Im flachen Wasser des Weststroms badete zur
Morgenstunde ein einsames Raptorweibchen. Velociraptoren waren sehr auf
ihre Körperhygiene bedacht. Mangelnde Sauberkeit löste bei den
meisten Raptoren ein sehr unbehagliches Gefühl aus. Natürlich
gab es aber, wie auch überall, Raptoren, die nicht viel von Körperpflege
hielten. Besonders junge Männchen wälzten sich bei ihren spielerischen
Kämpfen gerne im Dreck herum und scherten sich nicht um ihr Aussehen,
was bei den weiblichen Raptoren alles andere als gut ankam. Weibchen mochten
generell keine schmutzigen Männchen und wendeten sich stets angewidert
ab, sobald auch nur einer dieser "Schmuddel-Raptoren" es wagte in ihre
Nähe zu kommen.
Windfeger achtete wie alle Weibchen auch sehr
auf Sauberkeit, doch das war nicht immer so. Sturmblut und Windfeger hatten
als Kinder viel zusammen rumgetobt. Als sie einmal vor vielen Jahren im
Sumpf umher tollten, waren sie später so sehr mit Schlamm besudelt,
daß Starke Klaue die beiden fast nicht wiedererkannt hatte. Was darauf
folgte, war ein Donnerwetter, das Sturmblut und Windfeger bis zum heutigen
Tage nicht vergessen hatten.
Windfeger und Sturmblut gingen stets durch
dick und dünn. Sie waren glückliche Geschwister und es bereitete
Starke Klaue große Freude, sie aufwachsen zu sehen, als wären
sie seine eigenen Kinder. Doch all das gehörte nun der Vergangenheit
an. Windfeger hatte sich in den ganzen Jahren zu einem überaus hübschen
jungen Weibchen entwickelt. Sie stand nun vor einer ungewohnten Situation
so völlig alleine auf sich selbst angewiesen zu sein. So weit unten
im Tal lebten keine grauen Velociraptoren, die sie auf der Jagd hätten
begleiten können. Windfeger war zwar sehr schnellfüßig,
doch mußte sie als Velociraptor erkennen, daß es bei der Jagd
ohne Teamarbeit alles andere als einfach war. Sie mußte sich auch
jeder Gefahr bewußt sein, die hier auf sie lauern konnte. Eine kleine
Unachtsamkeit konnte den Tod bedeuten.
Und so bemerkte sie auch nicht, daß
sie aus einiger Entfernung von jemanden beobachtet wurde. Eine riesenhafte
Gestalt lauerte auf sie. Die Kreatur grinste in sich hinein, dieses unerfahrene
Raptorweibchen würde eine leichte Beute abgeben. Vorsichtig schlich
sie sich aus ihrem Versteck und bewegte sich auf Windfeger zu. Der Wind
stand sehr günstig und die Kreatur vermied es geschickt stampfende
Geräusche zu hinterlassen.
Windfeger nahm davon nichts zur Notiz, doch
als sie merkte, daß sich urplötzlich ein Schatten über
sie legte, drehte sie sich um und blickte entsetzt in das riesige Maul
eines Tyrannosaurus Rex. Es ging so schnell, daß ihr noch nicht einmal
mehr die Möglichkeit blieb aufzuschreien, als sie von den gewaltigen
Kiefern des Räubers gepackt wurde und sich die messerscharfen Zähne
in ihr Fleisch rammten...
"NEIN!! WINDFEGER!!! NEIN!!!!!"
"Sturmblut!" sprach Starke Klaue.
"NEIN!!!!!!" Sturmblut wälzte sich
hin und her, als Starke Klaue versuchte ihn wach zu schütteln.
"Sturmblut wach auf!!!"
Sturmblut zitterte am ganzen Leib und schlug
langsam die Augen auf und wunderte sich, als er in das Gesicht von Starke
Klaue blickte.
"Was...? Starke Klaue?!" japste er ausser
Atem. "Windfeger, sie ist..."
"Es ist alles in Ordnung." sagte Starke Klaue
mit ruhiger Stimme. "Du hattest schon wieder Alpträume."
Langsam kam Sturmblut wieder zur Besinnung
und stand auf, noch immer schwer atmend. "In Ordnung?! Was soll bitte schön
in Ordnung sein? Gar nichts ist in Ordnung!"
Starke Klaue blickte zu Boden und nickte.
"Ich muß mal eben an die frische Luft!"
sagte Sturmblut und trat mit wackeligen Schritten aus der Höhle.
Starke Klaue seufzte und folgte seinem Bruder
schweigend.
Sturmblut hockte sich auf seinen Aussichtsfelsen
und starrte ins dunkle Tal hinunter.
"Jetzt habe ich durch meine Schuld schon die
zweite Person, die mir nahe stand, in die Verdammnis geschickt. Wie konnte
es zwischen Windfeger und mir nur so weit kommen?" sagte Sturmblut, als
sich Starke Klaue näherte.
"Die zweite Person?!" fragte Starke Klaue
überrascht, doch dann dämmerte es ihm. "Doch nicht Nebelschweif!
Du denkst nach all den Jahren immer noch, daß du sie in den Tod getrieben
hast? Sturmblut, ich habe dir doch schon so oft gesagt, daß du keine
Schuld an ihrem Tod trägst. Sie wurde von einem Spitzzahn getötet."
"Aber ich hätte es verhindern können!"
sagte Sturmblut und legte den Kopf auf seine Arme. "Wir wollten damals
ursprünglich gemeinsam auf die Jagd gehen, doch ich hatte es an dem
Tag mit zwei heftigen Rivalen zu tun, die auf mich losgegangen sind. Nachdem
ich den Kampf beendet hatte, war ich von oben bis unten mit blutigen Striemen
übersät. Ich hatte einfach keinen Nerv mehr anschließend
noch jagen zu gehen und ihr gesagt, daß sie mit der Jagdgruppe ohne
mich losziehen soll, obwohl sie eigentlich gar nicht wollte. Sie wollte
bei mir bleiben, doch ich hatte darauf bestanden, daß sie mit auf
die Jagd geht. Hätte ich sie nur nicht weggeschickt, dann wäre
sie heute noch am Leben."
"Nebelschweif´s Tod war ein Schock und
ein schmerzlicher Verlust für alle, die sie kannten." sagte Starke
Klaue. "Aber du kannst dich doch nicht für ihren Tod verantwortlich
machen, nur weil du sie auf die Jagd geschickt hast. Niemand hätte
das voraussehen können. Aber wieso kommst du so plötzlich wieder
auf Nebelschweif? Das ist doch schon so lange her."
"Weil ich mittlerweile davon träume,
daß Windfeger auf die selbe Weise stirbt, wie Nebelschweif. Das hat
eben die alten Wunden wieder aufgerissen." sagte Sturmblut. "Ich hoffe
nur, daß Schlitzer mit einer positiven Nachricht nach Hause kommt.
Ich würde es mir nie vergeben, wenn ich auch noch Windfeger verliere."
"Und das alles nur wegen einem lächerlichen
Stück Fleisch." sagte Starke Klaue zu sich selbst.
"Was suchen wir denn hier mitten in der Nacht?"
fragte der junge Tyrannosaurus verschlafen. "Wir dürfen nicht so weit
vom Nest weg! Wenn Mutter herausfindet, daß wir uns aus dem Nest
geschlichen haben, gibt es gewaltigen Ärger!"
"Sie wird es schon nicht merken, Talon!" antwortete
seine Schwester. "Ich muß dir unbedingt etwas zeigen!"
"Und was willst du mir zeigen? Das kann doch
nicht so wichtig sein!" gähnte Talon und war leicht genervt. "Gehen
wir lieber nach Hause, ehe die Nesträuber auftauchen."
"Gleich! Du mußt es einfach sehen!"
"Du bist unmöglich, Khara!" knurrte Talon.
"Wenn wir Ärger bekommen, werde ich Mutter erzählen, daß
du mich hierzu verleitet hast!"
"Ah! Jetzt stell dich doch nicht wie ein Muttersöhnchen
an! Sei doch auch wenigstens einmal unvernünftig und nicht immer so
ein Langweiler." sagte sie. "Vater hätte mich schon verstanden. Als
er noch klein war ist er bestimmt auch schon ein Abenteurer gewesen."
"Das glaubst aber auch nur du! Vater hätte
uns nie erlaubt, nachts aus dem Nest zu kriechen!" knurrte Talon. "Also,
jetzt laß uns endlich nach Hause gehen, bevor wir noch von Mutter
Nestarrest bekommen!"
Doch Khara hörte nicht und näherte
sich dem Pfad, der zum Vulkangebirge führte.
"Khara! Bist du verrückt? Da geht es
zum Vulkangebirge! Das ist verboten!" schluckte Talon, als sie den Hang
hinauf liefen. "Diese Gegend muß verflucht sein. Mutter sagt, daß
aus dem Vulkangebirge noch nie ein Dinosaurier wieder aufgetaucht ist."
"Ach was! Wir gehen ja nicht weit und außerdem
bin schon einmal hier gewesen."
"WAS!?" Talon konnte es nicht glauben. "Du
gehst nachts alleine ins Vulkangebirge?! Du spinnst ja!"
"Weist du, als du mit mir Blattfresser in
unserem kleinen Wäldchen gespielt hast, hatte ich zunächst panische
Angst. Doch irgendwie fand ich das ganze auch sehr aufregend." sagte Khara.
"Hast du dich denn noch nie gefragt, wie es im Vulkangebirge wohl aussieht?
Ich wollte wissen, warum wir hier nicht hinauf dürfen und bin letzte
Nacht aus dem Nest geschlichen, um mich hier ein wenig umzusehen. Natürlich
nicht lange."
"Und?!" fragte Talon, in dessen Ton sich seine
Neugier nicht verbergen konnte.
"Hier gibt es nur Felsen und Steine." antwortete
sie. "Ich habe mich aber nicht getraut bis nach ganz oben zu gehen. Doch
ich habe hier ein Plätzchen gefunden, das ich dir unbedingt einmal
zeigen wollte!"
Die beiden T-Rex Jungen erreichten sehr bald
eine kleine Anhöhe, von der man aus den Weststrom wunderbar sehen
konnte. Allerdings war das nichts im Vergleich zu Sturmblut´s Aussichtsfelsen,
doch für Talon und Khara reichte diese Aussicht allemal.
"Na, habe ich dir zuviel versprochen?" fragte
Khara.
"WOW!!! Cool!"
"Schön, nicht war?" sagte sie.
"Hey, ich kann unseren Badeplatz sehen!"
"Ich wette, daß man von ganz oben aus
unser gesamtes Tal überblicken kann." sagte sie.
Sie saßen dort noch für eine ganze
Weile und genossen die Aussicht. Doch da vernahmen sie plötzlich eine
leichte Erschütterung. Direkt danach noch eine zweite.
"Was ist das auf einmal? Ein Erdbeben?" fragte
Khara.
Die Erschütterungen kamen immer nur in
kurzen Abständen. Fast konnte man den Eindruck haben, es handelte
sich um Schritte... und sie näherten sich.
"Ich weiß nicht!" sagte Talon und bekam
es langsam mit der Angst zu tun. "Laß uns jetzt bitte gehen!"
"Ja, besser ist es!" stimmte Khara zu und
stand auf, doch da erstarrte sie plötzlich, als sich eine riesige
Gestalt nicht weit von ihnen bewegte.
"Sieh doch!" flüsterte sie erschrocken.
"Was ist denn das?"
Sie erkannten schließlich, daß
es ein riesiger Dinosaurier war. Er war gigantisch. So etwas hatten die
beiden T-Rex- Jungen noch nie gesehen. Ein riesiger stacheliger Kamm zierte
den Rücken des gigantischen Fleischfressers und sein flaches langes
Maul hatte Reihen großer gebogener Zähne, die er in ein Iguanodon
Kadaver schlug. Es war ein Spinosaurus.
"Ist der groß... und hässlich!"
flüsterte Khara.
Talon beobachtete ihn von oben bis unten und
bemerkte, daß an dessen Rückenkamm in der Mitte etwas fehlte,
als hätte ihm jemand ein großes Stück aus dem Segel gebissen.
Schritte wie ein Erdbeben...?! Stachelige
Rückenfinne...?! raste es Talon durch den Kopf und erinnerte sich
an die Geschichten seiner Mutter.
"T...T... Terrorclaw!" stammelte er schließlich
und stand da, wie gelähmt.
"Ich will hier weg!!!" zischte Khara und riß
Talon aus seiner Starre.
In Panik rannten die beiden T-Rex- Geschwister
nach Hause, so schnell wie ihre kleinen Beine sie trugen. Ständig
blickten sie hinter sich, mit der Angst im Rücken, Terrorclaw könnte
ihnen folgen. Doch dann nach einer kleinen Unachtsamkeit rannten sie plötzlich
gegen einen dicken Baumstamm.
"Hey..." sagte Khara und richtete sich auf.
"Wo kommt denn dieser blöde Baum plötzlich her? Der stand doch
gerade eben noch nicht da."
"Keine Ahnung!" antwortete Talon und stupste
den Baumstamm vorsichtig mit seiner Schnauze. "Seltsam! Er fühlt sich
auch ganz weich und warm an."
Über ihren Köpfen ertönte nun
ein tiefes Knurren.
Entsetzt blickten beide nach oben.
"Hattet ihr zwei einen netten Ausflug?"
"MUTTER!!!" riefen beide gleichzeitig.
"Jetzt aber schnellstens nach Hause mit euch!"
schimpfte sie. "Ihr habt Nestarrest! Alle beide!"
"Ja, Mutter..." antworteten beide im Duett.
Als sie zum Nest zurückkehrten, hielt
Mutter T-Rex kurz inne und blickte zum sternenklaren Nachthimmel.
"Typisch, Tyrus! Ganz DEINE Kinder!" seufzte
sie.
Sturmblut verbrachte die ganze Nacht auf seinem
Felsen. An Schlaf war für ihn nicht mehr zu denken. Zwischenzeitlich
waren die sonderbaren Erschütterungen auch ihm nicht entgangen, doch
daran störte er sich nicht. Es war nichts ungewöhnliches, daß
es im Vulkangebirge ab und an etwas rumpelt.
Gegen Morgengrauen erkannte Sturmblut die
Umrisse dreier Raptoren, die sich der Höhle näherten.
"Die Suchtruppe!" Sturmblut sprang sofort
auf und stürmte ihnen entgegen. Doch er mußte zu seiner großen
Enttäuschung feststellen, daß sie ohne Windfeger zurückkehrten.
"Schlitzer! Habt ihr sie gefunden?"
"Was soll ich jetzt nur machen?" dachte Schlitzer,
als er schließlich vor Sturmblut stand. Es gefiel ihm ganz und gar
nicht, seinen Freund und Alpha anlügen zu müssen. "Soll ich es
ihm sagen? Aber ich kann meine Partnerin und mein Kind nicht in Gefahr
bringen!" doch dann sprach er, ohne Sturmblut in die Augen zu blicken:
"T... tut mir leid, Sturmblut, aber wir konnten sie nirgendwo finden. Wir
haben sie überall gesucht und mußten dabei selber aufpassen,
nicht getötet zu werden. Ich fürchte... ich fürchte, wir
haben sie verloren." Es zerriß Schlitzer, Sturmblut diese Worte zu
sagen.
"NEIN! DAS KANN ICH NICHT GLAUBEN!!!" brüllte
Sturmblut verzweifelt und stürzte in die Höhle.
"Kluge Entscheidung! Für einen Augenblick
glaubte ich, du würdest quatschen!" zischte Narbengesicht. "Mach bloß
keine Dummheiten! Wir behalten dich im Auge!"
"SCHEISSE!!" fluchte Schlitzer innerlich.
"Bei meiner Ehre als Jäger! Ich muß es Sturmblut sagen! Aber
was kann ich nur tun, um meine Familie zu schützen? Vor allem, wer
steckt noch alles hinter der Verschwörung? Wen kann man hier im Clan
überhaupt noch trauen?" Er blickte zur Höhle und sah eine Gruppe
jüngere Raptoren. "Sind es vielleicht einige der Jungspunde, oder
gibt es vielleicht sogar einen fremden Clan, der eine feindliche Übernahme
plant?"
Sturmblut war ausser sich und brüllte
jeden an, der sich in der Höhle aufhielt. "NIEMALS! NICHT WINDFEGER!!"
Entsetzt über Sturmbluts Ausbruch wichen
einige Clanmitglieder zurück. Es wäre sehr unklug gewesen, wenn
sich jetzt jemand in Sturmbluts Weg gestellt hätte. Er hätte
ihn in der Luft zerrissen.
"Sturmblut, was ist los?" fragte Starke Klaue
besorgt, als sich Sturmblut langsam beruhigte. Er war der Einzige, der
es wagen konnte, Sturmblut in einer solchen Verfassung anzusprechen.
"Der Suchtrupp ist zurück!" zischte Sturmblut.
"Sie sagten... wir hätten sie verloren."
"Ist es... sicher, daß sie..." sagte
Starke Klaue geschockt.
"Sie haben die Suche abgebrochen! Aber ich
gebe sie noch nicht auf! Zwischen uns beiden besteht eine starke Bindung.
Ich würde es fühlen, wenn ihr etwas zugestoßen wäre!
Sie kann nicht tot sein!" knurrte Sturmblut und schritt zum Höhlenausgang.
"Wo willst du hin? Was hast du denn jetzt
vor?" fragte Starke Klaue.
"Ich werde sie selber suchen gehen!"
"Und der Clan?" rief Starke Klaue hinterher.
"Ich war bisher immer nur für den Clan
da. Ich habe den Clan über alles andere gestellt." grollte er. "Aber
jetzt will ich für meine Familie da sein!"
"Warte, Sturmblut!" rief Starke Klaue, als
Sturmblut die Höhle verlassen wollte.
"Gib dir keine Mühe! Du wirst mich nicht
davon abhalten..." sagte Sturmblut, doch zu seiner Verwunderung sah er
ein leichtes Lächeln auf Starke Klaue´s Lippen.
"Das denkst du doch wohl nicht wirklich von
mir?!" Er trat zu Sturmblut und legte ihm seine Hand auf die Schulter.
"Ich werde mitkommen! Gemeinsam werden wir sie finden. Davon bin ich überzeugt!"
"Danke, Bruder!" sagte Sturmblut. "Das baut
mich doch wieder ein wenig auf!"
Schlitzer war in tiefen Gedanken, als Sturmblut
und Starke Klaue auf ihn zu kamen.
"Schlitzer!"
Erschrocken fuhr der Raptor herum, als ihn
Sturmblut ansprach.
"Was?! Oh, du bist es nur!" antwortete er
nervös und grüßte Sturmblut´s Bruder. "Hallo, Starke
Klaue!"
Starke Klaue nickte zur Begrüßung
zurück.
"Wer sollte es denn sonst sein?" sprach Sturmblut
verwundert. "Tut mir leid wegen meinem Ausraster von vorhin. Ich wollte
dich fragen, ob du mir einen Gefallen tun kannst."
"Einen Gefallen?"
"Ja. Starke Klaue und ich werden jetzt selber
nach Windfeger suchen." antwortete Sturmblut. "Könntest du und Schleicher
hier solange nach dem rechten sehen?"
"Du verläßt uns?" fragte Schlitzer.
"Ich glaube nicht daran, daß wir Windfeger
verloren haben." antwortete Sturmblut. "Ich werde sie suchen, bis ich sie
gefunden habe und selbst wenn es Monate dauert!"
"Ausgerechnet!" dachte Schlitzer. "Wenn Sturmblut
nicht da ist, wird es für die Verräter ein Leichtes sein den
Clan zu übernehmen!"
Sturmblut bemerkte Schlitzers Nervosität.
Er konnte seine Angst riechen.
"Schlitzer, du hast doch irgend etwas!"
"Blödsinn! Was sollte ich denn haben?"
"Bist du sicher?" fragte er besorgt.
"Alles ist wie immer!"
Sturmblut wußte, daß dies eine
Lüge war und sprach: "Schlitzer, ich kenne dich. Du machst mir etwas
vor. Wenn dich irgend etwas bedrückt, dann sage es mir bitte."
"Tut mir leid, ich kann nicht!" sagte Schlitzer.
"Wie du meinst. Du solltest aber wissen, daß
sich kein Problem löst, wenn man es verschweigt." Sturmblut war bestürzt,
daß Schlitzer ihm etwas verheimlichte.
"Ich habe hierfür meine Gründe!"
sagte Schlitzer.
"Na gut!" sagte Sturmblut. "Starke Klaue
und ich werden uns jetzt auf den Weg machen. Wirst du und Schleicher auf
den Clan aufpassen?"
"Du kannst dich auf uns verlassen!" sagte
Schlitzer, doch sehr wohl war ihm bei diesem Gedanken nicht.
"Danke, Kumpel!" sagte Sturmblut und verließ
mit seinem Bruder das Vulkangebirge.
"Viel Glück!" rief Schlitzer noch hinterher.
"Was sollte das denn?" fragte Starke Klaue,
als er sicher war, daß sie sich außer Hörreichweite befanden.
"So habe ich Schlitzer ja noch nie erlebt!"
"Keine Ahnung!" antworte Sturmblut. "Möchte
bloß wissen was er nur hat?!"
"Er muß vor irgend etwas fürchterliche
Angst haben!" sagte Starke Klaue. "Hast du es denn nicht gerochen?"
"Doch, natürlich! Selbst jemand mit entzündeten
Nüstern hätte seine Angst noch gerochen." antwortete Sturmblut
und blieb für einen Moment plötzlich stehen. "Da fällt mir
gerade etwas ein! In der Nacht, in der Windfeger abgehauen ist, hat sich
Schleicher ähnlich aufgeführt."
"Davon hast du mir ja gar nichts gesagt!"
"Ich hielt es nicht für sehr wichtig."
sagte Sturmblut. "Aber so wie es aussieht, scheint ein solches Verhalten
plötzlich ansteckend zu sein."
"Eigenartig!" murmelte Starke Klaue. "Was
ist nur mit den Leuten plötzlich los?"
"Das werde ich schon noch herausfinden!" grunzte
Sturmblut. "Aber später! Jetzt steht ersteinmal unsere Schwester an
vorderster Stelle!"
Schlitzer blickte den beiden noch hinterher
und entschied sich dann in die Höhle zu gehen, um seine Partnerin
Schatten zu begrüßen und sein Kind zu sehen.
"Ich frage mich, ob die Kleine inzwischen
schon wieder gewachsen ist." dachte er.
"Vati!" rief eine junge piepsige Stimme, als
Schlitzer die Höhle betrat.
"Mein Mädchen! Komm zu mir!" rief Schlitzer
und drückte sie an sich. "Ich habe dich so vermißt!"
"Ich dich auch, Vati!"
"Hast du denn auch gut auf Mami aufgepaßt?"
fragte er.
"Habe ich!" antwortete sie fröhlich.
"Das freut mich..." Doch da erblickte er Narbengesicht
neben seiner Partnerin sitzen.
"Schatten! Geh‘ weg von ihm!" rief er entsetzt.
Schatten blickte überrascht über
Schlitzers Reaktion.
"Schlitzer...?! Was hast du denn?"
"Narbengesicht, halte dich von meiner Familie
fern!" knurrte er.
"Was denn, Schlitzer?" sprach er. "Ich unterhalte
mich doch nur mit Schatten. Darf man das schon nicht mehr?"
"Verschwinde sofort!" grollte er.
"Ist ja schon gut!" sagte Narbengesicht und
stand auf. Doch als er an Schlitzer vorbeiging zischte er ihm leise zu:
"Keine Sorge! Solange du nicht plauderst, wird dir und deiner Familie nichts
geschehen."
"Bastarde!" knurrte Schlitzer. "Das werdet
ihr noch alle büßen!"
Doch Narbengesicht grinste und blickte zu
Schlitzers Tochter hinunter.
"Was für ein süßes Mädchen
du doch hast. Noch so jung, unschuldig und so... zart." sprach er mit einem
düsteren Lächeln und trottete hinaus.
"Was wollte er von dir?" fragte Schlitzer
und trat zu seiner Partnerin.
"Nichts. Wir haben uns wirklich nur ganz normal
unterhalten." antwortete sie. "Er hat mir erzählt, daß ihr Windfeger
nicht finden konntet. Das ist wirklich sehr bedauerlich."
"Wo bleibt Windfeger denn?" fragte Schlitzers
Tochter.
"Hörst du es? Selbst sie vermißt
Windfeger." lächelte Schatten. "Sie hat sie sehr gern."
"Schatten, jetzt hör mir mal genau zu!"
flüsterte Schlitzer. "Ich möchte, daß du niemanden in die
Nähe unseres Kindes läßt! Spreche mit absolut niemanden!
Am aller wenigsten mit Narbengesicht und Zerhacker! Hast du mich verstanden?!"
"Aber wieso?" fragte sie. "Warum bist du denn
so aufgeregt? Was ist denn los mit dir?"
"Ich... ich kann es dir nicht sagen..."
"Warum das denn?" fragte sie verwirrt. Doch
Schlitzer antwortete nicht.
"Eifersüchtig?" fragte sie und stupste
ihn liebevoll mit ihrer Schnauze. "Das muß du doch nicht sein, wenn
es das ist. Ich liebe doch nur dich."
"Eifersucht?! So ein Quatsch!"
Schatten´s Lächeln verschwand,
als sie den sorgenvollen Blick von Schlitzer sah.
"Aber was ist es dann?" fragte sie.
"Bitte Liebes, frag nicht!" antwortete Schlitzer
und versuchte das Thema zu wechseln. "Hast du vielleicht Schleicher irgendwo
gesehen? Sturmblut ist jetzt auf eigene Faust Windfeger suchen und er hat
uns beiden den Auftrag gegeben, solange auf den Clan aufzupassen."
"Keine Ahnung, wo der sich rum treibt." Ihr
gingen jetzt ganz andere Sachen durch den Kopf, als Schleicher. Sie konnte
nicht verstehen, wieso Schlitzer ihren Fragen auswich. Warum verbarg er
etwas vor ihr? Vertraute er ihr nicht genug? Sie machte sich große
Sorgen.
"Sollen wir es ihr denn nicht sagen?" flüsterte
Talon. Der Schock von der vorigen Nacht saß noch immer tief.
"Was willst du ihr denn sagen?" zischte Khara.
"Daß wir ein Geist gesehen haben? Das wird sie uns nie glauben!"
"Wenn du mich fragst, ich glaube nicht, daß
es ein Geist gewesen ist." sagte Talon und achtete darauf, nicht laut zu
sprechen.
"Woher willst du das wissen?"
"Hatte Mutter in ihren Gruselgeschichten nicht
erzählt, das Terrorclaw nur Kinder frißt?"
"Ja, und?" antwortete Khara.
"Der Dorndaumen war kein Kind."
"Du hast recht!" Khara´s Augen weiteten
sich vor Schreck.
"Dann müssen wir Mutter davon erzählen!"
sagte Talon.
"Talon, ich habe Angst!"
"Ich auch, Khara!" zitterte Talon und blickte
auf den schlafenden Leib seiner Mutter. Was wäre wohl passiert, wenn
sie mit Terrorclaw zusammengestoßen wären und nicht mit Mutter?
Talon mochte gar nicht daran denken.
Schlitzer war in der folgenden Woche völlig
mit seinen Nerven am Boden. Er fürchtete, jeder Raptor in Sturmbluts
Clan könnte zu den Verrätern gehören. Er verbat sogar seiner
Tochter mit anderen Raptorjungen des Clans zu spielen.
Selbst nachts fand Schlitzer schon keine Ruhe
mehr. Er wurde immer nervöser und aggressiver.
Fast konnte Schatten schon erahnen, daß
während der Suchexpedition etwas schlimmes passiert sein mußte
und versuchte Schlitzer zur Rede zu stellen.
"Du bist ja wie verwandelt, seit dem du wieder
zurück bist. So kenne ich dich überhaupt nicht." sagte sie. "Ist
etwas vorgefallen, während du unterwegs warst?"
"Sei endlich still!!!!" schnappte er gereizt.
"Ich habe dir doch gesagt, ich will nicht darüber sprechen!"
"Warum schreist du mich so an? Ich will dir
doch nur helfen!" zuckte sie erschreckt zurück. "Hast du denn überhaupt
kein Vertrauen mehr zu mir?"
"Oh, Liebling! Es tut mir so leid! Ich weiß
einfach nicht mehr was ich machen soll!" sagte er und umarmte Schatten.
"Wenn ich erzähle, von dem was ich weiß, würde ich euch
beide damit in Gefahr bringen!"
"In Gefahr!? Wenn wir in Gefahr schweben,
dann habe ich ein Recht zu erfahren was los ist!" sprach sie ernst. "Besonders
wenn es um unser Kind geht!"
"Wenn ich doch nur wüßte, wo ihr
in Sicherheit wärt..." überlegte er und hatte schließlich
einen Einfall. "Moment! Das ist es!"
"Was?!"
"Der Clan meiner Schwester!" sprach er. "Schatten,
ich möchte, daß du dir unser Mädchen schnappst und nach
Norden, zum Clan meiner Schwester aufbrichst. Das wäre der einzige
Ort, an dem ihr sicher seit!"
Schatten war geschockt. "Du willst uns fort
schicken?! Der Clan deiner Schwester befindet sich weit außerhalb
des Tals!"
"Bitte, Schatten! Ihr müßt den
Clan verlassen!" sagte Schlitzer. "Hier seit ihr nicht mehr sicher!"
"Kommt nicht in Frage! Ich werde nirgendwo
hin gehen, solange ich nicht weiß, was los ist!" knurrte sie.
Schlitzer hoffte, daß jetzt bloß
nicht ein verräterischer Raptor draußen vor der Höhle stand
und lauschte. Schatten blieb hartnäckig und es war ihm klar, daß
sie sich nicht einen Millimeter von der Stelle rühren würde.
Er riskierte es!
"Eine Verschwörung ist gegen Sturmblut
im Gange!" flüsterte er ihr kaum hörbar ins Ohr und tat dabei
so, als würde er ihr den Nacken massieren. "Ich habe keine Ahnung,
wer aus dem Clan noch alles darin verwickelt ist. Fest steht aber, daß
sie Sturmblut mit Gewalt stürzen wollen. Ich hatte vor, Sturmblut
darüber zu unterrichten, doch Narbengesicht drohte damit, euch etwas
anzutun, wenn ich irgend etwas von ihrem Vorhaben verrate."
"Ich verstehe!"
"Genau darum müßt ihr den Clan
auch so schnell wie möglich verlassen!"
"Aber ich will dich nicht verlassen!" sagte
Schatten.
"Bitte, Liebes! Es wird ja nur vorübergehend
sein. Solange bis die Verräter entlarvt und zur Strecke gebracht worden
sind." antwortete Schlitzer. "Unsere Tochter soll doch noch ein langes
Leben vor sich haben."
"Und was wird aus dir?" fragte Schatten.
"Ich habe Sturmblut ein Versprechen gegeben.
Mach dir um mich keine Sorgen, ich komme schon klar. Denk lieber an unser
Kind!"
"Ihr und euer Ehrenkodex! Gut, ich werde gehen."
"Danke, Schatten!" sagte Schlitzer erleichtert.
"Hast du schon überlegt, wie wir ohne
Aufmerksamkeit zu erregen den Clan verlassen können?"
"Das habe ich. Und es wird auch noch heute
Nacht geschehen. Je eher ihr hier weg seit, um so besser!"
Sturmblut und Starke Klaue hatten wenig Erfolg
auf der Suche nach Windfeger. Sie versuchten einige Dinosaurier anzusprechen,
ob sie ein einzelnes Raptorweibchen gesehen hätten, doch Sturmblut
war bei vielen Sauriern im Tal gefürchtet. Die meisten flohen vor
ihnen und andere Dinosaurier wiederum verjagten sie aus ihrem Territorium.
Und die wenigen Saurier, die keine Angst vor ihnen hatten, wußten
nichts von Windfeger.
"Habe ich wirklich so einen schlechten Ruf?"
fragte Sturmblut.
"Also wenn ein 'Jäger' in einem Kampf
eine große Gelbschnauze tötet, welche dann auch noch ein Alpha
gewesen ist, dann erregt das für einiges an Aufsehen." antwortete
Starke Klaue amüsiert.
"Das war dieser Brutus!" sagte Sturmblut.
"Wie lange hatte der schon unseren Clan terrorisiert. Die Gesichter seiner
Clanmitglieder nach dem Kampf werde ich jedenfalls nie vergessen. Dieses
eine Mal hatten wir es ihnen gründlich gezeigt."
"Und so etwas spricht sich hier schnell herum."
sagte Starke Klaue. "Sie denken, es wäre für einen Jäger
unmöglich eine Gelbschnauze zu töten, weil wir so viel kleiner
sind als sie."
"Eine Gelbschnauze zu töten ist nicht
unmöglich. Man muß nur wissen, wo ihre Schwächen liegen."
sagte Sturmblut.
"Jedenfalls finden wir Windfeger nicht auf
diese Weise." Starke Klaue hörte über sich plötzlich einige
seltsame Schreie und als er zum Himmel hinauf blickte, sah er einen Schwarm
großer Flugsaurier. "Fliegen müßte man können. Auf
diese Weise wäre es viel einfacher Windfeger zu finden."
"Was sagst du da?" fragte Sturmblut.
"Ich meine die Flieger. Sie können von
oben selbst die kleinste Bewegung erkennen..."
"Starke Klaue, laß dich umarmen!!!"
Sturmblut lächelte. "Flieger verbringen den größten Teil
ihres Leben in der Luft und sehen nahezu ALLES was auf dem Boden passiert!
Ich bin mir sicher, daß einer von ihnen ein einzelnes Jägerweibchen
gesehen hat."
"Toll, aber sie sind unerreichbar für
uns. Wie willst du einen Flieger dazu bewegen, zu uns hinunter zu kommen?
Freiwillig dürfte wohl kaum einer den Schutz des Himmels verlassen."
Sturmblut schnüffelte prüfend die
Luft und entdeckte schließlich das, wonach er gesucht hatte. Es war
eine kleine Herde Protoceratops, die noch die letzten übrig gebliebenen
Blätter eines Zykaeenstrauches abgraste.
"Oh, das denke ich aber doch!" grinste Sturmblut.
"Der Hunger wird auf unserer Seite sein!"
"Was?!" Starke Klaue verstand nicht, was Sturmblut
im Sinn hatte.
"Ich erkläre es dir..."
Arglos nagten die Protoceratops die Blätter
von den Zweigen ab, ohne zu ahnen, daß die zwei Raptoren auf sie
lauerten.
Mit einem lauten Schrei stürzte plötzlich
Sturmblut hervor und fletschte seine Zähne. Die Ceratopier erschraken
und liefen in Panik davon. Sturmblut stürmte auf die Herde los und
schaffte es einen der Protoceratops von seiner Herde zu trennen. Der Protoceratops
lief um sein Leben und versuchte Sturmblut zu entkommen. Was zunächst
auch ganz danach aussah, doch Sturmblut stieß ein kurzes Knurren
aus und augenblicklich tauchte Starke Klaue wie aus dem nichts auf und
schnitt dem Protoceratops den Weg ab.
"Treib ihn zur Waldlichtung!" knurrte Sturmblut.
Starke Klaue grunzte als Bestätigung.
Die Teamarbeit der beiden Raptorenbrüder
war perfekt koordiniert und sie hatten den Protoceratops genau da, wo sie
ihn haben wollten.
Dann schlugen sie zu! Sturmblut sprang auf
den Rücken des Horndinosauriers und bohrte seine messerscharfen Zähne
in den Nacken des Pflanzenfressers und versuchte ihn auf die Seite zu bekommen,
da der Rücken des Protoceratops für einen tödlichen Angriff
zu sehr geschützt war. Als es Sturmblut gelang, griff Starke Klaue
den nun ungeschützten Leib des Protoceratops an und schlitzte ihm
mit seiner Sichelkralle den Bauch auf. Blut floß in Strömen
aus dem Leib des Pflanzenfressers und nachdem der Pflanzenfresser durch
den massiven Blutverlust geschwächt war, machte Sturmblut dem Todeskampf
mit einem Biß in die Kehle ein Ende.
"So macht das Jagen doch am meisten Spaß!"
sagte Sturmblut.
"Mit dir zusammen immer!" sagte Starke Klaue.
"...und mit Windfeger!"
Sturmblut nickte und seufzte. "Ja..."
"Wie geht dein Plan denn jetzt weiter?"
"Ersteinmal essen wir, bevor das gute Fleisch
vergammelt." Sturmblut riß ein großes Stück Fleisch aus
dem Protoceratops und verschlang es.
Nachdem Sturmblut und Starke Klaue ihren Hunger
gestillt hatten, begann nun die zweite Phase von Sturmblut´s Plan.
"Ahh...! Das war gut!" Sturmblut leckte sich
die Klauen sauber und blickte zu seinem Bruder. "Laß aber noch einiges
an Fleisch am Kadaver.
"Wieso?" fragte Starke Klaue. "Seit wann verschwenden
wir Fleisch?"
"Das gehört mit zu meinem Plan und jetzt
schnell ins Gebüsch!"
Starke Klaue kratzte sich am Kopf und folgte
ihm.
"Ich verstehe immer noch nicht so ganz..."
"Paß auf! Flieger sind Aasfresser und
für gewöhnlich immer die Ersten, die sich über einen Kadaver
hermachen. Sobald hier einer landet, schnappen wir ihn uns."
"Das wird nicht funktionieren!" meinte Starke
Klaue.
"Abwarten!"
"Sturmblut, Flieger sind nicht dumm. Ich glaube
nicht, daß sie sich so einfach an der Nase herumführen lassen."
"Hunger kann manchmal so mächtig sein,
daß du jeden logischen Verstand ausschaltest." sagte Sturmblut. "Du
kümmerst dich nicht mehr um Gefahren, für dich zählt nur
noch eins: Nahrung!"
Und Sturmblut behielt recht. Nach einer Weile
hörten sie das Geräusch von großen Flügeln. Ein junger
noch nicht voll ausgewachsener Pteranodon flog über die Lichtung.
Beide Raubsaurier hockten im Gebüsch
und regten keinen Muskel.
Der Flugsaurier kreiste ein wenig über
die Stelle und landete schließlich. Mit watschelnden, fast ungeschickten
Bewegungen näherte er sich dem toten Protoceratops. Er war ausgehungert
und suchte schon seit Tagen nach Nahrung. Gierig stürzte er sich auf
das Fleisch und begann zu fressen.
"Jetzt!" zischte Sturmblut.
Sturmblut und Starke Klaue sprangen aus dem
Gebüsch und überwältigten den völlig überraschten
Flugsaurier.
"Halt ihn fest!" rief Sturmblut. "Halt ihn
gut fest!"
Der Pteranodon wehrte sich verzweifelt und
versuchte die beiden Raptoren von sich abzuschütteln, doch sie hatten
ihn förmlich am Boden festgenagelt.
"Was soll denn das?" schrie der Flugsaurier
verängstigt. "Laßt mich los!"
"Ruhig! Halt still!" knurrte Sturmblut. "Wir
haben nicht vor dich zu töten! Wir wollen nur dafür sorgen, daß
du nicht sofort wieder wegfliegst!"
"Was wollt ihr von mir?" jammerte der Pteranodon.
"Wir möchten nur wissen, ob du oder jemand
von deinen Fliegerfreunden ein einzelnes Jägerweibchen gesehen hat."
sagte Sturmblut mit ruhiger Stimme.
"Wie?!" sprach der Pteranodon und hörte
auf zu zappeln.
"Ihr Flieger seht von oben doch alles, was
hier unten passiert. Oder sagen wir fast alles..." sagte Sturmblut mit
einem leichten Grinsen. "Wir werden dich jetzt aufstehen lassen und bitte,
mach keine Anstalten zu fliehen!"
Der Pteranodon nickte nervös. So ganz
traute er diesen seltsamen Raubsauriern nicht über den Weg.
Sturmblut signalisierte Starke Klaue, den
Flugsaurier los zu lassen.
Vorsichtig setzte sich der Flugsaurier auf.
Er verspürte den Drang, sich augenblicklich in die Lüfte zu schwingen
und abzuhauen, doch aus Angst vor den Raptoren war er wie gelähmt.
"Also, hast du nun das Jägerweibchen
gesehen oder nicht?" fragte Sturmblut.
"N... nein. Was für ein Jägerweibchen?"
stotterte der Flugsaurier. Nachdem er sich Sturmblut genauer ansah sprach
er plötzlich: "Ich... ich kenne dich! Du bist doch das Alpha-Männchen
des Jägerclans aus dem Vulkangebirge."
"Was ich bin, ist nur ein verzweifelter Bruder,
der auf der Suche nach seiner vermißten Schwester ist. Nichts anderes."
seufzte Sturmblut. "Ich dachte, wenn ich einen Flieger fragen würde,
könnte er uns vielleicht helfen."
Der Pteranodon war sprachlos. Er hatte noch
nie zuvor gehört, daß sich Raptoren so sehr um die Ihresgleichen
kümmern. Er kannte sie nur als gnadenlose Freßmaschinen und
Kannibalen. Und jetzt bat einer dieser Killer ihn auch noch um Hilfe?!
Der Pteranodon war verwirrt, doch er bemerkte an Sturmbluts Verhalten,
daß er es ehrlich meinte.
"Ich kann mich ja mal umhorchen..." sagte
der Pteranodon. Dies war das erste Mal, daß er jemals mit Raubsaurier
gesprochen hatte.
"Das wäre sehr nett von dir!" sagte Sturmblut.
"Wie sieht sie denn aus?" fragte der Flugsaurier.
"Nun, sie hat eine ähnliche Schuppenzeichnung
wie ich, nur etwas dunkler und sie ist noch ein Teenager." sagte Sturmblut.
"Sie heißt Windfeger. Das Wichtigste ist aber, daß sie allein
unterwegs ist."
"Verstehe, Jäger sind für gewöhnlich
nie alleine. Das dürfte eigentlich an Informationen ausreichen."
"Wo wir gerade dabei sind, mein Name ist Sturmblut..."
sagte er und wies auf seinen Bruder. "...und das ist mein Bruder Starke
Klaue."
"Also ich glaube, es gibt hier kaum jemanden,
der deinen nicht Namen kennt." sagte der Pteranodon. "Ich bin Redwing."
"Redwing, habe ich dein Wort, daß du
dich auch wirklich für uns umhorchen wirst und nicht einfach auf nie
mehr wiedersehen verschwindest?" fragte Sturmblut.
"Ich habe selbst Brüder und Schwestern."
sagte er. "Und ich weiß auch wie es ist, jemanden zu verlieren. Keine
Sorge, sobald ich etwas näheres über eure Schwester weiß
komme ich zurück."
"Wir wären dir sehr dankbar!" sagte Starke
Klaue. "Sie bedeutet uns wirklich viel!"
Redwing nickte und schwang sich in die Luft,
wobei er einigen Sand aufwirbelte.
"Wir werden hier auf dich warten!" rief ihm
Sturmblut nach.
"Ob er wohl sein Wort hält?" fragte Starke
Klaue.
"Ich hoffe es!" seufzte Sturmblut.
In tiefer Nacht kauerten die Raptoren des Vulkangebirges
zusammengerollt in ihrer Höhle und schliefen. Mit einer Ausname!
"Schatten... wach auf!" flüsterte er
ihr ins Ohr. "Es ist Zeit!"
Schatten war bereits wach und öffnete
sofort die Augen. "Ist es sicher?"
"Ja! Alles schläft und ich habe für
die heutige Nachtwache Graue Schuppe eingeteilt." antwortete Schlitzer.
Schatten nahm vorsichtig ihr Kind auf den
Arm und achtete darauf es nicht zu wecken.
"Los, komm mir nach!" zischte Schlitzer. "Jetzt
oder nie!"
Schatten folgte ihrem Partner aus der Höhle.
Sie wurde nervös, als sie sich auf Graue Schuppe zu bewegten. Der
Raptor stand in einiger Entfernung zur Höhle und hielt nach ungebetenen
Störenfriede Ausschau. Doch etwas an ihm war eigenartig, der Raubsaurier
regte sich kein bißchen. Als sie näher kamen vernahmen sie ein
schnarchendes Geräusch. Schatten staunte nicht schlecht, als sie sah,
daß Graue Schuppe im stehen schlief.
"Graue Schuppe!" flüsterte Schlitzer
und kicherte leise. "In der Beziehung ist auf ihn immer Verlaß!"
Als sie den ´Wachposten´ hinter
sich ließen, sprach Schlitzer: "So, weiter kann ich euch nicht begleiten."
"Wird mich deine Schwester in ihrem Clan überhaupt
willkommen heißen?" fragte Schatten.
"Selbstverständlich! Sie ist ein sehr
gerechtes Alpha-Weibchen und wird euch freundlich empfangen." antwortete
er. "Und dort habt ihr all den Schutz, den ich euch hier leider nicht mehr
geben kann."
"Warum kannst du nicht mit uns kommen?"
"Sturmblut ist mein Freund und hat für
den Clan Großartiges geleistet. Würde ich ihn im Stich lassen,
wäre ich nicht viel besser, als diese Verräter."
Plötzlich regte sich etwas in Schattens
Armen.
"Oh, nein! Jetzt ist sie wach geworden!"
"Vati, Mami?!" quiekte sie. "Es ist so dunkel!
Warum sind wir draußen?"
"Ssst..." machte Schlitzer und beruhigte seine
Tochter. "Es ist ja alles gut! Mami und du, ihr werdet jetzt auf eine kleine
Reise gehen."
"Reise?"
"Ja, dort wo ihr hingehen werdet, ist es wunderschön.
Viel schöner als hier." sagte Schlitzer. "Und du wirst deine Tante
kennenlernen."
"Kommst du denn gar nicht mit?" fragte sie.
"Ich komme später nach. Ich habe hier
vorher noch etwas wichtiges zu erledigen." sagte er und schaute dann ins
sorgenvolle Gesicht von Schatten. "Liebes, ganz gleich wie lange es dauern
wird. Kommt bitte unter keinen Umständen hierher zurück, ehe
ich nicht bei euch auftauche."
"Ich habe Angst!" sagte Schatten. "Was ist,
wenn dir etwas passiert?"
"Es wird schon alles gut gehen!" antwortete
Schlitzer. "Die Verräter werden ihre gerechte Strafe erhalten."
"Ich liebe dich, Schlitzer!" schluchzte sie
und rieb mit ihrer Schnauze über Schlitzers Hals.
"Ich dich auch, Liebes!"
"Vati!!!" weinte Schlitzers Tochter.
"Wein doch nicht, mein großes Mädchen!
Ich komme doch nach!" sagte Schlitzer und nahm sie noch einmal in den Arm.
Diesmal konnte auch er seine Tränen nicht unterdrücken. "Sei
artig und tu auch immer schön, was Mami dir sagt. Vati hat dich ganz
doll lieb!"
"Ich habe dich auch lieb, Vati!"
"Nun, müßt ihr aber wirklich gehen!"
sagte Schlitzer.
"Du hast recht." sagte Schatten und nahm ihr
Junges wieder an sich. "Sei nur bitte vorsichtig!"
"Das bin ich!" antwortete Schlitzer. "Bis
bald, ihr zwei! Und Schatten, denk daran, die Abkürzung über
den Gebirgspaß zu nehmen, dort dürften sich weniger Raubsaurier
aufhalten."
"Werde ich machen. Bis bald, Schlitzer!" Schatten
nickte und verließ mit ihrer Tochter den Ort, den sie bisher als
den sichersten in der Welt angesehen hatte. Doch nun stand Sturmbluts Clan
vor dem Auseinanderbrechen. Sie hoffte inständig auf die Vernunft
des Clans, sich nicht gegen ihren Alpha zu stellen. Sie blickte ihre Tochter
an, die in ihren Armen wieder friedlich eingeschlafen war, und seufzte.
Es war Morgengrauen, als der junge Pteranodon
über die Lichtung flog, wo er am Vortag noch von den zwei Raptoren
rüpelhaft überfallen wurde. Redwing wußte nicht, warum
er dies überhaupt tat, doch er war ein gutmütiger Flugsaurier
und diese beiden Raptoren schienen über ihren Verlust wirklich verzweifelt
zu sein. Er erinnerte sich daran wie viele seiner eigenen Geschwister bereits
umgekommen sind. Von ursprünglich neun Jungen waren nur er und noch
drei weitere übrig geblieben. Doch für die beiden Raubsaurier
hatte er eine erfreuliche Nachricht.
"Sturmblut?... Starke Klaue?" rief er. "Seit
ihr da?"
Sturmblut gähnte, als er von dem lauten
Flattern geweckt wurde.
"Redwing!!!" rief Sturmblut. "Ich hätte
ehrlich nicht gedacht dich noch einmal wiederzusehen."
"Ich...ähm! Zugegeben... ich hatte ursprünglich
auch gar nicht vorgehabt, hierher zurückzukehren. Aber dann ist mir
eure Geschichte doch sehr nahe gegangen, da sie mich an meine eigene Familie
erinnert hat und na ja... aber vergeßt es einfach, O.k.?" sagte Redwing,
der sich noch immer in der Luft befand und auch nicht die geringste Lust
hatte zu landen. "Jedenfalls hat einer meiner Artgenossen einen weiblichen
Jäger gesehen, der eurer Beschreibung entsprach."
"Ist sie am leben?" fragte Starke Klaue, der
wie von der Tarantel gestochen aufsprang.
"So viel ich gehört habe, ist sie quicklebendig!"
antwortete der Flugsaurier. "Sie läuft sehr schnell, kann das sein?!"
"Das ist sie!!!" sagte Sturmblut erleichtert.
"Sie lebt! Den Urahnen sei dank! Wo befindet sie sich?"
"Sie wurde gesehen nahe der Teersümpfe."
"Teersümpfe?!" Sturmblut´s Erleichterung
schwand dahin. "Was verdammt noch mal treibt sie ausgerechnet da?! Dort
hausen die Gehörnten! Da hätte sie sich auch genau so gut in
ein Spitzzahn-Nest legen können!"
"Tut mir leid." sagte Redwing. "Aber ich kann
nur das wiedergeben, was man mir mitgeteilt hatte."
"Ist O.k.!" sagte Sturmblut. "Wir sind dir
wirklich sehr dankbar. Und entschuldige bitte unseren ähm... Überfall."
"Schon gut. Aber hättet ihr mich nicht
einfach ganz normal fragen können?"
"Wärst du denn ruhig sitzen geblieben,
wenn dich zwei Jäger angesprochen hätten?" fragte Sturmblut zurück.
"Hm... sehr wahrscheinlich nicht!" antwortete
Redwing.
"Wir überlassen dir den Rest unserer
Beute." sagte Sturmblut. "Iß dich ruhig satt!"
"Wow, danke! Ihr wißt gar nicht, wie
lange ich schon nach etwas Vernünftigen gesucht habe!" sagte Redwing
erfreut und landete bei der Beute. Doch da erschrak er. Verdammt, wie konnte
er nur so dumm sein, jetzt war er den Raptoren zum zweiten Mal ausgeliefert!
Ängstlich blickte er sich zu den Raubsauriern um. Würden sie
sich jetzt auf ihn stürzen und zerfleischen?
Sturmblut lächelte. "Du brauchst uns
nicht zu fürchten. Du hast uns sehr geholfen und das rechnen wir dir
hoch an. Falls du irgendwann einmal Hilfe benötigen solltest, wende
dich an uns, Freund."
Redwing glaubte seinen Ohren nicht zu trauen.
"H... hast du mich gerade als Freund bezeichnet?!"
"So ist es!" sagte Sturmblut. "Vom heutigen
Tage an, soll kein Jäger mehr einen Flieger töten. Dafür
werde ich sorgen!"
"Ich bin platt! Jetzt bin ich ein Freund von
Sturmblut, dem gerissensten Jäger im Tal!" sagte Redwing, als sich
die beiden Raptoren davon machten. "Das glaubt mir keiner!"
Es war noch ein ganzer Tagesmarsch, bis Sturmblut
und Starke Klaue die Teersümpfe erreichten. Überall dampfte es
und ein seltsamer Dunst lag in der Luft. Es roch erbärmlich.
"Ich hoffe, daß wir sie hier möglichst
schnell finden!" sagte Sturmblut. "Ekelig! Was macht Windfeger nur an einem
solchen Ort?"
In der Ferne hörten sie das Gebrüll
von Raubsauriern.
"Wir müssen auf der Hut sein!" sagte
Starke Klaue.
Sie drangen immer weiter in die Sümpfe
vor. Überall stießen sie auf Überreste einiger unglücklicher
Dinosaurier, die zu tief in den Moder geraten waren und von dort nicht
wieder herauskamen. Es war ein schauriger Anblick.
Plötzlich hörten sie laute Schritte.
Blitzschnell versteckten sich die beiden Raptoren im Unterholz, als etwas
Großes an ihnen vorbei lief.
"Das hat uns noch gerade gefehlt! Ein Gehörnter!"
zischte Sturmblut.
Bei den Gehörnten handelte es sich um
Carnotauren. Riesige Fleischfresser, die einem T-Rex recht ähnlich
sahen. Die auffälligsten Merkmale an ihnen waren jedoch die beiden
kurzen Hörner über der Stirn, wodurch sie ein sehr dämonisches
Aussehen erhielten.
Sturmblut atmete durch, als der Carnotaurus
weiterzog, ohne die beiden Raptoren zu bemerken.
"Es liegt wahrscheinlich an den ganzen Gerüchen,
weshalb er uns nicht entdeckt hat!" sagte Starke Klaue.
"Gehen wir weiter!" sagte Sturmblut. "Aber
vorsichtig!"
Starke Klaue nickte. Wie sollten sie Windfeger
hier nur finden? Sie konnten noch nicht einmal wagen, nach ihr zu rufen,
ohne von den Carnotauren entdeckt zu werden.
Dann plötzlich brüllte es hinter
ihnen! Der Carnotaurus war zurückgekehrt und leckte sich sein Maul.
"Lauf!" rief Sturmblut.
Mit einem lauten Knurren setzte der Carnotaurus
den beiden Raptoren nach. Doch die zwei schlauen Raubsaurier trennten sich
von einander. Der Carnotaurus dachte nicht lange nach und folgte Starke
Klaue.
Sturmblut verlangsamte seinen Lauf und schaute
in die Richtung, in der Starke Klaue und sein Verfolger verschwanden.
Sturmblut wollte weitergehen, doch da hörte
er in den Büschen hinter sich ein Rascheln. Als er sich umblickte
war es verschwunden.
"Großartig!" dachte er. "Jetzt bilde
ich mir auch schon Dinge ein! Das macht bestimmt diese Luft!"
Als er sich von den Büschen abwandte
um weiterzugehen, vernahm er plötzlich ein kurzes Zischen und eher
er es sich versah wurde er von jemanden zu Boden geworfen.
Sturmblut knurrte und schlug mit seinen Krallen
blind um sich.
"Sturmblut, beruhige dich! Ich bin´s!"
sprach eine weibliche Stimme, die ihm sehr bekannt vorkam.
"Windfeger?!" Sturmblut schlug die Augen auf
und blickte in das jugendliche Gesicht seiner Schwester.
"Hättest du jetzt noch einen weiteren
Schritt gemacht, wärst du aus dem Sumpf nie mehr herausgekommen!"
"Windfeger, ich..." Sturmblut wußte
nicht was er sagen sollte.
"So! Mein Bruder hat dieses Mal also seinen
eigenen Hintern in Bewegung gesetzt um mich zu finden!" sagte Windfeger.
"Hattest du mich vermißt?"
"Windfeger, es tut mir alles so schrecklich
leid!" sagte Sturmblut. "Ich habe einige sehr dumme Dinge zu dir gesagt."
"Dumm ist gar kein Ausdruck!"
"Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!
Ich hatte schon beinah die Befürchtung, ich würde dich niemals
wiedersehen!" Langsam kamen ihm die Tränen. "Ich hätte dich doch
niemals aus dem Clan geworfen! Du bist meine kleine Schwester."
"Und genau das ist es ja!" sagte sie. "Du
denkst immer noch, ich wäre deine kleine Schwester. Kannst du denn
nicht akzeptieren, daß ich langsam erwachsen werde? Ich wollte dir
beweisen, daß ich auch auf eigenen Füßen stehen kann.
Sonst hätte ich hier in den Sümpfen auch wohl kaum überlebt."
"Ich sehe es. Du bist wirklich erwachsener
geworden." sagte Sturmblut. "Und du siehst gut aus."
"Ich habe schnell gelernt hier in den Sümpfen
zu überleben." sagte sie. "Aber ehrlich gesagt, der schlimmste Feind
hier draußen waren nicht die Gehörnten, es war die Einsamkeit."
"Aber jetzt bist du ja nicht mehr alleine."
sagte Sturmblut und lächelte.
"Sturmblut, ich bin wirklich froh, daß
du selber hierher gekommen bist, um nach mir zu suchen, anstatt eine erneute
Suchtruppe los zuschicken."
"Dann wußtest du also das..."
"Ja, Schlitzer und die anderen sind auch hier
gewesen." antwortete Windfeger. "Aber ich wollte von ihnen nicht gefunden
werden. Ich wollte wissen, ob dir der Clan wichtiger ist, als deine Schwester
und ob dir überhaupt etwas an mir liegt."
"Und zu welchem Schluß bist du gekommen?"
Sie warf sich um seinen Hals und erdrückte
ihn fast dabei. "Ich habe dich so schrecklich vermißt! Wo warst du
nur all die Jahre!"
"Ist ja alles wieder gut, mein Schwesterchen!"
antwortete er.
"Schwesterchen. So hast du mich seit unseren
Kindertagen nicht mehr genannt!" sagte sie. "Jetzt habe ich Gewißheit,
daß der alte Sturmblut tatsächlich zurückgekehrt ist!"
"Na, wie finde ich denn das?" sprach plötzlich
Starke Klaue. "Ich bin empört! Werde ich von meiner kleinen Schwester
denn jetzt gar nicht mehr gedrückt?"
"Starke Klaue, du bist auch hier?!?!" Windfeger
war nicht mehr zu halten und stürzte in seine Arme.
"Ach Kleines! Habe ich dich endlich wieder!"
seufzte Starke Klaue und drückte sie fest an sich.
"Wie ich sehe, bist du dem Gehörnten
heil entkommen." sagte Sturmblut.
"Das war keine große Kunst! Die Gehörnten
sind zwar hässlich, aber nicht besonders klug." sagte Starke Klaue.
"Dann wären wir drei ja wieder vereint!"
sagte Sturmblut. "Das heißt, wenn Windfeger sich dazu entschließt,
mit uns nach hause zu kommen."
"Was für eine Frage!" antwortete Windfeger.
"Glaubt ihr, ich würde jetzt auch nur einen Moment länger hier
bleiben?"
Endlich waren die drei Geschwister wieder glücklich
vereint und traten den Heimweg an. Unterwegs erzählte Windfeger, was
sie während ihrer Zeit bei den Teersümpfen alles erlebte.
"Weißt du, Sturmblut!" sagte Starke
Klaue. "Es ist gar nicht so ungewöhnlich, daß sich Windfeger
die Teersümpfe ausgesucht hat. Ihr seid ja als Kinder schon immer
gerne in die Sümpfe gegangen."
"Oje, daran erinnere ich mich nicht gerne
zurück." sagte Sturmblut. "Das war, glaube ich, das einzige Mal, daß
wir von dir richtig Ärger bekommen haben."
"Ich kann mich auch noch ein wenig daran erinnern.
Du hattest uns in den Fluß geworfen, damit wir wieder sauber werden
sollten." sagte Windfeger.
"Ihr wart so dreckig, daß man euch schon
gar nicht mehr riechen konnte!" sagte Starke Klaue. "Aber ich denke, ich
hatte euch eine ordentliche Lektion fürs Leben erteilt!"
"Das hattest du!" sagten beide gleichzeitig.
"Woher wußtet ihr eigentlich, daß
ich mich bei den Teersümpfen aufgehalten habe?" fragte Windfeger.
"Ein Freund hat uns dabei geholfen." antwortete
Sturmblut. "Er ist ein Flieger und heißt Redwing."
"Ihr habt euch mit einem Flieger befreundet?"
"Ohne seine Hilfe hätten wir dich vielleicht
nie gefunden." sagte Starke Klaue. "Darum werden wir auch in Zukunft keine
Flieger mehr töten."
Es dauerte nun nicht mehr lange, bis sie die
vertrauten Felsen des Vulkangebirges sahen.
"Ein komisches Gefühl wieder zu Hause
zu sein." sagte Windfeger.
"Ich bin mal auf einige Gesichter gespannt."
sagte Sturmblut. "Viele haben geglaubt, daß du schon gar nicht mehr
am Leben wärst. Aber ich habe die Hoffnung niemals aufgegeben, dich
wiederzusehen."
Als sie schließlich den Bergpfad hinaufliefen,
blieb Starke Klaue plötzlich abrupt stehen.
"Was ist?" fragte Windfeger.
"Irgend etwas stimmt nicht!" sagte er. "Riecht
doch mal!"
"Du hast recht!" sagte Sturmblut und schnüffelte.
"Es riecht nach..."
"Blut!" ergänzte Windfeger.
"Ja, aber es riecht nicht nach Beute!" sagte
Starke Klaue.
"Ich habe ein ganz mieses Gefühl!" grummelte
Sturmblut. "Schnell! Zur Höhle!"
Sie rannten so schnell sie konnten den Berg
hinauf. Als sie jedoch die Höhle erreichten, eröffnete sich ihnen
ein Bild des Grauens. Windfeger wandte sich entsetzt ab und mußte
sich übergeben.
"Oh, nein!" rief Starke Klaue. "Bitte nein!!!"
"Was, bei den Väter der Urahnen, ist
hier geschehen?!?!" schrie Sturmblut.
© T-Bone
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bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
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