Trio Infernale von Sylvia und Cancelot
Die reale Drachental-Satire
Schimmerschuppe

"Dachten, wir schau’n mal vorbei, hehehe ...Was hast'n da gefunden? Kann ich da auch mal mit spielen?" Dabei sprang er auf und ab wie ein Kaninchen und wedelte mit seinen Flügelstumpen, als versuche er irgendwann sich doch nochmal in die Lüfte zu erheben.
"Nein, Finger weg, DAS DA gehört mir!" Der Moordrache breitete gewichtig seine Flügel zu voller Spannbreite auf, was in kürzester Zeit den gewünschten Effekt erzielte.
"Okay, okay ... Moment, da is’ ja noch einer ... und da ... was is’n das?"
Der grün gesprenkelte starrte fasziniert auf Rosinante, die, über alles erhaben, ihr Haupt stolz gen Himmel hob und ihn von der Seite mit einem gelangweilten Blick bedachte.
"Schuppentiere!" ging es ihr durch den Kopf, "für sowas verschwenden die meine Möhren."
Dann hatte sie eine glänzende Idee. Sie hob ihre Lippen bis ihr kräftiges Gebiss in voller Schönheit zu sehen war und ging mit langsamen Schritten zielstrebig auf den Grüngesprenkelten zu.
"Hey, warte mal ... was soll das? Moordrache ... Moordrache, sag dem Ding da, es soll stehenbleiben ..."
"Ja, los Rosinante, zeig's ihnen ..." kreischte Webolo erfreut.
Der Moordrache konnte nur mit Mühe ein dickes Grinsen unterdrücken. Herrlich! Dieses Pferd wurde ihm direkt sympathisch.
Rosinante beschleunigte ihr Tempo und lief auf den Laufdrachen zu, der nun schleunigst das Weite suchte und wieder im Wald verschwand. "Warum nicht gleich so?" Rosinante stoppte abrupt, stellte sich auf ihre Hinterbeine und gab ein siegessicheres Wiehern von sich.
"Ok, ich geh dann auch mal wieder ... war echt cool, ehrlich. Ciao denn ..."
Mit diesen Worten zog sich auch der zweite Laufdrache zurück in den Wald, ein freundliches Grinsen wie ins Gesicht gemeißelt, mit wachsamem Blick auf Rosinante, die voller Stolz herangetrabt kam, die Lippen geschürzt, mit rollenden Augen.
Ritter Canerio strampelte inzwischen wie von Sinnen zwischen den riesigen Fingern des Drachen und versuchte mit kleinen zittrigen Händen diese riesigen Schaufeln beiseite zu schieben.
Plötzlich verdunkelte sich der Himmel über ihnen. Webolo schaute nach oben, stutze, und anschließend brüllte er aus Leibeskräften: 
"...ooohhh Meister, ein Seeungeheuer, rettet Euch...rettet uns alle!"
Selbst Moordrache blickte fassungslos hoch, seine Augen weit geöffnet, als könne er nicht glauben was da über ihm flog.
Das "Seeungeheuer" flog eine kleine Schleife und landete mit unglaublicher Eleganz. Es war ziemlich groß, nicht ganz so groß wie der Moordrache und es besaß auch nicht so einen wuchtigen Körper. Eher etwas stromlinienförmig, mit einem schmalen Kopf und es hatte Schwimmhäute zwischen seinen Zehen.
Neugierig schaute es zu ihnen hinüber.
"Was tut ihr da mit diesem Menschen?" Moordraches Ohren schossen steil nach oben. Weiblich! Eindeutig eine weibliche Stimme.
"Ähmmm, ich ...also, der da ... ähmm ... Menschen?"
"Ihr behandelt sie verkehrt, so macht ihr sie doch kaputt!" Sie kam nun etwas näher heran, mit federleichten Schritten wie es schien, und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.
"Nehmt Euren Fuß da weg", befahl sie, mit einer Stimme, so sanft und doch mit solch einer Bestimmtheit, daß dem Moordrachen ganz anders wurde.
"Ja, entschuldigt, sicher ... hehe, jaja, diese kleinen Menschen." Webolo starrte verblüfft auf seinen "Feind". Was kichert der denn so albern? überlegte er.
Flugs war der Fuß verschwunden und entblößte die darunter liegende Portion Mensch.
"Oh, ihr armer Mensch! Verspürt Ihr Schmerzen? Wartet, ich werde Euch ein wenig helfen ..."
Vorsichtig begann sie zu pusten, doch entwich aus ihren Nasenlöchern nicht schnöder Qualm, nein, wie feiner Goldstaub rieselte es auf den Ritter hinab.
"OHHH...", seufzten alle gleichzeitig, Zeugen eines nie gesehenen Zaubers. Ritter Canerio, jetzt mit goldiger Rüstung und rostigen Scharnieren, wagte gar nicht sich zu bewegen, so schön war das, was da mit ihm geschah. Nichts tat mehr weh, kein Leid plagte seinen Körper ...
Moordraches Interesse war allerdings woanders hin verschwunden. Sorgfältig betrachtete er die wunderschöne Seedrachin, die den ollen Ritter verwöhnte. Wie gerne hätte er mit ihm getauscht!
Sie lächelte zufrieden und wand sich nun dem Moordrachen zu. "So, das wäre getan. Ihr müßt vorsichtiger sein, wißt ihr? Menschen sind sehr zerbrechlich und man kann sie nicht immer so einfach heilen. Doch habt meinen Dank, daß Ihr wenigstens versucht habt, ihnen zu helfen, nicht viele Drachen tun das."
"Och, keine Ursache... man tut schließlich, was man kann, nicht?" Grinsend über beide Backen schickte er einen warnenden Blick zu Webolo hinüber. "Wehe, du wagst es ..." konnte er darin lesen.
Webolo starrte auf den Ritter. Der Ritter zu Webolo. Das war doch die Höhe!
Webolo riss seinen Mund auf und schloss ihn aber sofort wieder, denn der Moordrache hatte ihn schon längst wieder vergessen und begann mit der Drachin aus dem Eismeer zu flirten.
Ihr Anblick raubte dem Moordrachen den Atem.
Schuppen! Wunderschöne blauglänzende Schuppen! Und diese Hörner, mit welch sanftem Schwung sie sich nach oben bogen ... so ... so wunder-, wunderschön und voller stiller Eleganz. Ihm schwindelte. In sämtlich möglichen blauen und grünen Nuancen schimmerte ihr Schuppenkleid, eine zum Leben erweckte Göttin der amphiben Drachen. Seine Drachin ...
Ihre Augen waren von dem tiefsten Blau, das er jemals gesehen hatte, und in ihnen tanzten spöttische goldene Fünkchen, die ihm seine geheimsten Wünsche offenbarten.
Das also war Liebe ...

Das also war Liebe ...
© by Sylvia

Vorsichtig berührte er ihre Nasenspitze mit der seinen, schnupperte ... welch lieblicher Duft ... und versank erneut in einem Strudel drachenstarker Gefühle.
"Woher kommt Ihr?" In seiner sonst so ausgewogenen, ruhigen Stimme krächzte es wie in den Scharnieren des alten Ritters.
Doch sie lächelte einfach nur wissend und antwortete: "Meine Heimat sind die Eismeere in Ijá Macár ..."
Ihre Stimme trug ihn hinfort wie auf sanften Wellen, die sacht hin und her wogten ...
"Eismeere?" Entsetzen machte sich in ihm breit.
"Ihr kennt es? Wie schön, kommt mich doch einmal besuchen ..."
"Oh ja, gewiß doch ... wenn Ihr es wünscht, so soll es auch mein Wunsch sein."
Peng, gelandet, alte Echse? Sie sagte Eismeer ... Eiiiiis? Eismeer! Kalt, noch kälter, nix Dampfbad, Eisschwaden! Webolos Gedanken überschlugen sich vor Schadenfreude. 

© by Cancelot


Webolos vergnügtes Kichern verstummte, als er den grimmigen Blick des Drachen auffing, der ihm ohne Zweifel bedeutete, daß es besser für ihn wäre, den Mund zu halten.
Moordrache hatte nämlich nicht vor, sich von diesen beiden zufällig aufgegabelten Gestalten die Tour vermasseln zu lassen, und seine ganze Aufmerksamkeit wandte sich sofort wieder dieser blauschillernden Schönheit zu. Die Eismeere hatte er schon längst wieder aus seinem Gedächtnis gestrichen.
Völlig weltvergessen starrte er sie an und konnte sich nicht sattsehen an ihr, an den so herrlich verführerisch schimmernden Schuppen, ihrem anmutig gebogenem Hals, der sich ihm entgegenreckte ... und als sie zu ihm sprach, schien ihre sanfte, dunkle Stimme wie aus weiter Ferne zu kommen. Er hörte sie flüstern, leise und verheißungsvoll, und seine Fantasie begann bei diesem Klang auf einmal unberechenbare Haken zu schlagen. Die Worte, die sie sprach, drangen gar nicht bis an sein Ohr, so versunken war er in ihrem Anblick ... 

Plötzlich brach die Stimme jedoch schlagartig ab und Moordrache verspürte gleichzeitig den heftigen Tritt eines eisenbeschuhten Fußes, der ihn mit Wucht in die Rippen traf und ihn unsanft in die Realität zurückbeförderte.
"Autsch – was soll denn das?"
Ärgerlich fuhr er herum und heftete seinen Blick drohend auf Webolo, der grinsend und mit vor der Brust verschränkten Armen unweit entfernt die Szene verfolgte. Sogar Rosinante schien zu feixen.
"Was ist?" zischte der Drache hinter zusammengepressten Zähnen, wobei die heftig entweichende Atemluft dem Knappen den Sombrero vom Kopf und das Kerlchen beinahe aus den Stiefeln riß. 
"Ach, und sag bitte deinem Pferd, es soll mich nicht so dämlich angrinsen!"
"Hey, mein Hut!" gab Webolo beleidigt zurück und hopste eilig seinem davon rollenden Sombrero hinterher. "Außerdem war ich das gar nicht!"
"Na, wer denn sonst?"
Gut, immerhin gab es noch eine zweite Möglichkeit ...
Moordraches Hals wand sich schlangengleich nach hinten, wo er neben seinen schuppigen Flanken den rostigen Ritter erspähte, der mit schmerzverzerrtem Gesicht von einem Fuß auf den anderen trat.
Der Drache schob seinen mächtigen Schädel bedrohlich nahe an den Ritter heran und hob unmutig eine Augenbraue.
"Wart Ihr das etwa? Ihr wagt es mich zu stören?"
Canerio schnitt eine flehentliche Grimasse und deutete mit einem Kopfnicken zur Seite.
Als der Drache ihn nur verwundert anstarrte, wurde das Kopfnicken noch wilder. Auch Webolo, der inzwischen den Sombrero eingefangen und sich wieder zu der Gruppe gesellt hatte, musterte seinen Meister besorgt.
"Was habt Ihr?" Moordrache war ein wenig irritiert. Hatte er den Ritter vielleicht doch ein wenig zu unsanft behandelt? "Sind das Krämpfe, oder warum zuckt Euer wertes Haupt so durch die Gegend?"
Der Blick, den ihm der Ritter daraufhin sandte, war ein Blick mit gefalteten Händen, und er wies mit dem Daumen aufgeregt in die andere Richtung.
"Sie hat Euch eine Frage gestellt!"
„Wer?„
"Na, diese Drachin ..."
"Welche Drachin?"
"Na, die ...!"
Die Seedrachin ...

Moordrache fuhr jäh herum und sah beinahe so aus, als würde er gerade unter seinen Schuppen gewaltig erröten.
"Ähhh ... ja? Was sagtet Ihr?"
Sie lächelte und die tiefblauen Augen funkelten ein wenig spöttisch. 
"Ihr wart wohl eben ein wenig ... abwesend. Nahezu verwirrt!"
"Ähh ... wie ... abwesend, ja ..."
Webolo und sein Meister wechselten einen verständnislosen Blick, wobei der Knappe mit der Hand verstohlen eine Auf- und Abbewegung vor seiner Stirn machte. 
"Ich sagte gerade", fuhr die Drachin fort, "daß Ihr unbedingt zusammen mit diese beiden Menschlein zu mir in die Eismeere kommen müsst!"
"Zusammen ... oh, nein ..." protestierte der Moordrache, während Webolo bei diesen Worten triumphierend grinste, "... nein, nein, nein - ich kenne die beiden ja nicht einmal ..."
"Macht doch nichts",  erwiderte die blaue Drachin lächelnd. "Sie scheinen jedenfalls sehr nett und unterhaltsam zu sein. Ich bestehe darauf, daß Ihr sie bei Eurem Besuch mitbringt. Aber jetzt muß ich weiter. Es war sehr nett, Euch kennenzulernen ..."
Sie bedachte ihn mit einem letzten, so intensiven Blick, daß seine Körpertemperatur auf der Stelle in ungeahnte Höhen schoß, dann trat sie ein paar Schritte zurück und entfaltete elegant ihre geschmeidigen Flügel.
"Ähhm, hmm ...", stotterte der Moordrache, "Ihr müßt uns schon wieder verlassen? Wollt Ihr nicht noch ein wenig bleiben?"
"Das kann ich nicht", erklärte sie liebenswürdig. "Ich habe noch etwas zu erledigen und muß weiter. Aber ich hoffe, daß Ihr mich bald in den Eismeeren besuchen werdet. Lebt wohl, Drache ..."
"Halt", stammelte er verzweifelt, "Moment mal, ich weiß ja nicht mal Euren Namen!"
"Fragt einfach nach Schimmerschuppe ..."
Schimmerschuppe ... der Moordrache schmolz regelrecht dahin bei dem wundervollen Klang ihres Namens.

Fasziniert beobachtete er sie, doch in dem Augenblick, als die Drachin ihre Schwingen ausbreitete, geschah etwas Merkwürdiges: die Luft in ihrer unmittelbaren Nähe begann plötzlich zu wabern und zu brodeln, beinahe sah es aus, als würde sie Blasen schlagen. Grünlicher Nebel breitete sich in rasender Geschwindigkeit aus und tanzte in wilden Wirbeln um sie herum, und kleine Blitze zuckten dazwischen hin und her.
Alle vier rissen verblüfft die Augen auf und sogar die sonst so tapfere Rosinante machte Anstalten, den nächsten Baum zu erklimmen.

Der Beweis: Pferde können _doch_ auf Bäume klettern *gg*
© by Sylvia

"Was ist das?" kreischte Webolo entsetzt und versteckte sich schnell hinter seinem Herrn und Meister, während Moordrache völlig entgeistert auf die in grünen Nebel gehüllte Drachin starrte.
"Keine Ahnung ..."
"Ein Dimensionstor!" entfuhr es Ritter Canerio. „So etwas habe ich schon einmal gesehen!„
"Ein Dimensionstor?" echoten Webolo und der Drache wie aus einem Munde und richteten ihre Blicke auf den Ritter.
Doch der angstvolle Schrei der blauen Drachin ließ ihre Köpfe in Windeseile wieder herumfahren.
"Was geschieht hier mit mir? Was zum ..."
Ein unsichtbarer Sog schien nach ihr zu schnappen und an ihren Flügeln zu zerren. Sie sträubte sich verzweifelt, lehnte sich mit aller Kraft gegen diese unheilvolle Strömung, aber es gab kein Entrinnen. Von grellweißen Blitzen umgeben verschwand sie vor den Augen der fassungslosen Zuschauer in dem brausenden, grünen Strudel.
Und so schnell wie er begonnen hatte, war der ganze Spuk auch wieder vorbei.
Nur noch ein paar kleine, durch die Luft zischelnde Blitze und einige hellgrüne Wölkchen, die sich schnell auflösten, verrieten, daß hier eben Unglaubliches passiert war.
Sekundenlang starrten Canerio, Webolo und der Drache auf die Stelle, an der sich vor wenigen Augenblicken noch eine zauberhafte Seedrachin befunden hatte. Aber die Stelle war leer - und die Drachin wie vom Erdboden verschluckt.

Verwirrt schauten sich die drei an, und Canerio war der Erste, der das Schweigen brach:
"Ich hab’s doch gleich gesagt ..."
Webolo lugte vorsichtig hinter seinem Rücken hervor, wo er sich in Sicherheit gebracht hatte.
"Wow! Das war also ein Dimensionstor ... irre! Einfach irre!"
Er wagte sich sogar mutig aus seiner Deckung und betrachtete staunend die letzten Wölkchen, die sich gerade verzogen.
"Herr", rief er ganz überwältigt, "das habt Ihr ja noch nie erzählt! Wo habt Ihr denn schon mal ein Dimensionstor gesehen?"
"Habe ich es tatsächlich noch nie erwähnt?" grübelte Canerio. "Ja, das war so ..."
Begeistert hing Webolo an seinen Lippen, als der alte Ritter von einem fast vergessenen Abenteuer erzählte, in dem eine edle Dame und eben jenes besagte Dimensionstor eine wichtige Rolle spielten, und sie waren so beschäftigt, daß sie gar nicht bemerkten, wie still es um sie herum geworden war.
Erst ein abgrundtiefer Seufzer ließ sie ihre Diskussion unterbrechen, und als sie sich nach dem Geräusch umdrehten, bot sich ihnen ein Bild des Jammers:
Hinter ihnen stand immer noch der Moordrache - völlig geknickt und mit hängenden Schwingen, den Blick nach wie vor auf die Stelle gerichtet, an der das Dimensionstor erschienen und seine Drachin verschwunden war. Und er seufzte abermals.
"Was ist denn mit dem los?" kicherte Webolo.
Der rostige Ritter betrachtete den traurigen Drachen eine Weile mit sorgenvoller Miene und eine Welle tiefen Mitgefühls überkam ihn.
"Tja, Knappe, wie soll ich Euch das erklären?"
Er räusperte sich umständlich.
"Ich würde sagen, er ist verliebt ...."

© by Sylvia
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Und schon geht's zum 4. Kapitel: Wüstenblumen
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Denkt bitte daran: auch diese Geschichte nimmt am Drachentaler-Wettbewerb teil.
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