Dämonenwut von Angel Taja
Prolog

Wenn aus der Dunkelheit eines vergangenen Krieges noch immer der Hass regiert, so wird die Zeit kommen, dass ein weiterer Krieg aufzieht und alles verändert, was es einst gab.

Doch scheinen es auch dunkle Stunden des neuen Kriegs zu sein, so erwacht doch ein kleines helles Lichtchen, das sich schon sehr bald ausbreitet.

Verabscheut und gehasst, und doch erwacht langsam die Wahrheit im Angesicht des neuen Zeitalters.

Wenn die Liebe alles überschattet, was sonst im Vordergrund stand, so ist die Zeit gekommen, dass sich alles ändert und doch so vieles gleich bleibt.

Selbst wenn der Tod nicht das Ende einer großen Liebe herbeiführen kann, so ist sie da, die neue Zeit.

Erkenne dich selbst und finde das, was du nie geglaubt hast zu finden.

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Kapitel 1: Der Aufbruch (1)

Immer wieder schnellten die Angriffe aufeinander zu und immer wieder wurden die Schläge fester. Der Kampf dauerte an. Der Schweiß rann beiden Kontrahenten schon lange in Strömen den Rücken hinunter. War auch kein Wunder, denn sie kämpften inmitten der Mittagssonne und das im Hochsommer. Seit langem war es noch einmal ein heißer Sommer geworden. Normalerweise gab es nur lange Winter und im Sommer wurde es nicht wirklich richtig warm, doch dieser Sommer hatte es in sich. Wieder krachte Tiarras Schwert auf das ihrer Freundin. Diese fing den Schlag elegant auf und stieß sie zurück. Sie waren die besten Schwertkämpferinnen des Lagers und angemessene Gegner gab es nicht. Daher mussten sich die beiden Freundinnen immer wieder duellieren. Da ihre Schwertkunst fast identisch war, dauerten die Kämpfe schon mal länger. Aber egal, wie lange es dauerte, jede wollte die andere besiegen. Ihr Kampf hatte schon vor Stunden angefangen. Endlich, so schien es, sollte es zum Ende kommen. Tiarra stolperte und fiel in den nahgelegenen See.
"Das ist doch nicht nötig, dass du dich in die Fluten schmeißt. Du hättest doch einfach aufgeben können", ärgerte sie ihre Freundin.
"Wer sagt, dass ich aufgebe? Komm her, wenn du dich traust!", erklärte Tiarra noch immer kampflustig.
"Du weißt, dass deine Bewegungen im Wasser sehr eingeschränkt sind. Wagst du es dennoch, mich herauszufordern?", wollte die andere wissen.
"Sonst würde ich es nicht sagen. Komm oder bist du auf einmal wasserscheu geworden?"
"Von wegen!"
Mit einem Sprung war sie bei Tiarra angekommen und ihr Kampf ging weiter. Sie waren beide so im Kampf versunken, dass sie nicht mitbekamen, dass man sie beobachtete. Zwei weitere Schwertkämpfer aus dem Lager sahen ihnen schon eine ganze Weile zu. Es waren Kumpels von ihnen. Sie gingen eigentlich nie getrennte Wege und machten alles gemeinsam. Na ja, sagen wir fast alles! Es waren Andros und Yacon.
"Wie lange geht das schon so, Andros?"
"Bestimmt schon vier Stunden. Die kennen wohl keine Müdigkeit. Ich möchte mal gerne wissen, warum sie das immer machen? Sie sind doch schon die besten des Lagers und doch fordern sie sich immer wieder heraus. Es gibt schließlich noch andere Sachen im Leben einer Frau!", erklärte Yacon leicht säuerlich. Andros kniff eine Auge zu und grinste.
"Soll das eine Anspielung auf dein Körbchen sein, das dir Tiarra geben hat?"
Yacon knurrte nur verächtlich und sah wieder zu den beiden hinunter.
"Für sie ist halt das Schwert wichtiger, als ein Mann. Wenn du sie haben willst solltest du lieber üben und nicht hier herumstehen. Was soll sie mit einem Mann, der mit dem Schwert schlechter ist, als sie selber? An ihr Können heranzukommen, sollte selbst dir schwer fallen. Sieh es doch ein, eine Frau wie Tiarra ist nichts für dich!", erklärte Andros.
"Aber für dich, was? Du bist doch selbst nicht besser als ich! Wenn du daran gedacht hast, mich zum Training zu schicken, um selber frei Bahn bei ihr zu haben, muss ich dich enttäuschen. Entweder ich oder niemand, merk dir das!", knurrte Yacon.
Es war immer das selbe. Sie waren die besten Freunde, sobald nicht wieder der Konkurrenzkampf um Tiarra losging. Schon seit langem stritten sie darum, wer besser für sie sei. So kamen sie auch immer wieder in wilde Gefechte. Nun standen sie wieder mal kurz davor. Allerdings sollte es dieses mal nicht dazu kommen.
"Na, sind die Herren wieder drauf und dran sich zu prügeln? Ach, warum strafte mich der Himmel nur mit solchen Schülern, wie euch vieren? Zwei hitzköpfige Kerle und zwei aggressive Mädels. Warum tut ihr euch nicht zusammen?", lächelte der Meister, der auf einmal neben ihnen stand und zu den Mädchen sah. Der Meister war nicht einfach nur ein Meister, sondern viel eher ein guter Freund aller seiner Schüler. Auch war er immer gut aufgelegt und hörte amüsiert zu, wenn sich die beiden Parteien untereinander stritten. Bei den Vieren war immer was los. Entweder kämpften sie Mann gegen Mann oder Frau gegen Mann. Je nachdem, wer wen gerade geärgert hatte. Wahrscheinlich waren sie deshalb so stark geworden. Der Meister lächelte sichtlich amüsiert, als er den beiden Mädchen seine gesamte Aufmerksamkeit schenkte. Sie konnten so wild sein, wenn sie sich duellierten, und so ein eingespieltes Team, wenn es gegen die Herren ging. Als er nach einer geraumen Weile nichts mehr sagte, trat Andros neben ihn.
"Was wolltet ihr eigentlich, Meister?"
"Eigentlich wollte ich euch nur wissen lassen, dass wir bald hohen Besuch bekommen. Bis dahin sollte das Lager auf Vordermann gebracht sein", sprach er, ohne den Blick von den beiden Mädchen zu nehmen.
"Ja und was hat das mit uns zu tun?", wollte nun Yacon wissen.
"Ihr zwei und die beiden dort seid dafür verantwortlich, dass bis morgen bei Sonnenuntergang alles in Ordnung ist."
"Und warum wir? Es gibt genügend Leute im Lager!", schnaubte Yacon eingeschnappt.
Schnell drehte sich der Meister zu ihm um und grinste freudig.
"Ganz einfach. Ihr vier seid der Grund für die meisten Zerstörungen innerhalb und außerhalb des Lagers. Natürlich dürfen alle übrigen Mitglieder des Lagers helfen. Aber wenn etwas bis morgen bei Sonnenuntergang nicht fertig ist, fällt das auf euch zurück und es gibt Strafarbeiten. Sagt das den Mädchen wenn sie fertig sind."
Der Meister wandte sich um und ging an ihnen vorbei. Anschließend drehte er sich noch mal zu ihnen um und zwinkerte.
"Je schneller die Mädchen fertig sind, um so schneller könnt ihr beginnen, es sei denn, ihr wollt alleine anfangen."
Erneut drehte sich der Meister um und ging fort.
"Von wegen, mitgehangen, mitgefangen. Wenn wir aufräumen müssen, müssen die das auch. Komm, Andros, wir beenden jetzt das Duell."
Schon war Yacon auf dem Weg zu den Mädchen. Andros folgte ihm in geringem Abstand. Allerdings fühlten sich die Mädchen nicht gerade gestört, als plötzlich die Herren vor ihnen standen.
"Ihr müsst euren Kampf unterbrechen!", meinte Yacon.
"Ach, und warum sollten wir? Ich werde diese Kleine sowieso gleich besiegt haben", keuchte Tiarra beim kämpfen.
"Das meinst du vielleicht. Du bist im Wasser viel langsamer als ich und das wird dir zum Verhängnis!", erklärte ihre Freundin.
Wieder klirrten die Schwerter aufeinander.
"Du magst vielleicht schneller sein, aber ich bin stärker."
Wieder vertieften sich die Mädchen in den Kampf und beachteten die Herren nicht mehr. Genervt zog Yacon die Augenbrauen hoch. Andros hatte es sich am Ufer gemütlich gemacht und sah dem Treiben zu. Die könnte keiner aufhalten, einmal in ein Duell vertieft, konnte sogar die Erde untergehen, und ihnen würde das nicht mal auffallen. Sein Freund war allerdings sehr viel ungeduldiger und ging dazwischen.
"Hört endlich auf! Der Mei..."
Weiter kam er nicht, denn er wurde von Tiarras Fußtritt erfasst und flog im hohen Bogen ins tiefere Wasser.
"Du nervst, Yacon."
"Hey, sei nicht so ruppig mit deinem Verehrer", grinste ihre Freundin.
"Weißt du, ich such mir meine Verehrer lieber selber aus, aber wenn du willst, kannst du ihn ruhig haben, Taja. Er ist immer so zappelig und fürchterlich nervig."
"Danke, kein Bedarf. Mein Leben ist auch so schon aufregend und chaotisch genug."
Der Kampf dauerte an. Yacon war wieder nach vorne geschwommen und stand erneut zwischen ihnen. 
"Du schon wieder? Ich hätte dich weiter weg treten sollen", seufzte Tiarra.
"Jetzt hört mir endlich zu! Der..."
Und wieder wurde er unterbrochen. Taja hatte ihm die Beine weggezogen und er war unter Wasser gegangen. Doch hoch kam er auch nicht, da Taja mit ihrem Fuß auf seinem Mund stand und ihn runterdrückte. Irgendwann nach Ewigkeiten ließ sie ihn wieder nach oben. Er hatte einen hochroten Kopf und jappste verzweifelt nach Luft. Was dachten sich die beiden überhaupt? Wütend ging er zum dritten mal zwischen sie.
"Verdammt noch mal. Hört mir endlich zu!", schrie er.
"Na dann lass hören. Ich hoffe, du hast eine gute Entschuldigung dafür, dass du unser Duell störst", meinte Tiarra und sah ihn auffordernd an.
"Der Meister war gerade bei uns und sagte, dass wir morgen Abend hohen Besuch bekommen!"
"Ja und weiter?", wollte nun Taja wissen, die sich zwischenzeitig auf ihr Schwert stützte.
"Bis dahin sollen wir vier dafür sorgen, dass das komplette Lager in Ordnung ist."
Tiarra runzelte die Stirn.
"Und wer soll denn der hohe Besuch sein, der kommt?", fragte sie dann.
"Keine Ahnung, hat er nicht gesagt", gestand Yacon.
"Dann ist es auch niemand wichtiges! Such dir schon mal eine Wiedergutmachung für unser unterbrochenes Duell aus."
"Wiedergutmachung? Ihr helft gefälligst!", brüllte er wieder.
"Du hattest deine Chance!"
Taja hob ihr Schwert wieder aus dem Wasser und schwang es einmal in der Luft. Auch Tiarra nahm ihr Schwert wieder fester in die Hand und hob es in die Luft. Die beiden Schwerter überkreuzten sich. Gleichzeitig ließen sie es sinken, ohne dabei aber ihr Kreuz zu lösen.
"Wenn ich jetzt du wäre, würde ich mich schleunigst entschuldigen, ehe unsere Doppelattacke Kleinholz aus dir macht", lächelte Taja drohend.
"Sie hat recht. Mit einer von uns hast du schon Schwierigkeiten und nun sind wir zu zweit. Dazu kommt noch, dass du unbewaffnet bist. Also?", ergänzte Tiarra.
"Schon gut. Ich weiß, was euch euer Duell bedeutet, aber es ist wichtig, dass wir unsere Arbeiten getan bekommen. Nun kommt!"
"Weißt du, ein kleines Wort fehlt da noch!", forderte Tiarra weiter.
"Ja ich habe es auch nicht gehört."
"Bitte", flüsterte Yacon.
"Hast du was gesagt, Yacon? Also ich habe nichts gehört, du etwa, Taja?"
"Nein, habe ich nicht!"
"Bitte", es war nur ein bisschen lauter geworden.
Fragend sahen die Mädchen ihn an.
"Bitte!", brüllte er dann.
"Jetzt haben wir es gehört. Dann fangt schon mal an. Wir müssen uns erst einmal umziehen", grinste Tiarra und nahm ihr Schwert herunter. Anschließend ging sie an ihm vorbei, Taja folgte ihr.
"Wir sehen uns", zwinkerte Taja Yacon zu.
"Nichts da! Ihr fangt sofort an!", schrie Yacon nahe an einem Wutausbruch.
"Wenn du willst, dass wir dir helfen, dann musst du warten, bis wir wieder da sind. Sonst schrei hier nicht rum und fang gefälligst direkt an", erklärte Tiarra, die sich umgedreht hatte.
Ohne ein weiteres Wort ließen die beiden ihn zurück. Immer noch aufgebracht stapfte er zu Andros, der den beiden Mädchen nach sah.
"Und was ist mit dir los? Du hättest mir ruhig helfen können. Stattdessen sitzt du hier rum und starrst Löcher in die Luft."
"Was willst du denn? Die kommen doch gleich nach. Außerdem hatte ich wenig Interesse daran, wie du durch die Luft geschossen zu werden. Wann siehst du es endlich ein? Mit deinem ungezügelten Temperament hast du keine Chance bei Tiarra. Sie mag keine Schreiaffen. Tiarra steht auf Typen, die wissen, was sie wollen und es sich holen!", erklärte Andros gelassen.
"Ach, hast du das aus deinen ganzen Weibergeschichten gelernt? Du hast doch jeden Abend eine andere. Wie viele du auf unseren Reisen schon geschwängert hast, will ich gar nicht schätzen. Und nun ist Tiarra dran, was? Vergiss es, mit einem wie dir, will sie erst recht nichts."
"Glaubst du? Selbst wenn. Immerhin hat sie noch eine Freundin", grinste Andros.
"Du meinst Taja? An die kommst du erstrecht nicht ran. Das ist eine Festung!"
"Ja ich versteh dich, Yacon. Kerle wie du haben keine Chance, ich hingegen wickle sie in meinen unwiderstehlichen Charme ein. Und schwups, schon ist sie mein!"
"Dass ich nicht lache! Du magst zwar schon viele Frauen rumgekriegt haben, aber bei den beiden geb ich dir nicht den Hauch einer Chance. Denn Tiarra gehört sowieso schon mir und Taja ist selbst dir zu hoch!", meinte Yacon wissend.
"Wenn du meinst. Ich werde mich jetzt an die Arbeit machen."
Dabei ließ Andros aus, was er als Arbeit bezeichnete. Schnell folgte ihm Yacon, bei seinem Freund wusste man nie, woran er gerade dachte. Und auf keinen Fall wollte er ihm einen Vorsprung lassen. Schnell waren sie in mitten des Lagers. Es lagen viele Waffen herum, die nach den Übungen von den wenigsten weggeräumt wurden. Damit begannen die beiden. Es dauerte an, denn überall lag Zeug herum. Es schien, als hätten die anderen das absichtlich gemacht. Und immer noch war keine Spur von den beiden Mädchen. Wie lange brauchte man eigentlich sich umzuziehen? Was die beiden nicht wussten, war, dass die Mädchen schon lange in den Ställen waren und dort saubermachten.

"Also ehrlich findest du nicht, dass du ein bisschen übertreibst? Die Jungs werden gleich super sauer sein", fragte Taja ihre Freundin vorsichtig.
"Ach was! Hast du etwa Mitleid mit denen? Die können sich ruhig mal ein bisschen aufregen. Um so schneller arbeiten die dann auch. Vertau mir, alles läuft nach Plan", grinste Tiarra zufrieden.
"Na wenn du meinst. In der letzten Zeit sind sie schon etwas sonderlich geworden. Yacon regt sich wegen jedem bisschen auf und Andros beobachtet alles so genau. Liegt das an dem Konkurrenzkampf?"
"Welchem Konkurrenzkampf? Was meinst du damit?", wollte nun Tiarra wissen.
"Wegen dir! Die beiden streiten sich immer öfter, wo sie doch sonst die besten Freunde waren. Jedes mal wenn ich sie sehe wirken sie angespannt oder kämpfen."
"Ach die alte Leier. Mach dir deswegen doch keinen Kopf, die beiden haben sie halt nicht mehr alle. Bisher haben beide geschafft, sich jede Frau zu angeln, die sie wollten, doch nun klappt das halt nicht so ganz."
"Keiner von beiden dein Fall?"
"Nein, danke. Der eine ist zu grob und borniert und der andere zu oberflächlich und unreif. Wieso fragst du? Hast du etwa Interesse?", schmunzelte Tiarra.
"Ich?! Nein, nein und nochmals nein. Schließlich lernt man aus Fehlern. Danke, eine Pleite reicht."
"Entschuldige. Ich vergesse immer wieder, dass du keinen Kerl mehr willst."
Schweigen legte sich über die beiden Freundinnen. Tiarra ärgerte sich maßlos darüber, dass sie wieder alte Wunden aufriss. Taja war nie wirklich mit dem Erlebnis aus vergangenen Tagen fertig geworden und immer wieder vergaß Tiarra das. Sie erinnerte sich an den Tag, wo sie einander kennen lernten.
Es war ein verregneter Tag gewesen und Tiarra hatte wiedereinmal Strafarbeit von ihrem Meister aufbekommen, weil sie einen Kerl grün und blau geschlagen hatte. Aber mal im ernst, das hatte er verdient gehabt. Schließlich hatte er sie bedrängt und wollte sie küssen. Na ja, jedenfalls war sie dabei, die Pferde von den Weiden zu holen, da die Nächte schon sehr kalt wurden. Sie wanderte gemächlich über die hügelhafte Landschaft. Plötzlich zeriss der Lärm eines Kampfes den schon dunklen Abend.    Danach wurde es wieder still. Verwundert war sie stehen geblieben. Alle Lehrlinge und auch die anderen Kämpfer waren doch schon alle im Lager, wie konnte denn jetzt hier ein Kampf ausbrechen? Doch er war so schnell vorbei, wie er gekommen war. Achselzuckend war sie weitermarschiert und hatte die letzten Pferde von der Weide geholt. Vor einer aufklaffenden Schlucht blieb sie stehen. An ihrem Ende stieg ein hoher Berg empor. Auf einem Felsvorsprung bewegte sich doch was, oder? Allerdings sollte sie sich beeilen ins Lager zurückzukehren. Ein gewaltiges Gewitter hatte sich schon über ihr zusammengeballt. Warum interessierte es sie überhaupt, was da passiert war? Vielleicht lag es daran, dass sie von Natur aus schon immer neugierig gewesen war. Die ersten Blitze erhellten den nachtschwarzen Himmel und sie konnte besser sehen. Da stand wirklich jemand! Aber was sollte sie jetzt tun? Sie war zu weit weg, um mit ihr reden zu können und die Pferde mussten auch zurück gebracht werden. Nein, sie konnte jetzt nicht gehen, egal wer das war, sie durfte nicht hier bleiben und dann so nah an der tiefen Schlucht. Tiarra ließ die Pferde stehen und rannte in die Nähe des Vorsprungs. Noch immer stand die Gestalt bewegungslos an der Klippe. Dieser jemand musste wahnsinnig sein. Wenn sie nicht ein Blitz traf, dann hätte sie auf dem matschigen Grund ausrutschen und in die Tiefe fallen können.
"Hey, du solltest sehen, dass du nach hause kommst", hatte Tiarra damals gerufen.
Die Gestalt hatte sich nur zu ihr herumgedreht und sie angesehen. Es war Taja gewesen. Ihre Kleidung war zerfetzt gewesen und sie hatte überall offene Wunden. Sie war es gewesen, die gekämpft hatte. Dennoch rührte sie sich nicht von ihrem Platz.
"Ich habe kein Zuhause mehr", hatte sie geantwortet und war einen Schritt weiter nach vorn gegangen.
"Warum?"
"Meine Eltern wurden getötet und unser Haus abgebrannt", war ihre Antwort gewesen.
"Dann komm mit zu mir. Da kannst du trauern, hier ist es zu gefährlich!"
"Was ist schon die offene Gefahr? Du weißt, dass sie hier ist, dann ist es nicht mehr so schlimm. Wenn du aber nicht weißt, dass du in Gefahr schwebst, so tut die Erkenntnis mehr weh."
Damals hatte Tiarra mit ihrem Satz nichts anfangen können und versucht, sie zu überzeugen, da weg zu gehen. Die ganzen Jahre hatte Tiarra diesen Blick nicht vergessen, wie Taja sie dort oben angesehen hatte. Sie war furchtlos und zu allem entschlossen gewesen. In ihren Wimpern hatten noch immer Tränen gehangen und tiefer Schmerz hatte in ihren Augen gestanden. Erst da hatte sie erkannt, dass sie springen wollte, daher hatte sie auch keine Angst gehabt.
"Du darfst das nicht tun! Man hat dir das Leben geschenkt, du darfst es dir nicht nehmen, das wird jemand anderes tun. Wobei ich hoffe, dass es nicht der gleiche ist, der dir das angetan hat. Er würde sich bestimmt darüber freuen, wenn du jetzt springen würdest. Wenn du das tust, hat er gewonnen, lass es nicht so weit kommen. Lebe und wenn es nur dem Zweck dient, ihm das heimzuzahlen. Komm mit zu mir!"
Und wirklich war Taja dann von der Klippe weggegangen. Wenn auch nicht sofort. Sie hatte den Kopf gesenkt und hatte geweint. Ihre Hand war zu ihrer Halskette gewandert und hatte sie abgerissen. Sie hatte sie in die Faust geschlossen und wollte sie wegwerfen, doch Tiarra war zu ihr hingelaufen und hatte sie aufgehalten.
"Tu es nicht. Wenn es von ihm ist, dann wirst du es noch brauchen. Vielleicht findest du ihn damit wieder, und nun komm endlich, das ist ein sehr schlimmes Gewitter über uns."
So waren sie dann beide gegangen. Seit jenem Abend waren rund fünf Jahre vergangen und Tiarra hatte alles erfahren, wie es soweit kommen konnte. Es war ihr Freund gewesen, der dieses Grauen verrichtet hatte. Die Kette war ein Geschenk gewesen und sie wollte sie nicht mehr tragen. An dieser Kette hing das Erkennungszeichen ihres Freundes, es waren seine Initialen. Taja hatte auf sie gehört und sie behalten. Nach einigen Monaten hatte sie diese auch wieder angezogen. Wer wusste schon, wann man sie brauchen könnte? Sie waren gute Freunde geworden und hatten zusammen Tiarras Strafdienst verrichtet. So war die Zeit vergangen. Nun waren sie erwachsen. Beide waren sogar gleich alt, beide waren nun neunzehn. Wie schnell manchmal die Zeit verging und deswegen hasste es Tiarra, wenn sie nicht daran dachte, dass ihre Freundin nicht gut auf Kerle zu sprechen war. Es tat ihr leid. Entschuldigend sah sie zu Taja hinüber, die gerade den gröbsten Dreck auf eine Schippe lud. Doch sie schüttelte den Kopf.
"Ist schon in Ordnung. Ich sollte eigentlich lange darüber hinweg sein, aber ich bin’s leider noch nicht. Sorg dich nicht immer um mich."
"Um dich muss man sich andauernd sorgen, erst willst du dich von einer Klippe stürzen, dann von einem Blitz treffen lassen und nun das. Nein also wirklich du bist ein hoffnungsloser Fall."
Tiarra hatte den Kopf geschüttelt und die Hand vor die Stirn gepresst. Es war natürlich nur geschauspielert. Taja grinste amüsiert und schmiss ihr eine Ladung frisches Heu entgegen.
"Statt auf mich aufzupassen solltest du lieber sauber machen."
"Einmal soll ich das, dann wieder das, könntest du dich mal entscheiden?"
Sie hatte etwas von dem Heu aufgehoben und ihrer Freundin zurückgeworfen. Das war der Anfang einer langen Heuschlacht. Angelockt von dem Lachen kamen Yacon und Andros herein.
"Jetzt reißt mir aber langsam der Geduldsfaden. Erst kommt ihr nicht wieder und dann macht ihr mehr Sauerei, als aufzuräumen. Ihr seid wirklich keine großen Hilfe. Könnt ihr uns denn nicht einmal richtig helfen?", seufzte Yacon.
"Wollten wir doch, dann allerdings ist die Kleine hier frech geworden. Reg dich nicht immer so auf, bleib mal locker. Immerhin haben wir schon alle Pferde saubergemacht und gestriegelt. Sogar alle Sättel sind schon sauber und hängen geordnet da, wo sie hingehören. Jetzt haben wir mit den Ställen angefangen. Immer noch sauer?", grinste Tiarra zufrieden, als Yacons Gesicht in Erstaunen geriet.
"Na also, dachte ich mir doch und nun mach dich nützlich!"
Tiarra raffte einiges an Heu zusammen und drückte ihm das in die Hand. Taja tat’s ihr gleich und überhäufte ihn schließlich mit Heu. Erneut wütend werdend schmiss Yacon das Heu auf die beiden zurück. Nun entbrannte ein Heukampf zwischen allen vieren. Jeder bekämpfte jeden, wobei allerdings Yacon das meiste abbekam. In mitten der Schlacht kam der Meister vorbei und sah in den Stall hinein, wo sie gegen einander kämpften und offensichtlich Spaß hatten. Ihn begleitete sein Berater und guter Freund.
"Was meinst du, wie lange sie noch so unbesorgt tollen können?", fragte er dann.
"Hoffen wir, dass es noch so bleibt", seufzte der Berater.
"Allerdings steht es nicht gut um sie. Seit jeher haben sie mein Lager auf den Kopf gestellt und den meisten Blödsinn gemacht. Aber sie sind mir alle vier ans Herz gewachsen. Was passiert, wenn die königliche Garde hier eintrifft? So weit ich mich erinnern kann, zerbrachen alle guten Freundschaften in einem Konkurrenzkampf, um an den Könighof zu kommen. Nun ist es wieder soweit und der König verlangt die besten Leute von mir. Allerdings will ich sie nicht hergeben. Wie oft haben wir gestritten und ich war ihnen am ende doch dankbar für ihre unüberlegten Taten und nun soll ich sie weggeben. Wieso verliert der König nur immer wieder Kämpfer?" Der Meister war traurig gestimmt.
Schon immer war er dafür bekannt, die besten Krieger auszubilden, und er musste dem König immer die besten seiner Leute abgeben. Bisher hatte er es auch widerspruchslos getan, doch dieses mal wollte er sie nicht hergeben. Ungewollt hatte er eine engere Beziehung zu ihnen aufgebaut. Dennoch war es sinnlos sich zu wehren. Der König wusste bereits, welche Leute er an den Hof holen wollte, er schickte alle drei Monate einen Gesandten aus, um nachzusehen, wer die besten waren und wie sie sich verbessert hatten. Nun war wieder ein Jahr umgegangen und sein Interesse gehörte eben diesen vieren. Schon bald würde der Gesandte des Königs eintreffen und sie einfordern. Bis zum heutigen Tag hatte er nicht mit ihnen darüber geredet. Auch wussten sie nicht, dass sie schon lange feststanden. Er konnte sich noch gut an die Anfänge erinnern. Zuerst war Tiarra da gewesen. Sie war von ihren Eltern hier abgegeben worden, weil sie zu unerzogen war und ihre Eltern mit ihr nicht mehr klar kamen. Sie hatten ihn wirklich viele unzählige Nerven gekostet. Wie oft er ihr auch Strafarbeiten aufgegeben hatte, sie war so trotzig wie eh und je. Dann kamen Yacon und Andros. Zwei junge Burschen, die das Kriegshandwerk lernen wollten. Auch die beiden waren nicht mit Tiarra fertig geworden. Zu guter letzt hatte Tiarra Taja hierher gebracht. Sie waren alle gute Freunde geworden. Auch wussten sie, wenn sie in diesem Lager ausgebildet wurden, so bestand die Chance an den Königshof zu kommen. Für viele war es eine große Ehre gewesen, doch diese hier hatte das nie wirklich interessiert. Doch nun war der Tag da. Bald würden sie sein Lager verlassen und in eine fremde Welt gehen. Der Meister hatten ihnen noch lange zugesehen.
"Wollen Sie es ihnen denn nicht sagen?", fragte plötzlich sein Berater.
"Nein. Es wäre ein zu großer Schock für sie. Sie werden es früh genug erfahren, wenn der Abgesandte hier ist. Lassen wir sie die letzten Stunden zusammen verbringen. Eine sorglose Zeit, denn diese ist bereits gezählt. Komm, gehen wir und bereiten alles für morgen vor."
Der Meister wandte sich um und ging weg. Sein Berater folgte ihm auf schnellem Schritt. Noch immer tollten die vier umher. Bis sie sich erschöpft ins Heu fallen ließen.
"Was meint ihr, wer der hohe Besuch ist, der morgen abend kommen soll?", fragte Andros.
"Es sind doch wieder drei Monate um und gleichzeitig ein ganzes Jahr, oder?", meinte Taja.
"Ja und weiter?", wollte Yacon wissen.
"Du Idiot. Alle drei Monate kommt ein Gesandter vom König und jedes Jahr werden die besten ausgewählt und die werden dann mitgenommen. Oder eben die Favoriten des Königs!", erklärte Tiarra weiter.
"Deswegen dieser Aufwand? Wir werden doch eh nicht genommen. Wir sind nicht gehorsam genug und wir stellen nur schlimme Dinge an. Deswegen sind wir auch gut genug, um hier sauber zu machen", grinste Andros vergnügt.
"Stimmt, auf der Schiene sind wir bisher am besten gefahren", freute sich auch Yacon.
"Wie ist es eigentlich auf dem königlichen Hof?", wollte Taja wissen.
"Stell es dir nicht toll vor. Die würden uns wie kleine Kinder behandeln und wir dürften nur so Stallburschenarbeiten machen. Die Leute da sind arrogant und wirklich brauchen tun sie uns nicht. Sei froh, dass du hier bei uns bist", meinte Andros und war näher zu ihr hingerutscht. Tiarra hatte das aus ihrem Augenwinkel mitgekommen.
"Er hat recht. Hier sind wir besser aufgehoben, als auf dem königlichen Sitz. Wer weis schon, was da alles rumläuft. In diesem Lager kennen wir schließlich alle Pappenheimer", schmunzelte Tiarra zu Andros, der immer näher zu Taja rückte.
"Na wenn das so ist, dann will..."
"Was ist?", fragte Tiarra ihre Freundin, die mitten im Satz stehen geblieben war.
Taja saß da wie versteinert und ihr Blick war auch recht seltsam. Tiarra sah an ihr hinab und sah eine Hand auf ihrem Allerwertesten. Diese gehört unwiderruflich Andros. Es dauerte nicht lange, da war Taja aufgesprungen und schoss ihm eine, dass er rückwärts fiel und hart auf den Boden schlug.
"Du bist ein echtes Schwein!", schrie sie und trat ihm noch vors Schienbein.
Tiarra lachte laut auf und wischte sich ihre Freudentränen aus den Augen. Ihre Freundin hatte wirklich eine amüsante Art einen zu bestrafen. Wieder entbrannte eine Heuschlacht und diese endete erst spät. Sie hatten gar nicht bemerkt, wie die Zeit verging, und dass es schon lange Nacht geworden war. Müde und schlaff schliefen alle in dem zerstreuten Heu ein. Noch wussten sie nicht, dass es ihre letzte gemeinsame Nacht zusammen sein würde. Schon morgen würde sich ihr aller Leben verändern. Die sorglosen Tage und Nächte waren gezählt. Doch noch herrschte friedliche Stille bei ihnen, die bis zum Morgengrauen auch nicht verschwand.
 

© Angel Taja
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Und schon geht's weiter zum 2. Teil des 1. Kapitels...

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