Taggar lag mit geschlossenen Augen auf seinem
Bett und fühlte den Schmerz in sich hinauf kriechen. Er fing im Bauch
an und breitete sich langsam nach oben hin aus, bis er das Herz ergriff
und zusammendrückte. Taggar stöhnte. Er hatte den halben Tag
schon so gelegen, ohne auch nur die Nase aus seiner Höhle zu stecken.
Er wusste, dass das nicht gut für ihn war. Er sollte hinausgehen,
am besten ans Meer, sich so viel wie möglich bewegen und ein paar
Sonnenstrahlen auf seine Haut lassen... aber er konnte nicht. Wie nie zuvor
fühlte er, dass er krank war, und wahrscheinlich nie mehr richtig
gesund werden würde...
Nein! Nur nicht daran denken, am besten an
gar nichts denken.
"Ich muss mich ablenken," flüsterte er
verzweifelt und griff nach seinem Buch. Es war ein wundervolles Buch über
Drachen mit einigen herrlichen Bildern, aber kaum hatte er ein paar Zeilen
gelesen, fing seine Haut wieder zu jucken und zu brennen an, und er konnte
sich auf nichts mehr konzentrieren. Es war einer der schlimmen Tage, an
denen er nur an seine Krankheit, den Schmerz, das Brennen und vor allem
die Einsamkeit denken konnte. Eigentlich war er nicht wirklich einsam.
Seine Freunde schauten schon mal zu ihm rein, und manchmal, an besseren
Tagen, ging auch er in den Felsgängen umher, half hier und da beim
Graben mit (obwohl seine Hände schnell wund wurden), oder besuchte
einfach einen Bekannten in seiner Höhle.
Aber an den Tagen, an denen ihn die Krankheit
völlig überwältigte, wenn er sich einschloss, damit niemand
seine glühende Haut sehen konnte, an solchen Tagen gab es nur noch
ihn und die Krankheit. Und wenn er dann hörte, wie seine Freunde in
einer Höhle nebenan feierten oder einfach bei der Arbeit fröhlich
auflachten, dann gab es ihm einen Stich tief ins Herz und er fühlte
die wahre Einsamkeit.
Verzweifelt legte er das Buch weg und griff
nach einer starken Medizin, die ihn beruhigen und das Jucken lindern sollte.
Zu seiner Erleichterung wirkte sie ausnahmsweise schnell, er entspannte
sich und fiel in einen angenehmen Schlaf...
Im Traum sah er ein kleines, pelziges Wesen
mit dunklen Knopfaugen. Es sah aus wie eine Mischung aus einem sehr haarigen
Kobold und einem ungewöhnlich kleinen Bären. Um den kurzen Hals
hing ein glänzendes Amulett...
Dann einen alten, buckeligen Mann, der sich
über ein dickes Buch beugte... da war noch diese klare Stimme, die,
zuerst ganz leise, dann immer eindringlicher sprach, bis Taggar begriff,
dass er direkt angesprochen war und mit einem leisen Schrei aufwachte.
Schnell setzte er sich auf und sah sich um,
in seiner Höhle war jedoch niemand außer ihm selbst. Er schüttelte
den Kopf, um die aufdringliche Stimme loszuwerden, und stand auf, um sich
im Quellwasser zu waschen. Gerade als er sich umgezogen und eingesalbt
hatte, hörte er merkwürdige Geräusche in den Gängen
widerhallen. Nachdem er eine Weile gelauscht hatte, merkte er, dass überall
gerannt und aufgeregt gemurmelt wurde. Schnell wickelte er sich in einen
grauen Umhang, zog die Kapuze tief ins Gesicht und huschte durch die Felsmauer.
Ein kleiner Mogg kam aus der Richtung, aus der der größte Tumult
zu hören war. Taggar erwischte gerade noch ein Fellbüschel, zog
das Wesen daran hoch und schaute ihm in die schwarzen Knopfaugen.
"Was ist dort passiert?"
"Vor dem nördlichen Eingang gab es einen
Kampf," piepste der Mogg.
"Einen Kampf?" murmelte Taggar erstaunt, während
er ihn absetzte. Sofort begab er sich in Richtung des nördlichen Eingangs.
"Solange ich lebe, hat es hier keinen richtigen Kampf gegeben. Was ist
bloß geschehen?"
Als Moff Daduns verzweifelten Schrei hörte,
hatte er selber gerade alle Hände voll zu tun mit einem der fauchenden
Biester. Dass er noch am Leben war, hatte er nur Rodin zu verdanken, der
die Monster irgendwie abzuschrecken schien und etwas auf Entfernung hielt.
Trotzdem spürte Moff die lähmende Kälte und musste den
immer wieder nach ihm greifenden Klauen ausweichen. Er sah sich kurz nach
seinem Freund um, stellte jedoch zu seiner Verzweiflung fest, dass dieser
verschwunden war!
"Ghanas!" schrie er. "Dadun ist weg!"
Ghanas hatte jedoch eigene Probleme. Obwohl
er wie wild mit dem Schwert um sich schlug, wurden seine Gegner immer aufdringlicher.
Am rechten Handgelenk hatte er eine kleine Wunde, die aber wie verrückt
brannte... brannte oder fror? Jedenfalls war in seiner Situation Biem sehr
hilfreich. Unaufhaltsam huschte sie hin und her, schrie und lachte und
brachte die schwarzen Biester schrecklich durcheinander. Trotzdem wurde
Ghanas von Minute zu Minute schwächer. Die Lage war hoffnungslos,
und diese Hoffnungslosigkeit nahm ihnen die letzten Kräfte.
Da passierte etwas völlig unerwartetes:
Die Felsen um sie herum fingen an zu leben. Unmittelbar aus der Felswand,
ungefähr an der Stelle, wo Dadun gelegen hatte, kamen etwas schwerfällig
einer nach dem Anderen mittelgroße, stämmige Wesen mit riesigen
blitzenden Äxten und stürzten sich grollend auf die Schwarzen
Boten und überrumpelten diese völlig. Zuerst schreckten sie nur
ein Stück zurück, doch als sie sahen, dass immer mehr graue Trolle
aus dem Felsen kamen, begannen sie sich entschlossen zurückzuziehen.
Einer nach dem anderen streckten sie die Flügel und verschwanden fauchend
und zischend in der Dunkelheit. In der Schlucht wurde es still.
Nach einem ersten Moment der Benommenheit
stürzte Moff zu der Stelle, an der Dadun gelegen hatte und begann
sie abzusuchen.
"Grmm grm humm grm bmm," kam es tief und grollend
aus einem der unbekannten Retter.
Moff zuckte unwillkürlich zusammen. Dann
sah er fragend zu Ghanas herüber. Der Felstroll räusperte sich
und wiederholte, nun etwas deutlicher:
"Euer Freund ist in Sicherheit."
Ghanas blickte verstohlen um sich.
"Eeem, könnt ihr uns zu ihm führen?"
Der Troll, der gesprochen hatte, trat auf
Moff zu, nahm ihn bei der Hand, und zog ihn hinter sich her geradewegs
auf die Felswand zu. Einen Augenblick später waren sie verschwunden.
Biem jauchzte entzückt auf und stürzte hinter ihnen her.
"Nicht!" hörte sie es noch hinter sich
dröhnen, dann knallte sie mit Wucht gegen den Felsen und krümmte
sich vor Schmerz zusammen.
Der Troll zuckte die Achseln. "Einer von uns
muss euch rüberführen..."
Er nahm Biem auf den Arm und trug sie durch
den geheimnisvollen Eingang, ein weiterer half Ghanas ins Innere des Felsens.
Sie befanden sich nun in einem breiten, langen
Gang, der sich durch den Stein wand. An beiden Seiten waren große,
brennende Fackeln befestigt, die alles in ein warmes Licht hüllten.
In ihrem Schein glitzerten die Wände silbrig. Die Luft war feucht
und salzig. Von irgendwo her drang dumpf ein rhythmisches Hämmern.
Während Moff neben seinem stämmigen
Begleiter herlief, verdrehte er den Hals, um ihn sich genauer anzusehen.
Er war kleiner als Ghanas, reichte ihm höchstens bis zur Schulter,
dafür aber fast doppelt so breit. Seine Haut und die langen, silbernen
Haare glitzerten ähnlich wie die Wände. Ein üppiger Bart
verbarg sein breites Gesicht zur Hälfte, darüber leuchtete ein
Paar grauer Augen. Seine Kleidung bestand aus einer grauen Hose und einem
dicken Gurt, an dem eine riesige Axt hing.
Ihre Retter schienen nicht besonders gesprächig
zu sein. Ab und zu gaben sie einen grollenden Laut von sich, wenn sie in
einen der Seitengänge biegen sollten, sonst waren sie still.
Moff fühlte sich recht unbehaglich und ein Blick auf Ghanas sagte
ihm, dass es seinem Freund genauso ging. Biem empfand das ganz anders.
Obwohl ihr Kopf noch ein wenig schmerzte, laberte sie fröhlich den
Troll voll, der sie immer noch auf dem Arm hielt, und zupfte interessiert
an seinem silbernen Bart.
"Was grunzt du denn so, tut das etwa weh?
Ooooohh, ist deine Haut aber hart ist die aus Stein aber sie glitzert sehr
schön ich habe auch einen Stein der so schön glitzert aber zu
Hause das ist weit weg..."
Schließlich hielt er es nicht mehr aus,
riss ihre kleinen Hände von seinem Bart los und setzte sie brummend
ab. Sofort verschwand sie in einem der Seitengänge.
"Verlauf dich bloß nicht," rief Moff
ihr hinterher.
Bald wurden sie in eine kleine, runde Höhle
geführt. Sie war viel gemütlicher als die Gänge. Ihre Wände
waren mit dunklem Leder ausgelegt, auf dem Boden lag ein dickes Fell. Unter
der hinteren Wand stand ein mit Moos ausgelegtes Steinbett, auf dem Dadun
lag. Seine Haut war bläulich verfärbt, die Wunden an Armen und
Kopf waren mit einer braunen, stinkenden Masse zugeschmiert.
Biem stürzte herein und kletterte auf
das Bett.
"Igitt," begrüßte sie ihren Freund
und steckte sofort ihren Finger in die Schale mit der Masse, die neben
dem Bett stand. "Wie du stinkst!"
Dadun öffnete die Augen und lächelte
schwach.
"Ich freu mich auch, dich zu sehen."
Die Trolle verzogen sich und die Freunde blieben
allein zurück.
Moff trat an das Bett und nahm Daduns kalte
Hand.
"Wie geht`s?"
"Schon besser. Das Stinkzeug ist wunderbar.
Ich spüre kaum mehr Schmerzen. Mir ist nur so kalt... Nein, das hilft
nichts," fügte er hinzu, als Ghanas nach einer Decke griff, die auf
dem Boden lag. "Ich hab schon drei. Diese Kälte... sie kommt von innen..."
"Ich habe hier etwas, das dir helfen wird,"
sagte eine Stimme hinter ihnen. Ein junger Mann in einem langen, weißen
Gewand trat ein und reichte dem Kranken einen Becher mit dampfendem Inhalt.
Er half ihm beim Trinken, dann wandte er sich den Freunden zu. Er hatte
ein blasses, freundliches Gesicht und Moff empfand es als sehr erleichternd
ihn zu sehen.
"Heilen kann ich ihn nicht. Aber ich werde
seine Schmerzen lindern und die Kälte schwächen." Er seufzte.
"Mit den Schwarzen Boten ist nicht zu spaßen. Ich habe schon einige
Male das Unheil gesehen, das sie anrichten können. Es gibt nur sehr
wenige, die die Schäden, die sie anrichten, ganz beseitigen können."
"Wo finden wir so jemanden?" fragte Moff.
Der Heiler zuckte die Achseln. "In Tan-Moria
soll es jemanden geben... einige hat er angeblich geheilt. Aber ob das
wahr ist... ich kann es nicht sagen. Viele haben ihn schon gesucht, aber
nie gefunden."
"Wir sind auch auf dem Weg nach Tan-Moria,"
sagte Ghanas und warf Moff schnell einen Blick zu. Dieser nickte.
"Wo sind wir hier eigentlich?... Ach, übrigens,
ich bin Moff, und das sind meine Freunde Dadun, Ghanas und ee...," Moff
sah sich um. "...Biem, aber sie ist auf Entdeckungsreise."
Der junge Mann lächelte und reichte ihnen
ebenfalls einen Becher mit heißem Getränk.
"Ich bin Nathan, der Heiler. Setzt euch doch,
ihr seid sicher sehr müde." Er deutete auf zwei mit Pelzen ausgelegte
Sitze. Erleichtert ließen sie sich nieder und merkten erst jetzt,
dass sie völlig erschöpft waren. Der Tee hatte einen bitteren
Geschmack, wirkte aber sehr entspannend und beruhigend.
"Ihr seid hier im Reich der Katagonen - der
Felstrolle." Er ging zu einem Flüstern über, denn Dadun schien
eingenickt zu sein. "Sie leben hier seit Hunderten von Jahren und
gehen nur selten ans Tageslicht. Deswegen wissen nur wenige von ihrem Dasein."
"Sind sie...hm...bösartig?" fragte Moff
zögernd.
"Bösartig?" Nathan lachte auf. "Nein,
ganz bestimmt nicht. Nur ein bisschen grimmig, das schon. Aber sie sind
in Ordnung. Ich lebe hier schon seit einigen Jahren."
Ghanas schaute ihn neugierig an. "Seit einigen
Jahren?"
Nathan goss sich selber auch ein Getränk
ein und setzte sich auf einen Hocker neben dem Bett.
"Ich studiere ihre Lebensweise. Ich bin in
einem kleinen Dorf in der Nähe von Vantour aufgewachsen, habe aber
schon früh gemerkt, dass es dort keine großen Möglichkeiten
für mich gibt. Ich wollte Heiler und Forscher werden. Auf die Katagonen
bin ich wie ihr durch Zufall gestoßen." Er blickte nachdenklich in
seinen Becher. "Auch mir haben sie das Leben gerettet. Seitdem lebe ich
hier und heile sie."
Biem sprang unerwartet aus einem kleinen Loch
in der Wand und plumpste auf den Boden. Hinterher kam ein kleines Wesen,
das wie eine langhaarige Maus aussah. Es kletterte geschwind die Wand hinunter
und sah sich mit glänzenden Augen um.
"Hier sind sie," rief Biem vergnügt,
worauf das kleine Tier nickte, piepste und in einem gegenüberliegenden
Loch verschwand.
"Was war das denn?" fragte Ghanas.
"Das war mein Freund er ist ein Mogg und lebt
hier in winzigen Höhlen zusammen mit vielen anderen Moggs und sie
essen kleines Ungeziefer und manchmal da..."
"Und wo ist er jetzt hin?"
"Er geht seinen Freund holen, der uns unbedingt
kennen lernen will."
In dem Moment erschien ein Katagon im Höhleneingang.
Er trug einen langen Umhang, dessen Kapuze ihren Schatten auf sein Gesicht
warf. Eine Weile stand er still da, dann warf er die Kapuze zurück
und sagte dröhnend:
"Ich bin Taggar."
Sein Gesicht sah anders aus als das seiner
Brüder. Es war gerötet und schien leicht angeschwollen zu sein.
Moff kletterte von seinem Sitz und streckte
ihm die Hand entgegen.
"Ich bin Moff, dass sind meine Freunde."
Taggar schaute ihn lange an. "Ich habe dich
im Traum gesehen," sagte er schließlich, und seine Stimme klang,
als käme sie von weit unter der Erde.
Sein Blick fiel auf das Amulett, das zu Moffs
Verwunderung zum ersten Mal grünlich leuchtete.
"Ich möchte mit euch gehen."
Ghanas zuckte leicht zusammen und machte den
Mund auf, um etwas zu sagen, doch Moff kam ihm zuvor.
"Du bist herzlich willkommen."
Der Krieger schaute seinen kleinen Freund
entrüstet an. Als Taggar verschwunden war, um sich fertig zu machen,
fing er sofort an, auf ihn einzureden.
"Moff, hör zu." Er gab sich alle Mühe,
vernünftig zu klingen. "Wir haben doch keine Ahnung, wer dieser Troll
eigentlich ist. Ich finde, diese Monster machen keinen besonders vertrauensvollen
Eindruck und..." Er warf Nathan einen schnellen Blick zu. "Wir haben eine
Mission zu erfüllen," fügte er leise hinzu.
Biem hüpfte indessen auf und ab vor Aufregung,
traute sich aber nicht dazwischen zu rufen.
Moff schaute seinen Freund nur ruhig an und
sagte:
"Mach dir keine Sorgen. Ich weiß, was
ich tue."
Damit schien das Thema beendet. Ghanas schüttelte
nur verwirrt den Kopf.
Sie verbrachten die Nacht im Reich der Katagonen.
Nathan bewirtete sie mit etwas essbarem, denn die Felstrolle ernährten
sich von verschiedenen Steinsorten (ihre Lieblingsspeise waren Salzkristalle)
und schuf ihnen bequeme Nachtlager aus Moos und Pelzen. Auch damit hätten
die Katagone Probleme, denn sie schliefen auf in den Fels geschlagenen
Steinbetten.
Am Morgen (Taggar versicherte ihnen, dass
es schon Morgen war, und sie mussten ihm aufs Wort glauben) brachen sie
auf. Sie hatten beschlossen, so lange wie möglich im Inneren des Felsens
zu bleiben, denn es hatte sich herausgestellt, dass man durch die von den
Trollen gegrabenen Gänge noch ein ganzes Stück nach Norden gelangen
konnte.
Sie waren gut ausgeruht und zusätzlich
von Nathan mit irgendwelchen Kraftelixieren versorgt worden, so dass sie
sich wie neugeboren fühlten. Nur Dadun war immer noch schwach, wenn
man aber bedachte, was ihm zugestoßen war, war es ein Wunder, dass
er überhaupt auf eigenen Beinen laufen konnte.
Gegen Mittag verließen sie den Berg
durch eines der magischen Tore, durch das sie der Reihe nach von Taggar
geführt wurden. Geblendet vom ungewohnten Tageslicht, blieben sie
stehen. Erst nach einer Weile merkten sie, dass der Tag ziemlich grau und
düster war. Ein dichter Nebel hing über dem Weg, sodass sie die
gegenüberliegende Felswand nur vage ausmachen konnten. An ihr entlang
floss hier ein schmaler, reißender Bach.
Taggar ging an ihnen vorbei und auf das Wasser
zu. Er hatte seinen grauen Umhang an und trug einen großen, ledernen
Rucksack. Ghanas sah verblüfft zu, wie er geradewegs in den Bach stieg
und ihnen winkte, ihm zu folgen. "Spuren verwischen," brummte er.
"Er ist verrückt," stellte Ghanas fest.
Moff zuckte nur die Achseln und folgte dem
Felstroll ins Wasser.
"Er wird schon wissen, was er tut."
Biem war von der Idee ganz entzückt und
platschte vergnügt hinter ihnen her. Dadun nahm Ghanas unter den Arm
und zog ihn mit sich.
"Wir müssen sie irreführen," brummte
Taggar vor sich hin, während er durch das reißende Wasser stapfte.
Eine Weile taten es ihm alle schweigend nach.
Dann begann Ghanas zu murren.
"Also ich verstehe immer noch nicht so ganz,
warum wir im Fluss waten müssen, wenn nebenher ein harter, trockener
Weg läuft." Dem Krieger gefiel es überhaupt nicht, dass
seine glänzenden Lederschuhe trieften und die Hose bis zu den Oberschenkeln
durchnässt war.
"Spuren verwischen, klar. Aber wozu um Himmels
Willen Spuren verwischen, wenn wir doch sowieso zwischen zwei Felszügen
eingeklemmt sind?" Wer war dieser steinerne Troll eigentlich, dass er einfach
die Führung übernahm?
Moff war auf das Pony geklettert und sah interessiert
zu, wie Taggar mit dem Blick unaufhörlich die Felswand absuchte. Biem
versuchte Fische zu fangen.
Plötzlich blieb der Troll stehen und
drehte sich hastig um. Sein Blick fiel auf das Pony.
"Das muss weg," sagte er kurz.
Ghanas lachte hysterisch auf, doch bevor er
etwas sagen konnte, war Moff abgesprungen und verteilte eilig das Gepäck,
das das treue Tier bis dorthin getragen hatte.
Taggar überlegte einen Moment, dann wandte
er sich an den wütenden Mann.
"Du musst deinem Pony erklären, dass
es diesen Weg weiterlaufen soll, immer geradeaus."
Obwohl er innerlich kochte, verzog der Krieger
das Gesicht zu einem grotesken Lächeln, führte dasTier aus dem
Wasser und kniete neben ihm nieder.
"Hör zu, ich habe keine Ahnung, was dieser
Wahnsinnige vorhat. Aber wenn Moff will, dass wir ihm gehorchen, dann tun
wir das auch. Also müssen wir uns jetzt trennen."
Er tätschelte den zotteligen Hals und
gab seinem Pony einen Klaps auf den Hintern. Es zögerte keinen Augenblick.
Im leichten Trab verschwand es bald hinter der nächsten Wegbiegung.
"Die Schwarzen werden hoffentlich seiner Spur
folgen," erklärte Taggar, was Ghanas nicht gerade fröhlicher
stimmte. "Wir müssen noch weiter."
Da das Wasser Moff fast bis zum Hals reichte,
hob Ghanas ihn auf den Arm.
Es war schon später Nachmittag, und alle
waren durchnässt und zitterten vor Kälte, als Taggar endlich
stehen blieb und an der Felswand hochzuklettern begann. Der Felsen war
an dieser Stelle ziemlich steil und glatt, nur an manchen Stellen wucherte
trockenes Geäst zwischen den Steinen hervor. Taggar kletterte geschickt
bis zu einem dieser Büsche, zerrte ein wenig an den Ästen herum
und war plötzlich verschwunden. Dann kam er wieder hervor und stieg
zu seinen verwunderten Gefährten hinab.
"Dort ist eine Höhle," erklärte
er. "Wahrscheinlich aus der Zeit, in der in allen Felsen Trolle gelebt
haben. Sie ist groß genug für uns alle. Also kommt."
"Tja weißt du," begann Ghanas höhnisch.
"Es klettert nicht jeder von Geburt an auf Bergen herum und dieser hier
ist ziemlich glatt..."
Doch der Katagon beachtete ihn gar nicht.
Er nahm Moff und Dadun ihre Rucksäcke ab und stieg geschwind wieder
hinauf. Ghanas seufzte und versuchte es ihm nachzumachen. Der Höhleneingang
lag etwa fünfzehn Meter über der Wasseroberfläche und der
Aufstieg erwies sich alles andere als leicht.
"Wenn dieser alte Steinklos das geschafft
hat," keuchte er, während er mühsam Vorsprünge in der glatten
Wand ertastete, "dann krieg ich das auch hiiii..."
Im letzen Moment ergriff er das Seil, dass
Taggar gerade heruntergelassen hatte, und hielt sich krampfhaft daran fest.
Erst nach einer Weile brachte er sich dazu, den Rest des Weges zurückzulegen.
Zum Glück waren die letzten Meter nicht sehr schwer, und bald lag
er schnaufend auf dem Höhlenboden.
"Wie du das so schnell hinkriegst...", keuchte
er voller Bewunderung.
Taggar hörte ihn gar nicht. Er wachte
über Daduns Aufstieg, der fast problemlos vor sich ging. Schließlich
war er die meiste Zeit seines Lebens auf Bäumen herumgeklettert...
auch wenn das nicht ganz das selbe war. Zum Schluss zogen sie Moff und
Biem einfach mit dem Seil hinauf, was vor allem dem kleinen Mädchen
sehr gefiel.
Das Erste, was man merkte, wenn man sich durch
die Äste in die Höhle gezwängt hatte, war die Wärme.
Sie konnten sich nicht wirklich erklären, woher sie kam, sie war aber
deutlich zu spüren. Moff holte eine Öllampe hervor und machte
sie an. Das gelbe Licht fiel auf niedrige, runde Wände links und rechts,
während die hintere Wand im Dunkeln lag.
"Wir bleiben besser erst einmal hier," murmelte
Taggar während er den Eingang sorgfältig wieder mit Zweigen verdeckte.
"Hier warten wir ab, bis es dunkel wird. Wir können nur hoffen, dass
die Ungeheuer an uns vorbeiziehen..."
Sie zogen ihre nassen Kleider aus und wickelten
sich in Decken ein. Ein Feuer wollten sie nicht machen, und bald löschte
Moff auch die Lampe. Es wurde dunkel.
"Jetzt kommen sie bald," flüsterte Taggar.
"Hoffentlich spüren sie uns nicht auf, sondern folgen dem Pony."
Keiner antwortete etwas darauf. Moff bemerkte,
dass sein Amulett orange war und schnell dunkler wurde. Er begann zu zittern.
"Kein Wort mehr," flüsterte er, und sogar
Biem gehorchte widerstandslos.
Langsam wurde es kälter. Der Wind pfiff
um den Felsen herum, was sich wie ein jämmerliches Jaulen anhörte.
Moff schloss die Augen. Es mussten Hunderte sein. Er spürte deutlich,
wie ihre schwarze Macht ihn lähmte.
Taggar schien das nicht so stark zu spüren.
Er kroch zu dem Eingang und lugte vorsichtig zwischen den Ästen hindurch.
Seine Augen waren an die Dunkelheit gewöhnt und er konnte deutlich
die Felswand gegenüber und den Weg unten ausmachen. Zuerst war das
auch alles. Doch dann kamen sie.
Wie riesige Fledermäuse sausten sie fauchend
durch die Luft und bedeckten den Himmel. Hunderte von schwarzen Schatten
mit roten, funkelnden Augen.
Taggar konnte vor Grauen kaum atmen. Er schlich
zurück zu den Anderen und legte die Arme über den Kopf. Alles
um sie herum zitterte und bebte. Nur Taggar wusste, was los war. Die Felsen
hatten Angst.
Moff konnte sich längst nicht mehr rühren.
Er hatte Biem mit unter seine Decke genommen und spürte wie auch sie
am ganzen Körper zitterte.
"Sie haben ihre ganze Armee geschickt," schoss
es ihm durch den Kopf, "es ist alles aus."
Fast unbewusst griff er nach Rodin und drückte
ihn fest. Plötzlich bemerkte er, dass das Amulett sich erwärmte.
Seine Hand entspannte sich etwas, dann der Arm und der ganze Oberkörper.
Er spürte die eisige Kälte nicht mehr, und langsam verschwand
auch die Angst. Er hörte den Wind nicht mehr, das Flattern der grausigen
Flügel, nur noch ein mildes Rauschen. Und er sah Licht, ganz viel
Licht. "Es ist vorbei," sagte die sanfte Stimme seines Vaters.
Als er die Augen öffnete, war es wieder
dunkel. Aber der Wind war nicht mehr zu hören und alles um ihn war
ruhig.
"Moff," hörte er eine helle Stimme sagen
und Biem beugte sich lächelnd über ihn. "Bist du in Ordnung?"
Er setzte sich auf. Ghanas und Taggar starrten
ihn an.
"Sind sie weg?" fragte er.
Ghanas nickte langsam. "Wie hast du das gemacht?"
"Was gemacht?"
Der Mann schüttelte den Kopf. "Es sah
aus, als wäre alles verloren. Die Kälte war unerträglich,
der Wind, das Heulen... und dann hast du angefangen leise zu summen...
Rodin wurde weiß, alles wurde ruhig. Ich glaube, du hast sie vertrieben."
Es folgte ein fassungsloses Schweigen.
"Das war mein Vater," sagte Moff dann und
lächelte. "Ich habe ihn gehört."
"Das war etwas furchtbar, furchtbar schreckliches,"
rief Biem und ihre Augen leuchteten vor Begeisterung. "Ich konnte mich
gar nicht bewegen weil mir sooo kalt war und da war dieses Kribbeln im
Bauch und es machte uuuuu uuuuu und hschsch die ganze Zeit..."
Während sie weiterplapperte dachte Moff
daran, dass er sie noch nie so entsetzt gesehen hatte wie eben gerade.
Dann merkte er, dass Dadun immer noch lag.
"Was ist mit dir?" fragte er besorgt.
"Es... geht schon," murmelte sein Freund mühevoll.
Seine Stirn war nass.
"Wir müssen weiter," sagte Moff.
Taggar nickte nachdenklich. "Wir dürfen
nichts überstürzen. Sie werden die Suche nicht einfach so aufgeben."
"Du hast ja recht," erwiderte Ghanas. "Aber
was bleibt uns anderes übrig, als weiterzugehen? Wir müssen nach
Tan-Moria. Nur der Weg zwischen den Felsen führt dort hin."
Taggar schwieg.
"Oder nicht?"
Als der Felstroll immer noch schwieg, wurde
sogar Biem aufmerksam und hörte auf, im Höhlenboden zu graben.
Schließlich blickte der Troll auf und sah Moff an.
"Es gibt noch das Uralte Portal."
"Das Portal?" schnaubte Ghanas fassungslos.
"Du meinst doch nicht etwa das magische Tor dieses verrückten Zauberers,
na , wie hieß er doch gleich..."
"Luriel," sagte Taggar. "Genau das."
"Ja aber, weißt du denn überhaupt,
ob dieses Ding wirklich existiert und wo?"
"Und wie es funktioniert?" fügte Moff
hinzu.
"Ich weiß nicht viel mehr als ihr",
brummte der Troll ungeduldig. "Nur dass es existiert, wahrscheinlich irgendwo
im Toten Moor, und in die Nähe von Tan-Moria führt. Aber vielleicht
habt ihr ja eine bessere Idee..."
Eine Weile war es still. Keiner hatte besondere
Lust, auf den Felsweg zurückzukehren, über den eben noch die
Horde der Schwarzen Macht hinweg geflogen war. Dann fragte Moff:
"Wie kommen wir dorthin?"
"Geradwegs durch den Felsen. Ein Tunnel führt
aus der Höhle. Irgendwo auf der anderen Seite muss er seinen Ausgang
haben. Dann immer nach Westen. Die Schwarzen werden lange brauchen, bis
sie merken, wo wir sind."
Moff nickte. "Es ist der einzige Weg," sagte
er und stand auf. "Lasst uns gehen."
Und das taten sie auch.
Ghanas versuchte sich daran zu erinnern, wann
sie es sich angewöhnt hatten, Moff ohne Widerrede zu gehorchen. Moff
sagte "Wir gehen" und alle zogen los, um ein vor Hunderten von Jahren verzaubertes
Portal zu suchen, das sie nur aus Märchen kannten. Andererseits...
das war nicht mehr derselbe Moff, sein kleiner, höflicher Freund,
der unter einer Wurzel saß und Eicheln knabberte. Er war jetzt der
Auserwählte, ein Ritter der Guten Mächte. Um seinen pelzigen
Hals baumelte ein Amulett, das ihm der König persönlich überreicht
hatte, und das bis jetzt unergründete Mächte besaß. Wer
sollte ihnen befehlen, wenn nicht er?
In der hinteren Höhlenwand war tatsächlich
ein Loch, das in einen schmalen Gang führte. Moff ging voran und leuchtete
mit der Lampe. Dann kamen Taggar und Biem, und das Schlusslicht machte
Ghanas, der hinter Dadun ging, um ihn zu stützen. Der Baumjunge war
sehr schwach und hatte Fieber.
Zuerst war der Gang ziemlich schmal. Bald
rückten die Wände jedoch auseinander und Ghanas konnte sich ganz
aufrichten.
"Taggar, was weißt du eigentlich über
diese Felsen?" fragte er, während er im schwachen Licht die Wände
betrachtete. Sie sahen ganz anders aus, als die regelmäßigen
Gänge der Katagonen, fast als wären sie von Wasser und Wind geschaffen.
Manchmal waren die Wände schwarz und glatt, dann wieder schimmerten
sie weiß-braun und waren geschmückt mit Stalaktiten. Hier und
da verschwand die Decke in einer schwarzen Schlucht und der Durchgang wurde
ganz schmal, sodass Taggar sich mit seinen breiten Schultern kaum hindurchzwängen
konnte.
"Nicht viel", brummte er. "Sie sind alt, viel
älter als die Unseren. Vor sehr langer Zeit müssen auch hier
meine Vorfahren gelebt haben. Als wir mit der Zeit immer weniger wurden
und uns auf einige Felszüge beschränkten, nisteten sich hier
drachenartige Wesen ein. Aber das war lange her. Was jetzt hier lebt, weiß
ich nicht."
"Hoffentlich nichts Hungriges," murmelte Dadun
fast unhörbar. Er sah immer schlechter aus. Seine Haut war wieder
bläulich gefärbt. Moff machte sich ernsthafte Sorgen um ihn und
hoffte deshalb umso mehr, sie würden bald auf der anderen Seite der
Felsen ankommen.
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