Das Tor zwischen den Welten von Klaus-Peter Behrens
XII. Kapitel: Unter Piraten

Unter den ersten Strahlen der frühen Morgensonne brachen sie in Richtung Westen auf. Alle beobachteten gespannt den Horizont, doch zunächst passierte gar nichts. Erst am späten Vormittag glaubte Dean endlich, etwas in der ruhigen See ausgemacht zu haben. Aufgeregt zeigte er auf einen imaginären Punkt, aber keiner konnte dort etwas erkennen.
"Du solltest weniger trinken", spottete Tom. "Da ist weit und breit keine Insel in Sicht."
"Ich habe nicht gesagt, dass es eine Insel war. Aber etwas habe ich gesehen, ganz sicher!", erwiderte Dean beleidigt.
"Ich glaube, er hat Recht", rief Meister Reno vi´Eren einen Augenblick später. "Ich habe auch etwas entdeckt. Sieht aus wie ein Schiff."
"Ein Schiff in dieser Gegend?" Gart war sofort mißtrauisch. "Ich denke, wir sind weit ab von den Schiffahrtslinien."
"Jetzt ja vielleicht nicht mehr", triumphierte Dean. Auch Kapitän Bris hatte das Objekt gesichtet und befohlen, den Kurs zu ändern. Bald war klar, dass es sich tatsächlich um ein Schiff handelte, beziehungsweise um etwas, das einmal ein Schiff gewesen war.
"Mist, das ist ja nur ein Wrack!", entfuhr es Dean, als sie schließlich eine Viertelmeile entfernt stoppten und den Anker warfen. Das Schiff war unübersehbar aufgegeben worden. Die Segel hingen in Fetzen herunter, und es hatte solche Schlagseite, dass es in einer rauheren See schon längst untergegangen wäre.
"Sieht aus wie das Elfenschiff, das im Hafen des Siebenhügeldorfes lag", stellte Tom mit fachmännischem Blick fest.
"Quatsch, was sollte die denn in diese öde Gegend verschlagen haben?"
Dean fiel es schwer, dieses Wrack mit dem prachtvoll geschmückten Elfenschiff in Verbindung zu bringen. Kapitän Bris, der das bekannte Fernrohr in der Hand hielt, gesellte sich zu ihnen.
"Was sagtet ihr eben?", fragte er. Dean wiederholte Toms Vermutung. Der Kapitän nickte. "Das könnte durchaus sein. Am Bug hängt noch die offizielle Flagge des Fürsten der Waldelfen. Es gibt nicht gerade viele Schiffe, die unter dieser Flagge fahren." Dean schaute entsetzt zu dem Wrack hinüber. "Was ist dem denn zugestoßen?"
"Hat anscheinend den Unwettertest nicht bestanden." Stirnrunzelnd betrachtete Gart das Schiff. Irgendetwas störte ihn. Er konnte nur nicht sagen, was. Kapitän Bris hatte offenbar ähnliche Gedanken.
"Sieht irgendwie nicht nach einem reinen Sturmschaden aus", sagte er nachdenklich und senkte das Fernglas.
"Wir sollten an Bord gehen und nachschauen", schlug Dean vor. Gart sah ihn entsetzt an.
"Ohne mich, ich werde noch in Medara gebraucht."
Auch Meister Reno vi´Eren meldete Bedenken an, doch Dean war nicht zu bremsen. Auch der immer für Abenteuer zu habende Tom war sofort Feuer und Flamme.
"Wer weiß, was wir da drüben finden werden?"
"Wasser, Ratten und Gespenster!", prognostizierte Wirdnix ihm nüchtern.
"Darum kommst du auch mit, um sie zu verscheuchen", entgegnete Tom.
"Ich? Nie im Leben!"
"Wir werden alle gehen. Immerhin könnte jemand dort drüben unsere Hilfe benötigen und falls nicht, finden wir vielleicht ein paar Lebensmittel", bestimmte Meister Reno vi´Eren, obwohl er immer noch Bedenken hatte.
"Die könnt ihr auch ohne mich holen", protestierte Wirdnix lautstark.
"Alle für einen und einer für alle", erwiderte Tom trocken. "Wer rudert sonst das Boot?" Die anderen lachten, als der widerspenstige Gnom vor Ärger rot anlief. Schließlich einigten sie sich darauf, dass sie zwar alle gemeinsam hinüber rudern, Meister Reno vi´Eren und Wirdnix aber nur als Verstärkung im Beiboot warten sollten. Nachdem das zur Zufriedenheit von Wirdnix geklärt war, wurden die notwendigen Vorbereitungen getroffen. Kurze Zeit später dümpelte ein Beiboot sachte in der sanften Meeresdünung. Mit Ausnahme von Gart, der das schwankende Boot von der Reling aus mißtrauisch musterte, waren bereits alle an Bord. Der Zwerg war alles andere als erbaut von der Aussicht, auf dieser Nußschale über das Meer zu rudern.
"Vielleicht solltest du die Axt ablegen", riet Tom dem zögernden Gart. "Falls wir kentern sollten, könnte die beim Schwimmen hinderlich werden."
"Niemals", sagte Gart entschlossen, der sich ohne Axt nackt vorkam. Widerwillig kletterte er die Strickleiter hinunter. Unten angekommen, wurde ihm so richtig bewußt, wo er sich eigentlich befand. Das Boot schwankte bedenklich in der leichten Dünung und erinnerte Gart unangenehm daran, dass er nicht schwimmen konnte. Die Worte Toms trugen auch nicht gerade dazu bei, ihn aufzuheitern.
"Das Meer sieht ja richtig schwarz aus. Muß ganz schön tief sein."
"Ja, da geht es richtig bergab", ergänzte Dean fröhlich und versuchte erfolglos, in dem tintenschwarzen Meer etwas zu erkennen, während sie zu dem Wrack hinüber ruderten. Gart stöhnte, er litt Höllenqualen. Auch die Aussicht, an Bord des schwimmenden Wracks zu klettern, war nicht gerade dazu angetan, seine Stimmung zu heben. Aus der Nähe sah es zu seinem Entsetzen noch schlimmer aus, als er es erwartet hatte. Es kam einem Wunder gleich, dass es überhaupt noch schwamm. Während das Beiboot an der Seite des Schiffes, die Schlagseite aufwies, längsseits ging, fragte sich nun auch Dean, ob er nicht etwas zu voreilig in seiner Entscheidung gewesen war. Doch ihm blieb keine Zeit darüber zu philosophieren, denn Tom hatte schon damit begonnen, an einem Tau, das über der Reling hing, an Bord zu klettern, und so mußte er wohl oder übel folgen. Kurze Zeit später standen sie auf dem schiefen Deck des ehemaligen Elfenschoners.
"Sieht ja aus wie in einem Gruselfilm." Dean schauderte. Auch Tom sah sich unbehaglich um. Das Schiff machte wirklich einen unheimlichen Eindruck. Ein Mast war gebrochen und lag quer auf dem Deck und überall waren massive Beschädigungen zu erkennen. Gart bückte sich und hob einen langen Armbrustbolzen auf, den er den Freunden unter die Nase hielt.
"Piraten!", stellte er grimmig fest.
"Piraten?", wiederholte Dean erschrocken und sah aufs Meer hinaus, so, als würde er jeden Moment eine Armada blutrünstiger Seeräuber erwarten, doch sein Blick fiel nur auf den griesgrämigen Wirdnix, der schlecht gelaunt in dem Ruderboot saß.
"Vermutlich, nach einem Freundschaftsbesuch sieht das hier jedenfalls nicht aus." Nachdenklich fuhr Gart mit der Hand über seine Wurfaxt. Tom nahm ihm den Bolzen aus der Hand. Er unterschied sich mit einer Länge von fast einem halben Meter beträchtlich von denen, die die Sumpfmenschen verwendet hatten. Tom versuchte sich die Armbrust vorzustellen, die in der Lage war, solche Bolzen abzuschießen.
"Warum sollte jemand ein Interesse daran haben, dieses Schiff zu überfallen?", fragte sich Dean laut, während er sich nachdenklich umsah.
"Na bestimmt nicht, um deiner grünhaarigen Schönheit den Hof zu machen. Es liegt doch auf der Hand. Deine Elfen waren unterwegs zu einer offiziellen Hochzeit, und was bringt man als wohlhabende Braut mit?"
Mit der Spitze des Bolzens stieß Tom seinem Freund vor die Brust.
"Die Mitgift?", überlegte dieser zögernd.
"Bingo!" Tom schlug ihm zustimmend auf die Schulter.
"Habt ihr da oben schon etwas entdeckt?", ertönte ungeduldig die Stimme von Meister Reno vi´Eren. Dean fuhr nervös herum und ging zur Reling hinüber. "Sieht ganz so aus, als hätte es hier einen Überfall gegeben. Wir sehen uns weiter um", erklärte er ihm und folgte dann den anderen, die sich schon auf den Weg zur Kajüte aufgemacht hatten. Hier und da sah man auf dem Deck ein paar verdächtig rote Flecken, deren Ursache Dean lieber nicht erforschen wollte. Von den Elfen aber fehlte jede Spur. "Wo zum Teufel sind die bloß alle hin?", fragte er sich grübelnd. Erinnerungen an alte Piratenfilme, bei denen die Gefangenen über die Planke spazieren durften, drängten sich ihm auf. Unwillkürlich sah er sich nach dem unliebsamen Sprungbrett in eine bessere Welt um, doch da war nichts.
"Die Tür klemmt!"
Der Ausruf holte ihn in die Gegenwart zurück. Tom versuchte gerade erfolglos, die Tür zu den Unterkünften zu öffnen.
"Probleme?", wollte Dean wenig geistreich wissen.
"Du kannst Fragen stellen", keuchte Tom, der sich mit aller Kraft gegen die anscheinend verzogene Tür stemmte, ohne dass diese davon die geringste Notiz nahm.
"Laß das mal den Fachmann machen", sagte Gart nachsichtig.
"Ach, und was macht dich dazu?", fragte Tom gereizt.
"Der richtige Schlüssel", erwiderte der Zwerg und griff nach seiner Axt. Ein kurzer Schlag mit dem furchteinflößenden Instrument genügte, und die Tür sah ein, dass es wohl besser war, den Widerstand aufzugeben. Knarrend schwang sie nach innen auf. Tom steckte sogleich den Kopf hinein. Zu sehen war ein kurzer Gang, von dem links eine Tür abging und rechts eine Leiter nach unten führte. Die Freunde betraten den aufgrund der Schlagseite schrägen Gang, um sich umzusehen. Dean öffnete die Tür auf der linken Seite, die zu einer kleinen Kajüte führte. Das Innere sah aus, als hätte Rumpelstielzchen persönlich dort gewütet. "Gute Arbeit", nickte Gart anerkennend, der sich neugierig neben Dean durch die Türöffnung zwängte. "Das waren Profis." Ein entsetzter Schrei riß sie aus ihren Betrachtungen.
"Hier liegt einer!"
Sofort drehten sie sich um und rannten zu der Leiter, die Tom bereits halb hinab geklettert war. Als sie sich vorbeugten, konnten sie außer Tom nur ein paar überdimensionale Füße erkennen, die in Ledersandalen steckten und darauf schließen ließen, dass deren Besitzer, aus welchen Gründen auch immer, derzeit eine horizontale Position bevorzugte.
"Lebt er noch?", wollte Gart wissen.
"Bin ich Arzt?", kam es ungehalten zurück.
"Laß mich mal nachsehen." Dean kletterte ebenfalls die Leiter hinunter. Gart folgte ihm. Unten angekommen, stellte der Zwerg beunruhigt fest, dass seine Füße von kaltem Meerwasser umspült wurden.
"Sieht aus wie unser Yeti", stellte Dean fest, nachdem er einen Blick auf Toms Fund geworfen hatte.
"Hat wohl einmal zu oft Eintritt verboten gesagt", vermutete Gart. Dean beugte sich über den Troll und begann, ihn zu untersuchen.
"Beeil dich", drängte Gart, dem hier unten alles andere als wohl zumute war. Tom sah ihn spöttisch an.
"Reg dich nicht auf. Ob das Schiff nun sinkt wenn du hier unten oder oben an Deck bist, kann dir doch egal sein. Du gehst so oder so unter!"
"Schön, dass du immer so aufmunternde Worte findest." Gart funkelte ihn wütend an.
"Er lebt noch", unterbrach Dean ihr Geplänkel, "aber er hat viel Blut verloren. Ich bin zwar kein Arzt, aber für mich sieht seine Schulterverletzung wie eine Schußwunde aus." Überrascht beugte sich Tom vor.
"Das kann nicht sein. Sag mal Gart, gibt es hier etwa Feuerwaffen?"
Gart schüttelte irritiert den Kopf. Was, beim Bart des ersten Zwerges, war eine Feuerwaffe?
"Bist du sicher?" Tom sah ihn zweifelnd an.
"Hör mal, Zwerge sind schließlich die besten Waffenschmiede im Land. Und von Feuerwaffen habe ich noch nie etwas gehört", erwiderte Gart ungehalten.
"Klingt schlüssig", gab Tom widerstrebend zu.
"Ich kann mich ja auch irren", schaltete Dean sich wieder ein, der den Troll weiter untersuchte, "jedenfalls lebt er no..."
Weiter kam der unglückliche Dean leider nicht, denn eine Hand in Baggerschaufelformat legte sich wie eine Klaue um seinen Hals und drückte ihm unbarmherzig die Luft ab. "Pirat", knurrte der Troll, der durch Deans Untersuchung offenkundig das Bewußtsein wiedererlangt hatte.
"Ist doch immer wieder schön, wenn man so freundlich empfangen wird", spottete Tom, während Dean zappelnd versuchte, sich aus der Umklammerung zu befreien. Gart schob sich an dem grinsenden Tom vorbei und hob demonstrativ seine gewaltige Axt. Anscheinend war dem Troll nicht an einem weiteren Blutverlust gelegen, und so ließ er widerstrebend den röchelnden Dean los. "Hat mich auch gefreut, dich wiederzusehen", stöhnte dieser und rieb sich den Hals.
"Hör mal zu, du Yeti-Imitation", sagte Tom. "Wir sind die Guten, kapiert? Also, was war hier los?" Der Troll sah ihn stirnrunzelnd an, was bei ihm zu einem beeindruckenden Mienenspiel führte. Allmählich breitete sich Erkennen auf seinem Gesicht aus.
"Zur letzten Einkehr", brachte er stockend hervor.
"Wenn du so weiter machst, bist du auf dem besten Weg dahin", beschied ihm Gart grimmig. Der Troll schüttelte den Kopf.
"Ihr wart dort, im Gasthaus."
Tom nickte ungeduldig. "Ja, ja, komm lieber endlich zur Sache. Wo sind die stolzen Besitzer dieses schwimmenden Müllhaufens abgeblieben?"
"Überfall, alle entführt. Ich habe versucht, sie aufzuhalten, aber sie erledigten mich." Stöhnend setzte sich der Troll auf und hielt sich die verletzte Schulter. Die Auskunft war nicht sonderlich ergiebig. Dass etwas in der Art passiert war, hatten sich die Freunde ja schon selbst zusammengereimt.
"Was ist mit Myrana passiert?", fragte Dean besorgt.
"Myrana!" Aufgeregt richtete sich der Troll schnell vollends auf, allerdings mit dem Ergebnis, dass er sich den Kopf kräftig an der Leiter stieß und stöhnend wieder in die Horizontale wechselte.
"Das wird bei dem allmählich zur schlechten Angewohnheit", schimpfte Tom und trat dem Troll in die Seite. "Schlafen kannst du später, wir müssen hier weg. Dieser schwimmende Eimer sinkt demnächst."
Garts Nackenhaare stellten sich bei dieser Aussicht wieder auf. Eifrig half er mit, den stöhnenden Troll aufzurichten. Nach kurzer Zeit stand dieser wieder, wenn auch heftig schwankend, auf seinen eigenen Füßen. Beunruhigt stellte Gart fest, dass das Wasser inzwischen in seine Stiefel hinein zu laufen begann.
"Was ist jetzt mit Myrana?", fragte Dean ungeduldig den benommenen Troll.
"Versucht es mal dort hinten", antwortete dieser und rieb sich den Kopf, auf dem eine beeindruckende Beule zu wachsen begann, wie Gart hämisch feststellte. Mit seiner riesigen Hand wies der Troll in die hinter ihm liegende Dunkelheit. Da hier unten keine Fenster vorhanden waren, spendete das wenige Tageslicht von oben nur ein fades Dämmerlicht. Dean sah in die angegebene Richtung. So weit er erkennen konnte, befand sich in der hintersten Ecke eine weitere Tür, die halb unter Wasser stand.
"Schafft ihn nach oben, ich sehe mich dahinten einmal um", entschied er nach kurzem Zögern. Die Gefährten widersprachen nicht und versuchten, den schwer angeschlagenen Troll dazu zu bewegen, die Leiter hinaufzuklettern. "Wir brauchen einen Kran", hörte Dean seinen Freund fluchen, während er sich durch das tiefer werdende Wasser zu der Tür durchkämpfte, das ihm dort bereits bis zur Brust reichte. Die Tür war leider ebenfalls durch das Wasser verzogen und ließ sich nicht öffnen. Mit aller Kraft pochte er dagegen und schrie Myranas Namen. Nichts passierte. Dean wiederholte die Prozedur, wieder ohne Ergebnis. Zweifelnd wandte er sich den anderen zu, die sich gerade damit abplagten, den angeschlagenen Troll auf die nächste Leiterstufe zu bugsieren, als ein leises Klopfen ihn innehalten ließ.
"Seid mal einen Augenblick still", rief er und lauschte erneut. Unverkennbar war jetzt ein Klopfen zu hören. "Myrana?", rief Dean laut und legte das Ohr an das dicke Holz. Ganz leise vernahm er einen Hilferuf. "Sie ist hier", rief er den Freunden zu. Die gaben den sinnlosen Versuch, den Troll die Leiter hinauf zu schieben, auf und wandten sich Dean zu.
"Keine Panik, ich komme rüber", rief Tom, während der Troll mit einem lauten Platschen wieder seine bevorzugte Position einnahm, da er immer noch zu schwach war, um sich alleine auf den Beinen zu halten.
"Wenigstens hält er den Kopf über Wasser", stellte Gart wenig einfühlsam fest. Dann musterte er beunruhigt Tom, der durch das tiefer werdende Wasser watete. Dem Zwerg wurde bewußt, dass ihm dort hinten das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Hals stehen würde. Keine schöne Aussicht. "Ich hole Hilfe", rief er daher und verschwand. "Wozu haben wir schließlich einen Zauberer. Soll doch der alte Zausel dahinten schwimmen gehen", dachte er, während er über das Deck zur Reling eilte. Die Freunde versuchten inzwischen gemeinsam, die Tür aufzubekommen, doch alle Bemühungen waren vergebens. Schließlich gab Tom es auf. "Das schaffen wir nie", fluchte er, und lehnte sich frustriert gegen die widerspenstige Tür.
"Alles in Ordnung da unten?", ertönte plötzlich Meister Reno vi´Erens Stimme.
"Schön wär’s", rief Tom während Meister Reno vi´Eren etwas umständlich die steile Leiter hinab kletterte. Gart folgte ihm dicht auf.
"Gart erzählte mir etwas von einer verklemmten Tür unter Wasser", sagte Meister Reno vi´Eren und sah sich in dem dämmrigen Raum um. Mit den Händen machte er eine komplizierte Bewegung und im nächsten Augenblick wurde es taghell.
"Wir brauchen kräftige Hilfe, um diese Tür aufzubekommen, eine Bekannte ist dahinter gefangen", erklärte Dean die Lage. Meister Reno vi´Eren sah zu dem verletzten Troll hinunter.
"Hier liegt doch ein ganz brauchbares Arbeitsgerät", sagte er.
"Ich glaube nicht, dass er das gerne hört", wandte Dean vorsichtig ein. Der Troll knurrte zustimmend.
"War doch nur Spaß", beschwichtigte Meister Reno vi´Eren und beugte sich zu dem verletzten Troll hinunter. "Ich werde deine Leistungsfähigkeit jetzt wieder herstellen. Bist du einverstanden?" Der Troll nickte. Vorsichtig untersuchte Meister Reno vi´Eren daraufhin die verletzte Schulter. Dann fuhr er mit den Händen über die Wunde und murmelte unverständliche Zaubersprüche. Das Ganze dauerte etwa eine Minute und das Gesicht des Trolls zeigte danach wieder eine gesündere Farbe. Anscheinend ging es ihm besser. Nach einer weiteren Minute war er soweit wieder hergestellt, dass er aufstand und den staunenden Freunden verkündete, wieder fit zu sein. Eilig setzte er sich in Bewegung, um ihnen bei der widerspenstigen Tür zu helfen. Tom und Dean gingen schnell beiseite, da der entschlossen näher kommende Troll eine Bugwelle wie ein Kanonenboot vor sich herschob und den Eindruck erweckte, als würde er einfach durch die Tür hindurch marschieren. Doch die war widerstandsfähig und ließ sich lediglich einen Spalt breit öffnen. Weit genug für die beiden Freunde, aber zu eng für den Troll. "Weiter geht’s nicht", keuchte der rot vor Anstrengung.
"Okay, ich denke, das reicht." Dean zwängte sich durch die Öffnung.
"Wenn ihr Hilfe braucht, sagt Bescheid", rief Meister Reno vi´Eren Tom hinterher, der seinem Freund gerade durch die Lücke folgte. Auf der anderen Seite fanden sie sich in einem Lagerraum wieder. Zu ihren Erstaunen war auch dieser taghell erleuchtet.
"Der Meister macht keine halben Sachen", stellte Tom fest.
"Vielleicht kommt ihr mal her und helft mir", erklang eine ungehaltene Stimme unter einem Kistenstapel in der hinteren Ecke des Raumes hervor. Als das Schiff Schlagseite bekam, mußte er verrutscht sein und die unglückliche Elfin unter sich begraben haben. Dean und Tom kämpften sich durch das brusthohe Wasser zu ihr hinüber. "Hallo", brachte Dean schüchtern hervor. "Kannst du dich an mich erinnern?"
"Halt keine Volksreden, sondern hilf mir lieber hier raus!"
Tom schob Dean beiseite und sah sich die Angelegenheit näher an. Myrana wurde von einer stabilen Holzkiste so fest an die Schiffswand gedrückt, dass sie sich kaum rühren konnte. Das Wasser stand ihr bereits bis zum Hals. Es schien nur eine Frage von Minuten, bis sie ertrinken würde. Anscheinend waren sie gerade noch zur rechten Zeit gekommen.
"Kannst du dich bewegen?", wollte Dean besorgt wissen.
"Wäre ich dann noch hier?", kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.
"Schon gut, nicht so gereizt", beschwichtigte Tom. Gemeinsam versuchten sie die schwere Kiste wegzuschieben, doch diese blieb hartnäckig an ihrem Platz. Das Wasser stieg ein paar Zentimeter weiter. Myrana stöhnte.
"Mist, das Teil will nicht", fluchte Tom, dann rief er lautstark: "Wir brauchen hier hinten Hilfe."
"Holt meinen Troll, der wird mir helfen", bat Myrana verzweifelt.
"Ich fürchte, der paßt nicht durch die Tür", erwiderte Dean.
"Sollte es mal mit Trennkost probieren", lästerte Tom. In diesem Moment zwängte sich Meister Reno vi´Eren durch den Spalt.
"Was will denn der alte Mann hier?", fragte Myrana beim Anblick des betagten Zauberers entgeistert. In dem blassen Licht sah der Meister in der Tat nicht mehr taufrisch aus. Dean erklärte es ihr in kurzen Worten, während Meister Reno vi´Eren beleidigt schmollte. "Baumbatz wäre mir lieber", erwiderte sie ungerührt, nachdem er seine kurze Ausführung beendet hatte. Tom, der in dem Schiffswrack nun doch allmählich Panik bekam, wandte sich Meister Reno vi´Eren zu. "Und was schlagen sie vor?", fragte er nervös.
"Die Kiste muß weg."
"Prächtige Idee, wären wir nie drauf gekommen", höhnte Tom.
Meister Reno vi´Eren sah ihn böse an. "Wenn ich sage weg, dann meine ich auch weg." Langsam streckte er die Arme nach vorne aus, das Gesicht angespannt. Lautlos flüsterte er vor sich hin. Dann hob er beide Hände und zum Erstaunen aller, begann sich die Kiste langsam zu heben. Vorsichtig dirigierte er sie beiseite und ließ sie dort ins Wasser sinken.
"Klasse gemacht", lobte Tom. Meister Reno vi´Eren winkte bescheiden ab.
"War gar nicht so schwer", versicherte er. Auch Dean war beeindruckt.
"Antigravitation! Und ich dachte, so etwas gibt es nur in Science Fiction Filmen", bemerkte er. Myrana hatte er für einen Augenblick völlig vergessen.
"Vielleicht konzentriert ihr euch mal auf mich", brachte sich diese grantig wieder in Erinnerung, während sie sich noch etwas wackelig auf den Füßen mühsam zu den Freunden durch das brusthohe Wasser kämpfte. Die beeilten sich, der Aufforderung nachzukommen und halfen der geschwächten Elfin zur Tür, wo der Troll noch immer wartete. Als er sah, dass Myrana gerettet war, schlug er Tom dankbar auf die Schulter, der daraufhin der Länge nach ins Wasser fiel.
"Du mich auch", knurrte Tom, als er prustend wieder auftauchte. Beunruhigt stellte er fest, dass das Schiff weiter Schlagseite bekommen hatte. Das war kein gutes Zeichen. Schiffe mit so einer Neigung sollte man lieber meiden. Tom wollte jetzt nur noch eines - runter von diesem schwimmenden Wrack. "Beeilung, hier geht’s jeden Moment bergab", drängte er. Das sorgte für das nötige Adrenalin. Keine zwei Minuten später war nur noch der Troll an Deck. Vorsichtig hangelte er sich an dem für sein Körpergewicht fragilen Tau hinab.
"Wenn der fällt, versenkt er das Boot", knurrte Gart besorgt. Doch die Angst war unbegründet. Auch der letzte im Bunde erreichte unbeschadet das Beiboot. In diesem Moment gab es ein gurgelndes Geräusch, und der Schoner versank ein beträchtliches Stück tiefer im Meer.
"Bloß weg hier, sonst reißt uns der Kahn noch mit in die Tiefe", ließ sich Wirdnix angstvoll vernehmen, der enttäuscht festgestellt hatte, dass sie keinen Proviant mitgebracht hatten. Der Troll sah irgendwie nicht eßbar aus. Mit kräftigen Ruderschlägen entfernten sie sich von dem Wrack, das wider Erwarten doch nicht unterging.
"Hat wahrscheinlich ein Zwerg konstruiert", vermutete Gart.
Wieder an Bord, wurden sie von Kapitän Bris empfangen.
"Wer ist das denn?", wollte er mit einem Blick auf Myrana wissen.
"Ich darf bekannt machen: Myrana, aus dem Land der Waldelfen, eigentlich unterwegs zur Hochzeit der Tochter des Waldfürsten mit dem Sohn des Protektors des Westlichen Archipels, doch ihr Schiff wurde von Piraten gekapert und die Hochzeitsgesellschaft entführt", stellte Dean die Elfin vor.
"Du hast ihre gefräßige Begleitung vergessen", ergänzte Gart mürrisch, der sich mit Grausen fragte, wie sie die ohnehin schon leere Speisekammer mit dem gesunden Appetit des Trolls in Einklang bringen sollten.
"Na das wird den Protektor ja mächtig freuen, wenn er erfährt, dass ihm die Schwiegertochter samt Hofstaat abhanden gekommen ist", bemerkte Kapitän Bris nur trocken.
"Für sinnige Spekulationen ist später noch Zeit", unterbrach ihn Meister Reno vi´Eren. "Jetzt brauchen Myrana und der Troll ...wie war noch gleich dein Name?"
"Kein Eintritt", flüsterte Tom Gart ins Ohr, der darauf laut loslachte. Der Troll sah die beiden wütend an. Er konnte sich denken, dass er der Adressat des Spotts war. "Baumbatz", sagte er leicht verärgert. Tom prustete los.
"Der ist ja noch besser", brachte er lachend hervor. Baumbatz war beleidigt. Unter normalen Umständen hätte er Tom einfach über Bord geworfen, aber er hatte ihm schließlich das Leben gerettet, da mußte man Nachsicht walten lassen. Vielleicht konnte er ihm später die Handhabung seiner Keule demonstrieren.
"Die beiden brauchen jetzt erst einmal Ruhe und medizinische Betreuung", fuhr Meister Reno vi´Eren fort und strafte den glucksenden Tom mit einem bösen Blick. Kapitän Bris brachte Myrana und Baumbatz persönlich zu den Quartieren. Beide bemühten sich, den immer noch grinsenden Tom zu übersehen. Wirdnix folgte neugierig. Als sie verschwunden waren, zog Tom seinen Freund auf.
"Na, machst du Myrana schon wieder schöne Augen?"
Der wurde erwartungsgemäß puterrot.
"Wie bekommst du eigentlich immer diese Verfärbung hin?", fragte Gart neugierig und betrachtete ihn fasziniert.
"Geht doch zum Teufel. Auf dich fährt sie jedenfalls nicht ab", erwiderte Dean verärgert und verschwand.
"Glaubst du wirklich, dass er in die Waldfee vernarrt ist?", fragte Gart nachdenklich, während er dem davoneilenden Dean hinterher sah.
"Nein, Dean interessiert sich für Lebewesen nur aus dem Blickwinkel des Biologen. Wahrscheinlich ist er an dem genetischen Code ihrer spitzen Ohren oder ihrer grünen Haare interessiert. Was anderes kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Aber es macht Spaß, ihn aufzuziehen."
"Wenn du dich da mal nicht täuschst", erwiderte Gart vielsagend.
"Ach was, laß uns lieber nachsehen, was die da unten so treiben."
Kapitän Bris hatte inzwischen zwei Unterkünfte notdürftig für die zusätzlichen Passagiere herrichten lassen, doch die beiden hatten es abgelehnt, sich hinzulegen. Während Meister Reno vi´Eren Heiltränke verabreichte, fragte sich Wirdnix besorgt, wie lange die Vorräte bei dem Appetit des Trolls wohl reichen würden. "Ich denke, ihr solltet ihn auf Diät setzen", schlug er Meister Reno vi´Eren gerade vor. "Die erlebten Gefahren sind ihm bestimmt auf den Magen geschlagen."
"Oh ja, das sind sie. Ich habe Hunger, großen Hunger", kam es von Baumbatz sofort zurück. Gart wurde unangenehm an das Gelage im Gasthaus erinnert. Unwillkürlich tastete er nach seiner Geldbörse.
"Später", beschwichtigte Meister Reno vi´Eren den hungrigen Troll. "Erzählt uns lieber mal, was passiert ist. Euer Schoner ist ja in einem beklagenswerten Zustand."
"Das ist die Unterreibung des Tages!" Die Elfin räusperte sich und begann zu berichten. "Vor zwei Tagen waren wir mit Kurs auf den Gouverneurssitz im westlichen Archipel unterwegs. Da wir im Osten ein gewaltiges Unwetter heraufziehen sahen, wichen wir ein gutes Stück von unserem Kurs ab, um dem Schlimmsten zu entgehen. Die Rechnung ging zunächst auch auf, bis wir in den uns unbekannten Gewässern zwei Schonern begegneten, die keine Flagge gesetzt hatten. Da uns die Sache nicht geheuer vorkam, drehten wir ab. Die Schoner vollzogen das Manöver mit. Jetzt war uns klar, dass dies kein Zufall sein konnte. Es mußte sich um Piraten oder Sklavenhändler handeln. Man hatte uns zwar versichert, dass dieser Bereich des Meeres ungefährlich sei, aber Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel. Wir versuchten also zu fliehen, doch erfolglos. Kurze Zeit später wurden wir geentert. Der Kampf war ungleich, da sie uns zahlenmäßig weit überlegen und besser bewaffnet waren. Als ich erkannte, dass alle Hoffnung verloren war, flüchtete ich in den Raum, in dem ihr mich fandet. Kurze Zeit später hörte ich ein Geräusch, das wie ein Donner klang, einen Schrei und dann den Aufprall eines Körpers."
"Einen Donner?", fragte Tom überrascht.
"Also doch eine Schußverletzung", vermutete Dean grimmig. "Sag mal, Baumbatz, wie bist du eigentlich zu deiner Verletzung gekommen?"
Nachdem der Troll eine kurze Schilderung abgeliefert hatte, die auf die Anwendung einer Schußwaffe schließen ließ, waren die Freunde verstört. Offenkundig hatten sie ihren Vorgänger gefunden. Sie bezweifelten allerdings, dass er ihnen behilflich sein würde. Auf etwaige Anfragen würde er wahrscheinlich nur eine bleihaltige Antwort parat haben. Frustriert baten sie Myrana, mit ihrer Geschichte fortzufahren.
"Nachdem die Piraten das Schiff nach Wertgegenständen durchsucht hatten, schlugen sie anscheinend Löcher in die Bootswand; denn plötzlich drang Wasser ein und das Schiff bekam Schlagseite. Das war der Moment, als ich von der Kiste eingeklemmt wurde. Ich versuchte mich zu befreien, aber die Kiste war zu schwer. Da ich nicht um Hilfe rufen konnte, wartete ich, bis die Piraten weg waren. Leider schien ich jedoch die einzige zu sein, die sich nach dem Abzug der Piraten noch auf dem Schiff befand, denn niemand reagierte auf meine Rufe. Dafür nahm die Schlagseite immer mehr zu. Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, doch dann kamt ihr."
"Was ist mit den anderen?", drängte Tom sie ungeduldig.
"Da die Piraten enttäuscht waren, dass wir keine Reichtümer mit uns führten, haben sie stattdessen den ganzen Hofstaat nebst Besatzung mitgenommen."
"Ihr hattet keine reichhaltige Mitgift dabei?", fragte Dean ungläubig.
"Die Mitgift ist die Sicherung des Handelspaktes zwischen unseren Völkern. Das sollte Mitgift genug sein", gab Myrana würdevoll zurück.
"Und da man die schwer versilbern kann, haben sie deine Freunde eingesackt? Ich frage mich nur wozu. Sie als Sklaven zu verkaufen, dürfte schwierig werden?", überlegte Gart skeptisch mit der für ihn typischen kaufmännischen Ader. Anscheinend standen Elfen nicht hoch im Kurs. Myrana sah ihn beleidigt an.
"Ich hörte jemanden sagen, dass sie Lösegeld erpressen wollten."
"Lösegeld? Was ist Lösegeld?", platzte Wirdnix heraus und sprach damit aus, was die meisten anderen im Raum sich ebenfalls gerade fragten.
Dean seufzte. "Ich glaube, ich kann es euch erklären. Myrana, erinnerst du dich noch an die Geschichte, die ich dir über unsere Herkunft erzählt habe?"
Myrana nickte zögernd. "Was hat das mit dieser Sache zu tun?"
"Nun, es sieht so aus, als ob die Piraten von jemandem aus unserer Welt angeführt werden. Jemandem, der vor uns durch die Dimension reiste, eine Schußwaffe besitzt und keine Skrupel kennt."
Dean erklärte den Begriff einer Schußwaffe und den Sinn einer Lösegelderpressung. Beides rief wenig Begeisterung hervor.
"Scheint ja eine nette Welt zu sein, aus der ihr kommt", stellte Myrana bitter fest.
"Kein Wunder, dass ihr abgehauen seid", bemerkte Wirdnix.
"So schlimm ist es nun auch nicht", verteidigte Dean seine Heimat. "Aber zugegeben, die Vorgehensweise entspricht der Denkweise eines Verbrechers aus unserer Welt. Ihr hattet mit Eurer Vermutung leider recht, Meister Reno vi´Eren. Unser Vorgänger hatte wahrscheinlich gute Gründe, sich in der Höhle zu verbergen."
Der Zauberer kratzte sich nachdenklich am Kopf und wandte sich wieder der Elfin zu. "Hast du mitbekommen, wo sie hinwollten?"
Die Elfin schüttelte resigniert den Kopf, aber Baumbatz erinnerte sich, den Namen "Schwarze Insel" vernommen zu haben.
"Sagt das jemandem etwas?", fragte Dean.
"Ich hatte mal ein Comic ...", hob Tom an, brach aber ab, als er den strafenden Blick Deans registrierte. Der Rest schüttelte die Köpfe, nur Meister Reno vi´Eren zog die Stirn nachdenklich kraus.
"Als ich als junger Mann diesen Teil der Welt bereiste, kamen wir an einer sehr abgelegenen Insel vorbei, die überwiegend aus schwarzem Gestein besteht und auf der sich eine verfallene Garnison befindet. Irgendwann war sie aufgegeben worden, weil sie zu weit ab von den heute üblichen Schiffahrtsrouten liegt und der Boden zu steinig ist, um dort etwas anzubauen. Außerdem soll das Wasser knapp geworden sein. Einen Namen hatte die Insel allerdings nicht."
"Das könnte sie sein", überlegte Dean.
"Mir ist keine solche Insel bekannt, aber wir werden uns nach ihr erkundigen. Unser vordringlichstes Problem ist jedoch immer noch unser knapper Proviantvorrat", erklärte Kapitän Bris bestimmt.
"Er hat Recht. Mit hungrigen Magen kann man kaum eine Schlacht gewinnen. Also besorgen wir uns erstmal Proviant und dann suchen wir deinen Hofstaat", sagte Meister Reno vi´Eren resolut.
"Gut, dass wir sonst keine Probleme haben", knurrte Gart bei dieser Aussicht leise vor sich hin, während Kapitän Bris schon davoneilte, um das Schiff klar zu machen.
Gegen Abend war ihnen zur Abwechslung das Glück einmal wohl gesonnen. Endlich kamen die gesuchten Inseln in Sicht. Die ersten beiden waren zwar unbewohnt, aber auf der dritten befand sich ein kleines Fischerdorf. Schnell wurde man sich handelseinig. Der Proviant an Bord nahm also wieder beruhigende Dimensionen an, was Garts Laune beträchtlich hob. Die Gefährten hatten sich auch nach der vermeintlichen "Schwarzen Insel" erkundigt, aber leider keine brauchbaren Informationen erhalten.
Am nächsten Morgen ging es weiter in Richtung Norden. Da die Piraten hauptsächlich dort gesichtet wurden, lag es auf der Hand, dass ihr Schlupfwinkel auch in dieser Gegend zu finden sein würde. Doch obwohl sie zwei Tage unermüdlich durch die unbekannten Gewässer kreuzten, entdecken sie weder von den Piratenschiffen noch von der "Schwarzen Insel" eine Spur. Am Morgen des dritten Tages stießen sie unverhofft auf das erste Lebenszeichen, ein kleines Fischerboot. Von dem Fischer erfuhren sie, dass vor ein paar Tagen zwei große Schiffe in Richtung Nordwest unterwegs gewesen waren. Das sei ihm seltsam vorgekommen, da in dieser Region in der Regel keine Schiffe verkehren. Doch der Fischer hatte noch eine weitere Überraschung parat. Als Myrana ihn nach der schwarzen Insel fragte, hob er erstaunt die Augenbrauen. "Klingt wie das verfluchte Eiland, hoch oben im Norden an der Grenze zum Nebelmeer. Das ist keine gute Gegend für einen Ausflug", sagte er düster.
"Bist du schon einmal dort gewesen?", wollte Myrana wissen.
"Nein, aber ich habe davon gehört. Wir Fischer vom Barakudaatoll entfernen uns nie weiter als eine Tagesreise von unserem Heimathafen in Richtung Norden. Jeder hat Angst, in den Nebel zu geraten und nie wieder zurückzufinden. Die Nebelgrenze ist zwar in der Regel drei Tagesreisen von hier entfernt, aber manchmal verschiebt sie sich. Besser, ihr kehrt um. Falls ihr es aber doch versuchen wollt, findet ihr die Insel direkt an der Grenze zum Nebelmeer."
"Würdest du uns dorthin führen?"
"Nicht für alles Gold der Welt", rief der Fischer entsetzt. "Ich habe es euch doch gesagt, die Insel ist verflucht. Viele sind schon vor euch aufgebrochen, um das Geheimnis zu ergründen, aber keiner ist wiedergekehrt. Man sagt, die Dämonen aus dem Nebelmeer würden dort ihren Unterschlupf haben."
Tom schnaubte verächtlich. "Typisches Ammenmärchen, mit so einem Blödsinn kann man doch heutzutage wirklich niemanden mehr erschrecken."
Wirdnix sah das anders. "Also mir hat das durchaus gereicht", flüsterte er, aber keiner achtete auf ihn, und so segelte das Schiff, nachdem sich die Gefährten bei dem Fischer für die Information bedankt hatten, mit neuem Kurs Nordwest in Richtung Nebelmeer.
 
© Klaus-Peter Behrens
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Und schon geht's weiter zum 13. Kapitel: "Die schwarze Insel"

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