei unserer
ersten Begegnung hatte er diesen Perlenfetisch. Mittlerweile ist die Perle
auch Bestandteil seines..."
"Ja, ich weiß. Das Logo seines Imperiums", grollte Don Draghone.
"Ich habe diese Perle schon oft genug gesehen. Dieser Bastard verdirbt
mit seinen Dumpingpreisen meinen Markt. Ich möchte wissen, wie dieser
Bandit so billig produzieren kann und..."
"Von Ökonomie verstehe ich leider nicht sehr viel", entgegnete
das Kirin. "Wären Sie nun bereit, unter diesen Umständen Ihre
Entscheidung noch einmal zu überdenken?"
"Was springt dabei für mich raus? Ich meine, dieser Nero ist
ja nicht irgendwer. Er hat eine der mächtigsten Organisationen auf
diesem Planeten gegründet. Und im Gegensatz zu mir ist er auch sehr
aktiv in den Bereichen Terrorismus und Erpressung."
Kiseki trat dicht an Don Draghone heran und schenkte ihm ein entwaffnendes
Lächeln.
Der Drache stieß einen Seufzer aus: "Es gibt wirklich keinen
vernünftigen Grund für mich, mich auf dieses Spiel einzulassen."
"Nun", erwiderte Kiseki sanft, "ich bin äußerst zuversichtlich,
dass eine Zusammenarbeit äußerst fruchtbar für uns beide
wäre. Sie hätten Ihren härtesten Konkurrenten aus dem Weg
geräumt und ich hätte meine Haut gerettet. Und nebenbei haben
wir die Welt von einer tödlichen Bedrohung befreit."
Don Draghone spürte in sich die Mauer aus Vorbehalten langsam
ins Wanken geraten.
"Also gut", gab er schließlich nach.
"Sie wissen nicht, wie glücklich Sie mich damit machen. Aber
ich finde, jetzt, wo wir sozusagen ein Team sind, sollten wir auf das förmliche
Sie
verzichten. Einverstanden?" Kiseki reichte dem Drachen ein weiteres Weißbier-Cola
und nahm sich selbst auch einen Drink. Sie tranken Brüderschaft. Doch
genau in dem Augenblick, als Don Draghone Kisekis rechte Wange küssen
wollte, spürte er einen schmerzhaften Einstich in seine Schulter.
"Autsch!" brüllte er wütend auf und sein Blick fiel auf
den Kitsune, der eine Spritze in seiner Hand hielt. Ein Tröpfchen
einer durchsichtigen Flüssigkeit hing noch an der Nadelspitze.
"Was war das?" wollte er wissen.
Er konnte es nicht fassen, schon wieder hatte man ihn hereingelegt.
Am liebsten hätte er nun ein Blutbad angerichtet, aber der Fuchsgeist
hatte bereits die Drachenbannperlen in der anderen Hand.
"Das, mein lieber Freund, ist nur für den Fall, dass Du es
Dir anders überlegst. Du musst verstehen, ich habe schon so viel Schlechtigkeit
erlebt, ich muss mich einfach absichern. Es ist Drachenbann in äußerst
verdünnter Form, das sich nun in Deiner Blutbahn befindet. Für
Dich besteht vorerst keinerlei Grund zur Sorge. Du hast ein halbes Jahr
Zeit, wenn Du bis dahin das Gegenmittel bekommst, besteht keinerlei Gefahr
für Deine Gesundheit. Wirklich, ich bedauere es zutiefst, dass ich
Dir das antun musste."
"Du willst also damit sagen, dass, wenn Nero nicht binnen eines
halben Jahres beseitigt ist, ich vor die Hunde gehen soll? Du elender..."
"Jetzt reg’ Dich nicht auf. Ein halbes Jahr ist doch bei Deinen
Fähigkeiten und Möglichkeiten mehr als genug Zeit. Du kennst
doch die ganzen Superhelden, die retten die ganze Welt innerhalb von vierundzwanzig
Stunden."
"Ich bin aber kein Superheld. Und bis ich Dich getroffen
habe, verlief mein Leben auch noch in geordneten Bahnen."
"Dein Leben ist doch deswegen nicht aus den Fugen geraten. Im Gegenteil,
verstehe doch, das ist die Chance Deines Lebens!"
"Und was ist, wenn Dir was zustößt, oder Deinem verdammten
Fuchsfreund? Wer gibt mir dann das Gegengift?"
Kiseki legte beschwichtigend eine Hand auf die Drachenschulter:
"Ich schwöre Dir bei allem, was mir heilig ist. Du brauchst Dir wirklich
keine Sorgen zu machen. Wenn es an der Zeit ist, wird das Gegengift für
Dich zugänglich sein."
"Ein bisschen viel verlangt, dass ich Dir vertraue, findest Du nicht?"
grollte Don Draghone.
"Komm schon. Du solltest Dich besser damit abfinden, ändern
kannst Du jetzt ohnehin nichts mehr."
"Oh doch", knurrte der Drache und zückte drohend seine Krallen.
"Ich könnte Euch beide noch in Stücke reißen bevor Ihr
mich mit dem Drachenbann erledigt. Zumindest einem von Euch kann ich die
Gedärme herausreißen", fügte er hinzu, als er einen Blick
auf die Drachenbannperlen warf.
Das Kirin lächelte: "Ihr Drachen seid immer so impulsiv. Wir
sollten lieber uns überlegen, wie wir unseren gemeinsamen Gegner ausschalten.
Findest Du nicht auch?"
.
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als Kiseki sich müde
die Augen rieb. Er hatte versucht, gleich nach Don Draghones Aufbruch Schlaf
zu finden, aber er hatte sich bis zur Morgendämmerung nur unruhig
auf seiner Schlafstatt gewälzt. Erst in der letzten Stunde hatte ihn
der Schlaf übermannt, doch die Aktivitäten seines Schutzgeistes
hatten ihn erneut geweckt.
"Du musst was essen", drängte der Kitsune und hielt dem Drachenpferd
eine große gusseiserne Pfanne vor die Schnauze. Der köstliche
Duft gebratener Eier mit Speck füllte Kisekis Nüstern. Doch das
Kirin verspürte keinerlei Appetit.
"Ich weiß, wie Dir zumute ist. Aber Du solltest wirklich was
zu Dir nehmen", drängte Higure.
Kiseki schnaubte: "So, weißt Du das?"
Unwillig wandte er sich ab. "Du weißt gar nichts, mein Freund,
und es tut mir leid, dass ich Dich meine schlechte Laune spüren lasse",
dachte er sich.
Higure sprang auf Kisekis Schoß und schmiegte sich an dessen
Bauchschuppen. "Du hast richtig gehandelt, mein Freund. Du brauchst keine
Gewissensbisse zu haben."
"Ach ja?" fuhr Kiseki auf. "Ich musste einen üblen Trick anwenden,
um den Drachen gefügig zu machen. Dabei hatte ich so sehr gehofft,
dass er sich freiwillig auf unsere Seite schlagen würde."
"Das hat er doch auch, oder?"
"Ja", lachte das Drachenpferd bitter, "aber letztlich war er erst
vollständig kooperationsbereit nach der Sache mit dem Drachenbann
in seinem Körper."
"Auch das ist legitim", erwiderte der Fuchsgeist sanft. "Es geht
hier schließlich um Dein Leben. Nero wird nicht aufhören, Jagd
auf Dich zu machen. Auch die Häscher Caelestasans werden so lange
nach Dir fahnden, bis Du sie von Deiner Unschuld überzeugen kannst,
und das kannst Du nur mit Neros Kopf."
"Aber ich benutze jemanden aufs Schädlichste!" rief das Kirin
verzweifelt aus. "Kein Kirin verhält sich so."
"Kein Kirin hat sich auch jemals mit einem Schwarzmagier eingelassen",
konterte Higure. "Es geht nicht anders. Außerdem ist Nero zu einer
Gefahr für die ganze Welt geworden. Der mächtigste Schwarzmagier,
den es je gegeben hat. So mächtig, dass er mehr oder weniger offen
operieren kann. Denke an die Waffen, die er entwickelt und an die dummen
Menschen verkauft, um ihre Selbstzerstörung voranzutreiben."
Kiseki schüttelte den Kopf: "Trotzdem ist es falsch, was ich
mache. Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg, als einen Unbeteiligten
in meine Angelegenheiten mit reinzuziehen."
"Außerdem", fügte er leise hinzu, "ist da mein Treueeid
gegenüber Nero. Ich dürfte es nicht zulassen, dass ihm ein Leid
geschieht. Ich bin an ihn gebunden, ich habe ihm mein Leben verschrieben.
Es ist schlimmster Verrat, den ich hier begehe."
Kiseki kullerten nun einige Tränen über seine Wangen:
"Ich verdiene es nicht, am Leben zu sein, denn ich will meinen Herren und
Meister ermorden, ich verrate ihn, der mich damals vor dem sicheren
Tod gerettet hat und mich als seinen Sohn adoptiert hat. Ich bin es nicht
wert, ein Kirin zu sein."
Weinkrämpfe schüttelten den prächtigen Pferdedrachenleib.
"Jetzt mach aber mal einen Punkt, mein Freund!" sagte Higure streng.
Dem Kitsune brach es schier das Herz, seinen Freund und Gefährten
auf diese Weise leiden zu sehen. "Du bist Nero in keinster Weise mehr verbunden.
Er selbst hat die Bindung gelöst, indem er versuchte, auch Dich zu
töten an jenem Tag, an dem Ihr beide verurteilt werden solltet. Er
trachtet Dir nach dem Leben. Nein, Kiseki. Du bist kein schlechtes Kirin.
Du bist frei und Du hast das Recht auf einen Neuanfang. Dieser Don Draghone
hilft Dir dabei, Dich endgültig von den Fesseln Deiner Vergangenheit
zu befreien."
Der Fuchsgeist dachte einen Augeblick nach, bevor er leise weitersprach:
"Und Dein Illusionszauber in dieser Nacht, einfach grandios. Dem mächtigen
Drachen glauben zu machen er würde sich in einem geschlossenen Raum
befinden und Weißbier-Cola zu trinken, das war eine gigantische Meisterleistung.
Ich bin sehr, sehr stolz auf Dich, mein Freund."
Doch im gleichen Augenblick, als er diese Worte ausgesprochen hatte,
wurde dem Kitsune bewusst, dass diese nicht die tröstende und aufmunternde
Wirkung hatten, die er eigentlich im Sinn hatte.
.
"Nicht! Luft... Nein! Ohhh..."
Schweißgebadet wachte Don Draghone auf. Erneut hatte er davon
geträumt, wie er qualvoll verendete, vergiftet durch Drachenbann.
Er konnte es nicht fassen, dieses Kirin hatte ihn in seiner Gewalt
und es gab kein Entkommen. Das Gift war in seinem Körper und auch
wenn es nur Einbildung war, er meinte es fühlen zu können, wie
es sich langsam in ihm ausbreitete, ihn zerfraß.
Er erhob sich schwerfällig und streckte sich. Ein halbes Jahr
hatte er Zeit. Das sollte zu schaffen sein, zumal Kiseki und er bereits
einen Plan ausgearbeitet hatten.
Neros einzige Schwäche war offensichtlich: Macht. Dazu war
dem Schwarzmagier jedes Mittel recht und als Kopf einer international operierenden
Verbrecherorganisation, die besser organisiert war als jeder Staatsapparat,
konnte er dieses Ziel mit Leichtigkeit verfolgen.
Kiseki und Don Draghone waren sich darüber einig, dass die
einzige Möglichkeit, an Nero persönlich heranzukommen, eine Geschäftsbeziehung
zu dem östlichen Drachen war.
Es war weithin bekannt, dass Nero ein passionierter Backgammonspieler
war und oft war er in einem seiner zahlreichen Spielcasinos im Fernen Osten
persönlich anwesend, um weniger erfahrene Spieler auszunehmen. Die
Dreistigkeit, mit der sich der Drache in der Öffentlichkeit zeigte,
obwohl er der meistgesuchte Verbrecher der Welt war, war bezeichnend für
Nero. Er war sich seiner Stärke so gewiss, dass er keine Risiken scheute.
Folglich war damit geklärt, wie eine Kontaktaufnahme stattfinden
sollte: Don Draghone würde sich als der bekannte Geschäftsmann,
der er in der westlichen Hemisphäre war, Zugang zu Nero verschaffen
und sich als einen sehr zahlungskräftigen Kaufinteressenten für
ein Waffensystem ausgeben. Da der Silberdrache selbst gerne Backgammon
spielte, sollte der Erstkontakt somit kein Problem darstellen.
Die von Nero entwickelten Waffen waren international sehr begehrt
und obwohl es keine Regierung zugeben würde, jede strebte danach,
das eine oder andere Waffensystem zu besitzen.
Don Draghone knurrte verärgert auf, als er an die Umsatzzahlen
seines eigenen Unternehmens dachte. Auch in diesem Wirtschaftszweig war
die fernöstliche Konkurrenz deutlich spürbar. Nero war es irgendwie
möglich, seine Produktionskosten extrem gering zu halten, doch nach
alledem, was der Silberdrache nun über seinen Gegner gehört hatte,
verwunderte ihn das nicht weiter. Mit Sicherheit hatte Nero eine ganze
Sklavenlegion, die für ihn arbeitete.
Abgesehen von dem Gift in seinem Körper war der schon lange
in ihm brodelnde Zorn auf diesen Konkurrenten ein guter Motivator und er
erwärmte sich immer mehr für den Plan, Nero zu beseitigen.
Blieben noch zwei Fragen offen: Wie sollte er dann den Drachen letztendlich
überwältigen und wie sollte er nach Hong Kong, dem derzeit bekannten
Aufenthaltsort Neros, kommen? Selbst zu fliegen bedeutete einen großen
Zeitverlust und war für einen Drachen in Don Draghones Alter etwas
beschwerlich. Doch er hasste es, in einem Flugzeug eingepfercht zu sein.
Davon abgesehen gab es immer weniger Airlines, die - auch aus Rücksicht
auf die anderen Passagiere - Drachen überhaupt beförderten.
Was die erste Frage betraf, so hatten Kiseki und er einen vagen
Plan gefasst:
Don Draghone würde für das Waffensystem eine größere
Summe an Bargeld als Vorauszahlung leisten und diese Geldscheine sollten
Nero dann irgendwie zum Verhängnis werden.
.
Der Eingang zu dem unterirdischen Labor war am östlichen Stadtrand.
Don Draghone selbst war bisher nur zweimal vor Ort gewesen. Bei seinem
ersten Besuch war er sozusagen als Schuldeneintreiber für einen Klienten
tätig und später hatte er sich mit dem damaligen Inhaber auf
eine angemessene Summe als Ablöse geeinigt. Schon bald hatte er die
Rexlabs sehr erfolgreich in seinen Konzern integriert. Früher hatte
das Labor offiziell für die Regierung gearbeitet, geheime Experimente
- nicht immer im Bereich der Legalität - wurden durchgeführt
und der ehemalige Eigner, ein Drache namens Ragnarok, hatte mit seinen
Videodokumentationen einiger dieser Tests für Furore gesorgt.
Jetzt entwickelte das Laborteam unter der Führung von Professor
Ragnarok für Don Draghones Unternehmen zeitgemäße Waffen,
neue Rauschmittel und Gimmicks aller Art. Man hatte auch einen Teil des
Entertainmentsegments, nämlich die Produktion diverser Videos, in
diese Labors verlegt. Persönlich konnte der Silberdrache mit dieser
Art von Unterhaltung nichts anfangen, ja, er lehnte diese strikt ab, aber
schließlich musste jemand die Nachfrage befriedigen, die hauptsächlich
aus der gesellschaftlichen Oberschicht, namentlich Richter, Staatsanwälte
und Politiker, kam. Es war eine ganz einfache Rechnung: Wenn er den Markt
nicht bediente, dann würde es jemand anderes tun, weshalb also diesen
fruchtbaren Boden nicht bestellen. Pecunia non odet, wie der Lateiner
so schön sagt, Geld stinkt nicht.
Den größten Erfolg konnten die Rexlabs jedoch
mit der Entwicklung des absolut unaufspürbaren Kokains verbuchen:
Nicht erschnüffelbar für trainierte Hundenasen hatte es sogar
eine intensivere Wirkung als herkömmlicher Stoff. Leider waren die
Produktionskosten dafür immer noch sehr hoch und die Droge konnte
sich aus diesem Grund immer noch nicht so richtig im Handel durchsetzen.
Es gab einen guten Grund, weshalb Don Draghone so selten hierher
kam: Ihm waren die Laborräume schlichtweg zu eng und er fühlte
sich in dem unterirdischen Gewölbe äußerst unwohl. Nicht,
dass er Platzangst hatte, aber eben hatte er mit seinem Schweif wieder
einen der zahlreichen Bildschirme von einem Tisch gefegt, als er Ragnarok
in eine große Halle folgte, die der Präsentation von Rexlabsprodukten
diente.
"Wie gesagt, unser Vaposniffor Take me high 2010 könnte
der Verkaufsrenner zum Weihnachtsgeschäft werden. Damit kann der Kunde
bis zu vierzig verschiedene Berauschungen gleichzeitig erleben, ohne gravierende
gesundheitliche Schäden davonzutragen. Wir konnten sogar noch ein
Zusatzfeature integrieren: Der Kunde hat nach dem Abklingen der Wirkung
den unwiderstehlichen Drang, pünktlich seine korrekte Steuererklärung
abzugeben. Sie können sich vorstellen, dass das Finanzministerium
sehr an einer Zusammenarbeit mit uns interessiert ist."
Der grün-gelb geschuppte, etwas korpulente Drache rieb sich
seine Hände und zeigte ein zahniges Grinsen.
"Geniale Idee." Don Draghone war wirklich beeindruckt.
"Ja, schon", erwiderte Ragnarok. "Aber auch irgendwie alt. Es handelt
sich um eine Weiterentwicklung einer Idee des leider zu früh von uns
gegangenen Doktor Varbeese."
In diesem Augenblick erklang ein dumpfes Klonk, als silberne
Drachenschuppen auf Metall prallten, gefolgt von einem derben Fluch.
"Und was ist das hier?" fragte Don Draghone gereizt und tastete
nach etwas Unsichtbarem im Raum, dessen offensichtliche Existenz er eben
schmerzhaft bewiesen bekommen hatte.
"Oh, Verzeihung, den habe ich ganz vergessen." Die drei Härchen
auf dem ansonsten bis auf die beiden Hörner kahlen Schädel Ragnaroks
hüpften lustig, als dieser sich nach dem Silberdrachen umwandte. Don
Draghone knurrte ungeduldig.
"Das ist der Inflagranti 5000. Den bauen wir im Auftrag für
das Ministerium für konsumierbare Unterhaltung. Momentan sind dreißig
dieser Einsatzfahrzeuge in Betrieb."
"Das soll ein Fahrzeug sein?" fragte Don Draghone skeptisch, als
mitten in der Halle auf Knopfdruck - Ragnarok hatte eine Art Fernbedienung
betätigt - ein bizarres Vehikel sichtbar wurde.
"Wie soll da wer überhaupt einsteigen? Sieht für mich
aus wie zahlreiche Computer und Notebooks mit Schläuchen und Rädern
und einem Sitz. Seltsame Konstruktion."
"Diese Konstruktion", erläuterte der Professor ein wenig
indigniert, "ist der Schlüssel zur Bekämpfung der Schwerstkriminalität.
Und selbstverständlich ist er auf die Platzbedürfnisse der Kunden
zugeschnitten."
"Da kann doch nicht einmal ein Mensch normal aufgerichtet darin
sitzen?" schnaubte der Drache.
"Nun, Sie müssen wissen, Don Draghone, jene Menschen, die dieses
Fahrzeug benutzen, gehören einer besonderen Spezies an. Sie werden
mit nur schwach ausgebildetem Rückgrat geboren."
"Solche Menschen können tatsächlich leben, so ohne Rückgrat?"
entfuhr es Don Draghone.
"Natürlich", erwiderte der Professor. "Sehr gut sogar. Meist
als Abgeordnete oder Rechtsanwälte."
Der Silberdrache schüttelte sich. "Naja, wenn die so ein Fahrzeug
brauchen. Und für was genau aber soll es gut sein?"
"Der Inflagranti 5000 wurde dazu entwickelt, Straftaten,
die an Computern geplant werden, zu vereiteln, indem man, da er sozusagen
unsichtbar ist, sofort in die Räumlichkeiten des Kriminellen eindringen
kann, nachdem mit diesem nasenähnlichen Fortsatz hier-", Ragnarok
deutete auf einen Schlauch, der wie ein Rüssel aus dem Kühlergrill
ragte, "- die Straftat und die dazugehörige IP-Adresse und alle damit
verbundenen persönlichen Daten erschnüffelt wurden. Mit der eingebauten
Laserkanone wird der Verbrecher dann sofort zur Strecke gebracht."
"Geniale Idee!" Don Draghone klopfte mit seinem Schweif anerkennend
auf den Boden. Dieser Professor war einfach ein Genie.
"Ja, aber alt. Die Idee des unsichtbaren Fahrzeugs stammte noch
aus der Zeit, als man die Welt vor irgendwelchen irren religiösen
Fanaten und Terroristen befreien musste. Da war allerdings die Ausstattung
ausschließlich für Menschen mit Rückgrat gedacht.
Ich habe lediglich diese Idee aufgegriffen, damit man nun die wirklichen
Schwerverbrecher erwischen und ausmerzen kann."
"Oh? Wer ist denn der aktuelle Staatsfeind Nummer Eins?"
Don Draghone rechnete damit, den Namen Nero oder vielleicht
sogar seinen eigenen zu hören. Eventuell noch den eines korrupten
Politikers, obwohl, dann wäre ja der gegenwärtige Staat sein
eigener Gegner gewesen. Doch die platte Antwort des Professors überraschte
ihn nur ein klein wenig, denn es war einfach eine verrückte Zeit.
"Kinder und Jugendliche, die Musik und Filme aus dem Internet laden."
"Ah ja." Don Draghone räusperte sich. Er würde die Menschen
niemals verstehen. Aber eigentlich konnte es ihm egal sein, so lange sie
seine Produkte kauften.
"Und darauf bin ich besonders stolz." Ragnarok zog aus einem Regal
einen schwarzen Aktenkoffer hervor und öffnete ihn. Dann fuhr er sich
durch seine Frisur, wenn man überhaupt davon sprechen konnte. "Hmmm,
wo habe ich nur... das gibt's doch nicht... Ach, Don Draghone, wenn Sie
so gut wären, da neben Ihnen auf dem kleinen Metalltischchen, diese
Krawattennadel, wenn Sie die mal..."
"Diese?" Der Silberdrache reichte dem Professor eine ziemlich kitschig
aber teuer wirkende Nadel.
"Ja. Sehen Sie her! Das Geld in diesem Koffer ist mit einer Chemikalie,
einem Stoff, der auch in Ihrem Urin vorkommt, präpariert. In einigen
der Banknoten wurden die metallischen Sicherheitsstreifen durch Magnesium
ersetzt. Mit der Krawattennadel löst man per Zündung die Explosion
aus. Es ist nur wichtig, dass man dem Opfer unbemerkt diese Nadel unterjubelt."
"Geniale Idee."
"Ja, aber auch alt. Sie, mein Lieber, brauchen ja etwas noch Spezifischeres.
Aber diese Erfindung war die Grundlage für das, was ich nun für
Sie habe."
Ragnarok öffnete eine unscheinbar aussehende schwarz-rote Reisetasche.
Sie war prall gefüllt mit Dollarnoten.
"Diese Scheine sind echt und für fast jedermann ungefährlich.
Zweieinhalb Millionen! Nur für uns Drachen wird dieses Geld zur absolut
tödlichen Gefahr. In den Fasern des Banknotenpapiers wurden Spuren
des Drachenbanns eingearbeitet. Wir haben dann die Scheine ebenfalls mit
dem Stoff behandelt, der auch unser Kokain unentdeckbar macht. Wenn nun
also Ihr Gegner diese Banknoten in seine Tatzen bekommt, ist das völlig
ausreichend. Er wird augenblicklich kontaminiert, bemerkt aber anfänglich
nichts. Sie kennen ja die Wirkung des Drachenbanns. Dieses hier ist so,
dass die Symptome erst relativ spät nach dem Kontakt zu den Geldscheinen
auftreten. Doch bevor dieser Nero überhaupt ahnen kann, dass es sich
um Drachenbann handelt, ist er bereits ausgeschaltet."
"Geniale Idee!" lobte Don Draghone.
"Ja, und gewissermaßen auch neu, denn bisher konnte man ja
immer noch ein Gegenmittel gegen Drachenbann finden. Doch hierbei handelt
es sich auch noch um einen Cocktail aus verschiedenen Drachenbannpflanzen
und ist, wie gesagt, auch in keinem Fall nachweisbar."
Ragnarok rieb sich die Hände und lächelte. "Ich hoffe,
ich konnte Ihren Erwartungen gerecht werden?"
"Gewiss doch", entgegnete Don Draghone zufrieden. Nun konnte er
sich daran machen, in erster Linie sein eigenes Leben und nebenher auch
den Rest der Welt zu retten.
© Peter
Lässig
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse
bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
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