Dämonenwut von Angel Taja
Kapitel 1: Der Aufbruch (2)

Die Sonne streckte ihr Haupt schon langsam über den Horizont. Tiarra wurde als erste wach. Schläfrig zupfte sie sich das Heu aus den hellbraunen Haaren und sah sich um. Der Stall sah wirklich wüst aus. Seltsam, dass der Meister sie noch nicht hat suchen lassen. Eigentlich hätte er doch gestern einen Kontrollgang machen müssen, so wie er es immer tat. Die anderen drei schliefen noch tief und fest. Leise stand sie auf und kletterte über den großen Heuhaufen zum Fenster hinauf. Es war schon Morgen und im Lager herrschte schon leises Treiben. Seltsam, sie rannten alle wie kleine Hühner durcheinander. War es denn wirklich so etwas besonderes, wenn die königliche Garde kam? Sie hatten es doch schon oft erlebt, und doch dies Unruhe? Was um alles in der Welt war nur in sie gefahren? Neugierig reckte sie sich weiter nach vorne. Unter ihr waren einige dabei, bunte Fahnen und Bänder aufzuhängen. Seit wann gab es denn hier so was?
"Was treibt ihr denn da?", rief Tiarra ihnen zu.
"Was meinst du wohl, was wir hier tun? Wir hängen Girlanden auf!"
"Wofür denn? Das haben wir doch noch nie gemacht!"
"Es ist kein normaler Besuch von einem Gesandten, sondern der König kommt persönlich!"
"WAS?!", schrie sie und fiel vor Schrecken von dem Heuhaufen und landete unsanft auf dem Hosenboden.
"Was machst du denn hier für einen Krach?", gähnte Taja und blinzelte in das helle Licht, welches durch das Fenster hereinbrach. Seltsam, sie verspürte eine sonderbare Last auf ihrer Brust. Schnell blickte sie umher und suchte die Ursache. Als sie diese fand wurde sie rot und wütend zugleich. Schnell sprang sie auf und gab Andros, dem die Hand gehörte, die auf ihrer Brust lag, eine schallende Ohrfeige.
"Du verdammte Weiberfummler, lass deine Pfoten gefälligst bei dir!", schrie sie aufgebracht.
Andros wurde durch den Schlag recht unsanft geweckt und Yacon wurde von ihrem Schrei aufgeschreckt.
"Bist du jetzt völlig verrückt geworden, was soll denn die Schreierei?", beschwerte sich Yacon.
"Dieser verdammte Fummler kann seine Finger einfach nicht bei sich behalten", erklärte Taja wütend.
"Mensch Andros, kannst du die Frauen nicht in Ruhe lassen, wenn ich dabei bin? Ich habe so gut geschlafen, nur um dann von so einer Furie geweckt zu werden", murrte Yacon weiter?
"Furie?!"
Taja holte erneut aus und gab Yacon ebenfalls einen kräftigen Schlag.
"Beleidigen lassen muss ich mich am frühen Morgen noch nicht. Ihr seid solche Idioten!"
"Wenn ihr euch dann alle mal wieder beruhigt habt, dann habe ich eine große Neuigkeit für euch!", erklärte Tiarra plötzlich.
"Und die wäre? Dass wir wieder aufräumen müssen, wissen wir alle selber!", gab Yacon von sich.
"Das hab ich nicht gemeint, du Null! Wir bekommen wirklich hohen Besuch!"
"Dann sag doch endlich wer!", forderte nun Andros.
"Lasst mich halt mal ausreden! Sonst kam doch immer ein abgeordneter vom König, nicht wahr?"
"Schlaues Kind, das wissen wir auch", meldete sich Yacon wieder.
"Wenn du mich noch einmal unterbrichst, dann fängst du dir was ein, wovon du dich nicht so schnell erholst. Klar wisst ihr alle die Sache mit dem Gesandten, doch dieses mal kommt der König persönlich vorbei."
"WAS??!!", schrieen alle drei auf einmal.
"Da seid ihr platt, was? Hab es auch gerade erst erfahren."
"Aber warum dieser Aufwand? Das war doch sonst nicht nötig", fragte sich Taja.
"Aber jetzt scheint es wohl um wichtigeres zu gehen. Wir sollten sehen, dass wir fertig werden, dann reden wir mit unserm Meister", schlug Tiarra vor.
"Gute Idee, dann mal los", meinte Andros und stand auf.
Schnell entledigten sich alle von dem Heu, das sich in ihren Sachen verfangen hatte. Anschließend machten sie sich daran, den Stall aufzuräumen. Es dauerte für ihre Verhältnisse gar nicht lange und sie waren fertig.
"Fertig, da kann man mal sehen, wofür Teamwork gut für ist. Ihr hättet ja gleich auf mich hören können, dann wären wir schon viel schneller fertig gewesen", grinste Yacon zufrieden.
"Wenn du noch einen rüber haben willst, brauchst du es nur zu sagen!", erklärte Tiarra.
"Aber so können wir nicht zum Meister, wir sollten uns erst einmal umziehen. Dann können wir uns ja hier wieder treffen", meinte Taja.
"Sie hat recht, bis gleich dann!", stimmte Tiarra zu und war schon auf dem Weg zu ihrer Hütte. Beide Mädchen teilten sich eine Hütte, genauso die Jungs. In der Hütte angekommen legten die Mädchen ihre Sachen ab und gingen in ihren kleinen See. Hinter jeder Hütte war ein See um sich zu waschen. Selbstredend war er für neugierige Blicke abgeschirmt. Hohe Palisaden umgaben diesen.
"Tiarra, was meinst du, warum der König persönlich kommt?", fragte ihre Freundin sie.
"Tja keine Ahnung. Wir werden es wohl bald wissen."
"Glaubst du, dass er nichts von uns will?"
"Warum sollte er? Wir sind zwar gute Kämpfer, aber eben undiszipliniert. Er hat nie Interesse an uns gezeigt, weshalb sollte er jetzt persönlich wegen uns kommen?"
"Ich weiß nicht. Ich habe nur so ein ungutes Gefühl. Tiarra, ich habe Angst, er könnte uns auseinanderreißen. Du, Yacon und selbst Andros, ihr seid meine Familie. Eine habe ich schon verloren, ich will nicht, dass es noch einmal passiert", seufzte Taja traurig.
"Egal was der König auch will, wir sind Freunde und wir belieben Freunde. Egal was passiert, einer muss doch auf dich aufpassen. Jetzt schau nicht so traurig, es wird schon schief gehen."
Tiarra hatte versucht sie aufzumuntern, doch es schien nicht wirklich zu klappen. Sie schien sich wirklich Sorgen zu machen. Aber aus welchem Anlass? Sie waren alle vier so unbedeutend, wie Flöhe, warum in alles in der Welt sollte der König auf die Idee kommen, sie mitzunehmen? Na ja, wenn sie jetzt gleich zum Meister kamen, dann würden sie es schon erfahren.
"Seid ihr zwei immer noch nicht fertig? Wir wollen jetzt zum Meister und wenn ihr nicht bald hier draußen seid, dann gehen wir ohne euch!", schallte es von der anderen Seite der Palisade.
"Meine Güte, bleib locker, Yacon. Wir kommen jetzt gleich!", erklärte Tiarra und stieg aus dem Wasser aus. Taja folgte ihr und ging dann in die Hütte. Schnell zogen sie sich frische Kleidung an. Sie trugen leichte Roben, die bis zu den Knien ging. Mit einem farbigen Band wurde die Hüfte betont und die Robe bekam ein schöneres Aussehen. Sie waren braun und das Band schimmerte silbern. Diese Robe hatte jeder in diesem Lager, nur die Gürtel waren unterschiedlich. Bei den vieren allerdings war er gleich. Schnell schlüpften sie noch in die leichten Lederschuhe und verließen die Hütte. Beide hatten ihre Haare zu einem Zopf zusammengebunden. Taja hatten ihren geflochten, Tiarra hingegen war immer für die schnelle Variante und band sie nur zusammen.
"Das wurde aber auch Zeit!", murrte Yacon immer noch ärgerlich.
Was hatte dieser Kerl schon wieder? Nur weil sie länger zum waschen brauchten als er? Oder lag es viel mehr an der Ohrfeige, die er heute morgen von Taja geerntet hatte? Auch die beiden trugen ihre Roben.
"Wir sind ja nun da, dann können wir auch gehen!", erklärte Tiarra.
Endlich ging ihr Weg zum Meister, wo sie hoffentlich all ihre Fragen beantwortet bekamen. Er bewohnte ebenfalls ein Haus, es unterschied sich nicht viel von denen, wo die Schüler drin wohnten. Allerdings war es erheblich größer. Hier hantierten auch einige herum. Als sie gerade vor die Tür treten und anklopften wollten, kam der Berater heraus.
"Ihr werdet schon erwartet!", sprach er und trat beiseite.
"Mein unwohles Gefühl nimmt zu", flüsterte Taja, was nur Tiarra verstand. Tiarra legte ihrer Freundin eine Hand auf die Schulter und folgte ihr dann ins Innere des Hauses. Ein großer geschmückter Flur nahm sie auf. Sie waren schon oft hier gewesen, doch noch nie war es so pompös gestaltet worden. Schnell durchschritten sie den Flur und klopften höflich an der Tür des Meisters an.
"Kommt ruhig rein. Ihr klopft doch sonst nicht an."
Langsam schritten sie alle herein. Ein seltsames Bild gaben sie dabei schon ab. Sonst so impulsiv und nun so zaghaft. Irgendwas mussten sie gewittert haben. Andros, der als letztes herein gekommen war, schloss die Tür leise hinter sich.
"Wieso werden wir erwartet?", fragte Tiarra, wie immer als erste.
"Erst einmal wollte ich euch loben für die saubere Arbeit, die ihr gemacht habt. Gesagt war heute abend, doch ihr habt jetzt schon alles fertig."
"Das war das eine und nun kommen wir mal zu der eigentlichen Sache. Warum kommt der König persönlich!", schoss Tiarra weiter.
"Wie eh und je. Du hast dich nicht im geringsten verändert, Tiarra. Nun gut. Ich habe dir oft genug gesagt, dass deine Neugier dir noch zum Verhängnis wird. Wie dem auch sei. Seit Jahr und Tag habt ihr es geschafft, euch aus allen Veränderungen unseres Lagers heraus zu halten, allerdings wird dieses Verhalten euch dieses mal nicht mehr retten."
"Was meinen Sie damit?", fragte Taja vorsichtig.
"Der König hat ein großes Problem. Seit einiger Zeit hat es mehrere Anschläge auf die Prinzessin, seine Tochter, gegeben. Man hat schon des öfteren versucht sie zu entführen."
"Gibt es für solche Zwecke keine Leibwachen?", wollte Yacon wissen.
"Ja, die gibt es. Allerdings wurden in letzter Zeit viele ermordet oder sie verschwanden plötzlich spurlos. Er kommt deswegen persönlich, da er sich selbst mit meinen Schützlingen vertraut machen will und wirklich nur die besten haben will. Das seid ihr vier."
Alle sahen ihn geschockt an.
"Damit habt ihr nicht gerechnet, nicht wahr? Ich allerdings auch nicht, da der König immer nur die besten und diszipliniertesten nahm. Er scheint damit wohl keinen großen Erfolg zu haben, nun will er sehen, was die besten Kämpfer können, die etwas ungeschliffen sind", erklärte er weiter.
"Ach als neues Löwenfutter, damit keiner an seine kleine Prinzessin kommt? Dafür sollen wir den Kopf hinhalten?", schnaubte Yacon abfällig.
"Aber nein, wo denkt ihr hin? Nur einer oder eine von euch wird das sein", sprach plötzlich eine fremde Stimme hinter ihnen. Erschrocken drehten sie sich um. Hinter ihnen stand ein hochgewachsener Kämpfer in einer dunkelblauen Rüstung. Er hatte kurzes blondes Haar, welches etwas in die Höhe stand. Seine grünen Augen funkelten amüsiert.
"Ah, Sir Niclas, tretet doch ein", wies der Meister schnell und bat ihm einen Stuhl an. Die vier blieben wie angewurzelt stehen und begutachteten sich den Fremden. Schnell nahm er platz und sah sich die vier genau an.
"Sind sie das?", fragte er dann.
"Sind wir was?", schnaubte Tiarra aufgebracht, "euer Löwenfutter?"
"Die Ausgewählten seiner Majestät. Anscheinen schon. Keine Haltung und kein Benehmen, ganz so, wie sie immer beschrieben wurden. Einer von euch hat die Ehre, der neue Leibwächter der Prinzessin zu werden, da der Vorgänger leider von uns gegangen ist."
"Reden Sie jetzt wirklich von dem Leibwächter oder einem  Pferd? Oder ist das bei euch das gleiche?", hakte Tiarra nach.
"Wie ungezogen und frech sie doch ist. Nein, ich redete wirklich von der Leibwache der Prinzessin."
"Schön und was ist dann mit den restlichen drei?", wollte nun Yacon wissen.
"Die übrigen von euch werden irgendwo im Palast eingesetzt. Eine sehr hohe Ehre für welche von eurem Standpunkt aus. Freut euch das gar nicht?"
"Nicht im geringsten. Was meinen sie, warum wir all die Jahre so unpfleglich gewesen sind? Wir wollten alles nur nicht auf den königlichen Hof!", erklärte nun Andros.
"Das habt ihr ja auch mit Bravour geschafft, allerdings bleibt uns dieses mal keine andere Wahl. Unpfleglich oder nicht, ihr seid die besten des Lagers und das ist das einzige, was für uns von Belang ist. Immerhin seid ihr gewaschen und gepflegt. Bis heute Abend habt ihr eure Sachen gepackt, der König wird dann selber entscheiden, ob er euch mitnimmt oder sich doch noch mal umentscheidet. Allerdings bin ich recht zuversichtlich, dass ihr die letzte Nacht bereits hier geschlafen habt. Geht nun und macht euch reisefertig."
Unschlüssig sahen sie den Meister an, der nur knapp nickte. Anschließend verließen sie das Haus. Gerade draußen angekommen rannte Taja davon. Sie hatte die ganze Zeit nichts gesagt.
"Was hat sie denn?", wollte Yacon wissen.
"Das brauch dich nicht zu interessieren, sieh zu, dass du deine Sachen gepackt bekommst", rief Tiarra und rannte hinter Taja her. Taja hatte sich damals nur ihr anvertraut und niemand außer ihr und der Meister kannten die wahre Vergangenheit von Taja. Die Sache musste wohl alles wieder aufgerissen haben. Hoffentlich machte sie jetzt nicht wieder eine Dummheit. Tiarra hatte sie schon sehr bald gefunden. An dem größten See im Lager saß sie und schaute in die Ferne.
"Hier bist du! Erschreck mich nie wieder so!", schnaufte Tiarra außer Atem.
"Ihr hattet recht, die Schlossbewohner sind alles andere als nett. Glaubst du, wir haben noch eine Chance hier zu bleiben?"
"Ehrlich gesagt glaube ich, dass sie sich schon lange entschieden haben. Dennoch, wir kommen doch alle zusammen zum Schloss. Ich bleib bei dir, wie ich es versprochen habe. Komm lieber, wir sollten sehen, dass wir unsere Sachen gepackt bekommen."
"Ich will nicht mit!", erklärte ihre Freundin stur.
"Glaubst du ich etwa? Aber willst du dich ehrlich gegen den König auflehnen, wir haben keine Wahl."
"Doch haben wir!"
"Du bist immer noch so stur und verbockt, wie an dem Tag, als wir uns kennenlernten. Damals wolltest du auch etwas sehr dummes tun und nun schon wieder? Denk daran, du hast noch eine Aufgabe und wer weiß, vielleicht findest du ihn in der Nähe des Schlosses schneller. Es ist kein Weltuntergang, nur eine Erneuerung. Wir haben schon vieles erlebt und das wird uns auch nicht klein machen. Egal wie arrogant die sind, wir sind und bleiben Freunde. Wir stehen das gemeinsam durch."
"Können wir denn da wirklich zusammen bleiben? Die haben doch gesagt, wir werden aufgeteilt!"
"Ja und, meinst du etwa, wir würden uns dann nicht mehr sehen?"
"Tiarra, ich bin froh, eine Freundin wie dich zu haben."
"Ich auch! Und nun komm endlich!", hetzte ihre Freundin sie wieder.
Beide waren wieder aufgestanden und gingen den Weg zurück, den sie gekommen waren. Langsam und schweigend gingen sie zurück. Doch plötzlich blieb Taja stehen.
"Was ist?", fragte Tiarra sie.
"Wir haben unser Duell noch nicht beendet und wer weiß, wann wir dazu wieder kommen!"
"Du hast recht. Aber erst packen wir die Sachen zusammen!", lachte Tiarra.
Schnell rannten die beiden zu ihrer Hütte und suchten sich die nötigsten und privaten Sachen zusammen. Anschließend hatten sie das Gepäck mit nach draußen genommen und vor die Tür gestellt. Beide hatten sich wieder ihre Lederrüstungen angezogen.
"Dann bringen wir die Sache jetzt zu ende!", erklärte Tiarra entschlossen.
"Tu dir keinen Zwang an, doch denke nicht, ich würde dich so einfach davon kommen lassen."
Beide grinsten und zogen die Schwerter vom Rücken. Schnell raste der erste Angriff auf Taja zu, den sie allerdings wie so oft elegante parierte und zum Gegenschlag ausholte. Ihre Angriffe waren auf beiden Seiten sehr kräftig. Es schien so, als wollten sie sich Luft machen und dem Ärger freien Lauf lassen. Unaufhaltsam klirrten ihre Schwerter aufeinander und Funken stoben in den Himmel hinauf.
"Was ist los, Kleine? Du hast heute so einen kräftigen Schlag drauf. Liegt das an Sir Niclas?", kicherte Tiarra beim kämpfen.
"Diesen... widerlichen... Kerl... sollte... in... Grund... und... Boden... schlagen!" Bei jedem Wort schlug sie ihr Schwert mit aller Kraft auf Tiarras. Heute war sie unwahrscheinlich stark, wo sie doch sonst ihre Schwäche mit ihrer Schnelligkeit wieder wett machte. Aber besser sie machte sowas, als irgendeine Dummheit. Yacon und Andros hatte der Kampflärm angelockt und sie sahen ihnen amüsiert zu.
"Was ist, Yacon, willst du sie nicht wieder unterbrechen?", schmunzelte Andros.
"Nein, ich glaube, die würden mich heut wirklich zu Kleinholz verarbeiten. Außerdem. Wann ergibt sich noch mal die Möglichkeit ihnen zuzusehen?"
Beide setzten sich auf einen Felsen und sahen ihnen aus sicherer Entfernung zu. Wieder krachte Tajas Schwert auf das ihrer Freundin.
"Gib endlich auf! Heute kannst du mich nicht schlagen!"
"Ach und warum, nur weil du heute zornig und in bester Form bist? Vergiss es! Es ist richtig aufregend heute, sich mit dir zu messen."
Der Meister und Sir Niclas waren hinter Yacon und Andros getreten, ohne dass sie es bemerkt hatten. Erst als sich der Meister räusperte drehten sie sich um.
"Oh Meister. Was ist los?", fragte Andros.
"Habt ihr eure Sachen schon gepackt?", fragte stattdessen Sir Niclas.
"Sind gepackt und stehen bereit an unseren Hütten", erklärte er weiter, wobei sich sein Blick immer wieder zurück drängte.
"Wo sind die Mädchen?", wollte nun der Meister wissen.
Ruckartig drehten Andros und Yacon den Kopf wieder in dessen Richtung und deuteten mit dem Finger nach unten auf sie. Neugierig reckte Sir Niclas die Nase über die Schultern der beiden Herren, die nicht einsahen, ihm Platz zu machen. Seine Augen weiteten sich, als er sah, mit welcher Kraft die beiden da aufeinander einschlugen.
"Was tun sie da?", wollte er wissen.
"Nach was sieht es denn aus? Sie duellieren sich. Frust ablassen. Kennt man bei euch am Hofe so etwas nicht?", grinste Yacon hämisch.
"Natürlich kennen wir so etwas auch, aber nicht mit so einer Brutalität. Die könnten sich gegenseitig umbringen!", staunte er weiter.
"Das ist noch nicht brutal. Dann müssen Sie mal dazwischen gehen und sie aufhalten wollen. Erst dann werden sie wirklich brutal. Vor ihrer Doppelattacke sollten Sie sich in acht nehmen", meinte nun Andros.
"Wie lange geht so ein Duell?"
"Das weiß niemand. Aber sie scheinen heute in Topform zu sein. Wenn Sie Glück haben, dann bis der König hier ist. Es wird nicht aufgehört, bis einer verloren hat oder beide erschöpft zusammenbrechen. Dann wird erst einmal gebadet und dann sind sie wieder ansprechbar", sprach nun der Meister, der wehmütig zu ihnen hinüber sah.
"Das ist wirklich Ihr Ernst?", hakte Sir Niclas nach.
"Sicher, warum sollte ich sie belügen wollen? Jede von ihnen ist unberechenbar. Im Doppelkampf hat sie bisher noch niemand geschlagen. Es hat mich immer interessiert, wenn sie kämpften. Jeder Kampf ist so spannend, dass man wissen will, wie er endet", erklärte der Meister weiter.
"Das kann ich verstehen. Haben sie keine Angst, dass sie sich gegenseitig umbringen?"
"Nein. In jedem Kampf gibt es natürlich Verletzungen, aber die beiden sind anders. Sie wollen ihre Stärke messen und nicht den anderen verwunden. Daher ist es ausgeschlossen, dass die beiden sich was tun. Sie sind fast wie Eineiige Zwillinge. Vor ein paar Jahren lernten sie sich kennen und sind nun untrennbar geworden, so eine Freundschaft habe ich selten gesehen. Wenn sie jetzt fortgehen, werde ich so was wohl nie wieder sehen", seufzte der Meister.
"Es tut mir leid, ihnen ihr Herzblut zu nehmen, aber der König wird nicht ohne Grund diese hier gefordert haben. Entschlossen für eine Sache zu kämpfen."
"Nur ob sie genauso gewissenhaft für seine Majestät kämpfen werden, glaub ich nicht. Hier werden sie zu nichts gezwungen und kämpfen aus freien Stücken. Es liegt ihnen nichts an der Prinzessin und demnach glaube ich nicht daran, dass sie sich dort so wacker schlagen werden."
"Das bleibt abzuwarten. Man wird ihnen den nötigsten Respekt schon beibringen, sollten sie sich sträuben. Nicht wahr, Jungs?"
Sir Niclas schlug ihnen vergnügt auf die Schultern.
"Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch wieder heraus", entgegnete Andros ungerührt.
"Das soll ein Wort sein! Seht zu, dass die beiden bis Sonnenuntergang fertig und abmarschbereit am Tor sind. Bis dahin lass ich euch ein letztes mal alleine", grinste Sir Niclas und ging.
"Was war das denn für ein Abgang?", runzelte Yacon die Stirn.
"Ich habe ihm etwas über euch und eure Vergangenheit erzählt. Er war tief beeindruckt und wollte mehr wissen. So schlimm ist er gar nicht. Der erste Eindruckt ist nicht immer der richtige. Die ersten Tage werden wahrscheinlich schwer für euch sein, doch ich bin überzeugt, dass jeder von euch den geeigneten Platz bekommt."
"Sagen Sie eins, Meister. Werden sie uns vermissen, wenn wir weg sind?", fragte Andros.
"Ohne euch ist nichts mehr, wie es einmal war. Ihr ward der Mittelpunkt in diesem Lager. Natürlich werde ich euch alle vier vermissen. Eure trotzigen Antworten, eure Streitereien, eure Zerstörungswut, eure Konkurrenzkämpfe untereinander, eure Duelle, eure Strafarbeiten und eure Späße. Tut mir nur einen Gefallen da draußen. Passt weiterhin aufeinander auf", bat der Meister.
"Klar machen wir. Wir sind und bleiben eine Familie. Vielleicht können wir sie ja mal besuchen kommen. Kann ja sein, dass sie dann vier neue Rabauken haben, über die Sie sich aufregen können", meinte Andros.
"Das glaub ich kaum. Vier wie euch gibt es nirgendwo mehr. Ich wünsche euch auf alle Fälle alles Gute und hoffe, ihr könnt mein vermitteltes Können gebrauchen und setzt es weise ein!"
"Das werden wir, Meister!", erklärte Andros.
Auch Yacon nickte.
"Dann bis heute Abend und seid dieses eine mal bitte pünktlich."
Der Meister wandte sich um und ging seines Weges.
"War das jetzt ein Abschied?", wollte Yacon wissen.
"Ich glaube schon. Anscheinend fällt es ihm auch nicht leicht uns ziehen zu lassen."
Der Kampf bei den Mädchen dauerte an. Sie merkten nicht, wie schnell der Tag verging und dass die Sonne schon langsam unterging. Erschöpft ließen sich die beiden in den Sand fallen.
"Das war ein klares Unentschieden!", meinte Tiarra müde.
"Ja, das war es wert! Auch wenn keiner gewonnen hat."
"Na endlich fertig ihr zwei? Darf man nun dazwischen gehen?", fragte Yacon.
"Darf man! So gut gekämpft habe ich schon lange nicht mehr", gähnte Tiarra.
"Man hat es gesehen. Sogar dieser Sir Niclas war beeindruckt!", erzählte Andros.
"Wenn dir was an deinem Leben liegt, dann erwähne nie wieder den Namen in meiner Nähe!", drohte Taja ihm. Sie grinste leicht.
"Versprochen!"
"Ich will euch ja jetzt nicht hetzen, doch ihr sollet sehen, dass ihr euch gewaschen bekommt und dann schleunigst zum Tor!", meinte Yacon.
"Wir wissen es! Lass uns erst mal wieder Luft bekommen, das war kein Showkampf!", lachte Tiarra.
Langsam standen die Mädchen dann doch auf und torkelten in Richtung Hütte.
"Na, hoffentlich ertrinken sie nicht im Wasser", schmunzelte Andros.
Beide Jungs grinsten sich an und gingen in Richtung Tor. Zuvor holten sie sich aber ihr Gepäck. Die Mädchen hingegen lagen müde im See und dösten etwas vor sich hin. Dennoch wuschen sie sich dabei. Nach Ewigkeiten, wie es ihnen vorkam, waren sie fertig gewaschen und angezogen. Sie traten aus der Hütte heraus und sahen, dass es nun Sonnenuntergang war.
"Das war wohl das letzte mal, dass wir hier gebadet haben", seufzte Taja.
"Vorerst das letzte mal!", korrigierte ihre Freundin.
"Von mir aus. Wir sollten sehen, dass wir zum Tor kommen!"
Schnell packten sie sich ihr Gepäck und liefen in Richtung Tor. Es war alles schon versammelt. Der Meister, Sir Niclas, Andros, Yacon und das gesamte Lager, um die Ankunft des Königs mitzubekommen. Dieser war allerdings noch nicht da.
"Da seid ihr ja endlich!", knurrte Yacon gespielt.
"Treib es  ja nicht zu weit. Ich bin zwar müde, aber dir verpass ich dann immer noch eine", erklärte Tiarra zu allem bereit.
"Ich weiß nicht, was ich sagen soll! Zum ersten mal sind alle vier pünktlich und dann geht ihr fort", schmunzelte der Meister.
"Wir kommen wieder. Großes Ehrenwort!", lachte Tiarra.
"Sicher?"
"Klar, wir schwören bei unserm Meister!", neckte Taja nun.
"Tja, Sir Niclas, da seht ihr, da kommt etliches auf  Euch zu!"
"Es macht den Anschein. Doch bisher bin ich mit jedem fertig geworden."
"Vielleicht mit jedem, aber nicht mit jeder. Davon werde ich Sie überzeugen!", erklärte Tiarra entschlossen.
"Wir werden sehen. Ich bin mir sicher, dass nicht einmal ein Mädchen wie du mich ins Schleudern geraten lässt."
"Nicht ins Schleudern, sondern ins regelrechte Rotieren. Seht Euch vor!"
"Genug gedroht, seht, der König kommt!", sprach plötzlich der Meister.
Wirklich traf gerade die Kutsche des Königs ein. Ihm folgten einige Ritter auf Pferden. Der Meister und Sir Niclas traten vor, während die anderen vier sich in eine Reihe aufstellten. Wenige Augenblicke später stieg der König aus der Kutsche. Der Meister und Sir Niclas verneigten sich kurz, wogegen die anderen immer noch ihre Köpfe gesenkt hielten.
"Seid willkommen, eure Majestät!", sprach der Meister.
"Es freut mich sehr Euch wiederzusehen. Sind das eure kleinen Zöglinge?", fragte der König ohne Umschweife.
"Ja."
"Recht jung will ich meinen. Dennoch die besten des Lagers?"
Der König sah zu Sir Niclas, der bestätigend nickte.
"Ja, Mylord."
"Seht mich an!", forderte der König nun.
Alle hoben den Kopf und sahen ihm direkt in die Augen.
"Jung und unerschrocken, wie ich sehe. Wie habt Ihr es geschafft, gleich vier gute Kämpfer auszubilden?"
"Es war nicht allein mein Verdienst. Die vier sind befreundet und kämpfen gern gegeneinander und haben so ihr Können immer wieder verbessert", erzählte der Meister.
"Das kann ich bezeugen. Kurz nachdem ich eintraf entbrannte ein Kampf zwischen den Mädchen, der einem den Atem nehmen kann", stimmte Sir Niclas zu.
Der König wandte sich den Mädchen zu.
"Ist das so? Ich kenne kaum Frauen, die gut kämpfen können, nur ein einzige, um genau zu sein. Diese Frau dient auch in meinem Schloss. Einer von euch wird sie bald zur Partnerin haben. Da auch sie eine Leibwache meiner Tochter ist. Allerdings kann ich mir nur schlecht vorstellen, dass eine von euch beiden es mit ihr aufnehmen kann."
"Zeigt mir einfach wer sie ist und ich erledige sie!", sprach Tiarra.
Der Meister sog sie Luft ein. Nicht einmal vor dem König hielt sie den Mund. Verwundert sah dieser nun Tiarra eingehend an.
"Tatsächlich? Das glaube ich kaum. Denn sie ist eine erwachsene, erfahrene Kämpferin und kein Mädchen mehr, wie du!"
"Das Alter spielt keine Rolle, ich habe auch viel Erfahrung!", entgegnete Tiarra weiter.
Stille. Der Meister schloss mit der Welt ab, während der König mit großwerdenden Augen Tiarra anblickte. Sein Gesicht war undefinierbar. Fast ängstlich sah der Meister zwischen ihm und Tiarra hin und her. Sir Niclas drehte nervös den Fuß im Sand und sah erwartungsvoll aus. Auch Yacon, Andros und Taja sahen ihre Freundin etwas geschockt an. Die anderen umherstehenden hielten entsetzt die Luft an. Es lag eine ungeheure Spannung in der Luft. Plötzlich glitzerte etwas in den Augen seiner Majestät auf. Nun war es am Meister und Sir Niclas die Luft anzuhalten.
"Meinst du das ernst?", fragte der König.
Beschwörend sah der Meister Tiarra an. Er hoffe inständig, dass sie dieses mal die Klappe hielt. Kein Wunder, dass sein Herz fast stehen blieb, als sie einen Schritt nach vorne trat und wiederholte:
"Ja, ich glaube, dass sie keine Chance gegen mich hat!"
Wieder sahen sich der König und Tiarra lange in die Augen. Plötzlich holte der König aus und schlug ihr Freundschaftlich auf den Rücken. Allerdings hatte dieser Klapps so viel Schwung, dass sie vornüber kippte.
"Du gefällst mir, Mädchen!", lachte der König erheitert.
Der Meister, der blau angelaufen war, da er die ganze Zeit die Luft angehalten hatte, atmete erleichtert aus. Dieses Mädchen hatte echt mehr Glück, als Verstand. Auch alle anderen atmeten erleichtert aus. Tiarra arbeitete sich gerade wieder hoch und hielt sich den misshandelten Rücken.
"Freut mich!", sprach sie sarkastisch.
Was hatte dieser Kerl für einen Schlag drauf? Ja, gerade alt war er nicht, aber auch nicht mehr der neuste. Seine hellen Locken waren an manchen Stellen schon mit grauen Haaren vermischt. Es waren nicht viele, aber doch schon sichtbar. Sein Gesicht wirkte auch noch nicht eingefallen. Vielleicht war es doch nicht so schlecht aufs Schloss zu kommen. Der Kerl hatte wenigstens Humor.
"Mit ihr werde ich noch viel Spaß haben, nicht wahr, Meister?"
"Nicht nur Spaß, sonder auch viel Ärger!", fügte der Meister hinzu.
"Wenn sie nur halb so gut kämpft, wie sie ungezogen ist, dann werde ich wohl in nächster Zeit nicht mehr vorbei kommen müssen und Ihr habt die Zeit, neue Kämpfer auszubilden", meinte der König noch immer amüsiert.
"Das freut mich, Majestät. Nun, dann ist es wohl an der Zeit Abschied zu nehmen. Ihr vier werdet mir wirklich sehr fehlen, aber es ist wohl der Wille des Schicksals, dass man irgendwann auseinander gehen muss. Dennoch würde ich mich freuen, wenn ich euch noch einmal wiedersehe. Jeder wird seinen Platz im Leben finden, ob er nun  am Hofe ist, oder woanders. Irgendwann bekommt jeder das, was ihm zusteht. Yacon und Andros, ihr seid zu mir gekommen, um Kämpfer zu werden, das seid ihr nun, nun tut das, was ihr gedenkt damit tun zu müssen. Taja, du hast viel verloren und nur einen kleinen Teil davon wiederbekommen, aber ich bin mir sicher, dass auch du findest, was du dir sehnlichst wünschst."
Der Meister war zu jedem hingetreten und hatte ihnen die Hand gereicht, Taja allerdings nahm er noch kurz in den Arm, ehe er sich Tiarra zuwandt. 
"Und du kleiner Wildfang wirst wohl immer das letzte Wort haben. Ich hoffe, du bleibst so, wie du bist und wirst nie im Leben verbittert!"
Auch sie nahm er in den Arm und hielt sie eine Weile. Erst als sich Sir Nicolas räusperte, ließ er sie los.
"Es ist Zeit zu gehen", meinte Sir Niclas dann.
"Macht es gut, ihr vier!"
"Machen Sie es besser!", entgegnete Tiarra.
"Ich bemüh mich. Und wehe ihr lasst euch nicht mehr hier blicken!", grinste der Meister.
"Wir werden bestimmt wiederkehren", versprach Taja leise.
"Das hoffe ich sehr!"
"Nun denn kommt. Ich will so schnell es geht wieder im Schloss, bei meiner Familie sein", sprach nun der König.
"Hier sind Pferde für euch", erklärte Sir Niclas.
"Pferde?", schauderte Yacon.
"Was ist, kannst du nicht reiten?", wollte Sir Niclas wissen.
"Doch, das kann er, doch er und die Pferde verstehen sich nicht so gut", kicherte Tiarra.
Sie wusste genau, dass Yacon die Pferde scheute. Er war schon oft genug aus dem Sattel gefallen, weil er sich nicht richtig festgehalten hatte. Er konnte sich einfach keinem Pferd anvertrauen. Allerdings wollte er das nie zugeben. Vorsichtig stieg er auf das Pferd und hoffte inständig, dass es ihn nicht wieder herunter schmiss. Doch es war ein guterzogenes Pferd und duldete jeden Reiter auf seinem Rücken. Ihr Gepäck hatten sie auf einen Karren geladen, welcher schon voraus fuhr. Auch der König verabschiedete sich nun vom Meister.
"Wir werden uns ja bestimmt wiedersehen, aber bis dahin alles Gute!", sprach dieser.
"Ja, das glaube ich auch. Bis dahin allerdings werdet ihr wohl mit denen Vorlieb nehmen müssen und ich will die in einem Stück wiedersehen", erklärte der Meister bestimmend.
"Wenn sie so gut sind, wie Ihr sagt, dann steht diesem nichts im Wege. Also bis dann!"
Beide gaben sich noch die Hände, ehe sich der König umwandte und in seine Kutsche stieg. Auch er fuhr davon.
"Dann sind wir jetzt an der Reihe. Kommt, folgen wir unserem König!", erklärte Andros.
"Aufwiedersehen, ihr vier."
"Wiedersehen!", riefen alle vier gemeinsam und ritten nun dem König nach.
Sie hatten ihrem Meister noch lange gewunken, bis er nicht mehr zu sehen war. Auch er hatte lange dagestanden und ihnen gewunken. Sein Herz war schwer und traurig. Lange nachdem sie wegwaren, hatte er sich umgewandt und war in sein Haus zurückgekehrt.
 
© Angel Taja
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Und schon geht's weiter zum 3. (und letzten) Teil des 1. Kapitels...

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