Mit einem sehr verärgerten Gesichtsausdruck blickte der Ritter
nach unten, wo sich Felder und Bäume in immer kleinere Punkte verwandelten
und sich schließlich auflösten.
"Lasst mich sofort herunter, Ihr Untier! Moordrache nennt Ihr Euch?
Ihr seid nichts weiter als eine Kröte, jawoll, eine geflügelte
Krööööteee..!"
Wild vor sich hin zeternd und fuchtelnd hing er zwischen den Krallen
des Drachens und begann immer lauter zu krakeelen.
"Lausiger Lindwurm, Ihr...!
Grässliches Fauchen war die einzige Antwort, die er darauf
erhielt.
"Nun, gut..."
© by Sylvia
Canerio von Celothrien schluckte und überlegte eifrig, wie er
seiner misslichen Lage ohne die Hilfe seines treuen Knappen entkommen konnte.
Der Drache jedoch fand inzwischen die Vorstellung, dieses an ihm hängende,
hampelnde und rostige Etwas ... bei allen Göttern, was machte dieses
Ding bloß für Geräusche! ...mit in seinen Hort zu nehmen,
fast erschreckend, nein, keinesfalls würde er dieses Ding mit zu sich
nehmen. Kurzentschlossen blickte er sich nach einer Möglichkeit um,
wo er sich seines rostigen Bündels entledigen konnte. Unter ihnen
verlief ein kleiner Fluß, der sich sanft entlang eines schmalen Weges
schlängelte. Entschlossen senkte er sein Haupt, um sofort in einen
rasanten Sturzflug überzugehen.
"Was tut Ihr? Ich bitte Euch, so haltet inne ..."
Der Drache ignorierte einfach die jämmerlichen Schreie und
schoß genau auf die Wasseroberfläche zu. Kurz darauf ertönte
ein sattes "Platsch" und dem Drachen entwich ein grollendes, tiefes Lachen.
So, den war er los!
Erneut zog er eine Schleife und sauste mit donnernden Flügelschlägen
über das Flußbett hinweg, in dem der noch immer krakeelende
Ritter verzweifelt versuchte, sich an Land zu ziehen.
Der Moordrache beobachtete aus luftiger Höhe das wilde Rudern
und abwechselnde Auf- und Abtauchen des Ritters, dann fasste er sich ein
Herz, flog hinab und zog das rostige Gestell mit einem kurzen Ruck aus
dem Wasser und warf es an Land.
Scheppern und Klappern ertönte, dann das Geräusch von
Metall, das über den Boden schleift. Moordrache lauschte, doch es
war nichts mehr zu hören. Vorsichtig landete er neben der merkwürdigen
Gestalt die da am Boden lag, die lange Nase im Sand vergraben, die dünnen
Arme wie zum Fluge ausgebreitet. Er berührte ihn sanft mit der Nase,
jedenfalls dachte er, es sei sanft, was aber zur Folge hatte, dass sich
das klappernde Bündel sofort 5 Meter rollenderweise von ihm entfernte
und doch mit einiger Wucht gegen den einzigen Felsen knallte, der auf weiter
Flur vorzufinden war.
Eine der Armschienen löste sich und entblößte ein
dünnes Ärmchen, überzogen mit Leinenstoff, der schon ziemlich
mitgenommen und verschlissen aussah.
"Huch ..." entwich es dem Moordrachen.
Welch jämmerliche Erscheinung!
Doch irgendwie... packte ihn plötzlich eine seltsame Art von
Mitgefühl, als er so auf das magere Männchen herabsah. Vielleicht
war er ja doch etwas zu grob zu ihm? Besaß ja schließlich nicht
jeder so eine dicke robuste Haut wie er. Er überlegte, was er jetzt
mit ihm anfangen sollte. Mit Menschen hatte er bisher sehr, sehr wenig
Kontakt gehabt, und wenn er es sich so genau überlegte, war er darüber
sehr froh. Denn viel auszuhalten schienen sie ja nicht. Unschlüssig
tapste er nun um ihn herum und blies ihm etwas warme Luft in den Nacken.
Erstaunt beobachtete er den eintretenden Effekt. Dort, wo langes, nasses
Haar unter dem Helm hervorschaute, begannen sich einzelne Strähnen
zu kringeln.
"Erstaunlich!"
© by Sylvia
Wieder blies er eine kräftige Brise heißer Atemluft in
den Nacken des Ritters und siehe da: Weitere Strähnen rollten sich
zusammen. Er kicherte.
Seine Nase war jetzt schon fast an den Nacken des Ritters gepresst,
als er von hinten eine ihm inzwischen wohl bekannte lauthals brüllende
Stimme vernahm:
"Meister....!" und dann "Olle Sumpfechse, schert euch da weg, los...!"
Der Drache mußte sich nicht erst umdrehen, um zu wissen, wem
die Stimme gehörte. Olle Sumpfechse ... der erlesenen Wortwahl zufolge
konnte es sich auch nur um den lächerlichen Knappen dieses lächerlichen
Ritters handeln.
Moordrache kümmerte sich nicht im Geringsten um das langsam
näherkommende Gezeter und das Hufgetrappel hinter ihm, denn ihn faszinierte
dieses lustige Spielchen mit dem tropfnassen Ritter viel zu sehr, als daß
er sich durch ein bißchen Geschrei hätte ablenken lassen.
Vorsichtig pustete er durch das linke Nasenloch etwas warmen Drachenatem
auf das Haar des Ritters und beobachtete hingerissen, wie sich die dünnen
Strähnchen zu kleinen Korkenziehern ringelten.
"HE! Laß sofort meinen Meister los!"
Da war diese lästige Stimme schon wieder. Sie übertönte
in ihrer Lautstärke sogar die polternden Hufschläge. Spielverderber,
dachte er nur und pustete begeistert weiter, wobei er zwischendurch immer
wieder das Nasenloch wechselte.
"Du sollst meinen Meister loslassen, habe ich gesagt! Soofort!
Du hörst wohl schlecht?"
Der Drache seufzte.
"Sich an Schwächeren vergreifen, so was hab ich gern! Immer
auf die Kleinen! Schämen solltest du dich! Sieh dich doch mal an,
du wildgewordene Sumpfschildkröte! Du bist ja mindestens zehnmal so
groß wie der Ritter! Laß ihn gefälligst los!"
Der Moordrache wandte für einen Augenblick den Blick von seinem
neuen Spielzeug ab und spähte nach hinten, dorthin, wo er den Knappen
vermutete.
Und dann mußte er lachen:
In vollem Galopp preschte Webolo auf seinem "Streitross" heran.
Mit der Linken versuchte er, gleichzeitig die Zügel und seinen Sombrero
festzuhalten, der ihm davonzuwehen drohte, während er mit der Rechten
die Lanze des Ritters umklammerte. Doch statt sie drohend auf den Drachen
zu richten, wie es der Ritter selbst getan hätte, hatte er schon Mühe,
das schwere Ding überhaupt gerade zu halten und nicht das Pferd oder
sich selbst damit zu erstechen.
Die arme, alte Rosinante schwang die ausgetretenen Hufe und keuchte
schwindsüchtig. Jedesmal, wenn der Knappe ihr die Fersen in die Seiten
schlug, rollte sie in stillem Flehen die Augen zum Himmel und überlegte,
ob sie ihn nicht einfach abwerfen sollte. Bei jedem Galoppsprung knallte
ihr das Ende der Lanze gegen die Hinterbeine und die vollgepackten Satteltaschen
schlugen hart gegen ihre Flanken.
Oh, sie hatte es geahnt, sie hatte es schon geahnt, als sie Webolos
Schrei gehört hatte, diesen ...
"Rosinanteeee! Jetzt mach mal ein bißchen! Gaaalopp!"
Das war zu viel für die alte Stute. Eindeutig zu viel. Sie
rammte mit einem Mal die Vorderhufe in die Erde, so heftig, daß sie
beinahe auf ihrem Hinterteil zu sitzen kam, und schlidderte über den
weichen Boden schnurstracks auf den Drachen zu. Nur hatte sie dummerweise
die Trägheit der Masse nicht einkalkuliert. Der verdutzte Webolo überholte
sein abrupt bremsendes Reittier auf dem Luftweg, segelte in hohem Bogen
über ihren Hals und landete mitten im Dreck.
© by Sylvia
Grinsend wandte sich der Drache wieder dem Ritter zu, der langsam
wieder zu Bewußtsein kam, während der Knappe sich schimpfend
und morastspuckend aus dem Sumpfloch befreite, in dem er gelandet war.
Der wäre erst mal erledigt, frohlockte der Schuppige,
und fönte mit seinem warmen Atem in aller Seelenruhe den Ritter trocken.
"Laßt das - was soll denn das?" rief Canerio empört und
versuchte, sich aufzurichten. Doch der - für Moordraches Verständnis
- zarte Atemhauch wehte dem Ritter wie eine Orkanstoß ins Gesicht
und hinderte ihn am Aufstehen. Sein dünnes, weißes Haar flatterte
hinter ihm wie eine Fahne im Wind.
Der Drache begann jetzt erst recht, das Spiel zu genießen,
denn der Ritter war für sein Alter noch recht flink auf den Beinen
und versuchte verzweifelt, dem pustenden Atem zu entkommen. Mit einer sich
wehrenden Beute wurde die ganze Sache noch interessanter für den Drachen,
und er hatte wohl jetzt genügend Zeit, sich mit Canerio zu beschäftigen.
Dachte er.
"Wirst du ihn jetzt wohl loslassen?"
Etwas Hartes traf Moordrache so heftig zwischen den Flügeln,
daß ihm für einen Moment beinahe die Luft wegblieb.
Er zuckte zusammen, dennoch behielt er den strampelnden Ritter im
Auge, aus Angst er könne ihm entwischen. Sicherheitshalber pustete
er ihn noch um und stellte seine Klaue über ihn, damit er ihm nicht
entfliehen konnte.
"Laß ihn los! Auf der Stelle, du modrige, alte Blindschleiche,
sonst wirst du es noch bereuen!"
Wieder knallte eines dieser Wurfgeschosse auf seinen Rücken,
ein anderes traf seinen Hinterkopf. Moordrache versuchte sich umzudrehen,
ohne den Ritter loszulassen - was nahezu unmöglich war. Aus den Augenwinkeln
erkannte er die schmale Gestalt des Knappen, der aus Rosinantes Satteltaschen
eine Möhre nach der anderen herauszog und ihn damit bewarf. Und er
zielte gut! Das Grünzeug flog ihm nur so um die Ohren und die nächste
Möhre traf ihn genau auf der empfindlichen Nase.
"Aua!"
"Loslassen! Ich warne dich!"
Moordrache stöhnte innerlich auf. Das konnte ja wohl nicht
wahr sein! Heute schien sein absoluter Glückstag zu sein. Nicht genug,
daß er sich mit einem leicht angerosteten Ritter herumplagen mußte,
jetzt prasselte auch noch geklautes Gemüse auf ihn ein! Einen Moment
war er hin- und hergerissen und grübelte, ob er erst den Ritter zu
Tode quetschen und dann dieser wandelnden Frechheit hinter ihm ein paar
Manieren beibringen sollte, oder doch lieber eher in umgekehrter Reihenfolge.
Was hatte er sich da nur eingebrockt?
Während er noch überlegte, prasselten wüste Beschimpfungen,
Möhren und mittlerweile auch diverse Metallteile auf seinen Rücken
und seine Flügel ein. Die Möhren schienen Webolo, der seinen
Herrn so leidenschaftlich verteidigte, bereits ausgegangen zu sein.
Die Rettung aus dieser verzwickten Situation nahte, als plötzlich
die Erde zu vibrieren begann und ein fernes Donnern zu hören war.
Webolo sah sich erschrocken um, ließ hastig seine Wurfgeschosse
fallen und brachte sich auf einem nahen Baum in Sicherheit. Ein Erdbeben?
Auch der Moordrache hielt inne und suchte mit seinem scharfen Augen
die Umgebung ab.
Das Donnern kam immer näher - und dann polterten zwei Laufdrachen
aus dem angrenzenden Wald heraus.
"Hey Moordrache!" rief der eine, ein grün-braun-gesprenkeltes
Exemplar. "Schön, dich zu sehen, Kumpel!"
Er bremste so haarscharf vor dem Felsen, daß Morast und Steinbrocken
vor ihm aufspritzten und auf den Ritter hinabregneten.
"Jou, genau", gröhlte der zweite, dessen Schuppen beinahe schwarz
glänzten. "He, du hast ein neues Spielzeug! Klasse - dürfen wir
eine Runde mitspielen?"
Laufdrachen! Diese primitive "Um-tausend-Ecken-Verwandtschaft"!
Der Moordrache warf einen verächtlichen Blick auf die Flügelstummel,
die die Rücken seiner halbwüchsigen Verwandten zierten, und rümpfte
die Nase.
"Was wollt ihr denn hier?"
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