"Dachten, wir schau’n mal vorbei, hehehe ...Was hast'n da gefunden?
Kann ich da auch mal mit spielen?" Dabei sprang er auf und ab wie ein Kaninchen
und wedelte mit seinen Flügelstumpen, als versuche er irgendwann sich
doch nochmal in die Lüfte zu erheben.
"Nein, Finger weg, DAS DA gehört mir!" Der Moordrache breitete
gewichtig seine Flügel zu voller Spannbreite auf, was in kürzester
Zeit den gewünschten Effekt erzielte.
"Okay, okay ... Moment, da is’ ja noch einer ... und da ... was
is’n das?"
Der grün gesprenkelte starrte fasziniert auf Rosinante, die,
über alles erhaben, ihr Haupt stolz gen Himmel hob und ihn von der
Seite mit einem gelangweilten Blick bedachte.
"Schuppentiere!" ging es ihr durch den Kopf, "für sowas verschwenden
die meine Möhren."
Dann hatte sie eine glänzende Idee. Sie hob ihre Lippen bis
ihr kräftiges Gebiss in voller Schönheit zu sehen war und ging
mit langsamen Schritten zielstrebig auf den Grüngesprenkelten zu.
"Hey, warte mal ... was soll das? Moordrache ... Moordrache, sag
dem Ding da, es soll stehenbleiben ..."
"Ja, los Rosinante, zeig's ihnen ..." kreischte Webolo erfreut.
Der Moordrache konnte nur mit Mühe ein dickes Grinsen unterdrücken.
Herrlich! Dieses Pferd wurde ihm direkt sympathisch.
Rosinante beschleunigte ihr Tempo und lief auf den Laufdrachen zu,
der nun schleunigst das Weite suchte und wieder im Wald verschwand. "Warum
nicht gleich so?" Rosinante stoppte abrupt, stellte sich auf ihre Hinterbeine
und gab ein siegessicheres Wiehern von sich.
"Ok, ich geh dann auch mal wieder ... war echt cool, ehrlich. Ciao
denn ..."
Mit diesen Worten zog sich auch der zweite Laufdrache zurück
in den Wald, ein freundliches Grinsen wie ins Gesicht gemeißelt,
mit wachsamem Blick auf Rosinante, die voller Stolz herangetrabt kam, die
Lippen geschürzt, mit rollenden Augen.
Ritter Canerio strampelte inzwischen wie von Sinnen zwischen den
riesigen Fingern des Drachen und versuchte mit kleinen zittrigen Händen
diese riesigen Schaufeln beiseite zu schieben.
Plötzlich verdunkelte sich der Himmel über ihnen. Webolo
schaute nach oben, stutze, und anschließend brüllte er aus Leibeskräften:
"...ooohhh Meister, ein Seeungeheuer, rettet Euch...rettet uns alle!"
Selbst Moordrache blickte fassungslos hoch, seine Augen weit geöffnet,
als könne er nicht glauben was da über ihm flog.
Das "Seeungeheuer" flog eine kleine Schleife und landete mit unglaublicher
Eleganz. Es war ziemlich groß, nicht ganz so groß wie der Moordrache
und es besaß auch nicht so einen wuchtigen Körper. Eher etwas
stromlinienförmig, mit einem schmalen Kopf und es hatte Schwimmhäute
zwischen seinen Zehen.
Neugierig schaute es zu ihnen hinüber.
"Was tut ihr da mit diesem Menschen?" Moordraches Ohren schossen
steil nach oben. Weiblich! Eindeutig eine weibliche Stimme.
"Ähmmm, ich ...also, der da ... ähmm ... Menschen?"
"Ihr behandelt sie verkehrt, so macht ihr sie doch kaputt!" Sie
kam nun etwas näher heran, mit federleichten Schritten wie es schien,
und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.
"Nehmt Euren Fuß da weg", befahl sie, mit einer Stimme, so
sanft und doch mit solch einer Bestimmtheit, daß dem Moordrachen
ganz anders wurde.
"Ja, entschuldigt, sicher ... hehe, jaja, diese kleinen Menschen."
Webolo starrte verblüfft auf seinen "Feind". Was kichert der denn
so albern? überlegte er.
Flugs war der Fuß verschwunden und entblößte die
darunter liegende Portion Mensch.
"Oh, ihr armer Mensch! Verspürt Ihr Schmerzen? Wartet, ich
werde Euch ein wenig helfen ..."
Vorsichtig begann sie zu pusten, doch entwich aus ihren Nasenlöchern
nicht schnöder Qualm, nein, wie feiner Goldstaub rieselte es auf den
Ritter hinab.
"OHHH...", seufzten alle gleichzeitig, Zeugen eines nie gesehenen
Zaubers. Ritter Canerio, jetzt mit goldiger Rüstung und rostigen Scharnieren,
wagte gar nicht sich zu bewegen, so schön war das, was da mit ihm
geschah. Nichts tat mehr weh, kein Leid plagte seinen Körper ...
Moordraches Interesse war allerdings woanders hin verschwunden.
Sorgfältig betrachtete er die wunderschöne Seedrachin, die den
ollen Ritter verwöhnte. Wie gerne hätte er mit ihm getauscht!
Sie lächelte zufrieden und wand sich nun dem Moordrachen zu.
"So, das wäre getan. Ihr müßt vorsichtiger sein, wißt
ihr? Menschen sind sehr zerbrechlich und man kann sie nicht immer so einfach
heilen. Doch habt meinen Dank, daß Ihr wenigstens versucht habt,
ihnen zu helfen, nicht viele Drachen tun das."
"Och, keine Ursache... man tut schließlich, was man kann,
nicht?" Grinsend über beide Backen schickte er einen warnenden Blick
zu Webolo hinüber. "Wehe, du wagst es ..." konnte er darin lesen.
Webolo starrte auf den Ritter. Der Ritter zu Webolo. Das war doch
die Höhe!
Webolo riss seinen Mund auf und schloss ihn aber sofort wieder,
denn der Moordrache hatte ihn schon längst wieder vergessen und begann
mit der Drachin aus dem Eismeer zu flirten.
Ihr Anblick raubte dem Moordrachen den Atem.
Schuppen! Wunderschöne blauglänzende Schuppen! Und diese
Hörner, mit welch sanftem Schwung sie sich nach oben bogen ... so
... so wunder-, wunderschön und voller stiller Eleganz. Ihm schwindelte.
In sämtlich möglichen blauen und grünen Nuancen schimmerte
ihr Schuppenkleid, eine zum Leben erweckte Göttin der amphiben Drachen.
Seine Drachin ...
Ihre Augen waren von dem tiefsten Blau, das er jemals gesehen hatte,
und in ihnen tanzten spöttische goldene Fünkchen, die ihm seine
geheimsten Wünsche offenbarten.
Das also war Liebe ...
© by Sylvia
Vorsichtig berührte er ihre Nasenspitze mit der seinen, schnupperte
... welch lieblicher Duft ... und versank erneut in einem Strudel drachenstarker
Gefühle.
"Woher kommt Ihr?" In seiner sonst so ausgewogenen, ruhigen Stimme
krächzte es wie in den Scharnieren des alten Ritters.
Doch sie lächelte einfach nur wissend und antwortete: "Meine
Heimat sind die Eismeere in Ijá Macár ..."
Ihre Stimme trug ihn hinfort wie auf sanften Wellen, die sacht hin
und her wogten ...
"Eismeere?" Entsetzen machte sich in ihm breit.
"Ihr kennt es? Wie schön, kommt mich doch einmal besuchen ..."
"Oh ja, gewiß doch ... wenn Ihr es wünscht, so soll es
auch mein Wunsch sein."
Peng, gelandet, alte Echse? Sie sagte Eismeer ... Eiiiiis? Eismeer!
Kalt, noch kälter, nix Dampfbad, Eisschwaden! Webolos Gedanken
überschlugen sich vor Schadenfreude.
Webolos vergnügtes Kichern verstummte, als er den grimmigen
Blick des Drachen auffing, der ihm ohne Zweifel bedeutete, daß es
besser für ihn wäre, den Mund zu halten.
Moordrache hatte nämlich nicht vor, sich von diesen beiden
zufällig aufgegabelten Gestalten die Tour vermasseln zu lassen, und
seine ganze Aufmerksamkeit wandte sich sofort wieder dieser blauschillernden
Schönheit zu. Die Eismeere hatte er schon längst wieder aus seinem
Gedächtnis gestrichen.
Völlig weltvergessen starrte er sie an und konnte sich nicht
sattsehen an ihr, an den so herrlich verführerisch schimmernden Schuppen,
ihrem anmutig gebogenem Hals, der sich ihm entgegenreckte ... und als sie
zu ihm sprach, schien ihre sanfte, dunkle Stimme wie aus weiter Ferne zu
kommen. Er hörte sie flüstern, leise und verheißungsvoll,
und seine Fantasie begann bei diesem Klang auf einmal unberechenbare Haken
zu schlagen. Die Worte, die sie sprach, drangen gar nicht bis an sein Ohr,
so versunken war er in ihrem Anblick ...
Plötzlich brach die Stimme jedoch schlagartig ab und Moordrache
verspürte gleichzeitig den heftigen Tritt eines eisenbeschuhten Fußes,
der ihn mit Wucht in die Rippen traf und ihn unsanft in die Realität
zurückbeförderte.
"Autsch – was soll denn das?"
Ärgerlich fuhr er herum und heftete seinen Blick drohend auf
Webolo, der grinsend und mit vor der Brust verschränkten Armen unweit
entfernt die Szene verfolgte. Sogar Rosinante schien zu feixen.
"Was ist?" zischte der Drache hinter zusammengepressten Zähnen,
wobei die heftig entweichende Atemluft dem Knappen den Sombrero vom Kopf
und das Kerlchen beinahe aus den Stiefeln riß.
"Ach, und sag bitte deinem Pferd, es soll mich nicht so dämlich
angrinsen!"
"Hey, mein Hut!" gab Webolo beleidigt zurück und hopste eilig
seinem davon rollenden Sombrero hinterher. "Außerdem war ich das
gar nicht!"
"Na, wer denn sonst?"
Gut, immerhin gab es noch eine zweite Möglichkeit ...
Moordraches Hals wand sich schlangengleich nach hinten, wo er neben
seinen schuppigen Flanken den rostigen Ritter erspähte, der mit schmerzverzerrtem
Gesicht von einem Fuß auf den anderen trat.
Der Drache schob seinen mächtigen Schädel bedrohlich nahe
an den Ritter heran und hob unmutig eine Augenbraue.
"Wart Ihr das etwa? Ihr wagt es mich zu stören?"
Canerio schnitt eine flehentliche Grimasse und deutete mit einem
Kopfnicken zur Seite.
Als der Drache ihn nur verwundert anstarrte, wurde das Kopfnicken
noch wilder. Auch Webolo, der inzwischen den Sombrero eingefangen und sich
wieder zu der Gruppe gesellt hatte, musterte seinen Meister besorgt.
"Was habt Ihr?" Moordrache war ein wenig irritiert. Hatte er den
Ritter vielleicht doch ein wenig zu unsanft behandelt? "Sind das Krämpfe,
oder warum zuckt Euer wertes Haupt so durch die Gegend?"
Der Blick, den ihm der Ritter daraufhin sandte, war ein Blick mit
gefalteten Händen, und er wies mit dem Daumen aufgeregt in die andere
Richtung.
"Sie hat Euch eine Frage gestellt!"
„Wer?„
"Na, diese Drachin ..."
"Welche Drachin?"
"Na, die ...!"
Die Seedrachin ...
Moordrache fuhr jäh herum und sah beinahe so aus, als würde
er gerade unter seinen Schuppen gewaltig erröten.
"Ähhh ... ja? Was sagtet Ihr?"
Sie lächelte und die tiefblauen Augen funkelten ein wenig spöttisch.
"Ihr wart wohl eben ein wenig ... abwesend. Nahezu verwirrt!"
"Ähh ... wie ... abwesend, ja ..."
Webolo und sein Meister wechselten einen verständnislosen Blick,
wobei der Knappe mit der Hand verstohlen eine Auf- und Abbewegung vor seiner
Stirn machte.
"Ich sagte gerade", fuhr die Drachin fort, "daß Ihr unbedingt
zusammen mit diese beiden Menschlein zu mir in die Eismeere kommen müsst!"
"Zusammen ... oh, nein ..." protestierte der Moordrache, während
Webolo bei diesen Worten triumphierend grinste, "... nein, nein, nein -
ich kenne die beiden ja nicht einmal ..."
"Macht doch nichts", erwiderte die blaue Drachin lächelnd.
"Sie scheinen jedenfalls sehr nett und unterhaltsam zu sein. Ich bestehe
darauf, daß Ihr sie bei Eurem Besuch mitbringt. Aber jetzt muß
ich weiter. Es war sehr nett, Euch kennenzulernen ..."
Sie bedachte ihn mit einem letzten, so intensiven Blick, daß
seine Körpertemperatur auf der Stelle in ungeahnte Höhen schoß,
dann trat sie ein paar Schritte zurück und entfaltete elegant ihre
geschmeidigen Flügel.
"Ähhm, hmm ...", stotterte der Moordrache, "Ihr müßt
uns schon wieder verlassen? Wollt Ihr nicht noch ein wenig bleiben?"
"Das kann ich nicht", erklärte sie liebenswürdig. "Ich
habe noch etwas zu erledigen und muß weiter. Aber ich hoffe, daß
Ihr mich bald in den Eismeeren besuchen werdet. Lebt wohl, Drache ..."
"Halt", stammelte er verzweifelt, "Moment mal, ich weiß ja
nicht mal Euren Namen!"
"Fragt einfach nach Schimmerschuppe ..."
Schimmerschuppe ... der Moordrache schmolz regelrecht dahin bei
dem wundervollen Klang ihres Namens.
Fasziniert beobachtete er sie, doch in dem Augenblick, als die Drachin
ihre Schwingen ausbreitete, geschah etwas Merkwürdiges: die Luft in
ihrer unmittelbaren Nähe begann plötzlich zu wabern und zu brodeln,
beinahe sah es aus, als würde sie Blasen schlagen. Grünlicher
Nebel breitete sich in rasender Geschwindigkeit aus und tanzte in wilden
Wirbeln um sie herum, und kleine Blitze zuckten dazwischen hin und her.
Alle vier rissen verblüfft die Augen auf und sogar die sonst
so tapfere Rosinante machte Anstalten, den nächsten Baum zu erklimmen.
© by Sylvia
"Was ist das?" kreischte Webolo entsetzt und versteckte sich schnell
hinter seinem Herrn und Meister, während Moordrache völlig entgeistert
auf die in grünen Nebel gehüllte Drachin starrte.
"Keine Ahnung ..."
"Ein Dimensionstor!" entfuhr es Ritter Canerio. „So etwas habe ich
schon einmal gesehen!„
"Ein Dimensionstor?" echoten Webolo und der Drache wie aus einem
Munde und richteten ihre Blicke auf den Ritter.
Doch der angstvolle Schrei der blauen Drachin ließ ihre Köpfe
in Windeseile wieder herumfahren.
"Was geschieht hier mit mir? Was zum ..."
Ein unsichtbarer Sog schien nach ihr zu schnappen und an ihren Flügeln
zu zerren. Sie sträubte sich verzweifelt, lehnte sich mit aller Kraft
gegen diese unheilvolle Strömung, aber es gab kein Entrinnen. Von
grellweißen Blitzen umgeben verschwand sie vor den Augen der fassungslosen
Zuschauer in dem brausenden, grünen Strudel.
Und so schnell wie er begonnen hatte, war der ganze Spuk auch wieder
vorbei.
Nur noch ein paar kleine, durch die Luft zischelnde Blitze und einige
hellgrüne Wölkchen, die sich schnell auflösten, verrieten,
daß hier eben Unglaubliches passiert war.
Sekundenlang starrten Canerio, Webolo und der Drache auf die Stelle,
an der sich vor wenigen Augenblicken noch eine zauberhafte Seedrachin befunden
hatte. Aber die Stelle war leer - und die Drachin wie vom Erdboden verschluckt.
Verwirrt schauten sich die drei an, und Canerio war der Erste, der
das Schweigen brach:
"Ich hab’s doch gleich gesagt ..."
Webolo lugte vorsichtig hinter seinem Rücken hervor, wo er
sich in Sicherheit gebracht hatte.
"Wow! Das war also ein Dimensionstor ... irre! Einfach irre!"
Er wagte sich sogar mutig aus seiner Deckung und betrachtete staunend
die letzten Wölkchen, die sich gerade verzogen.
"Herr", rief er ganz überwältigt, "das habt Ihr ja noch
nie erzählt! Wo habt Ihr denn schon mal ein Dimensionstor gesehen?"
"Habe ich es tatsächlich noch nie erwähnt?" grübelte
Canerio. "Ja, das war so ..."
Begeistert hing Webolo an seinen Lippen, als der alte Ritter von
einem fast vergessenen Abenteuer erzählte, in dem eine edle Dame und
eben jenes besagte Dimensionstor eine wichtige Rolle spielten, und sie
waren so beschäftigt, daß sie gar nicht bemerkten, wie still
es um sie herum geworden war.
Erst ein abgrundtiefer Seufzer ließ sie ihre Diskussion unterbrechen,
und als sie sich nach dem Geräusch umdrehten, bot sich ihnen ein Bild
des Jammers:
Hinter ihnen stand immer noch der Moordrache - völlig geknickt
und mit hängenden Schwingen, den Blick nach wie vor auf die Stelle
gerichtet, an der das Dimensionstor erschienen und seine Drachin verschwunden
war. Und er seufzte abermals.
"Was ist denn mit dem los?" kicherte Webolo.
Der rostige Ritter betrachtete den traurigen Drachen eine Weile
mit sorgenvoller Miene und eine Welle tiefen Mitgefühls überkam
ihn.
"Tja, Knappe, wie soll ich Euch das erklären?"
Er räusperte sich umständlich.
"Ich würde sagen, er ist verliebt ...."
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