Als Moff in dieser Nacht aufwachte, erinnerte
er sich sofort an einen merkwürdigen Traum. In diesem Traum war er
geflogen und hatte mit dem König des Waldes gesprochen, der ihm sogar
so ein hübsches Amulett gegeben... seine Hand stieß auf etwas
rundes, kühles, das an seinem Hals hing... Moff war sofort hellwach,
und lebendig stand vor ihm nun die Erinnerung an den ganzen vorigen Tag.
"Oh mein Gott..." flüsterte er aufgeregt
und machte sich sofort an die Arbeit. Er bürstete sein Fell, dann
noch das Moos, aß ein paar Nüsse zum Frühstück und
packte den Rest der Speisekammer in einen Sack. Dann warf er noch ein paar
andere Dinge hinzu, die er für unentbehrlich hielt, und als alles
zum Aufbruch bereit schien, setzte er sich mit einem Seufzer noch einmal
hin.
"Was ist nur los, dass ich meine gemütliche
Wurzel verlassen muss, um mit irgendeiner Bösen Macht zu kämpfen?"
So sehr er sich bemühte zu begreifen,
was da auf ihn zukam, er konnte einfach nicht fassen, dass er zu einem
Abenteuer aufbrechen sollte, um bei etwas bedeutungsvollem zu helfen.
Moff war noch nie richtig gewandert und war
auch nicht länger als für ein paar Nächte außer Haus
gewesen, was nicht heißt, dass er nie daran gedacht hatte. Wie so
viele junge Wesen hatte er so manches Mal davon geträumt, in die Welt
zu ziehen und mit eigenen Augen all die unglaublichen Dinge zu sehen, von
denen alte Zwerge oder junge Streuner erzählten. Jetzt bot sich die
Gelegenheit, wenn man einen königlichen Befehl als Gelegenheit bezeichnen
konnte, und er spürte, wie Furcht und Unsicherheit ihn immer mehr
verließen, und ihn stattdessen ein Gefühl von Aufregung und
Erwartung überkam. Er war sich auch immer sicherer, wen er auf diese
Reise mitnehmen wollte.
"Natürlich komme ich mit, was für
eine Frage," sagte Ghanas, obwohl Moff noch gar nicht gefragt hatte. "Du
wirst jemanden mit Kampferfahrung brauchen." Ghanas war ein Mensch, einer
der wenigen, die im Zauberwald wohnten. Er war groß und schlank wie
ein Elf, hatte ein schmales, entschlossenes Gesicht mit glitzernden braunen
Augen und langes, schwarzes Haar, das meistens wirr um seine Schultern
hing. Den dunkelgrünen, langen Umhang hatte er von einem Streuner
gekauft. Unter ihm verbarg er ein prächtiges Schwert. Sie saßen
in seiner Hütte, unweit von Moffs Wurzel, an einem Tisch und tranken
süßen, fruchtigen Tee. Moff saß auf einem besonders hohen
Stuhl, den Ghanas schon vor langer Zeit speziell für kleine Besucher
angefertigt hatte. Da er aber nicht mehr von solchen Stühle hatte,
hatte sich Biem einfach auf den Tisch gesetzt und knabberte an einem Stück
Kuchen, das Ghanas ihr gegeben hatte, damit sie in Ruhe reden konnten.
Neben Moff saß sein treuer Freund Dadun.
"Ich hatte auch gar nichts anderes von dir
erwartet," sagte Moff lächelnd. "Und du, Dadun? Ich denke, dich muss
ich auch nicht fragen."
Der Baumjunge nickte lächelnd.
In dem Moment hatte Biem gerade das letzte
Stück Kuchen heruntergeschluckt und rief aufgeregt:
"Mich brauchst du auch nicht zu fragen ohne
mich könnte dir so viel Schreckliches passieren ich weiß nur
noch nicht ob ich es schaffe den Schnee für die Blumenkönigin
mitzunehmen wenn wir sie befreien möchte ich ihn ihr sofort zeigen
oje oje bin ich aufgeregt..."
Unter Moffs mahnendem Blick wurde sie still,
senkte die Augen und murmelte: "Tschuldigung..."
Er lächelte etwas überrascht, denn
es passierte äußerst selten, dass das freche Mädchen dieses
Wort benutzte.
"Wahrscheinlich hat sie Angst, dass ich sie
nicht mitnehme", dachte er. Dabei brauchte sie sich darüber keine
Sorgen zu machen. Moff hatte sie in seiner Nähe gehabt, soweit er
sich zurückerinnern konnte. So nervig sie auch war, ohne ihre unheilbare
Fröhlichkeit und ihren ewigen Optimismus konnte er sich kein richtiges
Abenteuer vorstellen.
"Ich glaube, dann haben wir keine Zeit zu
verlieren," sagte Dadun und stand auf. "Gib uns ein paar Stunden um uns
zu packen und dann - auf geht’s!"
Es war noch dämmerig und still, als sie
den Waldweg entlanggingen. Kein Tier war zu sehen, und die Bäume und
Büsche wiegten sich raschelnd im Schlaf. Hier und da sahen sie eilige
Elfen vorbeihuschen, die von nächtlichen Strandfeiern zurückkamen
und vor Sonnenaufgang wieder in ihrem Baum oder Bach sein wollten. Ansonsten
war es ruhig, die Luft angenehm feucht und frisch. Moff saß zusammen
mit dem größten Teil des Gepäcks auf einem kleinen schwarzen
Pony, das Ghanas mitgenommen hatte, daneben trottete noch sehr verschlafen
Dadun, und vorneweg schritt entschlossen der Krieger. Biem huschte unermüdlich
von einem Baum zum anderen, grub hier und da in der Erde herum, roch an
allem, was ihr unter die Nase kam und plapperte dabei auch noch unentwegt
von all den interessanten Dingen, die sie fand und in die Taschen ihrer
Hosen stopfte.
Da niemand wusste, wo genau ihr Ziel lag,
hatten sie beschlossen, in die Richtung zu ziehen, aus der der Frühling
hätte kommen müssen. Dafür brauchten sie jedoch ein Schiff,
und das konnten sie nur in Tan – Moria bekommen, einer Stadt, die einige
Meilen außerhalb des Waldes am Meer lag und hauptsächlich von
Menschen und Halbelfen bewohnt war. Sie zogen daher die Küste entlang,
einen schmalen Waldweg nehmend. Am Strand wären sie zu langsam vorangekommen,
und außerdem wollten sie auch nicht zu sichtbar für eventuelle
Spionen des Bösen sein.
Langsam wurde es immer heller, und schließlich
ging über dem Meer die Sonne auf.
Der ganze Wald begann aufzuwachen. Die Strahlen
sausten wie wild zwischen den Pflanzen umher, zischten und kicherten, die
Bäume seufzten und streckten ihre Äste, jegliches Gebüsch
knisterte und rauschte. Immer mehr Geschöpfe krochen aus ihren Höhlen
und Gruben. Viele schauten den Wanderern neugierig nach, ein Zwerg hielt
sie sogar an und musterte sie misstrauisch.
"Was sucht ihr denn hier? Wer gibt euch das
Recht durch mein Land zu ziehen, hum?"
"Was meinst du mit 'dein Land'?" fragte Dadun
verwundert. Gleich darauf kam jedoch ein junges Zwergfräulein aus
dem Gebüsch und rief:
"Ach, hier bist du, Opa. Nervst du wieder
fremde Leute?"
Sie nahm ihren Großvater bei der Hand
und zog ihn hinter sich her vom Weg. Ghanas seufzte.
"Was meinst du, Moff, wäre es nicht besser,
wenn wir nachts gingen und tagsüber schliefen?" sagte er dann und
Moff nickte.
"Daran habe ich auch schon gedacht. Am besten
gehen wir jetzt, bis wir müde werden und legen uns dann für ein
paar Stunden hin."
Dadun lief die ganze Zeit still neben ihnen
her und sah sich aufmerksam um. Erst nach ein paar Stunden murmelte er:
"Der Wald sieht aus wie immer, mal davon abgesehen, dass alles merkwürdig
blass ist. Aber das war ja immer so im Vorfrühling. Vielleicht ist
es gar nicht mal so schlimm..."
"Noch nicht," antwortete Moff betrübt.
"Es ist einfach noch nicht bis hierhin vorgedrungen. Aber ich habe gesehen,
wie es dort aussieht, wo es schon ist. Dort gibt es nichts mehr, keine
Pflanzen und keine Lebewesen."
"Das ist doch unmöglich..." schnatterte
Biem und verschwand hinter einem Baumstumpf, um mit einem Moosgeist Freundschaft
zu schließen.
'Wovon reden die überhaupt,' dachte sie.
'Keine Geschöpfe – pha! Das ist unmöglich...'
Der Tag verging ruhig. Kein verrückter
Zwerg stellte sich ihnen mehr in den Weg. Ein paar mal machten sie Halt,
ruhten sich etwas aus und aßen ein wenig. Dann fing es auch schon
an, dunkel zu werden. Die Schatten der Bäume wurden immer länger
und verschwanden schließlich in der Dämmerung. Es wurde immer
ruhiger im Wald, die Bewohner verschwanden in ihren Häusern, die Bäume
begannen, sich in den Schlaf zu wiegen.
Die vier Freunde waren auch sehr müde,
denn schließlich waren sie fast mitten in der Nacht aufgebrochen.
"Es wird Zeit, dass wir uns hinlegen," gähnte
Moff. "Leider nur für ein paar Stunden, denn wir müssen uns auf
das Nachtwandern umstellen."
Sie gingen vom Weg ab und schauten sich im
Geäst nach einem geeigneten Platz um. Schnell fand sich eine kleine
Lichtung, auf der sie Feuer machten und sich zur Ruhe legten. Ghanas hielt
die erste Wache, obwohl Moff ihm versicherte, dass sie im Wald nicht mehr
als ein paar verspielte Elfen zu befürchten hatten.
Die Nacht war ziemlich warm. Ghanas saß
an einen Baumstamm gelehnt und schaute zum Himmel hinauf. Leider sah er
keinen einzigen Stern, denn alle verbarg ein nebliger Schleier.
"Wolken," murmelte er, obwohl er sich
nicht so ganz sicher war, ob es einfache Wolken waren.
Moff lag noch eine Weile wach. Er war es zu
sehr gewöhnt, in seinem gemütlichen, warmen Zuhause zu schlafen,
sodass ihn jetzt die Umgebung und die Aufregung, die ihn seit dem Treffen
mit dem König nicht verlassen hatte, nicht einschlafen ließen.
Die Nacht war still. Man hörte nur das Knistern der Flammen und das
leise Rauschen des Meeres. Einen Moment lang meinte Moff noch etwas anderes
zu hören, ein leises Fauchen oder Hecheln. Wahrscheinlich war es aber
doch nur Daduns Atem...
Als er plötzlich aufwachte, wusste er
zuerst nicht, wo er war. Es war dunkel, er war im Wald. Es war unheimlich
kalt. Ghanas stand mit dem Schwert in der Hand... Mit einem Schlag wurde
Moff nüchtern und sprang auf.
"Was ist los?" flüsterte er und spürte,
wie er vor Aufregung und Kälte zitterte.
"Etwas ist hier," antwortete Ghanas sehr leise
und wandte sich unruhig hin und her.
Moff bückte sich zu seinem Gepäck
und holte ein Messer hervor. Es war ein Stück, das er schon immer
in seiner Grube gehabt hatte ohne zu wissen, woher es eigentlich zu ihm
gekommen war. Es war eindeutig kein Küchenmesser, sondern zum Kämpfen
gemacht worden, wahrscheinlich von Zwergen. Auf dem braunen, hölzernen
Griff schimmerte silbern der Buchstabe "T". Da sah er, dass Rodin, das
zauberhafte Amulett des Königs, blutrot geworden war. Was mochte das
wohl bedeuten?
Dadun war inzwischen auch aufgesprungen und
stand mit angespanntem Bogen mit dem Rücken zum Feuer.
Zuerst hörte Moff nur wieder das Fauchen,
jetzt jedoch viel lauter und näher. Es schien aus zwei Richtungen
zu kommen, vom Meer und von gegenüber. Doch dann sah er etwas, was
ihn für einen Moment starr werden ließ. Aus der Dunkelheit löste
sich der Schatten einer gebückten Gestalt und kam geschwind auf sie
zu. Es war kein Mensch und kein Tier, auch kein anderes Wesen, das Moff
kannte.
Es bewegte sich ähnlich einem Leoparden
und fauchte auch so, ging jedoch auf zwei Beinen. Ein Paar dunkler Augen
glitzerte im Schein des Feuers. Von der anderen Seite näherte sich
ein ähnliches Wesen, nur größer und breiter.
"Halt!" rief Dadun. "Wenn du dich näherst,
werde ich schießen müssen!"
Die Kreaturen schien das nicht zu beeindrucken.
Entschlossen zogen sie näher. Plötzlich hörte man eine piepsige
Stimme, die aus der Richtung des größeren Ungeheuers kam:
"Hej sind das etwa Flügel? Sag bloß
du kannst fliegen! Ich habe auch ein paar Flügel aber sehr kleine
die wahrscheinlich eine Libelle mal verloren hat ich habe sie dann gefunden
und... Hee!!!"
Mit einem dumpfen Grollen warfen sich die
beiden schwarzen Geschöpfe auf Biem, die aber geschickt einen Sprung
beiseite tat. Ghanas war sofort neben ihr und ließ sein Schwert durch
die Luft sausen, traf jedoch niemanden, denn die Schwarzen entglitten geschickt
seinem Angriff. Der Schwung ließ Ghanas für einen Augenblick
schwanken und in diesem Moment hob das Monster seine haarigen Arme in die
Höhe und ein grelles Licht blendete Moff, der ihn gerade von hinten
angesprungen hatte. Er stach blind in die Dunkelheit vor sich, traf auf
einen der Beiden und hörte ihn grausig aufheulen. Dann wurde es plötzlich
ganz still. Als Moff wieder etwas sehen konnte, erblickte er Ghanas, der
auf der Erde lag und sich am Handgelenk hielt. Dadun kniete neben ihm.
Biem hüpfte hin und her und schnatterte, dass sie blind geworden war.
Von den Ungeheuern war nichts zu sehen.
"Ghanas! Bist du in Ordnung?" rief Moff erschrocken
und lief zu ihm hin.
"Es ist nichts," antwortete der Krieger schwach
und setzte sich langsam. "Mein Handgelenk tut nur weh. Dieser verdammte
Blitz hatte so eine Kraft, dass es mir mein Schwert aus der Hand geschlagen
hat." Dann sah er sich um. "Wo sind denn die Biester hin?"
"Einen habe ich von hinten gestochen," sagte
Moff noch selbst nicht ganz daran glaubend und blickte auf sein Messer.
Es hatte keine Blutspuren.
"Ich habe auf jeden Fall keinen getroffen,"
sagte Dadun mit gesenktem Kopf. Er stand immer noch mit angespanntem Bogen
da.
"Warum hast du nicht geschossen?" Ghanas sah
ihn vorwurfsvoll an.
"Ich... ich konnte einfach nicht... Ich habe
noch nie jemanden erschossen. Eigentlich bin ich grundsätzlich gegen
Gewalt."
Moff fing leise an zu kichern, als er Ghanas’
entgeistertes Gesicht sah.
"Ich kann wieder sehen! Ich kann wieder sehen!"
piepste Biem. "Das war ja ungeheuerlich! Wie hat er das wohl gemacht, und
wisst ihr, er hatte Flügel!"
"Sei lieber ruhig, denn durch deinen Leichtsinn
wäre es beinahe zu einem Unglück gekommen," rügte Dadun,
wahrscheinlich auch um das Thema zu wechseln.
Ghanas runzelte die Augenbrauen.
"Das waren keine Wesen aus dem Wald. Dafür
waren sie zu tierisch."
"Dann waren es wohl Boten der Schwarzen Macht,"
sagte Moff und schauderte. "Habt ihr den eisigen Wind gespürt, den
sie mitgebracht haben?"
"Und dazu stanken sie ganz schrecklich," fügte
Biem eifrig hinzu.
Ghanas steckte sein Schwert ein. "Wir werden
also verfolgt. Ab heute müssen wir jede Nacht durchwandern und uns
tagsüber verbergen. Und niemand darf wissen, wo wir hingehen und wieso."
"Am besten gehen wir gleich los," fügte
Moff hinzu. "Schlafen werde ich jetzt sowieso nicht mehr können."
Sie packten schnell ihr Nachtlager zusammen
und löschten das Feuer. Dann brachen sie auf. Sie kehrten jedoch nicht
auf den Weg zurück, sondern blieben im Schutz der Bäume. Die
Nacht war jetzt wieder still und warm, aber auch sehr dunkel, denn kein
Mondenschein durchdrang den merkwürdigen Nebel, der den Himmel bedeckte.
Die Vier fühlten sich jetzt unbehaglich in der Dunkelheit. Während
sie gingen, blickten sie andauernd um sich, ob sich im Schatten nicht etwas
an sie heranschlich. Zu Moffs Verwunderung ging sogar Biem ruhig hinter
ihnen her und gab keinen Pieps von sich.
Sie gingen sehr lange, ohne dass die Umgebung
sich änderte, obwohl nach Moffs Schätzungen der Wald sich längst
hätte lichten müssen.
"Wann kommen wir aus dem Wald hinaus?" fragte
Biem sehr leise und vorsichtig. Ghanas schüttelte den Kopf. "Eigentlich
müsste jeden Moment der Waldrand vor uns auftauchen, ich weiß
auch nicht, etwas stimmt hier nicht..."
Je weiter sie gingen, desto merkwürdigere
Wege entdeckten sie, von denen sie nie zuvor gehört hatten. Überall
schlängelten sich wilde Pfade, die sich irgendwo in der Wildnis verloren.
Es kam vor, dass sie einen dieser schmalen Wege entlanggingen, weil sie
meinten, er führte in die nötige Richtung, und dann plötzlich
in einer Sackgasse landeten, weil der Pfad mitten im Gebüsch einfach
endete.
"Das ist ja nicht mehr auszuhalten!" rief
Ghanas schließlich, als sie diesmal vor einem Baum landeten. Es hatte
schon angefangen zu dämmern und bald würde die Sonne ihre Strahlen
über das Meer jagen.
"Ich glaube, der Wald hat seine Gründe,
uns so lange hier zu behalten. Es hat keinen Sinn jetzt weiterzugehen.
Bald wird es hell. Bis dahin müssen wir einen angenehmen Platz zum
Schlafen gefunden haben."
Ghanas nickte. "Du hast Recht. Lasst uns etwas
weiter vom Hauptweg gehen und dort einen sicheren Platz suchen."
Die Eiche, unter der sie ihr Lager aufschlugen,
wiegte sich noch sanft rauschend im Schlaf. Moff machte es sich zwischen
ihren Wurzeln im Moos gemütlich und fühlte sich fast wie zu Hause.
Dadun kletterte geschickt den Stamm hoch und verschwand in der Krone. Das
Schlafen auf der Erde letzte Nacht hatte ihm nicht besonders gefallen.
Jetzt fühlte auch er sich viel heimischer. Ghanas versteckte das gehorsame
Pony im dichten Gebüsch und legte sich daneben. Diesmal wollte Biem
unbedingt die erste Wache halten.
"Damit ihr nicht mehr böse auf mich seid."
"Womit willst du dich notfalls wehren?" fragte
Ghanas zweifelnd.
"Oooch das ist gar kein Problem," ereiferte
sie sich. "Ich habe viele Sachen mit denen man sich wehren kann, zum Beispiel
diesen schönen Stein hier, den man jemandem gegen den Kopf werfen
kann oder dieses Ponyhaar mit dem man würgen kann oder diesen gespaltenen
Ast..."
"Schon gut, schon gut," sagte Dadun hastig,
weil er gar nicht wissen wollte, was man jemandem mit einem gespaltenen
Ast antun konnte. "Du wirst es schon schaffen."
Bald schliefen alle erschöpft ein, und
Biem legte sich auf die Lauer. Das Stillliegen kam ihr anfangs sehr schwer,
aber sie wusste, dass es zu gefährlich war herumzulaufen und die Aufmerksamkeit
anderer Wesen zu erregen. Bald gewöhnte sie sich jedoch an das Lauern,
und es begann ihr sogar Spaß zu machen. Sie lag in einer flachen,
schattigen Grube und beobachtete die Pflanzen und Tiere um sich herum,
ohne von ihnen gesehen oder beachtet zu werden. Die Eiche, unter der Moff
schlief, begann gerade langsam aufzuwachen. Zuerst zuckte sie leicht, von
den Sonnenstrahlen hier und da gekitzelt, dann begann sie, ihre Wurzeln
zu bewegen, letztendlich seufzte sie tief und streckte verschlafen ihre
Äste.
"Hmmmmm... hum, hummmm..." brummte sie tief.
Dann schien sie Moff bemerkt zu haben, denn sie begann ihn mit ihren Wurzeln
behutsam abzutasten. Biem schaute entzückt zu, wie Moff unter den
Berührungen zusammenzuckte und sich schließlich erschrocken
aufsetzte.
"Oh, hmmm, da bist duuu jaaa. MMMMoff," brummte
der Baum. Moff stand verwundert auf und schaute zu ihr hoch.
"Woher kennst du meinen Namen?"
"Hmmm ich haaabe schoooon auf dich hm gewarteeet,"
sagte die Eiche träge. Dann begann sie eine ihrer Wurzeln langsam
aus der Erde zu heben, bis sie ein pechschwarzes Loch unter sich freigab.
"Kommmmm..."
Moff zögerte nicht lange. Eichen waren
in der Regel kluge und gute Bäume und er vertraute ihnen. Er ging
unter der Wurzel durch und fand sich in einem schmalen Erdtunnel wieder.
Er war rund und lehmig und überall ragten dünne, angerissene
Wurzeln aus den Wänden. Moff tapste gespannt vorwärts. Der Gang
endete schnell in einem kleinen Raum. An allen Wänden waren Regale,
auf denen dicke Bücher und noch vieles Andere stand. In der Mitte
des Zimmers befand sich ein großer alter Schreibtisch aus dunklem
Holz. Auf ihm lag eine gläserne Schale mit Wasser, in der kleine Lichter
schwammen. Neben dem Tisch stand ein dunkelgrüner Sessel. Erst jetzt
bemerkte Moff die alte, grauhaarige Frau, die in ihm saß und ihn
lächelnd anschaute. Mit einem Mal erinnerte er sich an die alte Frau
aus seinem Traum, und er wusste sofort, dass es dieselbe war.
"Komm herein," sagte sie mit ihrer warmen
Stimme.
"Wer bist du?"
Die Frau lächelte noch wärmer. "Ich
bin deine Urgroßmutter."
Moff wurde es heiß und kalt. Vor Überraschung
konnte er kaum ein Wort herausbringen.
"Warum habe ich nichts von dir gewusst?" fragte
er endlich.
"Die Zeit war einfach noch nicht gekommen.
Auch jetzt ist es noch nicht ganz ungefährlich uns zu treffen." Ihre
Stimme wurde etwas leiser und über ihr runzliges Gesicht legte sich
ein Schatten. Sie hob Moff auf den Schreibtisch, so dass er in die Schale
gucken konnte. Kleine Flammen tanzten auf dem Wasser, als wären sie
die besten Freunde. Sie formten einen Kreis, in dessen Mitte jetzt ein
wuseliger Kopf erschien, der Moff unglaublich vertraut war.
"Das ist Thyrtos, dein Vater," sprach die
Urgroßmutter mit sanfter Stimme. "Er war ein mutiges Wesen. Als die
Bösen Mächte das erste Mal nach der Herrschaft über diese
Welt griffen, wurde er auserwählt, um mit ihnen zu kämpfen."
Moff schaute überrascht auf. "So wie
ich jetzt!"
"Es war ein schwieriger Kampf, und deinem
Vater fehlte es an Glauben." Tränen traten in ihre braunen Augen.
Sie schwieg und starrte traurig in die Vergangenheit.
"Sie haben ihn... getötet, nicht wahr?"
"Schlimmer, Moff, viel schlimmer. Um uns alle
zu retten, musste er ihnen seine Seele verschreiben. So konnte er nicht
mehr für sie gefährlich werden."
Ihre Stimme wurde tief und rau, die Flammen
auf dem Wasser begannen unruhig zu flackern. Plötzlich fühlte
Moff, wie er fröstelte.
"Aber er wusste, sie würden wiederkommen.
Eine Seele konnte ihnen nicht reichen, nein, sie wollten a
l l e Wesen beherrschen."
Moff sah mit Schrecken zu, wie ihre Augen
sich veränderten. Sie verloren mit einem Mal ihre Wärme, wurden
kalt und voller Hass. Die knochigen Hände hatte sie zu Fäusten
geballt, so dass die blauen Adern hervortraten. Die Flammen in der Schale
gingen fast aus und ein eisiger Wind blies. Mit Entsetzen stellte Moff
fest, dass Rodin wieder feuerrot geworden war.
"Die Boten des Bösen," dachte er verzweifelt.
"Sie müssen wieder in der Nähe sein!"
"Urgroßmutter!" rief er, aber sie schien
ihn nicht mehr zu sehen. Sie sah gar nichts mehr von dem, was sie umgab,
sondern gab sich ganz einer unerklärlichen Wut hin. Moff hatte keine
Ahnung, was er tun sollte. Er war sicher, dass im Körper der Urgroßmutter
ein Dämon verborgen gewesen war und jetzt aus ihr heraus brach. Gerade
wollte er die Flucht ergreifen, als hinter dem Sessel etwas hervor schoss
und auf ihn zu rannte.
"Biem!" schrie er überrascht.
"Moff! Ist das wirklich deine Urgroßmutter
ich glaube aber die ist nicht so besonders nett hast du etwa eine böse
Urgroßmutter? Ich habe gar keine da wäre es doch besser eine
böse zu haben als gar keine was meinst du?..." Moff sah mit Entsetzen,
wie das kleine Mädchen auf den Schoß der zornigen Frau krabbelte
und sich an ihre Brust schmiegte. "Ja, es ist schön eine Urgroßmutter
zu haben," piepste sie.
Und da geschah etwas merkwürdiges. Statt
das kleine Kind an den Haaren in die Luft zu zerren und gegen die Wand
zu schmettern, wie Moff es eher vermutet hätte, verschwand aus den
Augen der Urgroßmutter plötzlich die eisige Kälte. Mit
einem Mal wurde sie ruhig und streichelte lächelnd den roten Kopf
an ihrer Brust. Dann sah sie sich etwas benommen um.
"Mir ist so komisch... was ist passiert? Warum
ist es so kalt?"
Moff antwortete nicht. Er hatte selber keine
Ahnung, was eigentlich passiert war, fühlte sich jedoch unendlich
erleichtert. Es war wieder wärmer geworden, die alte Frau saß
ruhig in ihrem Sessel und streichelte Biem. Dann sah sie zu Moff auf.
"Dein Vater hat dich sehr geliebt, obwohl
er dich nie auf dieser Welt gesehen hat. Deine Mutter starb gleich nach
deiner Geburt. Der König des Waldes hat der alten Eiche und ein paar
Waldelfen aufgetragen, sich um dich zu kümmern, solange du klein warst..."
Sie schaute wieder eine Weile in die Leere, dann fuhr sie fort.
"Dein Vater hat dir etwas hinterlassen, bevor
er ging. Etwas, was dir helfen wird, die Welt vor der Schwarzen Macht zu
retten: Seine Erfahrung."
In der Wasserschale begann sich wieder etwas
zu regen. Moff sah den König, der sich lächelnd über ein
sehr kleines, struppiges Wesen beugte.
"Wer ist das?" flüsterte er, etwas sagte
ihm aber, dass er die Antwort kannte.
"Das bist du. Die Schwarzen wussten, dass
sie in dir einen gefährlichen Gegner gefunden hatten. Bei deiner Taufe
wollten sie dich entführen. Der König hat sie jedoch vertrieben
und dich in der alten Eiche untergebracht. Die Elfen, die sich um dich
kümmerten, nannten dich Moff. Dein wahrer Name hätte dich zu
sehr in Gefahr gebracht."
Sie schwiegen eine Weile, dann sagte Moff:
"Wie heiße ich?"
"Tohidoo."
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